„Alles was wir sind, sind wir in Kommunikation.“ Dieser Satz des deutschen Philosophen Karl Jaspers (zit. nach Fröhlich 1998, 22) markiert den Stellenwert, den die menschliche Kommunikationsfähigkeit im allgemeinen und die gesprochene Sprache im besonderen innerhalb der individuellen Lebensgeschichte jedes Einzelnen, aber auch in der Gesellschaft und generell in der menschlichen Zivilisationshistorie einnimmt. Auch Ausdrücke wie „Informations- oder Kommunikationsgesellschaft“ (Retter 2002, 10) belegen die außerordentliche Bedeutung und das global Konstituierende dieses Prozesses.
Der universelle Anspruch der Kommunikation resultiert aus der Tatsache, dass sowohl unsere persönliche Entwicklungsgeschichte wie auch unser gegenwärtiges Sein in hohem Maße durch soziale Erfahrungen und interpersonale Austauschprozesse bestimmt sind.
Die Charakterisierung des Menschen als „physiologische Frühgeburt“ (Portmann 1969, 58) weist beispielsweise auf die ausgeprägte Abhängigkeit von Bezugspersonen in der frühen Lebensphase hin.
Sozialisation und Erziehung als typisch menschliche Institutionen sind Ausdruck der gegenseitigen Interdependenz und können als solche wiederum nur vor dem Hintergrund kommunikativer Prozesse ablaufen. Denn eine humanitäre und dem demokratischen Menschenbild entsprechende Erziehung kann sich niemals durch aktives Tun auf der einen Seite und passives Erleiden auf der anderen auszeichnen, sondern geschieht auf der Basis gemeinsamer Verständigung, eines steten Aushandelns, der Arbeit an einer ‚gemeinsamen Daseinsgestaltung’. Sie ist ein ‚gegenseitiger Wandlungs- und Gestaltungsprozess’, der sich in ‚kreisförmigen interaktionalen Austauschprozessen’ vollzieht, an denen Erzieher und zu Erziehender gleichermaßen beteiligt sind (vgl. Kobi 2004, 73ff).
Inhalt
1 Einleitung
2 Begriffsbestimmung: Was versteht man unter Kommunikation bzw. Interaktion?
2.1 Alltagsverständnis von Kommunikation und damit verbundene Probleme
2.2 Der Ansatz Watzlawicks
2.2.1 Begriffliche und wissenschaftstheoretische Grundlagen
2.2.2 Watzlawicks Verständnis von Kommunikation
2.3 Der handlungstheoretische Ansatz
2.4 Der Ansatz von Niklas Luhmann
2.4.1 Begriffliche und wissenschaftstheoretische Grundlagen
2.4.2 Kommunikation kommuniziert: Die Sichtweise der Systemtheorie
2.5 Syntheseversuch
2.5.1 Die Voraussetzungslosigkeit von Kommunikation
2.5.2 Fazit
3 Differenzierter Blick auf die systemtheoretische Sichtweise
3.1 Die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation
3.2 Medien
3.2.1 Medium Sprache
3.2.2 Medium Sinn
3.3 Struktur und Erwartung
3.3.1 Erwartungsaggregationen
3.3.2 Erwartungsunsicherheit
3.3.3 Entwicklung von Erwartungen und Normen
3.4 Themen
3.5 Interpenetration durch Synchronisation
3.6 Inklusion/Exklusion
3.7 Beobachtung
3.8 Zusammenfassung
3.9 Kritische Würdigung
4 Fachspezifische Erweiterungen und Ergänzungen systemtheoretischer Denkansätze
4.1 Belastungen der Interaktion im Kontext geistige Behinderung im Hinblick auf systemtheoretische Gesichtspunkte
4.2 Zu den Problemfeldern
4.2.1 Zur prinzipiellen Selbstreferenz
4.2.2 Zu den Medien
4.2.3 Probleme der Synchronisation
4.2.4 Zur Entwicklung
4.2.4.1 Grundlagen und Voraussetzungen
4.2.4.2 Stufen der kommunikativen Entwicklung
4.2.4.3 Bedeutung der frühen Interaktion
4.2.4.4 Merkmale und Elemente des frühen Dialogs
4.2.4.5 Prodromale Fähigkeiten
4.2.4.6 Individuelle Unterschiede und Besonderheiten
4.2.4.6.1 Sozial-kommunikative Unterschiede
4.2.4.6.2 Auswirkungen verschiedener (körperlicher) Einschränkungen
4.2.4.6.3 Einfluss von Schwierigkeiten in der Wahrnehmung
4.2.4.7 Fazit
4.3 Behinderung als Phänomen gestörter struktureller Kopplung
4.4 Der Einfluss der sozialen Adresse
4.5 Zwischenresümee: Agenda pädagogische Interaktion
5 Interaktionsanalyse - Weg zum gegenseitigen Verstehen
5.1 Bedeutung des Verstehens
5.2 Grundsätzliches zur diagnostischen Beobachtung
5.3 Möglichkeiten der Interaktionsbeobachtung
5.4 Die Interaktionsanalyse als diagnostisches Handwerkszeug
5.4.1 Videotechnik als Forschunginstrumentarium
5.4.2 Allgemeine Fragen der Analyse
5.4.3 Grenzen
5.5 Forschungsgeschichtliche Entwicklung der Lehrer-Schüler Interaktion
5.5.1 Führungsstilforschung nach Lewin bzw. Tausch
5.5.2 Kausalattribuierung
5.5.3 Komplexe Ideen der Lehrer-Schüler Interaktion
6 Ausblick: Förderliches Verhalten der Bezugspersonen
7 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
„Alles was wir sind, sind wir in Kommunikation.“ Dieser Satz des deutschen Philosophen Karl Jaspers (zit. nach Fröhlich 1998, 22) markiert den Stellenwert, den die menschliche Kommunikationsfähigkeit im allgemeinen und die gesprochene Sprache im besonderen innerhalb der individuellen Lebensgeschichte jedes Einzelnen, aber auch in der Gesellschaft und generell in der menschlichen Zivilisationshistorie einnimmt. Auch Ausdrücke wie „Informations- oder Kommunikationsgesellschaft“ (Retter 2002, 10) belegen die außerordentliche Bedeutung und das global Konstituierende dieses Prozesses.
Der universelle Anspruch der Kommunikation resultiert aus der Tatsache, dass sowohl unsere persönliche Entwicklungsgeschichte wie auch unser gegenwärtiges Sein in hohem Maße durch soziale Erfahrungen und interpersonale Austauschprozesse bestimmt sind. Die Charakterisierung des Menschen als „physiologische Frühgeburt“ (Portmann 1969, 58) weist beispielsweise auf die ausgeprägte Abhängigkeit von Bezugspersonen in der frühen Lebensphase hin.
Sozialisation und Erziehung als typisch menschliche Institutionen sind Ausdruck der gegenseitigen Interdependenz und können als solche wiederum nur vor dem Hintergrund kommunikativer Prozesse ablaufen. Denn eine humanitäre und dem demokratischen Menschenbild entsprechende Erziehung kann sich niemals durch aktives Tun auf der einen Seite und passives Erleiden auf der anderen auszeichnen, sondern geschieht auf der Basis gemeinsamer Verständigung, eines steten Aushandelns, der Arbeit an einer gemeinsamen Daseinsgestaltung’. Sie ist ein gegenseitiger Wandlungs- und Gestaltungsprozess’, der sich in ,kreisförmigen interaktionalen Austauschprozessen’ vollzieht, an denen Erzieher und zu Erziehender gleichermaßen beteiligt sind (vgl. Kobi 2004, 73ff). Eine positive Beziehung ist also gleichermaßen Voraussetzung wie Prozessmerkmal erfolgreicher Erziehung (vgl. Fornefeld 1989, 60), wobei die Güte der Beziehung in direktem Verhältnis zu kommunikativen und interaktionalen Vorgängen zwischen den Beteiligten steht. „Pädagogische Intentionen können nicht einfach umgesetzt werden, sondern sie müssen durch soziales Handeln bzw. Kommunikation vermittelt werden“ (Lindemann 2006, 67). Be- und Erziehung sind als soziales Handeln also ohne sozial-kommunikativen Austausch nicht denkbar.
Die große Bedeutsamkeit der Kommunikation besteht jedoch nicht nur im Zusammenhang von Erziehungs- und Entwicklungsaufgaben, sondern bleibt über die gesamte Lebensspanne erhalten: Nur über Kommunikation können wir Bedürfnisse und Wünsche äußern, Befindlichkeiten, Gedanken ausdrücken, uns selbst im Bezug zur Welt erfahren, tragfähige Beziehungen zu Mitmenschen aufbauen und zur Persönlichkeit werden.
Somit ist die Frage nach den Bedingungsvariablen erfolgreicher Kommunikation und Interaktion sowohl eine Problem der Qualität von Erziehungs- und Unterrichtsprozessen als auch eine Frage von Lebensqualität und subjektivem Sinnerleben.
Die Tatsache einer solch umfassenden Einflussgröße auf nahezu alles Menschspezifische lässt natürlich die Frage aufkommen, was es für Menschen bedeutet, die hiermit einhergehende Kompetenzansprüche nur eingeschränkt oder vielleicht gar nicht erfüllen können. Die Heil- bzw. Sonderpädagogik muss sich vor diesem Hintergrund dem Problem stellen, in welchem Zusammenhang Kommunikation, Interaktion und behindernde Lebensbedingungen stehen, und sich fragen, welche Implikationen sich daraus für die Diagnose- und Förderarbeit ergeben. Herauszuarbeiten, welche individuell-psychischen, aber auch welche sozialen Faktoren hierbei eine Rolle spielen und welche professionellen Kompetenzen auf Seiten eines Lehrers (u.a.) vorhanden sein müssten, damit Interaktion und Kommunikation im Unterricht realisiert werden kann, soll im weitesten Sinne Ziel dieser Arbeit sein.
Zunächst soll geklärt werden was sich unter wissenschaftstheoretischen Aspekten hinter den Begriffen Interaktion und Kommunikation verbirgt. In einem ersten Teil wird es also darum gehen, eine Begriffsbestimmung aus verschiedenen Perspektiven vorzunehmen und diese Begriffsbestimmung anschließend auf ihre Brauchbarkeit im sonderpädagogischen Bereich hin zu überprüfen und zu vergleichen.
Der zweite große Abschnitt geht dann näher auf die Sichtweise der Systemtheorie ein; dazu sollen grundlegende Faktoren, die in dieser Sichtweise in Interaktionsprozessen wirksam werden, untersucht und beschrieben werden. Es wird vor allem darum gehen Kommunikation als die grundlegende Operationsweise sozialer Systeme im Spannungsfeld zwischen kontigenzbedingter Unwahrscheinlichkeit auf der eine Seite und stabilisierenden Mechanismen zu deren Bewältigung auf der anderen darzustellen.
In einem dritten Teil sollen nun die Erkenntnisse aus der Auseinandersetzung mit der soziologischen Systemtheorie auf die Arbeitsfelder der Heil- und Sonderpädagogik übertragen werden. Besonderes Interesse nehmen hierbei Fragen ein, die klären sollen, inwiefern Interaktion durch Behinderung schon von frühester Kindheit an Belastungen erfahren kann und was diese Belastung für die einzelnen Teilnehmer bedeuten können. Hierzu werden auch speziell Aspekte der kommunikativen Entwicklung herangezogen werden, um zu klären, wie Kommunikation und Interaktion hinsichtlich ihres Einflusses auf die menschliche Entwicklung zusammenhängen. Es soll gezeigt werden, wie der für pädagogische Verhältnisse untypische und verhältnismäßig „trockene“ Ansatz der Systemtheorie dazu beitragen kann, eine neutrale und analytische Sichtweise auf Prozesse der als gestört erlebten Interaktion zu bekommen.
Wie eine solch nüchtern-analysierende Sichtweise möglicherweise Anwendung in der Praxis finden könnte, ist die Kernfrage von Punkt vier. Hier wird es vor allem darum gehen, warum Lehrer Interaktionsprozesse im Klassenzimmer einer reflektierenden Beobachtung unterziehen sollten und wie sie dies im Einzelnen tun können bzw. welche Modellvorstellungen ihnen hierbei zur Verfügung stehen.
Abschließend wird noch ein kurzer Ausblick gegeben werden, der zeigen soll, welche Handlungsideen als Konsequenz des Dargelegten eigentlich immer gültig erscheinen und welche weiteren praktischen Ideen schon jetzt im Einklang mit einer systemtheoretischen Betrachtung umgesetzt werden.
2 Begriffsbestimmung: Was versteht man unter Kommunikation bzw. Interaktion?
Zunächst gilt es, sich den Begriffen Kommunikation und Interaktion in wissenschaftlicher und vor allem themenspezifischer Form anzunähern, da bei der Geläufigkeit der Worte Feinheiten, Unterkategorien und Nuancierungen leicht untergehen können. Generell ist an dieser Stelle auf den fachwissenschaftlichen Bezug einer jeden Definition hinzuweisen. Es geht also nicht darum, eine Eingrenzung im Sinne absoluter Richtigkeit vorzunehmen, sondern in erster Linie für das sonderpädagogische Anwendungsgebiet brauchbare Arbeitsbegriffe herzustellen.
Als Basis für modellspezifische Differenzierungen sollen hier zunächst gängige Alltagvorstellungen als vermeintlich neutrale Ausgangsbasis beschrieben werden.
Des weiteren sollte an dieser Stelle noch angemerkt werden, dass die sich anschließenden Ausführungen generell auf Vorgänge der direkten, interaktiven Alltagskommunikation beziehen und Phänomene der schriftlichen, der indirekten und auch der Massenkommunikation ausgeklammert werden.
2. 1 Alltagsverständnis von Kommunikation und damit verbundene Probleme
Der etymologische Ursprung des Begriffes liegt im lateinischen Wort communicare, was „teilen, mitteilen, teilnehmen lassen ... sich beraten, besprechen“ (Stowasser et al. 1998, 101f) bedeutet. Es geht also im weitesten Sinne um einen sozialen Sachverhalt, bei dem mindestens zwei Beteiligte etwas gemeinsames tun bzw. sich (mit)teilend gegenüber stehen. Retter beschreibt Kommunikation als den Vorgang der „Übermittlung von Information, wobei Übermittlung’ ein formales Strukturmoment, ,Information’ ein inhaltliches Moment bezeichnet“ (2002, 11). In dieser technologisch-linearen Vorstellung enkodiert ein Sender eine Botschaft, die anschließend von einem Empfänger dekodiert wird. Das heißt, ein vormals gedanklicher Inhalt wird in ein Zeichensystem, welches neben gesprochener Sprache auch sämtliche andere Körpersignale beinhaltet, übersetzt, und diesen, in die Botschaft hineingelegten Sinn kann der Empfänger nun entnehmen. Dieses Vorstellung wird mit dem Bild von Kommunikation in der sog. ,Container-Metapher’ (vgl. Krippendorff 1994, 86f) geringfügig erweitert. Jede Mitteilung hat hier eine bestimmte Form und eine bestimmte Bedeutung. Die Form ist das Behältnis, der Container steht für die Bedeutung, den Inhalt, den sie transportiert. Dieser Inhalt kann bzw. muss - zum Gelingen der Kommunikation - nun vom Empfänger adäquat entnommen werden. Wird der Inhalt nur bruchstückhaft entnommen oder holt der Empfänger gar etwas heraus, was dort gar nicht enthalten war, entstehen Irrtümer und Missverständnisse.
Auch bei einer weiteren Metapher der Kommunikation steht der Gesichtspunkt der sinnvollen Übereinstimmung zwischen Sender und Empfänger im Zentrum der Betrachtung. Im Rahmen des ,Mitteilens von Gemeinsamkeiten’ wird die Auffassung vertreten, dass im Kommunikationsprozess eine gemeinsame Schnittmenge hinsichtlich Zeichengebrauch und Zeichendeutung zwischen den Kommunikanten entsteht; dies impliziert den Anspruch, dass das Versandte auch identisch empfangen werden kann bzw. muss und dass die Absichten eines Senders vom Empfänger ohne weitere Interpretation direkt aufgenommen werden (vgl. Krippendorff 1994, 88ff).
Mit diesen Metaphern verbindet sich übereinstimmend die Vorstellung, dass Informationen o.ä. ein Individuum „verlassen“ und im Sinne bedeutungskongruenter Abbildungen in ein anderes hineingelangen.
„Im Fall einer konflikthaften Kommunikation wird jedoch offenbar, daß die Decodierung keineswegs der rückläufige Vorgang der Codierung ist, wie dies nachrichtentechnisch wünschbar wäre“ (Retter 2002, 11). Sieht man Bestandteile der Kommunikation nun aber dennoch als objektiv erfassbare Inhalte einer beobachterunabhängigen Wirklichkeit, bleibt bei Nichtgelingen der Kommunikation neben der Schuldzuweisung auf den technischen Übertragungsweg nur noch die Erklärung, dass die „Kommunikatoren inkompetent, abweichlerisch oder im Irrtum befindlich“ (Krippendorff 1984, 98) sind. Sucht man dementsprechend die Gründe des gescheiterten Bedeutungsaustausches ausschließlich in den Personen der Kommunikanten, ergeben sich für Krippendorff drei Reaktionsmöglichkeiten, die allesamt eine den Menschen abwertende Tendenz implizieren bzw. seine kommunikative Kompetenz in Frage stellen:
1. Abweisung: „Man kann Wahrnehmungs-, Wissens- oder Interpretationsunterschiede entweder als Fehler, als pathologisch, als hinterhältige Verhaltensweise oder als bloße Belustigung erklären und als solche abweisen“ (ebd., 98). In der Konsequenz der Abweisung erfährt der Abgewiesene unweigerlich ein Absprechen seiner .kognitiven Autonomie’, d.h. einer Aberkennung der Fähigkeit, für sich selbst sinnvolle Interpretationen und Meinungen zu bilden.
2. Vermittlung durch Autorität: Gibt es Abweichungen im Verständnis einer Mitteilung, wird die Entscheidung über das Verstehen in die Hände einer übergeordnete Instanz gelegt. Wie oft insbesondere rechtstaatliche Autoritäten, also Gerichte, Polizei, etc. Diskrepanzen beilegen müssen, zeigt sich in deren Auslastung. Ein Gericht kann dabei in seiner Institution immer nur eine von mehreren Interpretationen einer Rechtslage zulassen (vgl. ebd.).
3. Gewalt: „Diskrepanzen, die weder einfach abgewiesen werden noch durch Vermittlung entschieden werden können, vermögen physische Gewalt hervorzurufen“ (ebd., 99). Gemeint ist hier die Tatsache, dass einem Beteiligten die Falschheit seiner Interpretation von einer Autorität zugeschrieben wird. Die Annahme, dass kommunizierte Inhalte in jedem Fall subjektunabhängig aufgefasst werden können und immer zu einer Schnittmenge des Verstehens führen müssen, kann im Extremfall natürlich auch den Einsatz physischer Gewalt seitens des Senders legitimieren (vgl. ebd.).
Dass solch technologische Vorstellungen in Form der adäquaten Datenvermittlung vor allem im Zusammenhang einer Behinderung eine eher desintegrative Wirkung haben dürften, erscheint im Rahmen der Schlussfolgerungen Krippendorffs einleuchtend. Ein Verständnis von Kommunikation, die ihr Gelingen im Sinne „der erfolgreichen Verständigung, Handlungskoordinierung und Wirklichkeitsgestaltung" (Krallmann/Ziemann 2001, 13) an die Objektivierbarkeit von Zeichen bindet und Ursachen für Missverständnisse bei jeweils einer Partei verortet, steht zum einen im Widerspruch zur These des konstruktivistischen Paradigmas der prinzipiellen ,Selbstreferentialiät’ (vgl. Wagner 2007, 11ff). des Menschen und verneint zum anderen eine pädagogische Grundhaltung, die Erziehung als Gegenstand gemeinsamer Aushandlung begreift.
Es stellt sich nun die Frage welche Versuche, den Kommunikationsprozess modellhaft zu erfassen und zu beschreiben und welche daraus resultierenden Kommunikationsbegriffe einen geeigneten Referenzrahmen für die Anwendung im Bereich der Sonderpädagogik bieten können?
2. 2 Der Ansatz Watzlawicks
Die Abhandlungen zur menschlichen Kommunikation von Watzlawick, Beavin und Jackson gehören wohl zu den vielzitiertesten, aber auch den vieldiskutiertesten Konzepten zur zwischenmenschlichen Interaktion überhaupt.
Ihr Ansatz fußt auf einer Verbindung von Aspekten der Sprachwissenschaft, der Wissenschaftslogik und der Kybernetik mit der klinischen Psychologie ( insbesondere im Bereich der Familientherapie). "Watzlawick stellt sich (zudem; d. Verf.) selbst als Verfechter der Systemtheorie dar." (vgl. Retter 156)
1.2.1 Begriffliche und wissenschaftstheoretische Grundlagen
Watzlawick et al. kritisieren eine ,monadische Auffassung’ (2000, 21) der menschlichen Verhaltensforschung, die künstliche ,Isolierung von Variablen’ (ebd., 22), die letztlich immer in die Frage nach der Natur der menschlichen Seele münden muss und somit unbeweisbar bleibt. Sie übernehmen hier den Begriff der ,Black Box’ (ebd., 45), der die intrapsychischen Vorgänge als nicht beobachtbar, damit nicht empirisch fassbar und damit eigentlich als nicht relevant charakterisiert. Ihrer Auffassung nach legt diese Tatsache der unmöglichen Durchschaubarkeit komplexer psychischer Abläufe den Schluss nahe "ihre Beschaffenheit praktisch außer Acht zu lassen und sich auf die Messung ihrer Ein - und Ausgaberelationen zu beschränken" (ebd., 45; 52). Sie verdeutlichen die Wichtigkeit einer Öffnung des analysierenden Forscherblicks auf die kontextuellen Bezüge und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie gelten für sie als die Manifestation innerpsychischer Vorgänge und "das Medium dieser Manifestationen ist die menschliche Kommunikation" (ebd., 22).
Die Übertragung von Prinzipien aus der Kybernetik auf zwischenmenschliche Beziehungen veranschaulichen diese Denkweise. "Das Paradigma der durch die Kybernetik bestimmten Form der Systemtheorie, von dem Watzlawick ausgeht, ist der Regelkreis“ (Retter 2002, 157), der besagt, dass Verhalten kein Ergebnis linearer Kausalitätsketten ist (vgl. Watzlawick et al. 2000, 31), sondern nach dem Prinzip der Rückkoppelung entsteht: In zwischenmenschlichen Systemen - also Gruppen, Ehepaaren, Familien, psychotherapeutischen oder selbst internationalen Beziehungen - bedingt das Verhalten jedes einzelnen Individuums das jeder anderen Person und wird seinerseits von dem Verhalten aller anderen bedingt (vgl. ebd., 32).
2.2.2 Watzlawicks Verständnis von Kommunikation
Watzlawicks et al. Verständnis von Kommunikation weicht deutlich von der eingangs beschriebenen Definition bzw. dem alltagsgebräuchlichen Begriff ab. Obwohl sie in ihrem Buch[1] auch die Aspekte der Syntaktik und der Semantik berühren, thematisieren sie vorrangig die pragmatische Seite der Kommunikation, widmen sich also der Frage nach den verhaltensmäßigen, den beobachtbaren Auswirkungen der Kommunikation (vgl. ebd., 52). Die herausragende Bedeutung der Pragmatik begründen sie damit, dass diese im Endeffekt die beiden anderen Aspekte miteinschließt: „Denn das Material der Pragmatik sind nicht nur Worte, ihre Konfigurationen und Bedeutungen - also die Daten der Syntaktik und der Semantik -, sondern auch alle nichtverbalen Begleiterscheinungen, die sogenannte Körpersprache inbegriffen" (ebd., 23). Neben Worten bilden „paralinguistische Phänomene (wie z.B. Tonfall, Schnelligkeit oder Langsamkeit der Sprache, Pausen, Lachen und Seufzen), Körperhaltung, Ausdrucksbewegungen (Körpersprache)“ (ebd., 51) die Grundsubstanz von Kommunikation. Infolgedessen erfahren die Begriffe Verhalten und Kommunikation bei Watzlawick eine Gleichsetzung, da „alles Verhalten Kommunikation, und jede Kommunikation - selbst die kommunikativen Aspekte jedes Kontextes - ... das Verhalten" (ebd., 23) beeinflussen. Aus der These, dass „alles Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation Mitteilungscharakter hat“ (ebd., 51) und der Nicht-Negierbarkeit von Verhalten, also der Unmöglichkeit, sich nicht zu verhalten, leiten sie ihr erstes Axiom der Kommunikation ab: „Man kann nicht nicht kommunizieren “.
Dementsprechend setzt Kommunikation weder Intentionaltität noch Bewusstheit oder Erfolg - im Sinne von gegenseitigem Verständnis - voraus (vgl. ebd., 52), sondern ist eine inhärente Konsequenz der persönlichen Wahrnehmung eines Anderen. Dass Kommunikation nicht notwendigerweise ein aufeinander abgestimmtes wechselseitiges Tun bedeutet, geht auch aus der Abgrenzung zum Begriff Interaktion hervor:
Eine einzelne Kommunikation heißt Mitteilung (message) oder, sofern keine Verwechslung möglich ist, eine Kommunikation. Ein wechselseitiger Ablauf von Mitteilungen zwischen zwei oder mehreren Personen wird als Interaktion bezeichnet. (Dem an genauerer Quantifizierung interessierten Leser können wir nur sagen, daß eine Interaktion mehr als eine einzelne Mitteilung, aber nicht unbegrenzt ist.) (ebd., 51f).
In Zusammenhang mit der Frage, woraus jede Mitteilung bestehe, was ihr Gehalt sei, weisen Watzlawick et al. in einem zweiten Axiom jeder Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt zu (vgl. ebd., 53). Der Inhaltsaspekt vermittelt die Information, die Rohdaten, während der Beziehungsaspekt angibt, wie der Sender die Information vom Empfänger verstanden haben möchte (vgl. ebd., 55). Der Beziehungsaspekt „definiert also, wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger sieht und ist in diesem Sinn seine persönliche Stellungnahme zum anderen“ (ebd., 53). Diese Beziehungsdefinition ist dabei nicht nur ein Faktum praktischer Notwendigkeit, sondern ist zwangsläufiger und bedingungsloser Bestandteil jeder Mitteilung. Analog zum Absolutheitsanspruch des ersten Axioms halten Watzlawick et al. in diesem Zusammenhang fest, dass eine Person A neben der Mitteilung einer Information gleichzeitig - und er kann es nicht nicht tun (!) - seine Beziehung zu einer Person B definiert (vgl. ebd., 54). Es bleibt jedoch anzumerken, dass Beziehungen „verhältnismäßig selten bewusst und ausdrücklich definiert werden“ (ebd., 55). Für Watzlawick et al. ist es ein Anzeichen für die ,Gesundheit’ einer Beziehung, wenn die Definition eher beiläufig, ja hintergründig stattfindet. Dagegen zeichnen sich ,„kranke’ (d.h. konfliktreiche) Beziehungen u. a. durch wechselseitiges Ringen um ihre Definition (aus; d. Verf.), wobei der Inhaltsaspekt fast völlig an Bedeutung verliert“ (ebd., 55).
Da der Beziehungsaspekt folglich eine Information über die Information bedeutet, ist er mit dem Begriff der Metakommunikation gleichzusetzen (vgl. ebd., 55). Die Notwendigkeit der Metakommunikation, also im weitesten Sinne der Kommunikation über Kommunikation, geht mit der prinzipiellen Mehrdeutigkeit jeder Mitteilung einher (vgl. Pkt. 4. 2. 2). In einem Satz formuliert lautet das zweite Axiom daher: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist. “
2.3 Der handlungstheoretische Ansatz
Während in Watzlawicks Kommunikationsverständnis der Rezipient in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt wird, fokussiert eine handlungstheoretische Sichtweise mehr die handelnde Person und deren tatsächliche Intentionen, also „das was (sie; d. Verf.) ausdrücken, bezwecken und bewirken will“ (Lage 2006, 27). Die Rezipientenorientierung Watzlawicks hat zur Folge, dass in dieser Sichtweise nicht das ,wahr’ ist, was A sagt, also was intendiert ist, sondern ,wahr’ ist das, was B versteht bzw. von ihm interpretiert wird (Rosenberger 2009, 10). Lage widerspricht dem vehement. Für sie hat die Person und ihre Absicht im Mittelpunkt zu stehen:
Das ist meines Erachtens notwendig, um einerseits hinsichtlich der entwicklungstheoretischen Perspektive zwischen Interaktionsfähigkeit und kommunikativer Kompetenz der handelnden Person unterscheiden zu können und andererseits im Hinblick auf den sonderpädagogischen Auftrag differenzierte Ziele für Maßnahmen in der [Unterstützten] Kommunikation formulieren zu können (Lage 2006, 27).
Die Verwendung des Begriffs der kommunikativen Kompetenz’ weist auf die gleichnamige Theorie von Habermas hin, in der das Strukturelement der Intentionalität eine entscheidende Rolle einnimmt (vgl. ebd. 32). Infolge dieser Herangehensweise scheint eine Gleichsetzung von Kommunikation und Verhalten - aus der Perspektive des handelnden Subjektes - nicht haltbar. Es ergibt sich folgende Differenzierung zwischen Verhalten, Handeln, Interaktion und Kommunikation (s. Abb. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Verhalten, Handeln, Kommunikation (Linke et al. zit. nach Lage 2006, 25)
Entsprechend dieser Hierarchisierung ist der kommunikationskonstituierende Faktor die Tatsache, dass symbolisch gehandelt wird (vgl. ebd. 26). „Das liegt nur vor, wenn die Verhaltensform auf einen Inhalt verweist, der nicht nur durch sie selbst im Hier und Jetzt dargestellt wird, sondern sich auf etwas außerhalb der Form und Situation Liegendes bezieht“ (ebd. 26). Entsprechend ihrer sonderpädagogischen Ausrichtung erweitert Lage dieses Differenzierungsschema auf der Ebene der sprachlichen Kommunikation um die Dimensionen vokal (lautsprachlich) und non-vokal (hierunter werden sämtliche nichtlautsprachlichen Symbolsysteme subsummiert) (vgl. ebd. 27). Die Existenz eines gemeinsamen ,Sprachsystems’, eines gemeinsamen symbolischen Codes gilt Lage als unbedingte Vorraussetzung zur differenzierten Kommunikation. Sie übernimmt die Sichtweise von Habermas, wenn sie konstatiert, dass „selbst nonverbale Kommunikation ... immer auf sprachliche Zeichensysteme“ (ebd., 37) verweist. In Anlehnung an Linke Nussbaumer und Portmann weist Lage auf die Notwendigkeit von Überschneidungen im Bereich des Sprach- und Weltwissens hin. Sprachwissen ermöglicht die Verständigung auf Grundlage eines Symbolsystems, und durch Weltwissen ist das Individuum in der Lage, Sinn zuzuschreiben und zweckgebunden zu agieren. So erfüllt Sprechhandeln immer einen spezifischen Zweck für die Person. „Dementsprechend geschieht Kommunikation, innerhalb des handlungstheoretischen Denkmodells definiert, dann, wenn eine Person der anderen handelnden Person eine Bedeutung und Intention ihrer Handlung zuschreiben kann“ (ebd. 28).
Lage unterscheidet Intentionalität nach verschiedenen Ebenen der Bewusstheit und Differenziertheit ihres Ausdrucks und erweitert damit das herkömmliche Verständnis von Intentionalität deutlich:
(1) unbewusste Intention: Darunter sind automatisch ablaufende körperliche Anpassungs- und Regulationsvorgänge zu verstehen, die einer Widerherstellung des Gleichgewichts des Körpersystems veranlassen.
(2) zielgebundene Intention: ,Das Bewusstsein, dass eine bestimmte Handlung auf ein bestimmtes Ziel gerichtet werden kann, um eine Wirkung hervorzurufen’.
(3) mittel-zweckgebundene und soziale Intention: Die Einbindung eines Werkzeuges (materiell) oder einer anderen Person (sozial) in die Mittel-Zweck-Gleichung.
(4) kommunikative Intention: Die Wahrnehmung des Anderen als ebenfalls subjektiv Wahrnehmenden mit Intentionen, Bedürfnissen und Wünschen, mit dem man verständnisvoll, aushandelnd in eine Beziehung treten kann.
(vgl. Lage 2006 nach Grove&Olsson nach Dennett, 32)
Ebenfalls konstituierende Bedeutung haben die Strukturelemente der Reziprozität und der Kooperation.
Reziprozität: Darunter wird das Prinzip des Sprecherwechsels oder auch das Turn-taking in der Interaktion verstanden. ,Das Abwechseln ist zeitlich organisiert und rhythmischperiodisch’. Kommunikation kommt also dann zustande, wenn sich zwei oder mehr Personen mittels nonverbalen und verbalen Äußerungen wechselseitig aufeinander beziehen (vgl. ebd., 33f).
Kooperation: Dieses Prinzip korrespondiert mit der Grundannahme, dass Kommunikation ein verständnisorientiertes Miteinander darstellt. Im Rahmen dieser Theorie wird angenommen, dass der Adressat (also der willentlich Angesprochene im Gegensatz zum Rezipienten, der sich auch unabhängig von der Intention des jeweils anderen angesprochen fühlen kann) aufgrund des vorhandenen Sprach - und Weltwissens „mit dem Erschließungsverfahren rationaler Überlegungen herausfinden und entscheiden kann, was die Sprecherin mit ihrer Aussage tatsächlich gemeint hat, was also die Intention und kommunikative Funktion ist“ (ebd. 34).
Kommunikation im Verständnis der Handlungstheorie ist also auf Verständigung zielendes Handeln unter der absichtsvollen Verwendung symbolischer Zeichensysteme (vgl. ebd., 37).
2.4 Der Ansatz von Niklas Luhmann
„Die allgemeine Theorie sozialer Systeme erhebt ... den Anspruch, den gesamten Gegenstandsbereich der Soziologie zu erfassen und in diesem Sinne universelle soziologische Theorie zu sein“ (Luhmann 1984, 33). Luhmanns Ziel ist es, die komplexe Gesellschaft der Gegenwart theoretisch zu beschreiben und zu erklären, wie „trotz aller Probleme gesellschaftliche Ordnung möglich sei“ (Horster 2005, 19). Sein Vorgehen unterscheidet sich dabei grundlegend von bisherigen Theorieansätzen. Während bisherige Ansätze (beispielsweise Habermas) die notwendige Handlungskoordinierung der Subjekte im Konsens sehen, geht Luhmann von der Differenz aller Systeme als Basis aller sozialen Prozesse aus. Er übernimmt die Kernideen des Konstruktivismus und erörtert dessen Folgen in Bezug zur Gesellschaft.
2.4.1 Begriffliche und wissenschaftstheoretische Grundlagen
„Systemtheoretisches Denken ist konstruktivistisches Denken“ (Retter 2002, 205). Erkenntnisse haben damit nicht den Charakter objektiver Wahrheiten, sondern sind „lediglich Beobachtungen der Realität und damit Konstrukte“ (Berghaus 2003, 27), die immer auf Unterscheidungen eines Beobachters beruhen. Luhmann behauptet damit, dass allgemeingültige Aussagen so nicht möglich sind, sondern eine unüberwindbare Beobachterabhängigkeit besteht. „’Welt’ ist immer nur zugänglich als ,Umwelt’ aus der Sicht eines Systems“ (ebd. 40). Hier liegt ein folgenschwerer Bruch mit bisherigen systemischen Auffassungen, die unter System ein Ganzes, zusammengesetzt aus Teilen oder Elementen“ (ebd. 42; o.a. Watzlawick et al. 2000, 115f, 145f) verstanden, Luhmann versucht aber, den Sachverhalt weiterzudenken und setzt den Fokus seiner Betrachtung auf die ,Systemgrenze’, also auf die Differenz von System und Umwelt (vgl. Berghaus 2003, 42). Folgenschwer ist diese Auffassung vor allem dahingehend, dass nunmehr nicht mehr von menschlichen Subjekten, die sich an die Umwelt anpassen o.ä. die Rede ist, sondern von psychischen, biologischen, sozialen Systemen etc., die die Umwelt durch Beobachten und Unterscheiden selbst generieren (vgl. ebd. 42). Das geht soweit, dass selbst der eigene Körper für das Bewusstsein Außenwelt ist (vgl. Horster 2005, 82). Unter Systemen versteht Luhmann also alles „Wirklich-Seiende, das sich, teilweise auf Grund der Umweltbedingungen, in einer äußerst komplexen, veränderlichen, im ganzen nicht beherrschbaren Umwelt identisch hält“ (Luhmann zit. nach Horster 2005, 21). Er vollzieht damit den Paradigmenwechsel vom offenen zum geschlossenen System. Damit ist schon ein Hinweis auf den Grundstein der Theorie Luhmanns gegeben: Die Autopoiesis. Luhmann überträgt den von dem Biologen Maturana geprägten Begriff auf Systeme allgemein und proklamiert damit deren grundständige Funktionsweise. Ein „autopoietisches System produziert und reproduziert sich selbst“ (Berghaus 2003, 52), es fungiert also sowohl selbstherstellend, als auch selbsterhaltend. Dabei bedeutet Reproduktion jedoch nicht Wiederholung der Produktion des Gleichen’, sondern laufende Aktualisierung vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen, also ,reflexive Produktion, Produktion aus Produkten’ (vgl. Horster 2005, 64). Diese Reproduktion wird von Luhmann als ,Operation’ bezeichnet (vgl. ebd.) und meint den permanenten Anschluss von Operationen an Operationen, der „ sich daraus ergibt, dass das System in jeder, also noch so günstiger Umwelt schlicht aufhören würde zu existieren, wenn es die momenthaften Elemente, aus denen es besteht, nicht mit Anschlussfähigkeit ... ausstatten und so reproduzieren würde“ (Luhmann 1984, 28). In Bezug auf das psychische System[2] wäre diese Operation das Denken, das Gedanken an Gedanken anschließen lässt, während beispielsweise das soziale System durch Kommunikationen operiert (vgl. Berghaus 2003, 53). Dadurch ist eine prinzipielle Differenz von System und Umwelt gegeben, die in der ,operativen Geschlossenheit’ aller Systeme als konstituierendes Merkmal gegeben ist (vgl. Berghaus 2003, 57). Hieraus folgt zweierlei: (1) Das (psychische) System erkennt sich selbst in Abgrenzung zur Umwelt, wobei (2) die Umwelt für jedes (psychische) System anders aussehen kann (vgl. ebd. 43). So ist durch das Operieren die immanent wichtige Aktivität des Beobachtens gegeben, die weiter oben ja schon als elementarer Vorgang des Erkennens durch Unterscheiden und Bezeichnen beschrieben wurde (vgl. ebd. 44). „Systeme beobachten, indem sie zwischen sich selbst/Selbstreferenz und allem anderen/Fremdreferenz unterscheiden“ (ebd. 46). Luhmann geht davon aus, dass ein System die System-Umwelt-Grenze nochmals in sich hineinkopiert, um diese Grenze nun als Ausgangspunkt für sämtliches Beobachten heranzuziehen, also um überhaupt entscheiden zu können, was es selbst ist und was Umwelt ist (vgl. ebd. 44). Die Annahme einer außenliegenden Realität ergibt sich laut Luhmann somit aus der umweltdifferenten Operationsweise des Beobachtersystems. Selbstreferenz steht hierbei für die operative Geschlossenheit, da „die Operationen eines Systems in ihrem Sinngehalt immer auf andere Operationen desselben Systems verweisen“ (Horster 2005, 84), also sich einer unmittelbaren Beeinflussung entziehen, während Fremdreferenz ,Umweltoffenheit’ ermöglicht, also eine kasuale Verbundenheit zwischen System und Umwelt anzeigt, wobei die Möglichkeit der Verbindung von Systemen eher einer Notwendigkeit zum Aufbau systemeigener Strukturen ist, da sie ohne einander nicht existieren können: „Autopoietische Systeme sind autonom, aber nicht autark“ (Kneer 2000, 51).
So sind beispielsweise biologische Systeme auf Sauerstoff, Wasser etc., psychische Systeme auf biologische Systeme, neuronale Systeme auf eine Welt zum Wahrnehmen, und soziale wiederum auf psychische Systeme angewiesen. Die spezielle Interdependenz von psychischem und sozialem System bzw. den Prozess, mit dem Systeme dieser Notwendigkeit begegnen, beschreibt Luhmann mit dem Begriff der Interpenetration. „Interpenetration liegt ... dann vor, wenn ... beide Systeme sich wechselseitig dadurch ermöglichen, dass sie in das jeweils andere ihre vorkonstituierte Eigenkomplexität einbringen“ (1984, 290).
Eine direkte Verbindung im Sinne einer Informationsübertragung ist jedoch nicht gegeben. Informative Unterscheidungen werden erst im System selbst generiert!
Man kann also festhalten: „Das System erzeugt und beobachtet die Differenz von System und Umwelt“ (Luhmann zit. nach Berghaus 2003, 44) und ist dabei zwar operativ geschlossen, gleichzeitig aber offen für Irritationen aus der Umwelt.
Somit ist der Ansatz Luhmanns als Versuch zu verstehen, „Beobachter zu beobachten, wie sie die Realität konstruieren“ (Luhmann zit. nach ebd., 49)
Luhmann negiert dabei keinesfalls die Existenz einer realen Welt, sondern nur deren objektive Zugänglichkeit. Die Frage nach der Entstehung einer für uns konsistent und stabil wirkenden Außenwelt rückt damit in das Zentrum der Betrachtung.
2.4.2 Kommunikation kommuniziert: Die Sichtweise der Systemtheorie
Der Kommunikationsbegriff nimmt in der Theorie autopoietischer sozialer Systeme von Niklas Luhmann eine zentrale Rolle ein (vgl. Lindemann 2006, 71). Ausgangspunkt der Betrachtung ist ein ,sozialer Sachverhalt’ oder auch die sogenannte ,Ego-Alter- Konstellation’ (vgl. ebd.). Darunter wird das In-Beziehung-Treten zweier Akteure (Ego und Alter) verstanden, die sich in ihrem „Verhalten wechselseitig aufeinander abstimmen und dabei eine neuartige Ordnung schaffen“ (ebd., 68). Falls nun Ego, verstanden als ,Empfänger’ oder ,Adressat’ und Alter, verstanden als ,Sender’ oder ,Mitteilender’ (vgl. Berghaus 2003, 76) in das Feld gegenseitiger Wahrnehmung geraten „dann führt allein diese Tatsache zwangsläufig zur Systembildung“ (Luhmann 2009, 26). „Wenn also (zwei) psychische Systeme aufeinander Bezug nehmen, ,springt’ dabei ein drittes, ein Interaktionssystem auf“ (Terfloth 2007, 73). Eine plastische Darstellung, die die Entstehung eines eigendynamisch operierenden Interaktionssystems greifbar zu machen versucht, findet sich in der Gleichung 1+1=3 (vgl. Schulz von Thun 1993, 87 ff). Diese ,übersummative’ Gleichung besagt, dass es „in jeder Kommunikation eine Art sur-plus, eine Eigendynamik (gibt), die nicht nur aus der Summe der Anteile der einzelnen Kommunikationspartner zu erklären ist“ (Brunner zit. nach Schulz von Thun 1993, 87). Verlauf und Ergebnis einer Interaktion scheinen also kaum vorhersagbar, auch wenn man meint, die beiden Akteure einzeln zu kennen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Modell der Interaktion (Brock 2009, 360)
Zwischen - im einfachsten Fall zwei - psychischen Systemen entsteht also ein ,soziales System’; und zwar immer - und nur -, wenn sie sich gegenseitig wahrnehmen. Dieses soziale System kann nun nur in Kommunikation weiterbestehen, sie ist die Operationsweise des Systems. Während Bewusstseine durch Gedanken operieren, operiert das soziale System durch Kommunikation. Sie ist „die kleinstmögliche Einheit eines sozialen Systems“ (Luhmann zit. nach Berghaus 2003, 65). Aus dieser nahezu synonymen Auffassung von Kommunikation und sozialem System (vgl. ebd., 64) leitet sich auch der zunächst befremdlich erscheinende Satz - „Nur die Kommunikation kann kommunizieren“ - ab (Luhmann zit. nach Berghaus 2003, 68). Psychische Systeme kommunizieren nicht, sie können lediglich eine strukturelle Kopplung zum sozialen System herstellen und versuchen, die angebotenen Mitteilungen zu ,verstehen’. Deutlicher wird diese Auffassung bei der Vorstellung, dass ja nun wirklich niemals Bewusstseine oder Gehirne direkt Informationen austauschen oder „übertragen“, es also niemals eine direkte Verbindung geben kann, in der „hinübergedacht“ wird, und dementsprechend der Weg immer über das Soziale gehen muss (vgl. ebd., 68).
Ähnlich wie bei Watzlawick rückt der Empfänger, als Ego, in den Fokus der Betrachtung, denn ob Kommunikation zustande kommt, entscheidet nicht der ,Mitteilende’ (Alter), sondern die Interpretation Egos, ob überhaupt eine Mitteilung vorliegt (vgl. ebd., 88). Luhmann geht in diesem Zusammenhang von drei Selektionsschritten aus:
1. Selektion: Alter nimmt seine Umwelt (selektiv) wahr und konstruiert daraus Information. Information stellt also eine mögliche Auswahl an potentiell vorhandenen Inhalten dar. Er überlegt, welche Information er mitteilen möchte.
2. Selektion: Alter sucht eine Mitteillungshandlung aus, mithilfe derer er die Information mitteilen möchte. „Eine Mitteilung ist also immer eine (weitere) Selektion: Eine Entscheidung für eine bestimmte Information gegen andere mögliche; für bestimmte inhaltliche Sinnvorschläge und formale Darstellungsweisen gegen andere mögliche“ (Berghaus 2003, 81).
3. Selektion: An dieser Stelle liegt es an Ego, ob er unterstellt, interpretiert oder versteht, dass hier die Selektion von Information und Mitteilung gemacht wurde. Tut er dies, ist die Bedingung für Kommunikation erfüllt.
(vgl. Lindemann 2006,71-72; Berghaus 2003, 74-86)
Kommunikation ist also die Synthese, nicht die Summe, dieser drei Selektionen. Egos Selektion „besteht darin, die Differenz zwischen den Selektionen eins und zwei zu verstehen“ (Berghaus 2003, 83) und damit der Handlung oder dem Verhalten von Alter kommunikative Intentionalität zuzuschreiben und dadurch wiederum überhaupt zu entscheiden, ob Kommunikation vorliegt oder nicht. Aus der Differenz zwischen Information und Mitteilung wird also errechnet, was gemeint war bzw. was gemeint sein könnte. Das unterscheidet die Kommunikation von der bloßen Wahrnehmung von Verhalten und macht sie zu einem ,Sonderfall von Informationsverarbeitung’ (Luhmann 1984, 198). Eine soziale Situation erfährt hier eine viel differenziertere Aufschlüsselung als das bei Watzlawick et al. der Fall ist; aus ihr geht hervor, dass Kommunikation nicht ad hoc etabliert ist, sondern sich gerade dadurch auszeichnet, „dass sie eine Situation für Annahme oder Ablehnung öffnet“ (Luhmann 1984, 216). Nicht jedes Verhalten ist per se Kommunikation und nicht jede Mitteilungshandlung wird immer als solche verstanden. /Verstehen’ wird in diesem Kontext auch nicht als inhaltliches Einig-werden gebraucht, sondern meint lediglich die Interpretation der Handlung/des Verhaltens des anderen als Mitteilung. Alter kann somit die Erfahrung machen, von Ego in eine Kommunikation hineingezogen zu werden, ohne dass er dies tatsächlich intendiert hat (vgl. Lindemann 2006, 72).
Es zeigt sich also ein weiterer radikaler Bruch mit konventionellen Vorstellungen von Kommunikation: Neben der eben beschriebenen Entmachtung des Senders geschieht die Loslösung von der Maxime der inhaltlichen Verständigung als oberstem Ziel von Kommunikation. Nach Luhmann ist Kommunikation keineswegs auf Konsens angelegt; ganz im Gegensatz zur Habermasschen Handlungstheorie ist sie schon erfolgreich wenn sie weitergeht[3] (vgl. Berghaus 2003, 90f). Kommunikation ist Differenz. Sie ist es deshalb, weil sie die Differenz von Inhalt und Mitteilung sowie die Differenz der beteiligten psychischen Systeme voraussetzt, denn nur das Differenzerleben macht Kommunikation sinnvoll und notwendig (vgl. Retter 2002, 216). „Kommunikation ist die Operation, durch die soziale Systeme sich autopoietisch selbst herstellen und erhalten“ (Berghaus 2003, 97). Somit ist die Existenz eines sozialen Systems abhängig von der Anschlussfähigkeit, der es selbst erst konstituierenden Kommunikation. Tatsächlich geht Luhmann davon aus, dass Kommunikation als Einzelereignis praktisch nicht vorkommt[4], denn wenn eine solch elementare Kommunikationseinheit im Sinne der Synthese des Selektionsdreischrittes gemacht wurde, schließt sich meist ein weiterer Akt der Selektion an: Der angebotene Sinnvorschlag wird entweder angenommen oder abgelehnt, was wiederum dem Vorgang der ersten Selektion, nur mit gleichsam vertauschten Rollen entspricht (vgl. ebd., 98). „Schon die Kommunikation des Annehmens oder Ablehnens des Sinnvorschlags einer Kommunikation ist eine andere Kommunikation“ (Luhmann zit. nach ebd., 98), wobei die Ablehnung des Sinnvorschlages das soziale System beendet. Übertragen auf das Zustandekommen und vor allem das Fortbestehen einer soziale Beziehung, also eines elementaren sozialen Systems, ist es durchaus nachvollziehbar, wenn Luhmann sagt: „Eine Kommunikation hat Erfolg, wenn ihr Sinn als Prämisse weiteren Verhaltens übernommen, und in diesem Sinne Kommunikation durch andere Kommunikationen fortgesetzt wird“ (zit. nach ebd., 105).
Wesentlich ist meines Erachtens, dass die Kommunikation in diesem Modell selbst als ein dynamisches Etwas angesehen wird, in dessen Prozess etwas Neues entstehen kann bzw. eine Offenheit hinsichtlich des Ergebnisses besteht.
2.5 Syntheseversuch
Im Folgenden sollen die hier vorgestellten Ansätze der Begriffsbestimmung und die jeweils daraus resultierenden Definitionen, Beschreibungsmechanismen und Handlungsimplikationen von Kommunikation vor dem Hintergrund sonderpädagogischer Aufgabenfelder kritisch reflektiert und auf ihre Brauchbarkeit hin, untersucht werden.
Begeben wir uns zunächst auf die Suche nach Gemeinsamkeiten, nach Aspekten, die - wenngleich unterschiedlich - gewichtet, immer eine Rolle zu spielen scheinen.
So dreht sich Kommunikation stets um Inhalte, also um einen Zugewinn an Information bei mindestens einer Person.
Dass sich diese Informationen nun stets mit Bedeutungszuschreibungen verknüpfen, also sinnvoll interpretiert und ausgelegt werden, und damit wieder Grundlage für sich anschließendes Verhalten sein können, scheint unbestritten.
Auch die jeweiligen Mitteilungsmöglichkeiten, also Handlungen und Verhaltenweisen (verbale, nonverbale, paraverbale Äußerungen), die Träger von Botschaften und Inhalten sein können, bilden immer ein zentrales Moment der Betrachtung.
Unterschiede ergeben sich vornehmlich aus der Fokussierung einzelner Teilnehmer, aus der Frage, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, welche Handlungen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten etc. als kommunikativ gelten, und welche Ziele vorrangig erreicht werden sollten, um überhaupt von kommunikativen Prozessen sprechen zu dürfen.
2.5.1 Zur Voraussetzungslosigkeit von Kommunikation
Das am weitesten gefasste Verständnis von Kommunikation liefern Watzlawick et al. mit ihrem ersten Axiom. Was in der sonderpädagogischen Rezeption landläufig als Grundlage der Kompetenzzuweisung und Abkehr einer defizitorientierten Sichtweise von Menschen mit einer geistige Behinderung gilt, scheint einigen Autoren wie z.B. Klauß (2002) zumindest diskutabel. Ein verbreiteter Kritikpunkt ist die Widersprüchlichkeit zwischen dem ersten Axiom, in dem explizit auf die Unabhängigkeit von Kommunikation und Intentionalität hingewiesen wird, und dem zweiten Axiom, in dem die Aussage, dass „jede Mitteilung einen Hinweis darauf (enthält; d. Verf.), wie ihr Sender sie vom Empfänger verstanden haben möchte“ (Watzlawick et al. 2000, 55), scheinbar darauf verweist, dass doch Intentionalität seitens des Senders vorhanden ist (vgl. Klauß 2002, 263). Dem ist jedoch nicht so. Watzlawick et al. halten explizit fest, dass sich auch der Vorgang der Beziehungsdefinition einer willentlichen Beeinflussbarkeit durch den Sender entzieht. Er kann sich sozusagen nicht nicht beziehungsdefinierend verhalten (vgl. Pkt. 2. 2. 2). Insofern ist die Schlussfolgerung, die Klauß diesem scheinbaren Widerspruch entnimmt, nämlich dass „jeder Mensch ständig ... die Intention zur Kommunikation“ (ebd., 263) habe, als falsch zurückzuweisen. Intentionalität ist hier schlichtweg nicht relevant, da rein vom Rezipienten ausgegangen wird. Möglicherweise liegt hier auch die Ursache einer Verständnishürde, da Watzlawick et al. ihre Theorie einerseits konsequent auf die Perspektive des Empfängers zuschneiden, die Schlüsselaussage, dass man nicht nicht kommunizieren kann, jedoch andererseits (anscheinend) - also aus traditionellem Begriffsverständnis heraus - aus dem Blickwinkel des Senders erfolgt. Nähme man sich die Aussage des ersten Axioms gleichsam aus der Sicht des Empfängers vor, ergäbe sich der Satz: Man kann nicht nicht konstruieren. Die Richtigkeit dieser Aussage ist nur an die Tatsache der Wahrnehmung gebunden, die ja per se eine Bedeutungszuschreibung ist (vgl. Bundschuh 2002, 313) und natürlich auch gegenüber Subjekten und deren Verhalten nicht plötzlich aufhört, Bedeutung und Sinn zuzuschreiben. Die subjektive Zuschreibung, das Verhalten eines Anderen als scheinbar sinnlose Tätigkeit zu beschreiben, ist davon nicht ausgenommen, da man es ja offensichtlich (für sich) als sinnvoll erachtet, dieses Verhalten als sinnlos zu bezeichnen.
Dass das Zustandekommen von Kommunikation immer als Reaktion, als rezipientenkonditioniert gesehen werden kann, sagt auch die Systemtheorie von Luhmann ganz klar. Doch auch in der Handlungstheorie ist erkennbar, dass Kommunikation, trotz aller Fokussierung auf den Handelnden, letztlich das Verstehen’ oder das Zuschreiben einer Intention seitens des (in diesem Fall) Adressaten ist. Allerdings gilt es sich zu verdeutlichen, dass in einer Situation wechselseitiger Wahrnehmung eigentlich keine starre Rollenverteilung im Sinne von Sender und Empfänger herrscht, sondern beide Teilnehmer Rezipienten des Verhaltens des jeweils Anderen sind: Schon während ich spreche, nehme ich ja die Regungen meines Gegenübers wahr und deute diese, so dass gewissermaßen sofort wieder Handlungsbereitschaften daraus entstehen. Für den analysierenden Forscherblick scheint eine Rollenzuweisung zwar durchaus zweckmäßig, man sollte sich jedoch bewusst sein, dass sowohl eigenes Verhalten im sozialen Kontext immer kommunikativ gedeutet werden kann als auch man selbst permanent deutet. Man könnte also fast von einer Gleichzeitigkeit von Handeln und Rezipieren sprechen.
Diese Tatsache, die die Involviertheit von mindestens zwei Akteuren mit sich bringt, legitimiert nun meines Erachtens auch den geschärften Blick auf den Handelnden und die Frage, inwieweit Kommunikation gewisser ausbildungsbedürftiger Fähigkeiten bedarf. Zurecht weißt Klauß insofern auf mögliche Gefahren hin, die eine Verabsolutierung des ersten Axioms von Watzlawick et al. mit sich bringen kann. Die radikale Sichtweise, dass kommunikative Kompetenz uneingeschränkt und ohne jegliche Voraussetzung verfügbar wäre, kann dazu führen, kommunikationsfördernde Maßnahmen weniger konsequent zu verfolgen (vgl. ebd., 264). Klauß benennt in diesem Zusammenhang wichtige Bildungselemente, die er als unbedingte Voraussetzung für Kommunikation erachtet und die nicht immer von Haus aus vorhanden sind, sondern erst entwickelt werden müssen.
- Kommunikation braucht einen Inhalt: Die Ausbildung von Bedürfnissen, Vorlieben und Interessen ist eine notwendige Prämisse dafür, dass der Mensch überhaupt etwas mitzuteilen hat, bzw. dafür, dass sich überhaupt ein gemeinsamer Gegenstand finden lassen kann. (vgl. ebd., 264 f)
- Kommunikation braucht einen Grund: Aus der Perspektive des Handelnden ist Kommunikation meist ein Mittel zum Zweck und als solches scharf von Verhalten abzugrenzen, welches häufig einfach selbstzweckhaft ist, d.h. aus der Freude am Tun an sich erwächst. Selbstzweckhafte Aktivitäten können -als solche gewürdigt und respektiert- allerdings wiederum zu einem Inhalt gemeinsamen Interesses werden und damit zu Kommunikation führen. Des weiteren müssen Menschen die Erfahrung machen, dass sie in ihrem Verhalten ernstgenommen werden, und es sich lohnt, der Umwelt etwas mitzuteilen. (vgl. ebd, 265 ff)
- Kommunikation braucht (mindestens) einen Kanal: Dass eine Vielfalt an Kanälen zur Kommunikation genutzt wird ist allgemein unumstritten. Doch neben nonverbalen Ausdrucksverhalten ist es vor allem die Existenz eines einheitlichen Zeichensystems, die eine differenzierte Kommunikation ermöglicht (vgl. Pkt. 3. 2; 3. 4).
- Kommunikation braucht ein Gegenüber: Klauß weist hierbei auf die Notwendigkeit sozialer Orientierung hin, d.h. das Vorhandensein einer positiven Sichtweise auf andere Menschen und damit die Fähigkeit, ihnen vertrauensvoll und interessiert gegenüber zu treten. „Bei manchen Menschen können wir von dieser generellen Bereitschaft, sich auf einen fremden Willen einzulassen, nicht ausgehen“ (ebd., 271).
(vgl. Klauß 2002, 264-272)
Die These der Ausbildungsbedürftigkeit vom Kommunikation wird auch durch die Existenz eines eigenen Lernbereichs - „Kommunikation und Sprache“ - im Lehrplan für die Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung gestützt (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2003, 88-104). Hier finden sich auch die von Klauß benannten Bildungsinhalte wieder. So wird ebenso auf die zahlreichen Möglichkeiten von Verständigungskanälen (vgl. ebd., 90-93), wie das Aufdecken von Anlässen, die Grund und Inhalt zum Dialog bieten (vgl. ebd., 92) wie auch auf die Beziehungskomponente (vgl. ebd., 92; 94) verwiesen.
Kommunikation ist dementsprechend als Bildungsinhalt zu verstehen, der sowohl formale Aspekte, also die konkrete Anwendungskompetenz betreffend, als auch materiale Aspekte, also das Wissen um Ausdrucksmöglichkeiten, situative Konventionen und Rollen, umfasst.
Dem widerspricht die Tatsache, dass jegliches Verhalten ein kommunikatives Potential hat, nicht, es zeigt jedoch auf, dass ein Bewusstsein für dieses geschaffen werden sollte, um einen gewollt-zielgerichteten und angemessen Einsatz zu ermöglichen. So sieht Klauß beispielsweise in manchen auffälligen Verhaltensweisen, die augenscheinlich einem Bedürfnis Nachdruck verleihen sollen, eher einen Beweis, dass kommunikative Möglichkeiten fehlen oder nicht genutzt werden; „sie sind deshalb im eigentlichen Sinne keine Kommunikation, sondern ein Zeichen für deren Fehlen“ (ebd., 272). Auch Bundschuh hält fest: „Es scheint sinnvoller, Interaktion als bloßes Verhalten strikter von Kommunikation als Verhalten mit deutlichem Informationscharakter zu unterscheiden und begrifflich abzugrenzen, so dass das spezifisch menschliche Charakteristikum von Verhalten, nämlich wesentlich Sprache zu sein, im Unterschied zum Verhalten der Tiere deutlicher in den Vordergrund tritt“ (2002, 168). Polarisierende Kriterien spiegeln sich also in den Fragen, ob die bewusste partnerorientierte Verwendung eines symbolischen Zeichensystems, ob soziales Handeln in einer Beziehung, oder einfach jedwedes Verhalten Kommunikation anzeigt.
2.5.2 Fazit
In der sonderpädagogischen Literatur finden sich vorwiegend weiter gefasste Definitionen, die auf eine Auffassung im Sinne von sozialem Handeln in Beziehung und der Betonung der kommunikativen Kraft allen Verhaltens hindeuten.
- „Mit Kommunikation bezeichnen wir alle Verhaltensweisen und Ausdrucksformen, mit denen wir mit anderen Menschen bewusst oder unbewusst in Beziehung treten. Kommunikation umfasst deshalb viel mehr als nur die verbale Sprache“ (Wilken 2002, 4).
- „Der größte Teil der interpersonalen Kommunikation aber dürfte über nichtverbale Kommunikatiossysteme und -mittel ablaufen. Der Mensch tritt allein durch das in Beziehung was er ist, d.h., was er darstellt, ohne sich bewusster Akte des Redens und sozialen Agierens zu bedienen“ (Speck 1990, 114)
- „Der Begriff der Kommunikation’ steht ... für einen Prozess, in dem sich Menschen ... wechselseitig zur Konstruktion von Wirklichkeit anregen“ (Frindte zit. nach Wagner 2007, 98)
Auf der einen Seite scheint es also evident, dass Kommunikation immer da ist, wo Menschen zusammen sind, auf der anderen Seite wird klar, dass durchaus qualitative und quantitative Unterschiede bezüglich der Tiefe des Austausches, des erreichten Konsenses, der Dauer und Anzahl wechselseitiger Bezugnahmen in Kommunikationsprozessen bestehen, die in irgendeiner Form fassbar gemacht werden wollen. Mit der Frage nach eindeutigen Determinanten der Kommunikation ist somit untrennbar ein scheinbar unauflösbares Dilemma verbunden: Während eine weit gefasste Definition zu einer Dekategorisierung des Begriffes (vgl. Klauß 2002, 264) und damit zu einer erheblichen Unschärfe bei der Analyse kommunikativer Situationen (vgl. Wagner 2007, 95) zu führen scheint, wird eine engere Sichtweise dem Sachverhalt insofern nicht gerecht, als hier einige Phänomene ausgeklammert bzw. im schlimmsten Fall sogar Personen ausgeschlossen werden.
Luhmann vermag dieses Dilemma in Rahmen seiner Theorie zu lösen, indem er darauf aufmerksam macht, dass Kommunikation nicht durch Konsens definiert ist, also qualitative Momente bezüglich der begrifflichen Abgrenzung zunächst nicht relevant sind, sondern als Operationsform jeder Interaktion einfach da ist.
Eine Einschätzung, ob es sich - in handlungstheoretischen Kategorien gesprochen - um Verhalten, Handeln, Interaktion oder Kommunikation handelt, bleibt zwangsläufig beobachterabhängig. Letztlich ist es nicht objektivierbar, ob Verhalten kommunikativ gemeint ist oder nicht, bzw. ob es kommunikativ verstanden wird oder nicht. Begriffsdifferenzierungen, die versuchen, sich auf subjektinterne Abläufe zu beziehen und damit per se eine Wertung und Interpretation implizieren, sind somit schwierig, da sie immer diskutabel bleiben. Luhmann gelingt es durch sein Modell, zumindest bei der Beschreibung eines sozialen Sachverhalts nicht mit bewertenden Kategorien zu arbeiten. Die Begriffe bedeuten keine qualitative Zuschreibung bezüglich des Tuns einer Person, sondern sind wertneutrale Bestandteile eines sozialen Prozesses. Interaktion wird verstanden als Kommunikation unter Anwesenden (vgl. Kieserling 1999, 17). Interaktion ist der soziale Rahmen, nicht „die mehr oder minder dauerhafte Beziehung, die unter den Beteiligten bestehen mag oder auch nicht, sondern die konkrete Struktur dieser zeitlich begrenzten Zusammenkunft selbst“ (vgl. ebd., 15); d.h. sie bezeichnet die Anwesenheit psychischer Systeme, die sich gegenseitig wahrnehmen und wechselseitig Bezug aufeinander nehmen, während Kommunikation die Operationsweise darstellt. Interaktion funktioniert über Kommunikation.
Luhmann selbst sagt über seine Theorie, dass sie nicht nach Verbesserungsmöglichkeiten fragt, sondern - im Gegensatz zu Watzlawick und Habermas, denen es beiden darum geht auch Vorschläge zur Kommunikationsverbesserung anzubringen - grundlegende Theorie sein möchte, die zunächst lediglich beobachtet, um dann auf Defizite aufmerksam machen zu können (vgl. Retter 2002, 213f). Interessant wird der Ansatz Luhmanns meiner Meinung nach vor allem dadurch, dass hier selbst grundlegendste Prämissen hinterfragt und in ihrem Zustandekommen untersucht werden. Es geht ihm nicht darum, vermeintlich feststehende Normen, Werte etc. aufzuzählen und zu benennen, sondern den Prozess - das Wie - deren Entstehung zu beleuchten. Als einzige Prämisse setzt er die selbstreferentielle (autopoietische) Geschlossenheit des Bewusstseins. Da gerade im Umgang mit Menschen mit einer Behinderung unsere konventionellen Annahmen und Vorstellungen über den Ablauf von Kommunikation oft nicht anwendbar erscheinen bzw. versagen, erscheint mir die Beschäftigung mit einem Ansatz, der von sich behauptet, Einblick in grundlegende Vorgänge der Gesellschaftsbildung zu ermöglichen, bzw. den Anspruch hat zu klären wie unsere Vorstellungen über gelungene Kommunikation entstehen, sehr sinnvoll.
Dabei nimmt auch Luhmann an, dass Kommunikation ein äußerst voraussetzungsreicher Vorgang ist, den eine Vielzahl von Faktoren bedingen und beeinflussen.
Um nun den Prozess der Kommunikation reflektieren, beschreiben und letztendlich positiv beeinflussen zu können, soll hier zunächst eine theoretische Klärung dieses äußerst komplexen Vorgänge versucht werden, um anhand fundierter Erkenntnisse Ableitungen für die sonderpädagogische Arbeit vornehmen zu können.
3 Differenzierter Blick auf die systemtheoretische Sichtweise
3. 1 Die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation
Da Unterricht und Erziehung grundlegend soziale Geschehnisse und somit auf den Aufbau und den Erhalt sozialer Systeme angewiesen sind, kommt der Frage nach diesbezüglichen Prozessvariablen, Schwierigkeiten und Voraussetzungen eine große Bedeutung zu.
Luhmann beginnt seine Ausführungen mit der Bestandsaufnahme grundlegender Probleme. Die Frage wie es überhaupt zu sinnvollen Anschlüssen kommen kann, rückt dabei in den Fokus der Betrachtung:
Das grundlegende Problem von Kommunikationssystemen ist die Herstellung von Anschlusskommunikation. Denn nur wenn beständig Kommunikation an Kommunikation anschließt, bleibt das Kommunikationssystem erhalten. Wenn hingegen die Kommunikation abbricht, weil keine weitere Kommunikation an die vorausgegangene anschließt, dann ist das System am Ende (Brock et al. 2009, 364).
Die Annahme, dass Kommunikation sich aus drei Selektionen synthetisiert (vgl. Pkt. 2. 4. 2), von denen jede für sich völlig kontingent ist, veranlasst Luhmann dazu, von Kommunikation als extrem unwahrscheinlichem Ereignis zu sprechen (vgl. Berghaus 2003, 107). Unter Kontingenz versteht Luhmann, dass „alles ... so, aber auch anders möglich“ (Luhmann 1984, 217) ist.
An eine erste Synthese von den drei Selektionen müssen sich in der Anschlusskommunikation ja wieder drei Selektionen und deren Synthese anschließen; daraus ergibt sich für Luhmann eine Situation doppelter Kontingenz’ (vgl. Berghaus 2003, 109), also eine hochkomplexe, durch und durch kontingente Ausgangslage, die den Erfolg von Kommunikation augenscheinlich als sehr ungewiss erscheinen lässt.
Wenn jeder kontingent handelt, also jeder auch anders handeln kann und jeder dies von sich selbst und den anderen weiß und in Rechnung stellt, ist es zunächst unwahrscheinlich, dass eigenes Handeln überhaupt Anknüpfungspunkte (und damit Sinngebung) im Handeln anderer findet (Luhmann 1984, 165).
Tatsächlich liegt für Luhmann jedoch gerade in der doppelten Kontingenz’ die Überwindung der Unwahrscheinlichkeit, da diese „einen Problemlöseprozess in Gang setzt“ (Berghaus 2003, 109). Dies ist folgendermaßen zu verstehen:
Ego erfährt Alter als alter Ego. Er erfährt mit dieser Nichtidentität der Perspektiven aber auch zugleich die Identität dieser Erfahrung auf beiden Seiten. Für beide ist die Situation dadurch unbestimmbar, instabil, unerträglich. In dieser Erfahrung konvergieren die Perspektiven, und das ermöglicht es, ein Interesse an der Negation dieser Negativität, ein Interesse an Bestimmung zu unterstellen. Damit ist (...) ein state of conditional readiness gegeben, eine Systembildungsmöglichkeit im Wartezustand, die nahezu jeden Zufall benutzen kann, um Strukturen zu entwickeln (Luhmann 1984, 172).
Ego kennt nur seine eigene Perspektive auf die jeweilige Situation, kann nun aber antizipieren, dass es sich für Alter genauso darstellt. Die Akteure nehmen also wahr, dass sie sich gegenseitig wahrnehmen und erkennen, dass sie vom jeweils anderen als Wahrnehmender wahrgenommen werden. Sie wissen nichts vom anderen, außer dass es ihm wohl genauso ergehen muss. Für Luhmann liegt genau darin die Möglichkeit der Annäherung, nämlich dem Anderen „ein Interesse an Bestimmung zu unterstellen“ (s.o.). Daraus ergibt sich ein kreisförmiges Sich-aufeinander-Beziehen: „Ich tue, was du willst, wenn Du tust, was ich will" (Luhmann 1984, 166). Eine soziale Ordnung entsteht somit „über die wechselseitig miteinander verknüpfte Akzeptanz der Fremdbestimmung des eigenen Handelns“ (Brock et al. 2009, 365). Anschlusspunkt für eigenes Handeln kann dabei jedwede Wahrnehmung sein, die die Möglichkeit einer ersten Unterscheidung hervorbringen kann und so den unbestimmbaren, instabilen und damit unerträglichen’ (s.o.) Zustand anschlussfähig macht. Es besteht also ein situationsimmanenter Zwang zur Lösung der doppelten Kontingenz, der Kommunikation sowohl möglich, als auch unumgänglich erscheinen lässt.
Kontingenz wird dabei aber nicht abgeschafft, sondern bleibt dem System als eine Variable erhalten, da die Selektionen als Ergebnis subjektabhängiger Situationsdeutung ja unvorhersagbar bleiben.
Nachdem nun ein Anstoß zur Konstituierung eines sozialen Systems vorliegt, nennt Luhmann drei weitere, grundsätzliche Schwierigkeiten, die die Aufrechterhaltung des Systems potenziell gefährden: Verstehen, Erreichen und Erfolg (Luhmann 1984, 217ff). Aufgrund der prinzipiellen Selbstreferenzialität können Informationen nur vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen und eigenen Wissens bewertet und interpretiert werden. Gibt es hier keine Ähnlichkeiten zwischen den beiden Interaktionsteilnehmern, ist ein gegenseitiges Sinnverstehen kaum möglich.
Des weiteren ist es kaum sicherzustellen, dass die Kommunikation den Adressaten auch erreicht; diese Unwahrscheinlichkeit steigt natürlich mit der Anzahl potenzieller Interaktionsteilnehmer. So ist es im beispielsweise im Unterricht schwierig auszumachen, wer noch mit dem sozialen System „gekoppelt“ bzw. wer mit seinen Gedanken ganz woanders ist.
Darüber hinaus kann das soziale System zusammenbrechen, wenn Ego das Sinnangebot nicht aufgreift oder gar nicht reagiert, und so das Entstehen von Anschlusskommunikation verhindert (vgl. ebd.,218 ff). „Kommunikativer Erfolg ist: gelungene Kopplung von Selektionen“ (ebd. 218).
Wodurch kann die Wahrscheinlichkeit von Anschlusskommunikation erhöht werden? Wie ist es möglich, dass Selektionen überhaupt zusammenpassen ?
3.2 Medien
Um der Unwahrscheinlichkeit, die einmal durch Kontingenz und weiterhin durch die eben genannten Schwierigkeiten gegeben ist, zu begegnen, verweist Luhmann auf die evolutionäre Errungenschaft’ von ,Medien’, die an genau diesen obengenannten Problemen ansetzen und mithilfe derer sich „Unwahrscheinliches in Wahrscheinliches" (1984, 220) transformieren lässt.
Sie sind ,erwartungsleitende Wahrscheinlichkeiten’ (Luhmann zit. nach Berghaus 2003, 110), lassen also die Annahme einer Kommunikation erwartbar werden.
Luhmann beschreibt den Begriff des Mediums unter anderem durch die Abgrenzung von dem Begriff der Form. Während Medien die Grundlage, das Material in der Gestalt ,riesiger, lose gekoppelter Mengen von Elementen’ (vgl. Luhmann 2009b, 175) liefern, ist die Form deren ,sichtbare’ Entfaltung in fest gekoppelten Strukturen. Medien begrenzen nun einerseits den ,Selektionsspielraum’, regen aber gleichzeitig zur Formenbildung an, die wiederum die ,Selektionsmöglichkeiten’ ausweitet (vgl. Berghaus 2003, 112). Anhand des Schachspiels können die Funktionen von Medium und Form exemplarisch sehr gut dargestellt werden (vgl. ebd. 113). So ist in Reglement, Figuren und Brett der Rahmen, das Medium gegeben, während sich in den verschiedensten Spielzügen dieses Medium in der Form manifestiert. Das Medium beschränkt, steuert und koordiniert die möglichen Selektionen, gewährleistet so, dass die „Handlungen von zwei Personen an einem Brett mit Karos (überhaupt) zusammenpassen“ (ebd., 113) und regt dabei zu immer neuen Spielzügen (Formen) an.
Im Rahmen der oben genannten Schwierigkeiten (Verstehen, Erreichen, Erfolg) ergeben sich hier für jedes Problem spezifische Medien, die deren Überwindung wahrscheinlich machen. „Das Medium, das das Verstehen von Kommunikation weit über das Wahrnehmbare hinaus steigert, ist die Sprache“ (Luhmann 1984, 220). Denn Sprache konstituiert sich aus symbolischen Zeichen, durch die bei Verwendung eines einheitlichen Zeichensystems bei den Akteuren der Eindruck entsteht, dasselbe zu meinen. So kann schrittweise der Umfang möglicher Kommunikationen - begrenzt lediglich durch Wortschatz und Grammatik - ausgeweitet werden; es entsteht ein unerschöpflicher Vorrat für mögliche Kommunikationen (vgl. Brock et al. 2009, 366).
Die Wahrscheinlichkeit des Erreichens des Adressaten sieht Luhmann durch die Entwicklung von Verbreitungsmedien (z.B. Schrift, Druck, Funk) entscheidend erhöht, da sich Reichweite und Verfügbarkeit durch diese maßgeblich verbessern.
Der Erfolg von Kommunikation wird in der Systemtheorie entscheidend durch ,symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien’ (= eigene Kategorie von Medien und nicht zu verwechseln mit den Medien Sinn und Sprache) gewährleistet, die zur Annahme des Kommunikationsangebotes motivieren sollen. Luhmann nennt als solche Medien Wahrheit, Liebe, Eigentum/Geld, Macht/Recht, religiöser Glaube, Kunst und zivilisatorisch standardisierte ,Grundwerte’ (vgl. Luhmann 1984, 220ff). Sie sind Motivationsmittel, die zur Akzeptanz einer vorgeschlagenen Selektion anregen. Im System der Familie wird z.B. vorrangig nach dem Medium der Liebe gehandelt und so verhindert, dass kein Familienmitglied ausgeschlossen wird
Im Folgenden möchte ich mich in erster Linie der Problematik des Verstehens widmen und damit dem Medium Sprache, da es zum einen die fundamentalste Anforderung ist und zum anderen jene, an der die Interaktion mit Menschen mit einer geistigen Behinderung oft zu scheitern droht.
3. 2. 1 Medium Sprache
In ihrer Funktion „als Medium der strukturellen Kopplung von psychischen und sozialen Systemen“ (Krause 2005, 193), die zwar getrennt operieren, aber unablässig aufeinander angewiesen sind, zeigt sich die herausragende Bedeutung von Sprache. Aufgrund der selbstreferentiellen Geschlossenheit von psychischem und sozialem System ergibt sich die Notwendigkeit eines Transformationsmediums, das ,soziale in psychische Komplexität’ (Luhmann 1984, 367f) überführt, also eine Brücke zwischen psychischen System mit seiner primären Operationsform des Bewusstseins/Denkens und dem sozialen System mit seiner primären Operationsform der Kommunikation/des Kommunizieren schlägt. Sprache ermöglicht die Bildung von Formen der gleichen Struktur, die in Bewusstsein und Kommunikation adaptiert werden können und damit deren Kopplung ermöglichen (vgl. Krause 2005, 227). In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, erneut darauf hinzuweisen, dass die ,sprachlich geäußerte Form’ nie eine exakte Kopie des ,Bewusstseinverlaufs’ sein kann (vgl. 1984, 368):
Man muss sich nur beim herumprobierenden Denken, bei der Suche nach klärenden Worten, bei der Erfahrung des Fehlens genauer sprachlicher Ausdrucksweisen, beim Verzögern der Fixierung, beim Mithören von Geräuschen, bei der Versuchung, sich ablenken zu lassen oder in Resignation, wenn sich nichts einstellt, beobachten, und man sieht sofort, dass sehr viel mehr präsent ist als die sprachliche Wortsinnsequenz, die sich zur Kommunikation absondern lässt (ebd. 368f).
Sprachliche Zeichen sind laut Luhmann dementsprechend auch keine Repräsentanten von ,Sachverhalten der Außenwelt im Inneren des Systems’, ,weisen also nicht auf Vorhandenes hin’, sondern sind Strukturen für wiederholbare Operationen’ (Luhmann zit. nach Berghaus 2003, 133f). Etwas das sprachlich existiert, muss deswegen nicht zwangsläufig real existieren, aber durch die Sprache und deren sinnvollen Generalisierungen kann überhaupt erst so etwas wie eine konsistente Realität konstruiert werden (vgl. ebd. 134). Diese Auffassung führt zu der Frage, was die Beständigkeit der Sprache zu sichern vermag, wenn nicht die Stabilität der Welt an sich. Luhmann löst das Problem folgendermaßen:
Sprache entsteht durch Wiederverwendung von Lauten bzw., Lautgruppen. Oder genauer gesagt: sie erzeugt im Duktus der Wiederverwendung einerseits die Identität von Wörtern, sie kondensiert spracheigene Identitäten: und andererseits konfirmiert sie im gleichen Zuge diese Kondensate in immer neuen Situationen, sie generalisiert. (1997, 217f.)
Durch diese Generalisierungen entstehen Wörter als ,mediales Substrat’ der Sprache (vgl. Luhmann 1997, 219). Sie sind kondensierter Sinn, der in der Form von Sätzen, Aussprüchen, Fragen etc. weiter spezifiziert werden kann. Sprache prozessiert also Sinn, und tut dies nicht nur durch die Kombination von Wörtern, sondern durch die Sinnimplementation in den Wörtern selbst (vgl. ebd., 213). Sprache erscheint damit als das grundlegende Kommunikationsmedium’, das den Erhalt sozialer Systeme sichert (vgl. ebd., 205). Es scheint stichhaltig, wenn Luhmann sagt, dass Sprache als Medium mit „akustischen bzw. optischen Zeichen für Sinn“ (1984, 220) die Mitteilungsabsicht des Sprachproduzenten offenkundig, ja unbezweifelbar hervortreten lässt und somit den Adressaten unmissverständlich zur Synthese von Information und Mitteilung auffordert. Bei nichtsprachlichen Ausdrucksformen kann es dagegen durchaus unklar sein ob das gezeigt Verhalten kommunikativ intendiert ist oder nicht (vgl. Berghaus 2003, 127). Luhmann schreibt zwar weiter explizit, dass „Intentionalität und Sprachlichkeit nicht zur Definition des Kommunikationsbegriffs“ (1984, 209) verwendet werden können, stellt aber im Folgenden die These auf, dass sich nonverbale Kommunikation nur durch die vorhandene Erfahrung von Sprache erschließen lässt (vgl. Berghaus 2003, 129). Erst durch Sprache lernt der Mensch die Differenz zwischen Information und Mitteilung erkennen, die Luhmann als Bedingung der Kommunikation voraussetzt. Nichtsprachliche Kommunikation existiert demnach nur als Substitut von Sprache, die schon verfügbar ist. Diese scheinbare Widersprüchlichkeit ist folgendermaßen zu verstehen: Sprache ist ein Medium, in dem sowohl soziale als auch psychische Systeme operieren; beschreibt man das Medium jedoch systemspezifisch, werden Unterschiede deutlich, die Begriff und Stellung der Sprache aber nicht im Kern verändern. So fungiert Sprache im sozialen System als Kommunikationsmittel, während sie im psychischen System zudem (aber nicht exklusiv) als kognitives Strukturierungsmoment wirkt.
Sprache ist auch nicht nur ein Mittel der Kommunikation, denn sie fungiert in psychischen Systemen auch ohne Kommunikation. Ihre eigentliche Funktion liegt in der Generalisierung von Sinn mit Hilfe von Symbolen ... Nur in ihrer Funktion als Kommunikationsmedium ... ist Sprache an Codierung, also an akustische bzw. optische Zeichen für Sinn gebunden. (1984, 137)
Für Luhmann ist das (passive) Erleben von Sprache verantwortlich für mentale Prozesse der Generalisierung, bevor diese überhaupt (aktiv) Ausdruck im Medium der Lautlichkeit finden:
Symbolische Generalisierungen entstehen also bereits im konkreten Umgang mit Objekten und Ereignissen, sie dienen dem Vorhalten der Wiederzugänglichkeit, und erst bei Bedarf für höherstufige Aggregationen stellen sich auch Pauschalbezeichnungen, Typenvorstellungen und Heterogenes übergreifende Begriffe ein. Diese können dann nur mit Hilfe von Sprache in die sinnhafte Welt eingebaut werden (ebd., 137).
Sprache oder symbolische Zeichen präformieren also gewissermaßen nonverbale Ausdrucksformen. Es gibt keine (nonverbalen) Ausdrucksformen jenseits symbolischer Sinn-Formen für Luhmann.
Aber was meint nun eine Generalisierung von Sinn, was verbirgt sich hinter diesem Begriff, der hier immer wieder als Schlussreferenz aufzutauchen scheint?
[...]
[1] „Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien“; Bern, 2000
[2]
wird definitionsgleich zu Bewusstsein verwendet
[3]
Diese Perspektive der globalen Beobachtung des sozialen Systems ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Perspektive des jeweils einzelnen psychischen Systems, das in seinem Tun sehr wohl einen persönlichen Zweck realisieren bzw. einen Konsens hinsichtlich spezifischer Bedeutungszuschreibungen erreichen will.
[4] Als Beispiele für Einzelkommunikationen nennt Luhmann z.B. einen Gruß oder den Kauf einer Kinokarte o.ä.. Ihr Auftreten erfordert eine sehr klar vorstrukturierte und normierte Situation (vgl. 1984, 212).
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