Spiritualität im jungen Erwachsenenalter

Subjektive Spiritualitätskonzepte und spirituelle Ausdrucksformen junger Erwachsener


Diplomarbeit, 2011

115 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. abstract

THEORETISCHER TEIL

2. Einleitung

3. spirituelles erleben und religiöser glaube
3.1. Spiritualität vs. Religiosität
3.2. Komponenten einer spirituellen Lebensführung

4. spirituelle ausdrucksformen
4.1. Spiritualität und Wohlbefinden
4.1.1. Gesundheit
4.1.2. Das Glücksempfinden
4.2. Spiritualität als inneres und soziales Engagement
4.2.1. Verbunden- und Eins-Sein
4.2.2. Vergebung
4.2.3. Dankbarkeit
4.2.4. Altruismus undEthik
4.3. Spiritualität und kritische Lebensereignisse
4.3.1. Critical Life Events
4.3.2. „Sinn"-volle Bewältigung

5. Spiritualität im jungen erwachsenenalter
5.1. Entwicklung im jungen Erwachsenenalter
5.2. Spirituelle Reifung

6. Zusammenfassung

EMPIRISCHER TEIL

7. Spezifizierung und Begründung der Fragestellung so

8. empirische basis und methodischer ansatz
8.1. Zusammenstellung des Fragebogens
8.1.1. DieSkala Wohlbefinden und Glück
8.1.2. Die Skala Inneres und Soziales Engagement
8.1.3. Die Skala Bewältigung von Problemsituationen
8.1.4. Die Skala Spiritualität
8.2. DurchführungderBefragung
8.3. Stichprobe

9. Auswertung
9.1. Datenaufbereitung und Gruppeneinteilung
9.2. Analysen
9.2.1. Reliabilitätsanalysen
9.2.2. t-Test
9.2.3. Häufigkeitsanalysen und Kreuztabellen
9.2.4. Chi-Quadrat-Test
9.2.5. Clusteranalyse
9.3. Ergebnisse

10. diskussion und Ausblick

11. resümee

12. literatúr ıoo

13. Abbildungsverzeichnis

14. Tabellenverzeichnis

15. Anhang

1. abstract

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Spiritualität junger Erwachsener und versucht zu klären, wie diese spirituellen Handlungs- und Denkweisen in den Alltag der Personen einwirken und ob sich diese Prozesse bewusst oder doch eher unbewusst gestalten. Nachdem in einem theoretischen Teil Begriffe definiert, spirituelle Bereiche des Alltagsleben beschrieben werden sowie die Phase des jungen Erwachsenenalters als Zeit des Wandels diskutiert wird, soll der anschließenden empirischen Teil klären, welche subjektiven Definitionen junge Erwachsene zum Begriff „Spiritualität" haben, welche spirituellen Elemente in ihrem Leben zum Vorschein kommen und wie sie sich hinsichtlich ihrer Spiritualität einschätzen. Dazu wurde ein multidimensionaler Fragebogen an 157 Probanden im Alter zwischen 18 und 32 Jahren verteilt. Die Stichprobe wurde in zwei Gruppen geteilt und miteinander verglichen. Zum einen soll jene Gruppe untersucht werden, welche sich selbst als spirituell bezeichnet und zum anderen jene Gruppe, welche dies nicht tut.

Es wird vermutet, dass junge Erwachsene, die sich nicht als spirituell einschätzen, trotzdem spirituelle Verhaltens- und Denkweisen zeigen. Spirituelle junge Erwachsene dürften allerdings vermehrt diese Denk- und Verhaltensweisen in ihren Alltag integrieren. Zudem wird angenommen, dass spirituelle junge Erwachsene eher zu einer Definition von Spiritualität im Sinne von Verbundenheit, Sinnsuche und Reifung tendieren, während nicht-spirituelle junge Erwachsenen ihre Sichtweise von Spiritualität eher an Religion, Esoterik und Aberglauben orientieren. Die gestellten Hypothesen werden mittels t-Test, Häufigkeitsanalysen, Chi-Quadrat-Test sowie Kreuztabellen überprüft. Zusätzlich soll mit einer Clusteranalyse untersucht werden, ob sich in den Spiritualitätsdefinitionen der Probanden Antwortmuster verstecken. Die Analysen konnten die Hypothesen bestätigen. Die detaillierten Ergebnisse werden in den empirischen Abschnitten erläutert und veranschaulicht.

Wenn in der folgenden Arbeit Begriffe und Formulierungen in der männlichen Form verwendet werden, so sind männliche und weibliche Personen darunter zu verstehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2. Einleitung

Die nachfolgenden theoretischen Ausführungen sollen als Grundlage für meine anschließende empirische Untersuchung dienen und zugleich einen Überblick über die wichtigsten Forschungsergebnisse zum Thema Spiritualität und dem jungen Erwachsenenalter liefern.

Spiritualität ist ein sehr umfassender Begriff und es scheint schwierig, eine allgemeingültige Definition zu finden, wie die nachfolgenden Darstellungen noch zeigen werden. Viele Erklärungen sind zu unzureichend und unklar, um sie innerhalb einer wissenschaftlichen Betrachtung verwenden zu können (Grom, 2009; Ostermann & Büssing, 2007; Bucher, 2007; Frick, 2002). Deshalb sollen in meinen theoretischen Überlegungen zunächst verschiedene Begriffsbestimmungen von Spiritualität diskutiert werden. Sehr häufig wird der Begriff synonym mit Religiosität verwendet. Da dies aber eine zu einfache und ungenügende Definition ist, werden auch Unterschiede und Überschneidungen der beiden Konstrukte herausgearbeitet.

Zudem soll geklärt werden, welche Elemente eine spirituelle Lebensführung und Denkweise auszeichnen, und in welchen Bereichen Spiritualität in der Lage ist, eine förderliche Wirkung auf den Menschen, sein Verhalten, seine Gesundheit und seine Lebensweise auszuüben.

Im Hauptteil meiner Arbeit werden schließlich verschiedene Verhaltens- und Denkweisen untersucht, welche eine spirituelle Lebensführung auszeichnen. Dafür werden die Variablen Wohlbefinden, Gesundheit, Glück, Verbundenheit, Vergebung, Dankbarkeit, Altruismus und die sinnhafte Bewältigung von kritischen Lebensereignissen im Zusammenhang mit Spiritualität näher untersucht. Dieses Kapitel legt den Grundstein für meine spätere empirische Ausarbeitung und soll deutlich werden lassen, dass Spiritualität in nahezu jeden Lebensbereich hineinwirkt, zum Teil vermutlich unbewusst. Dies wird sich in Folge meiner statistischen Analysen zeigen.

Ferner diskutiere ich wichtige Entwicklungsaufgaben des jungen Erwachsenenalters, da sich meine spätere Fragestellung mit dieser Altersgruppe beschäftigt. Gerade das junge Erwachsenenalter ist eine Zeit des Umbruchs und der Veränderung, in welcher zunehmend neue Rollen und Aufgaben von den jungen Menschen übernommen werden (Seifge-Krenke & Gelhaar, 2006). Eben diese Wende in der menschlichen Entwicklung macht diese Gruppe für meine Untersuchung so interessant. Diese Phase des Lebens scheint prädestiniert dafür zu sein, eine spirituelle Entwicklung, eine Suche nach Sinn und Wissen voranzutreiben.

Meine theoretischen Überlegungen schließen mit Ausführungen über die spirituelle Entwicklung im jungen Erwachsenenalter und bestehenden Studien zu dieser Thematik. Diese sollen die anschließende empirische Untersuchung einleiten.

Im nachstehenden Kapitel sollen aber zunächst die Begriffe Spiritualität und Religiosität näher untersucht und voneinander abgegrenzt werden, um die späteren Ausführungen nachvollziehbarer zu gestalten.

3. spirituelles erleben und religiöser glaube

Spricht man über Spiritualität, so muss man bedenken, dass es viele verschiedene Ansichten und Ausprägungen zu diesem Phänomen gibt. Der Begriff wird sehr oft gleichbedeutend mit dem Ausdruck Religiosität verwendet. Dass hier ein Unterschied besteht, sie aber gleichzeitig nicht voneinander zu trennen sind (Grom, 2009), soll später in diesem Kapitel noch geklärt werden.

Häufig werden mit Spiritualität auch esoterische, okkulte und paranormale Phänomene assoziiert, welche den Begriff allerdings ebenso nicht ausreichend beschreiben können. Die Uneinigkeit der Definitionen macht es für die Forscher schwer, allgemeingültige Erhebungsinstrumente zu konstruieren (Ostermann & Büssing, 2007).

Während meiner Literaturrecherchen machte ich die Erfahrung, dass Spiritualität und Religiosität in ihrer Bedeutung auch in wissenschaftlichen Abhandlungen häufig sinnverwandt verwendet werden. In meinen Betrachtungen des Themas möchte ich trotzdem versuchen, die Begriffe nicht gleichbedeutend zu verwenden, obwohl dies literaturbedingt nicht immer möglich ist.

3.1. Spiritualität vs. Religiosität

Spiritualität leitet sich vom lateinischen ,spiritus' ab. Dieses Nomen bedeutet ursprünglich ,Luft, Hauch', aber auch ,Atem, Atmen', ,Seele, Geist' sowie ,Begeisterung, Mut, Sinn'. Das zugrunde liegende Verb lautet ,spiro' und bezeichnet nicht nur ,wehen, hauchen', sondern auch ,atmen, leben' sowie ,erfüllt und beseelt sein'. Die Lateiner sahen Spiritualität im engsten Zusammenhang mit dem Atmen. (Bucher 2007, S.22)

Eine ähnliche Begriffsbestimmung findet man auch bei Frick (2002); Das aus dem französischen Katholizismus des frühen 20. Jahrhunderts stammende Substantiv Spiritualität' leitet sich vom Adjektiv ,spiritualis' (lat.), beziehungsweise ,pneumatikós' (griech. ,pneuma': Atem, Wind, Geist) ab und entspricht dem alttestamentlichen Begriff,ruach'. (S.43) Spiritualität und Religiosität werden in wissenschaftlichen Arbeiten und auch bei verschiedenen Studien oftmals deutlich unterschieden. Tabelle 1 (Bucher, 2007, S.51) soll dies veranschaulichen.

Tabelle 1: Gegenüberstellung von Spiritualität und Religiosität

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Spiritualität kann als multidimensionaler, überaus komplexer Bereich menschlicher Erfahrung bezeichnet werden, der kognitive und erfahrungsbezogene Aspekte beinhaltet. In erster Linie geht es um die Suche nach dem Sinn und Zweck des Lebens sowie darum, Wahrheit zu finden. Als assoziierte Gefühle findet man häufig Hoffnung, Liebe, Verbundenheit und inneren Frieden. Ein wichtiges spirituelles Element ist auch das Annehmen und Bereitstellen von sozialer Unterstützung. Spiritualität steht in Zusammenhang mit den individuellen Ressourcen des Menschen, seiner Fähigkeit spirituelle Liebe zu geben und zu empfangen und seinen Beziehungen und Verbindungen mit sich selbst, der Gemeinschaft und der Natur. Die persönliche Spiritualität kann durch Religion, die Beziehung zu einem höheren Wesen sowie durch Musik, Kunst, Natur oder Werte gefunden werden (Anandarajah & Hight, 2001).

Seyringer, Friedrich, Stompe, Frottier, Schrank & Frühwald (2007) beschreiben den Begriff Spiritualität in folgender Art und Weise:

Spiritualität ist ein global anerkanntes Konzept und beschreibt eine grundsätzliche Suche nach unterschiedlichen Wegen zur Sinnfindung. Unter Spiritualität wird generell eine transzendente Beziehung zwischen einem Individuum und einer höheren Existenz beschrieben [...]. (S.240)

Spiritualität ist nach Hilpert (2009) die Bezeichnung für eine spezielle Denkweise und ein Selbstverständnis von Menschsein und Lebenspraxis. Der Begriff hängt eng mit der Moral und dem Ethos einer Person zusammen. Spiritualität bezieht sich nicht nur auf das Subjekt, sondern beschreibt auch dessen Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und die ständige Reflexion der eigenen Handlungen, Verhaltensweisen, Ansichten und Ziele. Gleichzeitig geht es um die Überschreitung der eigenen Grenzen und um die Öffnung gegenüber einer umfangreicheren, mächtigeren Wirklichkeit. Diese Form der Transzendenz setzt die Achtsamkeit für das Gegenüber und die Bereitschaft, sich auf diese Erweiterung im Denken einzulassen und die möglichen Konsequenzen für den Alltag zu akzeptieren, voraus.

Bei Maio (2010) findet man folgende Definition:

Spiritualität könnte man - bei aller Heterogenität der Verwendung des Begriffs - als eine Grundausrichtung des Menschen auf das Transzendente, auf übergeordnete Fragen verstehen. Spiritualität wäre ein Bestreben des Menschen, über sich selbst hinauszugehen, sie wäre die Selbstreflexion des Menschen, der nach dem Sinnstiftenden fragt und dabei auf religiöses Denken zurückgreifen kann aber nicht zwangsläufig muss. (S.43)

Utsch (2000) betont, im Gegensatz zu anderen Definitionen, dass Spiritualität kein außergewöhnlicher Bewusstseinszustand ist und keine intensive religiöse Erfahrung darstellt wie Ekstase. Spiritualität habe auch nichts mit parapsychologischen und okkulten Phänomenen zu tun. Spiritualität sei vielmehr die Umsetzung einer Glaubenseinstellung und die damit verbundene Lebenspraxis.

Martin (1985) hingegen beschreibt Magie, Paranormales und Okkultismus als Teil einer spirituellen Lehre. Die Natur wird aus dieser Sichtweise heraus als magischer Organismus verstanden.

Religion meint indessen den Glauben an Gott und die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, einer religiösen Institution und bezeichnet nach Seyringer et al. (2007) eine Fülle verschiedener kultureller Phänomene, welche den Menschen in seinem Verhalten, in seinem Denken sowie in seinen Wertvorstellungen beeinflussen. Die religiöse Weltanschauung geht über die naturalistischen Systeme hinaus, weil sie ihnen transzendente[1] Ursachen zugrunde legt.

Büssing (2008) definiert Religion folgendermaßen:

Bei einer Religion handelt es sich primär um eine Weltanschauung, bei der ein gemeinsam überlieferter Glaube (dessen Inhalt nicht unbedingt verifizierbar sein muss) im Vordergrund steht, der von bestimmten autorisierten Personen im Sinne einer umfassenden Lehre bewahrt und an die gemeinschaftlich praktizierenden Gläubigen übermittelt wird [...]. (S.35)

Dass Religiosität in erster Linie eine individuelle Erfahrung ist, zeigt Schnell (2009). Sie verwendet den Begriff der impliziten Religiosität, der individuellen Religiosität des Einzelnen. Mit dem Begriff implizit verweist sei darauf, dass Religiosität auch in solchen Denk- und Handlungsweisen zu finden ist, die nicht ausdrücklich als religiös verstanden werden. Dabei bezieht sie sich in erster Linie auf den persönlichen Mythos, also das, was den Menschen am wichtigsten ist, auf die persönlichen Ritualen und Transzendierungserfahrungen. In einer Studie zur impliziten Religiosität wurde deutlich, dass jene Personen, die Schnell, als implizit religiös beschreiben würde, eine persönliche Religiosität mit einer individuellen Lebensaufgabe, einem Leben nach dem Tod, einer übernatürlichen Weltlenkung, einem positiven Lebensverlauf, persönlichen Ritualen und Transzendierungserlebnissen verbinden. Sie versteht eine explizite Religiosität als eine Möglichkeit der impliziten Religiosität. Stellt diese explizite Religiosität ein kohärentes Deutungsprinzip im Denken und Erleben dar, so kann von intrinsischer Religiosität gesprochen werden.

Die Unterscheidung von extrinsischer und intrinsischer Religiosität stammt von Allport (Allport & Ross, 1967). Personen mit einer extrinsischen Orientierung neigen dazu Religion nur für ihre eigenen Zwecke zu verwenden. Extrinsische Werte sind stets zweckdienlich. Personen die dieser Orientierung folgen erhoffen sich von ihrer Religion lediglich Schutz, Trost, soziales Ansehen, Status und Selbstrechtfertigung. Sie geben sich religiös, weil sie der Ansicht sind, es würde von ihnen erwartet. Personen mit intrinsischer Orientierung hingegen leben in absoluter Harmonie mit ihrem Glauben und dessen Vorschreibungen. Intrinsisch orientierte Personen interpretieren ihre Handlungen und Erlebnisse in Zusammenhang mit ihrem Glauben, den sie regelrecht internalisiert haben und finden über ihn Motivation und Sinn. Andere Bedürfnisse werden bedeutungslos.

Um schließlich den Zusammenhang zwischen Religiosität und Spiritualität deutlich zu machen, erscheint u.a. folgendes Zitat von Martin (1985) interessant:

„Ein religiöser Mensch ist dann ein spiritueller Mensch, wenn er seine Religion wirklich lebt." (S.13)

Überschneidungspunkte zwischen beiden Konzepten finden sich, wenn man Spiritualität auf religiöse Praktiken bezieht oder die eigene Religiosität spirituelle Erlebnisqualitäten aufweist, wie das Gefühl, dass Gott ganz nah ist, das Gefühl der Verbundenheit oder von innerem Frieden. Vor allem intrinsische Religiosität geht mit spirituellen Erfahrungen einher. Außerdem ist keine traditionelle Religion bekannt, die in ihren Ursprüngen nicht spirituelle Praktiken hervorgebracht hätte. Religion kann für das Leben förderlich sein und die persönliche Freiheit verstärken (Bucher, 2007).

Der Zusammenhang von Spiritualität und Religion wird auch durch die Betrachtung der Relationalen Spiritualität deutlich. Desrosiers, Kelley und Miller (2011) prägten diesen Begriff. Sie verstehen darunter die Beziehung zu Gott und dem Universum. Gleichzeitig betrifft dieser Begriff die Tendenz des Menschen, Gott um Führung zu bitten und der Glaube daran, dass er stets präsent ist. Diese Beziehung zu Gott kann auch die täglichen freundschaftlichen Beziehungen formen.

Spiritualität kann also sehr wohl religiöse Ansichten beinhalten, unter anderem eben in der Beziehung zu Gott, einer Gottheit oder einem übermächtigen höheren Wesen und das, egal ob sie an Institutionen gebunden ist oder nicht. Somit ist der Begriff durchaus auch Teil einer empirischen Religionspsychologie (Grom, 2009). Außerdem ist den Begriffen Religion und Spiritualität die Hinwendung zu einem sinnstiftenden System und die Suche nach Antworten auf existentielle Fragen gemein (Seyringer et al., 2007).

Dass der Sprachgebrauch dieser beiden Begriffe nach wie vor unklar ist, zeigt sich schließlich auch bei Frick (2002). Der zunächst konfessionell verwendete Begriff Spiritualität hat sich bis heute stark verändert und wird häufig als Modewort mit esoterischen Bezügen verwendet. Dies sei nach Frick allerdings eine zu unscharfe und unzureichende Definition. Frick bestätigt die Existenz von Überschneidungen der Begriffe Religion und Spiritualität. Als Überschneidungspunkte nennt auch er die Suche nach etwas Heiligem oder Göttlichem.

3.2. Komponenten einer spirituellen Lebensführung

Bei Grom (2009) sind folgende Dimensionen, die im Wesentlichen eine spirituelle Lebensweise kennzeichnen, zu finden:

- Sinnsuche und Selbsttranszendenz
- Selbstakzeptanz und -entfaltung
- Positive soziale Beziehungen
- Intensives Erleben der Schönheit bzw. Heiligkeit der Natur
- Verbundenheit mit den Menschen und der Natur
- Verbundenheit mit Gott
- Achtsamkeit, Meditation, Vorahnungen (S.15)

George, Larson, Koenig und McCullough (2000) nennen ähnliche Dimensionen. Als weitere Elemente benennen sie die Mitgliedschaft in einer religiösen oder spirituellen Gruppe, Teilnahme an deren Aktivitäten, Gebet, Meditation und spirituelle oder religiöse Transzendenzerfahrungen.

Nach Martin (1985) gibt es verschiedene spirituelle Lehren, welche eine Befreiung des Menschen anstreben. Diese Lehren gehen davon aus, dass durch eine spirituelle Lebensweise eine innere Befreiung möglich ist. Diese Umwandlung dient der Verwirklichung der potentiellen Anlagen und Ressourcen im Menschen.

In einer Untersuchung von Bucher (2007) wurde Studierenden an den Universitäten Freiburg und Salzburg ein Fragebogen zum Thema Spiritualität vorgelegt. Eines der Items fragte nach ihren spontanen Assoziationen zum Begriff Spiritualität. Bei der Auswertung wurde über die Antworten zu diesem Item ein Bedeutungsspektrum mit acht Kategorien festgelegt, wobei die meisten Antworten in die erste Kategorie, die wenigstens in die achte Kategorie fielen. So macht Bucher deutlich, dass Spiritualität ein sehr weitschichtiges Phänomen ist und in viele Lebensbereiche einwirkt:

1. Übernatürlichkeit und Transzendenz: Hier wurde die Präsenz höherer Mächte, die Existenz von Engeln oder einer übersinnlichen Kraft genannt.
2. Esoterische und okkulte Elemente: Hier findet man eher kritische Assoziationen, wie Esoterik, okkulte Praktiken, Aberglaube oder Magie.
3. Spirituelle Handlungen: In diese Kategorie fallen Nennungen, wie Yoga, Meditation, Entspannungsübungen, aber auch das Gebet.
4. Gefühlserleben: Die Studenten assoziierten Spiritualität auch mit dem Gefühl innerer Zufriedenheit und Harmonie, mit innerer Ruhe, Wärme und Freiheit.
5. Glaube: Glaube ist hier als individueller, freier Glaube zu verstehen. Er ist nicht an eine Kirche oder an Gott gebunden, sondern eher aus verschiedenen Religionen vermischt und mit einer höheren Macht in Verbindung gebracht.
6. Philosophische Elemente: Hier findet man Assoziationen mit der Sinnfrage, mit dem Nachdenken über sich selbst, sein Leben und seine Bestimmung.
7. (Über-)sinnliche Erlebnisse: Die Studenten beschrieben Kräfte, die wir nicht sehen können, die uns aber doch auf unerklärliche Weise beeinflussen.
8. Individuation: In diese Kategorie fallen Nennungen, wie Selbstfindung, geistige Reife erlangen oder auch den Weg zum persönlichen Glück finden.

Auch Bandura (2003) beschreibt Spiritualität als Sinnsuche und Verbunden-sein mit etwas Größerem, ohne dabei an eine religiöse Gemeinschaft oder Gottheit gebunden sein zu müssen. Berghändler (2010) ist gleichzeitig der Ansicht, dass es in Situationen von Leid, Trauer und Bedrängnis ein hilfreiches Gefühl sein kann, in einem größeren Ganzen aufgehoben zu sein. Sich selbst und sein Tun in einem weiteren Zusammenhang zu sehen, kann für den Menschen eine sinnstiftende Bedeutung haben.

Ferner deklariert Kass (2007) die Wichtigkeit von Beziehungen innerhalb der menschlichen Entwicklung. Er nennt dabei 3 Grundverbindungen:

- Beziehung zur Ursprungsfamilie
- Beziehungen, welche man als Erwachsener eingeht
- Beziehung mit dem Kosmos.

Die Dimensionen dieser Verbindungen beziehen sich auch auf das Bewusstmachen unseres spirituellen Kerns. Dies zu erkennen, ist eine wichtige Station innerhalb der spirituellen Entwicklung.

4. spirituelle ausdrucksformen

Dieses Kapitel soll Aufschluss über verschiedene Aspekte des Lebens geben, in denen spirituelles Denken und Handeln deutlich werden kann. Die dargestellten Aspekte sollen in der später vorgestellten Studie auf ihr Vorhandensein bei spirituellen und nicht­spirituellen jungen Erwachsenen überprüft werden. Die beschriebenen Ausdrucksformen der Spiritualität stellen natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es werden meiner Ansicht nach aber jene Bereiche dargelegt, welche sehr deutlich das Vorliegen einer spirituellen Lebensweise veranschaulichen, auch wenn dies von vielen jungen Erwachsenen vielleicht nicht bewusst wahrgenommen wird.

Zudem wird in den folgenden Abschnitten veranschaulicht, dass die vorgestellten Variablen nicht nur mit Spiritualität, sondern auch untereinander positiv Zusammenhängen.

4.1. Spiritualität und Wohlbefinden

Es gibt unterschiedliche Bereiche der Gesundheit, wie emotionale, psychologische, körperliche, aber auch spirituelle Gesundheit, welche sich gegenseitig beeinflussen. Spirituelle Gesundheit hängt nach Hawks (2010) eng mit einer klar definierten Weltanschauung zusammen, über die wir uns positionieren und einen individuellen Lebenssinn sowie ein spezifisches Wertesystem entwickeln. Zu einer spirituellen Weltanschauung zählen somit auch die Wertigkeit unserer Beziehungen, unsere Haltung gegenüber der Natur, der Realität und der Macht, die über allem steht sowie die Fähigkeit, mit kritischen Situationen umzugehen.

Passend dazu prägten Ostermann und Büssing (2007) den Begriff des „Spiritual well being", welches einen wichtigen Faktor in der Krankheitsbewältigung darstellt.

Berghändler (2010) stellt zum Zusammenhang zwischen einer spirituellen Lebensführung und dem persönlichen Wohlbefinden folgende Überlegungen auf:

Indem wir einen Sinn des Lebens und eine positive Erwartung erfahren, indem wir materielle wie auch spirituelle Ressourcen nutzen können, indem wir eine Möglichkeit haben, uns die Welt als sinnvoll, geordnet und strukturiert erfahrbar zu machen, können wir erst Ressourcen für unsere Gesundheit nutzen. (S.164)

In den folgenden Abschnitten soll die Wichtigkeit von körperlicher und psychischer Gesundheit sowie einem individuellen Glücksempfinden für das spirituelle Wohlbefinden deutlich werden.

4.1.1. Gesundheit

Der Effekt von Spiritualität auf die Gesundheit wurde in einer Studie von Daaleman, Kuckelman Cobb und Frey (2001) untersucht. Insgesamt wurden 35 Frauen mittels Fokusgruppen-Interviews befragt, 17 Probandinnen mit der Diagnose Diabetes Mellitus und 18 gesunde Frauen. Die beiden Gruppen wurden in getrennten Fokusgruppen befragt. Sie sollten über ihre persönlichen Erfahrungen mit Krankheit und Gesundheit diskutieren und die Begriffe Spiritualität und Wohlbefinden in eigenen Worten beschreiben. Alle Sitzungen wurden auf Band aufgenommen und transkribiert. Die Daten wurden kodiert und über ein Computerprogramm ausgewertet. Schließlich wurden die Aussagen der Probandinnen in 8 Kategorien eingeteilt:

1. Bewusstsein über die Veränderung der Funktionstüchtigkeit
2. Grundüberzeugungen bezüglich Beziehungen, Religion
3. Ausreichende Informationsaufnahme und -verarbeitung bezüglich der Krankheit
4. Angemessene Interpretation und Verständnis
5. Lebensschema, Lebensziele
6. Positive Intentionalität
7. Bewältigung
8. SubjektivesWohlbefinden

Die Untersuchung ergab, dass die Veränderungen in der Funktionstüchtigkeit eng mit der Informationsverarbeitung sowie der Interpretation und dem Verständnis gegenüber der Krankheit Zusammenhängen. Wichtig seien auch Bewältigungsstrategien, soziale Unterstützung sowie Sinnsuche und Lebensziele. Positive Intentionalität, persönliche Lebensziele und Kontrollüberzeugungen fördern die persönlichen Unterstützungssysteme.

Für den Effekt von positiven Emotionen auf Religiosität und Spiritualität wurden auch in Studien von Saroglou, Buxant und Tilquin (2008) zusammenhängende Ergebnisse gefunden. Diese führten 2 Studien durch, in welchen Probanden 4 unterschiedliche Videos vorgeführt wurden, ein neutrales Video als Kontrollvideo und drei weitere Videos, welche positive Emotionen auslösen sollten: ein Naturfilm, die Geburt eines Kindes und ein lustiger Film. Anschließend wurden die Probanden zu ihren Emotionen befragt, und in einem weiteren Durchgang mussten sie sich zu ihrer Religiosität (Studie 1) bzw. zu ihrer Spiritualität (Studie 2) äußern. Betrachtet man die Ergebnisse der Studie, so lässt sich feststellen, dass der positive, förderliche Effekt auf die Religiosität der Probanden bei allen drei Filmen festgestellt werden konnte. Die Probanden berichteten, dass sie sich nach den Videos religiöser fühlten als zuvor. Im Fall der Spiritualität wurden durch die Wissenschaftler höhere Werte zumindest im Anschluss an den Naturfilm und dem Betrag über die Geburt eines Kindes festgestellt.

Eine ähnliche Fragestellung wurde von Lawler und Younger (2002) bereits früher untersucht. Die Forscher wollten herausfinden, inwieweit Spiritualität und Religion mit kardiovaskulären Reaktionen, physischen Krankheitssymptomen, Stress und Stimmungslage zusammenhängen. 70 Probanden zwischen 27 und 60 Jahren mussten zunächst mehrere Fragebögen hinsichtlich Stressempfindlichkeit, Krankheitssymptomen, Stimmung, Hilfsbereitschaft, Vergebung, spirituellem Wohlbefinden, religiöser Orientierung und spirituellen Erfahrungen bearbeiten. Im Labor wurden schließlich Herzrate und Blutdruck gemessen. Anschließend wurde ihnen ein entspannendes Video über tropische Fische vorgeführt. Danach mussten sie in einem Interview, welches auf Video aufgenommen wurde, von einer Situation erzählen, in welcher sie von einer nahestehenden Person verletzt oder betrogen wurden. Zusätzlich wurden sie über ihre Einstellung hinsichtlich des Themas Vergebung befragt. Auch während des Interviews wurden Blutdruck und Herzrate gemessen. Die Analyse zeigte, dass ein ausgeglichener Blutdruck und Herzschlag mit religiösem Engagement einhergehen. Dies konnte durch die Fragebögen und durch die Messungen während des Interviews bestätigt werden. Die Forscher vermuten einen Zusammenhang mit sozialer Unterstützung, gesundheitsfördernden Verhaltensweisen und religiösem Coping. Positive Korrelationen finden sich auch für das spirituelle Wohlbefinden und der Stimmungslage. Ein niedriges spirituelles Wohlbefinden scheint depressive Symptome, Stress und Krankheitssymptome zu fördern. Auch ein positiver Zusammenhang zwischen Spiritualität, Hilfsbereitschaft und Vergebung konnte nachgewiesen werden. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass eine spirituelle und religiöse Lebensweise etliche Ressourcen zur Gesunderhaltung und Stressreduktion bereitstellt.

Passend dazu nimmt Bucher (2007) an, dass Menschen, die auf Schwierigkeiten und Krisen nicht sofort mit Ärger und Aggression reagieren, sondern sich der Situation gelassen stellen, psychisch gesünder sind. Diese Eigenschaft wird durch eine spirituelle Denkweise begünstigt. Nach Bucher kann die Einbettung in ein positives soziales Umfeld ebenfalls positiv auf das Wohlbefinden und die Gesundheit wirken.

Auch Höffe (2008) beschreibt Freundschaft, Partnerschaft und Liebe als essentiell für ein erfolgreiches Leben. Partnerschaft und Elternschaft kann ihm zufolge zwar die persönliche Freiheit einschränken, bietet aber gleichzeitig einen enormen Freiheitsgewinn. Diese Bindungen können wichtige Schutzräume bieten, in welchen man seine Interessen ausleben und Schwächen zeigen darf. Dafür muss man sein Gegenüber aber auch in seiner Andersartigkeit anerkennen. Man könnte dies auch als Selbstgewinn trotz Selbstverlust bezeichnen.

Der Glaube an Gott oder eine höhere Macht fördert zudem optimistische Sichtweisen und kann helfen, Gefühle von Hoffnungslosigkeit während krisenhafter und stresserfüllter Situationen im Leben zu vermeiden. Auf diese Weise schützt der Glaube daran, dass es eine höhere Kraft gibt, die uns unterstützt und lenkt, einer Studie von Rosmarin, Krumrei und Pargament (2008) zufolge, vor depressiven Erkrankungen und anderen psychopathologischen Beschwerden.

4.1.2. Das Glücksempfinden

Auch das Empfinden von Glück kann das Wohlbefinden positiv beeinflussen. Allerdings ist eine zufriedenstellende Definition von Glück schwierig. In der chinesischen Tradition nach Konfuzius bedeutet Glück z.B. Zufriedenheit, Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse und Liebe. Man blickt hoffnungsvoll in die Zukunft, man hat interpersonale Ziele und ist dankbar für die kleinen Dinge im Leben. Als Quelle des Glücks wird hier tugendhaftes, geistliches und spirituelles Handeln betrachtet. Glück entspringt so nur dem inneren Empfinden und ist nicht von äußeren Umständen abhängig (Bucher, 2009b). Längsschnittuntersuchungen von Ferriss (2002) haben ergeben, dass eine gewisse religiöse Affinität positiv mit Glück, Autonomie, Harmonie sowie einer hohen Lebensqualität und -zufriedenheit, hingegen negativ mit Stress korreliert. Bucher (2007) ist ebenfalls der Ansicht, dass spirituelle Menschen vermehrt das Gefühl einer inneren Ausgeglichenheit und Ruhe haben. Sie fühlen sich mit ihrer Umgebung verbunden und sind deshalb glücklicher.

Der Dalai Lama (2002) nennt zwei Wege, auf welchen man persönliches Glück erreichen kann. Der eine führt über materielle Güter, der andere über geistige Entwicklung. Er betont, dass das materielle, äußere Glück aber nichts bewirken kann, wenn man keinen inneren Frieden gefunden hat. Dies führt dazu, dass ein ausreichender Wohlstand oder ein hoher sozialer Status, nicht unweigerlich glücklich machen.

In der philosophischen Lebenskunst kennt man ebenfalls zwei Wege zum überdauernden Glück. Entweder man reduziert die Erwartungen an sein persönliches Glück oder man steigert das Angebot an Glückserfüllungen. Dies ist häufig schwer zu erreichen und so scheint der erste Weg, seine Erwartungen zu mindern, realistischer. Menschen müssen die Fähigkeit entwickeln, sich mit kleinen Glücksmomenten zufrieden zu geben. Entscheidende Tugenden in diesem Zusammenhang sind die Besonnenheit und die Gelassenheit (Höffe, 2008).

Zudem existieren Überschneidungen zwischen einer spirituellen Lebensweise und Glück, denn auch Glück kann durch Verbundenheit mit anderen und durch liebevolle Beziehungen empfunden werden. Das Gefühl der Dankbarkeit, der Hoffnung und der Glaube an Gott machen glücklich. Gleichzeitig blicken spirituelle Menschen optimistisch in die Zukunft. Dies wiederum steigert ihr Glücksempfinden (Bucher 2009b).

4.2. Spiritualität als inneres und soziales Engagement

ln den folgenden Abschnitten sollen verschiedene Aspekte von Spiritualität im persönlichen und gesellschaftlichen Kontext dargestellt werden.

4.2.1. Verbunden- und Eins-Sein

ln der Literatur wird der Begriff der Verbundenheit sehr häufig im Zusammenhang mit Spiritualität genannt. So fanden Büssing, Ostermann und Matthiesen (2008) bei einer Studie hinsichtlich der Bewältigung von Krankheiten heraus, dass eine gewisse Naturverbundenheit hier einen hohen Stellenwert hat. Ähnliche Ergebnisse finden sich bei McColl, Blickenbach, Johnston, Nishihama, Schumaker, Smith et al. (2000). ln dieser Untersuchung wurde das Verbundenheitsgefühl mit anderen Personen als Unterstützung bei der Bewältigung einer schweren Krankheit genannt. Anandarajah und Hight (2001) nennen Verbundenheit als assoziiertes Gefühl im Kontext von Spiritualität und bei Grom (2000) ist dieses Gefühl Teil einer spirituellen Lebensführung.

Spirituelle Menschen verspüren eine intensive Verbundenheit mit ihrer Umwelt. Sie spüren, dass alles, was geschieht, sie in irgendeiner Art und Weise selbst betrifft und jede Kleinigkeit die jemand unternimmt, wiederum auf die Gesamtheit wirkt. Spirituelle Verbundenheit kann auch als Verbundenheit zu Gott oder einem höheren Wesen verstanden werden. Auch das Gefühl der Einheit wird häufig beschrieben (Bucher, 2007). Waldron-Perrine Rapport, Hanks, Lumley, Meachen und Hubbarth (2011) fanden in ihrer Studie zur Wirkung von Religiosität und Spiritualität auf die Rehabilitation von Menschen mit einer Gehirnverletzung heraus, dass scheinbar genau dieses Gefühl der Verbundenheit mit einer höheren Kraft zu mehr Lebenszufriedenheit, gemindertem Stressempfinden und einer gesteigerten körperlichen Funktionsfähigkeit führen. Die Intensität dieses Verbundenheitsgefühls kann vermutlich den positiven Ausgang der Rehabilitation voraussagen.

Betrachtet man die Arbeit von Braud (2000), wird verständlich, dass Menschen zwar auf der einen Seite individuelle Wesen sind, einzigartig und manchmal isoliert, aber gleichzeitig auch mit anderen Menschen, mit der Natur und der Welt verbunden sind. Das eine funktioniert ohne das andere nicht.

4.2.2. Vergebung

Unter Vergebung wird ein Prozess verstanden, in dem der Mensch seine negativen Gefühle einem Täter gegenüber, der ihn geschädigt oder verletzt hat, ins Positive transferiert. Gleichzeitig spielt es aber auch eine Rolle, ob sich der Mensch seine eigenen Fehler verzeihen kann. Dies kann die Selbstakzeptanz erhöhen und so das psychische Wohlbefinden verbessern. Zu bedenken ist, dass ehrliches Verzeihen viel Zeit braucht (Bucher, 2007).

Somit kann man durch die Erfahrung verletzt worden zu sein, ein persönliches Wachstum erleben, indem man dem Täter vergibt. Dies wurde von Schultz, Tallman und Altmair (2010) in einer Studie mit 146 Probanden im Zusammenhang mit einer spirituellen Haltung untersucht. Die teilnehmenden Personen mussten zunächst einen Bericht über die verletzende Situation schreiben. Diese Erlebnisse wurden in Kategorien eingeteilt (sexueller Übergriff, körperliche Verletzung, Untreue des Partners, Beschädigung von Eigentum, Verleumdung, Betrug). Zusätzlich sollten die Probanden die Wichtigkeit von Religiosität und Spiritualität einschätzen und verschiedene Instrumente zu den Bereichen „Stress", „Vergebung" und „Posttraumatisches Wachstum" bearbeiten. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Schwere der Tat negativ mit Vergebung korreliert. Das bedeutet, je höher die Not vom Opfer eingeschätzt wurde desto größer war die Abneigung gegenüber dem Angreifer. Es konnte aber auch nachgewiesen werden, dass ein Gefühl der Güte dem Täter gegenüber, das persönliche Wachstum verstärkt. Dieses Wachstum wird auch über die Einschätzung der Wichtigkeit von Spiritualität und Religiosität vermittelt. Diese Variablen scheinen den Umgang mit persönlichen Verletzungen voraussagen zu können.

Vergebung korreliert mit Wohlbefinden, Lebensqualität, Lebenszufriedenheit, Dankbarkeit, Optimismus, Hoffnung, Vertrauen, Selbstwert und positiven Einstellungen. Negative Zusammenhänge finden sich zwischen Vergebung und emotionalem Stress, Depression, Ärger, Vergeltung, Angst, somatischen Symptomen, Schuld und Vulnerabilität (Friedman & Toussaint, 2006). Diese Korrelationen können durch die nachfolgenden Untersuchungen belegt werden.

Vergebung hängt nach Younger, Piferi, Jobe und Lawler (2004) mit einer positiven mentalen Gesundheit zusammen und kann Kummer, Depression und Angst vermindern. Menschen, die anderen vergeben, sind seltener gestresst und somit auch physisch gesünder. Die Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Glaubensgemeinschaft erleichtert es manchen Menschen, anderen zu verzeihen. Der Prozess des Verzeihens kann unterschiedliche Formen annehmen. So gibt es solche, die in mehreren Phasen verlaufen oder man kann erst verzeihen, wenn man moralisch und kognitiv gereift ist. Die Betrachtung der Gründe für das Vergeben zeigt, dass vor allem tief liegende und externe Motivationen eher zu falscher oder hohler Vergebung führen. Diese Gründe führen nicht zu einem inneren Wandel. Das bedeutet, man hat der Person nicht ehrlich verziehen. Vergebung ist ein altruistischer Akt, der eine motivationale Veränderung zur Folge hat.

Die Bereitschaft, einer Person zu verzeihen, hängt zudem erheblich davon ab, ob der Täter zur Reue bereit ist. Zeigt er diese Reue nicht, nimmt die Bereitschaft zu verzeihen beträchtlich ab (Allemand, Sassin-Meng, Huber, Schmitt, 2008).

Sandage und Jankowski (2010) fanden ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Vergebung und Gesundheit. Sie untersuchten eine Stichprobe mit 213 Personen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Fähigkeit zu vergeben, das persönliche Wohlbefinden Voraussagen kann. Diese Fähigkeit versetzt Menschen in die Lage ihre Gefühle besser zu kontrollieren. So können sie leichter in einer prosozialen Art und Weise auf Verfehlungen und Verletzungen ihrer Mitmenschen reagieren. Vergebung hätte zudem einen selbstberuhigenden Effekt.

Diese Ergebnisse werden durch die Längsschnittstudie von Orcutt (2006) bestätigt. Orcutt untersuchte eine Stichprobe von 182 weiblichen Studierenden und konnte nachweisen, dass Vergebung Stresssymptome vermindern kann. Dabei konnte sie aber den Einfluss von Variablen, wie die vergangene Zeit seit dem verletzenden Erlebnis und die Schwere der Tat nicht genau einschätzen.

Eine weitere Studie von Jankowski und Sandage (2011) beschäftigte sich mit der Beziehung zwischen meditativem Gebet und Vergebung mit Hoffnung und der Bindung von Erwachsenen an ihren Glauben in Form einer schutzgebenden Macht als Mediatorvariablen. Dazu wurden 211 Personen im Alter zwischen 21 und 63 Jahren befragt. Die Forscher konnten Effekte zwischen Hoffnung und der Bindung an den Glauben sowie zwischen dieser Bindung und Vergebung feststellen, ebenso für meditative Gebete und Vergebung. Diese Form der Gebete scheint das Gefühl der Hoffnung zu steigern, welches wiederum die Bindung an die schutzgebende Macht fördert und somit die Fähigkeit zu vergeben erweitert.

Younger und Kollegen (2004) untersuchten in 2 Studien Laien-Definitionen von Vergebung und individuelle Gründe, jemanden eine Schuld zu vergeben. In der ersten Studie wurden Studenten zum Thema befragt. Sie sollten sich an einen Moment erinnern, in welchem sie verletzt wurden, aber vergeben konnten, einen Moment, in dem sie verletzt wurden, aber nicht vergeben konnte und einen Moment wo sie selbst jemanden verletzten und ihnen vergeben wurde. Außerdem wurden sie gefragt, was sie unter Vergebung verstehen und welche Entscheidungen sie dabei beeinflussen. In einer zweiten Studie wurden Interviews geführt, in denen die Probanden von Situationen erzählen sollten, in denen sie verletzt oder betrogen wurden. Auch sie sollten Vergebung definieren und Motivationen dafür nennen. Die meisten assoziierten mit Vergebung eine gewisse Akzeptanz oder das Umgehen-Lernen mit negativen Emotionen. Als Gründe nannten sie, die Wichtigkeit der Beziehung zu dieser Person, die eigene Gesundheit aufrechtzuerhalten, die Einsicht des Gegenübers oder eine spirituelle Denkweise.

4.2.3. Dankbarkeit

Dankbarkeit ist eine Tugend, und wer auch für die kleinen Dinge in seinem Alltag dankbar ist, der ist zufriedener mit sich und seinem Leben, fühlt sich den Menschen in seinem Umfeld näher und verspürt vermehrt positive Emotionen. Dankbarkeit kann die Spiritualität eines Menschen erhöhen, vor allem dann, wenn sich ein Mensch mit seinem Leben, seinen Handlungen und seinen Mitmenschen verbunden fühlt. Dankbare Menschen sind bescheiden, kennen ihre persönlichen Grenzen und sind weniger auf sich selbst fixiert (Bucher, 2007).

Dankbarkeit hängt Studien zufolge eng mit Wohlbefinden, positiven Affekten und Emotionen, Glück, Vertrauen, Altruismus, Lebenszufriedenheit, Vergebung, Spiritualität und Optimismus zusammen. Negative Korrelationen finden sich mit Stress, Wut, Aggression, Depression, Angst und Vulnerabilität (Friedman & Toussaint, 2006). Diese Ergebnisse lassen sich durch die nachfolgenden Studien belegen.

Eine Studie mit über 350 Probanden aus verschiedenen Religionen von Rosmarin, Krumrei und Pargament (2008) bestätigt, dass Spiritualität im Zusammenhang mit Dankbarkeit als protektiver Faktor gegen depressive Verstimmungen und Angstzustände infolge von Verlusterfahrungen und traumatischen Erlebnissen wirkt. Es wird außerdem vermutet, dass eine spirituelle Lebensführung vermehrt Erfahrungen von Dankbarkeit hervorrufen kann.

Hierzu finden sich auch interessante Ergebnisse bei Lambert, Finchham, Braithwaite, Graham und Beach (2009). Die Forschergruppe untersuchte mittels vier verschiedener Studien, ob die Gewohnheit zu Beten, die Dankbarkeit der Probanden erhöht. In allen vier Studien wurden die Probanden gefragt, wie oft sie beten würden. Zudem mussten sie den Gratitude-Questionnaire von McCullough et al. (2002) beantworten. Jede Folgestudie war darauf ausgelegt, vermeintliche Fehler der vorherigen auszuschließen. Die Ergebnisse der Studien weisen aber letztlich alle darauf hin, dass Dankbarkeit durch Gebete erhöht wird und dies nicht durch soziale Erwünschtheit erklärt werden kann.

Ähnliche Ergebnisse fanden sich in einer Studie von Wood, Maltby, Gillett, Linley und Joseph (2007). Diesmal wurden junge Erwachsene befragt. Außerdem kamen die Forscher zu dem Schluss, dass Dankbarkeit zu mehr sozialer Unterstützung sowie zu mehr Wohlbefinden und Glücksgefühlen führt. Gleichzeitig wird Stress erheblich minimiert. Dankbare Menschen haben zudem eine positivere und wertschätzende Einstellung ihrem Leben gegenüber.

Ferner konnte ein Zusammenhang zwischen Dankbarkeit und positiven Emotionen in einer Vergleichsstudie von McCullough, Emmons und Tsang (2004) festgestellt werden. Zunächst wurden chronisch erkrankte Patienten und in einer zweiten Untersuchung gesunde junge Erwachsene auf Gefühle von Dankbarkeit im Tagesverlauf in Verbindung mit ihren Persönlichkeitseigenschaften erforscht. Die erste Studie lieferte Ergebnisse, welche deutlich machen, dass Personen, die eher über positive Emotionen und ein subjektives Wohlbefinden verfügen, auch höhere Ergebnisse im Bereich Dankbarkeit zeigen. Außerdem wurden hohe Korrelationen zwischen dem Persönlichkeitsfaktor Extraversion und Dankbarkeit festgestellt. Spiritualität scheint ebenfalls ein zusammenhängender Faktor zu sein. Bei der Untersuchung der jungen Erwachsenen fanden sich ähnliche Ergebnisse. Zusätzlich wurde festgestellt, dass Personen mit einem hohen Grad an Empathie dankbarer sind. Als stärkster Persönlichkeitsfaktor zeigte sich hier, im Gegensatz zur ersten Studie, Verträglichkeit.

[...]


[1] transzendent (lat.): übersinnlich, -natürlich; transzendental: philosophisch aller Erfahrungskenntnis zugrunde liegend; Transzendenz: das Überschreiten der Grenzen der Erfahrung, des Bewusstseins (Wermke/ Kunke- Razum/ Scholze Stubenrecht 2009, S.1072).

Ende der Leseprobe aus 115 Seiten

Details

Titel
Spiritualität im jungen Erwachsenenalter
Untertitel
Subjektive Spiritualitätskonzepte und spirituelle Ausdrucksformen junger Erwachsener
Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt  (Psychologie)
Note
2
Autor
Jahr
2011
Seiten
115
Katalognummer
V184825
ISBN (eBook)
9783656097297
ISBN (Buch)
9783656097464
Dateigröße
5961 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spiritualität, junges Erwachsenenalter, Sinnsuche, Wohlbefinden, Glück, Altruismus, Coping, Dankbarkeit, Gesundheit, Hoffnung
Arbeit zitieren
Kerstin Schatzig (Autor:in), 2011, Spiritualität im jungen Erwachsenenalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184825

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