Ludvig Holbergs "Niels Klims underjordiske Reise"

Versuch einer intertextuellen und inhaltlichen Positionsbestimmung


Seminararbeit, 2009

30 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Zur Wahl des Lateinischen als Sprache des Originaltextes
2.2 Zur Verwendungsweise der Zitate antiker Autoren
2.3 Intertextualität und Inhalt: Antike
2.4 Intertextualität und Inhalt: Neuzeit
2.4.1 Zum Verhältnis von Satire und Utopie
2.4.2 Zur Verortung des Niels Klims innerhalb der Gattung der utopischen Literatur
2.4.2.1. Zur Entwicklung der utopischen Literatur und zur Verortung des Niels Klims innerhalb der utopischen Literatur im Allgemeinen
2.4.2.2 Zur Verortung des Niels Klims innerhalb der utopischen Literatur im Einzelnen
2.4.2.3 Parallelen von Holbergs Niels Klim und Swifts Gulliver
2.4.2.4 Holbergs Position zur Gleichberechtigung von Mann und Frau und zum Zugang zu öffentlichen Ämtern

3. Zusammenfassende Thesen

1. Einleitung

Ludvig Holbergs Niels Klims underjordiske Reise[1] wurde im Jahre 1741 anonym in Leipzig[2] auf lateinisch[3] veröffentlicht. Mit der vorliegenden Arbeit soll der Versuch unternommen werden, dieses Werk unter zwei seiner besonders herausragenden Aspekte zu untersuchen: dem Aspekt der Intertextualität einerseits und dem Aspekt der inhaltlichen Positionierung in grundlegenden gesellschaftspolitischen und moralischen Fragestellungen andererseits. Dabei sollen gegebenenfalls bestehende Bezüge zwischen beiden Gesichtspunkten aufgezeigt werden.

Unter dem Gesichtspunkt der Intertextualität soll deutlich werden, dass die Einbettung von Niels Klim in ein weit verzweigtes literarisches Beziehungsgeflecht nicht nur einen eben untersuchbaren Nebenaspekt darstellt, sondern ganz zentral stehendes Programm (im Sinne von „Vorhaben“) ist, und zwar ein zweiteiliges Programm mit einem Teil „Antike“ und einem Teil „Neuzeit“. Dabei wird der Untersuchung im Wesentlichen ein Verständnis von Intertextualität in einem engeren Sinne zugrunde gelegt, wie Genette es als „die effektive Präsenz eines Textes in einem anderen“ bezeichnet,[4] und die Beziehung von Texten auf der Ebene der Einzeltextreferenz betrachtet. Dort, wo es angebracht ist, wird kurz auf der Ebene der Systemreferenz das Verhältnis des Niels Klim zu bestimmten literarischen Gattungen thematisiert werden.[5]

In inhaltlicher Hinsicht soll deutlich werden, dass Holberg mit Niels Klim über seine neuzeitlichen Vorläufer und – in Teilen – Vorbilder wie Erasmus von Rotterdam[6], Thomas Morus[7] und Jonathan Swift[8] hinausgeht und sich in gesellschaftspolitischen Fragen gewissermaßen an die Spitze der Bewegung stellt, indem er erstmals Positionen einnimmt, die heute Grundlagen unserer Rechtsordnung und unseres Rechtsempfindens bilden und damit insofern in jeder Hinsicht „state of the art“ sind.

2. Hauptteil

2.1 Zur Wahl des Lateinischen als Sprache des Originaltextes

Wie bereits erwähnt, wurde Niels Klim von Holberg auf Lateinisch verfasst. Dieser Umstand erscheint aus heutiger Perspektive zunächst ungewöhnlich und daher erklärungsbedürftig.[9] Von den für die Wahl der Sprache in Betracht kommenden Motiven dürfte das von Befürchtungen Holbergs im Hinblick auf die dänische Zensur weniger ausschlaggebend gewesen sein.[10]

Maßgeblicher erscheinen andere Überlegungen: So wie heutzutage ein auf Lateinisch veröffentlichtes Werk mit einer eher geringeren Zahl potenzieller Leser rechnen könnte, waren die Verhältnisse zu Zeiten Holbergs nicht,[11] „...denn ... im 18. Jahrhundert [umfasste] der Kreis derer, die einen lateinischen Text wie den Holbergs lesen konnten, nicht nur wenige Gelehrte, sondern alle durch eine Lateinschule bzw. ein Universitätsstudium Gebildeten ... Holbergs Muttersprache [wurde] außerhalb Skandinaviens kaum verstanden ... Latein war die Sprache, mit der er eine gebildete Leserschicht in ganz Europa erreichen konnte, ohne daß ein Übersetzer zwischengeschaltet zu werden brauchte“.[12]

Das bedeutsamste Motiv dürfte letztendlich aber in literarischen Beweggründen zu sehen sein und zu dem in der Einleitung angesprochenen Untersuchungsaspekt der Intertextualität hinführen, zunächst in Gestalt der Einzeltextreferenz: Der gesamte Text des Niels Klim ist mit Anspielungen in Form unmarkierter Zitate antiker – ganz überwiegend lateinischer, vereinzelt auch griechischer – Autoren durchzogen.[13] Das literarische Spiel mit Anspielungen kann nur funktionieren, wenn die Texte, auf die angespielt wird, bekannt sind.[14] Dafür ist es hilfreich, wenn beide Texte in der gleichen Sprache verfasst sind.[15] Denn: „Durch eine Übersetzung ... wird ein Zitat so verfremdet, daß im günstigsten Fall vom Leser die inhaltliche Parallele zur Zitatquelle erkannt wird, die sprachlichen Raffinessen aber auf keinen Fall zur Geltung kommen. Die Parodie entgeht dem Leser...“[16] Zudem dürfte das mit dem Niels Klim verwirklichte literarische Vorhaben zur Zeit Holbergs mit kaum einer anderen Sprache als dem Lateinischen zu verwirklichen gewesen sein, da nirgendwo sonst der erforderliche Zitatenfundus zur Verfügung gestanden hätte.[17]

In systemreferenzieller Hinsicht ordnet sich Niels Klim in den in der Antike begründeten Texttypus der Menippeischen Satire ein.[18] Dabei kann es für die Zwecke dieser Arbeit dahingestellt bleiben, ob dies ausschließt, Niels Klim gleichzeitig als einen Roman zu begreifen, insbesondere wenn und soweit aus nichtlateinischer Perspektive Gestaltungsmerkmale des Originals in den übersetzten Fassungen in den Hintergrund treten.[19] Formales Hauptmerkmal dieses Texttypus ist die Aufnahme metrisch unterschiedlicher unmarkierter Zitate (auch aus dem Griechischen in das Lateinische) sowohl in die metrisch gebundenen Teilen wie in das Prosagerüst eines Textes, die zu dem schlechthin kennzeichnenden „Nebeneinander von Vers und Prosa [führt] – vor dem Hintergrund der traditionellen Unvereinbarkeit beider Schreibweisen ein markantes Merkmal“.[20] Bereits Casaubon beschrieb 1605 dieses Nebeneinander von gebundener und ungebundener, lateinischer und griechischer Sprache,[21] verwies aber zusätzlich auf das Nebeneinander von Ernsthaftem und Scherzhaftem und damit einen zentralen Aspekt für die Literatur der Aufklärung im Allgemeinen wie für Holberg und den Niels Klim im Besonderen.[22] Hinzu kommen bestimmte inhaltliche Elemente wie „das Motiv der Reise durch die Luft, der Götterversammlung, der Fahrt in den Himmel und/oder in den Hades und des Totengerichts; zudem die Vermischung von Realem mit Mythologischem oder Phantastischem und die populärphilosophische Intention des Autors“.[23] Legt man diesen Maßstab an Niels Klim an, lassen sich die „gattungsspezifische[n] Merkmale der Menippea ... darin nachweisen“.[24]

Aus dem Vorstehenden wird deutlich, dass Holberg für das von ihm mit dem Niels Klim verfolgte literarische Projekt keine andere Sprache als das Lateinische wählen konnte: „Zwischen der Form des `Iter subterraneum´ und seinem sprachlichen Medium besteht eine Wechselbeziehung: die Sprache erst ermöglicht die Form, oder umgekehrt, die Wahl der Form bedingt die Wahl der Sprache.“[25]

2.2 Zur Verwendungsweise der Zitate antiker Autoren

Nachdem vorstehend das „was“ des Niels Klim – nicht erschöpfend, aber einen wesentlichen Aspekt beleuchtend – als ein literarisches Spiel mit Anspielungen in Form unmarkierter Zitate, als Menippeische Satire beschrieben wurde, soll nun der Modus, also das „wie“ der Verwendung der Zitate in den Vordergrund gestellt werden. Dieses „wie“ lässt sich unter verschiedenen Aspekten betrachten.

Da wäre zunächst der quantitative Aspekt: Peters hat auf den etwa 150 Seiten des Niels Klim 93 Verszitate ausgemacht, davon 90 % bis zu vier Zeilen lang, 30 % aus einer Verszeile oder einem Teil davon bestehend und zwei von zwölf Zeilen Länge.[26] Bei den Prosazitaten ermittelt Kragelund eine Anzahl von etwa 250.[27] Das ergibt einen Schnitt von etwa zweieindrittel Zitaten pro Seite und damit einen das Original in jeder Hinsicht prägenden Umstand, der in den nationalsprachlichen Übersetzungen nahezu vollständig verloren geht.

Ein anderer Aspekt betrifft eher schreibtechnische Gesichtspunkte wie den der Einbettung in den Text, die Übernahme mit bzw. ohne Veränderungen oder die Verwendung einfacher bzw. zusammengesetzter Zitate. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die verwendeten Zitate ganz überwiegend nicht als solche gekennzeichnet sind.[28] Zumeist werden Zitate als „zusammenhängende Textabschnitte [übernommen], die er durch zuweilen notwendige, geringfügige Abänderungen, z.B. den Austausch von Personalendungen und Eigennamen mit den sich daraus ergebenden metrischen Konsequenzen, seinem Kontext anpaßt“.[29] Gewöhnlich sind die Zitate einzeln in den Text eingeflochten, es finden sich aber auch Kombinationen von Zitaten ein und desselben Autors,[30] verschiedener Autoren[31], und schließlich – als Höhepunkt – auch verschiedener Zitate eines Autors mit verschiedenen Zitaten eines anderen Autors.[32]

[...]


[1] Der volle Titel der lateinischen Originalausgabe lautet: Nicolai Klimii Iter SVbterraneum novam telluris theoriam ac historiam qvintæ monarchiæ adhuc nobis incognitæ exhibens e Bibliotheca B. Abelini. Die entsprechende dänische Übersetzung lautet: Niels Klims underjordiske Reise indeholdende en ny theori om jorden og det femte monarkis os hidtil ukendte historie bragt for lyset fra Salig Abelins Bibliotek. Zur Vereinfachung wird im Folgenden die Kurzbezeichnung Niels Klim verwendet.

[2] Möglicherweise handelt es sich hier um ein Ausweichen in die Anonymität und das Ausland, das vor dem Hintergrund der rigiden Politik des von 1730 – 1746 regierenden König Christians VI. – eines glühenden Anhängers des Pietismus, der u.a. das eben erst gegründete Theater Den Danske Skueplads schließen ließ – der Brisanz des im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchenden Inhalts geschuldet ist, vgl. Hoff, Karin, „Aufklärung (1720 – 1800)“, in: Glauser, Jürg (Hrsg.), Skandinavische Literaturgeschichte, Stuttgart, Weimar: Verlag J. B. Metzler 2006, S. 80 f. und 86. Andernorts wird dagegen auch auf die potenziell verkaufsförderlichen, positiven ökonomischen Folgen einer derartigen Veröffentlichungspolitik verwiesen, vgl. Kragelund, Aage: „Inledning“, in: Holberg, Ludvig: Nicolai Klimii Iter SVbterraneum novam telluris theoriam ac historiam qvintæ monarchiæ adhuc nobis incognitæ exhibens e Bibliotheca B. Abelini. MDCCXLI – MDCCXLV/Niels Klims underjordiske Reise indeholdende en ny theori om jorden og det femte monarkis os hidtil ukendte historie bragt for lyset fra Salig Abelins Bibliotek. 1741-1745, herausgegeben, übersetzt, mit Vorwort und Anmerkungen versehen von Aage Kragelund, Band I, Kopenhagen: G E C Gads Forlag 1970, S. LXXII; und Paludan, Julius: Om Holbergs Niels Klim. Med særligt Hensyn til tidligere Satirer i Form af opdigtede og vidunderlige Reiser. Et Bidrag til Kundskab om fremmed Indvirkning paa det attende Aarhundredes danske Literatur, Kopenhagen: Wilhelm Priors Hof-Boghandel 1878, S. 265. Mit Recht weist Kragelund auch darauf hin, dass zumindest die Anonymität der Veröffentlichung in Abhängigkeit vom literarischen Genre zu sehen ist, vgl. ders., „Inledning“, S. LXIX, und dass durch die Angabe des Kopenhagener Verlages Ludvig Holberg unschwer als der eigentliche Verfasser erkennbar war: „... han var simpelthen den eneste mulige ophavsmand“, ebd., S. LXXI.

[3] Auf diesen Umstand wird im Folgenden näher einzugehen sein.

[4] Genette, Gérard, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, aus dem Französischen übersetzt von Wolfram Bayer und Dieter Hornig, Nachdruck der ersten Ausgabe der deutschen Erstausgabe, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004 (= Aesthetica 683), S. 10.

[5] Es erfolgt jedoch keine Analyse der intertextuellen Bezüge des Niels Klim unter Zugrundelegung eines weiten Intertextualitätsverständnisses im Sinne etwa Julia Kristevas und ihres „radikal erweiterten Textbegriffs, der jedes kulturelle System mit einbezieht, sodass auch Geschichte, Kultur, und Gesellschaft als Text verstanden werden“ (Gillmayr-Bucher, Susanne: Intertextualität, www.wibilex.de, Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet. 02.11.2009, Ziffer 1.2; vgl. Kristeva, Julia: „Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman“, in: Ihwe, Jens [Hrsg.], Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven, Band 3: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft 2, Frankfurt am Main: Athenäum 1972 [= Ars poetica: Texte 8], S. 345 – 375, insbes. S. 347f.: „... vertikal: das Wort im Text orientiert sich an dem vorangegangenen oder synchronen literarischen Korpus ... horizontale Achse (Subjekt-Adressat) und die vertikale Achse (Text-Kontext) koinzidieren ... jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes.“) Eine solche Analyse wäre sicherlich hochinteressant und ertragreich. So ließe sich etwa die Positionierung des Niels Klim im Kontext des Kolonialismus oder der Entdeckungsreisen verorten. Eine derart umfassende Herangehensweise würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen.

[6] Holberg verehrte Erasmus, vgl. das folgende Zitat: „In Rotterdam sah ich gegen Abend, dass Kinder ... mit Steinen nach der Statue des Erasmus von Rotterdam warfen ... Ganz und gar schändlich erschien mir die Entehrung eines solchen Denkmals, das nicht nur den Einwohnern von Rotterdam, sondern der ganzen gelehrten Welt heilig sein sollte wegen der Bedeutung des Mannes, dessen Staub die Nachwelt zu küssen verpflichtet ist.“ (Der aus dem Jahr 1728 stammende lateinische Originaltext findet sich in: Holberg, Ludvig: „Ad virum perillustrem epistola“, in: Pedersen, Carl S. [Hrsg.]: Ludvig Holbergs Samlede Skrifter, Band V, Kopenhagen: Gyldendal 1920, S. 29. Die vorstehende deutsche Übersetzung stammt aus: Peters, Sigrid: Ludvig Holbergs Menippeische Satire. Das `Iter subterraneum´ und seine Beziehungen zur antiken Literatur. Frankfurt am Main, Bern, New York: Peter Lang 1987, S. 91, Fn. 4.) Vgl. auch Peters, ebd., S. 80 und 92.

[7] Vgl. Paludan, Om Holbergs Niels Klim, S. 3: „...Holb. selv nævner som `moralske´ Digtninger i samme Genre ... Mori Utopia ...“; sowie Peters, ebd., S. 93: „Sie [die Utopia des Thomas Morus] steht am Beginn der neuzeitlichen Staatsutopien und ist damit gleichsam die Ahnherrin der gesamten folgenden, nach ihr benannten utopischen Literatur. Holberg erweist diesem Stellenwert des Werkes seine Reverenz, indem er seinen unterirdischen Idealstaat `Potu´ nennt – in Umkehrung von Utop-ia.“; vgl. auch ebd., S. 95.

[8] Von Holberg selbst stammt die folgende Äußerung zu Swift: „...dette Seculum haver produceret en stor Mester udi den Engelske Doctor Swift.“ in: Holberg, Ludvig: Epistler, herausgegeben und kommentiert von Frederik Julius Billeskov Jansen, Band II: LXXXII - CLXXXIII, Kopenhagen: Hagerup 1945, Epistel CLVII, S. 246; vgl. auch Holberg, Ludvig, Moralske Tanker, mit einem Nachwort von Frederik Julius Billeskov Jansen, Anmerkungen und Textausgabe in Zusammenarbeit mit Jørgen Hunosøe, Kopenhagen: Borgen 1992 (= Danske klassikere), S. 14; Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 45, 80 und 92; Kragelund, „Inledning“, S. Xl f., LVIII und LXXXII; Paludan, Om Holbergs Niels Klim, S. 3 und 175; Bredsdorff, Thomas: „Efterskrift“, in: Holberg, Ludvig: Niels Klims underjordiske Reise. Ins Dänische übersetzt von Jens Baggesen. Mit einem Nachwort von Thomas Bredsdorff. Nachdruck der Originalausgabe von 1789 in der von H.C. Broholm und Eiler Nystrøm revidierten und herausgegebenen Fassung von 1941, mit Anmerkungen von Frederik Julius Billeskov Jensen (1971), Kopenhagen: Gyldendal 2005, S. 287.

[9] Vgl. die diesbezügliche Aussage in Kindlers Literatur Lexikon: „Holbergs Roman ist Kuriosität und Mirakel zugleich: Kurios, weil der Autor sich des nur von wenigen Gelehrten verstandenen Lateins bediente und gleichzeitig eine Gattung wählte, die er selbst gering schätzte.“ (Paul, Fritz: „Holberg, Ludvig. Nicolai Klimii iter subterraneum novam telluris theoriam ac historiam quintæ monarchiæ adhuc nobis incognitæ exhibens e bibliotheca B. Abelini“, in: Kindlers Literatur Lexikon Online, Stuttgart und Weimar: J. B. Metzler'sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH, 29.11.2009). Auf die Frage der Gattung als neben dem Lateinischen zweiten Gegenstand möglicher Verwunderung wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch eingegangen werden. Die Geringschätzung der Gattung „Roman“ durch Holberg wird von Peters bestätigt: „... es ist bekannt, daß Holberg den Prosa-Roman als literarische Form verachtete die von ihm als literarisch minderwertig eingeschätzte Form des Romans“ (Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 50 und 56) und mit einem Holberg-Zitat belegt (ebd., S. 50, Fn. 2).

[10] Diese Möglichkeit deutet Paludan an, vgl. Om Holbergs Niels Klim, S. 176.

[11] Insofern ist Paul, „Holberg, Ludvig“, hier zu widersprechen.

[12] Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 51 und 58. In diesem Sinne auch Kragelund, „Inledning“, S. IX: „Holberg skrev i sin bog med henblik ikke blot paa et dansk-norsk, men ogsaa paa et udenlandsk publikum, og det var da ganske naturligt, at han benyttede det stadig fælles europæiske udtryksmiddel: latin.“ Vgl. auch ebd., S. 16, Fn. 1 zu Erik Pontoppidan, der sein ebenfalls 1741 erschienenes Werk Gesta et vestigia Danorum aus vergleichbaren Gründen auf Lateinisch veröffentlichte, in diesem Fall „...for at udbrede kendskabet tilvort folks historie blandt udlandets lærde...“.

[13] Eine Übersicht über „Citater, Henvisninger og Parallelsteder“ in Bezug auf „Antike, især Latinske Forfattere“, alphabetisch nach Verfassern geordnet, gibt Kragelund, Aage: „Kommentar – 3. Citater, Henvisninger og Parallelsteder“, in: Holberg, Ludvig: Nicolai Klimii Iter Svbterraneum, Band III, S. 164 – 169. Die entsprechenden Verweise zuzüglich kommentierender Erläuterungen dem Textfluss des Niels Klim folgend enthält ders., „Kommentar – 1. Reale Upplysninger“, ebenfalls im vorstehend aufgeführten Band, S. 11 – 107. Eine genaue Analyse der Zitate, unterteilt in Verszitate und Zitate des Prosatextes bietet Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 96 – 180. (Wenn dieses Merkmal in besonderer Weise auf Niels Klim zutrifft, kennzeichnet sie gleichzeitig doch auch Holbergs Verfasserschaft in Gänze, vgl. Haarberg, Jon: „Essayet. Holberg, Montaigne og `de gamle´“, in: Edda. Nordisk Tidsskrift for Litteraturforskning, Bind LXXXVII, Hefte 1/1987, S. 74: „Holbergs forfattergjerning bestod i å `oversette, bearbeide, imitere og utgi under eget navn 12-14 tusen sider med åpne eller skjulte sitater´“.)

[14] Die Anspielung als Einzeltextreferenz ist eine fragmentarische, nicht deklarierte Entlehnung, die der Leser nur erkennt und versteht, wenn ihm der Bezugstext bekannt ist, vgl. Genette, Palimpseste, S. 10. Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 54: „Damit wird dem Leser ein literarischer Spaß offeriert, der nur gelingen kann, wenn bei Autor und Adressatenschicht genaue Kenntnisse innerhalb eines Lektürekanons vorausgesetzt werden können.“

[15] Ebd., S. 57: „ Der ideale Leser des lateinischen Originals erkennt diese Verse wieder, vergleicht ihre Anwendung bei Holberg mit dem ursprünglichen Zusammenhang und hat seine Freude an der Parodie.“

[16] Ebd.

[17] Ebd., S. 58 f.: „... keine der europäischen Nationalliteraturen [verfügte] zur Zeit Holbergs über einen so etablierten Literaturkanon ..., daß sich darauf ein Text hätte gestalten lassen, dessen Witz und formale Eleganz zu einem beträchtlichen Teil auf dem Jonglieren mit Zitaten beruht. Dagegen stand ein Literaturkanon in lateinischer Sprache zur Verfügung, der seit Jahrhunderten in den Lateinschulen und den Universitäten vermittelt wurde und dessen Rezeption die Literatur und die Literaturwissenschaft in Europa wesentlich geprägt hatte und auch zu Holbergs Zeit noch prägte. Aus diesem Fundus konnte Holberg für sein Zitatenspiel schöpfen und sicher sein, daß es in ganz Europa eine gebildete Schicht gab, die diesen Spaß nachvollziehen und genießen konnte.“

[18] So zunächst Isewijn, Jozef: „Neo-Latin satire. Sermo and satyra menippea“, in: ed. by Bolgar, R. R.: Classical Influences on European Culture A. D. 1500 – 1700. Proceedings of an International Conference, held at King's College, Cambridge, April 1974. Cambridge: Cambridge University Press 1976, S. 49. Die Klassifizierung des Niels Klim als Menippeische Satire ist – wie der Titel bereits vermuten lässt – einer der Hauptgegenstände des bereits mehrfach zitierten Werkes von Peters: Ludvig Holbergs Menippeische Satire. Die eigentliche Begründung dieser Typisierung findet sich dort S. 50 – 59. (Es versteht sich, dass mit dieser systemreferenziellen Zuordnung nur einer von zahlreichen möglichen systemreferenziellen Zusammenhängen benannt wurde. So ließe sich Niels Klim in systemreferenzieller Hinsicht beispielsweise auch in Bezug auf die skandinavische Literatur, die Literatur der Aufklärung, die utopische oder die satirische Literatur untersuchen.)

[19] Als Roman behandeln Niels Klim, soweit ersichtlich, bis auf die in der vorhergehenden Fußnote Genannten alle anderen, wobei Peters mit der folgenden Aussage zuzustimmen ist: „Unterstützt wurde diese Einordnung des `Iter subterraneum´ schließlich auch dadurch, daß es weitgehend in nationalsprachigen Übersetzungen gelesen wurde“, ebd., S. 56.

[20] Vgl. ebd., S. 52 – 55; das Zitat stammt von S. 55.

[21] „Denn in der Tat hat Varro ein ganz und gar erstaunliches und durch vielfachen Wechsel bemerkenswertes, um nicht zu sagen abenteuerliches Werk herausgegeben; indem er in diesem Werk Prosa mit Versen mischte, Ernsthaftes mit Scherzhaftem, Griechisches mit Lateinischem ..., gab er seinen Lateinern als erster ein Beispiel einer neuen literarischen Form Weil Boethius ... in jenen Büchern ... die allzu schwierige Erhabenheit der heiligen Philosophie mit der Lieblichkeit der anmutigen Musen in glücklichster Weise verschönte“; aus dem Lateinischen übersetzt von und zitiert nach Peters, ebd., S. 62, Fn. 1 und S. 64, Fn. 1.

[22] Auf die Horazsche Formel des „prodesse et delectare“ – des Nebeneinanders von Ernsthaftem und Scherzhaftem – wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch näher einzugehen sein.

[23] Ebd., S. 55.

[24] Ebd.: „Holberg fügt einige griechische Floskeln ein, er arbeitet in den metrisch gebundenen Passagen und in den Prosateilen mit Zitaten, und philosophische Positionen werden populär eingebracht. Typische Motive der Gattung werden verwendet, indem Holberg seinen Protagonisten eine Luftreise machen lässt, ihn in eine – wenn auch ganz anders als der Hades geartete – Unterwelt und von dort an ein Firmament gelangen lässt.“ Durch die Einordnung des Niels Klim als Menippeische Satire wird im Übrigen der scheinbare Widerspruch zwischen der Abneigung gegenüber dem Roman als literarischer Grundposition Holbergs und der bei Niels Kilm verwendeten Schreibweise aufgelöst: „Holberg ist also ... seinen literar-ästhetischen Grundsätzen nicht untreu geworden. Er hat nicht die von ihm als literarisch minderwertig eingeschätzte Form des Romans gewählt, sondern die der Menippeischen Satire, einer von der Antike her tradierten Gattung, die den von der klassizistischen Poetik gesetzten Maßstäben entspricht.“ Ebd., S. 56.

[25] Ebd., S. 59.

[26] Ebd., S. 97. Kragelund hat 59 Verszitate von Vergil, 35 von Plautus, 26 von Ovid, 24 von Horaz, 21 von Juvenal, 16 von Terenz, fünf von Persius und fünf von Martial gezählt. „Dertil kommer en mængde andre forff. med kun eet eller to citater. Nogle enkelte er ikke identificeret“ (Kragelund, „Inledning“, S. XLIX, Fn. 2; es sei an dieser Stelle nochmals auf die nach Urhebern geordnete Zusammenstellung in Kragelund, „Kommentar – 3. Citater, Henvisninger og Parallelsteder“, verwiesen). Peters weist darauf hin, dass Holberg zusätzlich zu diesen Verszitaten antiker Autoren in einigen Fällen auch eigene Epigramme sowie solche des neuzeitlichen deutschen Jesuiten Jacob Bidermann verwendet hat (Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire; ein Beispiel für ein Holbergsches Selbstzitat gibt sie ebd., S. 100).

[27] Diese Prosazitate ordnet er wie folgt zu: Petronius als Urheber von 44 Prosazitaten, Plinius d.J. von 38, Livius von 29, Cicero von 27, Plinius d.Ä. von acht, Seneca von acht, und Vellejus Paterculus von fünf. Hinzu kommt aus der Neuzeit wiederum Bidermann als Urheber von 22 Prosazitaten (Kragelund, „Inledning“, S. L, Fn. 3). Teilweise ist die Einordnung als Prosazitat nicht einfach, wenn etwa kurze markante Wortverbindungen an der Grenze zum Zitat verwendet werden, „wie das `aliquid obsidione cingere´ aus Vergils überhöhter Sprache“ (Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 134 mit Angabe der Quelle von Vergil).

[28] Anders würde das literarische „Spiel“ nicht funktionieren, vgl. o. S 4 f.; Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 99; Kragelund, „Inledning“, S. XLIX.

[29] Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 97 f., unter Anführung eines Beispielzitates aus Ovids Metamorphosen, verwendet in Holberg, Niels Klim, S. 51 (= Kapitel IV § 9).

[30] Vgl. Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 98 unter Anführung eines Beispielzitates aus Ovids Metamorphosen, verwendet in Holberg, Niels Klim, S. 244 (= Kapitel 15 § 4).

[31] Vgl. Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 98 f., unter Anführung eines aus Quellen von Horaz und Juvenal zusammengesetzten Zitates in Holberg, Niels Klim, S. 94 (= Kapitel IX § 1); und Kragelund, „Inledning“, S. LI, mit einem Beispiel in Holberg, Niels Klim, S. 104 (= Kapitel IX § 22); sowie Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 135, mit einem Textabschnitt in Holberg, Niels Klim, S. 258 (= Kapitel XVI § 12), der bei aller Kürze aus Fragmenten gleich dreier Urheber besteht: „`In implex mox ruo (Tacitus), collumque ipsius ambobus lacertis invadens (Petron): teneone te, inquam, Abeline (Terenz).´“ (Die Übersetzung und Aufschlüsselung dieses Zitats findet sich bei Peters, Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 135, Fn. 3.).

[32] Ebd. S. 99; sowie Kragelund, „Inledning“, S. LI, mit einem Beispiel bestehend aus zwei Horaz- sowie zwei Juvenalquellen aus Holberg, Niels Klim, S. 42 (= Kapitel III § 14). Zu Recht weist Peters darauf hin, dass „Holbergs idealer Leser ... über profunde Kenntnisse der lateinischen Literatur verfügen [muss]. Die notwendige Aufschlüsselung der Zitatstellen für den modernen Leser mit Hilfe eines speziellen Kommentars ist eine ironische Pointe, die die historische Entwicklung hinter das Werk gesetzt hat.“ (Ludvig Holbergs Menippeische Satire, S. 135 f.).

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Ludvig Holbergs "Niels Klims underjordiske Reise"
Untertitel
Versuch einer intertextuellen und inhaltlichen Positionsbestimmung
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Skandinavistik/Fennistik)
Veranstaltung
Einführung in die skandinavistisch-fennistische Literaturwissenschaft
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2009
Seiten
30
Katalognummer
V145340
ISBN (eBook)
9783640561094
ISBN (Buch)
9783640560936
Dateigröße
629 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ludvig, Holbergs, Niels, Klims, Reise, Versuch, Positionsbestimmung
Arbeit zitieren
Georg Miebach (Autor:in), 2009, Ludvig Holbergs "Niels Klims underjordiske Reise", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145340

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