Katherine Stinson und Marjorie Stinson. Die fliegenden Schwestern


Fachbuch, 2010

61 Seiten


Leseprobe


Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Katherine Stinson (1891-1977) um 1917

Foto: Reproduktion einer alten Aufnahme

Die erste von Frauen geleitete Flugschule wurde von den amerikanischen Schwestern Katherine Stinson Otero (1891-1977), geborene Stinson, und Marjorie Stinson (1896-1975) betrieben. Beide waren Flugpionierinnen, gehörten zu den „Early Birds“ und haben erstaunliche Rekordleistungen vollbracht, die in der Geschichte der Luftfahrt eine wichtige Rolle spielten und oft in der einschlägigen Literatur erwähnt werden.

Katherine („Kate“) Stinson kam am Valentinstag, 14. Februar 1891, in Fort Payne (Alabama) zur Welt. Sie war das erste von vier Kindern von Edward Anderson Stinson (1868-1941) und Emma Beavers Stinson, geborene Beavers. Drei Kinder - Katherine („Kate“), Edward („Eddie“), Marjorie („Magde“) - wurden in Fort Payne geboren. Das Nesthäkchen Jack folgte später in Canton, Madison County (Mississippi). Katherine war die ältere der zwei Stinson-Schwestern, die beide in der Luftfahrt für Furore sorgten. Auch ihre Mutter Emma Beavers Stinson sowie ihre Brüder Edward „Eddie“ Stinson (1894-1932) und Jack Stinson (1900-1976) waren in der Luftfahrt aktiv. 1911 stieg „Katie“ - wie sie in der Familie genannt wurde - erstmals mit einem Ballon in die Luft, was offenbar für sie ein prägendes Erlebnis war.

Katherine Stinson träumte in jungen Jahren von einem Musik- studium in Europa und von einer Karriere als Klavierlehrerin. Um diese Ziele finanzieren zu können, wollte sie das Fliegen lernen und als Stuntpilotin Geld verdienen. Doch es kam ganz anders: Ihre Familie verkaufte ihr Klavier, um die für die Flugstunden benötigten 500 Dollar aufzubringen, aber bald machte Katherine das Fliegen so viel Spaß, dass sie das geplan- te Musikstudium und ihren Traumberuf Klavierlehrerin auf- gab.

Ihren ersten Flug wagte Katherine Stinson 1912 zusammen mit dem bekannten Piloten Tony Jannus (1889-1916) in St. Louis (Missouri). Danach nahm sie Flugstunden bei dem Flieger Max Lillie (1882-1913), eigentlich Max Liljestrand, auf dem Flugplatz „Cicero Field“ in Chicago. Lillie sträubte sich anfangs dagegen, eine Frau zu unterrichten. Doch Katherine überredete ihn zu einer Probestunde und stellte sich dabei so geschickt an, dass sie nach vier Stunden Unterricht bereits erstmals allein fliegen konnte.

Mit einem gekonnten Flug am 16. Juli 1912 legte die damals 21 Jahre alte Katherine Stinson ihre Prüfung für den Erwerb der Pilotenlizenz ab. Acht Tage später erhielt sie am 24. Juli 1912 als vierte Frau in den USA die Pilotenlizenz mit der Nummer 148 des „Aero Club of America“. Ihre fliegerische Karriere begann ein Jahr später im Juli 1913 mit einem öffentlichen Auftritt in Cincinnati (Ohio).

Die frischgebackene Pilotin tourte mit dem „William Pickers Fliegerzirkus“ als „Flying Schoolgirl“ durch die USA. Mit ih- ren waghalsigen fliegerischen Kunststücken schlug Katherine Stinson bald Tausende von Zuschauern/innen in ihren Bann. Einer der Lieblingssprüche der zierlichen jungen Frau war: „Ich wiege lediglich an die 91 Pfund. Auf dieses eine Pfund lege ich Wert.“

Katherine Stinson beförderte mehrfach kurzzeitig Luftpost in den USA. Dies geschah erstmals im September 1913 in Montana und später im März 1914 in Tucson (Arizona) sowie im November 1915 erneut in Tucson. Ein großer Teil der transportierten Post bestand zuweilen aus Postkarten mit ihrem eigenen Foto.

1913 gründeten Katherine Stinson und ihre Mutter Emma in Hot Springs (Arkansas) die „Stinson Aviation Company“, die Flugzeuge baute, verkaufte und vermietete. In Hot Springs lebten die Stinsons eine Zeitlang. 1915 eröffneten die Stinsons in San Antonio (Texas) die erste von Frauen geführte Flugschule. Ihr Flugplatz hieß zunächst „Stinson Field“, später „Stinson Municipal Airport“. Mutter Emma fungierte als Geschäftsführerin, Bruder Edward als Chefmechaniker und die Schwestern Katherine und Marjorie als Fliegerinnen bzw. Fluglehrerinnen. Katherine verdiente nebenher bei Flugshows mit bis zu 2.000 Dollar pro Auftritt gutes Geld.

Katherine Stinson glückte am 18. Juli 1915 über dem Flugplatz „Cicero Field“ in Chicago als erster Amerikanerin und als viertem Piloten in den USA ein Looping (Kunstflugfigur in senkrechter Kreisbahn). Dieses fliegerische Kunststück schaffte sie im Laufe ihres Lebens insgesamt rund 500 Mal ohne einen einzigen Unfall. Im November 1915 hat sie dieser Kunstflugfigur sogar ein eigenes Manöver hinzugefügt, ihre Variante hieß „Dippy Twist Loop“.

Bei der Frage, wer den ersten Looping geflogen hat, sind sich die Experten uneins. Genannt werden der französische Flug- pionier Celestin Adolphe Pégoud (1889-1915) oder der rus- sische Pilot und Flugzeugkonstrukteur Pjotr Nikololajewitsch Nesterow (1887-1914). Letzterer kam ums Leben, als er den ersten Selbstopferangriff in der Geschichte der Luftfahrt ausführte und mit seinem Doppeldecker ein österreichisches Militär-Flugzeug rammte. Als erste Frau, die (am 19. Mai 1914) einen Looping flog, gilt die russische Pilotin Lidija Swerewa (1890-1916).

Am 17. Dezember 1915 glänzte Katherine Stinson vor 25 ausgewählten Zuschauern mit einer weiteren fliegerischen Meisterleistung: Sie unternahm über dem „Griffith Park“ in Los Angeles (Kalifornien) den ersten nächtlichen Flug als Himmelsschreiberin und schrieb die Abkürzung für California, nämlich „CAL“, in den Nachthimmel. An den Spitzen der Tragflügel ihrer Maschine waren brennende Magnesiumfackeln befestigt. Bei diesem spektakulären Flug zeigte sie auch „Loopings“.

Ab 1916 ließ das „Royal Canadian Flying Corps“ seine Ka- detten von den Stinson-Schwestern auf deren Flugplatz „Stinson Field“ in San Antonio (Texas) trainieren. Dies belegt, welch guten Ruf diese Flugschule damals genoss. Höhepunkte in ihrer fliegerischen Karriere erlebte Katherine Stinson 1917 bei einer Tour in den Orient. Dafür mietete sie von dem Piloten und Flugzeugbauer Emil Matthew („Matty“) Laird (1886-1982) eine Kunstflugmaschine des Typs „Laird Looper“. Zehntausende von Zuschauern bewunderten in Japan und China den ersten Flug einer Frau in ihrem Land. Allein bei ihrem ersten Auftritt auf dem Exerzierplatz Aojama in Tokio sahen rund 25.000 Menschen zu. In Japan wurde Katherine von Frauen gefeiert und löste eine Flugsport- begeisterung ohnegleichen aus.

Während des Ersten Weltkrieges flog Katherine Stinson zeitweise mit einer „Curtiss JN-4D Jenny“ auf Werbetouren für das „American Red Cross“, bei denen sie um Spenden bat und insgesamt zwei Millionen Dollar sammelte. Für das „American Red Cross“ unternahm sie beispielsweise am 24. Juni 1917 einen 670-Meilen-Flug von Buffalo (New York) nach Washington D. C. mit Zwischenstopps in Albany, New York City und Philadelphia. Am 11. Dezember 1917 flog sie 610 Meilen von San Diego nach San Francisco in 9 Stunden 10 Minuten, stellte damit einen Rekord auf und übertraf den bis dahin von Ruth Law (1887-1970) gehaltenen Streckenrekord über 590 Meilen. Gut gelaunt erklärte sie: „Ich möchte wetten, dass Ruth Law froh darüber ist, dass eine Frau und kein Mann ihren Rekord überboten hat.“ Ein weiterer Rekord glückte ihr am 23. Mai 1918 bei einem 601-Meilen-Flug von Chicago nach Binghamton (New York).

Die Bewerbung von Katherine Stinson als freiwillige Kampf- fliegerin im Ersten Weltkrieg wurde abgelehnt. Stattdessen fuhr sie für das „Rote Kreuz“ einen Krankenwagen in England (London) und in Frankreich. Gegen Ende des Ersten Welt- krieges erkrankte Katherine 1918 in Europa an Grippe und Tuberkulose. Danach kehrte sie in die USA zurück. Die Flug- schule der Stinson-Schwestern wurde in jenem Jahr ge- schlossen.

Im Sommer 1918 trat Katherine Stinson als Kunstfliegerin in Kanada auf. Bei einer Flugshow am 9. Juli 1918 wurde sie auch im westlichen Kanada die erste Luftpostpilotin. Sie transportierte Post von Calgary nach Edmonton. Kurz vor dem Start posierte sie für ein Foto vor ihrer Maschine. 1920 gab Katherine Stinson aus gesundheitlichen Gründen das Fliegen auf. In der Folgezeit arbeitete sie viele Jahre als Architektin in Santa Fe (New Mexico). 1928 heiratete sie den Piloten Miguel („Mike“) Otero jr. (1892-1977), dessen Vater Miguel Antonio Otero sen. (1859-1944) neun Jahre lang Gouverneur von New Mexico war. Katherine hieß fortan Katherine Stinson Otero. Ihr Mann arbeitete zunächst als Rechtsanwalt, später als Richter. Das Ehepaar Otero hatte keine Kinder.

Katherine Stinson Otero und ihre Schwester Marjorie Stinson waren Mitglieder der am 17. Dezember 1928 in Chicago gegründeten „Early Birds of Aviation“. In diese Organisation wurden Ballonfahrer/innen, Segelflieger/innen und Motor- flieger/innen aufgenommen, die bereits vor dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg am 17. Dezember 1916 geflogen sind. Für europäische Pilotinnen galt der 4. August 1914 als Stichtag. Der letzte „Early Bird“ starb am 19. Mai 1998. Die Stinson-Schwestern gehörten auch beide zum „Club der Neunundneunzig“ („Ninety Nines“), der am 2. November 1929 in Valley Stream auf Long Island (New York) gegründet wurde. Der Club vertrat die Interessen von 99 der weiblichen 117 Piloten mit Flugschein, die es zum Zeitpunkt seiner Gründung in den USA gab.

Katherine Stinson ist am 8. Juli 1977 in Santa Fe (New Mexico) im Alter von 86 Jahren gestorben. Ihr Mann starb drei Monate später. Beide fanden auf dem Friedhof „New Mexico National Veteran Cemetery“ von Santa Fe ihre letzte Ruhe.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Marjorie Stinson (1896-1975) um 1918

Foto: National Archives and Records Administration, College Park

Marjorie Stinson wurde am 5. Juli 1896 in Fort Payne (Alabama) geboren. Ihr Vorname Marjorie ist von Madge (deutsch: Margarete) abgeleitet. Zusammen mit ihrer Familie zog sie später nach Mississippi, wo sie das „Millsap College“ in Jackson besuchte.

Ermutigt durch die Erfolge ihrer älteren Schwester Katherine als Pilotin wollte auch Marjorie das Fliegen lernen und nahm Flugstunden bei der „Wright School of Aviation“ in Dayton (Ohio). Als sie sich dort anmeldete, war sie knapp 18 Jahre alt, aber so klein und zierlich, dass man sie fragte, ob ihre Eltern damit einverstanden seien, dass sie fliege. Dabei hatte Marjorie extra ihren längsten Rock angezogen, um erwachsener auszu- sehen.

Am 4. August 1914 startete Marjorie Stinson zum ersten Mal allein mit einem Flugzeug. Und am 12. August 1914 erhielt sie im Alter von 18 Jahren in Dayton den erträumten Flugschein. Sie war damals die jüngste und neunte Pilotin in den USA. Danach trat sie - wie ihre Schwester Katherine - eine Zeitlang als Kunstfliegerin auf.

In der 1915 in San Antonio (Texas) gegründeten Flugschule der Stinsons entwickelte sich Marjorie Stinson zu einer der besten Fluglehrerinen der USA. Weil sie dort während des Ersten Weltkrieges mehr als 100 Flugschüler ausbildete, bezeichnete man sie als „Flying Schoolmarm“ (zu deutsch: „Fliegende Gouvernante“). Ihre Flugschüler nannte man „The Texas Escadrille“. Wie ihre Schwester Katherine beförderte auch Marjorie zeitweise Luftpost.

Nachdem die Flugschule der Stinsons 1918 geschlossen wurde, arbeitete Marjorie Stinson als technische Zeichnerin für die „Aeronautical Division“ der „U.S. Navy“. 1930 zog sie nach Washington, wo sie 15 Jahre lang im Kriegsministerium als technische Zeichnerin arbeitete. 1945 flammte ihre alte Liebe zum Fliegen wieder auf und sie widmete sich der Erforschung der Luftfahrt.

Am 15. April 1975 starb die unverheiratete und kinderlose Marjorie Stinson im Alter von 78 Jahren im „Rogers Memorial Hospital“ in Washington D.C. Man hat ihren Leichnam eingeäschert und ihre Asche am 27. Juli 1976 über dem „San Antonio Airport“ in Texas verstreut, wo sie in jungen Jahren das Fliegen gelernt hatte.

2003 erwähnte „Women in Aviation International“ die „fliegenden Schwestern“ Marjorie Stinson und Katherine Stinson in ihrer Liste der 100 wichtigsten Frauen in der Luftfahrt.

Edward „Eddie“ Stinson (1894-1932), der ältere Bruder von Katherine und Marjorie Stinson, gründete 1926 die „Stinson Airplane Syndicate“ in Detroit, die noch im selben Jahr in „Stinson Aircraft“ umbenannt wurde. Dies geschah, damit er den „Stinson Detroiter“ bauen konnte. Das war ein robustes für die Detroiter Handelskammer entwickeltes Flugzeug, das unter anderem von den Pilotinnen Ruth Elder (1902-1977) sowie den Schwestern Katherine Stinson und Marjorie Stinson geflogen wurde. Eddie kam am 26. Januar 1932 im Alter von 37 Jahren bei einem Testflug in Chicago ums Leben. Um ihn trauerten seine Frau Estelle Judy und sein Sohn Raymond C. Stinson. Seine fliegenden Schwestern haben ihn beide um jeweils mehr als 40 Jahre überlebt.

Jack Stinson (1900-1976), der jüngere Bruder von Katherine und Marjorie Stinson, war Flugingenieur und hat zusammen mit seinem Bruder „Eddie“ die „Stinson Airplane Syndicate“ in Detroit gegründet. 1925 heiratete er in Chicago die aus Ungarn stammende Ann Schnitzer Sugar. Das Paar bekam fünf Kinder: Barbara, Eddie III, Jacqueline, Geraldine und Sarah. Jack starb am 15. Mai 1976 in Athens (Tennessee). Seine Asche wurde über dem „Stinson Air Field“ in San Antonio verstreut. Seine Frau starb 1987.

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Details

Titel
Katherine Stinson und Marjorie Stinson. Die fliegenden Schwestern
Autor
Jahr
2010
Seiten
61
Katalognummer
V146520
ISBN (eBook)
9783640573615
ISBN (Buch)
9783656853626
Dateigröße
1763 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Katherine Stinson, Marjorie Stinson, Ernst Probst, Fliegerin, Pilotin, Fliegerinnen, Pilotinnen, Fliegerei, Luftfahrt, Frauenbiografien, Biografien, Kurzbiografien
Arbeit zitieren
Ernst Probst (Autor:in), 2010, Katherine Stinson und Marjorie Stinson. Die fliegenden Schwestern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146520

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