Westerbeverstedter Kessel - Ein eiszeitliches Zeugnis in Lunestedt

Zur Geologie im Landkreis Cuxhaven


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2010

11 Seiten, Note: "-"


Leseprobe


Westerbeverstedter Kessel – Ein eiszeitliches Zeugnis in Lunestedt

Eine geologische Besonderheit Lunestedts ist der „Westerbeverstedter Kessel“. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts beschrieb der Geograph Ferdinand Dewers erstmals diese kleine Hohlform in der heutigen Gemeinde Lunestedt und seither beschäftigten sich Geographen und Geologen immer wieder mit der Frage, ob die Entstehung des Kessels der letzten oder der vorletzten Eiszeit zuzuschreiben ist. Ihre Beantwortung gäbe Aufschluss über das Alter dieses Relikts aus der Vorzeit, das möglicherweise 100.000 Jahre überschreitet.

Umfeld und Lage

Der „Westerbeverstedter Kessel“ befindet sich auf der flachwelligen Geest im Lunestedter Ortsteil Westerbeverstedt ( Foto 1) und gehört zu dem Grundstück der Landwirtsfamilie Bock im Kreuzungsbereich der Straßen „Dorfstraße“, „Am Geeren“ und „Breslauer Straße“. In alten Verzeichnissen von Flurnamen heißt das Gebiet „Ole Soll“ und ist mit alte Kuhle oder Wasserloch zu übersetzen. Wasser sammelt sich jedoch nur in regenreichen Zeiten ( Karte 1 ). Die heute noch gut sichtbare Hohlform verfügt über einen Durchmesser von 150 – 200 m und ist ca. 3,80 m tief. Die Preußische Landesaufnahme von 1898 verzeichnete noch eine Tiefe von 4,60 m.

Das Höhenniveau, siehe auch Geländeschnitt 2 , des von Ost nach West abfallenden Geestrückens schwankt zwischen 12,7 m im Bardel, einem Mischwald von ca. 50 ha Größe, und 6,8 m im Reithorn, einem dem Moor vorgelagerten Endmoränenausläufer. Die Moor- und Wiesen­flächen zum nördlich verlaufenden Dohrener Bach erreichen eine Höhe von 2 m, das Ober­flächenniveau der südlich verlaufenden Lune fällt von 1 m auf 0,6 m.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der „Westerbeverstedter Kessel“ ergänzt das von einer reizvollen Abfolge sehr unterschied-licher Geländeformen geprägte Lunestedter Landschaftsbild. Das 1968 aus den beiden ehemaligen Dörfern Freschluneberg und Westerbeverstedt gebildete Gemeindegebiet umfasst insgesamt ca. 17,3 km². Die Wasserläufe der Lune und des Dohreners Bachs umschließen eine Wald- und Heidelandschaft mit Moor- und Geestflächen und sind der Beverstedter Geest zuzuordnen. Nördlich davon schließen sich die Geestflächen Bederkesas und südlich die der Samtgemeinde Hagen an ( Karte 2 , Geländeschnitt 2 ).

Die Eiszeit und ihre Folgen

Ursächlich für die Ausformung des Landschaftsbildes ist die Eiszeit. Vor 2,6 Millionen Jahren begann dieser Pleistozän genannte Zeitraum, in dem sich die Temperaturen auf der Erde mehrmals änderten. Es gab Kaltzeiten (Eiszeiten) und Warmzeiten. In Kaltzeiten lagen die mittleren Temperaturen bis zu 10° C niedriger als heute. Die Niederschläge fielen in Nordeuropa vorwiegend als Schnee, der nicht mehr abtaute. Die Schneedecke wuchs allmählich zu einer dicken Eisschicht an. In Nordeuropa erreichten die so entstandenen Gletscher eine Stärke von bis zu 4 km Höhe. Sie schoben sich langsam in Richtung Süden vor und bedeckten weite Teile Norddeutschlands. Zwischen 800.000 und 10.000 v. d. Z. sind mehrere solcher Eisvorstöße bekannt. Auf ihrem Weg nach Süden „hobelten“ die Gletscher über die Landschaft. Dabei wurde tonnenweise Gestein aus dem Untergrund herausgebrochen, im Eis eingefroren, zerstoßen und zerrieben. Sand, Ton und unterschiedlich großes Gestein wurde so auf, im und unter dem Eis mitgeschleppt. In den Auftauphasen der warmen Zeitabschnitte blieb das mitgeführte Material liegen.

Üblicherweise werden in Norddeutschland bis zu drei Eiszeiten (Glaziale), die nach den Flüssen Elster, Saale und Weichsel benannt werden, mit unterschiedlichen Stadien, Phasen und Staffeln und zwei da­zwischen liegenden Warmzeiten (Interglaziale) unterschieden. Das im lokalen Zusammenhang wichtige Drenthe-Stadium ist dem Saaleglazial des Mittel-pleistozäns zuzuordnen. Gletscher der letzten großen Kaltzeit, der Weichseleiszeit, erreichten das Elbe-Weser-Dreieck nicht mehr. Das Erscheinungsbild der gesamten norddeutschen Tieflandzone wurde von diesen Kaltzeiten ge­formt. Im Elbe-Weser-Dreieck und in der unmittelbaren Nachbarschaft Lunestedts finden sich hierfür zahlreiche Beispiele (siehe: Tabelle des Quartärs in Norddeutschland und ausgewählte regionale Fundorte im Elbe-Weser-Dreieck ).

Die Gletscher hinterließen Grundmoränen, Endmoränen, Sander und Urstromtäler (glaziale Serie). Grundmoränen bestehen aus sandigem, fein zerriebenem lehmigen Material, das die Gletscher am Untergrund mitgeführt haben. Beim Abtauen des Eises blieb es unsortiert liegen. Endmoränen sind Hügel, die das vorrückende Eis wallartig aufgeschoben oder aufgeschüttet hat. Sie markieren die ehemalige Eisgrenze. Bezogen auf Lunestedt ist der Reithorn als Beispiel zu nennen. Die Sander bestehen überwiegend aus Sand und Kies, der durch Schmelzwasser vor dem Eisrand abgelagert wurde. Ein derartiges Sandvorkommen wird noch heute in der am westlichen Ortsrand gelegenen Sandentnahmestelle ausgebeutet. Das Schmelzwasser sammelte sich an­schließend in flachen, viele Kilometer breiten Tälern, den Urstromtälern. Die Lune und der Dohrener Bach gehören zum Gebiet des Weser-Urstromtals.

Der Ursprung des im Elbe-Weser-Dreieck vorzufindenden Materials ist unterschiedlich. Die Gesteine der Vorstöße der ältesten Eiszeit entstammen größtenteils dem Gebiet des Oslo Fjords, spätere Ablagerungen können überwiegend Mittelschweden und der Region der Åland-Inseln zugeordnet werden.

Steine und Gesteinsbrocken erreichen oft eine Größe von mehr als einem Kubikmeter. Findlinge wie der 2,5 m lange und 1,75 m breite Opferstein in Hollen, der Findling im Hohensteinforst bei Midlum, der Graue Hengst bei Lehnstedt, der Große Stein am Hohen Berg bei Köhlen und viele andere Blöcke, die später als Steingräber, Denkmäler und für Bauzwecke Verwendung fanden, belegen dies. Victor von Scheffel hat ihnen 1868 sogar ein eigenes Gedicht „Der erratische Block“, gewidmet. Oft haben diese Findlinge zu Legenden und Mythen inspiriert. Ein regionales Beispiel ist die Sage um den nahe dem Bülter See gelegenen Drachenstein.

Zum Westerbeverstedter Kessel

Nach der Geologischen Über­sichtskarte 3118, Hamburg-West, befindet sich die Wester-beverstedter Talform in dem ganz Lunestedt betreffenden Grenzbereich zwischen anstehendem Geschiebelehm, Geschiebemergel, Schluff und feinsandig bis kiesigen Sanden. Dies wird durch mehrere vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) verzeichnete Bohrungen bestätigt. In Lunestedt wurde eine Tiefe von 239 m nachgewiesen. Die tiefste Bohrung der Region erreichte 1957 bei Wellen 1543,30 m. Hier werden die pleistozänen, also eiszeitlichen Schichten durchstoßen und gelangen nach umfangreichen Sand- und Kiesschichten zu Tonsteinen des Rhät, der jüngsten erdgeschichtlichen Epoche des über 200 Millionen Jahre alten Trias.

Direkt zum Westerbeverstedter Kessel liegen die Ergebnisse zweier spezieller Boden-untersuchungen vor (Lade, Seite 58f.). Eine 12 m tiefe Bohrung erfolgte im Zentrum, eine weitere reichte bis auf halbe Höhe. Die erste Messung traf unter 1,60 m an­stehenden Torf auf einen braunen, sandigen, schwach humosen Schluff, der bis 1,90 m reichte. Dann folgte bis 4 m unter teilweisem Kernverlust Mittel- bis Grobsand mit einer Lage gelben Tones. Die restlichen 8 m wurden insgesamt als Kernverlust verzeichnet. Die zweite Bohrung traf unter 1,30 m auf schwach kiesigen und mittelsandigen Grobsand, es folgen 0,35 m Feinsand und anschließend bis 4 m feinsandiger und grobsandiger Mittelsand. Die unteren zwei Meter wurden wieder als Kernverlust notiert. Die Tiefenangabe des Zentrums differiert um 70 cm zu den Angaben des LBEG ( Geländeschnitt 1 ).

Nach den vorliegenden gesicherten Angaben gehört der gesamte Untergrund Lunestedts zu den im Rahmen des Drenthe-Stadiums vorstoßenden saaleeiszeitlichen Gletschern der Lamstedter Staffel. Die Datierung der eigentlichen Kesselbildung ist jedoch umstritten und wird entweder saale- oder weichseleiszeitlich angenommen.

Saaleeiszeit

Die ältere Saaleeiszeit hinterließ eine ausgeprägte Grundmoränenoberfläche, die aus einer Unmenge kleiner und größerer zum Teil steilgeböschter Hügel mit zahlreichen abflusslosen Wannen bestand. Zum Tier- und Pflanzenvorkommen liegen bislang nur wenige gesicherte Funde vor. Aus saalekaltzeitlichen Flussschottern lassen sich jedoch Rückschlüsse auf die Tierwelt ziehen. Für zwischenliegende Warmzeiten mit entsprechendem Eisrückzug sind Altmammut, Wollnashorn, Wild­pferd, Elch, Auerochse, Wildschwein, Höhlenbär, Luchs, Ren und Rothirsch belegt. Pferdeknochen weisen auf eine mittelgroße Form des Wildpferdes hin, die anscheinend erst im Mittelpleistozän aus den asiatischen Steppen nach Mitteleuropa eingewandert ist. Die Mammutnahrung bestand vermutlich aus harten Gräsern, Moosen und Blättern bzw. ganzen Zweigen. Die Pflanzenreste ähneln der heutigen Arktisvegetation. Verlässliche Nachweise menschlicher Besiedlung aus diesem Zeitabschnitt finden sich im Elbe-Weser-Dreick nicht.

Die sich anschließende Eem-Warmzeit wird als „Klimaparadies“ bezeichnet und führte in Nord- und Mitteleuropa zu einem geschlossenen Waldgebiet mit unterschiedlichen Epochen: Birken-Nadelwald-Zeit, Eichen-Mischwald-Zeit, Hainbuchen-Zeit und Fichten-Kiefern-Zeit. Das Flussnetz ähnelte in den später nicht mehr vereisten Gebieten bereits dem heutigen. Die Elbe floss wohl bereits durch das heutige Tal und mündete in eine breite Meeresbucht, die knapp bis Stade reichte.

Zumindest seit wärmeren, eisfreien Abschnitten könnten Altsteinmenschen im Gebiet des Landkreises Cuxhaven gelebt haben. Im Südosten der Stader Geest gibt es Funde vom Neandertalersiedlungen. In Midlum konnten Feuer­steingeräte weichseleiszeitlich gedeutet werden. Ihnen wird ein Alter von etwa 100.000 Jahren zugeschrieben.

Weichseleiszeit

Bei dem letzten Eisvorstoß der Weichselkaltzeit wird die Elbe nicht mehr überschritten. Die ständig gefrorenen Böden der Stader Geest, das gesamte Elbe-Weser-Dreieck wurden als Vorland des Inlandeises den Wirkungen dieses Klimas ausgesetzt. Zunächst muss nach dem Rückzug des saaleiszeitlichen Drenthegletschers von einem recht starken Bodenabtrag ausgegangen werden. In die so vorgezeichneten Rinnen und Hohlformen setzten die Schmelzwässer ihre Ablagerungen und füllten sie zum Teil auf. Die Entwässerung erfolgte ab diesem Zeitraum durch das heutige Wesertal zur Nordsee. Drepte, Geeste und Lune fließen seither zur Weser.

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Westerbeverstedter Kessel - Ein eiszeitliches Zeugnis in Lunestedt
Untertitel
Zur Geologie im Landkreis Cuxhaven
Note
"-"
Autor
Jahr
2010
Seiten
11
Katalognummer
V168597
ISBN (eBook)
9783640861194
ISBN (Buch)
9783640860555
Dateigröße
1093 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit zeigt Genese und Forschungsstand einer saaleiszeitlichen Hohlform in Lunestedt / Samtgemeinde Beverstedt. Eigene Untersuchungen des Verfassers ergänzen dieses Beispiel einer geologischen Besonderheit im dem Landkreis Cuxhaven / Niedersachsen. Die Ausarbeitung erfolgte im Rahmen der 1150 Jahrfeier Lunestedts im Jahre 2010 und war Teil der von der Gemeinde Lunestedt herausgegebene Schrift: A. Plesse und AK Chronik: Ein Dorf mit Zukunft - Freschluneberg und Westerbeverstedt, Lunestedt 2009.
Schlagworte
Geologie, Eiszeit, Saaleeiszeit, Lunestedt, Beverstedt, Cuxhaven, Elbe-Weser-Dreieck, Westerbeverstedt, Niedersachsen, Weichseleiszeit, Toteiskessel, Bodeneisbildung, Lune, Pingo, kryogene Kave
Arbeit zitieren
Walter Mülich (Autor:in), 2010, Westerbeverstedter Kessel - Ein eiszeitliches Zeugnis in Lunestedt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168597

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