Produktpiraterie in der Investitionsgüterindustrie - Situationsanalyse und Abwehrstrategien


Diplomarbeit, 2009

120 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

2. Grundlagen zur Problematik der Produktpiraterie
2.1 Begriffsbestimmungen und –abgrenzungen
2.1.1 Geistiges Eigentum
2.1.2 Nachahmungstypen
2.1.3 Produktpiraterie
2.1.4 Markenpiraterie
2.1.5 Konzeptpiraterie
2.1.6 Wirtschaftsspionage
2.2 Historische Entwicklung und Ausweitung
2.3 Ursachen
2.3.1 Motivation der Produktpiraten
2.3.2 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen
2.3.3 Juristische Rahmenbedingungen
2.3.4 Kulturelle Hintergründe
2.4 Erscheinungsformen
2.4.1 Low- und High-Tech Counterfeiting
2.4.2 Reverse Engineering
2.5 Herkunftsländer

3. Wirtschaftliche Auswirkungen der Produktpiraterie
3.1 Volkswirtschaftliche Auswirkungen der Produktpiraterie
3.1.1 Steuerausfälle
3.1.2 Verlust an Arbeitsplätzen
3.1.3 Zusatzkosten zur Bekämpfung
3.1.4 Kriminalisierung der Wirtschaft
3.1.5 Abkühlung des Investitionsklimas
3.2 Einzelwirtschaftliche Auswirkungen der Produktpiraterie
3.2.1 Auswirkungen auf die Rechteinhaber
3.2.1.1 Umsatzeinbußen
3.2.1.2 Zusatzkosten für Schutzmaßnahmen und Rechteverfolgung
3.2.1.3 Imageverlust
3.2.1.4 Produkthaftung
3.2.1.5 Know-how Verlust
3.2.2 Auswirkungen auf Abnehmer
3.2.2.1 Finanzielle Schäden
3.2.2.2 Produktsicherheit
3.2.2.3 Schadenersatz
3.2.3 Branchenspezifische Unterschiede

4. Ausmaße der Produktpiraterie in der Investitionsgüterindustrie
4.1 Befunde aus Umfragen
4.1.1 Umfrage des VDMA
4.1.2 Umfrage der Technischen Universität München
4.1.3 Umfrage der Universität Erlangen
4.2 Bewertung der Umfrageergebnisse
4.3 Fallbeispiele
4.3.1 Vietz GmbH
4.3.2 Doppelmayr AG

5. Produktpiraten als Wettbewerber
5.1 Das Fünf-Kräfte-Modell nach Porter
5.2 Auswirkungen von Produktpiraterie auf den Branchenwettbewerb
5.2.1 Rivalität unter bestehenden Wettbewerbern
5.2.2 Bedrohung durch potentielle neue Konkurrenten
5.2.3 Gefahr der Substitution durch Ersatzprodukte
5.2.4 Verhandlungsstärke der Abnehmer
5.2.5 Verhandlungsstärke der Lieferanten
5.3 Fazit der Wettbewerbsanalyse

6. Präventive Maßnahmen der Pirateriebekämpfung
6.1 Juristische Maßnahmen
6.1.1 Patentrecht
6.1.2 Gebrauchsmusterrecht
6.1.3 Markenrecht
6.1.4 Geschmacksmusterrecht
6.1.5 Vertraglicher Know-how Schutz
6.2 Technische Maßnahmen
6.2.1 Originalitätskennzeichnung
6.2.2 Unikatkennzeichnung
6.2.3 Komplizierung
6.2.4 Dekompositionsbarrieren
6.2.5 De-Standardisierung
6.3 Betriebswirtschaftliche Maßnahmen
6.3.1 Produktinnovation
6.3.2 Herstellung und Beschaffung
6.3.3 Preis- und Konditionenpolitik
6.3.4 Vertriebspolitik
6.3.5 Kommunikationspolitik
6.3.6 After Sales Management
6.3.7 Personalpolitik
6.4 Fazit zu präventiven Schutzmaßnahmen

7. Strategiekonzeption zur Pirateriebekämpfung
7.1 Grundstrategien gegen Produktpiraterie
7.2 Entwicklung einer Piraterieschutzstrategie
7.2.1 Situationsanalyse
7.2.2 Strategieauswahl und Ableitung von Schutzmaßnahmen
7.2.3 Integration und Monitoring
7.3 Organisatorische Implementierung
7.4 Praxisbeispiel Sprühsep GmbH
7.4.1 Das Unternehmen
7.4.2 Pirateriesituation
7.4.3 Bewertung und Handlungsempfehlung

8. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis :

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Beispiele für sklavische und Konzeptkopie

Abb. 2: Schutzrechtsverletzungen, ermittelt durch deutsche Zollbehörden

Abb. 3: Kosteneinfluss auf die Marge der Produktpiraten

Abb. 4: Problemkreis der Produktpiraterie in der globalisierten Wirtschaft

Abb. 5: Erscheinungsformen von Produktpiraterie

Abb. 6: Herkunft beschlagnahmter Piraterieprodukte in Deutschland (2008)

Abb. 7: Primär- und Sekundärmarkt der Produktpiraterie

Abb. 8: Unmittelbare Schäden für Unternehmen

Abb. 9: Branchenspezifische Ausmaße der Produktpiraterie

Abb. 10: Anteil von Produktpiraterie betroffener Unternehmen (VDMA-Studie)37

Abb. 11: Kopierte Produktkategorie (VDMA-Studie)

Abb. 12: Plagiatherkunftsländer (VDMA-Studie)

Abb. 13: Absatzmärkte der Plagiate (VDMA-Studie)

Abb. 14: Information über Piraterie der eigenen Produkte (VDMA-Studie)

Abb. 15: Kopierte Produktkategorien (Studie TU München)

Abb. 16: Angriffszeitpunkt durch Produktpiraten (Studie TU München)

Abb. 17: Angriffsziele der Produktpiraten (Studie TU München)

Abb. 18: Kopierte Produktkategorien (Studie Uni Erlangen)

Abb. 19: Angewandte Innovationsschutzmaßnahmen (Studie Uni Erlangen)

Abb. 20: Das Fünf-Kräfte Modell nach Porter

Abb. 21: Durchsetzung von Schutzrechten

Abb. 22: Schutzrechte und Schutzgegenstände

Abb. 23: Produktkennzeichnung durch Farbpigment –Codes (Größe 4-45µm)

Abb. 24: Gegenüberstellung Produktzyklen Originalhersteller und Imitator

Abb. 25: Öffentliche Vernichtung gefälschter Wälzlager

Abb. 26: Grundstrategien zur Pirateriebekämpfung

Abb. 27: Grundstrategien und Maßnahmen

Abb. 28: Zeitliche Anwendung der Grundstrategien

Abb. 29: Ablaufschema Strategieentwicklung Piraterieschutz

Abb. 30: Bewertung Grundstrategien

Abb. 31: Pirateriebekämpfung als Stabs-Projektorganisation

Abb. 32: Pirateriebekämpfung in modularer Organisation

Abb. 33: Organisationsstruktur Sprühsep GmbH

Abb. 34: Produktfälschungen Sprühsep-Düsen

Abb. 35: Ablauf der Strategiefindung des Praxisbeispiels

1. Einleitung

1.1 Problemstellung

Die Nachahmung fremder Erzeugnisse reicht vor den Beginn unserer Zeitrech-nung zurück. Gleichgültig, ob es sich um künstlerische, handwerkliche oder industrielle Leistungserzeugnisse handelt: Wer mit seinen Leistungen aus dem Bereich der geläufigen und allgemein bekannten Standards heraustritt, ist seit alters her auch der unlauteren Ausnutzung seines Schaffens ausgesetzt.1

Bereits in der Antike wurden vor allem keramische Produkte mit Marken versehen, die auf den Hersteller hinweisen sollten. Echte wie auch gefälschte Exemplare von Marken-Öllampen renommierter Hersteller der Antike wurden selbst in entlegenen Gebieten des ehemaligen römischen Reiches gefunden.2

War Produkt- und Markenpiraterie im Laufe der Geschichte immer ein all-gegenwärtiges Phänomen, so ist sie in den letzten drei Jahrzehnten in rasanter Geschwindigkeit zu einer ernsthaften Bedrohung hoch entwickelter Industrie-staaten avanciert.3

Nach einer Schätzung des für Produktpiraterie zuständige Counterfeiting Intelligence Bureau (CIB) der Internationalen Handelskammer (ICC-International Chamber of Commerce) liegt der Schaden durch Produktpiraterie jährlich bei 5­7% des Welthandelsvolumens. Dies entspricht derzeit einem geschätzten Umfang von 500 Milliarden US-Dollar.4

Zugenommen hat dabei in neuester Zeit nicht nur die Fälschung von Konsum-gütern wie Luxusartikeln und einfachen Bedarfsgegenständen, sondern auch in der Investitionsgüterindustrie der Nachbau hochtechnologischer Erzeugnisse.5 Diese Form der Piraterie hat weit reichende Auswirkungen auf Volks- und Ein-zelwirtschaften. Der Verein Deutscher Maschinen und Anlagenbauer e.V. (VDMA) schätzt den Verlust des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus für das Jahr 2007 auf 7 Milliarden Euro, bei einem Gesamtumsatz von rund 193 Milliarden Euro, ein.6

Die Unternehmen sind dabei nicht nur allein durch die Fälschung Ihrer Produkte geschädigt, sondern auch durch eine stark veränderte Wettbewerbssituation.

Betroffene Unternehmen stehen neuen Herausforderungen hinsichtlich des Schutzes Ihrer Innovationen und Kernkompetenzen gegenüber. Die rein juristische Bekämpfung des Problems ist insbesondere bei Fälschungen asiatischen Ursprungs auf Grund der mangelhaften Durchsetzbarkeit der Schutzrechte nicht mehr ausreichend.7

1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es, die wachsenden Herausforderungen der Produktpiraterie im Speziellen für die deutsche Investi-tionsgüterindustrie zu untersuchen.

Im Einzelnen soll die Darstellung der Auswirkungen und Ausmaße des Phänomens die Notwendigkeit der Gestaltung von Gegenmaßnahmen verdeutlichen und eine Basis zur Beurteilung des Piraterieproblems in Unternehmen und Volkswirtschaft geben. Weiterhin sollen geeignete Schutzmaß-nahmen und -strategien für Unternehmen der Investitionsgüterindustrie bestimmt und analysiert werden. Die Identifikation der Möglichkeiten von Umsetzung und Einbindung in eine unternehmens- und produktspezifische Schutzstrategie soll betroffenen Unternehmen Vorgehensweisen zur Erreichung eines integrierten Piraterieschutzes aufzeigen.

Die vorliegende Arbeit besteht aus zwei thematischen Schwerpunkten. Im ersten Teil werden die Grundlagen zur Produktpiraterie erläutert und die aktuelle Situation beschrieben (Kapitel 2 bis Kapitel 4). Die Darstellung der strategischen Ansätze zur Pirateriebekämpfung, mit der Erläuterung eines Praxisbeispiels, bildet den zweiten Teil der Arbeit (Kapitel 5 bis Kapitel 7).

In den Grundlagen zur Piraterieproblematik werden zunächst die Begrifflichkeiten des Themengebietes geklärt. Weiterhin behandelt dieses Kapitel die Ursachen für Entstehung und Ausweitung der Produktpiraterie. Es folgen die Darstellung der Erscheinungsformen und die Herkunft des Phänomens.

Die allgemeinen Auswirkungen der illegalen Nachahmungen auf Volks- und Einzelwirtschaft werden in Kapitel 3 ausführlich behandelt.

Die Bedeutung der Produktpiraterie für die deutsche Investitionsgüterindustrie wird in Kapitel 4 erörtert. Hierzu werden aktuelle Umfragen vorgestellt und deren Ergebnisse bewertet. Zwei Fallbeispiele zeigen exemplarisch welche Ausmaße die Produktpiraterie hier bereits angenommen hat.

Der Einfluss von Produktpiraten auf eine fiktive Wettbewerbsbranche des Maschinen- und Anlagenbaus wird in Kapitel 5 anhand des Fünf-Kräfte-Modells nach Porter untersucht.

In Kapitel 6 werden die für die Investitionsgüterindustrie möglichen Gegenmaß-nahmen juristischer, technischer und betriebswirtschaftlicher Art ausführlich erläutert.

Kapitel 7 beschäftigt sich mit den grundlegenden Abwehrstrategien, sowie den Grundprozessen zur Entwicklung einer integrierten Piraterieschutzstrategie inklusive der Darstellung eines Praxisbeispiels.

Die Arbeit schließt in Kapitel 8 mit einer Schlussbetrachtung.

2. Grundlagen zur Problematik der Produktpiraterie

2.1 Begriffsbestimmungen und –abgrenzungen

2.1.1 Geistiges Eigentum

Der Begriff des geistigen Eigentums (engl. Intellectual Property – „IP“) findet vor allem im juristischen Sprachgebrauch Verwendung.

Geistiges Eigentum wird hier als Immaterialgüterrecht bezeichnet. Dies sind z.B. Ideen, Erfindungen, Konzepte und so weiter. Diese Güter sind rechtlich durch das Patent-, Gebrauchsmuster-, Geschmacksmuster- oder Urheberrecht geschützt.8 Diese Rechte sind in der Regel durch internationale Abkommen abgesichert und können vom „geistigen“ Eigentümer mit Hilfe von Lizenzvergabe, Veräußerung oder Vermietung an einen Nutzer übertragen werden. Dadurch entsteht für den Nutzer das so genannte sachrechtliche Eigentum, welches keinesfalls den Besitz des geistigen Eigentums bedeutet. Dieses verbleibt beim Erfinder oder Urheber.9 Die Verletzungen der Rechte am geistigen Eigentum nehmen stetig zu. Allein zwischen 2005 und 2006 wurde eine Zunahme von 34% bei Patentklagen registriert.10

Die G8-Staaten vereinbarten auf Ihrem Gipfel 2007 in Heiligendamm einen verstärkten Schutz des geistigen Eigentums durch eine verbesserte Zusammenarbeit der nationalen Zoll- und Justizbehörden.11 Das Thema wurde auf dem G8-Gipfel 2008 in Hokkaido weiter fortgeführt.

Derzeit wird zwischen den Mitgliedsstaaten über den Inhalt eines Anti-Piraterie Abkommens (Anti-Counterfeiting-Trade-Agreement – ACTA) verhandelt.12 Er-gebnisse oder Details über Verhandlungsinhalte sind gegenwärtig noch nicht veröffentlicht.

2.1.2 Nachahmungstypen

In der Literatur finden sich unterschiedliche Definitionsansätze zur Klärung der Begrifflichkeiten dieses Themengebietes. In der Typologie von Neemann werden Nachahmungen in Plagiate und Fälschungen unterschieden.13

Plagiate sind demnach Nachahmungen, die fremdes geistiges Eigentum als das eigene ausweisen. Hierzu zählen sklavische Kopien und Konzeptkopien. Bei einer sklavischen Kopie findet man das Produkt in identischer Weise nachgebaut. Dabei ist das Produkt nicht mit dem Namen des Originalherstellers versehen. Oft ist hier jedoch ein täuschend ähnlicher Produktnahme aufgebracht (siehe Abbildung 1). 14 Konzeptkopien entstehen unter Verwendung der von anderen entwickelten Prozesse. Dies können z.B. technische Produkte sein, in denen wesentliche Elemente des Originals Verwendung finden (siehe Abbildung 1), aber auch die Nachahmung definierter Geschäftsprozesse (beispielsweise Fastfood- Ketten) zählen hierzu.15

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 : Beispiele für sklavische und Konzeptkopie16

Eine Fälschung besitzt einen höheren Täuschungsgrad. Neben der Verwendung des geistigen Eigentums fremder Urheberschaft, werden Kunden hier zusätzlich über die Produktherkunft in die Irre geführt. Hiermit werden auch die Marken- rechte des Originalherstellers unter Verwendung geschützter Firmen- oder Produktnamen oder deren Logos verletzt. Dadurch assoziiert der Käufer eine bestimmte Qualität, die das gefälschte Produkt in der Regel nicht einhalten kann.17

2.1.3 Produktpiraterie

Produktpiraterie (engl. Piracy) ist ein Rechtsverstoß gegen das geistige Eigentum und eine kriminelle Handlung. Es werden die Schutzrechte von Patenten, Gebrauchs- oder Geschmacksmustern verletzt.18

Die Produktpiraterie beinhaltet die gewerbsmäßige Herstellung und den Vertrieb derartig geschützter Produkte.

2.1.4 Markenpiraterie

Die Markenpiraterie ist die Verletzung eingetragener oder auf sonstige Weise geschützter Marken. Markenpiraten verwenden illegal Zeichen, Logos, Namen und geschäftliche Bezeichnungen, mit denen der Originalhersteller seine Produkte im Handel kennzeichnet.19

2.1.5 Konzeptpiraterie

Konzeptpiraterie beinhaltet die Verwendung geschützter methodischer Vorgänge wie Aufbau und Ablauf von Prozessen und Technologien, die unrechtmäßig in andere Anwendungen übernommen werden. Auch die Nachahmung von definierten Dienstleistungskonzepten fällt unter die Konzeptpiraterie. 20

2.1.6 Wirtschaftsspionage

Insbesondere bei hochtechnologischen Erzeugnissen im Investitionsgüterbereich spielt auch die Wirtschaftsspionage eine Rolle. Hierunter versteht man die über die Ausspähung eines Wettbewerbers hinausgehende, staatlich gelenkte oder geschützte Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen oder Betrieben.

Besonders technisch weniger entwickelte Staaten haben das Ziel der Beschaffung von technischem Know-how, um der eigenen Volkswirtschaft einen Vorteil durch Einsparungen bei Entwicklungskosten und Lizenzgebühren zu verschaffen.21

2.2 Historische Entwicklung und Ausweitung

Das Phänomen der Produktnachahmung und –fälschung mit dem Ziel, einen wirt-schaftlichen Vorteil zu erlangen, geht weiter zurück, als es uns heute im Allgemeinen bewusst ist. Bereits in der Antike und im Mittelalter wurden Waren mit fremden Herkunftskennzeichnungen (Marken) versehen, um Händler und Kunden über den tatsächlichen Hersteller zu täuschen.

Im 18. Jahrhundert erläutert das „Oxford Shorter English Dictionary“ den Begriff „Piracy“ mit einer in Gewinnerzielungsabsicht vorgenommenen, unerlaubten Ausnutzung des Werkes oder der Erfindung eines anderen.22

Hatte die Produktnachahmung in dieser Zeit vorwiegend handwerklichen Charakter, so ermöglichte die Industrialisierung die Massenfertigung von Waren des täglichen Bedarfs, die mit Bezeichnungen des Originalherstellers versehen wurden. Bereits 1851 war diese Erscheinung so stark verbreitet, dass ein entsprechender Paragraph in das preußische Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, der diese Praxis unter Strafe stellte.23

In den letzten dreißig Jahren hat die Marken- und Produktpiraterie international neue Dimensionen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erreicht. Ende der 1970iger Jahre gelangte Piratenware erstmals in größerem Stil auf den Markt. Vor allem waren dies Fälschungen international renommierter Marken- und Luxus-produkte der Bekleidungs- oder Uhrenindustrie.

Mehr und mehr wurden auch Produkte des täglichen Bedarfs gefälscht und vertrieben, wie zum Beispiel Schreibgeräte, Autoersatzteile, Unterhaltungs-elektronik und Medikamente. 24

Heute lässt sich feststellen, dass sämtliche Industriebereiche betroffen sind und die Wirtschaftskriminalität in diesem Bereich in rasantem Tempo zunimmt. Deutlich macht dies auch die aktuelle Statistik der deutschen Zentralstelle für gewerblichen Rechtsschutz, eine dem Zoll zugehörige Behörde.

Abbildung 2 zeigt die Anzahl der von deutschen Zollbehörden ermittelten und aufgegriffenen Fälle von Schutzrechtverstößen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2 : Schutzrechtsverletzungen, ermittelt durch deutsche Zollbehörden25

Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Zollbehörden erst dann eine Handhabe besitzen, wenn der Inhaber der Schutzrechte ein so genanntes Grenzbeschlag-nahmeverfahren für seine Produkte beantragt hat. Zusammen mit den trotz Beantragung nicht entdeckten Fällen besteht somit eine hohe Dunkelziffer an nicht geahndeten Verletzungen der Schutzrechte. Die angegebenen absoluten Zahlen dürften folglich die berühmte Spitze des Eisbergs darstellen. Der Wert der im Jahr 2008 in Deutschland sichergestellten Waren betrug 436 Millionen Euro, im Jahre 2007 über 425 Millionen Euro und 2006 aufgrund eines ungewöhnlich großen Fundes am Hamburger Hafen (117 Container mit Plagiaten) sogar nahezu 1,2 Milliarden Euro.26 27

Beinhalten die Zollstatistiken im wesentlichen Produkte der Konsumgüter-industrie, so melden auch die Hersteller von Maschinen und Anlagen einen starken Anstieg an Pirateriefällen. Selbst Hochtechnologie und sicherheits-relevante Bereiche sind hier betroffen.28 Im Gegensatz zu den Maßnahmen der Zollbehörden erfolgt die Aufdeckung von Pirateriefällen hier jedoch in der Regel erst, nachdem die Güter auf dem Markt sind und bereits Käufer gefunden haben. Bei einer Umfrage des VDMA aus dem Jahre 2008 antworteten 68% der 241 befragten Mitgliedsunternehmen aus der Investitionsgüterindustrie, dass Sie von Produktpiraterie betroffen seien. 29

Waren bis vor nicht allzu langer Zeit eingetragene Patentrechte bei Investitions-gütern die Haupthemmnisse zur Nachahmung, so scheint dieses Mittel in Zeiten starker Internationalisierung und Globalisierung einen geringeren Wert zu besitzen.

2.3 Ursachen

Die eigentlichen Ursachen des Phänomens der Produktpiraterie sind viel-schichtiger Natur. Im Folgenden werden einige Punkte herausgestellt, die in ursächlichem Zusammenhang zu der Entstehung und der starken Verbreitung, insbesondere in der Investitionsgüterindustrie stehen.

2.3.1 Motivation der Produktpiraten

Wie bei allen in der Wirtschaft tätigen Unternehmungen steht auch bei den Dieben geistigen Eigentums die Gewinnerzielungsabsicht klar im Vordergrund. Durch das Kopieren von kompletten Maschinen und Anlagen werden die hohen

Investitionen für Forschung und Entwicklung, Markteinführung, Risikoabsicherung und so weiter, komplett umgangen. Hinzu kommen unter anderem die Aufwendungen, die der Originalhersteller für jene Entwicklungen hat, welche die Marktreife nicht erlangen.

Produktpiraten kopieren dementsprechend die Produkte solcher Firmen, die auf dem Markt eine besonders hohe Reputation besitzen und aufgrund von Techno-logieführerschaft hohe Preise durchsetzen können. In Verbindung mit weiteren Kostenvorteilen durch die Produktion in minderer Qualität und mit geringeren Personalkosten erreichen Produktpiraten eine oftmals bis zu zehnfach höhere Marge als der Originalhersteller.30 Abbildung 3 verdeutlicht diesen Zusammen-hang. Die produkt- und fertigungsbezogenen Kostenvorteile der Produktpiraten werden einerseits zur Erzielung hoher Gewinne genutzt, andererseits bieten die Kostenvorteile auch die Möglichkeit, den Absatz der Nachahmungen durch Reduzierung der Preise zu steigern.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3 : Kosteneinfluss auf die Marge der Produktpiraten31

Es ist erwiesen, dass derartig hohe Gewinnaussichten auch das organisierte Verbrechen anziehen.32 Auch für terroristische Vereinigungen ist dieser Markt zur Beschaffung finanzieller Mittel interessant. So empfiehlt laut Interpol die Al Kaida explizit den Handel mit Piraterieprodukten in Ihren Handbüchern.33 34

Neben der Ausnutzung fremder Leistung für Forschung und Entwicklung nutzen Produktpiraten vor allem auch die vom Originalhersteller für die Produkteinfüh-rung geleistete Vermarktungsarbeit. Produktpiraten haben als Folger ein wesentlich geringeres Einstiegsrisiko und bauen auf den Erfahrungen des Pioniers auf. Sie haben eine wesentlich steilere Lernkurve und schöpfen die Gewinne in der Wachstums- und Reifephase des Produktes mit ab. Aber auch Produktpiraten betreiben mitunter „Marktforschung“, um den Erfolg einer Nachahmung abzu-schätzen. So ist es unter Nachahmern eine durchaus übliche Methode, beispielsweise die Originalmaschine eines bestimmten Herstellers zu erwerben, das originale Firmenlogo durch das eigene zu ersetzen, und diese Maschine auf Fachmessen auszustellen. Der Fälscher führt auf diese Weise eine „Marktstudie“ auf die Erfolgschancen des Produkts unter Führung des eigenen Markennamens durch. Lediglich bei starker Nachfrage wird er die Herstellung der Piraterieware vorantreiben. 35

2.3.2 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Ein bedeutender Faktor für die stetige Zunahme der Produktpiraterie ist die Globalisierung der Weltwirtschaft und der damit einhergehende stark intensivierte Waren-, Dienstleistungs- und Informationsstrom. Beigetragen haben hierzu maßgeblich die bilateralen und multilateralen Bemühungen zum Abbau von Handelshemmnissen.36

Abbildung 4 zeigt den Problemkreislauf der Produktpiraterie, ausgehend vom globalen Wettbewerb. Dieser erhöht die Risiken der Produktpiraterie durch verstärkten Zwang zur internationalen Beschaffung, Standardisierung und Inter-nationalisierung der Eigenproduktion.

Die Produktpiraten verstärken diesen Prozess weiter, indem Sie Ihre unlauteren Methoden als Vorteile nutzen und als Wettbewerber in den Wirtschaftskreislauf eintreten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Problemkreis der Produktpiraterie in der globalisierten Wirtschaft37

Gravierenden Einfluss hat hier die fortschreitende, weltumspannende kommerzielle Kommunikation. Insbesondere durch das Internet ergibt sich eine kommunikative Durchdringung ungeahnten Ausmaßes. Hiermit werden Produkt-vermarktung und ein Informationsaustausch von jedem Ort der Welt an jeden Ort der Welt möglich. Herkömmliche Vertriebsnetze werden je nach Perspektive ergänzt, unterlaufen oder in Frage gestellt. 38

Ferner ermöglicht das Internet den Produktpiraten unbemerkt an Informationen zu gelangen. Einerseits geschieht dies durch die nachlässige Veröffentlichung von Produktinformationen durch die Originalhersteller selbst, andererseits durch sekundäre Quellen, die sich vom Originalhersteller kaum wirksam bekämpfen lassen.

Durch die internationale Beschaffungspolitik (Global Sourcing) können produkt-spezifische Informationen in falsche Hände geraten. Unternehmungen, die inter-nationale Einkaufspolitik betreiben, kommen zwangsläufig nicht daran vorbei produktspezifische Informationen an Lieferanten weiterzugeben. Oftmals fertigen diese dann gewissermaßen Originalprodukte für den Pirateriemarkt in Sonder-schichten ohne Wissen und Genehmigung des Auftraggebers. Diese Art der Produktpiraterie ist für den Originalhersteller die am schwierigsten zu bekämp-fende Form.39

Ebenso kann Outsourcing von Teilen der Wertschöpfungskette eines Unternehmens dazu führen, dass ein signifikanter Abfluss an Wissen stattfindet. Die Vergabe von Projekten oder ganzen Unternehmensfunktionen führt dazu, dass das originäre Wissen nicht mehr beim Hersteller verbleibt. Die Piraterie wird erleichtert.40

Auch Unternehmenskooperationen sind Ursache für Piraterie fördernden Know-how Abfluss. Insbesondere bei großen Anlagenbau- oder Infrastrukturprojekten sind die Kooperationen oftmals staatlich verordnet. So ist beispielsweise die chinesische Regierung bestrebt, ausländische Unternehmen zu einer engen Zu-sammenarbeit mit chinesischen Unternehmen und staatlichen Stellen zu bewegen. Zum Beispiel sind bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge bis zu 80% an lokaler Fertigung nachzuweisen. Bei Anlagenbauprojekten wird eine weit reichende Zusammenarbeit mit chinesischen Technologieinstituten inklusive der Ausbildung von Fachkräften als Voraussetzung zur Auftragsvergabe eingefordert.41 42

2.3.3 Juristische Rahmenbedingungen

Zwar sind Handelshemmnisse im Rahmen globaler Wirtschaftskreisläufe abge-baut worden, jedoch sind die gewerblichen Schutzrechte nicht in gleichem Maße angepasst worden. In der Regel endet das vorhandene rechtliche Schutzinstru-mentarium an den jeweiligen Landesgrenzen. Ungeachtet dessen, dass in jüngster Zeit Bemühungen im Gange sind, eine Harmonisierung nationaler Bestimmungen herbeizuführen, hat sich die Schere zwischen dem Bestand und der Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte immer weiter geöffnet. 43 44

Gleichwohl die Volksrepublik China im Zuge der Beitrittsbemühungen zur WTO45 Ende der 1990er Jahre ihr Immaterialgüterrecht angepasst hat, ist die Rechtsdurchsetzung jedoch nach wie vor als äußerst schwierig zu erachten. Dies gilt insbesondere in den ländlichen Gegenden Chinas.

Laut einer Umfrage der American Chamber-China & American Chamber-Shanghai, die mehr als 2000 Unternehmen repräsentieren, schätzen 80% der Befragten die rechtlichen Möglichkeiten der Durchsetzung von Schutzrechten geistigen Eigentums in China als total oder weitgehend ineffektiv ein.46

2.3.4 Kulturelle Hintergründe

Ein Großteil der Fälschungen wird heute in Ostasien hergestellt. China steht hier als weltweit größter Produzent von Produktimitationen an der Spitze47.

Neben der vorhandenen Gewinnerzielungsabsicht kommt in China hinzu, dass die Nachahmung dort keineswegs einen negativen Klang hat. Das Lernen durch Kopieren ist in der chinesischen Kultur traditionell verwurzelt. Durch eine mög-lichst perfekte Kopie zollt man in der konfuzianischen Denkweise dem Original-urheber einen besonderen Respekt.48 49 Manch ein chinesischer Unternehmer versteht demnach auch nicht die Entrüstung europäischer Hersteller bei der Entdeckung von Plagiaten, beispielsweise auf internationalen Messen. Es ist schon vorgekommen, dass chinesische Fälscher am Messestand des Originalher-stellers stolz Ihre Plagiate vorzeigten und nach Verbesserungsvorschlägen fragten.50

Aus eigener Erfahrung weiß der Autor dieser Arbeit einen Fall aus dem Maschinen- und Anlagenbau zu berichten: Eine französische Fachfirma hat einem chinesischen Kunden im Jahre 2003 eine komplette mehrstufige Verdampfungsanlage für ein spezielles Anwendungsgebiet in der Aluminium- industrie geliefert. Trotz bestehenden weiteren Bedarfs hat der chinesische Kunde eine solche Komplettanlage jedoch nur ein einziges Mal geordert. In der Folge kaufte er bei der französischen Firma nur einige Spezialteile, die er im eigenen Land selbst nicht anfertigen lassen konnte. Die kompletten Anlagen jedoch ließ er in China nachbauen und trat fortan auf dem chinesischen Markt als Anlagen-hersteller auf. Eines Tages kontaktierte ein chinesischer Anlagenbetreiber und Bezieher einer solchen chinesischen Komplettanlage die französische Fachfirma und reklamierte die mangelnde Funktionsfähigkeit seiner Verdampfungsanlage. Er verlangte von der französischen Firma technologische Nachbesserungen vor Ort. Der Hinweis der Franzosen, dass die Anlage nicht von Ihnen geliefert wurde, und man damit auch weder für die Qualität der Ausführung, noch für die fall-spezifische funktionelle Auslegung dieser Anlage verantwortlich sein kann, interessierte den Betreiber wenig. Aus seiner Sicht und natürlich auch aus Sicht seines chinesischen Anlagenlieferanten, sei die französische Firma als ursprünglicher Lieferant der Technologie verantwortlich für den Schaden. Selbst-verständlich fehlte hier jegliche rechtliche Handhabe, sodass die Forderung des chinesischen Betreibers ohne Erfolg blieb. Das Beispiel zeigt aber deutlich, dass in China in solchen Fragen mitunter ein völlig anderes Rechtsbewusstsein vorhanden ist.

Die stark abweichende Sichtweise Ihrer europäischen und US-amerikanischen Geschäftspartner ist mittlerweile auch in den großen Ballungszentren Chinas bekannt. Die aktuellen Steigerungsraten bei Nachahmungen aus China lassen jedoch weiterhin auf ein mehrheitlich fehlendes Unrechtsbewusstsein bei Herstellern und Händlern schließen.51

2.4 Erscheinungsformen

2.4.1 Low- und High-Tech Counterfeiting

Das Counterfeiting Intelligence Bureau (CIB) der International Chamber of Commerce (ICC) differenziert bei der Produktpiraterie, abhängig vom Schwierig-keitsgrad der Nachahmung, zwischen dem so genannten Low- und High-Tech- Counterfeiting. Vorherrschende Stellung hat auch heute noch das Low-Tech-Counterfeiting, da die angewandten Herstellungsverfahren auch mit begrenztem Know-how durchzuführen sind. Der Schwerpunkt liegt hierbei in der geschickten Gestaltung der Vertriebswege und der Vertuschung von Verantwortlichkeiten.52 Immer größere Bedeutung gewinnt in jüngster Zeit aber das High-Tech Counterfeiting. Hierzu sind erhebliche Betriebsmittel und Spezialkenntnisse erforderlich. Derartige Produkte sind beispielsweise Halbleitererzeugnisse, Arzneimittel, Maschinen und Anlagen, oder auch Fahrzeugtechnische Erzeugnisse.53

Neben dem technologischen Schwierigkeitsgrad lässt sich die Produktpiraterie weiterhin nach dem Grad der Täuschung unterscheiden. Es ist zu differenzieren, ob die Piraterieware wissentlich als solche gekauft worden ist, beispielsweise als Ersatzteilnachbauten zu verbilligten Preisen und unter anderem oder ähnlichem Markennamen, oder ob dem Kunden unwissentlich Piraterieware unter dem Originalnamen veräußert wird.54

Abbildung 5 zeigt diesen Zusammenhang in grafischer Form.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Erscheinungsformen von Produktpiraterie 55

2.4.2 Reverse Engineering

Insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau, aber auch in der Softwareindustrie spielt das so genannte „Reverse Engineering“ im Zusammenhang mit Produktpi-raterie eine große Rolle. Hierunter versteht man die Zerlegung des Leistungs-angebots von Konkurrenten, um ihre Funktions-, Design- und Fertigungs-prinzipien sowie Ihre Wertschöpfungsstruktur zu analysieren.56

Während man in der Softwareindustrie bereits seit längerem Verschlüsselungs-programme zum Schutz des geistigen Eigentums anwendet, so gestaltet sich dieser Ansatz bei Maschinen- und Anlagen, die sich komplett zerlegen lassen, mitunter schwierig.

Das Reverse Engineering ist somit auch kein neues Phänomen und auch nicht strafbar, solange keine Schutzrechteverletzung damit einhergeht. Oftmals melden die Originalhersteller jedoch keine Schutzrechte für Ihre Produkte an, um die mit der Rechtserteilung einhergehende Veröffentlichung der Technologie zu vermeiden.57

Der starke Anstieg von Piraterie bei Maschinen und Anlagen, insbesondere aus Ostasien, hat seine Ursprünge zum größten Teil im Reverse Engineering (vgl. Kapitel 4.1.2).

Hinzu kommt insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau eine unzureichende Kopiersicherheit durch genormte Standardbauteile, die aus Gründen der Produkt-sicherheit und Kosteneinsparung Verwendung finden. Darüber hinaus werden baugruppenseitige Komponenten vom Originalhersteller oftmals nach veralteten, auf Erfahrungen beruhenden Regelwerken, weit über die erforderliche Funktions-sicherheit hinaus dimensioniert. Hierdurch wird den Produktpiraten ein schneller Nachbau erheblich vereinfacht. Selbst die Verwendung qualitativ minderwertiger Komponenten führt durch die beim Original ausgelegten Sicherheiten nicht zu einem vorzeitigen Versagen, beispielsweise während der Garantieperiode der Ma-schine oder Anlage.58

2.5 Herkunftsländer

Obwohl sich je nach Kategorie der nachgeahmten Produkte zeitlich und territorial wechselnde Schwerpunkte ergeben, lässt sich heute keine Region der Welt mehr ausnehmen, sowohl hinsichtlich der Produktion von Piraterieware wie auch als deren Absatzmarkt. Üblicherweise ist das Low-Tech Counterfeiting dort anzu-treffen, wo Arbeitskräfte besonders billig sind. Jedoch machen auch jene Staaten, die zeitweise als typische Fälschungsländer galten, eine wirtschaftliche Entwicklung durch, die zu der Erkenntnis führt, dass der internationale Ruf als wirtschaftlicher und politischer Partner einen angemessenen gewerblichen Rechtsschutz einfordert.59 Dessen ungeachtet steigt die Produktpiraterie insbesondere mit Ursprung aus dem asiatischen Raum weiter an. Abbildung 6 zeigt die Herkunft der im Jahre 2008 von den deutschen Zollbehörden beschlag-nahmten Güter in Prozent der beschlagnahmten Fälle an. Bei über 60% der Auf-griffe sind die Güter demnach asiatischen Ursprungs.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6 :Herkunft beschlagnahmter Piraterieprodukte in Deutschland (2008) 60

Für die europäische Gemeinschaft gibt die ICC-CIB61 für das Jahr 2007 sogar einen Anteil von knapp 58% für die allein aus China stammenden und vom Zoll beschlagnahmten Plagiate an.62

Bei den genannten Zahlen ist jedoch anzumerken, dass eine große Dunkelziffer von nicht entdeckten Fällen besteht, beziehungsweise die Herkunft der entdeckten Fälle nicht immer zweifelsfrei zu klären ist. Weiterhin hat die EU-Osterweiterung dazu beigetragen, dass Pirateriefälle aus dem osteuropäischen Raum schwieriger zu ermitteln sind.

Bei den beschlagnahmten Produkten handelt es sich zum größten Teil um Kon-sumgüter wie Kleidung, Uhren, Schmuck sowie auch Medikamente.

Für die Produkte der Investitionsgüterindustrie ist eine verlässliche Aussage über die Herkunft der gefälschten Güter schwieriger zu treffen. Man ist hier auf Schätzungen beziehungsweise auf Umfragen angewiesen. Oftmals wissen die Unternehmen zwar, dass Sie Opfer von Produktpiraten sind, das genaue Ausmaß ist Ihnen jedoch gänzlich unbekannt.

Der VDMA hat in seiner Befragung von 164 betroffenen Mitgliedsunternehmen des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus im Jahre 2008 unter anderem nach den Herkunftsländern von Piraterieprodukten gefragt (siehe Kapitel 4.1.1). Es wurden insgesamt 37 Länder bzw. Regionen benannt. Die Volksrepublik China wurde von über 70% der betroffenen Unternehmen als Herkunftsland genannt.63 Bemerkenswert ist hier, dass Deutschland an zweiter Stelle stehend von 19% der betroffenen Unternehmen als Herkunftsland bestimmt wurde,64 Dies ist sicherlich auf die besonders gute Marktkenntnis im eigenen Land zurückzuführen.

3. Wirtschaftliche Auswirkungen der Produktpiraterie

Der Handel mit unrechtmäßig nachgeahmten Produkten wirkt sich nicht nur direkt auf die Umsätze der betroffenen Originalhersteller aus, sondern hat einen um-fänglichen und tief greifenden Einfluss auf die gesamte Wirtschaft und Gesell-schaft.65 Im Folgenden wird ein Überblick zu volks- und einzelwirtschaftlichen Auswirkungen der Produktpiraterie gegeben.

3.1 Volkswirtschaftliche Auswirkungen der Produktpiraterie

Eine Quantifizierung der tatsächlichen Auswirkungen der Produktpiraterie auf die Volkswirtschaften ist schwierig, da verfügbare Zahlen auf Schätzungen und Hochrechnungen beruhen.66 Neben der hohen Dunkelziffer ist die konkrete Bezifferung der Auswirkungen auf das volkswirtschaftliche Gefüge eines Staates nur in groben Annäherungen möglich.67 Grundsätzlich lassen sich die im Folgenden genannten Konsequenzen für eine Volkswirtschaft nennen.

3.1.1 Steuerausfälle

Bei der Produktpiraterie handelt es sich um eine Schattenwirtschaft. Normaler-weise gibt es weder Rechnungen noch Bilanzen. Einfuhrzölle werden in der Regel nicht gezahlt. Fälscherarbeit ist Schwarzarbeit, sodass in den Erzeugerländern Ausfälle durch nicht gezahlte Einkommenssteuer zu beklagen sind.68 Das gerin-gere Umsatzvolumen und der Preisrückgang infolge der Produktpiraterie verringern die Gewinne der Originalhersteller, sodass dem Staat weniger Unter-nehmenssteuern zufließen. Ferner verringern sich dadurch auch die Umsatzsteuer-einnahmen des Staates auf den vom Originalhersteller realisierten Absatz. Allein die Stadt New York schätzt Ihre Steuerausfälle durch Produkt- und Markenpiraterie auf jährlich 500 Millionen US-Dollar.69

3.1.2 Verlust an Arbeitsplätzen

Die Schattenwirtschaft der Produktpiraten gefährdet in der industriellen Fertigung und im Handel der betroffenen Staaten qualitativ hochwertige Arbeitsplätze. Neben den Steuerausfällen beim Wegfall sozial versicherter Arbeitsplätze werden zusätzlich die sozialen Sicherungssysteme der betroffenen Länder durch gestie-gene Arbeitslosigkeit belastet.70 Dies gilt gleichermaßen für Hersteller- und Käuferland. Allein in Deutschland sollen nach Schätzungen des Bundesjustizministeriums jährlich ca. 50.000 Arbeitsplätze durch Produktpiraterie verloren gehen.71

3.1.3 Zusatzkosten zur Bekämpfung

Einer betroffenen Volkswirtschaft entstehen zusätzliche Kosten für Zoll- und Gerichtsverfahren, die im Zusammenhang mit Produktpiraterie geführt werden müssen. Ferner investieren betroffene Staaten oftmals in Forschungsinitiativen und Kampagnen zur Bekämpfung des Problems.

Weiterhin entstehen erhebliche Kosten in Verbindung mit der Behandlung beschlagnahmter Waren.72

3.1.4 Kriminalisierung der Wirtschaft

Produktpiraterie geht in vielen Fällen mit Korruption und dem Versagen staatlicher Organe einher. Die Effektivität der mit der Rechtsdurchsetzung betrauten Behörden wird dadurch auf Kosten der gesamten Gesellschaft untergraben. Dies führt zu einem Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Institutionen des Staates.73

Derartiges Misstrauen in die staatlichen Kontrollorgane kann zu Politikverdrossenheit und zu einer Ausweitung der Wirtschaftskriminalität führen.74

3.1.5 Abkühlung des Investitionsklimas

Jene Staaten, die die Produktpiraterie nicht angemessen bekämpfen, haben mit dem Verlust an internationaler Reputation zu kämpfen. Der Mangel an Rechts- staatlichkeit hält ausländische Produzenten, insbesondere hochtechnologischer Produkte, davon ab direkt zu investieren, da der Schutz des geistigen Eigentums staatlich nicht abgesichert ist.75

3.2 Einzelwirtschaftliche Auswirkungen der Produktpiraterie

Einzel- oder privatwirtschaftliche Auswirkungen sind zu differenzieren in Aus-wirkungen auf die Rechteinhaber (Originalhersteller) und (im Investitionsgüterbereich) auf die abnehmenden Unternehmen.

3.2.1 Auswirkungen auf die Rechteinhaber

Die Rechteinhaber erleiden unmittelbare Schäden durch Umsatzeinbußen und auftretenden Zusatzkosten. Mittelbare Schäden sind Imageverlust, Produkthaf-tungsansprüche und Know-how Verlust.

3.2.1.1 Umsatzeinbußen

Durch die Präsenz von Produktpiraten als neue Marktteilnehmer kommt es zur Substitution der Originalprodukte. Direkte Umsatzeinbußen sind die Folge.76

Die Höhe der Einbußen hängt unter anderem vom Grad der Täuschung des Pirate-rieprodukts und auch dessen Qualität ab. So treten Einbußen einerseits dadurch auf, dass Käufer unwissentlich ein kopiertes Produkt erwerben. Dies bezeichnet man als Umsatzverlust auf dem Primärmarkt. Für den Investitionsgüterbereich dürfte dies allenfalls im Ersatzteilgeschäft beziehungsweise bei der Beschaffung von Einzelkomponenten eine Rolle spielen. Diese Verluste sind direkt zuzuordnen, da der Käufer einer Täuschung unterlegen ist.

Andererseits treten Verluste durch bewusste Käufe von Nachahmungen auf, da sie preiswerter sind und vom Käufer für qualitativ gleichwertig beziehungsweise als ausreichend für den Verwendungszweck erachtet werden. Diese als Umsatzverluste auf dem Sekundärmarkt bezeichneten Einbußen sind schwerer zu quantifizieren, da nicht klar ist, ob die Käufer das Originalprodukt erworben hätten, wenn die Nachahmung nicht auf dem Markt gewesen wäre.77 Abbildung 7 illustriert diesen Zusammenhang.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Primär- und Sekundärmarkt der Produktpiraterie78

Der Kreis „Primärmarkt“ symbolisiert hier ein bestimmtes Umsatzvolumen, welches der Originalhersteller unter Berücksichtigung eines bestimmten Produktpreises annimmt. Das in den Markt eingebrachte Plagiat verkauft sich als Täuschung auf dem Primärmarkt und schädigt damit den Rechteinhaber unmittelbar. Auf dem so genannten Sekundärmarkt findet der bewusste Erwerb der Plagiate statt. Jene Käufer, die Ihren Bedarf ohne das Plagiatangebot beim Originalhersteller gedeckt hätten, befinden sich in der Schnittmenge zwischen Primär- und Sekundärmarkt. Bei den restlichen Käufern des Sekundärmarktes ist der Bedarf erst durch das Plagiatangebot generiert worden.

[...]


1 Vgl. Harte-Bavendam (2000), S.1

2 Vgl. Mollerup (1997), S. 20/32

3 Vgl. ICC-CIB (2009), S.12

4 Vgl. ICC-CIB (2009), S.11

5 Vgl. Welser /González (2007), S.15

6 Vgl. VDMA (2008), S.1

7 Vgl. Winkler/Wang (2007), S. 155

8 Vgl. Pierson et al. (2007), S.14ff.

9 Vgl. Pierson et al. (2007), S. 3 ff.

10 Vgl. Geiger (2008), S.6

11 Vgl. o.V. (2007a), G8-Gipfel Heiligendamm, Zusammenfassung des Vorsitzes, S. 2

12 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hg), (2009), S. 63

13 Vg. Neemann (2007a), S. 11

14 Vgl. Geiger (2008), S. 7

15 Vgl. : Sokianos (2006), S. 21

16 Quelle: http://www.plagiarus.com

17 Vgl. Fuchs (2006), S. 29

18 Vgl. Geiger (2008), S. 8

19 Vgl. Erd (2008), S. 15

20 Vgl. Geiger (2008), S. 9

21 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz (2008), S.7

22 Vgl. Harte-Bavendamm (2000), S. 2

23 Vgl. Harte-Bavendamm (2000), S. 3

24 Vgl. Müller / Kornmeier (2000), S.1

25 Quelle: Bundesministerium für Finanzen (2009), S.9

26 Vgl. o.V. (2009a)

27 Vgl. Welser / González (2007), S. 20

28 Vgl. Pankratz (2008)

29 Vgl. VDMA (2008),

30 Vgl. Wildemann (2007), S. 13

31 Eigene Darstellung nach: Wildemann (2007), S. 13

32 Vgl. o.V. (2009d)

33 Vgl. Avenarius (2009)

34 Vgl.Markenverband e.V. (2007), S.7

35 Vgl. Wildemann(2007), S. 15

36 Vgl. Kroboth (2006), S. 13

37 Quelle: Oldendorf (2009), S.5

38 Vgl. Harte-Bavendamm (2000), S.6

39 Vgl. Hopkins et al. (2003), S. 7

40 Vgl. Stephan / Schneider (2008), S. 6

41 Vgl. Stephan / Schneider (2008), S. 7

42 Vgl. Scheuss (2007), S. 22

43 Vgl. Harte-Bavendamm (2000), S. 9

44 Vgl. o.V. (2007a), S.2

45 World Trade Organization

46 Vgl. Winkler / Wang (2007), S. 157

47 Vgl. Welser / González (2007), S. 28

48 Vgl. Sitte (2006), S. 27

49 Vgl. Heinen (2009)

50 Vgl. Galinowski (2006)

51 Vgl. Winkler/ Wang (2007), S. 123

52 Vgl. Harte-Bavendamm (2000), S. 3

53 Vgl. Erling (2007)

54 Vgl. Wildemann, S. 20

55 Eigene Darstellung nach Hopkins (2003), S. 11

56 Vgl. Gabler, (2005), S. 2554

57 Vgl. Dierig (2008)

58 Vgl. Meier/Völker/Binner (2008), S.11

59 Vgl. Harte-Bavendamm (2000), S. 4

60 Eigene Darstellung nach: O.V. (2009b)

61 International Chamber of Commerce – Counterfeiting Intelligence Bureau

62 Vgl. ICC-CIB (Hg), (2009), S.14

63 Mehrfachnennungen waren möglich

64 Vgl. VDMA (2008)

65 Vgl. OECD (2008), S. 11

66 Vgl. Wildemann (2007), S. 2

67 Vgl. Harte-Bavendamm (2000), S. 10

68 Vgl. Welser / González (2007), S. 54

69 Vgl. Fuchs (2006), S. 53

70 Vgl. Welser / González (2007), S. 54

71 Vgl. Fuchs (2006), S. 54

72 Vgl. OECD (2008), S.122

73 Vgl. OECD (2008), S.122

74 Vgl. Fuchs (2006), S.54

75 Vgl. Fuchs (2006), S.54

76 Vgl. Wildemann (2007), S. 3

77 Vgl. OECD (2008), S.110

78 Eigene Darstellung nach : OECD (2008), S.113

Ende der Leseprobe aus 120 Seiten

Details

Titel
Produktpiraterie in der Investitionsgüterindustrie - Situationsanalyse und Abwehrstrategien
Hochschule
Fachhochschule Kaiserslautern Standort Zweibrücken
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
120
Katalognummer
V147623
ISBN (eBook)
9783640584833
ISBN (Buch)
9783640584635
Dateigröße
2124 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Produktpiraterie, Investitionsgüterindustrie, Geistiges Eigentum, Markenpiraterie, Abwehrstrategien gegen Produktpiraterie, Produktfälschung, Anti-Counterfeiting, Plagiatschutz, Plagiat, Produktimitation, Pirateriebekämpfung, Patentschutz, Patentrecht, Abwehrstrategie, Produktkopie, Counterfeiting, Patent, Investitionsgüter, Situationsanalyse, Fälschung, Counterfeitung, Nachahmung, Schutzrechte, Schutzrechtsverletzung, Markenfälschung, Markenklau, Abwehr von Produktpiraterie
Arbeit zitieren
Dipl.-Ing. Karl Hoffmann (Autor:in), 2009, Produktpiraterie in der Investitionsgüterindustrie - Situationsanalyse und Abwehrstrategien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147623

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