Vom Lauinger Stadtphysikus zum kaiserlichen Leibarzt

Der Alchimist Martin Ruland der Jüngere


Essay, 2011

12 Seiten


Leseprobe


Vom Lauinger Stadtphysikus zum kaiserlichen Leibarzt

– der Alchimist Martin Ruland der Jüngere

Felicitas Söhner

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Ärzte Vater und Sohn Ruland zählen zu den berühmtesten Ärzten des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Tatsache, dass beide auf den Namen Martin getauft sind, macht deren Unterscheidung manchmal extrem schwierig. Die ursprünglich aus Freising stammende Familie hat aber auch Wurzeln, die in das seinerzeit ungarische Pressburg zurückreichen.

Schon im Jahr 1561 erscheint der Vater Ruland als Taufpate in der Lauinger Taufmatrikel[1]. Er stellte schon sehr früh seine Kunst in den Dienst des Fürstlichen Kollegiums in Lauingen. Zuerst Badearzt in Giengen, war er ab 1564 als Stadtphysikus des Pfalzgrafen Philipp Ludwig[2], einem überzeugten Lutheraner, in Lauingen tätig. Zudem lehrte er als Professor publicus am Lauinger Gymnasium Physik und griechische Sprache. “Die beste Voraussetzung für den Arztberuf sieht er in einer umfassenden Bildung. Dem Arzt eines sterngläubigen Jahrhunderts erscheint es wünschenswert, daß der Arzt nebenbei auch Astronom und Astrolog ist, obwohl er andererseits weiß, daß Krankheit und Heilung göttliche Schickung ist.“[3] Ruland der Ältere, ein bekannter Anhänger von Paracelsus[4], beteiligte sich rege an der öffentlichen theologischen Debatte seiner Zeit. Er hat neben mehreren Wörterbüchern eine Reihe medizinischer Schriften veröffentlicht, welche bis in die Moderne hinein für Medizin, insbesondere auf dem Gebiet der Balneologie, wichtig waren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Am 3. Februar 1602 starb Vater Ruland im Alter von 70 Jahren. Durch Zufall sind Bruchstücke seines Lauinger Grabsteines erhalten geblieben, wie es der Lokalhistoriker Mayer in seiner Stadtchronik festhielt: „Als im Jahre 1862 eine Restauration des Pfarrkirchenthurmes Statt hatte, und von dem obersten Gesimse des Thurmes unterhalb des Kranzes die schadhaften Steine herabgeworfen wurden, fanden sich unter diesen auch drei Bruchstücke aus schönem rothen Marmor. Auf denselben ließen sich deutlich eingemeißelte Figuren und Worte sehen und zwar auf einem dieser Steine ein vollkommen gut erhaltenes Wappen mit einem stehenden Löwen, der ein Beil hält, links von demselben ein gebarteter Mann, um dessen Arm sich eine Schlange windet. (…) Von der Um- und Inschrift war noch zu lesen:

… TVSLVX Obdormivit Martin (Rula)ndum

Pater D, Medicus Palatinus,

CI(I)CII hora II. ante L(ucem)

De vita rogitas? Docuit, scr … (scripsit)

fecit et ad superum devener …

Syncere et solide ardenterque

Sic qui vixit hum, non moritur.“[5]

Lauingen war für den Sitz einer Landesschule gut geeignet, da es an der Donau, einer wichtigen Verkehrsader, lag. Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts bestanden in Lauingen eine Lateinische sowie eine Deutsche Schule. Die drei lateinischen und deutschen Schuldiener wurden vom Rat der Stadt besoldet. Aus den vorliegenden Quellen kann man als Gründungsjahr des ‚Gymnasium illustre’, dem heutigen Albertus-Gymnasium, das Jahr 1561 annehmen, der Unterrichtsbeginn lag wahrscheinlich ein Jahr später 1562[6]. „Sicherlich haben alle die Menschen, die damals der Fürstlichen Schule dienten, sich redlich bemüht, ihr Bestes zu geben. Dies mag umso mehr der Fall gewesen sein, als seit 1563/64 die Universität der Nachbarstadt Dillingen der Gesellschaft Jesu anvertraut worden war. So ergab sich ganz von selbst ein Wettbewerb, in den die Protestanten des Fürstentums Neuburg mit den geistigen Wortführern des Hochstifts Augsburg traten.“[7]

Martin Ruland der Jüngere wurde am 11. November 1569 in Lauingen geboren. Seine Mutter Anna war eine Tochter des Lauinger Ratsherrn Simon Mair, wie sich den Angaben von Ruland d. Ä. entnehmen lässt[8]. Martin Ruland und seine vier Brüder studierten alle Medizin. Sein nachgeborener Bruder Andreas[9] war ab 1604 als Stadtphysikus in Regensburg tätig, der jüngere Bruder Johann[10] in derselben Stellung zu Pressburg, dem heutigen Bratislava in Slowakei. Von Otto Heinrich, der ebenfalls die medizinische Laufbahn einschlug, ist lediglich das Todesjahr überliefert[11]. Der jüngste Valentin war Leibarzt des Pfalzgrafen zu Neuburg und stand mit seinem älteren Bruder Martin in engem Kontakt mit dem größten deutschen Wundarzt seiner Zeit, Wilhelm Fabry von Hilden[12].

Nach dem Besuch des Gymnasium illustre, an welchem Ruland der Jüngere[13] sich durch hervorragende schulische Leistungen hervortat, wurde er im Alter von 14 Jahren am 13. September 1583 an der Universität Tübingen immatrikuliert. Die Epigramme des Michael Fendius[14] auf das ‚Collegium Lauinganum’ erwähnen Ruland als einen der besten Schüler [15] . Nach weiteren Studien in Jena (1590) und Basel promovierte Ruland dort am 14. November 1592 zum Dr. med.

In den 1590er Jahren wirkte er als Stadtphysikus in Regensburg und unterstützte in dieser Zeit seinen Vater bei der Herausgabe einiger Bände von dessen Schrift ‚Curationum Centuriae[16] ’. 1594 heiratete er Benigna, die Tochter des Johann Diemer[17], einem Advokat und Ratsherrn in Regensburg. Aus dieser Ehe gingen 13 Kinder hervor, von denen 1611 noch acht am Leben waren. Einer seiner Söhne Johann David[18] wurde später Medikus in Namslau, dem heutigen Namyslów in Oberschlesien.

Ein für die frühneuzeitliche epileptologische Literatur wichtiges Werk veröffentlichte Martin Ruland im Jahr 1597. In diesem berichtet er von einem „zehnjährigen Jungen, der an kurz dauernden Halbseitenanfällen mit Beteiligung des Gesichts und mit einer Sprechhemmung litt. Sie traten vorerst sowohl während des Tages als auch in der Nacht auf, sind aber dann nach kurzer Zeit völlig verschwunden, ohne in eine schwerere Form von Epilepsie zu übergehen.“[19] Es handelt sich hier um eine der frühesten Beschreibungen benigner Kinderepilepsie.

Als Alchemist propagierte Ruland wie Kepler und Paracelsus die Heilwirkung der spagyrischen Medizin, damit gehörte er zur ‚secta chymicorum’, welcher die Naturwissenschaft einen Teil der chemischen Grundlagen verdankt. Die in Regensburg nach dem Vorbild seines Vaters angewandten chemiatrischen Heilverfahren, über welche er seit 1595 in einigen Veröffentlichungen in teilweise polemischer Weise schrieb[20], führten um 1606 zum Vorwurf gegen ihn, er verwende giftige Medikamente. Gleichzeitig brachten sie dem Medikus auch die Gunst des Erzherzogs Matthias[21] ein, welchen Ruland d. J. während des Reichstags 1603 zu Regensburg auf diese Weise behandelte. Wahrscheinlich dank dieser Verbindung wurde er nach Prag an die Habsburgische Residenz von Kaiser Rudolf II.[22] berufen, wo er ab 1607 als Hofmedikus und seit Ende 1608 als Leibarzt in dessen Dienste trat. Hier unterzeichnete er als „Phil[osophiae] et Med[icinae] D[octor] & Caesar[eae] Maiest[atis] Personae S[uae] Sac[ratissimae] Medicus et a cubiculo chymiatrus“[23]. Mit Rudolph II., einem der wichtigsten Förderer der höfischen Alchemie, erreichte das alchemistische Treiben im Heil. Röm. Reich seinen Höhepunkt. Es zeichnete sich durch eine intensive, persönliche Teilnahme des Kaisers aus, weswegen dieser von seinen Zeitgenossen auch der deutsche „ Hermes Trismegistos“[24] genannt wurde[25].

Im Jahre 1607 hat Martin Ruland eine Arbeit in drei Teilen veröffentlicht, welche sich chemischen Problemen widmete und dem wahren Weg zum Stein der Weisen. Dieses Werk wurde manchmal irrtümlich seinem Vater, Martin Ruland dem Älteren, zugeschrieben. Dessen Widmung, in Regensburg auf den 10. Mai 1606 datiert, ist mit ‚Martinus Rulandt’ unterzeichnet. Von den drei Teilen behandelt der erste 64 Krankheiten und deren Behandlung mit chemischen Heilmitteln. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Chemischen Frage und weiteren Behandlungsmöglichkeiten, der von 65 bis 91 nummerierten Leiden. Teil drei enthält zwei Abhandlungen über den Stein der Weisen, von jeweils zwanzig beziehungsweise zwölf Kapiteln.

[...]


[1] Pfarrarchiv Lauingen, Taufmatrikel, 18. November 1561, Herr Martinus Rulandt.

[2] 1547 – 1614, Regierungszeit ab 1569

[3] Ludwig, Gernot (1964) Zur Geschichte der Fürstlichen Schule des „Gymnasium illustre“ in Lauingen, in: Deutsches Gymnasium Lauingen/Donau, Jahresbericht 1964, S.37ff.

[4] 1493 – 1541, auch: Theophrastus Bombastus von Hohenheim, Begründer der chemischen Medizin

[5] Mayer, Bernhard (1866) Geschichte der Stadt Lauingen. mit einer lithographirten Ansicht der Stadt und zwei Kupferabdrücken: das Schloss und die Pfarrkirche im Jahre 1604, Selbstverlag, Lauingen. S.310f.

[6] Vgl. Ludwig, Geschichte der Fürstlichen Schule, S.34f.

[7] Ludwig, Geschichte der Fürstlichen Schule, S.39

[8] Prudentißimi, uiri et senatoris Lauingani, Simonis Mair, soceri mei charißimi uxor relicta uidua annos sexaginta quatuor nata cum esset, febri ardentißima corripiebatur... (Rulandus, Martinus (1595) Curationum empiricarum et historicarum in certis locis et notis Hominibus optimè retique probaratum et expertarum Centuria X., Basilea (Basel), S.124f., Curatio 76 (fälschlich als 77 numeriert)

[9] 1575 – 1638

[10] 1585 – 1648

[11] Vgl. Hirsch, August (1932) Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, 2. Aufl., 4. Band, Berlin/Wien.

[12] 1560 – 1634, Begründer der wissenschaftlichen Chirurgie; Vgl. Henschel, August Wilhelm Eduard Theodor (Hg.) (1848) Janus. Zeitschrift für Geschichte u. Litteratur der Medicin in Verbindung mit mehreren Gelehrten des In- und Auslandes, Band 3, Heft 2, Verlag Trewendt, Breslau. S.240f.

[13] auch Martinus Rulandus oder Martin Rulandt

[14] 1553 – 1625, Professor zu Lauingen

[15] Fendius, Michael (1587) Collegium Lauinganum, Epigrammaton Liber, Lavingae, S.36

[16] Basel 1578 – 1596

[17] 1538 – 1613

[18] 1605 – 1648

[19] Fröscher, Walter/Vassella, Franco/Hufnagel, Andreas (Hg.) (2004) Die Epilepsien: Grundlagen, Klinik, Behandlung, 2. Aufl., Verlag Schattauer, Stuttgart. S.3

[20] In seinem ‚Propugnaculum’ betonte Ruland, dass Feuer das wichtigste Werkzeug des Chemikers sei, da es die Prozesse der Natur künstlich und rasch imitieren könne.

[21] 1557 – 1619, Kaiser des Heil. Röm. Reiches (1612 – 1619) und Erzherzog von Österreich

[22] 1552 – 1612, Kaiser des Heil. Röm. Reiches (1576 – 1612) und Erzherzog von Österreich

[23] Die meisten Leibärzte des Herrschers waren gleichzeitig Alchemisten, wie Michael Maier aus Rendsburg (1569 – 1622), Anselmus Boetius de Boodt aus Brügge (1550 – 1632), der Prager Thaddaeus Hagecius ab Hayek (1525 – 1600) und eben Martin Ruland.

[24] Verschmelzung des griech. Gottes Hermes und des ägypt. Gottes Thot

[25] Vgl. Bauer, Alexander (1893) Die Adelsdocumente oesterreichischer Alchemisten und Abbildungen einiger Medaillen alchemistischen Ursprungs, Verlag Hölder, Wien. S.15f.

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Details

Titel
Vom Lauinger Stadtphysikus zum kaiserlichen Leibarzt
Untertitel
Der Alchimist Martin Ruland der Jüngere
Hochschule
FernUniversität Hagen
Autor
Jahr
2011
Seiten
12
Katalognummer
V181010
ISBN (eBook)
9783656037309
ISBN (Buch)
9783656037750
Dateigröße
12317 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
lauingen, regensburg, prag, alchemie, ruland, alchimist, leibarzt, medizin, frühe neuzeit, Rudolf II., habsburg, neuburg, pfalz, paracelsus, kepler
Arbeit zitieren
Felicitas Söhner (Autor:in), 2011, Vom Lauinger Stadtphysikus zum kaiserlichen Leibarzt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/181010

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