Vorratsdatenspeicherung

Das BVerfG schützt die Freiheit der Bürger


Scientific Essay, 2010

55 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Vorratsdatenspeicherung - Das BVerfG schützt die Freiheit der Bürger *[1]

„Der Grundrechtsschutz bezieht sich auf Bürgerverhalten. Dieses soll frei sein. Staatliche Maßnahmen gegenüber grundrechtsgeschütztem Bürgerverhalten sind Eingriffe. Im Interesse der Individualfreiheit werden sie besonderen Anforderungen unterworfen, die sich vor allem aus der Schrankenregelung des betroffenen Grundrechts und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben“.

„Der hohen Eingriffsintensität der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten steht in der Verhältnismäßigkeitsprüfung ihr eher geringer Nutzen gegenüber. Die Vorratsdatenspeicherung ist ihrer technischen Eigenart nach vergangenheitsbezogen und daher, wenn überhaupt, primär der Aufklärung begangener Straftaten dienlich“.

Leutheuser-Schnarrenberg

1. Die Beschwerdeführer können sich auf die Grundrechte des Grundgesetzes jedoch insoweit berufen, als der Gesetzgeber bei der Umsetzung von Unionsrecht Gestaltungsfreiheit hat, das heißt durch das Unionsrecht nicht determiniert ist.[2] Darüber hinaus sind Verfassungsbeschwerden auch insoweit zulässig, als angegriffene Vorschriften auf Richtlinienbestimmungen beruhen, die einen zwingenden Inhalt haben.
2. Eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch private Dienstanbieter, wie sie die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 (ABl L 105 vom 13. April 2006, S. 54; im Folgenden: Richtlinie 2006/24/EG) vorsieht, ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar;[3] auf einen etwaigen Vorrang dieser Richtlinie kommt es daher nicht an.[4]
3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit[5] verlangt, dass die gesetzliche Ausgestaltung einer solchen Datenspeicherung dem besonderen Gewicht des mit der Speicherung verbundenen Grundrechtseingriffs angemessen Rechnung trägt.[6] Erforderlich sind hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes.
4. Die Gewährleistung der Datensicherheit sowie die normenklare Begrenzung der Zwecke der möglichen Datenverwendung obliegen als untrennbare Bestandteile der Anordnung der Speicherungsverpflichtung dem Bundesgesetzgeber gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG. Demgegenüber richtet sich die Zuständigkeit für die Schaffung der Abrufregelungen selbst sowie für die Ausgestaltung der Transparenz- und Rechtsschutzbestimmungen nach den jeweiligen Sachkompetenzen.
5. Hinsichtlich der Datensicherheit bedarf es Regelungen, die einen besonders hohen Sicherheitsstandard normenklar und verbindlich vorgeben. Es ist jedenfalls dem Grunde nach gesetzlich sicherzustellen, dass sich dieser an dem Entwicklungsstand der Fachdiskussion orientiert, neue Erkenntnisse und Einsichten fortlaufend aufnimmt und nicht unter dem Vorbehalt einer freien Abwägung mit allgemeinen wirtschaftlichen Gesichtspunkten steht.
6. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten sind nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen.[7] /[8] Im Bereich der Strafverfolgung setzt dies einen durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht einer schweren Straftat voraus. Für die Gefahrenabwehr[9] und die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste dürfen sie nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr[10] für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden.
7. Eine nur mittelbare Nutzung der Daten zur Erteilung von Auskünften durch die Telekommunikationsdienstanbieter über die Inhaber von Internetprotokolladressen ist auch unabhängig von begrenzenden Straftaten- oder Rechtsgüterkatalogen für die Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und die Wahrnehmung nachrichtendienstlicher Aufgaben zulässig. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten können solche Auskünfte nur in gesetzlich ausdrücklich benannten Fällen von besonderem Gewicht erlaubt werden.[11]

Alle Verfassungsbeschwerden[12] richten sich unmittelbar gegen die §§ 113a und 113b TKG, die durch Art. 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung in das Telekommunikationsgesetz eingefügt worden sind. Die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren 1 BvR 263/08 und 1 BvR 586/08 wenden sich darüber hinaus unmittelbar gegen § 100g StPO in der Fassung des Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung, soweit er die Erhebung von nach § 113a TKG gespeicherten Daten zulässt. § 113a TKG zielt darauf ab, hinsichtlich aller öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdienste Verkehrsdaten, die Auskunft geben über die an einer Telekommunikationsverbindung beteiligten Anschlüsse, über die Zeit, zu der die Telekommunikation stattgefunden hat, und über die Orte, von denen aus kommuniziert worden ist, für sechs Monate zu speichern und für die staatliche Aufgabenwahrnehmung verfügbar zu halten. Das Gesetz greift damit seit längerem erhobene Forderungen des Bundesrates auf,[13] denen sich im Jahr 2006, bezugnehmend auf die diesbezüglichen Vorstöße auf europäischer Ebene, auch der Deutsche Bundestag anschloss. Er forderte die Bundesregierung auf, dem Entwurf der Richtlinie 2006/24/EG zuzustimmen und alsbald den Entwurf eines Umsetzungsgesetzes vorzulegen.[14] Dem kam die Bundesregierung mit dem Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung nach.[15] § 113a Abs. 1 Satz 1 TKG verpflichtet die Betreiber öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste, die in § 113a Abs. 2 bis 5 TKG einzeln aufgeführten Telekommunikationsverkehrsdaten zu Festnetz-, Internet- und Mobilfunktelefonaten, zum Versand von SMS-, MMS- und ähnlichen Nachrichten, zu E-Mail-Verbindungen und zum Internetzugang für einen Zeitraum von sechs Monaten zu speichern. Derjenige, der solche Dienste erbringt, ohne selbst Verkehrsdaten zu erzeugen, hat nach § 113a Abs. 1 Satz 2 TKG sicherzustellen, dass die Daten gespeichert werden, und der Bundesnetzagentur mitzuteilen, wer die Daten speichert. Wer Telekommunikationsdienste erbringt und dabei nach § 113a TKG zu speichernde Daten verändert, ist darüber hinaus gemäß § 113a Abs. 6 TKG zur Speicherung der ursprünglichen und der veränderten Angaben verpflichtet. Nach Ablauf der Speicherungsfrist sind die Daten gemäß § 113a Abs. 11 TKG binnen eines Monats zu löschen. Der Inhalt der Kommunikation und Daten über aufgerufene Internetseiten dürfen nach § 113a Abs. 8 TKG nicht gespeichert werden. Für die Datensicherheit verweist § 113a Abs. 10 TKG auf die im Bereich der Telekommunikation erforderliche Sorgfalt und verlangt, dass der Zugang zu den Daten nur hierzu besonders ermächtigten Personen vorbehalten bleibt. Die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, deren Umsetzung die angegriffenen Regelungen, soweit sie die Strafverfolgung betreffen, dienen, wurde vom Rat auf der Grundlage von Art. 95 EGV gegen die Stimmen Irlands und der Slowakei angenommen (vgl. Ratsdokument 6598/06 ADD 1 vom 27. Februar 2006, S. 4), nachdem das Europäische Parlament einen von Frankreich, Irland, Schweden und Großbritannien vorgelegten Entwurf eines auf Art. 31 Abs. 1 Buchstabe c und Art. 34 Abs. 2 Buchstabe b EUV - in der bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon gültigen Fassung (im Folgenden: EUV a.F.) - gestützten Rahmenbeschlusses über die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten (vgl. Ratsdokument 8958/04 vom 28. April 2004) abgelehnt hatte (vgl. Parlamentsdokument P 6 TA[2005]0348).

Die Richtlinie knüpft daran an, dass Telekommunikationsverkehrsdaten ein wertvolles Instrument bei der Verfolgung von Straftaten insbesondere in den Bereichen der organisierten Kriminalität und des Terrorismus seien[16] und dass einige Mitgliedstaaten Regelungen über die Vorratsdatenspeicherung von solchen Daten erlassen hätten, die stark voneinander abwichen.[17] Die dadurch geschaffenen rechtlichen und technischen Unterschiede beeinträchtigten den Binnenmarkt für die elektronische Telekommunikation, weil die Anbieter von Telekommunikationsdiensten mit unterschiedlichen Anforderungen hinsichtlich der zu speichernden Daten und der Speicherungsdauer konfrontiert seien.[18]

Mit Urteil vom 10. Februar 2009 wies der Europäische Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage Irlands gemäß Art. 230 EGV[19] ab,[20] die sich darauf stützte, dass vorherrschender Zweck der Richtlinie die Erleichterung der Verfolgung von Straftaten sei und deshalb als Rechtsgrundlagen nur die Einstimmigkeit voraussetzenden Regelungen des EU-Vertrages alte Fassung über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, insbesondere Art. 30, Art. 31 Abs. 1 Buchstabe c und Art. 34 Abs. 2 Buchstabe b EUV a.F. in Betracht kämen.[21] Dabei stellte der Gerichtshof ausdrücklich klar, dass die Entscheidung nicht eine etwaige Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten zum Gegenstand habe.[22] Nach Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2006/24/EG zielt die Richtlinie auf die Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Pflichten der Anbieter öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder von Betreibern eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten, um sicherzustellen, dass die Daten zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten, wie sie von jedem Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht bestimmt werden, zur Verfügung stehen. Anlässlich der Annahme der Richtlinie erklärte der Rat dazu, die Mitgliedstaaten hätten bei der Definition des Begriffs „schwere Straftat“ die in Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI) vom 13. Juni 2002 (ABl L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) genannten Straftaten sowie Straftaten unter Einsatz von Telekommunikationseinrichtungen angemessen zu berücksichtigen.[23] Eine Verwendung der Daten für Aufgaben der Gefahrenabwehr oder der Nachrichtendienste regelt die Richtlinie nicht.

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2006/24/EG haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass die in Art. 5 Richtlinie 2006/24/EG im Einzelnen aufgeführten Daten auf Vorrat gespeichert werden, wobei nach Art. 6 Richtlinie 2006/24/EG ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren vom Zeitpunkt der Kommunikation an festzulegen ist. Nach Art. 4 Richtlinie 2006/24/EG müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten nur in bestimmten Fällen und in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht an die zuständigen nationalen Behörden weitergegeben werden. Jeder Mitgliedstaat legt dabei das Verfahren und die Bedingungen fest, die für den Zugang zu den Daten nach den Anforderungen der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit einzuhalten sind.

Art. 7 Richtlinie 2006/24/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass in Bezug auf die auf Vorrat zu speichernden Daten bestimmte Mindestanforderungen der Datensicherheit eingehalten werden. Daneben bleiben die Regelungen der Richtlinien 95/46/EG und 2002/58/EG anwendbar.[24] Nach Art. 8 Richtlinie 2006/24/EG gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die gespeicherten Daten und alle sonstigen erforderlichen Informationen unverzüglich auf Anfrage an die zuständigen Behörden weitergeleitet werden können. Gemäß Art. 13 Richtlinie 2006/24/EG stellen die Mitgliedstaaten außerdem sicher, dass die Maßnahmen zur Umsetzung der Regelungen von Kapitel III der Richtlinie 95/46/EG über Rechtsbehelfe, Haftung und Sanktionen auch im Hinblick auf die Datenverarbeitung nach der Richtlinie 2006/24/EG vollständig umgesetzt werden. Keine Regelung trifft die Richtlinie darüber, wer die Kosten der Datenspeicherung zu tragen hat.

Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Die Beschwerdeführer rügen zulässigerweise eine Verletzung von Art. 10 Abs. 1 GG.[25] Sie nutzen privat und geschäftlich verschiedene Telekommunikationsdienste wie insbesondere Telefondienste, Dienste der elektronischen Post und Internet, und machen geltend, durch die Speicherung und vorgesehene Verwendung ihrer Verbindungsdaten in ihrem Grundrecht auf Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses verletzt zu sein. Da Art. 10 Abs. 1 GG[26] auch die Vertraulichkeit der Umstände von Telekommunikationsvorgängen schützt,[27] ist eine solche Verletzung durch die angegriffenen Vorschriften möglich. Die angegriffenen Vorschriften betreffen die Beschwerdeführer auch unmittelbar, selbst und gegenwärtig. Zwar richtet sich die Speicherungspflicht des § 113a TKG nicht an die als Nutzer betroffenen Beschwerdeführer, sondern an die Diensteanbieter. Jedoch sind diese ohne jeden Entscheidungsfreiraum[28] unbedingt zur Speicherung der Daten der Beschwerdeführer verpflichtet. § 113a TKG führt damit unmittelbar und gegenwärtig zu einer Speicherung von Daten der Beschwerdeführer für die in § 113b Satz 1 TKG vorgesehenen Zwecke.

An einer unmittelbaren Selbstbetroffenheit fehlt es in Bezug auf § 113b TKG und § 100g StPO auch nicht deshalb, weil diese Vorschriften erst auf der Grundlage weiterer Vollzugsakte Wirkungen entfalten und noch nicht feststeht, ob und wieweit gerade Daten der Beschwerdeführer hiervon betroffen sein werden. Wenn der Betroffene keine Kenntnis von den Vollzugsakten erlangt, reicht die Darlegung, mit einiger Wahrscheinlichkeit von solchen Maßnahmen berührt zu werden. Maßgeblich ist hierfür insbesondere, ob die Maßnahmen eine große Streubreite haben und Dritte auch zufällig erfassen können.[29] Danach haben die Beschwerdeführer ihre eigene und unmittelbare Betroffenheit hinreichend dargelegt. Angesichts der erheblichen Speicherungsdauer von sechs Monaten und der großen Streubreite der erfassten Daten ist es nicht unwahrscheinlich, dass bei der Übermittlung und Verwendung der Daten nach § 113b TKG und § 100g StPO[30] auch Personen betroffen werden, die keinen Anlass zu entsprechenden Maßnahmen gegeben haben. Darlegungen, durch die sich die Beschwerdeführer selbst einer Straftat bezichtigen müssten, sind damit zum Beleg der Selbstbetroffenheit nicht erforderlich.[31] Ebenso wenig müssen sie dartun, für erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit verantwortlich zu sein oder Aktivitäten zu entfalten, die den Aufgabenkreis der Nachrichtendienste berühren.

[...]


* Mit Erläuterungen von Prof. Dr. Dr. Siegfried Schwab, Mag. rer. publ. unter Mitarbeit von Diplom-Betriebswirtin (DH) Silke Schwab und Referendarin Heike Schwab.

„Wer bei uns die Freiheit im Internet einschränkt, büßt an Glaubwürdigkeit ein, wenn er für mehr Freiheit in China oder im Iran eintritt“ so Bitkom- Präsident August-Wilhelm Scheer am Dienstag auf der Computermesse CeBIT in Hannover.

Das BVerfG sah in der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung einen Verstoß gegen das Telekommunikationsgeheimnis. Es erklärte dieses für verfassungswidrig, die Regelungen sind damit nichtig. Eine Rekordzahl von 35.000 Bürgern hatte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Speicherung der Telefon- und Internetdaten für sechs Monate geklagt. Damit müssen bisher gespeicherte Daten gelöscht werden. Mit Hilfe der über die gesamte Bevölkerung gespeicherten Daten könnten soziale und kommunikative Bewegungsprofile erstellt, geschäftliche Kontakte rekonstruiert sowie soziale Kontakte identifiziert werden. Ferner wären Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation, auf persönliche Interessen und die Lebenssituation der Kommunizierenden möglich. Dadurch würde unverhältnismäßig in die persönliche Privatsphäre eingegriffen, werden berufliche und politische Aktivitäten (z.B. in den Bereichen Medizin, Recht, Kirche, Journalismus), die auf einer verlässlichen Vertrauensgrundlage aufbauen, beeinträchtigt. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), bedauerte, dass Karlsruhe die Nutzung der Daten stark eingeschränkt habe. „Wir werden viele Straftaten nicht mehr aufklären können“, sagte er dem Sender n-tv. Es sei zwar gut, dass Karlsruhe entschieden habe, dass die Regelung nicht gegen das Grundgesetz verstoßen dürfe. Bedauerlich sei aber, dass Daten nur noch zur Aufklärung oder Abwehr besonders schwerer Straftaten genutzt werden dürften. Demgegenüber erklärte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast: „Das ist ein großartiger Sieg für die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger und eine schallende Ohrfeige für die Verdachtspolitik.“ Wenn die Bundesregierung nun ein neues Gesetz vorlege, müssten die Karlsruher Vorgaben strikt eingehalten werden.

[1] Das Bundesverfassungsgericht übt seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von Gemeinschafts- oder nunmehr Unionsrecht, das als Grundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, grundsätzlich nicht aus und überprüft dieses Recht nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, solange die Europäischen Gemeinschaften (beziehungsweise heute die Europäische Union), insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, einen wirksamen Schutz der Grundrechte generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt, vgl. BVerfGE 73, 339 <387>; 102, 147 <162 f.>. Diese Grundsätze gelten auch für innerstaatliche Rechtsvorschriften, die zwingende Vorgaben einer Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Verfassungsbeschwerden, die sich gegen die Anwendung von in diesem Sinne verbindlichem Recht der Europäischen Union richten, sind grundsätzlich unzulässig, vgl. BVerfGE 118, 79 <95>; 121, 1 <15>.

[2] Vgl. BVerfGE 121, 1 <15>.

[3] Die Richtlinie 2006/24/EG vom 15.03.2006 sieht eine Vorratsspeicherung von Daten vor, die bei der Bereitstellung öffentlicher elektronischer Kommunikationsdienste verarbeitet werden, ABlEU Nr. L 105 v. 13.04.2006, S. 54. Die Speicherpflicht betrifft genau spezifizierte Verkehrsdaten aller Dienste, die über Festnetze oder Mobilnetze erbracht werden, wie etwa Telefonie, Internettelefonie, Fax, SMS, MMS, E-Mail, Filetransfer, Chat und Newsgroups. Am 21.12.2007 wurde daraufhin das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG” erlassen. Es sieht in § 113a TKG die Speicherpflichten aus der Richtlinie vor und beschränkte die entschädigungslose Speicherpflicht der TK-Anbieter auf sechs Monate plus einen Monat für die Löschung der Daten. Ferner legte es den TK-Anbietern für die Datensicherheit „die im Bereich der Telekommunikation allgemein erforderliche Sorgfalt” auf. Die Richtlinie gerät nicht mit deutschen Grundrechten in Widerspruch, da sie den Mitgliedstaaten einen weiten Entscheidungsspielraum hinsichtlich des Zugangs zu den Daten und ihrer Verwendung, der Datensicherheit, der Transparenz und des Rechtsschutzes belässt. Art. 10 Abs. 1 GG verbietet deshalb eine Vorratsdatenspeicherung nicht unter allen Umständen. Durch die Vorratsdatenspeicherung steigt das Risiko erheblich, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst Anlass dazu gegeben zu haben. Bezogen auf Gruppen und Verbände erlaubt sie unter Umständen die Aufdeckung von internen Einflussstrukturen und Entscheidungsabläufen, BVerfG, NJW 2010, 833 RN 211; Hensel, DuD 2009, 527; Pfitzmann/Köpsell, DuD 2009, 543 ; Freiling/Heinson, DuD 2009, 547; Rossnagel, Die „Überwachungs-Gesamtrechnung” – Das BVerfG und die Vorratsdatenspeicherung, NJW 2010, 1240. Die Freiheit, in seiner Freiheitswahrnehmung nicht total erfasst und registriert zu werden, zählt das BVerfG „zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, BVerfG, NJW 2010, 833 RN 218. Die Vorratsdatenspeicherung wird damit nur dann rechtfertigungsfähig, wenn sichergestellt ist, dass auch durch alle Überwachungsmaßnahmen zusammen nicht praktisch alle Aktivitäten der Bürger erfasst und rekonstruiert werden können. eine möglichst flächendeckende vorsorgliche (anlasslose) Speicherung aller für die Strafverfolgung oder Gefahrenprävention nützlichen Daten ist nämlich mit der grundrechtlich gewährten Freiheit zur Lebensverwirklichung nicht vereinbar. Die Vorratsdatenspeicherung ist nur dann verhältnismäßig, wenn ihre Ausgestaltung dem besonderen Gewicht des Eingriffs angemessen Rechnung trägt, BVerfG, NJW 2010, 833 RN 219; Roßnagel/Bedner/Knopp, DuD 2009, 538. Eine gesetzliche Regelung wird dem nur gerecht, wenn sie eine anspruchsvolle Verschlüsselung und ein gesichertes Zugriffsregime vorsieht.

[4] Bull, Editorial 12/2010: Vorratsdatenspeicherung – Recht gegen Dämonen? - bedenklicher als die Details des Urteils ist der Gesamteindruck, den es durch seinen Rundumschlag erzeugt. Die Abwägung der betroffenen Interessen ist ganz einseitig ausgefallen: Dass die Daten zur Strafverfolgung nötig sind, wird nicht mit dem gebote­nen Gewicht berücksichtigt. Die Zeitungen werden schreiben und die Bürger werden glauben, das BVerfG habe die Politik in letzter Minute daran gehindert, den Überwachungsstaat zu perfektionieren. Das Gericht hätte die „Dämonen“, die von den Beschwerdeführern beschworen worden sind, mit klaren Aussagen vertreiben sollen.

[5] Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtige die für die Demokratie unerlässliche Unbefangenheit der Kommunikation. Der Schutz der Menschenwürde verlange ein gewisses Maß an unbeobachteter Kommunikation insbesondere auch im Rahmen besonderer Vertrauensverhältnisse. Der Schaden, der durch die Überwachung des Bürgers entstehe, werde durch den damit verbundenen Effizienzgewinn nicht aufgewogen. Die Vorratsdatenspeicherung habe die Entwicklung von Gegenmaßnahmen zur Folge und könne damit letztlich die Menge der verfügbaren Telekommunikationsdaten sogar verringern.

[6] Generalpräventive Wirkungen der Vorratsdatenspeicherung seien nicht ernsthaft zu erwarten. Im Bereich der Strafverfolgung seien nur entschieden mildere Eingriffsbefugnisse angemessen als bei der Abwehr konkreter Gefahren. Daten, die zur Abwehr von Gefahren für höchste Rechtsgüter gewonnen worden seien, dürften nicht zur Verfolgung geringfügiger Straftaten genutzt werden. Eine Zweitverwendung sei nur zulässig, wenn die Erhebung der Daten auch zu dem Zweck, zu dem die Zweitverwendung erfolge, verhältnismäßig sei. Dem werde nicht Rechnung getragen.

[7] Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: Rechtmäßigkeit der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung jetzt auf dem Prüfstand

Nur Monate, nachdem die Verfassungsgerichte Rumäniens und Deutschlands die nationalen Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt haben, wird nun auch die entsprechende EU-Richtlinie gerichtlich überprüft. Laut einer Mitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 09.05.2010 hat der irische High Court in Dublin diese Woche entschieden, dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob die EU-Richtlinie zur Speicherung aller Verbindungsdaten gegen die Ende 2009 in Kraft getretene EU-Grundrechtecharta verstößt und unwirksam ist. Der High Court betonte die Bedeutung der Vorratsdatenspeicherung für Ausrichtung der Gesellschaft. Es sei klar, dass Überwachungsmaßnahmen gerechtfertigt sein müssten und in der Regel gezielt erfolgen sollten, heißt es laut Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in dem jetzt veröffentlichten Urteil vom 05.05.2010. Die Vorratsdatenspeicherung sei potenziell «für die gesamte Ausrichtung unserer Gesellschaft von Bedeutung». Die klagende Bürgerrechtsorganisation Digital Rights Ireland dürfe überprüfen lassen, ob die angefochtenen Bestimmungen die Bürgerrechte auf Privatsphäre und Telekommunikation verletzten, so der High Court weiter.

Hintergrund - die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 verlangt von jedem EU-Mitgliedsstaat, Telefon- und Internetanbieter zu verpflichten, Informationen über sämtliche Verbindungen ihrer Kunden aufzuzeichnen. Im September 2009 entschied der Verfassungsgerichtshof Rumäniens, dass eine solche allgemeine Vorratsdatenspeicherung gegen das «Recht auf Achtung der Privatsphäre, der Korrespondenz und der freien Meinungsäußerung» verstoße. Die EU-Kommission prüft derzeit eine Änderung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat sich laut Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung als Vertreterin Deutschlands im EU-Rat bislang noch nicht klar für ein Ende des EU-Speicherzwangs eingesetzt. Der FDP-Bundesparteitag habe aber am 25.04.2010 auf Antrag unter anderem der Bundesjustizministerin beschlossen, es dürfe nicht von dem Grundsatz abgerückt werden, dass mit staatlicher Überwachung und Verfolgung nur derjenige rechnen müsse, gegen den ein Verdacht vorliege.

[8] Der Arbeitskreis fordert Aufhebung des «EU-weiten Zwanges» zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Um eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof zu verhindern, müsse die Europäische Kommission jetzt handeln und eine schnelle Änderung der grundrechtswidrigen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorantreiben, fordert Sandra Mamitzsch vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Der 2006 beschlossene EU-weite Zwang zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung sei überholt und müsse aufgehoben werden. Eine Vorratsdatenspeicherung habe sich in vielen Staaten in und außerhalb Europas als überflüssig, schädlich oder sogar verfassungswidrig erwiesen, so in Deutschland, Österreich, Belgien, Griechenland, Rumänien, Schweden und Kanada, so Mamitzsch. Diese Staaten verfolgten Straftaten ebenso effektiv mit gezielteren Verfahren, die keine Protokollierung des Kommunikationsverhaltens der gesamten Bevölkerung erforderten. Solange der Europäische Gerichtshof nicht die Wirksamkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung überprüft habe, dürfe die Bundesregierung keinesfalls unter Berufung auf diese Richtlinie wieder eine verdachtslose Speicherung aller Verbindungsdaten einführen, warnt Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Die Bundesjustizministerin müsse der EU-Kommission jetzt mitteilen, dass Deutschland von seinem Recht Gebrauch mache, die EU-Richtlinie aus wichtigen Gründen nicht umzusetzen (Art. 114 AEU-Vertrag).

[9] Mit Hilfe der vielfältigen auf Vorrat gespeicherten Daten können die Sicherheitsbehörden auch ohne konkreten Anlass, Persönlichkeits-, Verhaltens- und Bewegungsprofile jedes einzelnen Kommunikationsteilnehmers erstellen, BVerfG, NJW 2006, 976, RN 90, 91 Bei den auf Vorrat gespeicherten Daten handelt es sich um solche, die dem Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers entzogen sind.

[10] Mit dem Urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung, NJW 2009, 1801 – (1. Die Richtlinie 2006/24/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 15.03.2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, betrifft in überwiegendem Maß das Funktionieren des Binnenmarkts; sie regelt Tätigkeiten, die unabhängig von der Durchführung jeder eventuellen Maßnahme polizeilicher oder justizieller Zusammenarbeit in Strafsachen sind. 2. Die Vorratsdatenspeicherung war durch Richtlinie auf der Grundlage des EG-Vertrags, insbesondere von Art. 95 EG, zu regeln), setzt sich Simitis, Der EuGH und die Vorratsdatenspeicherung oder die verfehlte Kehrtwende bei der Kompetenzregelung, NJW 2009, 1782, auseinander. Die Vorratsdatenspeicherung war und ist kardinaler Testfall der Bereitschaft zu einer konsequent durchgehaltenen Restriktion beim Zugriff auf personenbezogene Daten. Summarische Hinweise auf die Kosten sowie mögliche Wettbewerbsverzerrungen reichen nicht, unter Berufung auf Art. 95 EG eine Richtlinie zu rechtfertigen, die schon in ihrem Eingangsartikel keinen Zweifel daran aufkommen lässt, was sie wirklich will: die Verfügbarkeit von Daten sicherzustellen. So dezidiert der EuGH zur Regelungskompetenz Stellung nimmt, so wenig äußert er sich nicht einmal andeutungsweise zur Vorratsspeicherung selbst. Die Vorratsdatenspeicherung zählt gerade wegen ihrer Auswirkungen auf die Grundrechte zu den umstrittensten Verarbeitungsvorgängen, vgl. Leutheusser-Schnarrenberger, Vorratsdatenspeicherung - Ein vorprogrammierter Verfassungskonflikt, ZRP 2007, 9 - bei der für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung entscheidenden Verhältnismäßigkeitsprüfung muss in Rechnung gestellt werden, dass es sich bei ihr um eine heimliche Maßnahme von hoher Eingriffsintensität handelt. Weil heute nahezu jeder an der elektronischen Kommunikation teilnimmt und dabei eine Vielzahl von Datenspuren, wie Rufnummern, Rufum- und -weiterleitungen, Namen, Anschriften, Benutzerkennungen, Internetprotokolladressen, Kalenderdaten, Uhrzeit und Dauer der Kommunikation sowie Daten zum Standort der Nutzer usw. erzeugt, ist von der Eingriffswirkung der Vorratsdatenspeicherung auch fast jeder Mensch unmittelbar betroffen; Gietl , DuD 2008, 317. „Der Zwang zur Angabe personenbezogener Daten setzt voraus, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichspezifisch und präzise bestimmt und dass die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind. Damit wäre die Sammlung nicht anonymisierter Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken nicht zu vereinbaren. Verzichtet der Gesetzgeber auf begrenzende Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts sowie an die Nähe der Betroffenen zur abzuwehrenden Bedrohung und sieht er gleichwohl eine Befugnis zu Eingriffen von erheblichem Gewicht vor, genügt dies dem Verfassungsrecht nicht, BVerfG, Urt. v. 23.05.2006 - 1 BvR 518/02. Zum TKG und der Vorratsdatenspeicherung s. Graulich, NVwZ 2008, 485; zum europäischen Datenschutz und der Terrorabwehr s. Frenz, EuZW 2009, 6 - der Antiterrorkampf stößt auf erhebliche datenschutzrechtliche Sicherungen. Insbesondere bedarf es hinreichender Anhaltspunkte für eine Beschränkung. Allerdings wird man schwerlich eine konkrete Gefahr verlangen können, will man dem Terror wirksam vorbeugen, da andernfalls die Instrumente zur Terrorvorbeugung weitgehend leer laufen Für eine latente Bedrohung müssen allerdings tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Die Anforderungen auch insoweit sind aber umso niedriger anzusetzen, je höherwertig das geschützte Rechtsgut ist und je stärker es gefährdet wird. Je stärker personalisiert Daten erhoben und verarbeitet werden, desto stärker müssen auch auf europarechtlicher Ebene die Sicherungen ausfallen.

[11] Rumänischer Verfassungsgerichtshof: Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Verfassung und EMRK. Zur Begründung seiner Entscheidung führt der Verfassungsgerichtshof Rumäniens nach der Meldung des Arbeitskreises aus, dass das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Ausnahmen vom Fernmeldegeheimnis «zur Regel» mache. Im Fall einer Vorratsdatenspeicherung könne von Fernmeldegeheimnis und Meinungsfreiheit nicht mehr «frei und unzensiert Gebrauch gemacht werden». Eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung wecke in den Menschen «die berechtigte Sorge um die Wahrung ihrer Privatsphäre und die Furcht vor einem möglichen Missbrauch». Die dauerhafte und die gesamte Bevölkerung betreffende Vorratsdatenspeicherung drohe die Unschuldsvermutung «auszuhebeln», erkläre die gesamte Bevölkerung zu potenziellen Straftätern und erscheine «exzessiv». Die Erfassung aller Verbindungsdaten könne «nicht als vereinbar mit den Bestimmungen der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention erachtet werden». Wie Rumänien hat auch Deutschland die 2006 beschlossene EG-Richtlinie zur Vorratsspeicherung umgesetzt, derzufolge seit 2008 die Verbindungs-, Standort- und Internetzugangsdaten der gesamten Bevölkerung erfasst und für mindestens sechs Monate aufbewahrt werden, becklink 290957.

[12] Die Verfassungsbeschwerde dient als subjektiv-öffentliches Verfahrensrecht dem Individualrechtsschutz des Bürgers gegen Grundrechtsverletzungen und sichert damit die unmittelbare Geltung der Grundrechte gem. Art. 1 Abs. 3 GG gegenüber den drei Staatsgewalten. Die Verfassungsbeschwerde ist ein subsidiärer und außerordentlicher Rechtsbehelf, BVerfGE 18, 325, der nicht zum garantierten Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG gehört, BVerfGE 79, 367. Sie füllt eine Lücke im Rechtsschutzsystem, das traditionell, vgl. Endres, in Beckscher Online Kommt, Art. 19 Abs. 4 GG, RN 51 ff , nur der Kontrolle der Exekutive dient, Umbach/Clemens/Clemens GG Art 93 RN 63. Sie ist nicht kontradiktorisch, BVerfGE 79, 367f, und nicht auf abstrakte Klärung einzelner Rechtsfragen ausgerichtet. Sie besitzt keinen Suspensiveffekt, Morgenthaler, in Beckscher Online Kommt, Art. 93GG, RN 49. Da die Verfassungsbeschwerde auf eine nachträgliche Überprüfung der Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme gerichtet ist, unterstützt der Erlass einer einstweiligen Anordnung die subjektiv-rechtliche Effizienz der Verfassungsbeschwerde bei irreparablen Grundrechtsverletzungen, Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 2006. Für Verfassungsbeschwerden ist nach § 93a Abs 1 BVerfGG die Annahme zur Entscheidung erforderlich, Morgenthaler, a.a.O., RN 53.

Eine Verfassungsbeschwerde kann nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. BVerfGG jedermann erheben, der Träger des Grundrechts ist auf dessen Verletzung er sich beruft. Die Verfassungsbeschwerde ist dem individuellen Grundrechtsschutz vorbehalten, Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 90 BVerfGG, RN 34. Das Verfahrensrecht folgt der Grundrechtsberechtigung, Sturm, in Sachs, a.a.O., RN 82; die grundrechtliche Berechtigung natürlicher Personen ist der verfassungsrechtliche Regelfall, Sachs, vor Art. 2 GG, RN 70. In BVerfGE 45, 63 (74 f.) hat das BVerfG die Bedeutung der subjektiven Funktion klargestellt: „Diese doppelte Rechtsschutzfunktion kann das BVerfG aber nicht schlechthin wahrnehmen. Die Verfassungsbeschwerde ist nur dann gegeben, wenn die als verletzt bezeichnete Norm des objektiven Verfassungsrechts zugleich ein – im Katalog des Artikel 93 Absatz 1 Nr. 4 a aufgeführtes – subjektives Recht verbürgt. Die Rüge, ein subjektives Verfassungsrecht sei verletzt, ist Voraussetzung jeder Verfassungsbeschwerde. Eine Verfassungsbeschwerde, die lediglich die fehlerhafte Anwendung objektiven Verfassungsrechts rügt, ist – bereits aus diesem Grund – unzulässig.“ Das Recht der Verfassungsbeschwerde ist an die behauptete Verletzung von Grundrechten geknüpft, Schumann, Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerde gegen richterliche Entscheidungen, 1963, S. 101; BVerfGE 45, 63 (74 f.).damit aber an den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts. Über diese Anknüpfung am deutlichsten, dass die Verfassungsbeschwerde eine subjektive Funktion hat.

Beschwerdegegenstand sind alle rechtlich relevanten Akte der an das GG gebundenen öffentlichen Gewalt, d. h. der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt. Konkret überwiegend Gerichtsentscheidungen und Rechtssätze. Der Beschwerdeführer muss geltend machen, er werde vom Beschwerdegegenstand in seinen im GG verankerten Grundrechten verletzt. Auf die Verletzung landesverfassungsrechtlicher Regelungen, europäischen Gemeinschaftsrechts und objektiver Verfassungsnormen kann sich der Beschwerdeführer nicht berufen.

Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht bei Vorliegen eines Rechtsgrundes. Dieser muss die Verfassungsbeschwerde als geeignetes, erforderliches und zumutbares verfassungsprozessuales Rechtsschutzmittel für das Rechtsschutzbegehren des Beschwerdeführers ausweisen. Geeignet ist die Verfassungsbeschwerde nur, wenn der gedachte Erfolg der Verfassungsbeschwerde zum Erfolg des Rechtsschutzbegehrens des Beschwerdeführers führen würde, Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, RN 714. Erforderlich ist sie, wenn kein anderes, den Weg zum BVerfG sparendes Rechtsschutzmittel zur Verfügung steht. Nur dann, wenn der Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde. Die behauptete Grundrechtsverletzung muss im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde tatsächlich vorliegen. Eine mögliche künftige Beeinträchtigung reicht nicht. Bei erledigten staatlichen Maßnahmen ist eine gegenwärtige Beschwer zu bejahen, wenn eine ernstliche Wiederholungsgefahr besteht. Der Rechtsweg muss gem. § 90 Abs. 2 BverfGG erschöpft sein, Sturm, Art. 94 GG, RN 15ff. Die wesentliche Funktion des Subsidiaritätsprinzips besteht in der Entlastung des BVerfG. Ihm soll nur geprüftes und rechtlich gewürdigtes Tatsachenmaterial vorgelegt werden, Sturm, Art. 94 GG, RN 16. "Substantiierung und Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde.", Lübbe-Wolff, EuGRZ 2004, 669 - Zu effizienter Rechtsschutzgewährung gehört eine effiziente Arbeitsteilung zwischen Rechtsschutzsuchendem und Gericht und, im Fall der Verfassungsgerichtsbarkeit, eine effiziente Arbeitsteilung zwischen dieser und der Fachgerichtsbarkeit. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG stellt klar, dass der Rechtsweg vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde erschöpft sein muss. Eine zunächst unzulässige Verfassungsbeschwerde kann nicht durch nachträgliche Rechtswegerschöpfung zulässig gemacht werden, BVerfGE 94, 166 (214); zustimmend Bethge, in Maunz, u. a., § 90 BverfGG, RN 396. Wurde ein eröffneter Rechtsweg bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde noch nicht einmal beschritten, so ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.

[13] Vgl. BT-Drucks 14/9801, S. 8; BR-Drucks 755/03 <Beschluss>, S. 33 ff.; BR-Drucks 406/1/04; BR-Drucks 406/04 <Beschluss>; BR-Drucks 723/05 <Beschluss>, S. 1.

[14] Vgl. BT-Drucks 16/545, S. 4; 16/690, S. 2; BT-Plenarprotokoll 16/19, S. 1430.

[15] Vgl. BT-Drucks 16/5846.

[16] Vgl. Erwägungsgründe 7 bis 10 der Richtlinie 2006/24/EG.

[17] Vgl. Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 2006/24/EG.

[18] Vgl. Erwägungsgrund 6 der Richtlinie 2006/24/EG. Die Gültigkeit der Richtlinie 2006/24/EG wird sowohl hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Gemeinschaftsgrundrechten, vgl. Klesczewski, in: Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag, 2008, S. 19 <24 f.>; Klug/Reif, RDV 2008, S. 89 <91 ff.>; Rusteberg, VBlBW 2007, S. 171 <176>; Westphal, EuZW 2006, S. 555 <558 f.>; Zöller, GA 2007, S. 393 <410 ff.>; Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 18. Juli 2007 - Rs. C-275/06 -, Slg. 2008, I-271 <276>, RN 82 - Promusicae -) als auch in Bezug auf die in Anspruch genommene Kompetenzgrundlage der Europäischen Gemeinschaft in Zweifel gezogen, vgl. Gitter/Schnabel, MMR 2007, S. 411 <412 f.>; Jenny, CR 2008, S. 282 <285>; Klesczewski, in: Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag, 2008, S. 19 <22 ff.>; Klug/Reif, RDV 2008, S. 89 <91>; Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 2007, S. 9 <11 ff.>; Rusteberg, VBlBW 2007, S. 171 <173 f.>; Westphal, EuZW 2006, S. 555 <557 f.>; Zöller, GA 2007, S. 393 <407 ff.>.

[19] Nach Art. 230 Abs. 4 EG (Fassung Nizza) kann „jede natürliche oder juristische Person gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen“. Eine natürliche oder juristische Person ist von einer allgemein geltenden Gemeinschaftsbestimmung als individuell betroffen i. S. von Art 230 Abs. 4 EG anzusehen, wenn diese Bestimmung ihre Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt, indem sie ihre Rechte einschränkt oder ihr Pflichten auferlegt, EuGH, Urteil vom 03.05.2002 - Rs. T-177/01, NJW 2002, 2088 mit Anm. Schneider, NJW 2002, 2927f. Die allgemeine Geltung einer Vorschrift schließt nämlich nach ständiger Rechtsprechung nicht aus, dass diese Vorschrift bestimmte Wirtschaftsteilnehmer unmittelbar und individuell betrifft, EuGH , Slg. 1991, I-2501 RN 13 u. 14 - Extramet Industrie/Rat; Slg. 1994, I-1853 RN 19 = EuZW 1994, 432 - Codorniu/Rat; Slg. 2001, I-8949 RN46 - Antillean Rice Mills/Rat; EuG, Slg. 2001, II-3519 RN 47 - Emesa Sugar/Rat). Die unmittelbare Betroffenheit verlangt nämlich, dass sich die beanstandete Gemeinschaftsmaßnahme unmittelbar auf die Rechtsstellung des Einzelnen auswirkt und dass sie ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, wobei die Durchführung rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Gemeinschaftsregelung ergibt, ohne dass dabei weitere vermittelnde Rechtsakte erlassen werden müssten, EuGH, Slg. 1998, I-2309 RN 43 - Dreyfus/Kommission u. die dort zitierte Rspr.; EuG, Slg. 2001, II-1975 RN 96 - Comafrica und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission. Die angefochtenen Vorschriften dürfen aber, um ihre Wirkungen gegenüber Betroffenen zu entfalten, keiner weiteren gemeinschaftlichen oder nationalen Maßnahme benötigen. Was sodann die Frage angeht, ob die Kläger i. S. von Art. 230 Abs. 4 EG individuell betroffen sind, so kann nach einer seit dem Urteil des EuGH vom 15.07.1963 in der Rs. 25/62 (Slg. 1963, 213 [238] = NJW 1963, 2246 - Plaumann/Kommission) ständig wiederkehrenden Rechtsprechung eine natürliche oder juristische Person, die nicht Adressatin einer Maßnahme ist, nur dann geltend machen, von der Maßnahme individuell betroffen zu sein, wenn diese sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten. Der Umstand, dass die Kommission auf Grund spezifischer Bestimmungen verpflichtet ist, den Auswirkungen einer von ihr beabsichtigten Maßnahme auf die Lage bestimmter Personen Rechnung zu tragen, kann in der Tat geeignet sein, diese Personen zu individualisieren. Die Grundsätze, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum unmittelbaren und individuellen Betroffensein des Einzelnen, der einen Gemeinschaftsrechtsakt gemäß Art. 230 EG anfechten will, entwickelt hat, sind auf das Verfahren der Nichtigerklärung der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke nicht übertragbar, denn die Anfechtung, die Art. 230 EG eröffnet, bezieht sich auf gesetzgeberische Maßnahmen allgemeinen Charakters, die grundsätzlich vom Bürger nicht angefochten werden können, und in Bezug auf die die Rechtsprechung Grundsätze entwickelt hat, um die verfahrensrechtliche Stellung von Personen, die von der Gemeinschaftsregelung unmittelbar und individuell in ihrer subjektiven Rechtssphäre betroffen sind, derjenigen der Adressaten bestimmter Rechtssetzungsakte, die stets aktiv legitimiert sind, gleichzustellen, Zu den Anforderungen an Einzelpersonen, die eine Nichtigkeitsklage erheben wollen, Lenaerts, K./Arts, D./Maselis, I., Procedural Law of the European Union , Ed. Thomson Sweet & Maxwell, 2. Aufl., London 2006, S. 244 ff.

[20] Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Februar 2009 - Rs. C-301/06.

[21] Vgl. Klage vom 06. Juli 2006 - Rs. C-301/06 -, ABl C 237 vom 30. September 2006, S. 5.

[22] Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Februar 2009 - Rs. C-301/06 -, RN 57.

[23] Vgl. Ratsdokument 6598/06 ADD 1, S. 4.

[24] Vgl. Erwägungsgründe 15 und 16 der Richtlinie 2006/24/EG.

[25] Das durch Art. 10 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht schützt die von der Vorratsdatenspeicherung erfassten Daten vor jeder Kenntnisnahme, Aufzeichnung und Verwertung durch den Staat, BVerfGE 85, 398 = NJW 1992, 1875 - Art. 10 Abs. 1 GG gehört zu den Grundrechten, die die Privatsphäre schützen, vgl. BVerfGE 67, 171 = NJW 1985, 121. Gegenstand des Schutzes sind Kommunikationen, die wegen der räumlichen Distanz zwischen den Beteiligten auf Übermittlung durch Dritte, typischerweise die Post, angewiesen sind. Das Grundrecht soll jener Gefahr für die Vertraulichkeit der Mitteilung begegnen, die sich gerade aus der Einschaltung eines Übermittlers ergibt. Seine besondere Bedeutung gewinnt es aus der Erfahrung, dass der Staat unter Berufung auf seine eigene Sicherheit sowie die Sicherheit seiner Bürger häufig zum Mittel der Überwachung privater Kommunikation gegriffen hat. Dabei kommt es ihm zustatten, dass als Vermittler überwiegend die staatlich betriebene Post auftritt. Der Zugriff wird dadurch sowohl leichter als auch unauffälliger. Die Tragweite des Postgeheimnisses ist daher verkürzt, wenn man es primär als Schutz vor den Bediensteten der Post ansieht. Der Grundrechtsschutz bezieht sich historisch und aktuell vor allem auf die staatlichen Sicherheitsbehörden. Dementsprechend hat das BVerfG herausgestellt, dass Art. 10 GG nicht nur den Einzelnen gegenüber der Post, sondern auch Bürger und Post gegenüber anderen staatlichen Stellen schützt, vgl. BVerfGE 67, 172 = NJW 1985, 121; Nachbaur, Standortfeststellung und Art. 10 GG - Der Kammerbeschluss des BVerfG zum Einsatz des „IMSI-Catchers”, NJW 2007, 335 - auch Bundeskriminalamt und Bundespolizei ist der Eingriff in Art. GG Artikel 10 GG zu rein präventiven Zwecken nicht erlaubt. Das Fernmeldegeheimnis schützt neben den Kommunikationsinhalten auch die näheren Umstände der Kommunikation. Hierzu zählt, ob, wann, wie oft und zwischen welchen Personen Telekommunikation stattgefunden hat oder versucht wurde, BVerfGE 100, 358 = NJW 2000, 55; BVerfGE 107, 312f. = NJW 2003, 1787; BVerfGE 113, 365 = NJW 2005, 2603; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 5. Aufl. (2005), Art. 10 RN 45; Jarass/Pieroth, Art. 10 RN 9. Inwieweit auch die Standortdaten eines Mobiltelefons darunter fallen, ist strittig. Ganz überwiegend bejaht wird diese Frage für Standortdaten im Sinne „echter” Verbindungsdaten, Günther, NStZ 2005, 485. Solche fallen dann an, wenn ein Telefonat tatsächlich geführt oder zumindest angestrebt wurde. In diesen Fällen gehört der Ort, von dem aus telefoniert wurde, als Teil der Gesamtumstände der Kommunikation zu dem durch Art. 10 GG geschützten Geheimnisbereich, Vgl. BVerfGE 85, 396 = NJW 1992, 1875. Den grundrechtlichen Schutz genießt in erster Linie der Kommunikationsinhalt. Es ist Sache der am Kommunikationsvorgang Beteiligten, darüber zu bestimmen, wer von dem Inhalt Kenntnis erlangen soll. Der Schutz erstreckt sich aber auch auf den Kommunikationsvorgang. Geschützt sind hier die näheren Umstände des Fernmeldeverhältnisses. Dazu zählt insbesondere die Tatsache, ob und wann zwischen welchen Personen und Fernmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist, vgl. BVerfGE 67, 172 = NJW 1985, 121. Auf die Erfassung kommunikationsrelevanter Daten kann freilich nicht gänzlich verzichtet werden, wenn nicht die Übermittlung selber unmöglich werden soll; BVerfGE 100, 366 = NJW 2000,55. Folglich liegt in der Anordnung gegenüber TK-Unternehmen, TK-Verkehrsdaten zu erheben, zu speichern und an staatliche Stellen zu übermitteln, jeweils ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG.

[26] Leutheusser-Schnarrenberger, Vorratsdatenspeicherung - Ein vorprogrammierter Verfassungskonflikt ZRP 2007, 9 – es besteht kein Zweifel daran, dass eine den Anbietern von Kommunikationsdiensten gesetzlich auferlegte Pflicht zur Speicherung personenbezogener Kommunikationsdaten über den betrieblich erforderlichen Zeitraum hinaus einen von der betriebsbedingten Datenspeicherung separierten, eigenständigen Eingriff in die Grundrechtspositionen der Kommunikationsteilnehmer darstellt. Dieser Eingriff bedarf einer Rechtfertigung. Das heißt vor allem, dass der mit der Vorratsspeicherung zu erzielende Nutzen für den Rechtsgüterschutz in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang und der Tiefe des mit der Vorratsspeicherung verbundenen Eingriffs in die vor allem durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Fernmeldegeheimnis Art.10 GG geschützten Grundrechtspositionen der betroffenen Personen stehen muss.

[27] Vgl. BVerfGE 67, 157 <172>; 85, 386 <396>; 120, 274 <307>.

[28] Vgl. BVerfGE 107, 299 <313 f.>.

[29] Vgl. BVerfGE 109, 279 <307 f.>; 113, 348 <363>; 120, 378 <396 f.>.

[30] Ausgehend vom Nichtigkeitsbefund stellt sich die Frage nach der Verwertbarkeit der vor der Entscheidung des BVerfG gespeicherten und abgerufenen Verkehrsdaten. Hieran schließt sich fast zwangsläufig die weitere Frage an, welche Konsequenzen sich aus beweisrechtlicher Sicht für diejenigen Verfahren ergeben, in denen die nach § 100g StPO erhobenen Daten Grundlage weitergehender Ermittlungen – etwa von Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung oder von Durchsuchungen und Zeugenvernehmungen – waren, diese Daten selbst aber als Beweismittel zur Überführung des Täters auf Grund der anderweitigen Erkenntnisse nicht mehr benötigt werden (sog. Fernwirkung), Volkmer, NStZ 2010, 318. Verwertungsverbote sollen vielmehr – als Ausnahme von dem Grundsatz, dass zur strafprozessualen Wahrheitserforschung sämtliche verfügbaren Erkenntnisse und Beweismittel zu nutzen sind, die es gestatten, dem Rechtsstaat zur Geltung und dem Straftäter zu der für ihn vorgesehenen Strafe zu verhelfen – auf eng umgrenzte Einzelfälle beschränkt bleiben. Sie sollen nur dann auf die Verletzung von prozessualen Beweiserhebungsregeln folgen, wenn dies aus übergeordneten Gründen geboten erscheint, BGH, NStZ 1999, 470 - die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung um jeden Preis gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist, BGHSt 37, 32] = NJW 1990,1801. Maßgeblich mitbeeinflusst wird das Ergebnis der demnach vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des in Frage stehenden Verfahrensverstoßes, vgl. BGHSt 42, 377 = NJW 1997, 1018 = NStZ 1997, 195; Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt. Im Falle von Abhörmaßnahmen ist das im Schutz der Privatsphäre und im Recht am eigenen Wort konkretisierte Persönlichkeit des einzelnen und damit ein verfassungsrechtlich geschützter Bereich betroffen (Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG). So gesehen kommt Verfahrensverstößen bei Abhörmaßnahmen nach §§ 100a und 100b StPO besonderes Gesicht zu, das es nahe legt, ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen, wenn die Abhörmaßnahme ohne richterliche Anordnung durchgeführt wird, BGHSt 35, 34. Ein aus rechtsstaatlicher Sicht größerer Fehler als das Fehlen einer den Grundrechtseingriff legitimierenden Norm ist nur schwer vorstellbar. Die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 2. 3. 2010 eingehend dargelegt. Es ist unerheblich, dass die an den Ermittlungen beteiligten Personen selbst kein Vorwurf trifft, weil sie sich zum Zeitpunkt der Datenerhebung und -verwendung auf eine (wenngleich nichtige) Rechtsnorm berufen konnten. Es geht nicht um individuelles Verschulden, d. h. persönlich vorwerfbares Verhalten, sondern um die Schwere des Rechtsverstoßes, der dem Staat zugerechnet werden muss. Es ist schließlich unerheblich, dass – ungeachtet der Vorschriften zur anlasslosen Speicherung von Verkehrsdaten – jedenfalls häufig die wenigstens theoretische Möglichkeit bestanden haben dürfte, die betreffenden Daten zu einem Zeitpunkt abzugreifen, als sie den Anbietern der Telekommunikationsdienste erstmals vorlagen und nach §§ 96, 97 I 1, 99 I 1, 100 I 1 zur Entgeltermittlung und -abrechnung, zur Erstellung von Einzelverbindungsnachweisen, zur Behebung von Störungen oder zur Erteilung von Auskünften nach § 101 Abs. 1 S. 1 TKG (bedrohende oder belästigende Anrufe) hätten erhoben und genutzt werden dürfen.

[31] Vgl. BVerfGE 109, 279 <308>; 113, 348 <363>; 120, 378 <396 f.>.

Excerpt out of 55 pages

Details

Title
Vorratsdatenspeicherung
Subtitle
Das BVerfG schützt die Freiheit der Bürger
College
University of Cooperative Education Mannheim
Grade
1,0
Author
Year
2010
Pages
55
Catalog Number
V161090
ISBN (eBook)
9783640744169
ISBN (Book)
9783640744343
File size
574 KB
Language
German
Keywords
Vorratsdatenspeicherung, BVerfG, Freiheit, Bürger
Quote paper
Prof. Dr. Dr. Assessor jur., Mag. rer. publ. Siegfried Schwab (Author), 2010, Vorratsdatenspeicherung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161090

Comments

  • No comments yet.
Look inside the ebook
Title: Vorratsdatenspeicherung



Upload papers

Your term paper / thesis:

- Publication as eBook and book
- High royalties for the sales
- Completely free - with ISBN
- It only takes five minutes
- Every paper finds readers

Publish now - it's free