Analyse und Kritik der medizin-ethischen Diskussion zur Präimplantationsdiagnostik

Eine Übersichtsarbeit zum Diskussionsstand bis 2003


Doktorarbeit / Dissertation, 2003

159 Seiten, Note: summa cum laude


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil 1: Naturwissenschaftliche und medizinische Aspekte der Präimplantationsdiagnostik
1.1 Verfahrenstechnik
1.1.1 Präimplantationsdiagnostik (PGD)
1.1.2 Präkonzeptionsdiagnostik
1.2 Fehlerquellen
1.3 Erfolgsraten
1.4 Totipotenz in der Embryonalperiode
1.5 Gesundheitliche Belastungen
1.5.1 Risiken für das Kind
1.5.2 Risiken für die Frau
1.6 Finanzielle Aspekte
1.7 Indikationen und Anwendungsmöglichkeiten
1.7.1 Strukturelle Chromosomenaberrationen
1.7.2 Numerische Chromosomenaberrationen oder Aneuploidien
1.7.3 Spät manifestierende Krankheiten
1.7.4 Begleitbefunde
1.7.5 Multifaktorielle Krankheiten und DNA-Chips
1.7.6 Geschlechtsgebundene Erbgänge
1.8 Wer wendet die PGD gegenwärtig an?

Teil 2: Rechtliche Aspekte der Präimplantationsdiagnostik

Teil 3: Überblick über die medizinethische Diskussion zur Präimplantationsdiagnostik
3.1 Stellungnahmen und Argumente
3.1.1 Der pragmatische Argumentationstyp
3.1.2 Der gesellschaftspolitische Argumentationstyp
3.1.2.1 Gründe für die Zwangsläufigkeit
3.1.2.2 Begünstigende Faktoren
3.1.2.3 Negativ-Urteile
3.1.3 Der kategorische Argumentationstyp
3.2 Die Sonderrolle des Embryonenstatus

Teil 4: Begriffsanalysen und Diskussionsfelder
4.1. Der Krankheitsbegriff in der Humangenetik
4.2 Autonomie als Begriff und Paradigma
4.3 Künstlich vs. Natürlich, die Technikbilder
4.4 Person und Menschenwürde im Kontext des Embryonenstatus
4.4.1 Die Leitideen in der Statusdiskussion
4.4.2 Ethische Aspekte des Personwerdens
4.4.3 Moralische Relevanz von Interessen und Bedürfnissen
4.4.4 Der normative Gehalt des Menschenwürdebegriffs
4.5 Struktur und Inhalt der Schiefen-Ebene Argumente
4.5.1 Der mögliche Schaden für Personen mit einer Behinderung
4.5.2 Der mögliche psychosoziale Druck auf die zukünftigen Eltern
4.5.3 Der mögliche Einfluss auf die Eltern-Kind-Beziehung und auf die Integrität des Menschenbildes
4.6 Das Eugenik-Argument
4.7 Selektion in der genetischen Frühdiagnostik

Teil 5: Bewertung der Argumentationstypen
5.1 Die gegenseitige Ergänzung von pragmatischen und gesellschaftspolitischen Argumentationstypen
5.2 Der Status kategorischer Argumentationstypen

Resümee

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik (PGD)[1] bietet die Möglichkeit durch In-Vitro-Fertilisation (IVF)[2] gewonnene embryonale Zellen ähnlich einer Pränataldiagnostik (PND)[3] auf Genanomalien zu untersuchen, bevor sie in den Uterus übertragen, bzw. implantiert werden. Dieses Instrument einer präimplantativen Selektion stellt zu einem sehr hohen Grad sicher, dass der implantierte Embryo nicht von dem entsprechenden Erbleiden betroffen ist.

In den meisten europäischen Ländern (insbesondere in Großbritannien, Belgien und den Niederlanden), den USA, Israel und weiteren Ländern legitimiert der rechtliche Status die PGD. Weltweit sind bis dato etwa 200 Kinder nach PGD geboren worden[4]. Auch in Deutschland wird vor dem Hintergrund der hierzulande seit Jahren rechtlich legitimierten und gesellschaftlich weitgehend akzeptierten PND aus unterschiedlichen Gründen für einen rechtlichen Status plädiert, der die Anwendung der PGD ermöglicht. 1995 wurde im Rahmen des sogenannten „Lübecker Falls“ in Deutschland erstmals ein Antrag auf eine PGD gestellt. Es handelte sich hierbei um ein Paar, das nach der Geburt eines an Mukoviszidose erkrankten Kindes und nach Identifikation der eigenen Genträgerschaft in zwei folgenden Schwangerschaften nach entsprechendem Genbefund jeweils ein Kind abtreiben ließ[5]. Nachdem sie in der Presse von dem Verfahren der PGD erfahren hatten, wanden sie sich 1995 an die Frauenklinik der Medizinischen Universität zu Lübeck, um sich nach dieser Möglichkeit zu erkundigen. Nach Beratung und Aufklärung über mögliche Risiken des Verfahrens entschied sich das Paar für die PGD. Ausschlaggebender Grund für das Paar war die geringere psychische und physische Belastung der PGD im Vergleich zu einer dritten „Schwangerschaft auf Probe“. Letztendlich war bei dieser Entscheidung also das gleiche Motiv ausschlaggebend wie bei den vorherigen Schwangerschaften; der Wunsch nach einem gesunden Kind. Im Falle der PGD würde sich der Vorteil gegenüber der PND ergeben, dass das Paar nach Etablierung einer Schwangerschaft mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit von dem erwünschten „gesunden“ Kind ausgehen kann. Das Paar hat sich in diesem Fall, aufgrund eines bestimmten Leidensdruck, zwischen zwei möglichen Verfahren nach ausführlicher Beratung selbstständig für die PGD entschieden.

Da eine PGD in Deutschland bis dato noch nicht durchgeführt wurde, stellten die Direktoren der Frauenklinik (Prof. Diedrich) und des Instituts für Humangenetik (Prof. Schwinger) der Medizinischen Universität zu Lübeck daraufhin einen Antrag auf ein Votum der universitätseigenen Ethik-Kommission. Die Ethik-Kommission lehnte den Antrag letztendlich aus rechtlichen Gründen ab, hatte aber

„keine grundsätzlichen ethischen Bedenken gegen die Vornahme der PID im vorgesehenen Fall“[6].

Bei den Überlegungen zum „Lübecker Fall“ handelt es sich natürlich lediglich um eine Kasuistik, die inhaltlich nicht auf die allgemeine Diskussion zur PGD übertragen werden kann. Eine Indikation zur PGD sollte nach Ansicht der involvierten Professionen von Humangenetik, Reproduktionsmedizin und Gynäkologie nur bei „besonders schweren Erbkrankheiten“ (serious disorders) gegeben sein. Diese Beschränkung der Indikationsstellung, die nach einem Richtlinienentwurf der Bundesärztekammer noch enger gezogen werden soll als bei der PND, deutet bereits auf ein bestehendes Konfliktpotential und eine kontroverse Diskussion zur PGD in Deutschland hin. Neben der unterschiedlichen Interpretation des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) in Bezug auf ein rechtliches Verbot der PGD, stehen sich in der medizinethischen Diskussion zu dieser noch recht jungen Form vorgeburtlicher Gendiagnostik eine Fülle von pragmatischen und gesellschaftspolitischen Argumente gegenüber.

Von den Befürwortern der PGD als Alternative zur PND wird die Vermeidung des physisch und psychisch stark belastenden Schwangerschaftsabbruchs, sowie das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen, bzw. des Paares hervorgehoben. Auch wenn dem derzeit gängigen Verfahren der PGD eine PND als Kontrolluntersuchung im Verlauf einer etablierten Schwangerschaft angeraten wird, werden der frühe Zeitpunkt der Gendiagnostik und die sich hieraus ergebende hohe Sicherheit für ein nicht betroffenes Kind zu Beginn der Schwangerschaft als weitere Vorteile der PGD angeführt. Dieser Aspekt scheint gerade für Paare mit einer bestimmten Vorgeschichte, wie einem vorangegangenen Schwangerschaftsabbruch oder einem an dem entsprechenden Erbleiden erkrankten Familienmitglied, sehr bedeutend zu sein.

Über diese pragmatischen, an dem Wohl der Frau, bzw. des Paares gemessenen Überlegungen hinaus, wird teilweise dem bei der PGD untersuchten und gegebenenfalls verworfenen Embryo ein geringerer moralischer Schutzstatus zugeschrieben, als einem Fetus[7], der schmerzsensibel und in einigen Fällen auch ex-utero lebensfähig sein kann. Daher verstehen die Befürworter einer PGD dieses Verfahren als technischen Fortschritt, der bei gegebener Indikation, dem ärztlichen Ethos entsprechend, das Wohl der Frauen mehren und die Selektion des potentiellen Menschen auf ein sehr frühes und somit weniger differenziertes Stadium seiner Ontogenese verlagern kann. Diese Kombination erscheint zumindest intuitiv zunächst weniger verwerflich als der erst nach mehreren Wochen mögliche Schwangerschaftsabbruch.

Einige Kritiker führen an, dass sich die PGD aufgrund ihrer besonderen Verfahrenstechnik nicht nur als eine frühere PND interpretieren lässt. Die PGD könnte aufgrund des zeitgleichen Verfügbarmachens von mehreren Embryonen als effektives Instrument der Selektion und einer möglichen Eugenik missbraucht werden. Weiterhin, so wird von Seiten der Kritiker argumentiert, werden mit Einführung der PGD neue rechtliche und ethische Dimensionen eröffnet. Die Anwendung der PGD impliziere das Recht auf ein gesundes Kind. Dabei handelt es sich um eine Option, die erst mit Entwicklung dieser Diagnosetechnik

möglich erscheint und die, in Anbetracht der unklaren Definition des Krankheitsbegriffes (insbesondere im Umgang mit dem menschlichen Genom), zu einer ausufernden Anwendung verleiten könnte. Die rechtliche Legitimierung der PGD würde dem Betreten einer „Schiefen Ebene“ gleichkommen, an deren Ende die in diesem Maße nicht zu akzeptierende Instrumentalisierung des Menschen durch das ihn zwangsläufig überfordernde genetische Wissen stünde.

Interessant an dieser Argumentation der PGD-Kritiker ist, wie ich aufzeigen werde, dass dem Argument des Selbstbestimmungsrechts für Patienten, als allgemein akzeptiertes medizinethisches Dogma des 20. Jahrhunderts, eine zu erwartende Unmöglichkeit von Autonomie im Rahmen einer „Eugenik von unten“ entgegengehalten wird[8]. Diese Kritik findet sich insbesondere in den entsprechenden Schiefe-Ebene-Argumenten (synonym für Dammbruchargumente oder slippery-slope-Argumente). Deren Logik zufolge wird der PGD aufgrund des Zusammenspiels von Molekulargenetik und Reproduktionsmedizin unter den gegebenen gesellschaftspolitischen und kulturhistorischen Entwicklungen das Potential zugeschrieben, einen Dammbruch zu bewirken und patientenorientierte Medizin in ihr Gegenteil zu verkehren. Für die vor etwa 20 Jahren eingeführte PND bestand ein entsprechendes Missbrauchspotential noch nicht. Der Schwangerschaftskonflikt, bzw. die Belastung eines Schwangerschaftsabbruchs und das quantitativ begrenzte Verfügbarmachen nur eines einzelnen entsprechend differenzierten Feten werden als Gründe für diese Einschätzung genannt.

Die an dieser Stelle in ihren groben Umrissen dargestellte medizinethische Problematik der PGD ist einerseits Teil einer spezifischen Diskussion und kann in einem gewissen Rahmen isoliert betrachtet werden. Andererseits dürfen aber auch die offensichtlichen Parallelen zu der inhaltlich umfangreicheren Diskussion über Gentechnologie als solche nicht außer Acht gelassen werden. Eine Fülle von brisanten Topoi wie Theorie und Praxis der Analyse, der Diagnostik und letztlich der Therapie von Genen in den unterschiedlichen Stadien der menschlichen Existenz werden öffentlich kontrovers diskutiert. Gleichzeitig wird die Gentechnologie von einem Großteil der Natur- und Geisteswissenschaften als grundlegend für die Medizin des 21. Jahrhunderts deklariert.

Die PGD wird nicht umsonst als ein bedeutender Schnitt- und Sammelpunkt der einzelnen möglichen Anwendungsgebiete im Rahmen der Gentechnologie beschrieben. Gegenwärtiger Fokus der gesellschaftlichen Diskussion und maßgeblicher Schwerpunkt dieser Arbeit ist ihr Anwendungsbereich in der Selektion vorgeburtlichen Lebens, wie ich ihn anfangs beschrieben habe. Dieser Anwendungsbereich vereint die Konzepte der IVF und der Gendiagnostik und somit die Disziplinen der Reproduktionsmedizin, der Gynäkologie und der Humangenetik. Zum Teil werden für dieses Zusammenkommen unterschiedlicher Fachbereiche auch eigene Termini bestimmt, wie etwa der Begriff der „Reprogenetik“[9]. Die Methode der PGD kann aber auch für andere Bereiche innerhalb der Gentechnik bedeutend werden. Ich werde in dieser Arbeit nicht konkret auf die weiteren Anwendungsmöglichkeiten eingehen. Genannt werden soll an dieser Stelle nur das mögliche Zusammenspiel von Keimbahntherapie oder von Klonierungsverfahren mit der PGD. Hierbei könnte die PGD als Kontrollinstanz zur Sicherung der entsprechenden Eingriffe dienen[10].

Die vorgestellte Diskussion zur PGD entspricht in etwa dem Grundbaustein meiner Arbeit. Die spezifische Aufgabe soll weniger in einem konkreten Abwägen der unterschiedlichen Positionen und Beiträge bestehen, sondern in der Analyse und Kritik der entsprechenden medizinethischen Diskussion zu dieser Thematik. Die Analyse der Diskussion versteht sich hierbei als Beschreibung und Abgrenzung der einzelnen Argumentationstypen und der jeweiligen Diskussionsfelder. So sind beispielsweise pragmatische Argumentationstypen von gesellschaftspolitischen oder kategorischen zu unterscheiden. Weiterhin kann die Diskussion zur PGD kaum auf ein zentrales Topos reduziert werden. Vielmehr werden in den verschiedenen Beiträgen zum Teil sehr unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Solche Schwerpunkte können die Versuche einer Bestimmung des Embryonenstatus in-vitro sein oder auch die Beschäftigung mit der reproduktiven Autonomie, dem Krankheitsbegriff oder den Prinzipien der Menschenwürde.

Die Analyse sieht sich vor allem mit zwei entscheidenden Schwierigkeiten konfrontiert. Zum einen vollzieht sich die Diskussion, wie angedeutet, auf sehr unterschiedlichen Diskussionsfeldern. Zum anderen gibt es bislang noch wenig ausführlichere ethische Ausarbeitungen zu diesem Thema. Den ausführlichsten Beitrag zur PGD stellt das Gutachten von Regine Kollek dar. Regine Kollek hat im Auftrag der Stadt Hamburg ein Gutachten zu den „Vorraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik“ verfasst[11]. Kollek bearbeitet die Thematik der PGD sehr ausführlich, beschränkt allerdings den ethischen Teil ihrer Arbeit hauptsächlich auf den feministisch orientierten Schwerpunkt: „Weibliche Autonomie im Kontext von Fortpflanzungsentscheidungen“. Die Arbeit von Kollek ist somit nur bedingt als Überblicksarbeit in Bezug auf die ethischen Probleme im Kontext der PGD zu betrachten.

Neben dem Gutachten von Kollek existiert ein recht ausführlicher Beitrag zur ethischen Problematik der PGD in einem Supplement der Zeitschrift „Ethik in der Medizin“. Dieses Sonderheft dokumentiert die Beiträge der Jahrestagung der „Akademie für Ethik in der Medizin“ zum Themenkreis „Von der Prädiktiven zur Präventiven Medizin – Ethische Aspekte der Präimplantationsdiagnostik“. Weiterhin möchte ich den 1999 erschienenen Bericht der Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz hervorzuheben, der einen knappen Überblick zu entscheidenden ethischen Fragestellungen im Rahmen der PGD-Diskussion liefert[12]. Der von der Bundesärztekammer (BÄK) vorgelegte „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ verweist in der Darlegung seiner Entscheidungsfindung für eine kontrollierte Zulassung der PGD auf eben diesen Bericht der rheinland-pfälzischen Bioethik-Kommission[13]. Aufgrund der von der BÄK hervorgehobenen zentralen Bedeutung dieses Berichts, werde ich mich mit diesem im Verlauf der Arbeit gezielt auseinandersetzen.

Die weitere inhaltliche Diskussion zu Pro und Contra der PGD findet sich weitgehend in kürzeren Essays, teils in themenspezifischen Sammelbänden oder in den entsprechenden medizinischen und medizinethischen Journalen[14]. Dieses scheint insbesondere auf die angloamerikanische Literatur zuzutreffen. Ein ausführlicher englischsprachiger Beitrag zur Ethik der PGD liegt nach meinen Kenntnissen nicht vor, obwohl das Verfahren der PGD seit 1990 angewandt und auch weiterhin in den USA und in Großbritannien kontrovers diskutiert wird. Es scheint, als ob die ethische Auseinandersetzung mit der Gen diagnostik in der angloamerikanischen Fachpresse hinter die recht lebhaften Debatten zur Keimbahn- oder zur somatischen Gen therapie zurücktritt[15].

Die Kritik an der medizinethischen Diskussion zur PGD bezieht sich im wesentlichen auf den oftmals sehr einseitigen Argumentationsaufbau und den Rückzug in die ewig gleichen Argumentationstypen. Durch das Ausblenden einzelner Diskussionsfelder entstehen Vermittlungsprobleme zwischen den unterschiedlichen Positionen zur PGD. Diese unterschiedlichen Aspekte der Kritik werde ich an unterschiedlichen Stellen dieser Arbeit herausstellen und im Resümee zusammenfassend erläutern. Zum besseren Verständnis für die Diskussion in ihrer Gesamtheit, habe ich die Arbeit in insgesamt 5 Teile untergliedert.

In Teil 1 werde ich die wesentlichen naturwissenschaftlichen und medizinischen und in Teil 2 die wesentlichen rechtlichen Aspekte der PGD darstellen. Diese Elemente sind grundlegend für die medizinethische Diskussion im Sinne einer angewandten Ethik. Es werden verfahrenstechnische und embryologische Aspekte erläutert, die der Einschätzung von Belastungen für die Frau durch die PGD, wie auch den Überlegungen zum moralischen Schutz des untersuchten Embryos dienlich sein werden. Ebenfalls wird sich durch diesen medizinischen Erkenntnisstand, insbesondere aber auch durch die Skizze der rechtlichen Diskussion, die Abgrenzung von der PGD gegenüber der PND besser nachvollziehen lassen.

In Teil 3 habe ich einzelne für die Diskussion charakteristische Stellungnahmen und Positionen unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Argumentationstypen zusammengefasst. Diese Zusammenfassung soll einen ersten Überblick über die medizinethische Diskussion ermöglichen und hat nicht den Anspruch, diese ausreichend zu beschreiben. Im Verlauf der nachfolgenden Kapitel werden auch weitere, oftmals spezifischere Beiträge berücksichtigt. Die schwerpunktmäßige Dokumentation und Diskussion der gesellschaftspolitischen Argumente ergibt sich aus der besonderen Komplexität dieses Argumentationstyps.

In Teil 4 werde ich mich mit der zentralen Frage beschäftigen, welche Diskussionsfelder in der medizinethischen Auseinandersetzung mit der PGD von einander abgegrenzt und zugleich in einer jeden ausführlicheren Diskussion zu dieser Thematik berücksichtigt werden sollten. Während in Teil 3 der Schwerpunkt in der Differenzierung und Abgrenzung der einzelnen Argumentationstypen und –ebenen gesetzt wurde, werde ich in diesem Hauptteil meiner Arbeit die vorab skizzierte Diskussion in einzelnen, für die medizinethischen Überlegungen besonders relevanten Punkten fokussieren. Es handelt sich dabei nicht um reine Begriffsbestimmungen. Diese sollen an den entsprechenden Stellen mit einer für diese Arbeit realistischen Präzision gegeben werden. Vielmehr soll verdeutlicht werden, in welcher charakteristischen Weise mit den jeweiligen Begriffen umgegangen wird. Diese Charakteristika sind natürlich nicht auf die Diskussion zur PGD beschränkt. An vielen Stellen wird deutlich werden, dass der beschriebene Umgang mit den entsprechenden Begrifflichkeiten exemplarisch ist für viele Beiträge zur Gentechnologie wie auch für andere Bereiche in der Medizinethik.

In Teil 5 werde ich kurz auf die jeweiligen Vor- und Nachteile der in Teil 3 vorgestellten Argumentationstypen eingehen.

Ziel dieser Arbeit ist es nicht, für ein generelles Verbot oder eine Legitimation der PGD zu plädieren. Zum einen wird ein solches Urteil aufgrund der PGD immanenten Problematiken nicht möglich sein. Zum anderen muss die letztendlich allgemeine Diskussion zur Sozialverträglichkeit der Gentechnologie interdisziplinär geführt und beurteilt werden.

Teil 1 Naturwissenschaftliche und medizinische Aspekte der Präimplantationsdiagnostik

1.1 Verfahrenstechnik

1.1.1 Präimplantationsdiagnostik (PGD)

Unter PGD versteht man die Genomanalyse von embryonalen Zellen vor der Implantation in den Uterus. Es können numerische Chromosomenabberrationen oder einzelne, strukturelle Chromosomenabberrationen diagnostiziert werden[16]. Eine Besonderheit stellt die Diagnostik der Geschlechts-Chromosomen bei x-chromosomal-rezessiv vererbten Krankheiten dar.

Um die Zelle zu gewinnen, deren Genom man analysieren möchte, bedarf es mehrerer Verfahren. Nach einer oder mehreren Hormonstimulationen bei der Frau mit i.d.R. anschließender Punktion der Ovarien, werden die dabei gewonnenen Eizellen entweder im Reagenzglas mit Spermien zusammengebracht oder es werden ihnen gezielt Spermien mit einer Pipette injiziert. In beiden Fällen kann es zu einer Befruchtung kommen[17]. Bei der ersten Methode handelt es sich um die klassische In-Vitro-Fertilisation (IVF), bei der zweiten wird diese durch eine ICSI (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion[18] ) ergänzt. Die befruchtete Eizelle (Zygote) beginnt sich zu teilen. Es entstehen entsprechende 2-, 4-, 8- und 16-Zell Stadien. Auch Zwischenstufen mit ungeraden Zellzahlen sind möglich. Nach dem derzeitigen Standard werden im 6 bis 10-Zell Stadium, am dritten Tag nach der Befruchtung, dem Zellverband eine oder zwei embryonale Zellen (Blastomeren) entnommen (biopsiert)[19]. Diese Zellen, die i.d.R. den gleichen Chromosomensatz besitzen wie die restlichen Zellen, können nun nach Extraktion ihrer DNA genanalytisch nach Chromosomenanomalien untersucht werden[20]. Ein Befund liegt in der Regel nach derzeit 3 bis 8 Stunden vor. Bei negativem Befund ist zu einem hohen Prozentsatz davon auszugehen, dass auch die verbleibenden Zellen des biopsierten Embryos, die entsprechende Chromosomenanomalie nicht aufweisen[21]. Der Embryo wird daraufhin in die Gebärmutter implantiert. Ob es tatsächlich nach einem jeweiligen Embryotransfer zu der gewünschten Schwangerschaft kommt, steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Auf das Problem des geringen Anteils an erfolgreichen Schwangerschaften werde ich im Abschnitt 1.3 näher eingehen.

1.1.2 Präkonzeptionsdiagnostik

Ein von der Idee der PGD her sehr ähnliches Verfahren ist die Präkonzeptionsdiagnostik. Hierbei werden die Gameten, sprich Ei- oder Samenzelle, noch vor ihrer Verschmelzung untersucht und selektiert. Die Prozedur der Biopsie und die Zerstörung einer embryonalen Zelle werden somit umgangen. Im Gegensatz zu den männlichen Keimzellen, aus denen nach den entsprechenden Teilungsschritten 4 reife Spermien entstehen, resultiert nach den Reifeteilungen bei der weiblichen Keimzelle lediglich eine Eizelle mit 3 Polkörperchen, welche die zugrundegehenden restlichen 3 haploiden Chromosomensätze anzeigen[22]. Demnach ist es zur Zeit nicht möglich, den männlichen Chromosomensatz beim Gameten zu analysieren, ohne ihn zerstören zu müssen. Es besteht allerdings der Ansatz, die Spermien in X- und Y-tragende zu selektieren (sogenanntes „flow-sorting“). Dies ist eine denkbare Möglichkeit zur Geschlechtsselektion, welche beispielsweise dann indiziert sein könnte, wenn X-chromosomal vererbbare Erkrankungen umgangen werden sollen[23]. Eine solche Indikation kann beispielsweise bestehen, wenn die genaue Sequenz oder der Genort der Veränderung auf dem X-Chromosom nicht bekannt sind. Die Erfolgsrate, der hierzu angewandten meist physikalischen Methoden, scheint aber noch zu wenig effizient, so dass die beschriebene Spermienselektion nur in seltenen Fällen angewandt wird[24].

Bei den weiblichen Gameten ergibt sich die Möglichkeit, mittels der Polkörperchenbiopsie, den Chromosomensatz der Eizelle in einem der PGD sehr ähnlichen Verfahren indirekt zu analysieren[25]. Wird das bei der letzten Reifeteilung entstehende Polkörperchen biopsiert und weist dieses nach entsprechender Gen-Diagnostik die gesuchte Mutation auf, könnte davon ausgegangen werden, dass bei heterozygot betroffener Mutter, die Eizelle selber die Mutation nicht mehr aufweist. Ein wesentliches Problem stellt hierbei das Phänomen des Crossing-over dar. Crossing-over beschreibt eine häufig auftretende Situation während der Reifeteilung, in der sich einzelne Segmente der mütterlichen Chromosomen umgruppieren. Dies kann dazu führen, dass sich das betroffene, in diesem Fall zu diagnostizierende Allel sowohl in der Eizelle als auch im Polkörperchen befindet. Demnach ist zumindest die Anwendung der PCR zur Polkörperchendiagnostik weniger geeignet. Im Gegensatz hierzu ist die Möglichkeit mittels FISH im Rahmen der Polkörperchenbiopsie eine Aneuploidie der Eizelle auszuschließen, die bis dato am meisten angewandte Form einer Präimplantations-, bzw. Präkonzeptionsdiagnostik[26].

1.2 Fehlerquellen

Als eine mögliche Fehlerquelle wurde bereits das Phänomen des Crossing-over angesprochen, welches sich wie beschrieben auf die Methode der Polkörperchenbiopsie bezieht. Eine weitere entscheidende Fehlerquelle stellt das „ allelic drop-out“ (ADO) dar[27]. Dieses Phänomen beschreibt das ungleiche Amplifizieren (Vervielfältigen) der beiden auf eine Anomalie zu untersuchenden Allele im Rahmen der Einzelzell-PCR. Wird beispielsweise bei Vorliegen einer Mutation allein das nicht mutierte Allel durch die PCR amplifiziert, so wird ein Status vorgetäuscht, bei dem das Nicht-Vorliegen der Mutation angenommen werden muss (falsch negativ). Um falsche Diagnosen aufgrund solcher Amplifizierungsfehler in ihrer Häufigkeit zu minimieren, werden in der Regel 2 embryonale Zellen biopsiert, die unabhängig voneinander untersucht werden[28].

Die Kontamination des zu untersuchenden Genmaterials mit Fremd-DNA ist das zweite große Problem für die PGD. Beispielsweise können, wie bereits im letzten Kapitel beschrieben, während der Biopsie des in-vitro kultivierten Embryos weitere an der Embryonenhülle klebende Spermien das gewonnene Biopsat kontaminieren. Um diese Fehlerquelle zu vermeiden, ist man dazu übergegangen, nahezu ausschließlich die ICSI im Rahmen der PGD zu verwenden, vor allem wenn zur Diagnostik die PCR angewandt wird[29].

Nach Diedrich sind bislang drei Fehldiagnosen im Zusammenhang mit der PGD bekannt geworden[30]. Bei allen dreien sind es die oben aufgeführten Probleme der Kontamination und des fehlerhaften Amplifizierens, die als Gründe für die Fehldiagnosen in Betracht kommen sollen.

Das Phänomen der Mosaikbildung wird zumindest in der Überblicks-Literatur, wie dem Ende 1999 erschienenen ESHRE-Report[31] und einem Sonderheft von Prenatal diagnosis[32] zur PGD nicht mehr als mögliche Fehlerquelle erwähnt.

1.3 Erfolgsraten

Die Erfolgsraten der PGD im Sinne der sogenannten „baby-take-home“-Rate fallen entsprechend den Erfahrungen mit der IVF relativ gering aus. Im Durchschnitt resultieren etwa 15-25 % der PGD-Anwendungen in einer geglückten Schwangerschaft[33]. Dies scheint sich nach der nunmehr zwanzigjährigen Erfahrung mit IVF und der zehnjährigen Erfahrung mit PGD nicht wesentlich geändert zu haben. Der entscheidende, die wenig erfolgreiche Schwangerschaftsrate bestimmende Faktor soll das mütterliche Alter sein[34]. Das Durchschnittsalter der für die PGD anfragenden Frauen liegt im ESHRE PGD Report bei 34 Jahren. Es wird gemutmaßt, dass die in diesem Alter erhöhte Rate an Trisomien für die schlechten Schwangerschaftsraten mitverantwortlich ist. Würde die PGD bei jüngeren Frauen angewandt, etwa im Rahmen eines Screening-Programms, wird von höheren Schwangerschaftsraten ausgegangen[35].

Die in diesem Kontext anzusiedelnden Versuche, bei älteren Frauen durch Anwendung eines PGD assoziierten Aneuploidie-Screenings die IVF-Raten zu steigern, werden in Bezug auf ihren Erfolg unterschiedlich interpretiert. Zwar ließen sich die Werte für diese Patientengruppe leicht verbessern, insgesamt aber fällt die Schwangerschaftsrate mit etwa 20% immer noch relativ niedrig aus, zumindest was die Attraktivität der PGD für eine breitere Anwendung betrifft[36].

Im Hinblick auf die bisherigen Erfahrungen mit Erfolgs- und Fehlerraten für die klinische Anwendung der PGD ergibt sich eine wichtige Frage. Wird die PND nach entsprechender Güterabwägung die attraktivere Methode bleiben, aufgrund der physischen und psychischen Belastung durch den Aufwand von Hormonstimulation, IVF/ICSI und Embryonentransfer, bei einer doch recht stabil bleibenden „baby-take-home“-Rate von 15-25% bei der PGD?

Eine Studie aus den Niederlanden zeigt, dass sich diese Frage vermutlich abhängig von der jeweiligen Vorgeschichte der Paare entscheiden wird[37]. Eine eher positive Bewertung der PGD bei vorangegangenem Schwangerschaftsabbruch, bei bereits einem geborenen Kind mit dem entsprechenden Erbleiden oder bei bereits einmal stattgefundener IVF, wurde in 3 unterschiedlichen Studien beschrieben[38]. In einer anderen Studie von 1997 entschieden sich hingegen 2/3 der Befragten für die PND und 1/3 für die PGD[39].

1.4 Totipotenz in der Embryonalperiode

Der Zeitpunkt der Zellbiopsie scheint für die weitere Entwicklung des Embryos nach seinem Transfer in den Uterus einen sehr entscheidenden Faktor darzustellen. Bei der medizinischen Diskussion um den günstigsten Zeitpunkt dreht es sich im wesentlichen um 2 Fragen.

1. Bringt der Biopsiezeitpunkt für den sich entwickelnden Embryo Nachteile mit sich?
2. Kann genügend Zellmaterial für eine suffiziente Diagnostik gewonnen werden?[40]

Nach dem neuesten Stand der klinischen PGD-Anwendung scheint die Biopsie am dritten Tag nach Befruchtung die allgemein akzeptierte Kompromisslösung auszumachen. Die zu diesem Zeitpunkt biopsierten Embryonen weisen durchschnittlich 6-10 Zellen auf.

Diese die Verfahrenstechnik betreffenden Fragen werden in Deutschland um eine weitere Frage ergänzt. Da nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz (ESchG) eine totipotente Zelle nach § 8 ESchG als Embryo definiert wird und „embryoverbrauchende“ Untersuchungen nach § 2, Abs. 1 ESchG verboten werden, scheint in Deutschland vorrangig die Frage nach dem Zeitpunkt der Beendigung des totipotenten Stadiums bei embryonalen Zellen beantwortet werden zu müssen. Es müsste also gezeigt werden können, dass die am dritten Tag nach Befruchtung biopsierten Zellen, sich zumindest in die zu unterscheidenden Trophoblast- und Embryoblastzellen differenziert haben. Da die Trophoblastzellen allein dem Schutz und der Ernährung des sich nun weiter differenzierenden Embryos zugesprochen werden, scheint eine solche Biopsie eher mit einer gewöhnlichen Zellprobe am Menschen vergleichbar und damit rechtlich legitim zu sein. Die Frage, ob nach Klärung der Totipotenzfrage die Anwendung der PGD gemäß dem ESchG legitimiert scheint, werde ich im Teil 2 dieser Arbeit erneut aufgreifen.

Ein durch die Verabschiedung des ESchG entstandenes Paradox besteht zudem darin, dass die Frage nach dem Ende der Totipotenz bei menschlichen Embryonen in Deutschland nicht beantwortet werden kann. Die hierfür benötigte Embryonenforschung ist durch das ESchG selbst untersagt. Deshalb stützen sich die Argumente in der deutschen Diskussion allein auf die Ergebnisse der weitgehend amerikanischen und britischen Forschergruppen.

Ich werde an dieser Stelle nicht die gesamte Herleitung der jeweiligen Stellungnahmen zur Totipotenzfrage nachskizzieren, sondern mich im wesentlichen darauf beschränken, anhand der beiden entscheidenden Positionen die gegenwärtige Diskussion aufzuzeigen. Beier, der auch als wissenschaftlicher Gutachter für die Bundesministerien der Justiz und der Gesundheit in Fragen der Reproduktionsmedizin fungiert, führt an den bisherigen Publikationen zum Forschungsbereich der Totipotenz den Beweis, dass

„ganz sicher schließlich im 8-Zell-Stadium nicht mehr alle Blastomeren totipotent sein können, sondern die meisten von ihnen bereits so weit differenziert sind, daß die ihre Totipotenz verloren haben“[41].

Hieraus folgert Beier, dass die PGD im Geltungsbereich des ESchG dann als zulässig gelten dürfte,

„wenn die für diese Diagnostik gewonnene Zelle (Blastomere) aus einem Entwicklungsstadium entnommen wird, welches deutlich mehr als acht Blastomeren erreicht hat“[42].

Ob diese Erklärung ausreicht, die Totipotenz der biopsierten embryonalen Zelle sicher auszuschließen, bezweifelt Kollek in ihrem Gutachten zur PGD. Zum einen kritisiert sie die Schlussfolgerung Beiers, aus den seiner Stellungnahme zugrundeliegenden Publikationen die Sicherheit über die Totipotenzfrage gewinnen zu können[43]. Zum anderen bezweifelt sie, ob man am dritten Tag nach der künstlichen Befruchtung mit Sicherheit davon ausgehen kann, ausschließlich Zellen mit mehr als 8 Zellen biopsieren zu können. Dabei bezieht sie sich vor allem auf das Urteil der Ethik-Kommission der Medizinischen Universität zu Lübeck, die in ihrer Stellungnahme festlegte, dass die Embryonen-Biopsie am dritten Tag erfolgen soll, „wenn das Zwölf-Zell-Stadium erreicht ist“[44]. In Anbetracht der Publikationen der international zu PGD tätigen Gruppen, die von Biopsien der aus durchschnittlich 6-10 Zellen bestehenden Embryonen berichten, scheint es also eher unwahrscheinlich, dass diese Aufforderung der Ethik-Kommission eingehalten werden kann. Die Aussage, dass nach dem Acht-Zell-Stadium keine Totipotenz mehr nachzuweisen ist, scheint einigermaßen gesichert zu sein. Damit ist die Diskussion um den Differenzierungsgrad der Blastomeren am dritten Tag nach IVF aber noch nicht ausreichend geklärt.

Einen letzten entscheidenden Punkt zu der Frage der Totipotenz greift Hinrichsen auf, der neben Beier eines der beiden Gutachten für die Lübecker Ethik-Kommission erstellt hat. Hinrichsen bemerkt bezüglich der unterschiedlichen Entwicklungsfähigkeiten von isolierten und im Zellverband verbleibenden Zellen:

„Im Falle der Präimplantationsdiagnostik kann es aber nur um die Frage der Entwicklungsfähigkeit der entnommenen isolierten Zelle gehen“[45].

Wenn man dieser These zustimmt, würden die gegen Beiers Stellungnahme vorgebrachten Urteile erheblich abgeschwächt werden. Es müsste also diskutiert werden, ab welchem Stadium man von „embryoverbrauchender“ Untersuchung im Sinne des ESchG sprechen kann. Entweder gilt die Entnahme einer im Zellverband noch als totipotent zu bezeichnenden Zelle bereits als „verbrauchend“, da man sie ihrem zur weiteren Entwicklung benötigten Umfeld entzieht oder „verbrauchend“ ist beispielsweise erst der Prozess der DNA-Extraktion, vor dem die Zelle nach Hinrichsen und Beier ihre Totipotenz bereits verloren hat. Die letztere Variante wird m.E. allerdings einiges an Überredungskunst leisten müssen, um der anderen Variante den Terminus „verbrauchend“ absprechen zu können.

Eine Möglichkeit, das Totipotenzproblem zu umgehen, besteht in der Biopsie von Blastozysten, also von Zellverbänden jenseits des dritten Tages nach Befruchtung, bei denen sich deutlich Trophoblast und Embryoblast voneinander abgrenzen lassen, da die sich zu diesem Zeitpunkt bildende Flüssigkeit die Blastomeren auseinander drängt. Ein weiterer Vorteil der Blastozystenbiopsie würde in der größeren Zellzahl bestehen, die zu diesem Zeitpunkt gewonnen werden kann. Das entscheidende, gegen dieses Verfahren stehende Problem besteht in der schlechteren Schwangerschaftsrate, die zu erwarten ist, wenn man den Embryo erst am vierten oder fünften Tag nach der künstlichen Befruchtung in den Uterus implantiert. Ob bessere Nährmedien und Kultivierungsbedingungen dieses Problem beseitigen können, ist noch nicht geklärt. Bislang wurde in der internationalen Fachpresse noch keine PGD assoziierte Blastozystenbiopsie beim Menschen publiziert[46].

1.5 Gesundheitliche Belastungen

1.5.1 Risiken für das Kind

Die möglichen gesundheitlichen Belastungen durch Anwendung der PGD für das Kind sind zur Zeit nur schwer zu erfassen. Aufgrund des nur geringen Datenmaterials zu dem Verlauf der postnatalen Entwicklung kann man derzeit noch keine statistisch signifikanten Schlussfolgerungen in Bezug auf PGD spezifische Schädigungen bei den Kindern ziehen. Festzuhalten ist allerdings, dass zur Zeit bei der geringen Anzahl von bereits geborenen Kindern keine Hinweise für bestimmte Schädigungen existieren[47]. Eine mögliche Schädigung für das Kind ergibt sich aus dem, für das Verfahren der IVF bekannten, Problem der stark erhöhten Mehrlingsrate. Hier muss man die Situation in Deutschland, wo maximal drei Embryonen pro Zyklus in die Gebärmutter übertragen werden dürfen, von der in anderen Ländern wie beispielsweise der USA unterscheiden, wo diese Beschränkung nicht besteht[48]. Während die Mehrlingsrate in der Normalbevölkerung 1,2% beträgt, ergeben sich nach IVF weltweite Zwillingsraten von 22-29% und Drillingsraten von 4-5%[49]. Für die ICSI liegen diese Werte nochmals ein wenig höher. Die BÄK nennt für die Drillingsrate nach ICSI eine Wahrscheinlichkeit von 6-7%[50].

Auf die unterschiedlichen Risiken und Komplikationen, die sich hierdurch für die schwangere Frau und für das Kind ergeben, möchte ich in dieser Arbeit nicht weiter eingehen. Die erwähnte Empfehlung der BÄK, bei Patientinnen unter 35 Jahren nur maximal zwei Embryonen pro Zyklus zu übertragen, deutet aber darauf hin, dass es sich hierbei um eine ernst zu nehmende Problematik handelt. Durch eine verringerte Anzahl implantierter Embryonen wird schließlich eine Verringerung der ohnehin recht niedrigen „baby-take-home“-Rate in Kauf genommen. Da es sich allerdings nur um eine Empfehlung der BÄK handelt, kann von dem die IVF in Anspruch nehmenden Paar natürlich weiterhin der Transfer von 3 Embryonen gewünscht werden. Die BÄK fordert in der entsprechenden Richtlinie, diese Entscheidung nach entsprechender Aufklärung über das Drillingsrisiko und die damit verbundenen Gefahren, wie die „Gefährdung des Lebens der Mutter“ und die „deutlich erhöhte Morbidität und Mortalität“ der meist frühgeborenen Kinder zu dokumentieren[51].

Die bisher beschriebenen Risiken für das Kind beziehen sich auf die IVF. Spezielle durch die Embryobiopsie im Rahmen einer PGD bedingte Risiken sind bislang nicht beschrieben worden. Die in Deutschland verbotene Embryonenforschung konnte zeigen, dass sich die Zellteilung nach Biopsie zunächst verzögert. Im Verlauf der Embryonalentwicklung wird dieser Rückstand allerdings ausgeglichen, so dass auch in diesem Fall das „Alles-oder-Nichts-Gesetz“ in Bezug auf schädigende Einflüsse auf den frühen Embryo (Blastogenese) zu gelten scheint. Ein solches Verhalten des frühen Embryos kann auch bei Einwirkung von bestimmten Noxen wie radioaktiver Strahlung beobachtet werden. So geht der embryonale Zellverband nach Einwirkung der entsprechenden Noxe entweder zugrunde oder er entwickelt sich anschließend normal weiter.

Weiterhin bestehen Überlegungen dazu, ob der sich nach der Biopsie weiterentwickelnde Embryo mögliche Veränderungen im Genom oder Zellplasma an nächste Generationen weitervererben könnte, wo diese Veränderungen dann im Sinne von Langzeiteffekten einen entsprechenden Phänotyp entwickeln. Diese Überlegungen fallen unter den Bereich der sogenannten „Epigenetik“ und sind gegenwärtig ebenfalls Teil der Diskussion über mögliche Risiken der Embryobiopsie. Gesicherte Forschungsergebnisse zu möglichen Einflüssen der Polkörper- oder Embryobiopsie auf die Genexpression oder -struktur der biopsierten Zelle liegen gegenwärtig nicht vor[52]. Kollek weist allerdings unter Bezugnahme auf weitere Untersuchungen im Rahmen der „Epigenetik“ daraufhin,

„daß eine sorgfältige Beobachtung der nach Embryobiopsie geborenen Kinder notwendig ist, um eventuell auftretende Entwicklungsbesonderheiten möglichst frühzeitig erkennen zu können“[53].

1.5.2 Risiken für die Frau

Die gesundheitliche Belastung für die Frau, durch die im Rahmen der IVF mit anschließender PGD notwendige Hormonstimulation und Follikelpunktion, wird im Vergleich mit den gesundheitlichen Belastungen bei einem Schwangerschaftsabbruch nach PND unterschiedlich gewertet. So kommt beispielsweise die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz zu dem Schluss, dass die PGD im Vergleich zu einem Schwangerschaftsabbruch nach PND in psychischer wie aber auch in physischer Hinsicht eine „wesentliche Entlastung“ darstellt[54]. Die Kommission scheint sich hierbei allerdings allein auf die Lebensbedrohlichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs und auf die mögliche Folge der Unfruchtbarkeit für die Frau zu beziehen. Nach Kollek hingegen

„ist nicht davon auszugehen, daß die körperliche Belastung, die die Frau bei einem Schwangerschaftsabbruch bis zur 20. Woche auf sich nehmen muß, höher ist als die einer (wiederholten) in vitro -Fertilisation inklusive Hormonstimulation und Follikelpunktion“[55].

Die Gründe für diese These von Kollek liegen im wesentlichen in der möglichen Komplikation eines sogenannten „ovariellen Hyperstimulations-Syndroms“ (OHSS) aufgrund der für die IVF obligaten Hormonbehandlung sowie in den unterschiedlichen möglichen Komplikationen für die Frau aufgrund der erhöhten Rate an Mehrlingsschwangerschaften[56]. Interessant ist in diesem Kontext der spezielle Bezug auf die PGD im Anschluss an die IVF. Im Rahmen der PGD werden mehr Eizellen benötigt als bei der reinen IVF, weshalb die Hormonbehandlung in Hinsicht auf diesen höheren Bedarf stärker angesetzt werden muss. Nach einer von Kollek zitierten Studie steigt das Risiko, ein OHSS zu entwickeln, mit der Anzahl der gewonnenen Eizellen[57].

Die Möglichkeit eines erhöhten Risikos für die Entwicklung von Ovarialtumoren oder Fruchtbarkeitsstörungen aufgrund der wiederholten Hormonstimulation konnte bislang nicht bewiesen werden, scheint aber andererseits, trotz nunmehr zwanzigjähriger Erfahrung mit der IVF, nicht vollends aus der Diskussion verschwunden zu sein[58].

Ein genaueres Abwägen der gesundheitlichen Risiken von PGD und IVF auf der einen sowie PND und Schwangerschaftsabbruch auf der anderen Seite, müsste sich m.E. deutlicher mit der Schwere und der prozentualen Wahrscheinlichkeit für die einzelnen Komplikationen auseinandersetzen, um sie anschließend zumindest ansatzweise gegeneinander abwägen zu können. Das einseitige Betonen und entsprechende Gewichten von relativ seltenen, dafür aber sehr schweren physischen Belastungen bei einem Schwangerschaftsabbruch, wie es beispielsweise die rheinland-pfälzische Bioethik-Kommission tut, erscheint in dieser Hinsicht wenig hilfreich für die Diskussion.

Ein Abwägen der psychischen Belastung durch mehrmalige IVF und PGD gegen einen Schwangerschaftsabbruch nach PND erscheint sicherlich noch mal eine Stufe schwieriger als bei der vorangegangenen Untersuchung der physischen Belastungen. Ausgehend von einer solchen Schwierigkeit im Umgang mit den psychischen Belastungen durch beide Techniken, ist es erstaunlich, wie deutlich die entsprechenden Urteile einzelner Autoren oder auch ganzer Kommissionen zu dem entsprechenden Abwägungsprozess ausfallen. M.E. ist ein solches Abwägen psychischer Belastungen nur sehr schwer objektivierbar. Die Entscheidung, ob die Konfliktsituation bei einem Schwangerschaftsabbruch deutlich belastender ist als eine i.d.R. 3 bis 6 mal stattfindende IVF inklusive Hormonstimulation und Follikelpunktion oder ob vielleicht die umgekehrte Situation zutrifft, sollte m.E. eher den individuellen Überlegungen nach jeweils angemessener Beratung überlassen werden. Ob eine entsprechende Beratung einen solchen Anspruch erfüllen kann, ist eine weitere Frage, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen werde[59].

Zu bedenken bleibt allerdings, dass der Bereich möglicher psychischer Belastungen durch Abtreibung wie durch PGD nicht auf wenige besonders evidente Punkte zu reduzieren ist. Neben den konkreten emotionalen Konfliktsituationen und Ängsten der Frauen, bzw. Paare sind sicherlich auch die psychischen Folgewirkungen bei beiden Formen der Behandlung nicht zu vernachlässigen.

1.6 Finanzielle Aspekte

An dieser Stelle soll nur kurz auf die zu erwartenden finanziellen Kosten einer PGD eingegangen werden. Nach vorläufigen Schätzungen würden die Kosten in Deutschland für einen PGD-Zyklus inklusive Hormonbehandlung, Embryobiopsie, IVF und ICSI zwischen 14500 und 17000 DM liegen. Dieser Gesamtbetrag besteht maßgeblich aus den Kosten für die IVF und ICSI die gegenwärtig zwischen 5000 und 6000 DM betragen[60] und den Kosten für die PGD, die nach Schätzungen von Diedrich zwischen 7000 und 8000 DM betragen sollen[61]. In Anbetracht der derzeitigen Erfolgsraten von 15-25% ergeben sich somit durchschnittliche Gesamtkosten bis zu einem geborenen Kind von minimal 58 000 bis maximal 113 300 DM[62].

Inwieweit die Krankenkassen diese Kosten übernehmen würden, ist bislang noch unklar. Die IVF wird seit vielen Jahren von den Krankenkassen bezahlt. Die ICSI hingegen ist nicht als Regelleistung anerkannt. Bis Juni 1999 wurde sie zwar auf dem Kulanzwege erstattet, d.h. die Kosten wurden rückerstattet. Seit diesem Zeitpunkt sind die Erstattungen allerdings eingestellt. Die Krankenkassen berufen sich hierbei auf die nicht abschließend geklärten Risiken dieser Technik. Die Frage nach einer möglichen Erstattungspflicht wird derzeit in Sozialgerichtsverfahren geklärt[63]. Inwieweit diese Einschränkung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen auch die Anwendung von PGD beeinflussen könnte, scheint noch unklar zu sein.

1.7 Indikationen und Anwendungsmöglichkeiten

Ähnlich wie bei der PND sind auch bei der PGD unterschiedliche Genanomalien zu detektieren, die sich in zwei große Gruppen aufteilen lassen. Ich werde die beiden Gruppen zunächst recht allgemein erläutern. Sonderfälle innerhalb dieser Gruppen wie geschlechtsgebundene Erbgänge, die eine spezielle Indikation für die PGD darstellen können, werde ich im weiteren Kontext darzustellen versuchen.

1.7.1 Strukturelle Chromosomenaberrationen

Die derzeit detektierbaren Erbkrankheiten, die auf strukturelle Chromosomenaberrationen wie Mutationen, Deletionen oder Translokationen zurückführbar sind, sind i.d.R. monogen bedingt, d.h. die Krankheit ist in ihrer Genese auf eine Anomalien in einem einzigen Gen zurückführbar.

Da das menschliche Genom aus jeweils zwei Chromosomensätzen, sprich aus dem mütterlichen und aus dem väterlichen Chromosomensatz, besteht, ist jedes Gen, mit Ausnahme der geschlechtsspezifischen, prinzipiell an zwei Orten vorhanden. Bei einigen Erbkrankheiten genügt eine Anomalie an einem Genort, damit es zur vollen Ausprägung (Phänotyp) kommt. Den Übertragungsmechanismus nennt man in diesem Fall dominant und es genügt dementsprechend ein betroffener Partner um die Krankheit potentiell an die Kinder weiterzuvererben. Die Übertragungswahrscheinlichkeit ist hierbei 50%. Solche Erbkrankheiten für die es in der PND und teilweise auch schon für die PGD die entsprechenden Gentest gibt sind beispielsweise:

- Chorea Huntington
- Thalassämie
- Spärozytose (synonym: Sichelzell-Anämie)

Erbkrankheiten, die zur vollen Ausprägung die Anomalie an beiden Genorten benötigen, nennt man rezessiv. Es müssen also beide Elternteile die gleiche Genanomalie besitzen, damit ein Kind von dieser Erbkrankheit betroffen werden kann. In der Regel weisen die Eltern die Genanomalie an nur einem Genort auf und zeigen somit das typische Erscheinungsbild der Erbkrankheit, sprich den Phänotyp, nicht. Die Übertragungswahrscheinlichkeit ist hierbei 25%. Solche Erbkrankheiten für die es in der PND und teilweise auch schon für die PGD die entsprechenden Gentest gibt sind beispielsweise:

- Mukoviszidose (synonym: Zystische Fibrose)
- Tay-Sachs-Gangliosidose
- Duchenne´sche Muskeldystrophie (x-chromosomaler Erbgang

1.7.2 Numerische Chromosomenaberrationen oder Aneuploidien

Numerische Genanomalien sind die Folge der Nichttrennung (Nondisjunction) zweier Chromosomen während der Reifeteilung (Meiose wie Mitose). Vollzieht sich diese Nichttrennung während des Reifungsprozesses einer Keimzelle und kommt diese zur Befruchtung, entstehen Trisomien, bzw. Monosomien[64].

Im folgenden möchte ich nun genauer auf die möglichen Indikationen und Anwendungsgebiete im Rahmen der PGD eingehen, die durch diese beiden Arten von Chromosomenaberrationen aufgeworfen werden. Die unterschiedlichen Stellungnahmen und Überlegungen zu der medizinischen, rechtlichen und ethischen Akzeptanz dieser Indikationen möchte ich wenn möglich in den späteren Kapiteln zur medizinethischen Diskussion zur PGD behandeln. In diesem Abschnitt geht es mir der Übersichtlichkeit halber zunächst um die Darstellung dessen, was im Rahmen der PGD alles möglich ist, bzw. zukünftig möglich werden könnte.

Im Rahmen der Indikationsstellung zu einer PND stellen die monogenetischen Erbleiden einen eher geringen Anteil von circa 3% dar[65]. Für die PGD allerdings könnten sie aufgrund ihrer hohen Übertragungsrate eine Hauptindikation darstellen. Bei der Altersindikation, also der Routineuntersuchungen bei schwangeren Frauen über 35 Jahren, beträgt das Risiko für eine Trisomie 21 abhängig von der Höhe des Alters zwischen 0.5 und 5%. Es ist also fraglich, ob sich eine Frau bei diesen verhältnismäßig geringen Prozentzahlen für die Prozedur von IVF und PGD entscheiden wird. Bedient sich allerdings eine Frau, die der Altersindikation entspricht, aufgrund von Infertilität ohnehin der IVF, wäre in diesem Fall die Anwendung von PGD bezüglich des Verdachts auf Aneuploidien wahrscheinlicher, zumal um, wie oben bereits beschrieben, zu versuchen, die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Schwangerschaft zu erhöhen.

Bezüglich der potentiell PGD-Interessierten mit einem nachgewiesenen familiären Risiko für monogenetische Erbleiden gibt es unterschiedliche Schätzungen. Bei Beschränkung der Indikation auf Paare mit bereits einem betroffenen Kind werden bei Engel 50-100 Fälle pro Jahr geschätzt[66]. Werden die aus der Erfahrung durch die PND gewonnenen Zahlen von etwa 3% zu Grunde gelegt, beliefe sich die Zahl potentiell Interessierter auf 1800 pro Jahr.

Beide Schätzungen beschränken sich wie erwähnt nur auf die Indikationen für monogenetische Erbleiden. Für die Annahme von Engel bliebe fraglich, ob diese fokussierte Indikation rechtlich und ethisch Bestand haben könnte. Kann man Patienten, bei denen eventuell aufgrund einer entsprechenden Familienanamnese ein schweres Erbleiden nachgewiesen wurde, das PGD-Verfahren vorenthalten, weil sie noch kein betroffenes Kind geboren haben? Es besteht also die Unklarheit, ob man der Indikation eine eng gefasste Definition von „Wiederholungsrisiko“ zugrundelegt oder generell ein „nachgewiesenes familiäres Risiko“ gelten lässt.

Zu der Zahl von potentiell 1800 interessierten Paaren muss angeführt werden, dass diese Schätzung voraussetzt, sämtliche Paare, die zudem im Großteil fruchtbar sind, würden sich den zusätzlichen Belastungen einer IVF aussetzen lassen und sich bewusst gegen die Alternative einer PND mit möglichem Schwangerschaftsabbruch aussprechen. In einer englischen Studie waren es beispielsweise nur ein Drittel der Paare, welche die Möglichkeit einer PGD der PND vorziehen würden[67]. Auf die deutsche Situation übertragen, käme man dementsprechend bei der weiter gefassten Indikation auf 600 potentielle Paare.

Für die dynamische Entwicklung der jeweiligen Anwenderzahlen dürften aber auch andere Faktoren als die derzeit anzutreffenden Patientenkollektive eine sehr entscheidende Rolle spielen. Solche weiteren Faktoren betreffen die allgemeine Akzeptanz in der Gesellschaft für diese reproduktionsmedizinischen Verfahren oder die Anzahl der zukünftig in Frage kommenden Gentests gekoppelt mit ihrer jeweiligen Inzidenz und der jeweiligen, über die Zeit sicherlich als dynamisch anzusehenden, Interpretationen der Schwere einer Genanomalie. Somit ist es prinzipiell auch möglich, dass sich über kurz oder lang weit mehr Interesse für vorgeburtliche Gendiagnostik entwickelt, als man es in Bezug auf die gegenwärtige Situation abzuleiten vermag. Die Ansicht, dass sich das Interesse an der Gendiagnostik gemessen an der heutigen Situation eher verringern könnte, wird i.d.R. nicht vertreten. Die Diskussion wie eine Beurteilung der Schwere entsprechender Genanomalien aussehen könnte oder sollte, werde ich im Abschnitt 4.1 thematisieren.

1.7.3 Spät manifestierende Krankheiten

Ein spezielles Problem ergibt sich bei monogenetischen Erbleiden, die erst im späteren Leben ausbrechen. Einen paradigmatischen Fall stellt die Chorea Huntington dar. Diese mit progressiver Demenz und schweren motorischen Störungen einhergehende Krankheit manifestiert sich meist zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr[68]. Das späte Auftreten der Krankheit hat zur Folge, dass Kinder oder Geschwister eines akut betroffenen Patienten sich ihres eigenen Trägerstatus nicht sicher sein können. Zwar sind entsprechende Gentests verfügbar, doch nur ein kleiner Teil der potentiell Betroffenen nimmt den Test in Anspruch. Somit umgehen sie das sehr belastende Wissen um den eigenen Trägerstatus. Möchten diese Personen ihren Nachwuchs jedoch vor dieser Anlage zur Krankheit bewahren, geraten sie in das Dilemma, bei Anwendung von PND eventuell ihr Nicht-Wissen zu verlieren. Sollte bei dem Feten die entsprechende Genanomalie gefunden werden, bedeutet dies zugleich die Genträgerschaft des betroffenen Elternteils.

Dieses Problem könnte theoretisch durch die PGD umgangen werden. Da entsprechend dem autosomal dominanten Erbgang von Chorea Huntington 50% der in-vitro befruchteten Embryonen die Anlage nicht tragen, könnte nach Implantation eines „gesunden“ Embryos den Eltern auf Wunsch vorenthalten werden, ob bei anderen Embryonen eine Genanomalie gefunden wurde. Allerdings ist zu bedenken, dass es auch bei einer entsprechend großen Anzahl von zur Verfügung stehenden Embryonen auf unterschiedlichen Wegen zu Fehldiagnosen kommen kann.

Zudem werden auch finanzielle Fragen aufgeworfen. Sind die Eltern keine Anlageträger, könnte das Verfahren oder eine Wiederholung bei einem zweiten Kind eventuell als ökonomisch ineffizient angesehen werden. Schulman et al. gehen hingegen davon aus, mit Hilfe der PGD diese weitgehend familiär bedingte Krankheit stark reduzieren, eventuell sogar aus einer Population eliminieren zu können[69]. Einer solchen Perspektive zufolge, werden die Kosten der an sich zu vermeidenden Redundanz von den Autoren als akzeptierbar im Sinne eines Konzepts zur Krankheitsprävention gerechnet.

1.7.4 Begleitbefunde

Ein weiteres Problemfeld bei im Grunde genommen allen möglichen Indikationen stellen die sogenannten Begleitbefunde dar, die für das Kind nicht primär, bzw. physisch belastend sind, bei diesem aber Entscheidungsproblematiken in den späteren eigenen Fortpflanzungsüberlegungen entstehen lassen. Wird beispielsweise in der PGD eine balancierte Translokation festgestellt, bedeutet dies für das Kind eine 100%ige Wahrscheinlichkeit, an die Nachkommen eine manifeste Trisomie zu vererben[70]. Aber auch bei monogenetischen, rezessiv vererbten Krankheiten kann ein stark erhöhtes Übertragungsrisiko bestehen. Wird bei einem weiblichen Embryo der Trägerstatus für eine x-chromosomal vererbte Krankheit (z.B. Duchenne’sche Muskeldysthrophie) diagnostiziert, bedeutet das für diese potentielle Frau bei jeder Schwangerschaft mit einer Wahrscheinlichkeit von 25% einen Jungen mit der entsprechenden Krankheit zu bekommen.

1.7.5 Multifaktorielle Krankheiten und DNA-Chips

Unter dem Schlagwort Begleitbefunde finden sich auch die Überlegungen, ob multifaktoriell bedingte menschliche Eigenschaften wie beispielsweise Körpergröße, Kraft oder Intelligenz eines Tages über Gentest verfügbar zu machen und somit zu manipulieren sind. Mit Hilfe der PGD, die eine Selektion unter mehreren Embryonen zulässt, könnte man somit Situationen schaffen, die heutzutage unter den Begriffen wie „Menschenzucht“, „Designer-Babys“ oder „Brave New World“ gemutmaßt werden.

Zwar wird den Ausprägungen mentaler Eigenschaften wie Intelligenz oder Kreativität neben der soziokulturellen auch eine nicht unerhebliche genetische Basis zugesprochen. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass man in der Weise ein genetisches Korrelat entdeckt, wie wir heute in einem doch eher dynamischen Prozess beispielsweise die Intelligenz zu operationalisieren versuchen (IQ-Test etc.). Anders als bei der Körpergröße beispielsweise, weiß man bei den mentalen Eigenschaften in der Regel gar nicht, was man tatsächlich mit Genen faßbar machen möchte (Qualitäten, Quantitäten?). Denkbar allerdings wäre, dass man für reduziertere Formen dessen was man genetisch zu determinieren versucht, beispielsweise für die Plastizität des Gehirns als ein grundlegendes Element für Gedächtnisleistung oder auch Körpergröße und Augenfarbe, entsprechende Genmuster entdeckt. Ein Genmuster beschreibt in diesem Zusammenhang eine Kombination von mehreren in der Regel strukturellen Genanomalien, die in ihrer Gesamtheit einen bestimmten Phänotyp entwickeln. Bei der PGD könnten somit Gene, die mit einer bestimmten Krankheit, bzw. mit einem unerwünschten Phänotyp statistisch assoziiert sind, selektiert werden, weil es „bessere“ Embryonen gibt[71].

Die Möglichkeit zur gleichzeitigen Detektierung hunderter Gene an einer Zelle wird zumindest in ihrer gentechnischen Realisierbarkeit heute nicht mehr abgestritten, wenngleich die hieraus erwachsenen Zukunftsvisionen von „Designer-Babys“ in der entsprechenden wissenschaftlichen Fachpresse nicht gleichzeitig als zu akzeptieren gewertet, sondern als „ethische Herausforderung“ beschrieben werden[72].

Die neuen für diese Form der Einzelzelldiagnostik in Frage kommenden Verfahren machen den Großteil der gegenwärtigen Forschung im Bereich der PGD aus[73]. Ziel ist es, die zu analysierende DNA-Information derart zu vervielfältigen, dass zukünftig ein einziger vorliegender Chromosomensatz auf eine Vielzahl von Genanomalien hin untersucht werden kann. Dabei gibt es zwei denkbare Einsatzmöglichkeiten. Entweder wird ein bestimmtes Symptom durch eine Mehrzahl von Genanomalien gleichzeitig bestimmt (polygen) oder das entsprechende Symptom ist auf nur eine Genanomalie zurückzuführen, wobei es aber verschiedene Möglichkeiten für die jeweilige Mutation gibt. Die Diagnostik in Bezug auf die zweite Möglichkeit ist bereits Bestandteil der humangenetischen Untersuchung. Sie wird beispielsweise bei der Suche nach für die Mukoviszidose verantwortlichen Mutationen eingesetzt. Im Rahmen der PGD gab es auch eine Anwendung dieses Verfahrens, bei der eine Zelle auf die verschiedenen möglichen Gensequenzen des erblichen Dickdarmkarzinoms (FAP) hin untersucht wurde[74]. Die Methoden, welche die Vervielfältigung des gesamten Genoms einer Zelle bezwecken, fallen unter den Sammelbegriff des „whole genome amplification“ (WGA).

Diese neueren Entwicklungen der Einzelzell-Amplifizierung werden auch im Zusammenhang mit der Anwendung von DNA-Chips relevant. Hierbei handelt es sich i.d.R. um Siliziumchips, in deren Einzelfelder spezifische Gensequenzen aufgebracht sind. Durch Gabe von farbmarkierter Patienten- und Standard-DNA kann anhand genormter Farbmischungswerte auf eine Vielzahl bekannter Genanomalien getestet werden. Durch die vollautomatische Chip-Auswertung sind die Ergebnisse nach kurzer Zeit bekannt[75].

1.7.6 Geschlechtsgebundene Erbgänge

Wie einleitend beschrieben, impliziert die Möglichkeit der Geschlechtsbestimmung eine etwas andere Herangehensweise an die Selektion von Genanomalien auf dem X- oder Y-Chromosom. Besonders wenn ein genauer Genort oder die Gensequenz nicht bekannt, aber ein geschlechtsspezifischer Erbmodus anzunehmen sind, ergibt sich die Möglichkeit einer präimplantativen Geschlechtsbestimmung (Sexing). In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Genanomalien auf dem X-Chromosom. Sind diese Erbgänge rezessiv (s.o.) bedeutet das für die betroffenen männlichen Embryonen den entsprechenden Phänotyp. Bei einem weiblichen Embryo hingegen, der neben dem X-Chromosom mit der Genanomalie noch ein weiteres, in gewisser Weise kompensierendes X-Chromosom besitzt, entwickelt sich lediglich ein Trägerstatus ohne manifesten Phänotyp. Diese Methode stellt aufgrund der enormen Anzahl an den entsprechenden Gentests und der nunmehr 10jährigen Erfahrung einen Großteil der PGD-Anwendungen dar[76].

Die Indikation der präimplantativen Geschlechtsbestimmung zum sogenannten „family balancing“ wird in den mir bekannten wissenschaftlichen Artikeln weitgehend verpönt[77]. Es wird jedoch auch von einer Arbeitsgruppe berichtet, die PGD gegenwärtig im Rahmen einer solchen Indikation anwenden[78].

1.8 Wer wendet die PGD gegenwärtig an?

Ich werde an dieser Stelle einen kleinen Auszug aus dem ESHRE PGD Report von 1999 dokumentieren. Das ESHRE PGD Consortium wurde 1997 auf dem 13. ESHRE-Kongress in Edinburgh gegründet, mit der Aufgabe in einer systematisch angelegten Studie die Effizienz und klinische Anwendung von PGD im langjährigen Verlauf zu erfassen[79]. Der erste ESHRE PGD Report, auf den auch ich mich beziehe, umfasst eine Daten-Sammlung von Januar 1997 bis September 1998. Ich werde versuchen, anhand einiger Zahlen einen Einblick in die gegenwärtige Anwendung von PGD zu vermitteln[80].

Tabelle 1: Häufigste Indikationen für monogenetische Erbleiden

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Indikationen für chromosomale Erbleiden

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Sonstige Daten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese Zahlen sollten nur einen Einblick geben in die derzeitige Praxis der PGD-Anwendung. Neben den hier aufgeführten 8 monogenetischen Erbleiden, die am häufigsten untersucht wurden, wurde die PGD laut ESHRE PGD-Report noch bei 44 weiteren monogenetischen Erbleiden angewandt. Die hier aufgeführten Zahlen zeigen auch deutlich, dass solche Indikationen für eine PGD wie das erhöhte Trisomierisiko bei Frauen über 35 Jahren in den PGD praktizierenden Ländern einen relativ hohen Prozentsatz an den Gesamtuntersuchungen ausmachen. In Deutschland sollen diese Indikationen nach dem ersten Entwurf der BÄK für die PGD nicht gelten[81].

Die Daten zu den jeweiligen Paaren, die eine PGD anwenden, habe ich nach der Relevanz für diese Arbeit ausgesucht. Zum einen bestätigen die Zahlen das relativ hohe Alter der PGD anwendenden Frauen. In vielen wissenschaftlichen Beiträgen zu der Problematik der geringen Schwangerschafts-, bzw. „baby-take-home“-Rate wird darauf verwiesen, dass bei jüngeren Frauen von höheren Raten ausgegangen wird. Ob sich das Alter der entsprechenden Frauen in Zukunft verringern wird, ist sicherlich zu einem großen Teil davon abhängig, was die jeweiligen Gründe für eine PGD-Anwendung sein werden. Die hohe Rate an Komplikationen während der Schwangerschaft lässt sich zu einem bestimmten Anteil durch die stark erhöhte Anzahl von Mehrlingsschwangerschaften erklären[82].

Teil 2

Rechtliche Aspekte der Präimplantationsdiagnostik

Die rechtliche Debatte zur PGD verweist auf mögliche Widersprüchlichkeiten zwischen der Praxis des Schwangerschaftsabbruchs und einem generellen Verbot der PGD. Dass einige Widersprüche nur scheinbar bestehen und durch die speziellen Aspekte und Überlegungen zur PGD akzeptiert oder widerlegt werden können, soll damit nicht von vornherein bestritten werden. Zur Übersicht kann man m.E. die rechtlichen Problematiken im Zusammenhang mit der PGD unter zwei grundlegenden Fragestellungen zusammenfassen.

1. Ist die PGD mit dem ESchG zu vereinbaren?
2. Besteht ein Widerspruch zwischen dem rechtlichen Schutz für Embryonen im ESchG auf der einen und den Paragraphen des Strafgesetzbuches zum Schwangerschaftsabbruch auf der anderen Seite?

Nach dem ESchG wäre es beispielsweise strafbar, wenn es jemand unternimmt,

„eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt“(§ 1, Abs. 2 ESchG).

Ebenso ist es nach dem ESchG strafbar, wenn eine Person

„zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, daß sich ein menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt“ (§ 2, Abs. 2 ESchG).

In diesem Sinne argumentiert Riedel aus der Sicht des Bundesgesundheitsministeriums, wenn sie erklärt, dass die PGD im Widerspruch zum ESchG steht[83]. Der Zweck der extrakorporalen Befruchtung ist nach Riedel bei der PGD nicht primär das Herbeiführen einer Schwangerschaft.

[...]


[1] PGD ist das wissenschaftlich anerkannte Kürzel für die Präimplantationsdiagnostik (preimplantation genetic diagnosis). Das für die deutsche Sprache naheliegende Kürzel PID ist bereits im Gebrauch für die „pelvic inflammentory disease“.

[2] Ich möchte bereits an dieser Stelle das medizintechnische Verfahren der IVF und anschließend das der PND kurz erläutern. Neben der PGD als zentrales Element dieser Arbeit, sind auch diese beiden medizintechnischen Verfahren von großer Bedeutung für den hier behandelten Kontext. Bei der IVF werden den Ovarien reife Eizellen entnommen, welche anschließend in einem Reagenzglas (in-vitro) mit Samenzellen befruchtet werden sollen. Die befruchteten Eizellen werden für i.d.R. 2 Tage (vor einer PGD sind es 3 Tage) in einer speziellen Kultur gehalten und anschließend in den Uterus oder Eileiter transferiert (Embryotransfer).

[3] Unter dem Sammelbegriff der Pränataldiagnostik (PND) versteht man sämtliche Untersuchungen des ungeborenen Kindes. Dazu gehören potentiell neben den genetischen noch eine Fülle von weiteren Untersuchungen, wie die der Herzleistung, der Lungenreife oder des Blutes. Die mich in dieser Arbeit primär interessierenden Möglichkeiten einer PND sind die Verfahren zur Gendiagnostik. Man unterscheidet hierbei zwei Verfahren. Bei der Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) werden fetale Zellen zur Gendiagnostik aus dem Fruchtwasser entnommen. Diese Technik wird etwa in der 15.-17. Schwangerschaftswoche vorgenommen. Eine andere Möglichkeit besteht in der Entnahme von fetalen Zellen aus der Embryonalhülle (Chorionzottenbiopsie). Vorteil dieser Technik ist, dass sie bereits ab der 9. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden kann. Der Nachteil besteht wiederum in einer leicht höheren Risikorate (ca. 1%) als bei der Amniozentese (vgl. Moore 96 S 122f). Der Einfachheit halber werde ich mich im Rahmen dieser Arbeit mit der Abkürzung PND jeweils nur auf diese beiden genannten Techniken zur Gendiagnostik beziehen

[4] Vgl. Kollek 00 S 22

[5] Vgl. Oehmichen 99 S 16f

[6] Ebd. S 21

[7] Zur Unterscheidung von Embryo und Fetus in der medizinischen Terminologie des Menschen: Die ersten 2 Monate nach Befruchtung der Eizelle werden als Embryonalentwicklung bezeichnet. In diesem Zeitraum entstehen sämtliche Organanlagen. Im folgenden Zeitraum bis zur Geburt werden sich die meisten Organsysteme ausdifferenzieren. Diese mit dem 3. Schwangerschaftsmonat beginnende Phase wird in der Embryologie als Fetalperiode bezeichnet (Moore 96 S 1). In der Gynäkologie wird die Fetalperiode allerdings erst mit Beginn des 4. Monats angesetzt, was teilweise zu Missverständnissen führt. Der im Rahmen der PGD untersuchte Embryo ist in der Regel 3 Tage alt und besteht aus durchschnittlich 6-10 Zellen.

[8] „Eugenik von unten“ bezieht sich auf die Möglichkeit eines starken psychosozialen Zwangs auf die reproduktiven Entscheidungen einzelner Individuen. Dieses Eugenik-Konzept unterscheidet sich somit von dem einer klassischen Eugenik. Im Konzept einer klassischen Eugenik wird dem Staat die Aufgabe zugeteilt, in die Reproduktion einzelner Individuen einzugreifen – mit dem Ziel, den Genpool einer Population zu „verbessern“. Diese Thematik wird im Abschnitt 4.6 Das Eugenik-Argument ausführlicher behandelt.

[9] Vgl. Weß 98

[10] Einen ausführlicheren Überblick über mögliche Anwendungsgebiete der PGD nach manipulativen Eingriffen in die Zelle oder in das Genom gibt Kollek 97. Fiddler et al. wiederum diskutieren in einem Artikel die mögliche Verantwortung von gegenwärtigen Anwendern der PGD für den zukünftigen Umgang mit den Verfahren der Klonierung. Siehe hierzu Fiddler 99.

[11] Kollek 97. Dieses Gutachten ist auch in einer überarbeiteten Version als Buch erschienen (Kollek 00).

[12] Caesar 99

[13] BÄK 00.

[14] siehe auch Teil 3 dieser Arbeit, in dem auf einzelne für die Diskussion zentrale Beiträge hingewiesen wird.

[15] Als aktuellen Beitrag zur Gentherapie siehe z.B. die Dokumentation des Symposiums „Engineering the Human germline“ von 1998 in Stock, Campbell 00.

[16] Mögliche Mutationen können das Genom betreffen, wenn sich beispielsweise die Anzahl der Chromosomen verändert (numerische Chromosomenaberrationen, z.B.: Trisomie 21), oder die Konfiguration der Chromosomen betreffen (strukturelle Chromosomenaberration), wenn beispielsweise ein einzelnes Nucleotid ausfällt (Deletion), vertauscht wird (Translokation) oder sich in ein anderes Nucleotid umwandelt (Mutation).

[17] Man unterscheidet hierbei homologe und heterologe Insemination. Die homologe Insemination, bei der Spenderspermien verwandt werden, ist in Deutschland nicht erlaubt.

[18] Zunächst wurde die ICSI bei Infertilität des Mannes angewandt, da man mit Hilfe dieses Verfahrens jeweils eine einzelne Samenzelle in die Eizelle injizieren konnte. Im Rahmen der PGD gewinnt die ICSI aber eine neue Bedeutung. Es hat sich herausgestellt, dass sich die Güte der Genanalyse durch das Verfahren der ICSI steigern lässt. Bei der IVF besteht die Möglichkeit, während der Embryobiopsie ungewollt zusätzliche, an der Hülle der Eizelle klebende, DNA zu gewinnen. Dieser Faktor für falsche Ergebnisse fällt bei der ICSI weg.

[19] Vgl. Diedrich 98.

[20] Zur Zeit sind es primär die PCR (Polymerase-Kettenreaktion) und die FISH (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung), die im Rahmen der PGD ihre Anwendung finden. Das Verfahren der PCR ermöglicht es, eine beliebige Gensequenz enzymatisch zu vervielfältigen, um diese anschließend in einem weiteren Verfahren (Elektrophorese) sichtbar machen zu können. Mithilfe der FISH werden (fluoreszierende) Gensonden an spezifische Gensequenzen einer auf dem Objekträger fixierten DNA angelagert. Somit kann geklärt werden, ob die gesuchte Gensequenz bei der untersuchten DNA vorhanden ist oder nicht. Das der PGD eigene Problem ist die geringe Masse an DNA-Material, die durch Biopsie einer einzelnen Zelle gewonnen werden kann. 1989 wurde am Londoner Hammersmith Hospital erstmals die PCR innerhalb der PGD mit Erfolg durchgeführt (Handyside et al. 1990) und 3 Jahre später die erste Geburt eines gesunden Mädchens publiziert (Handyside et al. 1992). Indikation war in diesem Fall die klassische Mukoviszidosemutation deltaF508. Während die PCR überwiegend zur Diagnostik von strukturellen Chromosomenaberrationen angewandt wird, gilt die FISH als Mittel der Wahl zur präimplantativen Geschlechtsdiagnostik (Sexing), sowie zur Diagnostik von numerischen Chromosomenaberrationen. Vgl. Diedrich 98.

[21] Mögliche Fehlerquellen wie das Problem des Crossing over, des allelic-drop-out (ADO) oder der Mosaikbildung werden im unteren Teil dieses und des folgenden Kapitels erläutert.

[22] Mit haploid bezeichnet man einen Chromosomensatz, in dem jedes der 23 menschlichen Chromosom nur einmal vorhanden ist.

[23] Zur Erklärung der einzelnen Erbgänge siehe Abschnitt 1.7.

[24] Vgl. Diedrich 98

[25] vgl. Verlinsky et al. 1990

[26] Vgl. Kollek 97 S 7ff

[27] Diedrich 98 S 702

[28] Ebd. S 703

[29] ESHRE PGD 99 S 3141

[30] Diedrich 98 S 711f

[31] Siehe auch Abschnitt 1.8 Wer wendet die PGD gegenwärtig an? (ESHRE PGD 99).

[32] Prenatal diagnosis, Jg. 1999, H. 19

[33] ESHRE PGD 99 S 3146. Die im ESHRE PGD Report dokumentierte Schwangerschaftsrate bei 403 PGD-Zyklen beträgt 17,6%. Der hier angegebene Bereich von 15-25% ergibt sich aus der Berücksichtigung weiterer Studien, die im ESHRE-Report wie auch in anderen Überblicksartikeln zur PGD aufgeführt wurden.

[34] Handyside 98 S 254

[35] Handyside 98 S 254 gehen von 2-3 Versuchen aus, die eine jüngere Frau im Durchschnitt absolvieren müsste, um eine erfolgreiche Schwangerschaft zu erreichen.

[36] ESHRE PGD 99 S 3146

[37] Siehe Vergeer 98 S 5-13.

[38] Siehe Studien von Pergament 91, Miedzybrodzka 93 und Palomba 94.

[39] Snowdon, Greene 97 S 341-350.

[40] Vgl. Diedrich 98 S 697

[41] Beier 99 S 32

[42] Ebd. 99 S 33

[43] Zu den einzelnen Kritikpunkten vgl. Kollek 97 S 25ff.

[44] Ethik-Kommission Medizinische Universität zu Lübeck (1996), in Kollek 97 S 29.

[45] K. V. Hinrichsen, in Oehmichen 99 S 20

[46] Vgl. die Übersichtsarbeit Harper 99 S 1193-1199.

[47] Vgl. Kollek 00 S 55

[48] In Deutschland wird diese Begrenzung durch das ESchG § 1, Abs. 3-5 vollzogen. Für Patientinnen unter 35 Jahren wird in den von der BÄK herausgegebenen „Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion“ empfohlen, weniger als drei Embryonen zu implantieren. Hierbei bezieht sich die BÄK allerdings auch auf die weltweiten Erhebungen zu Mehrlingsschwangerschafen bei IVF und nicht allein auf die Situation in Deutschland. Vgl. BÄK 98 S A-3168.

[49] Gagel 98 S 34

[50] BÄK 98 S A-3168

[51] BÄK 98 S A-3168

[52] Vgl. Kollek 00 S 56f

[53] Ebd. S 57

[54] Caesar 99 S 66

[55] Kollek 00 S 62

[56] Vgl. Ebd. S 57-64.

[57] Vgl. Reljic 99 in Ebd. 00.

[58] Vgl. Braga 96.

[59] Vgl. hierzu Kollek 00, speziell das Kapitel „Weibliche Autonomie im Kontext von Fortpflanzungsmedizin“ S 117-170.

[60] Vgl. Ebd. S 180

[61] Nach Aussagen von K. Diedrich auf der Anhörung des Bundesministeriums für Gesundheit zum Thema „Reproduktionsmedizin“ 1997. Anzumerken wäre noch, dass die Kosten für eine Gendiagnostik im Rahmen der PGD abhängig sind von der jeweiligen Indikation. Untersuchungen auf strukturelle Chromosomenaberrationen sind i.d.R. teurer als numerische und die Anfertigung spezifischer DNA-Sonden würde die Kosten noch weiter erhöhen.

[62] Eine englische Studie errechnete Gesamtkosten „per live birth“ von 22 143 Pfund (Lavery 99 S 1207). Interessant an dieser Studie ist der direkte Vergleich solcher Kostenabschätzungen mit den sogenannten “lifetime costs of care” einer bestimmten Krankheit. Generell wurde im angloamerikanischen Raum eine Reihe von Studien zur Kosteneffektivität eines pränatalen Screenings durchgeführt. So werden in der genannten Studie die nicht unerheblichen Kosten für die PGD von 22 143 Pfund in direkten Vergleich gebracht mit den geschätzten „lifetime costs of care“ für Mukoviszidose von 625 000 Pfund. Zu dieser gesundheitsökonomischen Thematik vgl. auch Vintzileos 98 und Cuckle 95.

[63] Siehe Kollek 00 S 180

[64] Bei 3 unterschiedlichen Trisomien (Chromosom 13, 18 oder 21) ist eine Geburt, bzw. ein Überleben des Feten möglich. Monosomien sind außer bei dem Ulrich-Turner-Syndrom, bei dem nur ein Geschlechtschromosom vorhanden ist (Karyotyp: 45, X0), nicht mit dem Leben vereinbar. Vgl. Lehrbücher zur Humangenetik z.B. Buselmaier 99.

[65] Nach Schätzung von K. Held in Kollek 97. Den Hauptteil machen die Altersindikationen in Bezug auf die Trisomie 21 aus.

[66] Schätzung des Humangenetikers W. Engel, nach Aussagen von K. Dietrich bei einer Anhörung des Bundesministeriums für Gesundheit zur künstlichen Befruchtung beim Menschen am 20. Oktober 1997 (in Kollek 97).

[67] Snowdon, Greene 97 S 341-350.

[68] Pschyrembel 94 S 260

[69] Schulman 96 S 463-464.

[70] Zur Entwicklung der Trisomie aus einer balancierten Translokation siehe Lehrbücher der Humangenetik.

[71] Vgl. auch Testart 95.

[72] U.a. Harper 99 S 1198.

[73] Vgl. Wells 98 S 1389-1401.

[74] Ao 98 S 140-144.

[75] Vgl. Henn 98 S 132.

[76] Der ESHRE PGD Report spricht von über 300 Methoden und weist einen Anteil des Sexing von über 25% an der Gesamtzahl der dokumentierten Fälle auf. Dies führte dazu, dass zu über 60% Mädchen geboren wurden (ESHRE PGD 99 S 3143 u. 3147).

[77] Harper 99 S 1198.

[78] Ebd.

[79] ESHRE steht für European Society of Human Reproduction and Embryology.

[80] ESHRE PGD 99 S 3138-3148. In den letzten Jahren zuvor wurde von verschiedenen Seiten die Schwierigkeit der Daten-Beschaffung zur PGD moniert. Seit 1996 gäbe es kein Register, anhand dessen man den klinischen Verlauf der PGD beurteilen könnte. Diese Kritik findet sich bei Vergeer, 98 und Schroeder-Kurth, die darauf hinweisen, dass Datenmaterial lediglich bei folgenden internationalen Veranstaltungen zu bekommen war: International working group on pre-implantation genetics. Report at the 9th International Congress of Human Genetics, Rio de Janeiro 1996 und Second international symposium on preimplantation genetics, Chicago 1997. Zumindest für die Zukunft scheint seit Bildung des ESHRE PGD Consortiums eine kontrollierte Dokumentation der klinischen Ergebnisse bei PGD möglich zu sein.

[81] Siehe BÄK 00

[82] Vgl. Abschnitt 1.5 Gesundheitliche Belastungen.

[83] Ulrike Riedel ist die Leiterin der Abteilung Gesundheitsfürsorge und Krankheitsbekämpfung im Bundesministerium für Gesundheit in Bonn.

Ende der Leseprobe aus 159 Seiten

Details

Titel
Analyse und Kritik der medizin-ethischen Diskussion zur Präimplantationsdiagnostik
Untertitel
Eine Übersichtsarbeit zum Diskussionsstand bis 2003
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Note
summa cum laude
Autor
Jahr
2003
Seiten
159
Katalognummer
V162410
ISBN (eBook)
9783640767380
ISBN (Buch)
9783640767427
Dateigröße
1074 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kritik, Diskussion, Präimplantationsdiagnostik, Eine, Diskussionsstand, Ethik
Arbeit zitieren
Daniel Strech (Autor:in), 2003, Analyse und Kritik der medizin-ethischen Diskussion zur Präimplantationsdiagnostik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162410

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