Die Darstellung weiblicher Identität in Harriet Jacobs’ "Incidents in the Life of a Slave Girl" und Toni Morrisons "Beloved"


Magisterarbeit, 2010

64 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung: Sojourner Truths Vorbildfunktion für die weiblichen Figuren in Incidents in the Life of a Slave Girl und Beloved

2. Einführung in die frauenzentrierte Sklavenliteratur
2.1 Das slave narrative und die Rolle der Frau in der afroamerikanischen Literatur
2.2 Die gesellschaftliche Rolle der weißen und der schwarzen Frau
2.3 Die doppelte Ausbeutung der schwarzen Frau
2.4 Die Rolle der Sklavenmutter

3. Die unkonventionelle Betrachtung weiblicher Identität in Harriet Jacobs’ Incidents in the Life of a Slave Girl
3.1 Ein Werk zwischen den traditionellen Genrevorgaben
3.2 Das Frauenbild in Incidents: Weiblicher Zusammenhalt durch Widerstand
3.3 Die Würde und Frömmigkeit der Sklavin: eine andere moralische Beurteilung
3.4 Lindas Heldentum im Vergleich zum Bild des heroischen Sklaven
3.5 Die lebensbestimmende Funktion der Mutterschaft
3.6 Fazit: Eine moderne Heldin mit traditionellem Bewusstsein

4. Das zukunftsweisende Frauenbild in Toni Morrisons Beloved
4.1 Inhalt und Stil als Form der Vergangenheitsbewältigung
4.2 Männer und Frauen in Beloved: Die Neuentdeckung ihrer Menschlichkeit
4.3 Die Bedeutung von Mutterschaft in ihren extremsten Ausmaßen
4.4 Die Liebesentdeckung zu sich selbst
4.5 Fazit: Weibliches Selbstbewusstsein in Beloved und Incidents

5. Schlussbetrachtung: „Ar’n’t I a woman?“- Ein impliziter Protest

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Sojourner Truths Vorbildfunktion für die weiblichen Figuren in Incidents in the Life of a Slave Girl und Beloved

Das amerikanische Frauenbild des 19. Jahrhunderts entsprach einer festen Vorstellung von weiblicher Sexualität und einer dem Mann untergestellten Rolle der Frau in der Gesellschaft. Eine ebenso feste Vorstellung von rassischer Ungleichheit legitimierte die Ausbeutung des schwarzen Volks als Sklaven. Die schwarze Frau befand sich innerhalb dieser Gesellschaftskonstrukte in einer Position, in der sie sowohl aufgrund ihrer Rasse als auch ihres Geschlechts keine Stimme besaß. In der vorliegenden Arbeit sollen afroamerikanische Frauen präsentiert werden, die sich wider ihrer Unterdrückung eine Stimme verschaffen, wie das eindrucksvolle Beispiel von Sojourner Truth zeigt.

Sojourner Truth kam ca. 1797 in New York als Sklavin unter dem Namen Isabella zur Welt (Hannam, Auchterlonie, & Holden 2000: 218). Mit 9 Jahren wurde sie von ihren Eltern getrennt und weiterverkauft. Im Laufe ihres Sklavenlebens lebte sie bei verschiedenen Besitzern, die sie zu harter Arbeit gebrauchten und teilweise körperlich schwer misshandelten (Painter 1996: 13-14). Ihr letzter Master verheiratete sie an einen älteren Sklaven, von dem sie fünf Kinder zur Welt brachte (Painter 1996: 19). 1827 erhielt Isabella ihre Freiheit und ging kurz darauf vor Gericht, um die Rückkehr ihres Sohnes einzuklagen, der illegal verkauft worden war. Sie erreichte seine Freiheit und war somit die erste afroamerikanische Frau, die ein Gerichtsverfahren gegen einen weißen Mann gewann (Hannam, Auchterlonie, & Holden 2000: 295).

1843 änderte sie aus einer göttlichen Eingebung heraus ihren Namen in Sojourner Truth und begann, sich als Wanderpredigerin zu engagieren (Painter 1994: 218). Auf ihren Reisen lernte sie bedeutende Persönlichkeiten der Abolitionistenbewegung kennen und knüpfte vor allem Kontakte mit weiblichen Abolitionisten (Hannam, Auchterlonie, & Holden 2000: 295). 1850 ließ Truth ihre Biographie mit dem Titel The Narrative of Sojourner Truth herausgeben, welche die Illiteratin von Olive Gilbert hatte schreiben lassen. Truth verkaufte das Werk bei ihren Ansprachen, bei denen sie sich gegen die Sklaverei und für Frauenrechte einsetzte (Painter 1994: 218). Sie war die einzige ehemalige Sklavin, die als Rednerin über drei Jahrzehnte lang öffentlich aktiv blieb und wurde somit zum Symbol starker, schwarzer Frauen (Painter 1996: 4).

Ihre berühmteste Rede hielt sie 1851 in Akron, Ohio vor einem weißen Publikum (Hannam, Auchterlonie, & Holden 2000: 296). Truth soll dabei ihren muskulösen Arm entblößt und darauf verwiesen haben, dass sie in ihrem Leben ebenso harte Arbeit verrichtet hatte, zu welcher Männer auch fähig waren. Dies entspricht einer Herausforderung der Rollenzuweisung von Frauen, die bereits, dieser widersprechend, die gleiche Arbeit wie Männer leisteten (Painter 1996: 170-171). Zwölf Jahre später schrieb die Abolutionistin Frances Dana Gage ihre eigene Version des Ereignisses und schmückte Truths Rede mit dem Satz „‘ar’n’t I a woman?’“ rhetorisch aus (Painter 1994: 219). Wenngleich diese Worte nicht aus Sojourner Truths tatsächlicher Rede stammen, sondern vielmehr eine Erfindung von Gage sind, sind sie für die vorliegende Arbeit dennoch von Bedeutung, da sie die gender- und rassenbedingte Identität schwarzer Frauen ins Blickfeld rücken (Painter 1996: 171).

„‘Look at me. Look at my arm’“, lautet es in der Rede. „‘I have plowed, and planted, and gathered into barns, and no man could head me – and ar’n’t I a woman?’“ Neben dem Vergleich ihrer physischen Qualitäten mit denen von Männern zeichnet sich hier auch das Bild einer afroamerikanischen Frau, der eine andere Behandlung wiederfährt als weißen Frauen: “‘Nobody eber helps me into carriages, or ober mud-puddles, or gives me any best place. […] And ar’n’t I a woman?’“ Auch die Erfahrungen einer Sklavenmutter werden in diese Rede mit eingebracht: „‘I have borne thirteen chilern and seen em mos’ all sold off into slavery, and when I cried out with a mother’s grief, none but Jesus heard – and ar’n’t I a woman?’“ (Painter 1996: 167). Mit diesen Beispielen führt die Rednerin Formen der Unterdrückung auf, die schwarzen Sklavinnen widerfuhr: schwere, körperliche Arbeit, das Gesellschaftsbild weiblicher Inferiorität gegenüber weißen Frauen und die Rechtlosigkeit einer Mutter auf ihre eigenen Kinder. Es sind Beispiele, die auf den Inhalt der vorliegenden Arbeit verweisen, denn mit diesen Formen der Unterdrückung sehen sich auch die Protagonistinnen in Harriet Jacobs’ Incidents in the Life of a Slave Girl und Toni Morrisons Beloved unter anderem konfrontiert. Sojourner Truth versinnbildlicht exem-plarisch den Kampf dieser Frauenfiguren, sich in einer Welt zu behaupten, in der sie weder als Frauen noch als Menschen anerkannt werden.

Truth erkannte in der Sklaverei ein System, das dem Ziel diente, Sklavenfrauen, die vor allem von männlichen Besitzern zu deren Zwecken missbraucht wurden, ihrer Weiblichkeit zu entreißen. Ihre Vorstellung von dieser verletzten Weiblichkeit bezog sich insbesondere auf den Bereich der Arbeit und Mutterschaft. Die Herabwürdigung weiblicher Sexualität fand sich in Truths Worten weniger explizit wieder, war aber ebenso Ausdruck der Verzerrung eines idealen Frauenbildes (Fox-Genovese 2004: 116). Die Charaktere der in dieser Arbeit behandelten Primärwerke sind, wie Sojourner Truth, dem „Weiblichkeitsmythos“ (Diedrich 1986: 131) beraubte Frauen, welche auf die Funktionen ihrer physischen Qualitäten reduziert werden. Truth bestand dennoch auf der Bewahrung ihrer Weiblichkeit und stellte zudem das vorherrschende Gesellschaftsbild von Frauen in Frage. Sklavinnen, insistierte sie, blieben trotz der Ausbeutung ihrer Körper und der Herabwürdigung ihrer Weiblichkeit Frauen (Fox-Genovese 2004: 116). Diese Art des Selbstbewusstseins afroamerikanischer Frauen soll auch in den behandelten Werken von Harriet Jacobs und Toni Morrison herausgearbeitet werden.

In ihren Handlungen und Aussagen, sowie in der erniedrigenden Behandlung, die ihnen zuteil wird, werfen die Frauenfiguren in Incidents in the Life of a Slave Girl und Beloved implizit dieselbe rhetorische Frage auf wie sie Gages Version von Truths Rede in Epiphern umrahmt: „[...] ar’n’t I a woman?“ Dieser Satz wurde zum Symbol schwarzer Frauen in der amerikanischen Geschichte, sowie für Frauen aller Rassen (Painter 1994: 218). In ihm spiegeln sich die Anklage von Frauen gegen eine Gesellschaft, die ihre Weiblichkeit negiert, und die Forderung nach Anerkennung ihres Geschlechts wider. Sojourner Truth vereinte als schwarze Frau die beiden Streitthemen über die Rechteinforderungen weißer Frauen und schwarzer Männer (Ipainter 1996: 171). Sie war eine starke Persönlichkeit, die um ihre Rechte als Mensch, Frau und Mutter kämpfte und sich zur Erreichung ihrer Ziele gegen dominante Gegner innerhalb einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung durch-setzte, wie der Gerichtsfall um ihren verkauften Sohn dokumentiert. Dementsprechend werden in dieser Arbeit weibliche Figuren präsentiert, die sich auf ähnliche Weise gegen scheinbar übermächtige Gegner zur Wehr setzen.

Harriet Jacobs’ Incidents in the Life of a Slave Girl ist die Autobiographie einer ehemaligen Sklavin, die als Flüchtling unter dem Pseudonym Linda Brent schreibt. Ihre Geschichte galt lange Zeit als fiktionales Werk und erhielt nur wenig Beachtung, bis es die Historikerin Jean Yellin 1987 neu herausbrachte und alle Begebenheiten historisch verifizierte (Block 2004: 135). Jacobs’ Geschichte behandelt ein für das 19. Jahrhundert kontroverses Thema und zeigt auf, wie sehr die Weiblichkeit und Würde von Sklavinnen insbesondere in Zusammenhang mit ihrer Sexualität bedroht waren. Toni Morrisons Beloved ist zwar Fiktion, basiert aber auf der Geschichte der Sklavin Margaret Garner. Auf der Flucht versuchte sie, sich selbst und ihre Kinder zu töten, um nicht in die Sklaverei zurückgeholt zu werden, wobei eines der Kinder starb. Ihre Tat machte sie zur symbolischen Heldin für die Abolutionistenbewegung und sie inspirierte Morrison zu ihrer Figur Sethe (Byatt 2006: viii).

Der Leser wird in beiden Geschichten mit unkonventionellen Heldinnen konfrontiert, die nicht nur ungewöhnliche, sondern auch drastische Wege gehen, um sich gegen ein System zu wehren, das sie ihrer Rechte als Menschen und Frauen beraubt. Sie stehen, wie auch Sojourner Truth, für das Selbstbewusstsein afroamerikanischer Frauen ein und sind somit bedeutende Vorbildfiguren für die Emanzipation aller Frauen.

2. Einführung in die frauenzentrierte Sklavenliteratur

2.1 Das slave narrative und die Rolle der Frau in der afroamerikanischen Literatur

Die afroamerikanische Literatur hat ihre Wurzeln in der Zeit, als ehemalige Sklaven erstmals begannen, ihre Schicksale unter der Sklaverei in Form von Autobiographien niederzuschreiben oder zu diktieren. Die im 19. Jahrhundert dominant männliche Sichtweise in den sogenannten slave narratives wird in der Literatur afroamerikanischer Frauen herausgefordert und den Erfahrungen ehemaliger Sklavinnen gegenübergestellt, um die spezifisch weibliche Perspektive in der Geschichte der Sklaverei zu beleuchten.

Das „ slave narrative “ ist eine literarische Gattung, in der ehemalige Sklaven von ihren Leiderfahrungen in der Sklaverei und ihrer Flucht berichten und gleichzeitig soziale Gleichberechtigung mit der weißen Gesellschaft fordern (Diedrich 1986: 15). Die ersten Werke dieses Genres erschienen bereits Ende des 18. Jahrhunderts, erhielten aber erst ab den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts Unterstützung durch die Abolutionisten-bewegung, die ihr Schreiben nachhaltig beeinflusste (Diedrich 1986: 20). Sie hatten den propagandistischen Zweck, die vor allem weiße Leserschaft zum politischen Handeln zu alarmieren (Diedrich 1986: 36). Dafür war es von besonderer Bedeutung, sie von der Gleichwertigkeit des afroamerikanischen Autoren in Bezug auf seine Menschenrechte einerseits (Diedrich 1986: 35) und andererseits von der Grausamkeit der Institution, die es abzuschaffen galt, zu überzeugen (Diedrich 1986: 46). Dies erwies sich als eine schwierige Aufgabe, denn eine Gesellschaft von der Menschlichkeit eines Wesens zu überzeugen, das für sie ideologisch und per Gesetz den gleichen Rang wie Nutz- und Arbeitstiere innehatte (Feagin 2004: 94), erforderte die Unterstützung durch eine glaubwürdige Autorität.

Um den Wahrheitsgehalt der Geschichte zu bestätigen, wendete sich eine meist in der Öffentlichkeit bekannte Person im Vorwort des slave narratives an das Leserpublikum, von welchem schwarze Autoren andernfalls nicht ernst genommen worden wären (Schmidli 1995: 11-12). Die Geschichte wurde entweder von den ehemaligen Sklavenautoren selbst geschrieben, was in dem Fall im Titel hervorgehoben wurde (Jacobs 2000: xv), oder diktiert, wenn sie Illiteraten waren, ein aus der Sklaverei resultierender Umstand (Diedrich 1986: 18). Ihr Schreiben stand jedoch in jedem Fall unter dem Einfluss weißer Autoren und Verleger, um der Leserschaft den Text einladend zu gestalten (Schmidli 1995: 12). Somit wurde stilistisch bewusst auf eine Sprachform gesetzt, die sich „an dominante[n] Vorbilder[n] aus der amerikanischen Literatur“ orientierte (Diedrich 1986: 36).

Eine besonders beliebte literarische Gattung des 19. Jahrhunderts war der „sentimentale[...] Roman“, der didaktische und melodramatische Elemente verband und sich daher stilistisch als Vorbild des slave narratives anbot (Diedrich 1986: 31). Dieses Genre wurde generell stilistisch und thematisch mit der weißen Frau und deren kulturellen Rolle als Verwaltungsperson des häuslichen Bereichs in Verbindung gebracht (Mullen 1992: 244-245). Kennzeichnend war darin ein beschönigender Sprachstil, in dem auf zu direkte, dem mündlichen Stil entsprechende Formulierungen weitgehend verzichtet wurde (Mullen 1992: 254). Ein Sprachstil, der mit den aufrüttelnden Themen der slave narratives nicht immer korrespondierte. Kritiker warfen aufgrund dieser Adaption von Stilelementen den slave narratives vor, keinen literarischen Eigenwert zu besitzen und „nur zu einer minderwertigen Imitation populärer Stilelemente fähig“ zu sein. Dabei war es aber gerade die Anpassung an einen konventionellen Schreibstil, der dem Autor zum Zweck diente, die Aufmerksamkeit der Leser zu erringen und sich selbst entgegen aller Vorurteile als intelligenten und gleichwertigen Menschen zu präsentieren (Diedrich 1986: 32).

Die Schilderungen der ehemaligen Sklaven von den menschenunwürdigen Umständen, in denen sie gelebt haben, bis hin zu ihrem Ausbruch aus der Sklaverei sind dramatisch und außergewöhnlich. Die Autoren präsentierten sich als Helden, die im Kampf um die Freiheit ihr Leben aufs Spiel setzten, was ihre Sympathisanten zu Vergleichen mit dem Heldentum der Unabhängigkeitskämpfer „der amerikanischen Revolution“ anregte (Diedrich 1986: 45). Die ehemaligen Sklaven demonstrierten sich als Menschen, deren Menschlichkeit ihnen selbst unter barbarischsten Lebensumständen nicht verloren ging, wodurch sie die Leser sowohl zur Bewunderung als auch zur Identifikation bewegten (Diedrich 1986: 47).

Ihre Darstellung der weißen Südstaatengesellschaft war hingegen schockierend und abschreckend in ihrer Entlarvung des Mythos über eine noble und kultivierte Plantagengesellschaft, so wie sie etwa in Sklaverei verherrlichender Literatur romantisiert wurde. Stattdessen bot sich hier das Bild der vom System vollkommen demoralisierten Sklavenhalter, die einen deutlichen Kontrast zu dem Bild des ehemaligen Sklaven boten (Diedrich 1986: 58). Vermeintliche Christen des Südens wurden als „Repräsentant[en] der Hölle“ bloßgestellt (Diedrich 1986: 57), während religiöse Autoritäten des Südens den Sklaven von der göttlichen Vorsehung predigten, laut welcher der Sklave dem weißen Mann dienen sollte (Schmidli 1995: 23). Das Christentum entsprach in der Geschichte der USA lange Zeit einer Praxis, die als „antiblack“ einzuordnen ist (Feagin 2004: 94). Jedoch war das Anliegen der Autoren in erster Linie politischer Natur, weshalb sie sich nicht darauf beschränkten, ihre Peiniger als Individuen, sondern die gesamte Institution, die das Eigentum von Menschen legalisierte, zu verurteilen. Somit waren Sklaven und Sklavenhalter gleichermaßen „Opfer eines Systems“ (Diedrich 1986: 61). Es war besonders wichtig für die Autoren, sich in ihren Darstellungsweisen nicht gegen die weiße Gesellschaft zu stellen, um sich den Weg zu ebnen, Teil dieser Gesellschaft unter demokratischen Verhältnissen zu werden (Diedrich 1986: 63).

Das slave narrative erzählt die Lebensgeschichte von entflohenen Sklaven, die sich in den Tugenden bewährten, welche als Voraussetzung für die Anerkennung in der bürgerlichen Gesellschaft dienten. Die Autoren arbeiteten bewusst Charakterzüge wie „nobility, intelligence, strength, [...] courage, self-control, [...]“ in ihre Selbstdarstellung ein; Eigenschaften, die insbesondere die Vorzüge männlicher Zeitgenossen definierten (Yarborough 1991: 168). Das slave narrative ist ein Genre, das in erster Linie mit den Werken afroamerikanischer Männer assoziiert wird (Mullen 1992: 244); Männer, die sich meist mit physischer Gewalt gegen ihre Tyrannen zur Wehr setzten und sich damit als Helden erwiesen (Yarborough 1991: 167). Für gewöhnlich zog die spezifisch männliche Darstellungsweise auch den Fluchtweg in die Freiheit im Alleingang mit ein, da Familienbündnisse insoweit zerstört wurden, dass männliche Sklaven meist von ihren Familien getrennt verkauft wurden, während für Sklavenmütter eine geringe Chance bestand, bei ihren Kindern bleiben zu können. Daher spielte das Verhältnis zur Familie auch meist eine weniger starke Rolle als in frauenzentrierten slave narratives (Schmidli 1995: 29). Weibliche, afroamerikanische Autoren, die von ihrem Schicksal in der Sklaverei schreiben wollten, sahen sich mit einer solchen Konzeption des männlichen Heroismus, der zu der Popularität des slave narratives entscheidend beitrug, konfrontiert. Gleichzeitig wussten sie, dass in der bürgerlichen Gesellschaft auch eine ganz bestimmte Vorstellung der idealen Frau existierte, der sogenannten „True Woman“ (Guy-Sheftall 2002: 23). In diesem Konzept verkörperte die weiße Frau Tugenden und Vorzüge wie „modesty, purity, chastity, beauty“ (Guy-Sheftall 2002: 24). In den slave narratives wurde immer wieder betont, dass auch der Sklavin diese Tugenden innewohnten und sie der weißen Frau dementsprechend moralisch gleichgestellt war (Diedrich 1986: 138).

Aber die afroamerikanische Frau bildete zu beiden Konzepten einen deutlichen Gegensatz, da sie als Frau nicht dieselbe Art von Heroismus in Form des physischen Widerstands wie der männliche Sklave zeigen konnte, denn dies ließe sie im Vergleich zu der weißen Frau als unfeminin erscheinen. Daher waren derart heroische Taten normalerweise nicht Teil der Geschichten der Autorinnen von slave narratives (Schmidli 1995: 74). Andererseits wurden Sklavinnen häufig zur Zucht weiterer Sklaven sowie zur sexuellen Befriedigung ihrer weißen, männlichen Besitzer missbraucht, sodass sie als Mütter von unehelichen Kindern nicht an das Ideal der frommen, weißen Frau heranreichen konnten (Guy-Sheftall 2002: 30). Die Auseinandersetzung mit Sexualität entsprach im 19. Jahrhundert einem sehr sensiblen Thema, weshalb auch in slave narratives die sexuelle Ausbeutung von Sklavinnen nur angedeutet werden konnte (Diedrich 1986: 67). Dies ist eines der Beispiele, in denen der Sprachstil des sentimentalen Romans mit dem Inhalt in Kontrast geriet. Sex war ausschließlich in der Ehe ein akzeptierter Bereich (Diedrich 1986: 117). Daher war es für die afroamerikanische Autorin nicht leicht, ihr spezifisch weibliches Leid unter der Sklaverei zu formulieren und ihre Leserschaft zur Identifizierung mit der Heldin der Geschichte anzuregen. Dieser Aufgabe musste sich beispielsweise Harriet Jacobs in ihrem slave narrative von 1861, Incidents in the Life of a Slave Girl, stellen, in welchem sie sich als untypische „storybook heroine“ (Yellin 1985: 271) präsentierte.

Afroamerikanische Autorinnen von slave narratives oder fiktionalen Werken über die Sklaverei forderten die Konventionen der populären Literaturgenres, des mit weißen Frauen assoziierten sentimentalen Romans sowie des mit männlichen Afroamerikanern in Verbindung gebrachten slave narratives, heraus, und zeigten in ihren eigenen Versionen die Grenzen des weiblichen Idealbildes auf (Mullen 1992: 244-245). Dabei wichen sie zwar inhaltlich, aber nicht stilistisch von diesen Konventionen ab. Der Sprachstil literarischer Vorbilder kennzeichnete selbst noch im 20. Jahrhundert die afroamerikanische Literatur, da sich die Autoren lange „in traditionellen, erprobten Bereichen beweisen“ mussten, bevor sie die Freiheit zum „literarischen Experiment“ besaßen (Diedrich 1986: 33). Spätere Werke sind stärker von einem mündlichen Sprachstil geprägt, welcher eine direktere Art von Beschreibungen etwa in Hinblick auf Themen wie Sex oder Gewalt erlaubt (Mullen 1992: 245). Diese mündliche Tradition hat ihre Wurzeln in der afrikanischen Kultur (Mullen 1992: 259). In ihr finden sich, im Gegensatz zum sentimentalen Roman und dem dominant männlich assoziierten slave narrative, vor allem Darstellungen starker, schwarzer Frauen, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung wehren (Mullen 1992: 245). Diese Darstellungen beziehen auch die physische Gegenwehr von Frauen mit ein, die so auf die Misshandlungen durch ihre Besitzer reagierten.

Zu nennen wäre etwa das authentische Beispiel einer Sklavin, mündlich widergegeben aus der Sicht von deren Tochter, die ihrer Mistress auf offener Straße die Kleidung vom Leib riss, um sie für ihre brutale Behandlung zu bestrafen (Loewenberg & Bogin 1976: 50). Die öffentliche Erniedrigung der Nacktheit einer weißen Frau entspricht einer Sphäre, in die slave narratives aufgrund der Verletzung des „True-Woman“-Konzepts in Zusammenhang sowohl mit der weißen als auch mit der schwarzen Frau nicht einzudringen vermochten, die jedoch über 100 Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei als Zeugnis für den Widerstand einer starken, schwarzen Frau steht.

Mit ihren Darstellungen von Gewalt und Frauen im Bereich der Fiktion spricht auch die afroamerikanische Autorin Toni Morrison aus, was als „inexpressible“ galt (Ferguson 2007: 139). In ihrem Roman Beloved von 1987 schneidet eine Mutter ihrem einjährigen Kind die Kehle durch. Ein schockierender, gewalttätiger Akt. Morrsion durchbricht mit solchen Szenen „the myth of the existence of a field assigned to female/feminine perception which is granted legitimacy in women’s writing as long as it does not intrude upon the supposed male/masculine turf of perception“ (Surányi 2003: 174). Das Konzept der „True Woman” verliert an Bedeutung und weicht einem brutal realistischen Bild der Frau in Sklaverei (Mullen 1992: 261).

Das slave narrative beschreibt den Beginn der afroamerikanischen Literatur, welche sich über einen langen Zeitraum an traditionellen Vorbildern einer dominant weißen Kultur orientierte, die in der Offenlegung von Erfahrungen mit Gewalt oder Sex Grenzen aufwarf. Insbesondere die Erfahrungen der schwarzen Frau während und nach der Sklaverei bildeten aufgrund der häufigen Verbindung von Gewalt und Sex ein zensurbedürftiges Thema in der Literatur. Afroamerikanische Autorinnen wehren sich gegen die Konzeptualisierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, in der die schwarze Frau keinen Platz zu finden scheint und verleihen ihr eine individuelle Stimme in der Literatur.

2.2 Die gesellschaftliche Rolle der weißen und der schwarzen Frau

Das Bedürfnis der Afroamerikanerin nach Gleichheit mit der weißen, bürgerlichen Frau hatte wenig gemein mit der Identifikation weißer Feministinnen mit der Situation der Sklavin in Bezug auf ihre Rolle in einer patriarchalischen Gesellschaft. Sie teilten zwar Erfahrungen der Unterwürfigkeit, die sich auf ihre Geschlechterrolle zurückführen ließen, aber sie unterschieden sich stark voneinander in ihrer Rassenidentität. Dieser Unterschied war so prägend, dass im Verhältnis zwischen der schwarzen und weißen Frau von keinem weiblichen Zusammenhalt die Rede sein kann.

Die amerikanische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts bestand in einer Klassen-, Geschlechter- und Rassenordnung (Fox-Genovese 2004: 108). Weiße Frauen erfüllten darin die Vorstellung des häuslichen Ideals als Ehefrauen und Mütter (Altink 2007: 65-66). Frauen, die begannen, sich gegen ihre unterwürfige Rolle gegenüber dem Mann zu wehren, empfanden ihre Situation als vergleichbar mit der des Sklaven, da sich ihr Gesellschaftsstand gleichermaßen durch biologische Charakteristika definierte. Die vermeintlich psychische und intellektuelle Inferiorität der Frau wurde mit ihrer Rolle als Gebärerin in Verbindung gebracht, weshalb sie gesetzlich unter dem Mann stand. Der Afrikaner bzw. Afroamerikaner wurde aufgrund seines Knochenbaus auf die Funktion des Knechts reduziert. Der Sklave war für Frauen, die um ihre politischen und sozialen Rechte kämpften, eine Identifikationsfigur aufgrund ihrer Gemeinsamkeit, einem weißen Mann zu unterstehen. Auch die Ehe wurde somit auf eine Ebene mit der Sklaverei gesetzt (Sánchez-Eppler 1992: 93-95). Der entscheidende Unterschied zwischen der Lage der Frau und der des Sklaven war jedoch die Tatsache, dass erstere gegen psychische und physische Misshandlungen per Gesetz beschützt wurde, während Sklaven die grundlegendsten Menschenrechte verwehrt wurden, wie etwa das Recht auf ihre Familie und Kinder (Diedrich 1986: 119). Der Schutz, den weiße Frauen aufgrund ihrer sogenannten angeborenen Inferiorität erhielten, galt weder dem Sklaven noch der schwarzen Frau, die als Arbeiter für die weiße Gesellschaft ausgebeutet wurden (Omolade 1994: 4).

Die Unzufriedenheit von Frauen mit ihrer Rolle in der patriarchalischen Institution war auch unter Sklavenhalterfrauen verbreitet, aber diese stellten sich nur selten gegen das Menschen ausbeutende System der Sklaverei (Feagin 2004: 95). Dementsprechend konnten sich Sklavinnen von ihren Besitzerinnen kein Mitleid erhoffen, denn diese betrachteten sie als ihnen sozial und ihrer Rasse nach untergeordnete Dienerinnen. Sie teilten zwar Erfahrungen der geschlechterspezifischen Inferiorität, aber ihre Situation unterschied sich deutlich in ihrer Rassenidentität (Fox-Genovese 2004: 112). Diese Identität wurde von einem Gesellschaftsbild geprägt, in dem positive Attribute nur der weißen Frau zugeteilt wurden, während schwarze Frauen die Antithese davon bildeten (Guy-Sheftall 2002: 21).

Das bereits erwähnte Konzept der „True Woman“, das Tugenden wie Unterwürfigkeit und das häusliche Leben der Frau idealisierte (Schmidli 1995: 68), wurde in der Beschreibung der schwarzen Frau ins Gegenteil verkehrt. Sie galt als tiergleich, promiskuitiv und hässlich (Guy-Sheftall 2002: 24). In einer Zeit, in der die Gesellschaft sehr viel Wert auf die moralische Natur der Frau legte und Reinheit, Häuslichkeit und Schönheit als der Inbegriff weiblicher Identität galten, wurde die schwarze Frau zugunsten der Rechtfertigung der Sklaverei abgewertet und entweiblicht. Ihr Wert definierte sich vor allem durch die Funktion der Fortpflanzung, da sie mit der Geburt möglichst vieler Sklavenkinder den Fortbestand der Sklaverei sicherte (Guy-Sheftall 2002: 23).

Trotz dieser distinkten Konzeptualisierung von Weiblichkeit bestand häufig eine von weißen Frauen empfundene Konkurrenz zu der vermeintlich hässlichen Sklavin. Die der schwarzen Frau nachgesagte sexuelle Freizügigkeit wurde als Ursache für die Untreue von Sklavenhaltern gegenüber ihren Ehefrauen ausgelegt (Jordan 1968: 151). Die Vorstellung der „True Woman“ schloss den Bereich der Sexualität aus, welcher von weißen Südstaatenfrauen durch ihre Erziehung bedingt „mit Sünde und Schmutz“ assoziiert wurde (Diedrich 1986: 74). Damit bot die Sklavin, die die Werte weißer Frauen angeblich nicht verinnerlichte, für die sexuelle Befriedigung des Sklavenhalters unbegrenzten Zugang (Guy-Sheftall 2002: 25) und sie konnte nicht auf die Hilfe von Seiten der betrogenen Ehefrau hoffen, deren rassistisches Weltbild die Sklavin nicht als Opfer, sondern als die „von tierischen Instinkten beherrscht[e]“ Verführerin einordnete (Diedrich 1986: 74). Vielmehr noch nutzten sie ihre eigene höher gestellte Position als weiße Herrin, um die Sklavin zu quälen und ihre Frustrationen an ihr auszulassen (Omolade 1994: 10). Die Rolle des Unterdrückers weiblicher Rechte verkörperte in beiden Fällen in erster Linie der Sklavenhalter, dessen Bedürfnisse gegenüber denen seiner Frau höhere Priorität hatten, während die Sklavin als sein materieller Besitz überhaupt keine Rechte besaß, wie etwa die Kontrolle über ihren Körper (Omolade 1994: 7-8). Aber auch die Sklavenhalterin entlarvte sich selbst durch ihre rachsüchtige Behandlung der Sklavin als Unterdrückerin, womit sie, wie in vielen slave narratives dokumentiert, das Bild der wohlerzogenen Südstaatenfrau stark verzerrte (Diedrich 1986: 72).

Die Erfahrungen weißer und schwarzer Frauen waren rassenbedingt grundverschieden, was sich auch in ihren Ansprüchen als Teil der Gesellschaft widerspiegelte. Ehemalige Sklaven, die sich ihre Freiheit erkämpft hatten, mussten sich nun als gleichwertige Bürger erweisen. Somit war es auch die Absicht der slave narratives, die Afroamerikanerin der weißen Frau als moralisch ebenbürtig darzustellen, trotz ihrer Erfahrungen sexueller Ausbeutung. Sie sollte sich als berechtigt zeigen, dieselbe Position wie die weiße Amerikanerin innezuhaben, in erster Linie die „als Frau und Mutter“. Die Erkämpfung dieses Rechts war das Grundbedürfnis der ehemaligen Sklavin und entsprach keiner grundsätzlichen Unzufriedenheit mit der Rolle der Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft (Diedrich 1986: 138). Vielmehr respektierten sie patriarchalische Ordnungen innerhalb der schwarzen Familie (Omolade 1994: 5). Jedoch wäre es auch dem propagandistischen Zweck des slave narratives abträglich gewesen, Kritik an einer Gesellschaft zu üben, deren Akzeptanz sich die Autoren erkämpfen wollten. Das Beispiel von Sojourner Truth zeigt ferner, dass sich auch freie Afroamerikanerinnen für ihre Rechte als Frauen einsetzten.

Wie sich gezeigt hat, bestand aufgrund geteilter Erfahrungen der Unterdrückung durch den weißen Sklavenhalter und Ehemann zwischen weißen und schwarzen Frauen der Südstaaten meist keine Form von Zusammenhalt. Der Vergleich von Frauenrechtlern zwischen der Situation des Sklaven und der Frau ist somit nur sehr bedingt gerechtfertigt, vor allem aufgrund des Stellenwerts in der Gesellschaft, den die weiße Frau einerseits und die Sklavin andererseits innehatte. Wie aber in der Analyse der Werke von Harriet Jacobs und Toni Morrison verdeutlicht werden soll, tragen vor allem die Ausnahmen von Frauen, die sich dieses Zusammenhalts besinnen, maßgeblich zur Befreiung der schwarzen Sklavin bei.

2.3 Die doppelte Ausbeutung der schwarzen Frau

Die Ausbeutung von Sklaven beinhaltete eine in hohem Maß biologisch definierte Rollenverteilung, in welcher der Frau neben harter Arbeit oft auch die Funktion der Zucht weiterer Sklaven zufiel. Die Institution beraubte schwarze Männer und Frauen systematisch ihrer Menschlichkeit und reduzierte ihre Geschlechterrollen auf die von Tieren.

Um das System der Sklaverei rechtfertigen und aufrecht erhalten zu können, argumentierten deren Befürworter für „die rassische Inferiorität der Sklaven“ (Diedrich 1986: 97) und entwarfen eine Reihe stereotyper Charakterisierungen von schwarzen Männern und Frauen, die auf den Eindrücken von Europäern bei den ersten Begegnungen mit Afrikanern auf dem afrikanischen Kontinent im 15. und 16. Jahrhundert beruhten. Ihre dunkle Hautfarbe und ihre Nacktheit weckte rassistische Assoziationen von Unzivilisiertheit und einem animalischen Sexualverhalten (Guy-Sheftall 2002: 17). Daraus entstand das Bild tiergleicher und sexuell freizügiger Wesen, die keinerlei moralische Werte besaßen. Der Afrikaner galt aufgrund seines Triebverhaltens als Gefahr für weiße, ehrbare Frauen. Die schwarze Frau hingegen verkörperte höchst widersprüchliche Vorstellungen, laut derer sie sowohl abstoßend wirkte als auch eine starke Anziehungskraft ausübte. Ihre vermeintliche Triebhaftigkeit war der Ausgangspunkt für eine jahrhundertlange sexuelle Ausbeutung ihres Körpers (Guy-Sheftall 2002: 23-25). Vermutlich gibt es in der Geschichte der Frauen keine anderen Frauen, die so sehr wie die schwarze Frau in Bezug auf ihren Körper und ihre Sexualität stereotypisiert wurden (Guy-Sheftall 2002: 30).

Die als minderwertige Kreaturen kategorisierten Männer und Frauen wurden ihrer Heimat beraubt und auf Sklavenschiffen unter menschenunwürdigen Bedingungen über den Atlantik transportiert, wo viele von ihnen ihr Leben ließen (Feagin 2004: 97). Die Frauen erlebten bereits die Überfahrt nach Amerika auf eine andere Weise als die Männer, denn sie wurden außerdem Opfer von Vergewaltigungen (Guy-Sheftall 2002: 24). Somit waren die Erfahrungen der Sklaven von Anfang an geschlechtsspezifisch, wie auch ihre spätere Funktion in der Sklaverei. Schwarze Frauen wurden nie mit einer der weißen Frau ähnlichen Vorstellung von „Schwäche“ in Verbindung gebracht, sondern erhielten, was Arbeit und Bestrafung anging, dieselbe Art der Behandlung wie männliche Sklaven (Diedrich 1986: 131). Vielmehr noch wurden sie selbst in Schwangerschaft zu harter Arbeit angetrieben und auch von Auspeitschungen blieben sie in ihrem Zustand nicht verschont (Diedrich 1986: 134). Jedoch waren die Frauen für Sklavenhalter von besonderem Wert, da sie außerdem als Gebärerin von weiteren Sklaven und als Amme für sowohl schwarze als auch weiße Kinder dienten (Guy-Sheftall 2002: 30). Sie vereinten die Rolle der Arbeiterin, Nährmutter, der „Zuchtstute“ (Diedrich 1986: 133), sowie des „Sexualobjekt[s]“ (Diedrich 1986: 67) weißer Sklavenhalter. Die Ausbeutung ihrer Körper war somit nicht nur rassistischer, sondern auch sexueller Natur (Omolade 1994: 8). Man spricht daher auch von dem erfahrenen Leid der Sklavin als „‘double burden’“ (Fox-Genovese 2004: 115).

Männliche Sklaven standen dieser geschlechtsspezifischen Funktionszuweisung machtlos gegenüber. Die Institution beraubte sie jeder Position, die in der weißen Gesellschaft der typisch männlichen Domäne angehörte, wie das Recht auf Familie, Besitzeigentum und Autorität im Sinne einer patriarchalischen Ordnung. Ihre Hilflosigkeit, die eigenen Frauen vor den Übergriffen der Sklavenhalter nicht beschützen zu können, hinterließ in ihnen ein Gefühl, das sich mit „psychische[r] Kastration“ vergleichen lässt (Diedrich 1986: 126-127).

Hingegen war das mit ihnen in Verbindung gebrachte Vorurteil des Vergewaltigers weißer Frauen ebenso falsch und rassistisch geprägt wie die Vorstellung der schwarzen Frau als „willig lüsterne[...] Hure“ (Diedrich 1986: 110). Paradoxerweise wurde ihr in dieser Hinsicht offenbar ein eigener Wille eingeräumt, während andererseits dem Rassendenken der damaligen Zeit gemäß die Sklavin eine willenlose Kreatur war. Demnach wurden die sexuellen Übergriffe auf sie auch nicht als Vergewaltigung ausgelegt, da dies einem „Akt gegen den Willen der Frau“ entspräche, den die schwarze Frau angeblich gar nicht besaß (Diedrich 1986: 67). Heutzutage geht man jedoch davon aus, dass jede Form des sexuellen Kontakts zwischen weißem Mann und schwarzer Frau aufgrund der sozialen Strukturen ein Vergewaltigungsakt war (Omolade 1994: 7-8). Somit war auch das Bild des gefährlichen, schwarzen Triebtäters eine Farce im Vergleich zur Wirklichkeit, in der weiße Männer im zwiespältigen Bewusstsein ihrer moralischen Integrität und sexuellen Begierden wahrscheinlich ihre eigene Rolle des Vergewaltigers auf die Natur des Afroamerikaners projizierten (Feagin 2004: 98). Die angeblich sexuelle Ungezähmtheit der Sklaven entsprang der Erfindung der weißen Sklavenhaltergesellschaft, die damit die Unterdrückung der schwarzen Rasse rechtfertigte (Omolade 1994: 4).

Das widersprüchliche Stereotypenbild der Afroamerikanerin spiegelte das ebenso widersprüchliche Konstrukt der Sklaverei wider. Ihre sexuelle Anziehungskraft auf viele weiße Männer war eine gesellschaftlich nicht akzeptierte Realität und konnte nicht offen bekundet werden, da dies die Weltanschauung rassischer Ungleichheit bedeutend geschwächt hätte (Omolade 1994: 17). Dennoch existierte seit 1662 ein Gesetz, nach welchem Kinder, die von einem weißen Mann mit einer schwarzen Frau gezeugt wurden, in dieselbe Rassenkategorie wie deren Mütter fielen (Omolade 1994: 6). Der sexuelle Kontakt zwischen den Rassen, genauer gesagt zwischen weißen Männern und deren Sklavinnen, war also ein bekanntes Faktum, welches trotz der gesellschaftlichen Inakzeptanz soweit institutionalisiert wurde, dass der Fortbestand des Systems nicht bedroht war.

Ziel der slave narratives war es unter anderem, den Sklavenhalter als den wahren Triebtäter zu entlarven und so das stereotypische Bild der Afroamerikaner in Bezug auf ihre Sexualität auf ihn zu übertragen. Allein die Anspielung auf ein solch kontroverses Thema musste unter den Lesern zu Entsetzen führen. Sklavinnen wurden stets als Opfer präsentiert, nicht aber als Frauen, die Nutzen aus einer solchen sexuellen Beziehung gezogen hätten (Diedrich 1986: 67). Harriet Jacobs’ Incidents in the Life of a Slave Girl stellt diesbezüglich eine ungewöhnliche Ausnahme dar, wie sich in Kapitel 3 zeigen soll. Generell strebten schwarze Frauen ein Leben an, in dem sie der traditionellen Rolle als Ehefrau und Mutter nachgehen konnten. Dies galt als fester Bestandteil der weißen Gesellschaftsordnung, ihnen jedoch wurde ein solches Leben verwehrt. Für sie existierte das Recht auf menschliche Erfahrungen wie Liebe in einer Partnerschaft oder in der Familie nicht, denn sie selbst wurden nicht als Menschen anerkannt (Omolade 1994: 14).

Die Erfahrungen der schwarzen Frau unterschieden sich deutlich von denen schwarzer Männer in Sklaverei und von weißen Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft. Ihre Menschlichkeit wurde ebenso wie die des männlichen Sklaven negiert und, anders als die weiße Frau, war sie angeblich weiblicher Qualitäten nicht fähig. Andererseits besaß sie scheinbar genug Weiblichkeit, um die Begierde weißer Männer zu wecken. Die Widersprüchlichkeit der Sklaverei zeigt sich nirgends deutlicher als in der Position der schwarzen Frau in diesem System.

2.4 Die Rolle der Sklavenmutter

Ein weiteres vorherrschendes Stereotypenbild der schwarzen Frau bezog sich auf ihre Fähigkeiten als Mutter. Sie galt als emotionsloses Wesen, das sich besser um die Kinder weißer Eltern kümmerte als um die eigenen. Somit wurde die Trennung zwischen Müttern und ihren Kindern durch den Sklavenverkauf weder ethisch hinterfragt, noch die damit verbundenen psychischen Folgen reflektiert.

[...]

Ende der Leseprobe aus 64 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung weiblicher Identität in Harriet Jacobs’ "Incidents in the Life of a Slave Girl" und Toni Morrisons "Beloved"
Hochschule
Universität zu Köln  (Englisch)
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
64
Katalognummer
V154495
ISBN (eBook)
9783640676552
ISBN (Buch)
9783640676439
Dateigröße
745 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Darstellung, Identität, Harriet, Jacobs’, Incidents, Life, Slave, Girl, Toni, Morrisons, Beloved
Arbeit zitieren
Franziska Scholz (Autor:in), 2010, Die Darstellung weiblicher Identität in Harriet Jacobs’ "Incidents in the Life of a Slave Girl" und Toni Morrisons "Beloved", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154495

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