Medien im europäischen Trilemma von Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit


Magisterarbeit, 2011

119 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Öffentlichkeit und ihre demokratietheoretische Einordnung
2.1 Begriff undBedeutung Von öffentlichkeit
2.2 Öffentlichkeit in modernenGesellschaften
2.2.1 Binnenstruktur Von öffentlichkeit
2.2.1.1 Akteure in der Öffentlichkeit und ihre Rollen
2.2.1.2 Öffentlichkeitsebenen
2.2.1.3 Arenatheoretische implikationen
2.2.1.4 Chancen, Grenzen und Risiken durch das internet
2.2.2 Definition von Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften
2.3 Normativ bewertete Funktionen von Öffentlichkeit
2.3.1 Das liberal-repräsentativeModell
2.3.2 Das deliberativeModell

3 Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit der EU
3.1 Herausforderungen undZieledereuropäischenlntegration
3.2 Legitimität politischer Systemejenseitsder Staatlichkeit
3.3 Das Trilemmaundseinemögliche Auflösung

4 Europäische Öffentlichkeit
4.1 Grundlegende Aspekte
4.1.1 HistorischeEntwicklungslinien
4.1.2 Modellvorstellungen europäischer Öffentlichkeit
4.1.3 Konstitutionsbedingungen
4.2 Existenz,Formund Ausmaß
4.2.1 EuropäischeMedienöffentlichkeit
4.2.1.1 EuropäischeMedien
4.2.1.2 Europäisierung nationaler Medien
4.2.1.2.1 Themen-undereigniszentrierte Teilöffentlichkeiten
4.2.1.3 EuropäischeÖffentlichkeitdurchdaslnternet
4.2.2 Europäische Themen-und Versammlungsöffentlichkeit
4.2.2.1 KommunikationmitEuropa
4.2.2.2 Kommunikation über Europa

5 Schlussbetrachtung

LITERATURVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Seit rund 25 Jahren sieht sich die EU mit dem Vorwurf mangelnder Legitimität konfrontiert. in der wissenschaftlichen Debatte umfasst diese Kritik meist drei Aspekte: Unterstellt wird zunächst ein Demokratiedefizit (vgl. Lepsius 1999, 204f.). Demnach sind die Bürger der EU zwar die Adressaten der politischen Entscheidungen, doch haben sie die politische Elite nicht oder nur partiell gewählt. Des weiteren attestieren die Kritiker ein Identitätsdefizit (vgl. Grimm 1995, 45f.; Lübbe 1994, 100). Entsprechend kann von einem - wie auch immer begründeten und ausgestalteten - belastbaren Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Bürgern der EU keine Rede sein. Und letztlich diagnostizieren die Kritiker noch ein Öffentlichkeitsdefizit (vgl. Gerhards 2000, 288; Grimm 1995, 41). Während die Macht- und Kompetenzfülle der EU demnach zunimmt, hinkt die Entwicklung europäischer Öffentlichkeit hinterher. Hierbei beschränken sich die Analysen häufig auf die diagnostizierte Nichtexistenz europäischer Medien und den erachteten Mangel an Berichterstattung über europäische Themen. Das Legitimationsproblem mit seinen drei skizzierten Aspekten lässt sich weiter als Trilemma beschreiben (vgl. Tobler 2010, 65ff): Demnach kann das Demokratiedefizit nicht einfach mittels einer umfassenderen Institutionalisierung demokratischer Mehrheitsentscheide aufgehoben werden, weil dann aufgrund des Identitätsdefizits die Gefahr besteht, dass Minderheiten marginalisiert und politische Entscheidungen entsprechend nicht akzeptieren werden (vgl. Grimm 1995, 46f.). Das Identitätsdefizit wiederum lässt sich nicht aufheben, weil ein belastbares Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Bürgern Europas nur mittels europäischer Diskurse geschaffen werden kann, die jedoch aufgrund des Öffentlichkeitsdefizits nicht geführt werden können (vgl. Utzinger 2005 244). Dieses aber - und hier schließt sich das Trilemma - könnte letztlich nur aufgehoben werden, wenn die politische Elite aufgrund der institutionellen Architektur gezwungen wäre, um die Gunst der Bürger der EU zu werben und aktiv die Öffentlichkeit zu suchen, was aber aufgrund des Demokratiedefizits nur äußerst bedingt der Fall ist (vgl. Gerhards 2002, 154).

Wie also kann das europäische Trilemma aus Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit, das letztlich in den Vorwurf mangelnder Legitimität mündet, aufgelöst werden? Bei näherer Betrachtung erscheint der Aspekt der Öffentlichkeit als ein entsprechender Ansatzpunkt: So müssen sich die Kritiker den Vorwurf gefallen lassen, bei ihrer Diagnose eines europäischen Öffentlichkeitsdefizits mit einer

Konzeption von Öffentlichkeit zu arbeiten, die nicht nur äußerst eng gefasst ist und somit Akteure und Ebenen gänzlich unberücksichtigt lässt1, sondern in vielen Fällen auch innerhalb ihres engen Rahmens verschiedene Aspekte - etwa das Angebot des Internets - weitgehend ausspart.2

Das skizzierte Argument, wonach eine Überwindung des Demokratiedefizits zur Entwicklung europäischer Öffentlichkeit beitragen könnte, weil die politische Elite erst dann um die Gunst der Bürger der EU werben müsste, mag stimmen. Doch weil die Kritiker, die der EU ein Öffentlichkeitsdefizit nachsagen, wie angesprochen von einer engen Konzeption ausgehen und in ihren Studien bestimmte Aspekte europäischer Öffentlichkeit ausklammern, lohnt eine genauere Untersuchung dieses Aspekts des an die EU gerichteten Vorwurfs mangelnder Legitimität.

Dafür soll im ersten Teil dieser Arbeit der Versuch unternommen werden, Öffentlichkeit, diesen „Begriff von bemerkenswerter Schwammigkeit" (Negt/Kluge 1972, 17), aufbauend auf den aktuellen Forschungsstand genauer zu fassen. Denn gerade hier, bei der Frage nach einer politikwissenschaftlichen Theorie von Öffentlichkeit, verweist Ulrich Sarcinelli auf eine „Unsicherheit über den Gegenstandsbereich" (Sarcinelli 2004, 404), was am Beispiel Europas letztlich wohl auch zu den „diametralen Positionen" (Neidhardt 2006, 47) hinsichtlich der Einschätzung empirischer Befunde führt. Die wissenschaftliche Debatte verliert zudem dann an Struktur, wenn sich die Diskussion um Öffentlichkeit über die Ebene der Medienöffentlichkeit hinaus bewegt: „Was aus politikwissenschaftlicher Sicht demnach dringend angemahnt werden muss, ist eine Theorie der Interessenvermittlung in Verbindung mit einer Weiterentwicklung von Ansätzen zum Pluralismus, Korporatismus und aktuell mehr und mehr auch zum politischen Lobbyismus." (Sarcinelli 2004, 405) Auf einer analytisch-deskriptiven Ebene soll dafür zunächst geklärt werden, was in modernen Gesellschaften unter Öffentlichkeit eigentlich zu verstehen ist? Wie sieht ihre Binnenstruktur aus? Welche Akteure stehen auf welchen Ebenen in welcher Weise miteinander in Kontakt? Dabei soll wie beschrieben der Versuch einer weiter gefassten

Konzeption von Öffentlichkeit unternommen werden, die über die in der „Mediengesellschaft" (Sarcinelli 1998, 11) häufig unternommene Beschränkung auf die Ebene der Medienöffentlichkeit hinausgeht. Darauf aufbauend soll hinsichtlich zweier normativer Modelle geklärt werden, welche Funktionen der Öffentlichkeit in demokratischen Systemen zugeschrieben werden.

Im zweiten Teil dieser Arbeit soll das Legitimationsproblem der EU im Mittelpunkt stehen. Dafür wird zunächst ein Überblick über Herausforderungen und Ziele der EU gegeben, um herauszuarbeiten, dass das europäische Projekt keinem Selbstzweck folgt und die Auseinandersetzung mit dem Vorwurf mangelnder Legitimität somit auch kein politikwissenschaftliches Schattenboxen ist. Vor dem Hintergrund dieses Selbstverständnisses stellt sich dann die Frage, worauf sich Legitimität in politischen Systemen jenseits der Staatlichkeit überhaupt bezieht, und wie sie hergestellt werden kann? Das Beispiel der EU soll im entsprechenden Kapitel - vor dem Hintergrund einer „neue[n] Unübersichtlichkeit" (Habermas 1998, 95), welche die Globalisierung für die Politik mit sich bringt - im breiteren Rahmen einer wissenschaftlichen Debatte verortet werden: Legitimiert sich die EU vielleicht schon aufgrund jener im vorherigen Kapitel skizzierten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und ihrer daraus definierten Ziele? Oder muss sie ihre Legitimität doch an ihrer eigentlichen inneren Verfassung - also an Öffentlichkeit, Identität und Demokratie - messen lassen? Aufbauend auf diese Fragen soll anschließend die Argumentation der Pessimisten - derjenigen also, die ein Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit zu erkennen glauben -nachgezeichnet werden, um die eigentlichen Kritikpunkte, die sich in der wissenschaftlichen Debatte zu dem Vorwurf mangelnder Legitimität verdichten, noch einmal darzulegen. Hier soll letztlich auch der Frage nachgegangen werden, inwiefern europäische Öffentlichkeit helfen kann, zur Lösung dieses Legitimationsproblems beizutragen.

Die theoretischen Aspekte sollen im dritten Teil dieser Arbeit mit den Ergebnissen aktueller empirischer Studien3 zu europäischer Medienöffentlichkeit kontrastiert, Gedanken zu europäischer Öffentlichkeit auf der Ebene der Themen- und

Versammlungsöffentlichkeit sollen geordnet werden.4 Dabei wird herausgearbeitet, ob sich die Aussagen der Pessimisten hinsichtlich eines Öffentlichkeitsdefizits bestätigen lassen oder inwiefern entsprechende Kritikpunkte eingeschränkt werden dürfen. Nach der Abarbeitung an grundlegenden Aspekten - historischen Entwicklungslinien, Modellvorstellungen und Konstitutionsbedingungen europäischer Öffentlichkeit - soll der eigentlichen Frage nach Existenz, Form und Ausmaß einer solchen mit besonderem Blick auf die im ersten Teil eingeführten Öffentlichkeitsebenen nachgegangen werden. Sowohl die Berichterstattung über EU-Themen in klassischen Massenmedien und im Internet als auch die Rolle von Akteuren auf der Ebene der Themen- und Versammlungsöffentlichkeit in Europa sollen hinsichtlich ihrer Beiträge zur Konstitution europäischer Öffentlichkeit untersucht werden.

In der vorliegenden Arbeit soll also untersucht werden, was unter europäischer Öffentlichkeit zu verstehen ist, und inwiefern sich Anzeichen für ihre Existenz finden. Dabei sollen mit der Betrachtung des Internets und Gedanken zur Rolle der Themen-und Versammlungsöffentlichkeit auch Aspekte thematisiert werden, die in der wissenschaftlichen Literatur in diesem Zusammenhang bisher eher ein Schattendasein fristen. Letztlich soll aufbauend auf die entsprechenden Ergebnisse der Frage nachgegangen werden, ob die Öffentlichkeit der geeignete Ansatzpunkt ist, das europäische Trilemma aus Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit aufzubrechen.

2 Öffentlichkeit und ihre demokratietheoretische Einordnung

Öffentlichkeit ist in aller Munde. Doch was ist unter diesem Begriff eigentlich zu verstehen? Im Folgenden soll versucht werden, das Konzept zu umreißen, um danach eine Definition zu formulieren. Entgegen der im europäischen Kontext üblichen Praxis soll dabei eine erweiterte Konzeption von Öffentlichkeit vorgeschlagen werden. Darauf aufbauend soll der Frage nachgegangen werden, warum Öffentlichkeit in der wissenschaftlichen Debatte etwa bei der Betrachtung eines möglichen Legitimationsproblems der EU eine solch prominente Rolle einnimmt. So folgt auf die Annäherung auf der analytisch-deskriptiven Ebene der Versuch einer demokratietheoretischen Einordnung von Öffentlichkeit.

2.1 Begriff und Bedeutung von Öffentlichkeit

Dem Begriff5 der Öffentlichkeit und des Öffentlichen lassen sich zunächst drei Bedeutungen zurechnen. Jede einzelne ist für die Konzeption der Binnenstruktur moderner Gesellschaften unerlässlich.

(1) Zunächst muss hier die Unterscheidung von öffentlich und privat als Abgrenzung von sozialen Handlungs- und Verantwortungsbereichen genannt werden (vgl. Peters 1994, 43). Demnach können etwa Rollen oder Ressourcen entweder öffentlich oder privat sein, wobei unter Öffentlichkeit die moderne Gesellschaft als politisch-rechtliche Einheit zu verstehen ist: „Die Rede von 'öffentlichen Gebäuden' meint nicht nur deren allgemeine Zugänglichkeit; sie müssen nicht einmal für den öffentlichen Verkehr freigegeben sein; sie beherbergen einfach Einrichtungen des Staates und sind als solche öffentlich." (Habermas 1990, 54) Was aber nun inhaltlich in die öffentlichen und was in die privaten Handlungs- und Verantwortungsbereiche fallt - die klare Grenzziehung und vermehrt auch die Übergangszone - war und ist stets ein Streitpunkt in demokratischen Verfassungsstaaten.

(2) In seiner zweiten Bedeutung kann das Öffentliche als Gegenstück in Abgrenzung zum Geheimen verstanden werden: Demnach können Sachverhalte, Ereignisse und Kommunikation sowohl öffentlich als auch geheim sein (vgl. Peters 1994, 44). Auch hinsichtlich dieser Bedeutung sorgt Öffentlichkeit immer wieder für Kontroversen: So muss sich das Geheime gerade im Bereich des Politischen stets rechtfertigen, weil moderne Auffassungen von Demokratie (unter Anerkennung einiger Ausnahmen6 ) die Publizität öffentlicher7 Angelegenheiten im Sinne einer umfassenden Transparenz von Staats- und Regierungshandeln verlangen.

(3) Letztlich kann Öffentlichkeit auch „im emphatischen Sinn" (Peters 1994, 45) verstanden werden. Demnach kombiniert und erweitert sie die ersten beiden Bedeutungen: Öffentlichkeit entsteht durch Kommunikation unter verschiedenen Akteuren, die aus der Sphäre des Privaten heraustreten, um nicht geheime Angelegenheiten von kollektivem Interesse vor einem Publikum zu diskutieren. In dieser Bedeutung geht Öffentlichkeit zurück auf die griechische Antike: „Das öffentliche Leben, bios politikos, spielt sich auf dem Marktplatz, der agora, ab, ist aber nicht etwa lokal gebunden: Öffentlichkeit konstituiert sich im Gespräch (lexis), das auch die Form der Beratung und des Gerichts annehmen kann, ebenso wie im gemeinsamen Tun (praxis), sei es der Kriegführung, sei es der kämpferischen Spiele." (Habermas 1990, 56)

In dieser dritten Bedeutung soll Öffentlichkeit im Rahmen dieser Arbeit auch verstanden werden.

2.2 Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften

Nachdem geklärt wurde, was mit dem vieldeutigen Begriff der Öffentlichkeit im Folgenden gemeint sein soll, stellt sich darauf aufbauend die Frage, wie diese Öffentlichkeit gefasst ist? Wie lässt sich auf einer analytisch-deskriptiven Ebene ihre Binnenstruktur beschreiben? Wo findet diese Öffentlichkeit statt? Und wer nimmt an ihr teil?

2.2.1 Binnenstruktur von Öffentlichkeit

Öffentlichkeit ist ein „Begriff von bemerkenswerter Schwammigkeit" (Negt/Kluge 1972, 17), der von einer „kaum überschaubare[n] Zahl" (Kleinen von Königslöw 2010, 31) von Definitionen, Modellen und Funktionszuweisungen umrissen, aber in der wissenschaftlichen Debatte nicht einnehmend gefasst ist. Um sich dem Begriff dennoch fruchtbar nähern zu können, soll im Folgenden zunächst eine analytisch-deskriptive Beschreibung von Öffentlichkeit erfolgen.

2.2.1.1 Akteure in der Öffentlichkeit und ihre Rollen

In vielen Modellen wird darauf verwiesen, dass der Zugang zu Öffentlichkeit als theoretisch unbegrenzt gilt. Aus dieser Bedingung wird bereits deutlich, dass Öffentlichkeit verschiedene individuelle oder kollektive Akteure umfasst, denen letztlich verschiedene Rollen zuteil werden können: Sie können als Sprecher, als Vermittler oder als Publikum auftreten. Die verschiedenen Akteure wechseln dabei teil-und phasenweise zwischen verschiedenen Rollen. So können etwa Sprecher als Teil des Publikums hören und Vermittler können selbst als Sprecher aktiv werden (vgl. Lingenberg 2010, 55). Insbesondere durch den Wegfall teilnahmerelevanter Beschränkungen durch das Internet dürfte die Grenze zwischen den Akteurstypen immer weiter verschwimmen.

A. Die Sprecher

Die Sprecher melden sich in der Öffentlichkeit zu verschiedenen Themen zu Wort (vgl. Jarren/Donges 2006, 105) und treten dabei entweder als Vertreter kollektiver Akteursgruppen oder als Individuen auf (vgl. Lingenberg 2010, 55). Nach Bernhard Peters lassen sich verschiedene Typen unterscheiden (vgl. Peter 1994, 57f.): Zunächst vertreten die „Repräsentanten" gesellschaftliche Gruppierungen und Organisationen.8 Die „Advokaten" äußern sich mit Plädoyers im Interesse von unverfassten Gruppierungen. Als weiterer Sprechertyp berichten die „Experten" mit dem Hintergrund wissenschaftlich-technischer Sonderkompetenzen. Geht es wiederum um sozialmoralische Sinnfragen, so erscheinen „Intellektuelle" als Sprecher. Erweitert wird dieses Spektrum der Sprecher nach Friedhelm Neidhardt durch die „Kommentatoren", die sich nicht nur berichtend, sondern mit ihrer eigenen Meinung kommentierend zu

Wort melden (vgl. Neidhardt 1994, 11).

B. Die Vermittler

Unter Vermittlern werden in der wissenschaftlichen Literatur insbesondere Journalisten und Massenmedien verstanden: Sie greifen Themen der Sprecher auf, geben sie an ihr Publikum weiter und bieten somit gleichzeitig auch den Sprechern die Möglichkeit des gegenseitigen Austauschs. Zeitungen oder Rundfunkprogramme sind weitgehend allen Bürgern zugänglich und wenden sich demnach an ein breites Publikum, weshalb die „Reduktion der Komplexität als gesellschaftliche Generalfunktion der Massenmedien" (Bergsdorf 1980, 76) gilt. Dabei sind sie auf Dauer ausgelegt und stellen eine Vielzahl von Themen bereit (vgl. Jarren 1998, 75).9

Ein elementarer Bestandteil in demokratischen Systemen sind die Medien, weil sie - je nach normativem Modell in unterschiedlicher Bewertung - eine Bildungsfunktion10, eine Informationsfunktion11, eine Sozialisationsfunktion12, eine Artikulationsfunktion13 sowie eine Kritik- und Kontrollfunktion14 übernehmen (vgl. Bergsdorf 1980). Darüber hinaus sind wiederum Rückkopplungseffekte auf die Politikprozesse auszumachen.15

Die Rolle der Medien als Vermittler kann sich unter bestimmten strukturellen und situativen Bedingungen in Richtung eines noch stärkeren Einflusses verändern, indem der „Elitenkonsens" (Koch-Baumgarten/Voltmer 2009, 312), der häufig auch die Medien einbindet, aufgebrochen wird. Zu den entsprechenden Bedingungen „gehören strukturell insbesondere fragmentierte Akteurskonstellationen, ein fehlender oder aufbrechender Grundkonsens, die Exklusion gesellschaftlicher Akteure im Politikfeld und die Kompatibilität von Politikinhalten und Medienlogik. Situativ sind es insbesondere Krisen und Konfliktsituationen, die ein Gelegenheitsfenster für Medien öffnen und ihnen Zugang zum Politikprozess verschaffen." (Koch-Baumgarten/Voltmer 2009, 313) Unter entsprechenden Bedingungen geht die Rolle der Medien somit weit über die eines Vermittlers hinaus: Sie können demnach dazu beitragen, dass sich Politikverfahren ändern, Konflikte verstärken, Machtkonstellationen verschieben und die Bedeutung von Inhalten variiert (vgl. Koch-Baumgarten/Voltmer 2009, 313f.). Weil die Betriebskosten auch mit Werbeeinnahmen gedeckt werden müssen und Massenmedien um die begrenzte Aufmerksamkeit des Publikums konkurrieren, orientiert sich die Themenauswahl an Publikumsinteressen, wobei gerade jene Publikumsgruppen interessant sind, die gleichzeitig als Zielgruppe der Werbung erscheinen (vgl. Neidhardt 1994, 12). Die politische Relevanz der Medien als vermittelnder Akteur führt auch dazu, dass sich die Sprecher anpassen: „Öffentlichkeitsarbeit als modernes Kommunikationsmanagement gehört zum Repertoire eines jeden politischen Akteurs, ob Individuum oder Organisation." (von Alemann/Marschall 2002, 24)

Indem sich die wissenschaftliche Literatur hinsichtlich der Vermittler meist auf Journalisten und Massenmedien beschränkt, werden entsprechende Akteure auf der Ebene der Themen- und Versammlungsöffentlichkeit vernachlässigt. Wenn es aber zu den Aufgaben der Vermittler gehört, zwischen den Sprechern für Austausch zu sorgen und einen entsprechenden Dialog zu fördern, so können auch etwa Moderatoren auf Podiumsdiskussionen, Mediatoren bei Entwicklungshilfeprojekten oder Schlichter bei baulichen Großprojekten diese Rolle übernehmen. Auch ihnen können unter Umständen Funktionen zugewiesen werden, die in der wissenschaftlichen Literatur vorrangig den

Massenmedien zugeschrieben werden.16

C. Das Publikum

Sowohl Sprecher verschiedenen Typs als auch etwa die Medien als Vermittler sind - aus politischen und/oder ökonomischen Legitimitätsgründen - auf Zustimmung und Aufmerksamkeit eines Publikums angewiesen (Lingenberg 2010, 56). Das Publikum schwankt zwar in Größe und Zusammensetzung, erscheint aber hinsichtlich der Reichweite der Massenmedien als Vermittler potentiell als die Gesamtheit der Bürger. Dies führt mit sich, dass es sich durch seine Heterogenität und sein Übergewicht an Laien auszeichnen kann, weshalb sich Sprecher und Vermittler bei der Weitergabe von Informationen auf eine begrenzte Verständnisfähigkeit ihres Publikums einstellen müssen - schon allein, weil die Sprecher häufig gar nicht wissen, an welches Publikum sie sich wenden (vgl. Neidhardt 1994, 13). Je nachdem, wie das Publikum mit den empfangenen Informationen umgeht, unterscheidet Ralf Dahrendorf in aktive, passive und latente Öffentlichkeiten (vgl. Dahrendorf 1993). Generell sind Themenlage und Betroffenheit dabei für die Größe (vgl. Peters 1994, 45) und die Beteiligung17 des Publikums verantwortlich.

2.2.1.2 Öffentlichkeitsebenen

Wenn von Öffentlichkeit gesprochen wird, dann ist meist nur von einer Ebene, nämlich jener der Medienöffentlichkeit, die Rede (vgl. Klaus 2006, 100). Diese enge Konzeption von Öffentlichkeit führt jedoch dazu, dass andere Dimensionen, die ebenfalls wichtige Funktionen erfüllen, unbeachtet bleiben.

In der wissenschaftlichen Literatur ist, wenn eine weitere Konzeption von Öffentlichkeit besprochen wird, eine Unterteilung in drei Ebenen üblich (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990, 19ff, Imhof 2008, 74; Jarren/Donges 2006, 103ff; Klaus 2006, 94ff), die hinsichtlich ihrer Größe, Strukturierung, Professionalisierung und Nachhaltigkeit der Kommunikation variieren, und zwischen denen Selektionsmechanismen greifen. „Die höhere Ebene kann die Leistung der unteren steigern, ihre Bedeutung aber nicht ersetzen." (Gerhards/Neidhardt 1990) Auf jeder dieser Ebenen existiert eine Vielzahl von Kommunikationsforen, Teilöffentlichkeiten oder Arenen, welche durch die Merkmale derjeweiligen Ebene charakterisiert werden, auf der sie sich befinden. Unter den Ebenen von Öffentlichkeit kann somit ein „Oberbegriff für eine Vielzahl von Kommunikationsforen, die die gleichen Merkmale aufweisen" (Strohmeier 2004, 83), verstanden werden.

Im Folgenden sollen sie hinsichtlich Charakteristika, Potenzialen und Grenzen skizziert werden.

A. Encounter-Ebene

Auf der Encounter-Ebene - Niklas Luhmann spricht in diesem Zusammenhang von „Kommunikation au trottoir" (Luhmann 1986, 75); Erving Goffman dagegen von Encounters (Goffman 1961) - findet die spontane öffentliche Kommunikation statt. So etwa bei Begegnungen auf der Straße oder an der Arbeitsstelle. Die Bandbreite der Ausformungen reicht von Spontanöffentlichkeit bis zu Quartiers- und Betriebsöffentlichkeit.

Öffentlichkeit auf dieser Ebene zeichnet sich aus durch räumliche, zeitliche und soziale Beschränkung sowie spontane Entstehung. Entsprechend überschaubar ist auch das Akteursfeld, was sich wiederum in einem nur geringen Grad an Differenzierung von Sprecher- und Publikumsrollen widerspiegelt: Verschiedene Kommunikationsteilnehmer können verschiedene Rollen übernehmen. Kommunikation auf der Encounter-Ebene bedarf keiner Vermittlung durch Journalisten und Massenmedien. Als strukturelle Voraussetzung ist neben der physischen Präsenz18 sowie einer gemeinsamen Sprache der Teilnehmenden (vgl. Klaus 2006, 95) einzig die Meinungsfreiheit zu nennen (vgl. Jarren/Donges 2006, 105).

Letzteres kann als Potenzial der Encounter-Ebene verbucht werden: Sie kennt kaum Restriktionen und ist kaum beeinflussbar: „Selbst in totalitären Systemen ist es für die politisch Herrschenden schwierig, Öffentlichkeiten auf dieser Ebene zu kontrollieren." (Strohmeier 2004, 80). Deshalb können auch spontane Treffen durchaus weitreichende Folgen nach sich ziehen. Meist jedoch - und das ist die offensichtliche Grenze der Encounter-Ebene - ist Öffentlichkeit in dieser Form machtpolitisch relativ unbedeutend, birgt aber hinsichtlich der Herausbildung einer europäischen Identität womöglich großes Potential (vgl. Klaus 2006, 93).19

B. Themen- und Versammlungsöffentlichkeit

Unter Themen- und Versammlungsöffentlichkeit sind thematisch zentrierte Interaktionsoder Handlungssysteme zu verstehen, etwa in Form von Podiumsdiskussionen oder Demonstrationen. Die Bandbreite reicht entsprechend von Spontanöffentlichkeit bis zu Organisationsöffentlichkeit.

Der Organisationsgrad sowie die Anzahl der Kommunikationsteilnehmer sind höher und die Differenzierung von Sprecher- und Publikumsrollen entsprechend ausgeprägter als auf der Encounter-Ebene. Weiter können, wie bereits im vorherigen Kapitel angedeutet wurde, Vermittler auch auf der Ebene der Themen- und Versammlungsöffentlichkeit eine Rolle spielen. Häufig weckt diese Ebene das Interesse der Medien und wird von Journalisten beobachtet. Die strukturellen Voraussetzungen der Encounter-Ebene sind auch für die Konstitution von Öffentlichkeit auf der Ebene der Themen- und Versammlungsöffentlichkeit unerlässlich. Ergänzt werden diese die Notwendigkeit von Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit (vgl. Jarren/Donges 2006, 105). Als Potenzial kann angeführt werden, dass die Kommunikation auf der Ebene der Themen- und Versammlungsöffentlichkeit durchaus machtpolitische Wirkung erzielen kann, insbesondere wenn sie tatsächlich das Interesse der Medien wecken und den Sprung auf die Ebene der Medienöffentlichkeit schaffen: „Mit dieser Positionierung können [sie], wenn sie als alternative oder Gegen-Öffentlichkeiten auftreten, ein wichtiger Modernisierungsfaktor sein." (Klaus 2006, 96) Entsprechend stellt Elisabeth Klaus die Ebene der Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit als wichtigen Modernisierungsfaktor heraus. Einschränkungen in der Empirie werden jedoch durch die angesprochene Regulierung von Öffentlichkeit auf dieser Ebene gesetzt: „Das

Thema, die Sprecher und zum Teil auch die Meinungen sind oftmals weitgehend festgelegt." (Strohmeier 2004, 81)

C. Medienöffentlichkeit

Die Medienöffentlichkeit stellt die oberste der drei Ebenen dar. Dabei fungieren die Vermittler auf der Medienebene „als Selektionsinstanzen und zugleich als massenwirksame Lautverstärker relevanter Informationen in der Öffentlichkeit." (Lingenberg 2010, 56) Die Bandbreite von Öffentlichkeit auf dieser Ebene reicht von Folgemedien bis Leitmedien.

Sowohl Medien, deren Programm als auch das Publikum sind auf dieser Ebene tendenziell dauerhaft, über ihre Reichweite erreichen die Medien ein potentiell unbegrenztes Publikum. Der Grad der Differenzierung von Sprecher- und Publikumsrolle ist entsprechend auf dieser Ebene am Ausgeprägtesten: „Die Partizipation des Publikums beschränkt sich letztlich auf Leserbriefe, Interviews, Diskussionsbeteiligungen sowie die Orientierung der Massenmedien am Geschmack des Publikums." (Strohmeier 2004, 81) Strukturelle Voraussetzung ist die Pressefreiheit (vgl. Jarren/Donges 2006, 105).

Auch aufgrund ihrer Reichweite ist das Potential der machtpolitischen Wirkung von Öffentlichkeit auf dieser Ebene am Größten: „Auch die auf den anderen Ebenen der Öffentlichkeit artikulierten Themen und Meinungen erreichen erst eine allgemeine Wahrnehmung, wenn sie von den Massenmedien aufgegriffen, berichtet oder verstärkt werden." (Gerhards/Neidhardt 1990, 24) Durch die erwähnten Selektionsmechanismen ist der Zugang für die Sprecher erschwert und eine Beeinflussung durch die Bürger daher schwach. Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt bezeichnen die Medien daher als ein „unsensibles" (ebd.) System. Dieser in der wissenschaftlichen Literatur häufig geäußerte Mangel muss auf die klassischen Medien beschränkt werden, gilt er doch nicht für das Internet.20 Gerd Strohmeier spricht in Analogie zu einer repräsentativen Demokratie von einer „repräsentativen Öffentlichkeit" (Strohmeier 2004, 82), die jedoch nur dann auch tatsächlich repräsentativ sein kann, wenn eine hinreichende Freiheit und eine hinreichende Pluralität des Mediensystems gegeben sind.

2.2.1.3 Arenatheoretische Integration

Aufbauend auf die Unterteilung in verschiedene Akteure und verschiedene Ebenen kann Öffentlichkeit nicht als homogenes Kommunikationsforum gesehen werden, sondern lässt sich besser mit einer Unterteilung in verschiedene Foren - etwa der Wissenschaft, der Politik oder der Massenmedien - fassen, in denen wiederum öffentlicher Informations- und Meinungsaustausch zu den jeweiligen Themengebieten stattfindet (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990, 26). Innerhalb dieser Foren diskutieren die Sprecher -moderiert von den Vermittlern - in Arenen ihre Themen, versuchen das Publikum auf der Galerie von ihrem Meinungen zu überzeugen. Im Backstage eines jeden Forums erarbeiten die potentiellen Sprecher und Mediatoren ihre Strategien und Ziele für die Diskussion in der Arena (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990, 26ff).

Dabei sind die Foren nicht voneinander abgeschlossen: So könnten etwa Erkenntnisse, die im diskursiven Austausch in der Öffentlichkeitsarena der Wissenschaft gewonnen wurden, Auswirkungen auf die Arena des Parlaments haben. Letztlich kann Öffentlichkeit als Gesamtmenge dieser verschiedenen Foren verstanden werden, in denen öffentliche Diskussionen stattfinden (vgl. Kleinen von Königslow 2010,31). Somit wird der Begriff der Öffentlichkeit auch in der wissenschaftlichen Literatur häufig im Singular verwendet, umfasst dabei aber mehrere Teilöffentlichkeiten mit verschiedenen Akteuren und Ebenen.

2.2.1.4 Chancen, Grenzen und Risiken durch das Internet

Die Hoffnung, durch das Internet den mündigen Bürger als Gestalter politischer Öffentlichkeit zu gewinnen, waren in weiten Teilen21 der wissenschaftlichen Debatte bereits früh groß.

So sah etwa Claus Leggewie im technischen Potential „faszinierende Möglichkeiten größerer Beteiligung, intelligenter politischer Kommunikation und direkter Demokratie" (Leggewie 1998, 48), die es zu nutzen gelte: „Politische Öffentlichkeiten waren stets Angelegenheit einer Minderheit von Aktivbürgern und wurden nur erweitert unter dem Druck sozialer Bewegungen. Das technische Potential der Netze liegt bereit, um einen eventuellen Beteiligungsschub zu fördern und die Repolitisierung des Internet einzuleiten." (ebd.) Patrick Rössler sprach gar vom „Leitmedium des neuen Milleniums." (Rössler 1998a, 7) Insbesondere hinsichtlich des Blicks über den lokalen oder nationalen Tellerrand hinaus wurden dem Internet große Potentiale zugesprochen: „Besser als jedes andere Medium ist es geeignet, lokale Öffentlichkeiten zu verdichten und grenzüberschreitende Arenen der Meinungsbildung herzustellen, und so kann es schließlich dazu dienen, den politischen Prozeß insgesamt wieder mit größerer Legitimität auszustatten." (Leggewie 1998, 48f.)

Doch: Auf welche Grundlagen fußen solch große Hoffnungen? Welche Unterscheidungsmerkmale führen dazu, dass dem Internet im Vergleich zu klassischem Massenmedien eine Sonderstellung zugemessen wird? Mit den technischen Eigenheiten des Internets hinsichtlich einer Sozial-, Zeit-, Raum-, Zeichendimension22 sind Gestaltungsmöglichkeiten und Gefahren verbunden, die sich größtenteils gegenseitig bedingen.

A. Vorteile

Hinsichtlich der Qualitäten des Internets ist zunächst zu erwähnen, dass räumliche, zeitliche und teilnahmerelevante Beschränkungen wegfallen: Das Internet ist grenzüberschreitend23 und potentiell jedem und jederzeit abrufbar - und das zu relativ geringen Kosten. Informationen stehen dabei durch das schier unendliche Speicherpotential für einen schier unendlichen Zeitraum zur Verfügung. Wurde zuvor bei der Betrachtung der Ebenen von Öffentlichkeit24 noch bemängelt, dass die Medien bedingt durch die erwähnten Selektionsmechanismen nach Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt ein „unsensibles" (Gerhards/Neidhardt 1990, 24) System darstellten, so muss diese Einschätzung mit Blick auf das Internet wie angedeutet spezifiziert werden, sind doch die „Eintrittsbarrieren zur Verbreitung von Informationen" (Loitz 2001, 41) im Internet geringer als bei den klassischen

Massenmedien: Durch unterschiedliche Dienste kann im „globalen Kaffeehaus" (Bucher 2009, 36) prinzipiell jeder Informationen und Meinungen kundtun. „Selbst kleine Nichtregierungsorganisationen scheinen dank dem Internet im Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums mit besseren Waffen operieren zu können." (Bucher 2009, 32) Die Grenzen zwischen Sprechern, Vermittlern und Publikum verschwimmen ins Unerkennbare.25 So kann etwa die Kommunikation zwischen politischen Entscheidungsträgern und Bürgern in beide Richtungen26 durch einen „direkten Draht" (Lingenberg 2010, 60) ebenso wie die Binnenkommunikation innerhalb politischer Organisationen oder kollektiver Akteure der Zivilgesellschaft vereinfacht werden. Jürgen Habermas stellt euphorisch fest: „Das World Wide Web scheint freilich mit der Internetkommunikation die Schwächen des anonymen und asymmetrischen Charakters der Massenkommunikation auszugleichen, indem es den Wiedereinzug interaktiver und deliberativer Elemente in einen unreglementierten Austausch zwischen Partnern zulässt, die virtuell, aber auf gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren. Tatsächlich hatja das Internet nicht nur neugierige Surfer hervorgebracht, sondern auch die historisch versunkene Gestalt eines egalitären Publikums von schreibenden und lesenden Konversationsteilnehmern und Briefpartnern wiederbelebt." (Habermas 2008, 161) Letztlich erscheint das Informationsangebot schier unerschöpflich: Nicht nur über die Vermittlung in der Berichterstattung, sondern etwa auch direkt über veröffentlichte Beschlüsse, Gesetzesentwürfe und Stellungnahmen zu politischen Themen oder Informationen zu politischen Entscheidungsträgern kann der Nutzer die für ihn wichtigen Informationen abrufen, „um am politischen Willensbildungsprozeß teilnehmen zu können." (Loitz 2001, 42)

Die skizzierten Vorteile des Internets, die in der wissenschaftlichen Literatur seit den 1990er Jahren diskutiert werden und demnach zur Konstitution von Medienöffentlichkeit beitragen können, führen auch zu Veränderungen auf den anderen Öffentlichkeitsebenen. So können Bürger doch etwa auch über Chats oder soziale Netzwerke wie Facebook in Kontakt bleiben, Informationen und Meinungen austauschen. Auch hier ist - mit Blick auf den europäischen Kontext - die Kommunikation nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden,

Übersetzungsprogramme gewinnen an Bedeutung und die physische Präsenz der Akteure wird nicht mehr zur Bedingung. Wenn im Folgenden auf entsprechende Gedanken verwiesen wird, dann soll von der „virtuellen Encounter-Ebene" die Rede sein. Selbes gilt für die Ebene der Themen- und Versammlungsöffentlichkeit: Streitgespräche, Mitgliederkonsultationen oder ähnliche Kommunikationsereignisse sind nicht mehr an feste Räume gebunden.27

B. Nachteile

Dennoch werden bei einer Betrachtung des Internets und seiner Rolle für die Konstitution von Öffentlichkeit auch Grenzen und Risiken offensichtlich, die teilweise mit den Chancen einhergehen.

So bleiben Aktivität und Motivation der Nutzer trotz eines schier unerschöpflichen Informationsangebots begrenzt. Bereits 1997 sprach Achim Bühl vor diesem Hintergrund von einem „Informations-Overkill", der auf der einen Seite die Selektionsfähigkeit der Nutzer überstrapaziert (vgl. Bühl 1997, 306). Auf der anderen Seite sorgt er aber auch für eine Veränderung bei der Verbreitung von Informationen, wie Eli Noam beklagte: „If everybody on the Internet has a voice for his or her political message, then each message must be made more powerful than all the others just to be heard. Messages have to increase their hype shrillness and simplicity, and they will undergo the '15 Minutes of face' compression." (Noam, zit. nach Bucher 2009, 33) Während das Fehlen einer selektierenden Kraft weiterhin auf der Seite der Chancen wie beschrieben dazu führt, dass „Eintrittsbarrieren zur Verbreitung von Informationen" (Loitz 2001, 41) niedrig sind, sind damit sowohl die Bürger als auch die politische Elite verschiedenen Risiken ausgesetzt: So besteht für die Nutzer die Gefahr einer einseitigen Beeinflussung durch politische Primärquellen (vgl. Strohmeier 2004, 55). Auf der anderen Seite birgt das Fehlen einer kritischen Instanz auch die Gefahr, dass sensible Informationen28 öffentlich gemacht werden. Sowohl für die Bürger als auch für die politische Elite ist gleichermaßen problematisch, dass die Glaubwürdigkeit der Informationen unter Umständen beeinträchtigt werden kann.

Zudem verlangt das grenzüberschreitende Internet seinem Nutzer unter Umständen weiterhin die Kenntnis von Fremdsprachen ab. Auch bedeutet die Möglichkeit einer Interaktion zwischen Bürgern und politischen Entscheidungsträgern nicht automatisch, dass diese Chance auch wirklich genutzt wird. Letztlich wird verwiesen auf die Gefahr einer Fragmentierung - eines „digital devide" (Schenk/Wolf 2006, 258) durch eine zunehmenden Aufsplittung in Teilöffentlichkeiten - durch die weitgehende Exklusion etwa von Angehörigen traditioneller Milieus sowie durch die Vielfalt von Informationen und Meinungen, die sich jeder Nutzer selbst abholen muss: „Das Internet besteht aus einer Milliarde Menschen, die auf einer Milliarde Seifenkisten stehen; alle halten ihre Rede zur gleichen Zeit. Aber wer hört noch zu?" (Bucher 2009, 33f.) Auch nach Jürgen Habermas bedingen die Eigenheiten des Internets die Gefahr einer Fragmentierung: „Dieses Publikum zerfällt im virtuellen Raum in eine riesige Anzahl von zersplitterten, durch Spezialinteressen zusammengehaltenen Zufallsgruppen. Auf diese Weise scheinen die bestehenden nationalen Öffentlichkeiten eher unterminiert zu werden. Das Web liefert die Hardware für die Enträumlichung einer verdichteten und beschleunigten Kommunikation, aber von sich aus kann es der zentrifugalen Kraft nichts entgegensetzen. Vorerst fehlen im virtuellen Raum die funktionalen Äquivalente für die Öffentlichkeitsstrukturen, die die dezentralisierten Botschaften wieder auffangen, selegieren und in redigierter Form synthetisieren." (Habermas 2008: 162)

Eine theoretische Bilanz zu Chancen, Grenzen und Risiken durch das Internet eröffnet zusammenfassend einen Blick auf neue Perspektiven für einen weiteren Strukturwandel der Öffentlichkeit (vgl. Leggewie 1998, 20). „Die Frage ist jedoch, ob der Bürger das Partizipationsangebot annimmt?" (Weber 2005, 104) Auch dieser Frage soll in Hinblick auf europäische Öffentlichkeit in Kapitel 4.2.1.3 nachgegangen werden.

2.2.2 Definition von Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften

Anhand der Skizzierung verschiedener Akteure, verschiedener Ebenen und verschiedener Arenen wurde die Binnenstruktur von Öffentlichkeit auf einer analytischdeskriptiven Ebene dargestellt. Darauf aufbauend gilt demnach zusammenfassend:

Öffentlichkeit ist ein offenes Kommunikationssystem, in dem Informationen und Meinungen von kollektivem Interesse zusammengetragen, aufgenommen, ausgetauscht und verarbeitet werden.

Zwar gelten Massenmedien gemeinhin als die „zentralen Knoten" (Brüggemann 2008, 44) der Öffentlichkeit, wodurch sie erst zu einer dauerhaft bestimmenden gesellschaftlichen und politischen Größe werden (vgl. Neidhardt 1994, 10), dennoch dürfen bei der wissenschaftlichen Debatte etwa zu einer europäischen Öffentlichkeit auch andere Öffentlichkeitsebenen nicht unterschlagen werden. Öffentlichkeit ist im Folgenden - entgegen der mehrheitlichen Praxis in der wissenschaftlichen Debatte -demnach nicht auf Medienöffentlichkeit zu beschränken, auch wenn Informationen und Meinungen in modernen Gesellschaften mehrheitlich über Massenmedien an das Publikum gelangen und die Vermittler entsprechend an Bedeutung gewinnen.

2.3 Normativ bewertete Funktionen von Öffentlichkeit

Die Herstellung von Öffentlichkeit ist kein Selbstzweck. Vielmehr macht sie eine Demokratie überhaupt erst „funktions- und überlebensfähig" (Strohmeier 2004, 75). Öffentlichkeit gehört damit zur „Grundausstattung einer jeden Demokratie" (Lingenberg 2010, 27) und „even where it is in fact suppressed or manipulated it has to be faked." (Taylor 2004, 83) Diese zentrale Rolle liegt in verschiedenen Funktionen begründet, die Öffentlichkeit in Demokratien zugeschrieben werden und letztlich zur Legitimierung eines politischen Systems beitragen.

So verweist etwa Friedhelm Neidhardt auf drei politische Funktionen29: Demnach soll Öffentlichkeit (1) „offen sein für alle gesellschaftlichen Gruppen sowie für alle Themen und Meinung von kollektiver Bedeutung" (Neidhardt 1994, 8), damit sie eine Transparenzfunktion erfüllen kann. Weiter wird (2) auf eine Validierungsfunktion verwiesen, wonach die verschiedenen Akteure „mit den Themen und Meinungen anderer diskursiv umgehen und ihre eigenen Themen und Meinungen unter dem Druck der Argumente anderer gegebenenfalls revidieren." (ebd.) Letztlich (3) erzeugt „öffentliche Kommunikation, die von den Öffentlichkeitsakteuren diskursiv betrieben wird, [...] 'öffentliche Meinungen', die das Publikum als überzeugend wahrnehmen und akzeptieren kann" (Neidhardt 1994, 9). Zudem wird den politischen Entscheidungsträgern damit eine Handlungsgrundlage gegeben. Somit kann der Öffentlichkeit letztlich eine Orientierungsfunktion zugesprochen werden.

Dennoch verweisen nicht alle Modelle von politischer30 Öffentlichkeit in gleichem Maß auf alle drei genannten Funktionen. Im Folgenden sollen zwei Modelle vorgestellt werden, welche in der wissenschaftlichen Literatur als die beiden „normativen Extrempunkte" (Tobler 2010, 44) hinsichtlich ihres Anspruchs an Öffentlichkeit gelten. Diese Gegenüberstellung ist für die Frage nach einem möglichen Öffentlichkeitsdefizit der EU insofern von elementarer Bedeutung, als dass die Rede von einem solchen Öffentlichkeitsdefizit auf „ein normatives Kriterium der Bewertung [verweist], von dem aus etwas als defizitär beschrieben werden kann." (Gerhards 2002, 136)31 Entsprechende Aussagen bauen somit auf die Frage auf, welche Funktionen europäische Öffentlichkeit eigentlich zu erfüllen hat.

2.3.1 Das liberal-repräsentative Modell

In der Tradition liberal-repräsentativer Demokratietheorien (vgl. Latzer/Saurwein 2006, 13) steht das sogenannte „Spiegelmodell", dessen Bezeichnung auf eine Metapher Niklas Luhmanns zurückgeht: „Im Spiegel sieht man [...] nicht sich selbst, sondern nur das Gesicht, das man für den Spiegel aufsetzt und ihm zuwendet. Aber man sieht nicht nur das, sondern man sieht im Rückblick über die eigenen Schultern hinweg die anderen, die im gleichen Raum vor dem Spiegel agieren: andere Personen, andere Gruppen, andere politische Parteien, andere Versionen zum gleichen Thema." (Luhmann 1990, 181) Als „Spiegel" stehen die Medien im Mittelpunkt dieses Öffentlichkeitsmodells: Über die Abbildung der Akteurs- und Meinungsvielfalt ermöglicht Öffentlichkeit die „Selbstbeobachtung der Gesellschaft" (Gerhards 1994, 97).

In Bezug auf das politische Teilsystem bedeutet dies konkret, dass die politischen Akteure sich selbst und ihre Konkurrenten mitsamt deren Positionen und Handlungen etwa über die Massenmedien beobachten und so die nötigen Informationen bekommen können, um ihre Strategien und Wahlentscheidungen - „ohne mühseliges gegenseitiges Überzeugen" (Eder/Kantner 2000, 311) - strategisch aufeinander abstimmen zu können (vgl. Peters 1994, 48). Weiterhin erfahren sie, welche Themen bei den Bürgern gerade relevant sind (Jarren/Donges 2006, 99). Im Umkehrschluss erhalten die Bürger durch die Beobachtung der politischen Akteure die nötigen Informationen, um ihre Wahlentscheidungen zu treffen: „Das Volk könnte seine Interessen nicht vertreten, wenn es nicht wüsste, worum es geht und wer was tun will und kann." (Neidhardt 2006, 50) Somit schreibt das „Spiegelmodell" der Öffentlichkeit einzig die Transparenzfunktion zu (vgl. Jarren/Donges 2006, 99), wasjedoch genügt, um ein Öffentlichkeitsdefizit zum Teil eines Legitimationsproblem werden zu lassen (vgl. Imhof 2008, 72). Die anderen beiden genannten Funktionen von Öffentlichkeit, Validierung durch diskursiven Umgang mit anderen Argumenten sowie Orientierung durch überzeugende Argumente, spielen beim liberal-repräsentativen Modell von Öffentlichkeit keine Rolle (vgl. Jarren/Donges 2006, 99): „Eine kontinuierliche Beteiligung der Zivilgesellschaft am politischen Prozess ebenso wie eine kollektive Willensbildung im öffentlichen Diskurs sind dementsprechend nicht vorgesehen." (Lingenberg 2010, 33) Die Herstellung von Konsens- oder Mehrheitsentscheidungen obliegt damit alleine den politischen Entscheidungsträgern.

Hinsichtlich seines normativen Anspruchs ist das repräsentativ-liberale Modell von Öffentlichkeit zusammenfassend vergleichsweise „anspruchslos" (Jarren/Donges 2006, 98): Es basiert einzig auf einem theoretisch unbegrenzten Zugang für Sprecher und Publikum sowie einer objektiven und wahrheitsgemäßen Darstellung der verschiedenen Meinungen (vgl. Strohmeier 2004, 86), damit die Selbstbeobachtung im „Spiegel" durch Ausschluss oder Verzerrung nicht behindert wird. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Bürger ihre Wahlentscheidungen fällen und sich die politischen Akteure an öffentlichen Meinungen orientieren können.

2.3.2 DasdeliberativeModell

In der Tradition deliberativer Demokratietheorien steht das vorrangig durch die Ideen von Jürgen Habermas geprägte Diskursmodell öffentlicher Meinungsbildung (vgl. Latzer/Saurwein 2006, 13). Dabei werden die prozeduralen und institutionellen Bedingungen öffentlicher Kommunikation in den Mittelpunkt gerückt (vgl. Lingenberg 2010, 39). Betont werden alle drei genannten Funktionen von Öffentlichkeit (vgl. Jarren/Donges 2006, 99).

Zunächst ist wie beim „Spiegelmodell" auf der Inputseite ein Anspruch hinsichtlich des Zugangs zu nennen. Hier wird darauf verwiesen, dass Öffentlichkeit auch von Akteuren der Zivilgesellschaft mitgetragen werden soll: „Die bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs. Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit." (Habermas 1990, 156) Entsprechend müssen dem Bürger auch durch materielle Lebensbedingungen die Chancen zur aktiven Teilnahme gegeben werden (vgl. Jarren/Donges 2006, 100). Letztlich verweist das deliberative Modell mit diesem Anspruch ebenfalls auf die Transparenzfunktion.

Anders als beim liberal-repräsentativen Modell beschränken sich die normativen Ansprüche beim deliberativen Modell jedoch nicht auf unbegrenzten Zugang und unverzerrte Darstellung. Denn während das liberal-repräsentative Modell weiterhin keine „Regeln" für das Kommunikationsverhalten der Öffentlichkeitsakteure nennt, legt das deliberative Modell einen besonderen Wert auf die argumentative und bezugnehmende Positionierung der Sprecher: „Zustimmung zu Themen und Beiträgen bildet sich erst als Resultat einer mehr oder weniger erschöpfenden Kontroverse, in der Vorschläge, Informationen und Gründe mehr oder weniger rational verarbeitet werden können. [...] Deshalb bemißt sich das Gelingen öffentlicher Kommunikation auch nicht per se an der 'Herstellung von Allgemeinheit', sondern an formalen Kriterien des Zustandekommens einer qualifizierten öffentlichen Meinung." (Habermas 1992, 438) Kommunikation soll demnach begründet, mit Bezug auf die Argumente anderer Akteure und durch ein gewisses Rationalitätsniveau gekennzeichnet sein, sodass Öffentlichkeit die vom Diskursmodell zugeschriebene Validierungsfunktion erfüllen kann. Letztlich unterscheiden sich beide Öffentlichkeitsmodelle hinsichtlich des Zustandekommens von Entscheidungen: Während im liberalen „Spiegelmodell" die Positionen der politischen Akteure und ihrer Konkurrenten dargelegt werden sollen, bevor die gewählten Repräsentanten zu ihren Entscheidungen kommen, verlangt das deliberative Diskursmodell nach einem „diskursiv abgeschliffenen" (Gerhards 2002, 139) Konsens bzw. nach einer Mehrheitsmeinung unter Annäherung der Sprecher. Erst so kann vom Prinzip der Volkssouveränität, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, gesprochen werden. So erst trifft „das subjektive Recht und die chancengleiche Teilnahme an der demokratischen Willensbildung mit der objektiv-rechtlichen Ermöglichung einer institutionalisierten Praxis staatsbürgerlicher Selbstbestimmung" (Habermas 1992, 209) zusammen. Hiermit wird der Öffentlichkeit auch die angesprochene Orientierungsfunktion zugewiesen. Über die Öffentlichkeit kann also ein „Gemeinsamkeitsglaube" (Max Weber 1985, 237) entstehen, der nötig ist, um den Zumutungen von Mehrheits- bzw. Minderheitsentscheiden und Umverteilungen die in einem demokratischen System notwendige Akzeptanz zu verschaffen (vgl. Imhof 2008, 72).

[...]


1 Als eine der wenigen verweist Elisabeth Klaus in diesem Sinne auf die „Beschränktheit unserer Öffentlichkeitstheorien im europäischen Kontext." (Klaus 2006, 93)

2 So änderte sich auch der Fokus der vorliegenden Arbeit im Forschungsprozess grundlegend: Während zunächst einzig das Verhältnis von Medien und europäischer Politik im Mittelpunkt stehen sollte, rückten Öffentlichkeitsakteure jenseits der klassischen Massenmedien immer weiter in den Mittelpunkt. Letztlich mussten konkrete Ansätze von Seiten der EU, wie einer Medialisierung der EU unter Umständen entgegenzukommen sei, ganz außen vor bleiben, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen.

3 In den letzten Jahren haben zahlreiche Untersuchungen die zuvor eher dürftige Datenlage enorm verbessert. Darum - und auch, um den Rahmen der vorliegenden Arbeit zu wahren - sollen die bereits vorliegenden Studien in den entsprechenden Kapiteln in einen Zusammenhang gebracht werden, um aus den Ergebnissen ein möglichst umfassendes Bild europäischer Medienöffentlichkeit zu erhalten.

4 Die Ebene der Encounter-Öffentlichkeit - also jene meist spontane öffentliche Kommunikation, die etwa bei Begegnungen auf der Straße entsteht - muss ausgespart werden, weil sich entsprechende Aspekte empirisch wohl nur schwer untersuchen lassen. Studien konnten nicht gefunden werden. Diskussionen auf der Straße oder am Arbeitsplatz finden scheinbar kaum den Weg in die Wissenschaft.

5 Etymologisch geht der Begriff der Öffentlichkeit auf das Öffentliche zurück, welches im 16. Jahrhundert im Sinne des heutigen „offenbar" und „offensichtlich" verwendet wurde (vgl. Lingenberg 2010, 25). Diese Bedeutung verschob sich jedoch im 17. Jahrhundert. An dieser Stelle setzen die folgenden Darstellungen an.

6 Dass die Grenzziehung zwischen öffentlich und geheim ähnlich umstritten ist wie jene zwischen öffentlich und privat, zeigt nicht zuletzt die hitzige Debatte um diejüngsten Enthüllungen von teils als geheim eingestuften Dokumenten auf WikiLeaks.

7 Jener Angelegenheiten also, die der ersten Bedeutung von Öffentlichkeit folgend, nicht als privat einzuordnen sind.

8 Insbesondere hinter den Kulissen dieses Sprechertyps machen etwa Gerhard Vowe und Stephanie Opitz professionelle Kommunikationsdienstleister als neue Akteurstypen der politischen Kommunikation aus: Von internen Kapazitäten über Agenturen bis zu Einzelberatern übernehmen sie Konzeption, Umsetzung und Erfolgskontrolle etwa im Wahlkampf, in politischer PR oder Lobbying (vgl. Vowe/Opitz 2006, 63).

9 Wie in Kapitel 2.2.1.4 gezeigt wird, verstärken sich beide Aspekte noch mit dem Bedeutungsgewinn des Internets.

10 Über die Massenmedien können sich die Bürger zu aktuellen Themen informieren (vgl. Bergsdorf 1980, 77).

11 Der permanente Zugang zu Informationen über „alle Ereignisse, die für ihre wirtschaftliche, kulturelle und politische Entwicklung relevant sind" (Bergsdorf 1980, 79), ist nicht nur für die Bürger interessant, sondern auch für das Funktionieren der Gesellschaft, in der sie leben, von existenzieller Bedeutung.

12 Über die Massenmedien werden politische Normen und Werte internalisiert, mit deren Hilfe Konflikte ausgetragen werden. „Die politische Sozialisation in der Demokratie besteht normativ also einerseits aus der Erziehung zum Konsensus über die Grundrechtsinstitute und Verfassungsregelungen und andererseits aus der Erziehung zur Bereitschaft, Konflikte zu akzeptieren und sich an ihrer gewaltlosen Lösung zu beteiligen." (Bergsdorf 1980, 84)

13 Während die Massenmedien einerseits für das Publikum Informationen bereitstellen, bieten sie andererseits „politisch relevanten Gruppierungen und organisierten Interessen die technischen Möglichkeiten, ihre politischen Meinungen und Forderungen vor dem dispersen Publikum zu artikulieren." (Bergsdorf 1980, 85)

14 Die Kritik- und Kontrollfunktion der Opposition und jener der Massenmedien unterscheiden sich in zwei Punkten: Erstens sind für die Massenmedien die Themen der Kontrolle nicht beschränkt: „Regierung, Opposition und Verwaltung, Gesetzgebung und Rechtsprechung stehen als Themen der Kritik zur Verfügung wie alle Bereiche und Institutionen des gesellschaftlichen Lebens - darunter auch die Massenmedien selbst." (Bergsdorf 1980, 87) Zweitens kann Kritik nicht direkt in Sanktionen münden (vgl. Bergsdorf 1980, 87).

15 So lassen sich etwa die Medialisierung der politischen Kommunikation, die Anpassung der Politikdarstellung an Auswahlkriterien der Medien und Interessen des Publikums, die Zunahme symbolischer Inszenierungen, die Einflussnahme auf Wahrnehmung, Deutung und Bewertung von Politikern und Lösungen bei den Bürgern, der Einfluss beim politischen Agendasetting, die Relevanz von Medienberatern, den Wert von Medienkompetenz bei der politischen Karriere sowie die neue Möglichkeit von „Basta-Politik" über die Medien an langwierigen Entscheidungsfindungsprozessen vorbei beobachten (vgl. zusammenfassend Koch-Baumgarten/Mez 2007, 8). Dennoch ist die Reichweite des Wandels im intermediären Kommunikationssystem Teil einer wissenschaftlichen Debatte, die von einem instrumentellen Ansatz, wonach die Medien Dienstleistungen für das politische System erbringen, bis zu einem mediendemokratischen Ansatz, wonach die Medieneliten und Spitzenpolitiker das informelle Entscheidungszentrum bilden (vgl. zusammenfassend KochBaumgarten 2010, 254ff).

16 So sorgte doch etwa Heiner Geißlers Tätigkeit als Moderator bei den Streitigkeiten rund um den Bahnhofsneubau „Stuttgart 21" zumindest zwischenzeitig für Euphorie. Die Kontrahenten wurden zunächst an einen Tisch gebracht, Informationen wurden ausgetauscht, die Diskussionsteilnehmer konnten im Rahmen der Schlichtung ihre Meinungen artikulieren. Der Verweis auf Bildungs-, Sozialisations- und Artikulationsfunktion erscheint also auch mit Blick auf die Vermittler auf der Ebene der Themen- und Versammlungsöffentlichkeit nicht ganz abwegig. Deren bisher in der wissenschaftlichen Debatte eher stiefmütterlich behandelte Rolle könnte vor diesem Hintergrund ein spannendes Forschungsfeld abgeben, sollten die Vermittler in Zukunft etwa bei Entscheidungsfindungsprozessen zur Umsetzung von baulichen Großprojekten häufiger eine gewichtige Rolle spielen.

17 Ist nach Ralf Dahrendorf der Anteil aktiver Öffentlichkeit dabei außergewöhnlich hoch, deutet dies auf Störungen im politischen System hin: „Die demokratische Utopie der total aktivierten Öffentlichkeit ist als Entwurf zur Realisierung so totalitär wie alle Utopien; glücklicherweise ist sie auch ebenso unmöglich." (Dahrendorf 1993, 45)

18 Dieser Aspekt wird in der wissenschaftlichen Literatur zwar häufig benannt, muss aber wohl eingeschränkt werden: So ist die physische Präsenz etwa durch die Kommunikationsmöglichkeiten, die soziale Netzwerke wie Facebook bieten, mit Blick auf (virtuelle) Encounter-Öffentlichkeit nur noch bedingt als strukturelle Voraussetzung zu betrachten.

19 Vgl. Kapitel 3.2.

20 Vgl. Kapitel 2.2.1.4.

21 Natürlich gab und gibt es weiterhin kritische Stimmen, die eine tatsächliche Nutzung der Chancen, die das Internet für eine weiterführende Demokratisierung birgt, bemängeln (vgl. zusammenfassend Weber 2005, 99ff und Bucher 2009, 11ff). Dennoch ist man sich in der wissenschaftlichen Debatte hinsichtlich der grundlegenden Potentiale weitgehend einig.

22 So unterscheiden sie sich (1) auf einer Sozialdimension hinsichtlich Teilnehmerkreis und Handlungsrepertoire der Akteure, (2) auf einer Zeitdimension hinsichtlich Geschwindigkeit der Informationsverbreitung, Permanenz der Verbindung zwischen Sprechern und Publikum sowie Dauer der Speicherung, (3) auf einer Raumdimension hinsichtlich Reichweite und räumliche Disponibilität der Nutzung, (4) auf einer Zeichendimension hinsichtlich der Wahrnehmungskanäle, Formate und Zeichensysteme (vgl. Neuberger 2009, 25).

23 Der vielzitierte Aspekt der Sprechbarrieren könnte in Zukunft durch das Angebot an Übersetzungsdiensten immer weiter überwunden werden. Zur Zeit erscheinen die Resultate entsprechender Versuche stilistisch noch relativ hölzern.

24 Vgl. Kapitel 2.2.1.2.

25 Während sich die vorliegende Arbeit mit der Rolle der Öffentlichkeit in demokratischen Systemen widmet, kann dieser Vorteil des Internets insbesondere in solchen Gesellschaften von großem Wert sein, in denen die klassischen Massenmedien staatlich reglementiert werden.

26 Etwa durch Foren, Kommentarfunktionen und Chats.

27 Inwiefern entsprechende Möglichkeiten zu einer Demokratisierung der Binnenkommunikation etwa von Vereinen oder Gewerkschaften beitragen, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit letztlich nicht nachgegangen werden. Die Frage, ob räumliche Beschränkungen durch das Internet an Bedeutung verlieren, erscheint aber gerade mit Blick auf europäische Öffentlichkeit auf der Ebene der Themen-und Versammlungsöffentlichkeit äußerst spannend.

28 Diejüngsten Enthüllungen von teils als geheim eingestuften Dokumenten auf WikiLeaks können auch hier als Beispiel dienen. Die Rolle des Internets für die Konstitution von Öffentlichkeit sollte in Zukunft auch von den Fragen beeinflusst werden, die Timothy Garton Ash in diesem Zusammenhang aufwarf: „Wie ungezügelt soll die globale Presse- und Informationsfreiheit sein? Akzeptieren revolutionäre neue Medien wie WikiLeaks die Methoden der traditionellen Medien?" (Ash 2010)

29 Diese sind nicht zu verwechseln mit den Funktionen der Medien und ihrer Rolle im Politikprozess. Das besondere Verhältnis von Medien und Politik kann nach Sigrid Koch-Baumgarten als „wissenschaftliche Großbaustelle" (Koch-Baumgarten 2007, 9) beschrieben werden. Als Primärfunktion der Medien gilt die Herstellung von Öffentlichkeit, da dem Bürger der direkte Zugang etwa zu politischen Ereignissen aus räumlichen und zeitlichen Gründen oft verwehrt ist (vgl. Rössler 1998b, 205). Diese Öffentlichkeit wiederum hat dann Funktionen zu erfüllen, auf die im Folgenden verwiesen werden soll.

30 Auch wenn der Verweis auf die Öffentlichkeitsarena der Politik in der wissenschaftlichen Literatur zu den verschiedenen Öffentlichkeitsmodellen häufig nicht explizit erwähnt wird, beziehen sich die genannten normativen Ansprüche dennoch speziell auf dieses Forum: In anderen Arenen sind bestimmte Funktionen unter Umständen nicht wegzudenken oder spielen keine Rolle. So ist es etwa kaum vorstellbar, dass der wissenschaftlichen Öffentlichkeit die Validierungsfunktion abgesprochen wird. Andererseits spielt diese in der kulturellen Öffentlichkeit wohl eher eine untergeordnete Rolle.

31 Entsprechend gilt es auch in der wissenschaftlichen Debatte zu europäischer Öffentlichkeit zwischen Pessimisten (so etwa Jürgen Gerhards, Dieter Grimm, Peter Graf Kielmannsegg, Victor Perez-Diaz, Fritz Scharpf, Philipp Schlesinger) und Optimisten (so etwa Klaus Eder, Cathleen Kantner, Christoph O. Meyer, Marianne van de Steeg, Hans-Jörg Trenz) zu unterscheiden.

Ende der Leseprobe aus 119 Seiten

Details

Titel
Medien im europäischen Trilemma von Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Politikwissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
119
Katalognummer
V173074
ISBN (eBook)
9783640932344
ISBN (Buch)
9783640932573
Dateigröße
940 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäische Union, Medien, Internet, Demokratiedefizit, Legitimation, Globalisierung, Jürgen Habermas, Öffentlichkeit, Demokratietheorie, EU, Identität, Trilemma
Arbeit zitieren
Florian Doerr (Autor:in), 2011, Medien im europäischen Trilemma von Öffentlichkeits-, Identitäts- und Demokratiedefizit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173074

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