Der Klassenbegriff von Karl Marx bis heute

Inhalt und Bedeutung in der aktuellen Sozialstrukturanalyse


Hausarbeit (Hauptseminar), 1992

20 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitende Vorbemerkung

2. Der Klassenbegriff bei Karl Marx und Friedrich Engels
2.1. Das Manifest der Kommunistischen Partei
2.2. Die Entstehung von Klassen
2.2.1. Die Geschichte von Klassenkämpfen
2.2.2. Polarisierung und innere Unterscheidung
2.3. Das Klassenbewusstsein
2.3.1. Das Klassenbewusstsein „an und für sich“
2.3.2. Die Rolle des Individuums innerhalb seiner Klasse
2.4. Der Klassenkampf und die klassenlose Gesellschaft

3. Versuch einer Analyse der theoretischen Weiterführung des kommunistischen Klassenbegriffs
3.1. Neomarxistischen Klassenanalyse bei Eric Olin Wright
3.1.1. Diskussionsstand in der marxistisch orientierten Wissenschaft
3.1.2. Das Problem einer Einordnung der Mittelschicht
3.1.3. Die beiden Klassenmodelle von Wright
3.2. Empirische Untersuchungsergebnisse aus der Bundesrepublik Deutschland

4. Marxistische Sozialstrukturtheorie in der aktuellen Soziologiediskussion: Ein Vergleich zwischen einem herkömmlichen und neueren Ansätzen
4.1. Kernpunkte der neueren Theorieansätze im Vergleich zum kommunistischen Klassenmodell
4.2. Kritik an den herkömmlichen, vertikalen Theorieansätzen zur sozialen Ungleichheit
4.2.1. Gemeinsame Grundlagen der traditionellen Theorieansätze und deren Unzulänglichkeit
4.2.2. Bedingungen für die Kritikresistenz vertikalerGesellschaftsmodelle

5. Zusammenfassung und abschließende Stellungnahme

Literaturverzeichnis

1. Einleitende Vorbemerkung

"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften ist die Geschichte von Klassenkämpfen"[1]

Diese Aussage von Karl Marx und Friedrich Engels am Beginn des Manifests der Kommunistischen Partei setzt einen bestimmten Klassenbegriff voraus. Die politische Bedeutung des von den beiden Theoretikern entwickelten Modells und die daraus entstandenen gesellschaftlichen Folgen sind noch heute, 150 Jahre später wirksam.

Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, ausgehend vom Begriff der Klasse im Sinn von Marx und Engels, einen Vergleich zwischen einem herkömmlichen soziologischen Theorieansatz und neueren Modellen und Methoden zur Untersuchung sozialer Ungleichheiten herzustellen. Auf eine umfangreiche Beleuchtung des zweiten Schwerpunktes bisheriger Konzeption von Sozialstrukturanalyse, das vor allem von Max Weber geprägte Schichtmodell, wird an dieser Stelle bewusst verzichtet.

Zunächst wird die Frage zu stellen sein, wie Marx und Engels den Begriff der Klasse definieren (Kapitel 2). Dies geschieht hier anhand einer Analyse des eingangs zitierten Manifests. Die Begrenzung auf eine Quelle des umfangreichen Gesamtwerkes der beiden Autoren erscheint für den Rahmen dieser Arbeit notwendig und auch angemessen, da hier der Kern des zu untersuchenden Klassenbegriffs sehr deutlich herausgearbei­tet werden kann.

Im Folgenden (Kapitel 3 u. 4) ist dann zu untersu­chen, ob und inwieweit die Marxsche Theorie in der aktuel­len Sozio­lo­giediskussion noch Gültigkeit hat, mit wel­chen Kate­gorien und Indikatoren bei­spielsweise neo­marxi­sti­sche Wissenschaftler bei der Analyse von Gesell­schaftsstrukturen arbeiten. Es wird aber auch zu fragen sein, ob es sich bei den neueren Theorie­an­sätzen nicht nur um eine Modifika­tion der herkömmlichen Modelle handelt, die einer sehr stark differenzierten Gesellschaft dadurch gerecht zu werden vorgeben, dass sie alte Begriffe durch komplexere Terminologien ersetzen, die letzt­endlich das gleiche Phänomen beschreiben.

2. Der Klassenbegriff bei Karl Marx und Friedrich Engels

2.1. Das Manifest der Kommunistischen Partei

Im November 1847 beauftragte die Internationale Arbeiterbewegung "Bund der Kommunisten" Karl Marx und Friedrich Engels mit der Abfassung eines Par­teiprogramms, das sowohl den Mitgliedern der Orga­ni­sation als auch der Öffentlichkeit die Schwerpunkte der politischen Arbeit aufzeigen soll­te. Die erste Veröffentlichung des Werkes erschien im folgenden Jahr in deutscher Sprache. Es folgten dann engli­sche, französische, polnische russische und dänische Ausgaben. In vier Abschnitten setzen sich die Autoren zunächst mit dem wechselseitigen Verhältnis zwischen 'Bour­geoisie und Proletariat', den Unterschieden zwischen 'Proletariern und Kommunisten', der sozialistischen und kommunistischen Literatur sowie der Stellung der Kommunisten zu den übrigen oppositionellen Parteien ihrer Zeit auseinander. In der Vorrede zur deutschen Ausgabe aus dem Jahr 1872 weisen die Verfasser auf eine starke Ver­ände­rung der gesellschaftlichen Verhältnisse inner­halb der seit der Ersterscheinung vergangenen 25 Jahre hin. Dies lasse vielleicht an manchen Stellen eine Änderung des Programms notwendig erscheinen, der im wesentlichen von Marx stammende Grundgedanke al­ler­dings, habe dennoch allgemeine Gültigkeit, wie Engels später schreibt.[2]

2.2. Die Entstehung von Klassen

2.2.1. Die Geschichte von Klassenkämpfen

Einleitend sei an dieser Stelle bemerkt, dass sich bei Marx trotz seiner zentralen Bedeutung an kei­ner Stel­le eine ein­deu­ti­ge Defi­ni­tion des Klas­senbegriffs findet. Man kann aller­dings festhal­ten, dass er ihn in zwei Bedeutungszu­sammen­hängen verwen­det. Einerseits um­fassend für die Be­zeichnung un­terschiedlicher Ab­stufungen innerhalb der ver­schie­denen Gesellschafts­formen, andererseits spezi­fisch, wenn er zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat der kapitalisti­schen Gesellschaft seiner Zeit spricht. Grundsätz­lich aber assoziiert er bei der Zuordnung zu einer Klasse immer eine bestimmte Stel­lung des Individuums innerhalb des Produktions­pro­zesses, das heißt er unterscheidet zwischen Be­sitz und Nichtbesitz von Produktionsmitteln.

Mit der Schaffung des Privateigentums nach der Urge­sellschaft beginnt schon in der frühen Antike ein ökonomischer Prozess, der die Gesellschaft in Herr­schende und Beherrschte, Sklaven und deren Besitzer unterteilt. Im dialektischen Dreischritt entwickelt sich die Gesellschaft über den Feudalismus hin zum Kapitalismus. Jede der drei Phasen wird durch den Kampf der jeweils beherrschten Klasse gegen die Herrschenden beendet und führt zu der darauffolgen­den Gesellschaftsform. Dabei ist der auslösende Faktor die zunehmende Divergenz zwischen den dyna­mischen Produktivkräften und den statischen Produk­tionsverhältnissen.[3]

2.2.2. Polarisierung und innere Unterscheidung

Gehen Marx und Engels zunächst nur von der globalen Unterscheidung zwischen Herrschenden und Beherrschten aus, so räumen sie doch auch innerhalb dieser Kategorien verschiedene Abstufungen ein: So gibt es beispielsweise innerhalb der Nichtbesitzer von Produktionsmitteln durchaus auch einen Mittel­stand, der in seinem Konsumverhalten weniger stark eingeschränkt ist als ein einfacher Tagelöhner. Dennoch stellen sie in ihrer Zeit eine zunehmende Polarisierung fest:

"Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, ein­ander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat."[4]

Im weiteren wird dann die Verschärfung dieser Pola­risierung beschrieben. Der sogenannte Mittelstand, z.B. kleine und mittlere Handwerker, die bisher als selbstständige Bürger im Rahmen des kapitalistischen Systems zunehmend ihre Unabhängigkeit zugunsten einer immer mächtiger werdenden Industrie einbüßen müssen, verlieren ihr Eigentum und fallen in die Klas­se der Pro­le­ta­rier ab. So schrumpft die an­fäng­lich breite Schicht des Bürgertums zu einer kleinen Gruppe immer vermögenderer Kapitaleigentümer zusam­men, und es bildet sich eine immer größer werdende Masse von Lohnarbeitern, die zwar zur Kapitalanhäu­fung den eigentlichen Beitrag leistet, selbst aber davon nur insofern profitiert, dass sie sich selbst gerade noch am Leben halten kann.[5] Bezeichnend für diese Entwicklung ist folgendes Zitat:

"So rekru­tiert sich das Proletariat aus allen Klas­sen der Bevölkerung."[6]

2.3. Das Klassenbewusstsein

2.3.1. Das Klassenbewusstsein „an und für sich“

Marx und Engels unterscheiden zwischen dem Begriff der Klasse 'an und für sich'. Ersteres be­zeichnet den objektiven Bestand einer Gruppe mit bestimmten Merkmalen (hier Besitz/Nichtbesitz von Produktionsmitteln). Anhand dieser Merkmale kann jedes Individuum objektiv entweder der Klasse der Bourgeoisie oder der des Proletariats zugeordnet werden. Hierbei muss sich das Individuum dieser Zu­gehörigkeit aber nicht bewusst sein, es bedarf also keines Bewusstseins für das 'Kollektiv' der Klasse. Die Verschärfung der sozialen Situation allerdings, z.B. niedrige Löhne, ungeregelte Arbeitszeit, feh­lende staatliche Sozialhilfemaßnahmen, etc. führen zu einer Bewusstwerdung der sozialen Situation des ein­zelnen Proletariers. Hierbei entwickelt sich, so Marx, ein Gefühl für die Klassenzugehörigkeit, ein bestimmtes 'Wir-Gefühl' ist die Folge. Daraus wächst ein Bedürfnis zur Veränderung der Lage, der (kollek­tive) Wunsch nach Veränderung des jeweiligen Systems. Das Klassenbewusstsein 'für sich' beinhaltet demzufolge eine Einsicht in die Notwendigkeit einer Änderung der bestehenden Verhältnisse. Die Arbeiter­klasse erkennt ihre Aus­beutung und schließt sich zu einer Bewegung mit praktischen politischen Inter­essen zusammen.

2.3.2. Die Rolle des Indivi­duums inner­halb seiner Klas­se

Es scheint zwischen der Klasse und dem ein­zelnen Individuum eine wechselseitige Beziehung zu bestehen. Im Proletariat prägt einerseits das ge­meinsame Klassenziel, nämlich die Aufhebung der Klassengesellschaft das Denken des Einzelnen, ande­rerseits können aber auch die persönlichen Inter­essen diesem Ziel entgegenstehen. Ein leitender Angestellter z.B., der an der oberen Klassen­grenze steht, wird wahrscheinlich nicht an der Auflösung der bestehenden Gesellschaftsform und dem damit verbundenen Verlust seines relativ hohen Wohlstand­grades interessiert sein. In diesem Fall jedoch, so die Verfasser des Manifests, ordne sich der Einzel­wille dem kollektiven unter, entweder durch die Einsicht in die Notwendigkeit oder durch eine Nöti­gung zur Unterordnung der individuellen unter die kollektiven Interessen. Beim Proletariat äußert sich das Klasseninteresse durch die Organisation in Ge­werkschaften und Parteien, das der Bourgeoisie äu­ßert sich im Bekenntnis zum Staa­t, der zur Auf­recht­er­hal­tung der Klassen­herr­schaft durch Geset­ze und andere Ver­ord­nungen einge­richtet ist. Das Umge­hen einiger Ver­ordnungen zu­gunsten einer persön­li­chen Bereiche­rung ist ein Bei­spiel für die Konfliktsituation des bür­gerlichen Individuums gegenüber seinem Klassen­inter­esse.[7]

[...]


[1] Marx, Karl und Friedrich Engels, 1989, S.19

[2] vgl.:a.a.O., S. 3-5

[3] vgl.: a.a.O., S.19-21

[4] a.a.O., S.20

[5] vgl: a.a.O., S.22-33

[6] a.a.O., S.28

[7] vgl.: Fetscher, Iring (Hrsg), 1976, S.58-63

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der Klassenbegriff von Karl Marx bis heute
Untertitel
Inhalt und Bedeutung in der aktuellen Sozialstrukturanalyse
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Neue Tendenzen zur Erforschung sozialer Ungleichheit
Note
2,3
Autor
Jahr
1992
Seiten
20
Katalognummer
V149943
ISBN (eBook)
9783640609871
ISBN (Buch)
9783640610136
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Detailierte Gliederung und sehr gutes Literaturverzeichnis.
Schlagworte
Soziologie, Politische Soziologie, Karl Marx, Manifest, Klassenbegriff, Sozialstrukturanalyse
Arbeit zitieren
Helmut Schäfer (Autor:in), 1992, Der Klassenbegriff von Karl Marx bis heute, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149943

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