Das Rätsel Weib

Hysterie oder zudiktierte Krankheit in Fontanes Cecile


Hausarbeit, 2009

21 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1.) Geschichte der Hysterie
1.1) Von den Ägyptern bis zu Charcot
1.2) Freuds Psychoanalyse

2.) Konstruktion der Frauenfiguren
2.1) Die Bebilderung der Frau
2.2) Gordon als personale Erzählinstanz
2.3) „Zudiktierte“ Krankheit

Schluss

Literaturverzeichnis

Einleitung

Wurde das Werk Cécile zu Anfang mit Nichtbeachtung gestraft, behauptete Fontane schon immer, mit diesem Roman etwas ganz Besonderes geschaffen zu haben und sprach von etwas „Neu[em]“[1], dass er vorgelegt zu haben glaubte.

Was den Roman zum Besonderen macht, vermag die Frage zu klären, ob die Figur Cécile wirklich krank ist, oder ob es sich um eine zugeschrieben Krankheit handelt. Viele Interpreten des Textes beschäftigten sich lange mit der Krankheit Céciles und sahen in ihr die Geschichte einer leidenden ehemaligen Fürstengeliebten. Sabina Becker fasst den Stand der Forschung folgendermaßen zusammen: „Man las den Roman als Identitätskrise einer Angehörigen des Adels, analysierte die Handlung als Ausdruck des Konflikts zwischen Individuum und Gesellschaft, deutete Céciles Freitod als das Resultat einer Dreiecksgeschichte oder sah in ihrem Tod ein Opfer ‚menschlicher Verfehlung, gesellschaftlicher Unbarmherzigkeiten und der Zeit eigenen Leere’“[2]. Viele Untersuchungen gehen davon aus, dass Cécile der Krankengruppe der Nervösen bzw. Hysterikerinnen angehört. Alle diese nehmen die Krankheit der Protagonistin unhinterfragt hin und sehen nicht das „Neue“, von dem Fontane sprach.

Gegenstand dieser Arbeit soll es nun sein, genau diese Fragestellung zu untersuchen. Dafür sollen die Figuren genauer betrachtet werden, die Cécile für krank erklären. Außerdem ist es zunächst einmal nötig, sich mit der Geschichte der Hysterie zu beschäftigen. Die Bezeichnung Hysterie hat eine lange Tradition und wird schon in altägyptischen Papyren beschrieben. In der griechischen Antike glaubte man, dass die typischen hysterischen Störungen durch das Austrocknen der Gebärmutter entstünden. Man ging ganz selbstverständlich davon aus, dass nur Frauen von der Krankheit befallen werden können. Auch noch im ausgehenden 19. Jahrhundert glaubten berühmte Neurologen wie Charcot an eine somatische Erkrankung. Erst mit Breuer und Freud kam die Diskussion über eine psychische Entstehung der hysterischen Symptome auf. Sie veröffentlichten die Studien über Hysterie, welche revolutionäre wissenschaftliche Hypothesen enthalten, die besagen, dass die hysterischen Patienten größtenteils an „Reminiszenzen“ litten.[3]

Glaubt man Sabina Becker, handelt es sich bei der Hysterie um den Bestandteil einer von Männern imaginierten Weiblichkeit. Sie haben ein Bild vor Augen, denen die Frau zu entsprechen hat. Weicht sie davon ab, wird sie als hysterisch bezeichnet.[4]

Um diese Bebilderung der Frau durch den Mann soll es im zweiten Teil meiner Hausarbeit gehen. Außerdem soll untersucht werden, wie es Fontane gelingt, diese Bebilderung darzustellen.

1.) Geschichte der Hysterie

1.1) Von den Ägyptern bis Charcot

Die Geschichte der Hysterie beginnt ca. 1900 v. Chr. im Mittleren Reich Ägyptens als Suche nach der Ursache für allerlei weibliche Beschwerden.

Der Begriff Hysterie stammt aus dem Griechischen (Hystera) und bedeutet Gebärmutter. So kreisten die Phantasien der Ärzte aus dem antiken Griechenland stets um die Gebärmutter, die im Leib der Frau umherwandert und ein geheimnisvolles Eigenleben führt, auf der Suche nach Feuchtigkeit. Als Symptome wurden unter anderem Nachtschweiß, Stöhnen, Ohnmachten und ekstatische Zuckungen beobachtet. Abhilfe konnte angeblich eine Eheschließung oder Schwangerschaft schaffen. Folglich waren Jungfern, Witwen und Unfruchtbare besonders von der Hysterie bedroht. Das ganze weibliche Dasein verengte sich durch diese Vorstellung auf den Fortpflanzungsvorgang.[5]

Etwa 100 v. Chr. herrschten gleichzeitig zwei gegensätzliche Vorstellungen. Einerseits sollten hysterische Patientinnen so lange wie möglich ihre Jungfräulichkeit bewahren um geheilt zu werden, andere wiederum empfahlen eine frühe Defloration, da sonst der weibliche Samen den Körper vergifte. Diese Gegensätzlichkeit nimmt die zwiespältige Lesart vorweg, mit der die Frau im christlichen Zeitalter überzogen wurde: die Heilige und die Hure. So wurde aus einer therapeutischen Anleitung die doppelgesichtige Definition des Weibes schlechthin.[6]

Die Vorstellung der umherwandernden Gebärmutter herrschte auch noch im Mittelalter. Hier galten die Symptome als Beweis für die Besessenheit der Kranken durch den Teufel. Die Hysterie wurde auf das Böse zurückgeführt und die Befallene konnte nur durch Austreibung geheilt werden. Durch die aufkommende Reformation, in der der Verstand und die Rationalität herrschten, wurde das mystische Erleben in Frage gestellt und das Denkmuster ‚Teufel’ ging zurück. Die Hysterie kehrte mit Paracelsus in den medizinischen Diskurs zurück und es wurde angenommen, dass tief in der Frau ein Wesen hause, das ein Eigenleben führe, den Körper der Frau erschüttere und sie ihren Sinnen beraube.[7]

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts erfuhr der Begriff „Nervenkrankheit“ eine große Ausdehnung. Die hysterischen Störungen kamen Edward Jordan zufolge von aufsteigenden Dämpfen, die von der Gebärmutter produziert wurden. Diese sollten andere Organe beeinflussen und klinische Symptome hervorrufen. Mit der Theorie der aufsteigenden Dämpfe wurde die Ursache der Hysterie allmählich vom Uterus in den Kopf verlegt. Somit ordnete man das Leiden den Geisteskranken zu. Im 19. Jahrhundert verfestigte sich diese Theorie und es wurden zahlreiche Bücher verfasst, die die angeblichen Störungen des zentralen und peripheren Nervensystems festhielten. Als Symptome konnten unter anderem Gehstörungen, Atemnot, Schmerzen aller Art und Gleichgewichtsstörungen beobachtet werden.[8]

Alle waren sich einig, dass es sich letztlich um körperlich verursachte Störungen handelt, auch wenn man zugeben musste, dass diese hysterischen Störungen öfters nach einem Trauma auftraten.

Auch Charcot, einer der führenden Neurologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, blieb vorerst bei dieser Theorie. Er hielt regelmäßig Vorlesungen, an denen nicht nur Mediziner, sondern auch Künstler, Kardinäle und Polizeipräfekten teilnahmen, um die von seinen Patientinnen vorgeführten hysterischen Anfälle zu beobachten. Charcot zufolge spielten sich die Anfälle immer in demselben Drei-Phasen-Modell ab: beginnend mit Muskelkrämpfen, Verrenkungen, schließlich ein Zustand der Verzückung.

Es kam zu einem regelrechten Konkurrenzkampf um die Definition der Hysterie. Gynäkologen sahen in der Krankheit die Folge eines Genitalleidens oder unbefriedigter Sexualität, Neuropathologen wiederum glaubten an eine Erkrankung des Nervensystems. So wurde aus der Frau ein Tier, mit triebhaftem Naturwesen. Die Therapien, die sich sowohl gegen die Sexualität der Frau richteten, wie auch gegen deren geistige Betätigung, stand ganz im Interesse des Bürgertums des deutschen Kaiserreichs. Paul Möbius, ein deutscher Nervenarzt und Psychiater Ende des 19. Jahrhunderts, argumentierte folgendermaßen:

Nach alledem ist der weibliche Schwachsinn nicht nur vorhanden, sondern auch notwendig, er ist nicht nur ein physiologisches Faktum, sondern auch ein physiologisches Postulat. Wollen wir ein Weib, das ganz seinen Mutterberuf erfüllt, so kann es nicht ein männliches Gehirn haben. Ließe es sich machen, dass die weiblichen Fähigkeiten den männlichen gleich entwickelt würden, so würden die Mutterorgane verkümmern, und wir einen häßlichen und nutzlosen Zwitter vor uns haben.[9]

[...]


[1] Theodor Fontane an Paul Schlenther, 2.6. 1884. In: Ders.: Briefe, Bd.3 (1879-1889). Hrsg. v. Walter Keitel u. Helmut Nürnberger. München 1980, S.539.

[2] Sabina Becker: „Wer ist Cecile?“ Der ‚Roman einer Phantasie’: Theodor Fontanes ‚Cécile’. In: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft 2002, S.130.

[3] Stravros Mentzos: Einleitung in Josef Breuers und Sigmund Freuds ,Studien über Hysterie’. Frankfurt a. M 1991, S.8.

[4] Sabina Becker: „Wer ist Cecile?“, S.133-136.

[5] Dorion Weickmann: Rebellion der Sinne. Hysterie – ein Krankheitsbild als Spiegel der Geschlechterordnung (1880-1920). Frankfurt a.M. 1997, S.22.

[6] ebd., S.23f.

[7] Lilo Weber: „Fliegen und Zittern“. Hysterie in Texten von Theodor Fontane, Hedwig Dohm, Gabriele Reuter und Minna Kautsky. Bielefeld 1996, S.23f.

[8] Stavros Mentzos: Einleitung. S.7.

[9] Aus Lilo Weber: „Fliegen und Zittern“, S.26f.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Rätsel Weib
Untertitel
Hysterie oder zudiktierte Krankheit in Fontanes Cecile
Hochschule
Universität Konstanz
Veranstaltung
Fontane-Seminar
Note
2,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V145670
ISBN (eBook)
9783640559480
ISBN (Buch)
9783640559282
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fontane, Hysterie, Weib, Freud
Arbeit zitieren
Jennifer Heim (Autor:in), 2009, Das Rätsel Weib, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145670

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