Das Rätsel der Großsteingräber

Die nordwestdeutsche Trichterbecher-Kultur


Fachbuch, 2011

139 Seiten


Leseprobe


Die Trichterbecher-Kultur

Unter dem Einfluss bäuerlicher Kulturen aus dem südlichen Mitteleuropa entstand in dem riesigen Gebiet zwischen der Ukraine und dem östlichen Holland die Trichterbecher-Kultur. Der Begriff Trichterbecher-Kultur wurde 1930 von dem polnischen Prähistoriker Konrad Jazdzewski (1908–1985) aus Lodz geprägt. Älter ist die Bezeichnung Trichterrandbecher, die schon vor dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) aufkam. Der Name der Kultur fußt auf dem charakteristischen mittelgroßen Gefäß mit trichterförmigem Hals, dem so genannten Trichterbecher.

Genaugenommen ist der Ausdruck Trichterbecher-Kultur ein Begriff, unter dem mehrere Kulturen zusammengefasst werden, für die der Besitz von Trichterbechern kennzeichnend ist.1 Deshalb spricht man auch von Trichterbecher-Kulturen und ordnet diesen verschiedene Zweige zu. Einer der ältesten davon ist die nordwestdeutsche Trichterbecher-Kultur, die von etwa 4.300 bis 3.000 v. Chr. in Schleswig-Holstein, im nördlichen Niedersachsen sowie in Mecklenburg-Vorpommern verbreitet war.

Die nordwestdeutsche Trichterbecher-Kultur lässt sich nach dem Fundgut in verschiedene Kulturgruppen gliedern. Die älteste davon ist die Rosenhof-Gruppe2 mit dem namengebenden Fundort Rosenhof bei Dahme (Kreis Ostholstein). Weitere Gruppen sind die Satrup-Gruppe3 (nach Satrup, Kreis Schleswig-Flensburg), die Fuchsberg-Gruppe4 (nach Fuchsberg bei Satrup, Kreis Schleswig-Flensburg), die Troldebjerg-Gruppe5 (nach Troldebjerg auf der dänischen Insel Langeland), die Klintebakken-Gruppe6 (nach Klintebakken in Dänemark) und die Curslack-Gruppe7 (nach Curslack bei Boberg, unweit von Hamburg).

Auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung (etwa um 3.400 v. Chr.) übernahmen die Menschen der Trichterbecher-Kultur die vermutlich in den Küstengebieten Westeuropa entstandenen monumentalen Großsteingräber (die so genannten Megalithgräber). Diese Großsteingräber sind demnach eine jüngere Erscheinung der Trichterbecher-Kultur.

Die nordwestdeutsche Trichterbecher-Kultur fiel teilweise noch in das Atlantikum, überwiegend dann jedoch ins Subboreal. Im Atlantikum (etwa 5.800 bis 3.800 v. Chr.) herrschte in Europa ein vom Wettergeschehen des Atlantischen Ozeans (daher der Name Atlantikum) bestimmtes niederschlagsreiches und warmes Klima. Damals dominierte der Eichenmischwald mit Eichen, Ahorn, Eschen, Linden um Ulmen. Um 3.800 v. Chr. folgte das Subboreal, das als eine Zeit des Übergangs gilt, in der in Europa gebietsweise Eichenmischwälder, aber auch Buchen-, Buchen-Tannen- oder reine Fichtenwälder wuchsen. In der Anfangszeit dieses Abschnittes, der bis 800 v. Chr. währte, setzte im nördlichen Europa der Rückgang der Ulmen ein.

Um 4.000 v. Chr. lag der Meeresspiegel im Nordseebereich etwa vier bis fünf Meter niedriger als heute und derjenige im Ostseebereich mehr als zwei Meter tiefer. Das niedersächsische Flachland wurde weithin von Eichenmischwäldern bedeckt, die je nach Bodenart unterschiedlich zusammengesetzt waren. Auf sandigen Böden wuchsen außer Eichen auch Birken und Ebereschen. Auf besseren Böden gediehen neben Eichen anspruchsvollere Laubwälder wie Linden, Ulmen und Ahorn, vereinzelt Buchen. Nadelhölzer spielten kaum eine Rolle.

Wie die Funde belegen, lebten im Dümmer, dem zweitgrößten See Niedersachsens, Hechte, Flussbarsche, Schleien, Flussaale, Kaulbarsche und Brachsen. An diesem See existierte auch eine artenreiche Vogelwelt. Es gab Haubentaucher, Krauskopfpelikane, Fischreiher, Rohrdommeln, Stock-, Schnatter- und Knäkenten, Gänsesäger mit einem sägeartig gezähnten Schnabel, Zwergsäger, Rotmilane, Habichte, Teich- und Blässhühner, Kiebitze, Kormorane, Störche, Höckerschwäne, Graugänse, Fisch- und Seeadler, Wanderfalken und Kraniche, die sich an diesem See nicht nur kurzweilig aufhielten. In den Wäldern Norddeutschlands lebten damals Auerochsen, Rothirsche, Elche, Wildschweine, Braunbären, Wildkatzen, Wölfe und Füchse. Viele Seen wurden von Bibern bewohnt.

Aus den Untersuchungen der menschlichen Skelettreste von Sorsum (Kreis Hildesheim) in Niedersachsen und anderen Gräbern aus dieser Zeit geht hervor, dass die männlichen Trichterbecher-Leute zwischen 1,68 und 1,75 Meter, die weiblichen maximal 1,65 Meter groß waren. Die in Sorsum und Bredelem (Kreis Goslar) in Niedersachsen bestatteten Menschen hatten relativ lange und hohe Hirnschädel, wie man sie heute in Deutschland nur noch selten sieht. Wegen der niedrigen Augenhöhlen wirkt das Gesicht jedoch trotzdem breit und derb. Die stark ausgeprägten Muskelmarken am Oberarm- und Oberschenkelknochen verweisen darauf, dass die Trichterbecher-Leute im Verhältnis zu ihrer Körpergröße merklich kräftiger als durchschnittliche jetzige Mitteleuropäer waren. Ungewöhnlich war auch, dass ihre oberen Schneidezähne nicht wie bei den heutigen Mitteleuropäern vor den unteren Schneidezähnen standen, sondern genau aufeinander passten. Dieses Merkmal wird Aufbiss oder Zangenbiss genannt.

Das Durchschnittsalter der in Sorsum beerdigten erwachsenen Männer der Trichterbecher-Kultur lag bei etwa 36 Jahren, das der erwachsenen Frauen bei etwa 34 Jahren. Dass die Lebenserwartung der Trichterbecher-Leute gering war, demonstrierten auch die Bestattungen im Großsteingrab von Alt Reddewitz auf der Ostseeinsel Rügen. Nur drei der insgesamt 17 dort zur letzten Ruhe gebetteten Menschen erreichte das Erwachsenenalter.

In Alt Reddewitz und an zahlreichen anderen Bestattungsplätzen konnte man an den Ober- und Unterkiefern mehrfach Spuren einer eitrigen Wurzelhautentzündung sowie an Kieferfragmenten Spuren entzündlicher Prozesse feststellen. Manche Extremitätenknochen sind an den Enden verkrümmt oder verdickt, was auf eine in der Jugend durchgemachte Rachitis hindeutet. An Wirbeln und Extremitätengelenken befanden sich Knochenwucherungen, die durch chronische oder infektiöse Arthritis entstanden waren. Vereinzelt beobachtete man am unteren Ende des Schienbeins die so genannte „Hockerfacette“ oder die Abknickung des Schienbeinkopfes nach hinten (Retroversion), die häufiges Hocken auf den Fersen verraten.

Mitunter konnten Anthropologen bei der Untersuchung von Bestattungen auch Unglücksfälle oder Überfälle nachweisen. So hatte sich ein auf der Insel Liepse im Krakower See (Kreis Güstrow) in Mecklenburg bestatteter Mensch zu Lebzeiten sämtliche Rippen und ein Bein gebrochen. Er muss zeitweise unter großen Schmerzen gelitten haben. Die gebrochenen Knochen sind wieder zusammengewachsen und der Betroffene hat den Unfall überlebt. Vermutlich ist er bis zu seiner Genesung gepflegt worden. Aus Henglarn (Kreis Paderborn) in Westfalen kennt man einen gut verlaufenen Unterkieferbruch.

In einigen Gräbern der nordwestdeutschen Trichterbecher-Kultur stieß man auf Männerschädel mit einer runden Öffnung auf dem Schädeldach, die von Schädeloperationen (Trepanationen) stammen. In diesen Fällen hatte ein Heilkundiger einem Verletzten, Schwerkranken oder Geisteskranken mit einem steinernen Werkzeug ein wenige Zentimeter großes Loch in den Schädelknochen geschabt. Diese „Chirurgen“ besaßen offenbar große Erfahrung, weil die meisten Operierten den gefährlichen Eingriff überstanden. Je eine Trepanation wurde in Sorsum, außerdem in Nebel auf der Nordseeinsel Amrum (Kreis Nordfriesland) und in Serrahn (Kreis Güstrow) in Mecklenburg nachgewiesen. Aus Sorsum kennt man auch einen Frauenschädel mit einer Fraktur, die operativ behandelt worden ist.

Die Trichterbecher-Leute waren sesshafte Ackerbauern und Viehzüchter, die neben Landschaften mit fruchtbaren Böden auch weniger ertragreiche Gebiete besiedelten. Die meisten, größten und reichsten Siedlungen befanden sich jedoch in Landstrichen, die sich besonders gut für den Ackerbau eigneten. Neben unbefestigten Siedlungen gab es auch befestigte auf Anhöhen oder vom Wasser umgebenen Gelände, die mit Gräben, Wällen und Palisaden geschützt wurden. Solche „Burgen“ gab es auch in anderen Kulturen der Jungsteinzeit. Bei der Wahl eines Siedlungsstandortes wusste man häufig die Nähe eines Gewässers – Bach, Fluss oder See – zu schätzen.

So lag das so genannte Huntedorf bei Lembrock (Kreis Grafschaft Diepholz) in Niedersachsen am Ufer des Flusses Hunte unweit des Dümmer. Diese Siedlung wurde 1938 bis 1941 durch den Berliner Prähistoriker Hans Reinerth (1900–1990) ausgegraben und nach dem Fluss, an dem sie sich einst erstreckte, als Hunte 1 bezeichnet. Angeblich sollen dort dicht beieinander etwa 40 Häuser gestanden haben. Diese hohe Zahl sowie andere Befunde werden heute bezweifelt, da bei den Ausgrabungen Funde aus verschiedenen Zeiten nicht oder unzureichend auseinandergehalten wurden. Wahrscheinlich stammen nur vier Häuser aus der Jungsteinzeit.

Eine weitere Siedlung am Dümmer hatte man direkt am Südufer dieses Sees errichtet. Die Reste davon wurden von 1961 bis 1977 bei mehreren Ausgrabungen durch den Prähistoriker Jürgen Deichmüller aus Hannover untersucht, der feststellte, dass auf diesem Platz schon Angehörige der Ertebölle-Ellerbek-Kultur (etwa 5.000 bis 4.300 v. Chr.) gewohnt hatten. Jene Kultur ist nach den Fundorten Ertebölle im Limfjord bei Aalborg in Dänemark und Kiel-Ellerbek auf dem Ostufer der Kieler Förde in Schlewig-Holstein benannt.

Im Brennermoor bei Oldesloe (Kreis Stormarn), Heidmoor (Kreis Segeberg) und im Satruper Moor (Kreis Schleswig-Flensburg) – alle in Schleswig-Holstein gelegen – entdeckte man Siedlungen der Trichterbecher-Kultur auf kleinen Anhöhen im Moor. Die Dörfer im Brennermoor und im Heidmoor sind an einem kleinen See bzw. einem Wasserlauf angelegt worden. Zur Siedlung auf dem Fuchsberg im Satruper Moor gehörte ein Teich von etwa 32 x 12 Meter Größe.

Die Bewohner der Siedlung auf der 40 x 30 Meter großen Erhebung im Heidmoor konnten inmitten des sumpfigen, mit Schilf bewachsenen Gebietes weder Ackerbau noch Viehzucht betreiben. Die Äcker und Viehweiden dürften daher in einer Entfernung von etwa einem Kilometer auf dem festen Land gelegen haben.

Zu den auf Anhöhen errichteten Siedlungen der Trichterbecher-Leute gehören auch zwei Siedlungen auf dem nur 77 Meter hohen Lührsberg bei Dohnsen (Kreis Celle) in Niedersachsen. Eine davon lag am südöstlichen Rand des Lührsberges in der Gemarkung Beckedorf, die andere etwa 150 Meter davon entfernt auf dem südwestlichen Teil des Berges in der Gemarkung Dohnsen. Letztere wurde 1936 durch den Landwirt und Heimatforscher Hans Piesker (1894–1977) untersucht, wobei er Pfostengruben und Siedlungsspuren entdeckte.

Vielleicht befand sich auch am Fuße des Eisenberges bei Hassel südöstlich von St. Ingbert (Saar-Pfalz-Kreis) im Saarland eine Siedlung der Trichterbecher-Leute. Allerdings liegt dieser Platz, auf dem der Heimatforscher Jakob Bauer (1895–1977) einige Keramikreste der Trichterbecher-Kultur auslas, weit außerhalb des Verbreitungsgebietes dieser Kultur. Untersucht wurde diese Fundstelle 1978 durch den Saarbrückener Prähistoriker Jan Lichardus.

Dass die Trichterbecher-Leute auf Anhöhen sogar stark befestigte Siedlungen erbauten, demonstriert vor allem die Ansiedlung von Büdelsdorf8 (Kreis Rendsburg-Eckernförde) in Schleswig-Holstein. Diese befestigte Anlage wurde auf einer Anhöhe errichtet, die in einer Flussschlinge der Eider liegt. Der von Wasser umgebene Felssporn fällt auf drei Seiten bis zu 20 Meter steil ab. Auf der vierten, weder durch einen Steilhang noch durch Wasser geschützten Seite wurde der Zugang mit vier Gräben von 300 Meter Länge, bis zu 4 Meter Breite und maximal 2 Meter Tiefe geschützt. Hinter jedem dieser Gräben bildete eine Palisade ein weiteres Hindernis. Die Gräben und die Palisaden wurden durch zahlreiche Durchlässe unterbrochen. Dieses tief gestaffelte, unter großem Arbeitsaufwand geschaffene Befestigungssystem verweist darauf, dass man mit Überfällen rechnen musste. Nach den Keramikfunden wird die befestigte Siedlung von Büdelsdorf in die Troldebjerg-Gruppe datiert.

Reste einer Befestigungsanlage kennt man auch von Walstorf (Kreis Uelzen) in Niedersachsen.

Die bisher bekannten Hausgrundrisse aus den Siedlungen der Trichterbecher-Kultur in Deutschland stammen von Gebäuden mit einer Länge bis zu 16 Metern, die meist in mehrere Räume aufgeteilt waren.

Einen vom Üblichen abweichenden Grundriss besaß ein Haus auf dem Schwarzen Berg bei Wittenwater9 (Kreis Uelzen) in Niedersachsen. Dieses 15,60 Meter lange und 6 Meter breite Gebäude war im Gegensatz zu den meisten Häusern der Trichterbecher-Kultur an beiden Schmalseiten bogenförmig gestaltet. Das Innere wurde durch querlaufende Pfostenreihen zweimal unterteilt. Es gab also insgesamt drei Räume, von denen der mittlere mit einer Herdstelle ausgestattet war. Etwa einen Meter südlich des Hauses stieß man auf vier Pfostengruben, die ein Quadrat von jeweils 1,60 Meter Seitenlänge bildeten und einen Mittelpfosten umgaben. Vielleicht handelte es sich hierbei um einen Getreidespeicher. Etwa fünf Meter davon entfernt wies man zwei weitere Pfostengruben mit einem Abstand von 1,20 Meter nach, zwischen denen ein beschädigter Mahlstein zum Vorschein kam. Eventuell dienten diese Pfosten als Teil eines Regen- oder Windschutzes, unter dem man Getreide mahlte. Die Keramikreste dieser Siedlung stammen aus der Curslack-Gruppe.

Zu der bereits erwähnten zweiten Siedlung auf dem Lührsberg bei Dohnsen gehörten mehrere rechteckige Häuser, die häufig an einer Schmalseite eine Vorhalle besaßen. Letztere ließ man an drei Seiten offen. Die Längswände von Haus I waren einschließlich des Vorraums 5,90 Meter lang, während die Breitseiten bzw. Giebelwände bis zu 4,50 Meter erreichten. Sämtliche Wände wurden aus Flechtwerk zwischen den Pfosten gebildet, das man mit Lehm bewarf. Die Innenräume hatte man 0,80 Meter bis 1,40 Meter in den Boden eingetieft. An den Wänden blieb eine Erdbank als Sitz- und Schlafgelegenheit stehen. Gekocht und gebraten wurde an Herdstellen, die man mit Steinen einfasste.

Manche Siedlungen der nordwestdeutschen Trichterbecher-Kultur lagen in Meeresnähe. So befanden sich beispielsweise auf der damals von Mooren und Bächen umgebenen Halbinsel von Flögeln10 (Kreis Cuxhaven) in Niedersachsen gleich zwei Siedlungen. Eine davon schloss sich dem auf der Höhe der Halbinsel angelegten kleinen Flachgräberfeld an. Von dieser Siedlung zeugen jedoch nur noch wenige schwach erkennbare Pfostenlöcher. Aufschlussreicher sind dagegen die etwa 250 Meter nordöstlich davon im Bachtal „Im Örtjen“ entdeckten Pfostenlöcher. Sie gehören zu einem 12,75 Meter langen und 4,80 Meter breiten Hausgrundriss. Das betreffende Gebäude umfasste vermutlich vier Räume. Als tragendes Element fungierten Doppelpfosten entlang der Mittelachse. Der Flögelner Hausgrundriss stammte von einem Einzelgehöft.

Am Meer lag auch die Siedlung von Neukirchen11 (Kreis Schleswig-Flensburg) in Schleswig-Holstein. Man hatte sie auf der in die Ostsee ragenden Halbinsel Bostolm errichtet. Unter anderem entdeckte man dort gebrannten Hüttenlehm, der von lehmverstrichenen Hauswänden stammen dürfte.

Neben Grundrissen von Wohnhäusern hat man manchmal die von Wirtschaftsgebäuden nachweisen können, in denen einst unterschiedliche Arbeiten erledigt wurden. Als Teil eines derartigen Wirtschaftsgebäudes wird beispielsweise eine unregelmäßig-trapezförmige Grube mit drei bis vier Meter Durchmesser in den „Schwarzen Bergen“ bei Ralswiek12 auf der Ostseeinsel Rügen gedeutet. Darin gab es eine ovale Feuerstelle von einem Meter Durchmesser sowie Keramik und Steingeräte.

Mehr oder minder aussagekräftige Siedlungsspuren dieser Zeit kennt man auch aus Mitteldeutschland. Hierzu zählen unter anderem die Pfostenbauten von Flötz13 (Kreis Zerbst) in Sachsen-Anhalt sowie Pfostenlöcher in der Altmark und in den Magdeburger Gegend. Neben Hausgrundrissen oder Teilen davon zeugen Keramik, Feuersteingeräte, Knochengeräte und Knochen von Haustieren von ehemaligen Siedlungen. Solche Hinterlassenschaften hat man in Glasow14 (Kreis Pasewalk) in Mecklenburg geborgen.

In der Siedlung Hüde 1 am Dümmer in Niedersachsen erlegte man mit Pfeil und Bogen vor allem Biber, daneben aber auch Wolf, Fuchs, Bär, Dachs, Otter, Marder, Wildkatze, Wildpferd, Wildschwein, Reh und Rothirsch. Die Leute aus der binnenländischen Siedlung im Heidmoor, die mehr als 40 Kilometer vom Meer entfernt ist, jagten die in der Lübecker Bucht vorkommenden Seehunde. Die Menschen aus der Siedlung Fuchsberg erlegten unter anderem Rothirsche, Wildschweine, Auerochsen, Rehe, Wildpferde, Biber und Wildkatzen. An anderen Fundorten entdeckte man Jagdbeutereste vom Elch und von Wasservögeln.

Die in Hüde I am Dümmer lebenden Trichterbecher-Leute wussten den Fischreichtum des nahen Sees zu schätzen. Darauf deuten Fischgräten und Kopfreste bestimmter Fischarten hin. Ein in dieser Siedlung geborgenes Bündel von Ruten war vielleicht für die Herstellung von Fischreusen bestimmt. Fischfang wird auch durch Fragmente von Aalstechern aus der Siedlung Siggeneben-Süd südlich von Oldenburg (Kreis Ostholstein) an der Ostseeküste belegt.

In der vorhergehenden Ertebölle-Ellerbek-Kultur waren Wildbret und Fische noch die Hauptgrundlage der Ernährung gewesen, während Getreide und das Fleisch der Haustiere nur als zusätzliche Nahrung dienten. In der nordwestdeutschen Trichterbecher-Kultur war es umgekehrt. Nun ernährte man sich hauptsächlich von den Erträgen des Ackerbaus und der Viehzucht und ging nur noch gelegentlich auf die Jagd oder zum Fischen. Die Trichterbecher-Kultur gilt deshalb im nördlichen Norddeutschland, in Mecklenburg sowie in Dänemark und Südschweden als erste jungsteinzeitliche Kultur.

Ackerbau ist durch den Nachweis von Getreidepollen in Fundschichten, verkohlte Getreidekörner aus Siedlungen und Gräbern, Abdrücke von Getreidekörnern in Tongefäßen, Pflugspuren und Funde trogförmiger Mahlsteine sicher belegt. In Norddeutschland wurden Einkorn, Emmer, Zwergweizen, Nacktgerste, vierzeilige Spelzgerste und als Ölpflanze auch Lein angebaut. Verkohlte Reste von Emmer und Nacktgerste hat man unter anderem in der schon erwähnten Siedlung von Flögeln („Im Örtjen“) gefunden.

Die Äcker wurden auf gerodeten Flächen angelegt. Die Bäume der Eichenmischwälder fällte man mit Feuersteinbeilen oder durch Brandrodung. Experimente zeigten, dass ein einziger Mann mit Hilfe eines Steinbeiles pro Woche etwa 0,2 Hektar urbar machen konnte. Die Äcker der Trichterbecher-Leute waren jedoch nicht mit den heutigen vergleichbar. Nach dem Fällen der Bäume blieben die Baumstümpfe und -wurzeln im Boden. Zwischen diesen wurde gesät und geerntet.

Pflugspuren unter Gräbern der Trichterbecher-Kultur in Steneng bei Tøndern in Südjütland (Dänemark), in Lundehøj auf der Insel Møn (ebenfalls Dänemark), in Sarnowo bei Wloclawek (Polen) und in Zandwerven (Holland) beweisen die Verwendung des Hakenpfluges. Mit diesem Ackerbaugerät, vor das man vermutlich Rinder spannte, ließ sich der Boden aufreißen, jedoch nicht wenden. Die Furchen dienten dazu, das Saatgut aufzunehmen, das sonst vom Wind weggeweht und von den Vögeln gefressen worden wäre.

Zur Ernte wurden Feuersteinsicheln benutzt, zum Zerquetschen der Getreidekörner verwendete man Mahlsteine. Durch den Ackerbau wurde im Verbreitungsgebiet der nordwestdeutschen Trichterbecher-Kultur teilweise die Zusammensetzung der Pflanzenwelt verändert. So konnten sich beispielsweise bestimmte Ackerunkräuter aus dem Südosten Europas ausbreiten. Im Laufe der Zeit gelangten außerdem zahlreiche neue Pflanzenarten nach Mitteleuropa, die vorher in den Laubwäldern nicht hatten existieren können.

Die Menschen der Trichterbecher-Kultur hielten Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Hunde und vielleicht auch schon Pferde als Haustiere. In der Siedlung auf dem Fuchsberg stammen 84,8 Prozent der dort gefundenen Knochen von Haustieren und nur 15,2 Prozent von Wildtieren. Auf einigen anderen Fundplätzen lag der Anteil an Wildtieren jedoch etwas höher. Auf dem Fuchsberg sind Rind, Schwein, Ziege und Hund als Haustier belegt, in Hüde I am Dümmer Rind, Schwein und Hund. In einem Flachgrab von Ostorf (Kreis Schwerin) in Mecklenburg kam ein Pferdezahn zum Vorschein.

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Ende der Leseprobe aus 139 Seiten

Details

Titel
Das Rätsel der Großsteingräber
Untertitel
Die nordwestdeutsche Trichterbecher-Kultur
Autor
Jahr
2011
Seiten
139
Katalognummer
V177043
ISBN (eBook)
9783640987603
ISBN (Buch)
9783640987573
Dateigröße
17574 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
rätsel, großsteingräber, trichterbecher-kultur
Arbeit zitieren
Ernst Probst (Autor:in), 2011, Das Rätsel der Großsteingräber, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177043

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