Die Amish im 21. Jahrhundert – Strategien und Entwicklungsmöglichkeiten ihrer kulturellen Unabhängigkeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Innere und äußere Merkmale der Amish-Kultur
2.1. Weltanschauung und das Verhältnis zur Religion
2.2. Kulturelle Identität und Abgrenzung
2.3. Absonderung von der Welt und die Ordnung

3. Die Zukunft der Amish
3.1. Die Auseinandersetzung mit Modernität
3.2. Sozio-ökonomische Folgen des wirtschaftlichen Wandels
3.3. Auswirkungen auf das kirchliche Leben

4. Fazit

5. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

„Unbemerkt vom Rest der Welt hat sich die Religionsgemeinschaft der Amish zu Solar-Trendsettern entwickelt."1 berichtete Focus Online am 22.12.2008. Eine Entwicklung, die vor ein paar Jahr-zehnten kaum denkbar gewesen ware. Das sich die Amish neuen wirtschaftlichen Tatigkeiten zuwenden, ist Ergebnis eines Prozesses, der sie zwang, teilweise ihre Existenz als Bauer aufzugeben. Damit verbunden sind nicht nur wirtschaftliche Transformationsprozesse, sondern insbesondere Veranderungen, welche die religiösen und kulturellen Grundpfeiler der Gemeinschaft nach und nach zerstören..

Die Amish leben eine Kultur, die schon seit fast 300 Jahren zu den stabilsten Glaubensgemeinschaften der USA z/hlt. Eine Gemeinschaft, die sich aus einem radikalen Fliigel der Reformation entwickelte und sich Wiedertaufer nannte. Sie wanderten 1693 und in den darauf folgenden Jahrhunderten in die Neue Welt aus, da sie massiv von Kirche und Staat verfolgt wurden.2 Bis heute stellen sie mit fast 100.000 Personen eine auffallige Erscheinung in der amerikanischen Bevölkerungsstruktur dar und haben es bis heute verstanden ihre Identitat, trotz vieler moderner Einfliisse, zu bewahren.

Die Amish verfiigen iiber ein breites Arsenal an kulturellen Ressourcen, welches es ihnen ermöglicht, ihre ethnische Subkultur zu erhalten und zu schiitzen. In dieser Arbeit sollen ihre verschiedenen Strategien und kulturellen Codes dargestellt werden, die sie als Gemeinschaft so einzigartig machen. Ausgehend davon können Fragen beantwortet werden beziiglich ihrer Auffassung von Religion, Gemeinschaft, Kultur und Weltanschauung. Die Amish als Subkultur unterscheiden sich dabei in vielfaltiger Weise von Kulturen, die uns bekannt sind. Ihre eigene Auffassung von der restlichen Welt hingegen ist sehr hart, da sie auBenstehende Gemeinschaften als „siindige Welt" deklarieren, zu der sie einen groBen Abstand wahren wollen. Eine solch strikte Abgrenzung gelingt den Amish schon seit ihrer Griindung und ist seit jeher der Erfolgsfaktor ihres Bestandes. Doch selbst die Kultur der Amish kann sich auBeren Einfliissen nicht verwehren, denn eine völlige Isolierung von anderen Kulturen ist nicht möglich. Gerade in den letzten Jahrzehnten konnten sich die Amish dem technologischen Wandel nicht völlig entziehen. Soziokulturelle Veranderungen waren die Folge. Aber auch andere Einfliisse und Gefahren bedrohen ihre Existenz. So soll, ausgehend von der Analyse ihrer Strategien, letztendlich die Frage beantwortet werden: Gelingt es den Amish ihre Kultur noch weiter sicherzustellen und welche zukiinftigen Prognosen können davon abgeleitet werden?

2. Innere und äuBere Merkmale der Amish-Kultur 2.1. Weltanschauung und das Verhältnis zur Religion

Nicht wie bei den meisten christlichen Religionen gibt es bei den Amish eine fest tradierte und systematisch ausgearbeitete Theologie. Nur die Bekenntnisse von Schleitheim und Dordrecht sind die ersten ausformulierten Bekenntnisschriften der Täuferbewegung, die eine wichtige Grundlage ihrer Lehre bilden. Dort niedergeschrieben sind Grundsätze wie die Glaubenstaufe, der Bann gegen Andersgläubige und das Abendmahl als Ausdruck christlicher Gemeinschaft und Absonderung von der Welt. Die Amish verstehen das Neue Testament als wörtliche Aufforderung und versuchen nicht, dieses zu interpretieren. Das hat mit der Amish-Philosophie an sich zu tun und mit der Art und Weise, wie ihre Gemeinschaft strukturiert und organisiert ist. Laut ESTER sind sie „intellektualisierter theologischer Reflexion und Analyse abgeneigt."3 Denn eine umfassend theologische Ausarbeitung von Glaubenssätzen widerspricht der amischen Demut und Bescheidenheit, die typisch sind fiir ihren Glauben. Denn nicht am Wort, sondern an der Tat soll der Glaube erkennbar sein.4 Von bedeutender Wichtigkeit ist bei den Amish die wörtliche Auslegung der Bibel, welche keinen theologischen Interpretationsspielraum zulässt und deshalb auch keiner theologischen Besinnung bedarf. Der gläubige Mensch soll demnach die im Evangelium niedergeschrieben Wörter und Taten genau praktizieren und Gottes Wort, welches unzweideutig und klar sei, keiner weiteren Analyse unterziehen. Eine Beschäftigung und Auslegung von theologischen Grundsätzen wird von den Amish als Ausdruck von Hochmut angesehen, so als wiisste der Mensch es besser als Gott selbst. Aber auch die starke Dezentralisierung hat damit zu tun: da es keine kirchliche Autorität gibt, die die Einhaltung der Lehre iiberwacht oder Lehrsätze modifiziert und präzisiert, gibt es niemanden, der Meinungsverschiedenheiten oder Interpretations-unterschiede schlichten könnte. Demnach ist die einzig echte Autorität die Bibel als das Wort Gottes selbst.

Die Religion der Amish spiegelt sich in allen Lebensbereichen der Gemeinschaft wieder und ist laut ESTER damit eine „totale und gefräBige Religion"5, da alle Elemente des Amish-Mikrokosmos von dem Wort Gottes diktiert werden. Die Amish beziehen ihre Identität aus der Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft, denn Glaube und Gehorsam zählen zu ihren Haupttugenden.6 Die Gewissheit, schon jetzt einen Platz im Jenseits zu haben, legitimiert Leid und Entbehrungen und rechtfertigt, wie die Amish denken und leben: „zielgerichtet auf den iiberweltlichen Lebenszweck, das Jenseits."7

Die Amish vertreten eine sehr kontrastierende Wirklichkeitsdefinition: Von ihrem Standpunkt aus vertreten sie den wahren Glauben, welcher der falschen weltlichen Existenz gegenübersteht, also ein Im-Recht-Sein des alten Glaubens konträr zum Im-Unrecht-Sein der sündigen Welt. Damit sehen sich die Amish als auserwähltes Volk, welches sich aber, aufgrund ihrer Bescheidenheit, nicht gegenüber anderer Kulturen damit brüsten würde.

2.2. Kulturelle Identität und Abgrenzung

Wie bereits erwähnt ist ein Grundprinzip der Amish-Kultur die Abgrenzung und Absonderung von der „sündigen" AuBenwelt. Dies bedeutet aber nicht, dass sie in völliger Isolation leben. Denn auf eine formelle und informelle Art und Weise befinden sie sich in einem Netzwerk mit der sie umgebenden englischen Gesellschaft: So müssen sie sich der amerikanischen Gesetzgebung unterwerfen und ihr spezielles Bildungssystem, sowie ihre unternehmerischen Tätigkeiten unterliegen bestimmten gesetzlichen Auflagen und Regulierungen. Des Weiteren regeln sie ihre Finanzangelegenheiten über Banken und ihre Produkte werden auf dem öffentlichem Markt der Abnehmer abgesetzt. Benötigte Güter und Dienstleistungen müssen die Amish extern besorgen, da sie keine selbstversorgende Gemeinschaft sind und für das Zurücklegen längerer Strecken von Dritten abhängig sind. Viele Amish-Männer arbeiten zudem in nicht-amischen Betrieben und viele Touristen besuchen jedes Jahr ihre Wohngebiete. Kurzum gesagt, sind die Amish auf vielfältige Weise mit der englischen Umgebung verbunden. Von einer gänzlichen Isolierung oder Absonderung kann demnach nicht die Rede sein. Vielmehr intensiviert sich die Verflechtung mit der amerikanischen Gesellschaft, wie wir später sehen werden.

Auch neue Agrartechnologien verlangen die Stellungnahme der Kirche und auBerhalb der bäuerlichen Existenz müssen die Amish neue Verdienstmöglichkeiten auftun. Diese Entwicklungen fördern natürlich den Kontakt zur AuBenwelt: „Diese zunehmende Interaktion mit der amerikanischen Gesellschaft führt dazu, dass Abgrenzung eine Angelegenheit ständiger Sorge ist."8, fasst ESTER zusammen. Daher ist es für die Amish von äuBerster Wichtigkeit, dass diese oft delikate Grenze zwischen ihrer Gemeinschaft und die der amerikanischen scharf bewacht werden muss, denn sie bildet eine Trennlinie zwischen zwei unterschiedlichen sozialen und kulturellen Ordnungen. Daher verfügen die Amish über ein breites Arsenal an kulturellen Ressourcen, welche ihre Identität schützt und sie von anderen Kulturen abgrenzt.

Aus diesem Grund können die Amish auch im 21. Jahrhundert mit Uberzeugung ihren traditionellen Lebensstil innerhalb einer modernen Gesellschaft weiterf>hren. Dies hängt, wie bereits erwähnt, in starkem MaBe mit ihrer recht erfolgreichen Strategie zusammen, sich von der restlichen Welt abzusondern. Eine Erhaltung und Weiterf>hrung der zahlreichen kulturellen Bräuche funktioniert nur in einer Gesellschaft, die kleindimensioniert und kompakt ist und wo „ein Konsens fiber Grundwerte als Bestandteil eines ubergreifenden religiösen Interpretationsrahmens besteht, die eine einfache Führungsstruktur besitzt, ein umfasssendes Sozialsystem hat, in der ziemlich stringente Formen sozialer Kontrolle und soziale Sanktionen gelten und ein zurückhaltender Umgang mit der AuBenwelt gepflegt wird."9

Das heiBt, nur die Kombination von kultureller Abgrenzung und einer von innen gefestigten Struktur macht es uberhaupt möglich, dass eine Subkultur wie die der Amish in dieser Gesellschaft uberhaupt Uberleben kann. Gleichzeitig bedeutet dies aber nicht, dass die Amish keinem ständigen Wandel unterzogen sind, sondern das Tempo ihres Wandels ist beträchtlich langsamer als das anderer Kulturen, da durch die beständige Besinnung auf Tradition Neuerungen nur sehr zaghaft und wohlüberlegt zugelassen werden.

Wie im vorigen Kapitel bereits erwähnt, ist die Weltanschauung und der Lebensstil der Amish vordergrundig durch ihre Religion und Gottes Wort geprägt: Bescheidenheit, Unterwerfung, Gehorsam, Hingabe und Selbstverleugnung bilden die Eckpfeiler menschlichen Daseins in ihrer Gemeinschaft.10 Die Einschränkungen der individuellen Persönlichkeit spiegeln sich in vielen Bereichen der Gemeinschaft wider: in kirchlichen Ritualen, in der Erziehung, in der Kleidung, sozialen Beziehungen und Freizeitbeschäftigungen. Die Amish benutzen daf>r den Ausdruck Gelassenheit: „The early Anabaptists used the term Gelassenheit to convey the idea of yielding fully to God's will with a dedicated heart — forsaking all selfishness."11. Dabei stellt Gelassenheit nicht nur ein individuelles Persönlichkeitsmerkmal der Amish dar, sondern strukturiert die gesamte Gemeinschaft. Laut KRAYBILL beeinflusst Gelassenheit nicht nur ihre Persönlichkeit (zuriickhaltend, bescheiden, ruhig, schweigsam), sondern auch ihre Werte (Unterwerfung, Gehorsam, Bescheidenheit, Schlichtheit), Rituale (Kniefall, FuBwaschung, Meidung, Beichte) und ihre Symbole (Kleidung, Pferde, Buggys, Dialekt). Diese sozialen, kulturellen und religiösen Merkmale werden in dem Begriff Gelassenheit zusammengefasst. Insbesondere die Körpersprache ist beherrscht: ESTER f>hrt dazu ein Beispiel an: „[...] man wird selten aufstehen, um einen Besucher die Hand zu reichen, die gesprochene Sprache ist bedächtig, ein Uberschwang an Worten wird als Eitelkeit betrachtet. Larm und theatralische Selbstdarstellung werden gemieden."12

Auch die Grundwerte von Einfachheit und Schlichtheit spiegeln sich deutlich in der Kleidung und in der Einrichtung ihrer Hauser wider: schickes und auffalliges wird verpont, es gibt keine elektrischen Gerate oder Heizungen.

2.3. Absonderung von der Welt und die Ordnung

Die Absonderung von der Welt ist bei den Amish ein doppelseitiges Phanomen: einerseits wird der AuBenwelt das eigene Anderssein demonstriert, andererseits bekraftigt diese Botschaft die eigene Identitat und tragt zur Starkung und Stabilisierung der Gemeinschaft bei.: „Das dichotome Wir-Sie-Denken bestatigt das eigene Im-Recht-Sein und funktioniert als Verstarkung des Gruppen-zusammenhalts. Der schmale, aber gerechte Weg der Amish gegenüber dem breiten, aber sündigen Weg der Welt [...] 13, fasst ESTER zusammen. Nicht nur durch Kleidung, Hartracht und Buggy wird die Schlichtheit und Demut demonstriert, sondern auch visuelle Symbole von Absonderung und Identitat fungieren als kollektive Codes der Amish-Gemeinschaft. Alle hier genannten Symbole, Riten und religiose Brauche betonen eine gemeinsame Identitat und markieren die Trennlinie zwischen der amerikanischen AuBenwelt und der eigenen Gemeinschaft. Die Einheitlichkeit dieser kulturellen Codes betont die Gruppensolidaritat, wobei das Individuum hinten an gestellt wird.14 Die kulturelle Abgrenzung und Absonderung von der restlichen Welt ist unter dem Begriff Ordnung festgelegt. Sie verbietet unter anderem den Anschluss ans offentliche Stromnetz und den Besitz eigener Telefone, Autos oder Traktoren. Für AuBenstehende scheinen diese Regeln mitunter unsinnig und bizarr erscheinen, für die Amish aber haben sie eine bestimmte Bedeutung: So würde ein Anschluss ans offentliche Stromnetz eine Durchbrechung der Absonderung von der Welt bedeuten und eine Abhangigkeit von offentlichen Institutionen. AuBerdem ware damit der Weg frei für die Benutzung verderblicher Medien wie Radio und Fernsehen. Auch Telefongesprache würden der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht und persönlichen Besuchen ein Ende bereiten und einen Zugang zu unerlaubten Informationsquellen bieten. Ein eigenes Auto wird als Symbol von Individualismus angesehen und würde die geographische Verbundenheit und die Gemeinschaft zerreiBen: „Das Auto wird als eine teuflische Maschine gesehen, die das Individuum der Gemeinschaftskontrolle entzieht und die Verlockungen der Welt in Reichweite bringt."15 Auch dass die Nutzung von Traktoren auf dem Feld verboten ist, hat einen tieferen Sinn:

[...]


1 Zitiert aus: Löhe 2008

2 Vgl. Goeters 1959, S. 1812

3 Zitiert aus: Ester 2005, S. 56

4 Vgl. ebd.

5 Zitiert aus: ebd, S. 58

6 Vgl. Knauf 1993, S. 182

7 Zitiert aus: Knauf 1993, S. 183

8 Zitat aus: ebd., S. 103

9 Zitiert aus: Ester 2005, S. 77

10 Vgl. ebd., S. 78

11 Zitiert aus: Kraybill 2001, S. 30

12 Zitiert aus: Ester 2005, S. 79

13 Zitiert aus: ebd., S. 83

14 Vgl. ebd.

15 Zitiert aus: ebd., S. 84

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Amish im 21. Jahrhundert – Strategien und Entwicklungsmöglichkeiten ihrer kulturellen Unabhängigkeit
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Interkulturelle Wirtschaftskommunikation )
Veranstaltung
Kulturanthropologie
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V145794
ISBN (eBook)
9783640562848
ISBN (Buch)
9783640562572
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Amish, Jahrhundert, Strategien, Entwicklungsmöglichkeiten, Unabhängigkeit
Arbeit zitieren
Ulrike Neumann (Autor:in), 2009, Die Amish im 21. Jahrhundert – Strategien und Entwicklungsmöglichkeiten ihrer kulturellen Unabhängigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145794

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Amish im 21. Jahrhundert – Strategien und Entwicklungsmöglichkeiten ihrer kulturellen Unabhängigkeit



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden