Die Wirkweisen der Pressefreiheit


Magisterarbeit, 2000

106 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschichte der Pressefreiheit
2.1 Geschichte der Zensur
2.2 Kampf um die Pressefreiheit
2.2.1 Internationale Vorläufer der Pressefreiheit
2.2.1.1 England
2.2.1.2 Vereinigte Staaten von Amerika
2.2.1.3 Frankreich
2.2.2 Der Kampf um die Pressefreiheit in Deutschland
2.2.2.1 Unter Napoleon
2.2.2.2 Deutscher Bund
2.2.2.3 Revolution von
2.2.2.4 Kaiserreich
2.2.2.5 Weimarer Republik
2.2.2.6 Nationalsozialismus

3 Wirkweisen der Grundrechte
3.1 Grundrechte als subjektive Abwehrrechte
3.1.1 Schutzbereich
3.1.2 Grundrechtsträger und Grundrechtsadressaten
3.2 Grundrechte als objektiv-rechtliche Prinzipien
3.3 Drittwirkung von Grundrechten
3.4 Schranken und Schranken-Schranken

4 Rechtsquellen der Pressefreiheit
4.1 Die Kommunikationsfreiheiten des Artikel 5 Grundgesetz
4.2 Weitere Rechtsquellen
4.2.1 Landespressegesetze
4.2.2 Menschenrechtsvereinbarungen
4.2.3 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes

5 Pressefreiheit als subjektives Abwehrrecht
5.1 Begriffsbestimmung
5.2 Inhalt der Pressefreiheit
5.2.1 Meinungsfreiheit
5.2.2 Informationsfreiheit
5.2.3 Schutzbereich der Pressefreiheit
5.2.3.1 Informationsbeschaffung
5.2.3.2 Inhaltliche und formale Gestaltungsfreiheit
5.2.3.3 Vertriebsfreiheit
5.2.3.4 Schutz des unternehmerischen und wirtschaftlichen Bereichs
5.3 Träger der Pressefreiheit

6 Pressefreiheit als institutionelle Garantie
6.1 Einrichtungsgarantien
6.2 Bedeutung der institutionellen Garantie
6.2.1 Individualrechtliche Ansicht Rehbinders
6.2.2 Institutionelle Ansicht Ridders
6.2.3 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
6.3 Die institutionelle Garantie der Pressefreiheit
6.3.1 Garantie der freiheitlichen Struktur der Presse
6.3.2 Garantie der privatwirtschaftlichen Struktur der Presse
6.3.3 Kein Bestandsschutz für einzelne Unternehmen
6.3.4 Garantie der Funktionsfähigkeit der freien Presse
6.4 Die öffentliche Aufgabe der Presse
6.4.1 Herkunft und geschichtliche Entwicklung
6.4.2 Heutige Ausformung
6.4.3 Der Begriff des Öffentlichen
6.4.4 Rechtscharakter der öffentlichen Aufgabe
6.4.5 Umfang und Inhalt der öffentlichen Aufgabe
6.4.5.1 Staatsbezogene Interpretation
6.4.5.2 Wertbezogene Interpretation
6.4.5.3 Funktionale Interpretation
6.5 Presseprivilegien
6.5.1 Informationsanspruch
6.5.2 Zeugnisverweigerungsrecht
6.5.3 Beschlagnahme und Durchsuchung
6.5.4 Verjährung bei Pressedelikten
6.5.5 Datenschutz
6.5.6 Pressefusionskontrolle
6.5.7 Postzeitungsdienst

7 Mittelbare Drittwirkung der Pressefreiheit
7.1 Unmittelbare Drittwirkung nach Nipperdey
7.2 Mittelbare Drittwirkung nach Dürig
7.3 Drittwirkung in der Rechtsprechung
7.3.1 Das Lüth- Urteil
7.3.2 Das Blinkfüer- Urteil
7.4 Mittelbare Drittwirkung und Pressefreiheit

8 Schranken der Pressefreiheit
8.1 Allgemeine Gesetze
8.2 Gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend
8.3 Das Recht der persönlichen Ehre
8.4 Exkurs: Besondere Grundrechtseinschränkungen
8.4.1 Einschränkungen in Sonderstatusverhältnissen
8.4.2 Verwirkung der Pressefreiheit

9 Schranken- Schranken
9.1 Zensurverbot
9.2 Wechselwirkungstheorie
9.3 Wesensgehaltsgarantie

10 Schlusswort

11 Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich.“[1] Zwischen einer freien Presse und einem freien Staatswesen besteht ein enger Zusammenhang, und so gilt die Pressefreiheit heute als ein konstituierendes Element des freiheitlich und demokratischen Staates. Die Presse stellt eine Öffentlichkeit her und ermöglicht damit ein Forum für Kritik, Stellungnahme, Kontrolle und Mitwirkung an der Meinungsbildung in Staat und Gesellschaft. Doch die Pressefreiheit ist über ihre demokratiestaatliche Funktion hinaus auch ein Menschenrecht. Wie die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ schreibt, kann man das Maß der Pressefreiheit als einen guten Indikator für die Situation der Menschenrechte in einem Land ansehen, denn es hat sich herausgestellt, dass die Unterdrückung des Rechts auf Pressefreiheit regelmäßig mit der Unterdrückung anderer Menschenrechte verbunden ist. Obwohl weltweit die meisten Staaten mittlerweile internationale Verträge über die Einhaltung und den Schutz der Menschenrechte unterzeichnet haben, wird noch heute in über 100 Staaten die Pressefreiheit beeinträchtigt oder gar massiv verletzt und unterbunden.[2] Die Freiheit der Presse ist also keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Um so wichtiger ist es daher, ihre Realisierung in einem demokratischen Staatswesen wie dem der Bundesrepublik Deutschland näher zu betrachten. Diese Arbeit wird sich deshalb mit den rechtlichen Wirkweisen der Pressefreiheit beschäftigen und den Schutz der Presse als subjektives Abwehrrecht, als institutionelle Garantie und unter dem Aspekt der mittelbaren Drittwirkung darstellen. Die Problematik der inneren Pressefreiheit, die sich mit der Frage der Freiheit derjenigen, die innerhalb der Presse tätig sind, befasst, ist ausdrücklich nicht Gegenstand dieser Arbeit.

Der erste Teil der Arbeit wird mit einem Überblick über die Geschichte der Pressefreiheit beginnen, denn von der technischen Möglichkeit zur Herstellung von Presseprodukten mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1450 bis zur verfassungsrechtlichen Verwirklichung von Pressefreiheit vergehen in Deutschland mehr als vier Jahrhunderte, da zunächst strenge Zensurvorschriften eingeführt werden.

Der zweite und dritte Teil dieser Arbeit wird sich kurz mit den Wirkweisen der Grundrechte im Allgemeinen und den Rechtsquellen der Pressefreiheit in Deutschland befassen, weil das Grundgesetz die Pressefreiheit in Artikel 5 Absatz 1 als Grundrecht absichert. Durch diese Rechtsstellung in der Verfassung wird die Bedeutung der Freiheit der Presse als Menschenrecht und für das freiheitlich-demokratische Gemeinwesen betont. Da die Verfassung über den Gesetzen steht und diese auch nur in ihrem Rahmen gelten, ist dem Artikel 5 Grundgesetz allergrößtes Gewicht für die rechtliche Wirkweise der Pressefreiheit beizumessen. Neben der Verfassung sind noch die Landespressegesetze, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die europäische Menschenrechtskonvention sowie insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes als Rechtsquellen der Pressefreiheit in Deutschland zu berücksichtigen.

In den dann folgenden drei Kapiteln werden die drei rechtlichen Wirkweisen der Pressefreiheit näher betrachtet. Das Grundrecht der Pressefreiheit wirkt zunächst als subjektiv- individuelles Abwehrrecht gegenüber dem Staat, dabei ist die Bestimmung des Begriffs der Presse entscheidend für Aussagen über den Schutzbereich und die Trägerschaft des Freiheitsrechts. In objektiv- rechtlicher Dimension wirkt die Freiheit der Presse als institutionelle Garantie, die sich auf die öffentliche Aufgabe der Presse zurückführen lässt. In der Praxis ergeben sich eine Vielzahl von Presseprivilegien als rechtliche Konkretisierung der objektiv-rechtlichen Wirkweise der Pressefreiheit, sowohl im Hinblick auf den Schutz journalistischer Inhalte, als auch auf den Erhalt der wirtschaftlichen Freiheit der Presse.

Die dritte Wirkweise der Pressefreiheit ist die der mittelbaren Drittwirkung. Die Frage der Wirkung von Grundrechten im Privatrechtsverkehr ist ein rechtlich umstrittenes Thema, wobei das Bundesverfassungsgericht durch seine Rechtsprechung Position für eine mittelbare Wirkung der Freiheit der Presse bezieht.

In den beiden abschließenden Kapiteln werden die Schranken der Pressefreiheit und die Grenzen dieser Einschränkungsmöglichkeiten besprochen, denn die Pressefreiheit kann nicht uneingeschränkt wirken: ihr werden bereits in Artikel 5 Absatz 2 durch die allgemeinen Gesetze, die Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre Grenzen gesetzt. Da der Schutzbereich von Freiheitsrechten aber nicht unbegrenzt weit eingeschränkt werden kann, gibt es Schranken-Schranken, die verhindern, dass die Geltungskraft der Pressefreiheit durch den Gesetzgeber aufgehoben wird. Sie tragen damit dem Postulat einer grundsätzlichen Freiheitsvermutung zugunsten der Presse Rechnung.

2 Geschichte der Pressefreiheit

2.1 Geschichte der Zensur

Um 1450 erfindet Johannes Gutenberg den Buchdruck in Mainz. Maßgeblich an seiner Erfindung ist jedoch nicht die Technik des Druckens an sich, sondern die Benutzung beweglicher Lettern aus Metall für den Druckstock.[3] Sie ermöglichen erstmals eine schnelle und massenhafte Verbreitung von Aussagen, die neuen politischen, religiösen und sozialen Ideen eine bis dahin nicht gekannte Breitenwirkung verschafft.[4] Der Humanismus und später vor allem die Reformation bedienen sich der neuen Technik, um ihre Forderungen zu artikulieren. Die neuen gedruckten Schriften verdrängen sehr schnell die bislang traditionellen Formen der Mitteilung und Nachrichtenübermittlung: das gesprochene Wort und die Handschrift. Die Massenvervielfältigung wird zudem durch die Verwendung eines neuen Werkstoffs erleichtert, denn das Papier tritt von nun ab an die Stelle des bisher üblichen, aber schweren und teuren Pergaments.[5]

Die Kirche, dann auch der Staat, begegnet dieser neuen Erfindung sehr bald mit Misstrauen, denn die massenhafte Vervielfältigung bietet völlig neue Möglichkeiten zu öffentlicher Kritik. Da die bisher von der Kirche praktizierte Nachzensur bei der Menge der Schriften nicht mehr ausreicht, führt sie eine Vorzensur ein[6], die im folgenden als Zensur bezeichnet wird.

Der Beginn der Zensur nimmt dort seinen Ursprung, wo die Technik des Buchdrucks beginnt. Bereits am 4.1.1486 erlässt der Fürstbischof von Mainz, Berthold von Henneberg, eine Verordnung zur Einsetzung einer geistlichen Zensurkommission für das gesamte Bistum. Von nun an bedarf jede Druckschrift vor ihrer Herstellung und Verbreitung der bischöflichen Erlaubnis.[7]

Schon ein Jahr später nimmt Rom Einfluss auf die Zensurmaßnahmen der deutschen Kirche; 1487 ergeht von Papst Innozenz VIII die erste päpstliche Zensurverordnung, Papst Alexander VI ordnet 1496 die Zensur zur Unterdrückung ketzerischer Schriften an. Durch diese Verordnungen wird die bischöfliche Vorzensur auf den gesamten Bereich der römisch-katholischen Kirche ausgedehnt. Mit ihrem Zensursystem schafft die Kirche etwas Neues:[8] „Eine Institution der Meinungskontrolle, die abgerückt vom Einzelfall und verbindlich erklärt für alle Schriften und Verfasser, ein System darstellte, das theoretisch keine Lücke ließ.“[9]

Für die Kirche ist die Zensur vor allem ein Mittel zur Verteidigung und Reinerhaltung des Glaubensgutes. Die Erziehung des Menschen zu einem Leben nach den Glaubensnormen wird als Anlass zur Verhinderung publizistischer Freiheit genommen.[10] Das damalige Weltbild ist fast gänzlich religiös geprägt, dabei stellt die Kirche die einzig intakte Ordnungsmacht dar. Individualistische Vorstellungen, die durch die Ideen der Renaissance hervorgebracht werden, widersprechen dem strengen mittelalterlichen „ordo“. Konflikte mit vor allem kirchlichen Autoritäten ergeben sich daher zwangsläufig. Im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts ist der Kampf um die Meinungsfreiheit identisch mit dem Kampf um Glaubens- und Gewissensfreiheit.[11]

In der Entwicklung und Ausübung der Zensur lassen sich insgesamt drei Stufen ausmachen: ihren Ursprung hat sie im kirchlichen Bereich und zunächst herrscht auch eine rein kirchliche Zensur vor. Doch schon bald üben weltliche Instanzen das Amt der kirchlichen Aufsicht aus, bis letztendlich die weltliche Zensur dominierend ist. Den Übergang der Zensur auf weltliche Instanzen markiert besonders der Konfessionsstreit der Reformationszeit. Weltliche Herrscher stellen ihre Autorität und Machtmittel in den Dienst der Kirche und geben Zensurbestrebungen durch Vorschriften und Maßnahmen Form und Kraft.

Die Kirche ruft den Staat zur Hilfe, da sie trotz intensiver Versuche alleine nicht gegen die geistigen Strömungen des Humanismus und der Reformation ankommt. Als eine unmittelbare Folge der mit Luther beginnenden religiösen Auseinandersetzung vollzieht sich in Deutschland also die Einrichtung weltlicher Macht als Zensurbehörde, wobei der Staat die Einrichtungen der Kirche nur zu übernehmen und für seine Zwecke zu nutzen braucht.

Die weltliche Zensur beginnt mit Kaiser Karl V und seinem Edikt gegen Luther und dessen Schriften auf dem Reichstag zu Worms 1521.[12] Dieses Edikt kann als die erste reichsrechtliche Presseverordnung angesehen werden. Bereits acht Jahre später, 1529, wird auf dem Reichstag zu Speyer die staatliche Vorzensur für das gesamte Reichsgebiet eingeführt. Die Zensurmaßnahmen werden in der Folge immer weiter verschärft, die Auflagen für den Druck von Schriften steigen. So beschließt der Reichstag zu Augsburg 1530 eine Impressumspflicht, nach der Drucker und Druckort angegeben werden müssen. 1540 kommt es zum ersten kaiserlichen Verzeichnis verbotener Bücher. Schließlich wird 1564 eine päpstliche Indexliste verbotener Bücher auf dem Konzil von Trient veröffentlicht. Eine vorerst letztmalige Verschärfung erfahren die Vorschriften zum Drucken auf dem Reichtag zu Speyer 1570. Fortan dürfen Druckereien nur noch in Reichs-, Residenz- und Universitätsstädten betrieben werden. Diese kontinuierlich verschärften Restriktionen gegen Druckschriften werden in der Literatur auf die nur unzureichenden Möglichkeiten zur Durchsetzung der Zensur zurückgeführt.[13]

Die erstarkten und selbständigen Landesfürsten wollen auf das blühende und gewinnbringende Druckergewerbe nicht verzichten. Daher scheitert der Versuch der Errichtung einer zentralen Oberzensurbehörde in Frankfurt am Main 1608 und die Zuständigkeit der Zensur liegt klar bei den regionalen Territorialgewalten. Die vorhandenen Zensureinrichtungen werden somit Organe in der Hand der Landesfürsten und vielfach herrscht dort Willkür vor, denn durch das Druckhandwerk sollen vor allem die Einnahmen des Fürsten gemehrt werden.[14] Die Drucker und Buchhändler sind die ersten, die der formelle Übergang der Zensur an weltliche Instanzen betrifft. Die Erlaubnis Bücher herzustellen wird als Privileg vergeben, an das der Fürst ihm genehme Bedingungen knüpft.[15]

Während die Aufsicht über das Pressewesen rechtlich als kaiserliches Regal gilt, ähnlich dem Post- oder Münzregal, wird die politische Rechtmäßigkeit der Kontrolle durch den Herrscher durch seine Allzuständigkeit gerechtfertigt. Im Zeitalter des Absolutismus ist der Wille des Fürsten die höchste Instanz, die Rechtfertigung der Zensur liegt somit in der Logik der Rechtfertigung des absolutistischen Staates. Demnach obliegt es dem Fürsten zu bestimmen, wer, wann, und unter welchen Bedingungen Bücher herausgibt und welche Druckwerke verboten werden.[16] Der absolutistische Herrscher beansprucht ein Exklusivrecht auf Entscheidungen, die er aus eigener Machtvollkommenheit trifft. Der politische Raum wird vom Hof gegenüber der Öffentlichkeit abgeschirmt, jegliche Einmischung wird als ungebührlich empfunden.[17]

Als die ersten Zeitungen aufkommen, ist das Kontrollsystem der Zensur bereits weit entwickelt. Vom Ende des 15. bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts entstehen vor allem Einblattdrucke und Flugschriften oder Flugblätter. Die ersten periodischen Druckwerke sind Messrelationen, also Chroniken, die nach den Herbst- und Frühjahrsmessen erscheinen. Als erste periodische Zeitungen gelten der „Aviso“ aus Wolfenbüttel und die „Relation“ aus Straßburg, die 1609 beide wöchentlich erscheinen. Trotz der strengen Zensurmaßnahmen entwickelt sich die periodische Presse im deutschsprachigen Raum sehr rasch, so gibt es Ende des 17. Jahrhunderts bereits etwa 70 Zeitungen. Die Gründe für die rasche Ausbreitung sind in der territorialen Zersplitterung und der konfessionellen Spaltung, die eine einheitliche Zensur verhindern, zu sehen. Zudem begünstigt die geographische Lage der deutschen Länder im Schnittpunkt verschiedener Postlinien die Entwicklung einer periodischen Presse wegen der guten Verbreitungsmöglichkeiten. Von besonderer Bedeutung für die Zensur ist, dass sich Zeitungen ohnehin auf den Abdruck von Nachrichten zu beschränken haben und Meinungsbeiträge nicht zugelassen sind.[18] Konflikte mit dem vom Hof beanspruchten Monopol auf die Öffentlichkeit sind so leichter zu vermeiden.

2.2 Kampf um die Pressefreiheit

Mit der Institution der Zensur besteht schon seit langem ein die Verbreitung von Meinungen verhindernder Begriff, für die freie und ungehinderte Verbreitung von Meinungen dagegen nicht. Der Begriff der Meinungs- und Pressefreiheit muss erst gefunden werden, wobei die Aufklärung und später dann insbesondere die französische Revolution erste Anstöße für den deutschen Raum bringen.[19]

Die Anfänge des Kampfes um Pressefreiheit in Deutschland können daher auf das 18. Jahrhundert zurückgeführt werden, in dem die geistesgeschichtliche Epoche der Aufklärung ihren Höhepunkt erreicht. Die Idee der Aufklärung beinhaltet vor allem die Überzeugung, dass die Glaubens-, Gewissens-, und Meinungsfreiheit überstaatliche Menschenrechte sind.[20] Darüber hinaus wird das Kriterium der Vernunft zum Maß der Beurteilung über die Ausübung und Organisation der Herrschaftsgewalt. Der rational begründeten Herrschaftsorganisation „Staat“ wird die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft gegenübergestellt. Hinzu kommen noch Veränderungen aus dem wirtschaftlichen Bereich. Zum einen dehnt das aufstrebende Bürgertum die Warenproduktion und den Warenverkehr beachtlich aus; zum anderen entdeckt aber auch der Staat die Wirtschaft mit dem Merkantilismus neu und sucht sie für seine Zwecke zu nutzen, um sein Geldbedürfnis zu stillen.[21] Dem Bürgertum, das zu wirtschaftlichem Wohlstand und damit zu erheblichem gesellschaftlichen Einfluss gelangt ist, steht jedoch weiterhin keine Möglichkeiten der politischen Teilhabe zu. Es kämpft daher um demokratische Mitspracherechte an der Regierung des Landes. Als wichtigstes Instrument zur Anerkennung der Menschenrechte und zur Durchsetzung politischer Mitbestimmung gilt das Recht der Pressefreiheit, da es als stärkstes politisches Grundrecht allen anderen Freiheitsrechten, wie der Glaubens-, Gewissens-, und Meinungsfreiheit, Schutz und Hilfe zu gewähren vermag.[22]

2.2.1 Internationale Vorläufer der Pressefreiheit

2.2.1.1 England

Der Kampf um die Pressefreiheit setzt in England fast ein ganzes Jahrhundert früher ein als im übrigen Europa. Tiefgreifende religiöse und geistige Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Puritanischen Revolution sind die Ursachen dieser Entwicklung.

Dabei ist in der Auseinandersetzung um die Pressefreiheit die „Areopagitica“ John Miltons von 1644, die eine fiktive Rede an das englische Parlament darstellt, besonders bedeutend. Sie gilt als die erste große Verteidigung der Pressefreiheit, da sie diese als erste Schrift ganz in ihren Mittelpunkt stellt. Milton behauptet, dass die Zensur historisch gesehen etwas Neues sei, denn jedes Volk und jeder gut eingerichtete Staat habe seit der Antike Toleranz geübt und keine Zensur angewandt. Als Erfinder der Zensur macht er den Papst und die Inquisition der katholischen Kirche aus, mit der das puritanische England in Konflikt steht.[23] Die Zensur sei eine Herabsetzung der ganzen Nation und daher völlig unvereinbar mit der Würde des Denkens und dem Streben nach Wahrheit. Das Recht der Pressefreiheit sei Grundlage aller politischen und religiösen Freiheiten.[24]

Doch England ist dem Festland auch in anderer Hinsicht in der Entwicklung weit voraus. Die wirtschaftliche Entwicklung und der damit verbundene Aufstieg des Bürgertums setzt dort bereits im 17. Jahrhundert und damit weitaus früher ein als auf dem europäischen Festland. Darüber hinaus herrscht im damaligen England politisch nicht das absolutistische System vor, denn zwischen dem Monarchen und dem Parlament als Ständevertretung gibt es eine Machtbalance.[25] Bereits 1641, mit dem Beginn der puritanischen Revolution, gibt es eine Verlagerung der Macht von der Krone auf das Parlament. Nach einer damit verbundenen kurzzeitigen Lockerung der Zensur beschließt das Parlament allerdings schon 1647 mit dem „Licensing Act“ und 1649 mit dem „Printing Act“ die Wiedereinführung der Pressekontrolle.[26]

Die politische Landschaft Englands erfährt durch die „Glorious Revolution“ von 1688 entscheidende Veränderungen. Eine Gruppe von Parlamentarien fordert den Protestanten Wilhelm von Oranien auf, in England mit seinen Truppen zu landen um den Katholiken King James II vom Thron zu stürzen. Da sich die Truppen James II ergeben, führt die Landung Wilhelms von Oranien in England zu einer unblutigen Revolution. Das Parlament ist nun in seiner Position gegenüber dem König noch stärker als zuvor und bereits ein Jahr später, 1689, ergeht eine „Bill of rights“. Danach hat das Parlament unter anderem Einfluss auf die Gesetzgebung, das Budgetrecht, das Militär und das uneingeschränkte Recht zur freien Rede im Parlament.[27] Allein das Parlament ist ab 1688 oberste Kontrollinstanz der Presse. Durch seinen Verzicht auf die Verlängerung des im Jahr 1695 ablaufenden „Printing Act“ wird in England Pressefreiheit erstmals praktisch hergestellt.[28]

Die Zulassung von Meinungsfreiheit und Pressefreiheit bedarf jedoch zweier geistiger Vorraussetzungen als Grundlagen politischer Freiheit, die im kontinentalen Europa erst im 18. Jahrhundert gegeben sind: die Vorstellung einer eigenen Gedankenwelt des Einzelnen ist erst nach dem Zurücktreten des geschlossenen religiösen Dogmas und dem Durchdringen einer neuen wissenschaftlich geprägten Denkform möglich, die an die Stelle des Vertrauens den Besitz und das Streben nach Wahrheit setzt, denn erst dies ermöglicht eine kritische Diskussion. Zum anderen gehört dazu jene Vorstellung, die sich im 17. Jahrhundert bereits in England herausbildet und nach der eine Opposition eine legale und im politischen Wettbewerb durchaus nützliche Erscheinung sein kann.[29]

2.2.1.2 Vereinigte Staaten von Amerika

Das englische Vorbild bleibt auch in den Kolonien in der Neuen Welt nicht unberücksichtigt. Die erste Verfassung eines amerikanischen Bundesstaates nach der Absagung der amerikanischen Kolonien von England, die „Bill of rights of Virginia“ von 1776, gilt als Vorbild für die Verfassungen der anderen Bundesstaaten und auch für die der Vereinigten Staaten selbst. Die “Bill of rights of Virginia” bekennt sich dabei zu den unveräußerlichen Menschenrechten und erklärt: „...that all men are by nature equally free and independent, and have certain inherent rights,...“[30]. Zudem ist sie die erste Verfassung, die die Freiheit der Presse ausdrücklich anerkennt: „…that the freedom of press is one of the great bulwarks of liberty, and can never be restrained but by despotic governments.”[31] Damit wird bereits auf einen engen Zusammenhang zwischen einer freien Presse und einem freiheitlichen Staatswesen verwiesen. Mit dem ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung von 1791 wird die Religions-, Rede- und Pressefreiheit unter den Verfassungsschutz gestellt und jegliche Gesetzgebung, die die Pressefreiheit einschränkt, untersagt: „ Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.“[32]

Die dadurch garantierte Rede- und Pressefreiheit gehört somit zu den fundamentalen Bestandteilen einer funktionierenden Demokratie und ihre Einschränkung unterliegt einer strengen Überprüfung.[33]

2.2.1.3 Frankreich

Das „ancien régime“ vor der Revolution von 1789 ist durch die absolute Machtstellung des Königs geprägt, Grundrechte und die Pressefreiheit existieren nicht, bis zuletzt bleibt das Regime pressefeindlich eingestellt. Jede Druckerei kann nur mit Genehmigung des Königs betrieben werden und alle Schriften und Bücher müssen vor ihrer Veröffentlichung durch eine vom König eingesetzte Zensurkommission überprüft und zugelassen werden.[34]

Mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte gilt die französische Revolution daher auch als Ursprung der Pressefreiheit in Frankreich. Die Erklärung der Rechte umfasst 17 Artikel, die die Grundrechte in ihren Mittelpunkt stellen. Artikel 10 und 11 verkünden die Meinungs-und Pressefreiheit:

Artikel 10: " Nul ne doit être inquiété pour ses opinions, même religieuses, pourvu que leur manifestation ne trouble pas, l`ordre public établi par la loi."

Artikel 11: " La libre communication d`une pensée et d`une opinion est un des droits les plus précieux de l`homme; tout citoyen peut donc parler, écrire, imprimer, sauf à répondre de l`abus de cette liberté, dans les cas déterminés par la loi."[35]

Während der Artikel 10 die Meinungsfreiheit garantiert, befasst sich Art. 11 mit der Pressefreiheit, die das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift, Bild und Druck äußern und verbreiten zu können, absichert. Darüber hinaus genießt die Pressefreiheit einen besonderen Schutz vor Eingriffen des Staates, um Maßnahmen, die gegen die Presse gerichtet sind, wie Zensur, Sondersteueren, Kautionen und weitere Einschränkungen zu verhindern.

Allerdings können sich diese Freiheitsgarantien in der Praxis nicht dauerhaft durchsetzen, denn eine Spezialgesetzgebung schränkt die Pressefreiheit schon bald bis zur Bedeutungslosigkeit ein. Mit dem ersten Kaiserreich unter Napoleon werden schließlich Zensur und weitere Einschränkungen wie die Sonderbesteuerung oder die Kaution wieder ganz offiziell eingeführt.[36]

2.2.2 Der Kampf um die Pressefreiheit in Deutschland

2.2.2.1 Unter Napoleon

Das deutsche Zensursystem hat im wesentlichen Bestand bis zum Untergang des deutschen Reiches durch den Einmarsch der napoleonischen Truppen 1806.[37]

Napoleon nutzt die Presse für seine politischen Ziele, da sich die Massenwirkung von Zeitungen und Flugblättern in der französischen Revolution bereits bewährt hat. Seine Truppen führen sogar eine eigene Felddruckerei mit sich, um Heereszeitungen zu erstellen. In Deutschland braucht er das bereits errichtete Zensursystem nur umzugestalten, um die Presse in seinem Sinne zu lenken[38]: die Zahl der erscheinenden Zeitungen wird stark begrenzt und jedem Eigentümer einer Zeitung wird ein Zensor zur Seite gestellt, der allein für die Herausgabe verantwortlich ist. Der in Paris erscheinende „ Moniteur officiel“, in dem Napoleon selbst die wichtigsten Artikel schreibt, dient der Presse als Leitmedium. Die deutschen Zeitungen dürfen nur politische Nachrichten veröffentlichen, die bereits im „Moniteur officiel“ erschienen sind.[39] Eine starke Abneigung gegen Napoleon ist daher der Presse und den deutschen Fürsten gemeinsam, denn sie haben den gleichen Gegner.[40] Die Presse wird zum Instrument des Widerstandes gegen die napoleonische Herrschaft, denn durch sie kann sich der Protest artikulieren und formieren. Die folgenden Befreiungskriege von 1813 bis 1815 gegen Napoleon werden vom ganzen Volk getragen, das als Gegenleistung auch Zugeständnisse von den Fürsten wie die Meinungs- und Pressefreiheit erwartet.[41]

2.2.2.2 Deutscher Bund

Auf dem Wiener Kongress wird der „Deutsche Bund“ gegründet, der sich eine Bundesverfassung gibt, die in der Bundesakte niedergelegt ist. Darin heißt es in Artikel 18 „ Die verbündeten Fürsten und freien Städte kommen überein, den Untertanen der deutschen Bundesstaaten folgende Rechte zuzusichern: .. d) Die Bundesversammlung wird sich bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit und die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen.“[42] Gestützt auf dieses Versprechen in der Bundesakte kommt es in Deutschland zu einer breiten Diskussion um die Pressefreiheit, da man noch glaubt, als Reaktion auf die nationale Erhebung einen weitgehenden Anspruch an politischer Mitbestimmung durchsetzen zu können.[43] Doch es setzt sich eine gegenteilige Entwicklung durch, denn als einflussreichste Mitglieder des Deutschen Bundes sind sich Preußen und Österreich darin einig freiheitliche und liberale Bestrebungen mit Nachdruck zu verhindern. Mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 wird wieder eine verschärfte Zensur eingeführt, zu deren Durchführung sich die Bundesstaaten verpflichten.[44] Die Karlsbader Beschlüsse bestehen aus insgesamt vier Gesetzen, einem Universitäts-, einem Presse-, und Untersuchungsgesetz, sowie einer vorläufigen Exekutionsordnung. Das Pressegesetz schreibt die Vorzensur für alle Schriften und sämtliche Periodika unter 20 Seiten verbindlich vor. Die Zensur soll jeder Staat in eigener Regie durchführen, aber er ist dabei dem Bund gegenüber verantwortlich, der sich damit ein Eingriffsrecht vorbehält. Das Erscheinen von Zeitungen kann ohne die Möglichkeit der Berufung untersagt werden und Redakteure können mit einem Berufsverbot von bis zu fünf Jahren belangt werden. Als zentrale Schutzobjekte des Karlsbader Pressegesetzes werden die Erhaltung des Friedens und der Ruhe in Deutschland, die Sicherheit der einzelnen Bundesstaaten und die Würde des Bundes genannt. Das Gesetz wird zunächst auf fünf Jahre befristet, doch als die Frist fast abgelaufen ist, entscheidet man sich, das Gesetz weiterhin in Kraft zu lassen, bis es zur Vereinbarung eines definitiven Pressegesetzes kommt. Damit wird das ursprüngliche Provisorium zur Dauerlösung. Wenn sich einzelne Bundesstaaten, wie etwa Baden 1832, anschicken, ein liberales Pressegesetz zu erlassen und die Zensur aufzuheben, schreitet der Bund ein und bringt es zu Fall. Die deutsche Presse unterliegt damit vollends der Zensur.[45]

2.2.2.3 Revolution von 1848

Infolge der Pariser Februar-Revolution von 1848, kommt es im März auch in vielen deutschen Städten zu Aufständen. Die beiden Hauptforderungen der Aufständischen, eine Volksvertretung und Pressefreiheit, werden von den deutschen Regierungen nun endlich bewilligt. In die Paulskirche nach Frankfurt am Main wird mit der Nationalversammlung ein verfassungsgebendes Parlament einberufen. Es erstellt erstmals für Deutschland einen Grundrechtskatalog, der in Artikel 4 die Pressefreiheit garantiert und im folgenden Wortlaut Eingang in die Reichsverfassung von 1849 findet[46]:

„(1) Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern.
(2) Die Pressefreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich Zensur, Konzession, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden.
(3) Über Preßvergehen, welche von amtswegen verfolgt werden, wird durch Schwurgerichte geurteilt.
(4) Ein Preßgesetz wird vom Reiche erlassen werden.“[47]

Obwohl die Reichsverfassung von 1849 nie in Kraft tritt, da die liberale Bewegung scheitert, ist die Zensur offiziell abgeschafft. Zusammen mit der Verfassungsform der konstitutionellen Erbmonarchie bleibt die Pressefreiheit, als eine Freiheit von Zensur, eine Errungenschaft des Jahres 1848.

Da eine direkte Kontrolle der Presse mittels der Vorzensur nun nicht mehr möglich scheint, versucht die Regierung indirekt Einfluss auf sie zu nehmen. Mit dem Erlass eines Bundes- Preßgesetzes werden 1854 etliche administrative Kontrollmaßnahmen eingeführt. Für das Pressegewerbe wird eine Konzessions- und Kautionspflicht eingeführt, außerdem werden verschärfte Strafbestimmungen für die Presse geschaffen. Drucklegung und Vertrieb aller Periodika sind von der widerrufbaren Genehmigung der Verwaltungsbehörde abhängig und für die politische Presse herrscht Impressumszwang. Einige süddeutsche Länder, wie Bayern und Württemberg, entscheiden sich jedoch davon abweichend für pressefreundlichere Regelungen und verzichten auf den Kautionszwang.[48]

2.2.2.4 Kaiserreich

Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 entsteht das deutsche Kaiserreich. Der erste gewählte Reichstag setzt sich für eine Vereinheitlichung des deutschen Presserechts an Stelle der 27 verschiedenen Landesregelungen ein, denn nach der neuen Reichsverfassung von 1871 fallen die Bestimmungen über die Presse in den Kompetenzbereich der Reichsgesetzgebung. Zunächst startet der Reichstag zwei Versuche, ein liberaleres Presserecht zu schaffen, insbesondere den Konzessions- und Kautionszwang zu beseitigen, doch beide Male scheitern die Vorstöße des Reichstags an Bismarck. Am 1.7.1874 tritt schließlich ein neues Reichspreßgesetz in Kraft, ein vereinbarter Kompromiss zwischen den eher liberalen Vorstellungen des Reichstages und dem Willen der Regierungen. Einige Punkte, wie z.b. das politische Plakat, bleiben weiterhin den landesgesetzlichen Regelungen vorbehalten, doch die Zensur, der Kautions- und der Konzessionszwang, sowie die Sonderbesteuerung der Presse sind beseitigt.[49] Allerdings hat das Reichspreßgesetz keinen Verfassungsrang, so dass der Reichsgesetzgeber mit einfacher gesetzlicher Regelung jederzeit die Pressefreiheit einschränken und aufheben kann. Genau dies geschieht unter Bismarck während des sogenannten „Kulturkampfes“ gegen die katholische Kirche von 1872 bis 1880 und im Rahmen der Sozialistengesetzgebung ab 1878.[50] Die Pressefreiheit existiert für Katholiken und Sozialdemokraten zu dieser Zeit praktisch nicht.

In den Jahren bis zum ersten Weltkrieg steigt die Presse zu einer politischen und wirtschaftlichen Großmacht auf; sie wird zum Motor und Sprachrohr der öffentlichen Meinung. Doch mit dem Beginn des ersten Weltkrieges und dem damit ausgerufenen Kriegsrecht wird die Presse der Zensur des Kriegspresseamtes unterworfen und ihre Freiheit findet ihr vorläufiges Ende.[51]

2.2.2.5 Weimarer Republik

Die Weimarer Verfassung garantiert erstmals ein verfassungsrechtlich verankertes Grundrecht der Deutschen auf freie Meinungsäußerung:

Nach Artikel 118 der Weimarer Reichsverfassung hat jeder Deutsche das Recht, „...innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. An diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht.

(2) Eine Zensur findet nicht statt, doch können für Lichtspiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden. Auch sind zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zulässig.“[52]

Die freie Meinungsäußerung ist innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze garantiert, damit sind Sondergesetze gegen die Presse nicht zulässig. Problematisch erscheint allerdings, dass sich der Verfassungsschutz nach Artikel 118 der Weimarer Reichsverfassung nur auf die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Druck, also die materielle Pressefreiheit bezieht, während die formelle Pressefreiheit keine verfassungsrechtliche Sicherung erlangt.[53] Kurt Häntzschel merkt an, dass die Pressefreiheit erst ausreichend geschützt sei, „ wenn nicht nur die Meinungsfreiheit durch den Druck, sondern die Preßfreiheit schlechthin, d.h. das Recht, Preßerzeugnisse jeder Art herzustellen und zu verbreiten, gewährleistet ist.“[54]

Ein grundlegendes Problem der Weimarer Reichsverfassung ist der Artikel 48, der ein Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten vorsieht. In den Jahren 1931 bis 1933 werden zahlreiche solcher Notverordnungen erlassen, die die Pressefreiheit einschränken, so unter anderem ein erweitertes Beschlagnahmerecht, die Verbotsmöglichkeit für Druckwerke und die Wiedereinführung der Zensur für Flugblätter und Plakate.

2.2.2.6 Nationalsozialismus

Kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten findet die Pressefreiheit ein jähes Ende. Der Reichstagsbrand am 28.2.1933 wird zum Vorwand für den Erlass der „Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat“, durch welche entscheidende Grundrechte, insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit außer Kraft gesetzt werden. Während die kommunistische und sozialdemokratische Presse entschädigungslos enteignet werden, wird die bürgerliche Presse der völligen Kontrolle durch die nationalsozialistischen Machthaber unterworfen. Mit dem Reichskulturkammergesetz von 22.9.1933 wird den in der Presse Tätigen eine Zwangsmitgliedschaft in der Pressekammer, einer staatlich gelenkten berufsständischen Organisation, verordnet.[55] Endscheidend für die völlige Kontrolle der Presse ist auch das am 4.10.1933 erlassene Schriftleitergesetz, das die Freiheit des Berufszuganges abschafft und die Ausübung des Berufes des Schriftleiters nur demjenigen zugesteht, der auch in eine Berufsliste eingetragen ist. In die Berufsliste wird jedoch nur aufgenommen, wer eine einjährige Ausbildung absolviert hat, arischer Abstammung und politisch zuverlässig im Sinne der Nationalsozialisten ist. Das Schriftleitergesetz macht die Redakteure zu Trägern einer öffentlichen Aufgabe und verleiht ihnen einen beamtenähnlichen Status. Für den Nationalsozialismus ist die Presse ein Instrument der Propaganda und dient als Mittel der Staatsführung. Zum Zentrum der Presselenkung im nationalsozialistischen Staat wird das am 13.3.1933 geschaffene Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda.[56]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges führen die Alliierten in Deutschland ein Lizenzsystem für Presseerzeugnisse ein. Nur wer von den alliierten Mächten eine Lizenz bekommt, hat das Recht Zeitungen und Zeitschriften zu veröffentlichen.

Erst 1949 endet dieses Lizenzierungssystem in Westdeutschland und die Ordnung des Pressewesens obliegt dort nun wieder dem deutschen Gesetzgeber. Dabei erfährt die Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland durch ihre verfassungsrechtliche Garantie in Artikel 5 Grundgesetz eine entscheidende Absicherung.

Die Presse auf dem Gebiet der DDR bleibt dagegen einem Lizenzsystem unterworfen, nach dem der Vertrieb von Presseerzeugnissen der vorherigen staatlichen Erlaubnis bedarf; Pressefreiheit kann sich in Ostdeutschland erst nach der Öffnung der Staatsgrenzen und dem Zusammenbruch des Staatsapparates der DDR 1989 durchsetzen.[57]

[...]


[1] BVerfGE 20, 174

[2] Vgl.: 100 Fotos für die Pressefreiheit, http://www.rog.at/fotoausstellung/100fotos.html am: 22.6.2000

[3] Vgl.: Wilke, Jürgen/ Noelle- Neumann, Elisabeth: Pressegeschichte. In: Noelle-Neumann, Elisabeth/ Schulz, Winfried/ Wilke, Jürgen (Hrsg.): Das Fischer Lexikon, Publizistik, Massenkommunikation. Frankfurt am Main 1995, S. 417-452. S. 419

[4] Vgl.: Löffler, Martin/ Ricker, Reinhart: Handbuch des Presserechts. München 1994. S. 23

[5] Vgl.: Löffler, Martin: Presserecht, Kommentar, Band I, Allgemeine Grundlagen, Verfassungs- und Bundesrecht. München 1969. S. 34

[6] Vgl.: Löffler, Martin/ Ricker, Reinhart 1994. S.23

[7] Vgl.: Löffler, Martin 1969. S. 35

[8] Vgl.: Schneider, Franz: Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848. Neuwied/Berlin 1966. S. 17f

[9] Schneider, Franz 1966. S. 18

[10] Vgl.: ebd. S. 25f

[11] Vgl.: Stammler, Dieter: Die Presse als soziale und verfassungsrechtliche Institution, Eine Untersuchung zur Pressefreiheit nach dem Bonner Grundgesetz. Berlin 1971. S. 84

[12] Vgl.: Schneider, Franz 1966. S. 30ff

[13] Vgl.: Wilke, Jürgen/ Noelle- Neumann, Elisabeth 1995. S. 424

[14] Vgl.: Löffler, Martin 1969. S. 37

[15] Vgl.: Schneider, Franz 1966. S. 41f

[16] Vgl.: Wilke, Jürgen: Leitideen der Begründung der Pressefreiheit. In: Publizistik 28 (1983). S. 512-524. S. 513

[17] Vgl.: Schneider, Franz 1966. S. 56ff

[18] Vgl.: Wilke, Jürgen/ Noelle- Neumann, Elisabeth 1995. S. 421ff

[19] Vgl.: Rhode, Franz: Die Nachzensur in Art. 5 Abs.1 Satz 3 GG. Ein Beitrag zu einem einheitlichen Zensurverbot. Kiel 1996. S. 16f

[20] Vgl.: Löffler, Martin 1969. S. 40

[21] Vgl.: Stammler, Dieter 1971. S. 86f

[22] Vgl.: Löffler, Martin/ Ricker, Reinhart 1994. S. 24

[23] Vgl.: Wilke, Jürgen 1983. S. 513f

[24] Vgl.: Thiele, Willi: Pressefreiheit. Theorie und Wirklichkeit. Berlin 1964. S. 8f

[25] Vgl.: Stammler, Dieter 1971. S. 88

[26] Vgl.: Wilke, Jürgen: Pressefreiheit. Darmstadt 1984. S. 5ff

[27] Vgl.: Birch, Anthony H.: The British system of government. London/ New York 1998. S.28

[28] Vgl.: Wilke, Jürgen/ Noelle- Neumann, Elisabeth 1995. S. 431

[29] Vgl.: Scheuner, Ulrich: Pressefreiheit. In: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 22. Berlin 1965 S. 1-100. S.3ff

[30] zitiert in: Schnur, Roman (Hrsg): Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte. Darmstadt 1964. S. 20

[31] zitiert in: ebd. S. 24

[32] Currie, David P.: Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika. Frankfurt 1988. S. 91

[33] Vgl.: ebd. S. 62

[34] Vgl:: Hiller, Armin: Das französische Presserecht, ein Beitrag zur Problematik der Pressefreiheit. o.O. 1967. S. 49

[35] zitiert in:. ebd. S. 30

[36] Vgl: ebd. S. 31ff

[37] Vgl.: Wilke, Jürgen 1984. S. 5

[38] Vgl.: Schneider, Franz 1966. S. 173f

[39] Vgl.: Löffler, Martin 1969. S. 42

[40] Vgl.: Schneider, Franz 1966 . S. 185f

[41] Vgl.: Löffler, Martin 1969. S. 43

[42] zitiert in: Schneider, Franz 1966. S. 215

[43] Vgl.: Wilke, Jürgen 1983. S. 520

[44] Vgl.: Löffler, Martin 1969 ebd.

[45] Vgl.: Schneider, Franz 1966. S. 252ff

[46] Vgl.: Löffler, Martin 1969. S. 44f

[47] zitiert in: ebd. S. 45

[48] Vgl.: ebd

[49] Vgl.: ebd. S. 46f

[50] Vgl.: Löffler, Martin/ Ricker, Reinhart 1994. S. 26

[51] Vgl.: Löffler, Martin 1969. S. 48f

[52] zitiert in: Löffler, Martin 1969. S. 49

[53] Vgl.: ebd. S. 49ff

[54] zitiert in: Wilke, Jürgen 1983. S. 521

[55] Vgl.: Löffler, Martin 1969. S. 50f

[56] Vgl.: Wilke, Jürgen/ Noelle- Neumann, Elisabeth 1995. S.441ff

[57] Vgl.: Löffler, Martin / Ricker, Reinhart 1994. S. 28f

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Die Wirkweisen der Pressefreiheit
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Publizistik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
106
Katalognummer
V150
ISBN (eBook)
9783638101097
ISBN (Buch)
9783638636681
Dateigröße
719 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pressefreiheit, Recht der Pressefreiheit, Art.5 GG
Arbeit zitieren
Miriam Nathalie Lange (Autor:in), 2000, Die Wirkweisen der Pressefreiheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150

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