Kleist - Komikelemente im 'Zerbrochnen Krug'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

26 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Komödiengattung

3. Ausprägungen der Komik

4. Die Personenkonstellation im „zerbrochnen Krug“
4.1. Richter Adam
4.2. Schreiber Licht
4.3. Frau Marthe Rull
4.4. Eve Rull
4.5. Ruprecht Tümpel

5. Komiktheoretische Interpretationen

6. Der Sündenfall des Richter Adam

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Nichts ist seltner, als eine schöne Komödie“ (Friedrich Schlegel, 1772- 1829)

Wie es das Zitat des deutschen Philosophen SCHLEGEL bereits ankündigt, ist die Komödie innerhalb der deutschen Literaturlandschaft äußerst gering vertreten. Andere Gattungsbereiche, beispielsweise die Tragödie, dominieren das Feld und sind bis heute der Bevölkerung weiträumig geläufig. Doch woran liegt es, dass der Aspekt der Komik, bei solch einer Vielzahl an großartigen Schriftstellern, die sich über die Jahrhunderte im deutschsprachigen Raum hervortaten, eher im Verborgenen blieb?

Vielleicht ist die Ursache in der Schwierigkeit begründet, dass eine komische Handlung oder Darstellung, die der Leser, beziehungsweise der Theaterbesucher als gelungen charakterisieren würde, äußerst kompliziert ist. Das zum Teil anspruchsvolle Publikum zum Lachen zu bringen gestaltet sich meist schwerer, als gegensätzliche Emotionen zu erzeugen. Somit kann die Darstellung von Komik als eine der größten Herausforderungen innerhalb der Literatur angesehen werden.

Die Definition einer Komödie gestaltet sich ebenso kompliziert wie deren Ausführung. Im Zusammenhang mit Lustspielen fallen natürlich regelmäßig Begriffe wie: Lächerlich, lustig, witzig oder fröhlich, doch genügt die reine Erheiterung des Publikums nicht immer jenem Anspruch, der von wissenschaftlicher Seite an die Gattung gestellt wird. LESSING war beispielsweise der Auffassung, dass die Komödie den Menschen bessern sollte, somit zusätzlich von erzieherischem Charakter wäre[1]. SCHLEGEL wiederum strebte das „Ideal des reinen Komischen“[2] an. Wir werden uns im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch etwas intensiver mit der Klassifizierung der Komödie beschäftigen, jedoch immer vor dem Hintergrund sowie dem Bezug auf unser Textbeispiel, dem „zerbrochnen Krug“, von Heinrich von Kleist.

Zweifelsohne steht Kleists Lustspiel, vor allem in Anbetracht der zeitgenössischen Literatur innerhalb der Romantik, sowie der Klassik, recht einsam da. Dies könnte auch der Grund dafür sein, dass sich bei den ersten Inszenierungen die gewünschte komische Wirkung des Stückes nicht vollständig einstellte.[3] Mittlerweile wird es allerdings als eines der bedeutendsten Lustspiele innerhalb der deutschen Literaturgeschichte angesehen, was nicht zuletzt auch am immensen Gehalt der inhaltlichen Motive und Symbole liegen mag. In Kleists analytischem Drama verhandelt die Hauptperson Richter Adam als Vorsitzender des Dorfgerichtes in der Sache eines zu Bruch gegangenen Krugs, der aus dem Besitz der Marthe Rull stammt. Hierbei versucht Adam von Beginn an zu verbergen, dass er selbst der eigentliche Schuldige ist und für die Tat zur Verantwortung gezogen werden müsste.

Basierend auf dieser Rahmenhandlung sollen im weiteren Verlauf der Arbeit die Elemente der Komik herausgearbeitet, sowie anhand von Textbeispielen erläutert und analysiert werden. Darüber hinaus wird der biblisch- philosophische Hintergrund des Lustspiels in Form von Richter Adams Sündenfall interpretiert.

Doch zunächst einmal soll der Fokus auf einige Gedanken zum Komödienbegriff, des Weiteren auf dessen Abgrenzung zur Tragödie, sowie anschließend auf die Eigenschaften und Formen von Komik gerichtet werden.

2. Die Komödiengattung

Das folgende Kapitel wird sich mit der Definition des Komödienbegriffs und dessen begleitend auftretenden Schwierigkeiten auseinandersetzen. Des Weiteren wird der Komödie die Gattung der Tragödie gegenübergestellt.

Zunächst sei gesagt, dass sich allgemeine Klassifizierungen bezüglich der Komödie als überaus schwierig gestalten. Sie ist äußerst vielschichtig, anpassungsfähig und unterliegt innerhalb ihrer Historie einem stetigen Wandel. Somit sollen die weiteren Ausführungen eher als Gedanken zur Thematik verstanden werden und nicht als vollständig geltende Definition.

Nahezu mit Beginn des europäischen Theaters entstanden die ersten Theatertheorien. Bereits ARISTOTELES unterschied in der Antike zwischen Komödie und Tragödie. Da seine Aussagen und Überlegungen zur Komödie von weit geringerem Umfang sind als die der Tragödie, gestaltet sich die Gegenüberstellung der beiden Formen des Dramas ebenso problematisch[4]. Die Tragödie würde, seinen Ausführungen nach zu urteilen, die Nachahmung einer sittlich ernsten Handlung beinhalten sowie einen ungelösten Konflikt darstellen, dessen Bühnenaufführung beim jeweiligen Zuschauer Ängste , Schrecken und Mitleid hervorruft. Die Komödie hingegen, stellt dem Publikum eine lächerliche Handlung dar, welche die Eigenschaften besitzt, zwar Fehler und Schwächen anhand bestimmter Charaktere aufzuzeigen, jedoch nicht verletzend wirkt, weder auf die handelnden Figuren noch auf den Zuschauer. Ausgehend von diesen Erkenntnissen entwickelten sich in Europa weitere, als wesentlich zu betrachtende Unterscheidungsmerkmale, die heutzutage weiterhin Bestand haben. Zunächst einmal spielt die Komödie unter Personen des Bürger- sowie des Bauerntums, somit unter Vertretern der niederen Stände, während die Protagonisten der Tragödie meist dem Adel entspringen. In unserem Beispiel des „zerbrochnen Krugs“ haben wir es, um die vorangehende Behauptung belegen zu können, durchaus mit den typischen Charakteren der Komödie zu tun. Die gesellschaftlich höchsten Vertreter sind Gerichtsrat Walter sowie Dorfrichter Adam, beide dem Bürgertum zugehörig, während sich die weiteren Personen in einem noch niedereren sozialen Milieu bewegen, von Adel keinerlei Spur. Des Weiteren bedient sich die Tragödie der gehobenen Sprache, während innerhalb der komödiantischen Handlungsstränge durchaus Umgangssprache sowie auch derbere Wortwahl verbreitet ist. Hier denken wir an Richter Adams Beleidigungen gegenüber seinen Mägden, die er als „Kuhmagd“ oder „Maulaffe“ (V.196) beschimpft, oder seinen verbalen Entgleisungen gegenüber dem Angeklagten Rupprecht: „Schafsgesicht“ (V.1135).

Um die Gegenüberstellung der beiden Dramenformen abzuschließen, sollte das Ende der jeweiligen Handlung betrachtet werden. Während sich die Tragödie in einem wahrhaftigen Desaster beim Zuschauer verabschiedet, dessen Konflikte ungelöst bleiben müssen, so steht am Schluss der Komödie eine Art „happy end“. Die Konflikte werden gelöst, es wird, umgangssprachlich formuliert, nicht gemordet sondern geheiratet[5].

Im zerbrochnen Krug wird wiederum auch dieser Aspekt der Erwartungshaltung, der an die Komödie gestellt wird, erfüllt. Eves Ehre sowie die Beziehung zu ihrem Verlobten Rupprecht ist wieder hergestellt. Der Angeklagte selbst wird freigesprochen und sogar Richter Adam, der den negativen Charakter innerhalb des Lustspiels einnimmt, hat für seine weitere Zukunft zumindest mit keinen gravierenden Auswirkungen zu rechnen. „Von seinem Amt zwar ist er suspendiert“ (V.1962 ); „Zur Desertion ihn zwingen will ich nicht“ (V.1964). Es werden keinerlei Ängste bezüglich zukünftiger Ereignisse geschürt, weder beim Publikum noch bei der Figur selbst.

Mit diesen aufgezeigten Erwartungen und Ansprüchen wird wohl ein Theaterbesucher, bewusst oder auch unbewusst, sich eine Komödie ansehen und sie dementsprechend bewerten.

Er könnte ihr des Weiteren, nach anschließender Reflexion, eine gesellschaftskritische Haltung nachsagen, eine Botschaft, vielleicht gar einen Lerneffekt für sich persönlich aus der Handlung entnehmen. Hier sind wir bereits am ersten Problem angelangt. Einige Wissenschaftler und Philosophen wie JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED betrachteten die Miteinbeziehung dieses erzieherischen Motivs innerhalb der Komödie als verbindlich: „Die Komödie ist nichts anders, als eine Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann. [. . .] Es ist also wohl zu merken, daß weder das Lasterhafte, noch das Lächerliche für sich allein, in die Komödie gehöret; sondern beydes zusammen, wenn es in einer Handlung verbunden angetroffen wird.“( Johann Christoph Gottsched)[6]. Für andere Vertreter der Forschung spielte dieser Faktor keine Rolle, die Komik allein würde über die Gattungszugehörigkeit entscheiden. Wenn wir verschiedenste Vertreter der europäischen Komödien nach den zuvor festgelegten Maßstäben untersuchen so treten hin und wieder einige Widersprüche auf. In SHAKESPEARES „Was ihr wollt“, aus dem Jahr 1601, sitzen am Ende die jeweiligen Paare im Regen und der Zuschauer bemerkt, dass keine der Personen ihren gewünschten Partner erhalten hat. Die Handlung wendet sich hierbei nicht ausschließlich zum Guten, von einem „happy end“ kann in diesem Beispiel nicht unbedingt gesprochen werden. In BEN JOHNSONS 1606 erschienenem Stück „Volpone“ wird in der Gerichtsszene des 5. Aktes kein Recht gesprochen. Die Verbrechen, die sich im Laufe der Handlung vollziehen, werden durch die Richter vertuscht. Die zu Verurteilenden werden nicht, wie in einer Komödie zu erwarten wäre, milde bestraft, sie werden vollständig vernichtet. Ohne auf den Inhalt des Stückes intensiver eingehen zu wollen, ist als eine seiner Hauptaussagen zu erkennen, dass alles Unrecht, das auf der Erde verübt wird, Rache findet. Diese regelrechte Katastrophe würde in ihrer Wirkung eigentlich der Tragödie zugewiesen werden, umso erstaunlicher ist es, dass wir von einer Komödie sprechen. Dies sind jetzt nur zwei Beispiele die uns verdeutlichen wie überaus kompliziert, nahezu unmöglich es ist, eine vollständige und allgemeingültige Definition dieser Gattung erstellen zu können. Selbst die global verbreiteten Unterscheidungsmerkmale gegenüber der Tragödie können in einigen Bereichen ins Wanken geraten.

Wie jeder Einzelne nun auch immer die Thematik für sich selbst bewerten mag, so bleibt festzuhalten, dass Komik und die darauffolgende Reaktion des Lachens, von Seiten des Zuschauers, immer mit der Komödie verknüpft werden[7]. Die Erwartung zu Lachen liegt wohl allen Zuschauern zugrunde, die an einer Komödie teilhaben wollen. Natürlich muss abschließend bedacht werden, dass sich Komikverständnis und deren Bewertung innerhalb einer Gesellschaft ebenso wandelt wie alle anderen Lebensbereiche auch. Was früher einmal als lustig oder erheiternd angesehen wurde, muss heutzutage nicht mehr automatisch als gelungene Komik empfunden werden. Ebenso kann das Komikverständnis innerhalb der selben Epoche variieren. Was eine Person zu großem Gelächter veranlasst, kann eine andere als abstoßend oder verletzend bewerten. Um dieser Thematik weiter auf den Grund gehen zu können, wird sich das nachfolgende Kapitel mit dem Gebiet der Komik und deren Ausprägungen auseinandersetzen.

3. Ausprägungen der Komik

Da die Komödie, als diejenige Großgattung innerhalb der Wissenschaft bezeichnet wird, die sich am Intensivsten der Theorie des Komischen annährt[8], so muss in diesem Fall eben jener Bereich der Komik genauer untersucht werden. Es sei vorweggenommen, dass die Beantwortung der Frage, was Komik charakterisiert, sich ähnlich schwierig gestaltet wie der Versuch, eine allgemeingültige Komödiendefinition zu finden.

SIEGFRIED SCHMIDT äußerst sich zur Thematik indem er behauptet, alle „Bemühungen seit der Antike und in diversen Wissenschaften haben uns keinen Schritt weiter gebracht bei der Beantwortung der Frage, was Humor, was Komik, was Witz, sind“[9]. Innerhalb des gesamten komischen Bedeutungsfeldes, was verwandte Ausprägungen wie Ironie, Satire oder Witz beinhaltet, erfährt die Komik die größte Beachtung innerhalb der wissenschaftlichen Reflexionen. Erstmals wird im 18. Jahrhundert die Komik nicht nur als rein theoretische Kategorie, sondern ebenso als Wahrnehmungsform verstanden. Zuvor wurde zwischen der Komödie in ihrer Ausprägung sowie deren Inhalt, was das Lächerliche, das Komische betrifft, differenziert. Die nachfolgenden Versuche der Theorieentwicklung bezüglich der Komik hatten nun zur Aufgabe, die Gattung in eine allgemeingültige Formel zu verpacken und gleichzeitig zu erklären, welche Effekte sich für die Reaktion des Lachens verantwortlich zeigen würden.

Seit dieser Zeit bezieht sich die Komik somit auf zwei Bereiche, die Kunst und die Lebenswelt. Entscheidend für die Zuordnung eines Werkes in die Gattung der Komik ist allerdings vorerst nicht der künstlerische Rahmen, sondern die subjektive Beurteilung durch die Zuschauer. Lange Zeit wurde die Komik als Universalie betrachtet, so dass jeder Gegenstand, jeder Handlungsbereich und jede Thematik auf komische Weise dargestellt werden könne. Die Problematik, die während der Suche nach einer allgemeingültigen Definition hierbei auftritt, liegt darin begründet, dass es folglich eine Formel geben müsste, die es ermöglicht alle vorhandenen Lebensbereiche zu komisieren. Diese verallgemeinerbare, einzig wahre Regel müsste auf alle Ausprägungen von Komik angewendet werden können. Des Weiteren dürften keinerlei Ausnahmen auftreten, die jenes Gesetz widerlegen oder in Frage stellen würden. Häufig wurden solche Definitionsversuche mit der Reaktion des Lachens, als empirischer Test, auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Sollte an nur einer Stelle, das zu erwartende Lachen ausbleiben, kann solch eine Theorie recht einfach widerlegt werden[10].

[...]


[1] Japp 1999, Vorwort.

[2] Schlegel 1794/ 1979, S.20.

[3] Gerigk 2008, S.125.

[4] Mainusch 1990, Vorwort

[5] Mainusch 1990, S.1f.

[6] www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de

[7] Mainusch 1990, S.4f.

[8] Warning 2001, S.31.

[9] Schmidt 2006, S.19.

[10] Gerigk 2008, S.38f.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Kleist - Komikelemente im 'Zerbrochnen Krug'
Hochschule
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)  (Institut für Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Heinrich von Kleist
Autor
Jahr
2010
Seiten
26
Katalognummer
V149612
ISBN (eBook)
9783640606184
ISBN (Buch)
9783640606023
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Komik, Kleist, Zerbrochener Krug, Drama
Arbeit zitieren
Julian Hofmann (Autor:in), 2010, Kleist - Komikelemente im 'Zerbrochnen Krug', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149612

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