Architektur und Theologie christlicher Kirchenbauten (4. - 8. Jahrhundert)

Am Beispiel Xanten


Examensarbeit, 2009

81 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Hauptteil

I. Das Christentum zwischen altkirchlichen Wurzeln und mittelalterlichen Ausprägungen
1. Das Christentum wird Staatsreligion
1.1 Die theologischen Anfänge
1.2 Die Ausbreitung des Christentums in der Antike
1.3 Die Christen in Rom
1.4 Das Verhältnis der Christen zur römischen Gesellschaft
1.5 Das Toleranzedikt von Nikomedia
2. Der Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter
2.1 Die konstantinische Wende
2.2 Die christliche Reichskirche
2.3 Die Spaltung der Kirche
2.4 Der Zusammenbruch des römischen Reiches
2.5 Die Ausbreitung des Christentums in Westeuropa

II. Entwicklung der abendländisch - römischen Liturgie
1. Die schöpferischen Anfänge
2. Die Ausprägungen der Liturgie im Abendland

III. Christliche Gemeindebildungen
1. Die Entwicklung der Gemeindestruktur
2. Die Gemeinde in Rom
3. Die Gemeinden in den Missionsgebieten des weströmischen Reiches
3.1 Der gallische Raum
3.2 Das Frühchristentum am Niederrhein

IV. Von der profanen Versammlung zur Basilika Die Versammlungsorte der Christen - einige Beispiele
1. Die Hausgemeinde
2. Die Hauskirche
3. Die vorkonstantinischen Kirchen
4. Die Kirchenbauten in Rom

V. Totensorge und Märtyrergrab
1. Die Gestalt der Märtyrer und Heiligen
2. Heilige Orte des Christentums
3. Die Cellae Memoriae

VI. Die frühchristlichen Kirchenbauten in Xanten am Niederrhein
1. Einige hinleitende Worte
2. Das frühchristliche Gräberfeld in Xanten
2.1 Die spätantiken Siedlungen
2.2 Das Märtyergrab und das frühchristliche Gräberfeld
3. Die Cellae Memoriae in Xanten
3.1 Die erste Cella Memoria
3.2 Die zweite Cella Memoria
4. Die Kirchenbauten auf dem Gräberfeld
4.1 Die erste Märtyrerkirche
4.2 Die Märtyrerkirche in der Frankenzeit
4.3 Die Märtyrerkirche der karolingischen Zeit
5. Der hl. Victor „ad sanctos“

VII. Fazit

VIII. Literaturverzeichnis

IX. Anhangverzeichnis

Einleitung

Besucht man in der heutigen Zeit christliche Monumentalbauten wie den Kölner Dom und betritt das gewaltige Mittelschiff, befällt einen sofort eine gewisse Stimmung. Die gewaltigen Säulen, die immense Höhe der Spitzbogen und die Statik des Kreuzgratgewölbes lassen den Besucher vor Ehrfurcht erstarren. Man könnte fast denken, dass dieser Bau niemals allein von Menschenhand geschaffen wurde und fremde Mächte den Dombaumeistern zur Seite standen. Auch anderen Kirchenbauten des Christentums, die in Mittel- und Westeuropa während der Hochblüte der Gotik im Mittelalter (ca. 1100-1500 n. Chr.) als Gotteshäuser erbaut wurden scheinen bis heute in ihrer baulichen Vielfalt, Höhe und Statik sämtlichen Naturgesetzen zu trotzen.

Seit ihrer Errichtung lockten die Kirchen und Kathedralen die Menschen, Christen wie Nichtgläubige, in Scharen zu ihren Toren. Waren es früher die christlichen Pilger und Wallfahrer, die z. B. St. Peter in Rom, Notre Dame in Reims oder die Kathedrale zu Canterbury aufsuchten, um Gottesdienst abzuhalten oder Heilige zu verehren, sind es heute meist Touristen aus aller Welt. Sie reisen, von der mächtigen und monumentalen Ausstrahlung der Kirchen angezogen, zu den Stätten mittelalterlicher Baukunst.

Die Kathedralen, wie z. B. der Kölner Dom, eröffneten eine neue Epoche der Kirchenarchitektur im Abendland. Die Zeit der Gotik war in der Kirchengeschichte die wohl vollkommenste Baukunst in der Historie der christlichen Kultbauten. Doch auch sie haben eine Vorgeschichte. Nach dem Besuch der Krypta des Kölner Doms stellt sich die Frage, wie die Vorgängerbauten ausgesehen haben müssen. Welche architektonische Gestalt nahmen die Kirchen früherer Epochen ein? Anstelle des heutigen Doms weisen Archäologie und Kirchengeschichte nicht nur auf eine lange baugeschichtliche Entwicklung, sondern auch auf vorgotische Kirchenbauten am Niederrhein hin.[1]

Betrachtet man die gewaltige Architektur des Doms, fragt man sich, wie der Ort in früheren Epochen ausgesehen haben muss. Welche Gestalt hatten die Kirchenbauten der christlichen Gemeinden in vormittelalterlicher Zeit, als bautechnische Raffinessen wie z.B. die Spitz- und Strebebögen zur Ableitung der Widerstandskräfte gänzlich unbekannt waren?[2] In welcher Bauform präsentierten sich die Kultstätten der abendländischen Christenheit in dieser Zeit und wie wurden sie theologisch begründet? Funde oder Zeugnisse von frühchristlichen Kirchen oder Sakralbauten schlossen ein Stadt- oder Gemeindeleben automatisch mit ein. Welchen Beitrag leisteten die

Archäologen und die Forscher der Kirchengeschichte? Welche Zivilisationsformen lassen sich während des Überganges zum Frühmittelalter in Westeuropa ausmachen? Mit welchen politischen und gesellschaftlichen Strukturen muss man sich auseinandersetzen, um ein ungefähres Bild davon zu erhalten, wie der christliche Alltag zu jener Zeit ausgesehen haben muss?

Diese Staatsarbeit befasst sich mit der Situation und Entwicklung christlicher Kirchenbauten während des Übergangs von der Spätantike bis zum Frühmittelalter. Einleitend werden die sozio- kulturellen Bedingungen und theologischen Hintergründe für die Entstehung und Ausbreitung des Christentums beleuchtet. Anschließend wird der Frage nachgegangen, welchen Beitrag die römische Liturgiegeschichte und die Entwicklung der christlichen Gemeinden für die Geschichte der Kirchenbauten leisteten.

Nach der Ermittlung der Gründe für den Zusammenbruch des römischen Reiches wird die Situation in den ehemaligen weströmischen Gebieten geschildert. Neben der Lage der Christen in Rom analysiert die Arbeit die Ausbreitung des Frühchristentums im Rheinland, speziell am Niederrhein.

Im Anschluss erläutert die Arbeit die Entfaltung des Christentums von einer profanen Versammlung über eine Glaubensgemeinschaft mit festen Gemeindestrukturen hin zu einer Weltreligion mit eigenen Kirchenbauten. Schließlich wird der Blick auf Xanten am Niederrhein gelenkt. Die dort dokumentierten archäologischen Funde unter dem Dom St. Victor zeugen von einem Frühchristentum im Rheinland. Zuletzt ergänzt eine virtuelle Rekonstruktion, der Arbeit im Anhang auf CD beigefügt, die Entstehungsgeschichte der frühchristlichen Märtyrerkirchen in Xanten in der Zeit von 400- 800 n. Chr. Grundlage sind die Pläne und Forschungen des Archäologen Walter Baders aus dem letzten Jahrhundert.

Hauptteil

I. Das Christentum zwischen altkirchlichen Wurzeln und mittelalterlichen Ausprägungen

1. Das Christentum wird Staatsreligion

1.1 Die theologischen Anfänge

„[…] Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“[3]

Will man die Situation und die Umwelt des Christentums in der Epoche von der Spätantike zum Frühmittelalter verstehen, muss zunächst der Weg zurück zu den Anfängen genommen werden. Was war das Besondere in der Theologie und Praxis des frühen Christentums? Inwiefern setzte sich die neue Religion in ihren Anfängen von den alten Religionen ab, vollzog die Entwicklung von einer jüdischen Sekte zu einer Weltreligion und brachte drei Jahrhunderte später, als etablierte Großkirche, der Weltmacht Rom eine neue Reichseinheit?

Gegenüber dem polytheistischen Götterglauben der römischen und griechischen Glaubenswelt baut das Christentum auf dem Monotheismus des Judentums auf. Jesus selbst war Jude, verneint jedoch das archaische Opfer (wie z. B. Tempelbeigaben): „Das Paschafest der Juden war nahe, […]. Im Tempel fand er die Verkäufer […] und die Geldwechsler […]. Zu den […]- Händlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“[4], und das Reinkarnationsdenkweisen anderer Religionen. Das christliche Denken beruht auf einem Einmaligkeitsbewusstsein in der Geschichte der Welt.[5]

So sah der spätere Missionar Paulus Jesus als präexistenten Gottmenschen -Erlöser und als „Gerechter für die Ungerechten“[6]. In den Zeiten nach der patristischen Theologie einigte sich die frühe Kirche mit dem Konzil von Chalcedon auf die Zwei- Naturen- Lehre Jesu: wahrer Gott und wahrer Mensch.[7] Die Ausbreitung des Christentums beruhte in der Zeit der neutestamentlichen Theologie zunächst auf einer rein geistigen Ebene. Die Eucharistiefeier band in ihrem Ritual das Opfer Christi ein und brach z. B. mit der Opferreligion der jüdischen Tradition. Der Wandel im Bereich des Kultischen vollzog sich nicht nur in einer höchsten Vergeistigung, sondern ebenso in der Lebensweise der Gläubigen. Nächstenliebe und Armenfürsorge waren nur zwei von

mehreren Besonderheiten in der damaligen antiken Welt, die das Christentum vertrat

und lehrte.[8] Die neutestamentliche Ethik sah in dem Begriff des „Heiligen“ nun nicht mehr den Tempel oder die lokale Opferstätte[9], sondern personalisierte das Heilige in dem Opfer Jesu Christi.[10]. Statt des heidnischen und jüdischen Opfers stand nun die Weisung Jesu im Vordergrund: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“[11] Mit Christus verbunden war derjenige, der Gott mit ganzem Herzen liebte. Ein Leben in der Nachfolge Christi heiligte den Menschen. Denn es heißt in der Schrift: „Seid heilig, denn ich bin heilig.“[12] Vollkommenheit hieß nicht mehr, in Reinheit dem Herrn zu opfern, sondern selig die Aufgaben als getaufte Kinder Gottes zu erfüllen.[13]

Die Schriften des Neuen Testaments beschrieben in ihrer Gesamtheit eine Wende von einer archaischen Kultreligionspraxis hin zu der ethisch gesinnten Theologie. Jesus Christus, der Sohn Gottes, stand mit seinem Martyrium am Kreuz als einziges Opfer für alle Menschen und alle Zeiten dar. Er wurde mithilfe der ersten theologischen Auslegungen der Evangelien seit den Tagen seiner Auferstehung in der Adam - Christus - Typologie als der Erlöser der Menschheit angesehen[14], da er als erster Mensch den Tod besiegte und am dritten Tage auferstand: „Kultisch ist sodann bezeichnend, daß sich um ihn keine Grab- und Märtyrerverehrung entfaltet hat; die Auferstehung machte eine solche unmöglich.“[15] Damit lenkten sämtliche frühchristliche Schriften, die Logiensammlung wie auch die zeitlich später entstandenen Evangelien, auf einen theologischen Kurs der reinen Wortverkündung. In der Zeit des Urchristentums entstanden keine lokalen Verehrungs- und Anbetungsstätten. Allein in der Zusammenkunft der Gläubigen (vgl.: lat. „communio“) war Jesus allgegenwärtig: „Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, so ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einem einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt.“[16]

Erst in den nachfolgenden Jahrhunderten, als das Christentum Staatsreligion wurde, entfaltete sich ein christlicher Heiligenkult, und christliche Tempel wurden gegründet.[17] Schon in den ersten Jahrzehnten nach Jesu Tod wurden seine Worte gesammelt, aufgeschrieben und verbreitet. Die frohe Botschaft und die rein spirituelle

Religionspraxis waren etwas vollkommen Neues für den Menschen der Antike. Zwar kannte die Antike ebenfalls hagiographische Gestalten und Halbgötter, doch ein Leben nach dem Tod durch den Glauben an den erlösenden Jesus Christus, in seiner Nachfolge, war neu. Dieses Phänomen hatte es in der antiken Glaubenswelt nicht gegeben.

Theologisch gesehen trennte sich die vormals jüdisch-christliche Sekte nur allmählich vom Judentum. Es kam im ersten Jahrhundert nach Kreuzigung und Auferstehung in der apostolischen Zeit noch zu keinem eindeutigen Bruch mit der jüdischen Tradition. Die ersten Anhänger der Botschaft Jesu Christi waren selbst noch Juden und lebten nach den Gesetzen der Tora. Sie waren Sonderlinge im jüdischen Alltag und wurden anfangs neben anderen Untergruppen innerhalb des Judentums als jüdische Sekte angesehen. Wichtige Anhänger fanden sich nicht bei den toratreuen Juden, sondern bei den hellenistisch geprägten Diasporajuden, die Palästina und Jerusalem betraten.[18] Diese Gruppen waren durch das liberale, pluralistische Weltbild des Hellenismus empfänglich für die Botschaft der Apostel Jesu. Die Glaubensbrüder der ersten Jahrzehnte setzten sich aus verschieden, ethisch gesinnten Gruppierungen zusammen.

Man konnte die christliche Gruppe in toratreue Judenchristen, liberale Judenchristen und die Gruppe der paganen Familien, die keine jüdische Vergangenheit besaßen, sich aber ebenfalls der christlichen Botschaft zuwandten, einteilen. Gerade die Aufnahme von Heiden in die christliche Gemeinde war fundamental für die Loslösung des Christentums aus dem Judentum. Der Apostel Paulus, aus der Gemeinde Antiochia im heutigen Syrien stammend, war die bedeutendste Gestalt in der Heidenmission. Er erneuerte die jüdischen Gesetze und trug im Wesentlichen zur Verbreitung und Identitätsbildung des Christentums im ersten Jahrhundert nach Jesu Tod bei.[19] Eine wichtige Trennung vom Judentum ergab sich schon hier - die Heidenchristen folgten, aus jüdischem Blickwinkel betrachtet, nicht dem jüdischen Gesetz. Dennoch waren sie durch ihren Status nicht von den jüdischen Moralgeboten der Tora befreit.[20] Durch die Taufe von Heiden in ursprünglich jüdisch-christlichen Gemeinden, erhielt die Christengemeinde innerhalb weniger Jahrzehnte viele neue Mitglieder.[21] Dadurch, dass mit der Tora teilweise gebrochen wurde und die Beschneidung keine Pflicht mehr war, wurde die Aufnahme von neuen Glaubensbrüdern erleichtert. Zudem sorgte die Missionierung für ein Erstarken der Urkirche: „Und diese Botschaft vom Reich (Gottes) wird in der ganzen Welt verkündigt werden allen Völkern zum Zeugnis. Und dann erst wird das Ende kommen.“[22], und im Evangelium nach Markus, Vers 13,10 zu lesen:

„[…] Denn allen Völkern muß zuvor [vor dem Kommen des Herrn] die Heilsbotschaft verkündigt werden[…]“[23]. Hinzu kam der Vorteil, Christus überall verehren zu können. Diese beiden Motive legten neben anderen Umständen den Grundstein für eine schnelle Verbreitung des christlichen Gedankengutes. Wissenschaftlich ungeklärt ist, ob der Aufruf zur Verbreitung der Heilsbotschaft, z.B. im Matthäus- und Markusevangelium, vor oder nach dem Ende der Parusiehaltung eingeordnet werden kann. Wahrscheinlicher ist, dass die Nachfolger der Apostel, die Jesus nicht mehr persönlich gekannt haben und das Reich Gottes (vgl. „Parusie“, d. Verf.) nicht eintrat, nach Erklärungen suchten. Der Weg nach einer Identitätssuche in den eigenen Reihen begann.

Durch die Folgen des römisch- jüdischen Krieges (70. n. Chr.) und die Vertreibung der Juden aus Jerusalem (Bar Kochba Aufstand 132-135 n. Chr.) verließen viele Judenchristen Palästina und zogen in andere Ostprovinzen des römischen Reiches.[24] Unbestimmt ist, wann der Prozess der gegenseitigen Entfremdung zeitlich genau stattfand.[25] Eine Möglichkeit, die Ablösung vom Judentum zu bestimmen, wäre, die Perspektive zu wechseln. Aus Sicht der Juden war die Trennung von den Heidenchristen dadurch vollzogen, dass sie das jüdische Gesetz ablehnten (vgl. Apg. 6,8-8,1), die Geltung des Tempelkultes und die Tora in Frage stellten. Das ursprünglich gemeinsame jüdisch- religiöse Fundament wurde zerstört. Im Umkehrschluss bezogen die Juden diese Tatsachen auf all diejenigen, die Christus nachfolgten. Durch den theologischen Ablöseprozess erhielten die Christen fortan die Bezeichnung „Nazaräer“ oder „Galiläer“ (benannt nach den Wirkungsorten Jesu). Durch außenstehende, heidnische Quellen kam der Name „Christiani“ um die Mitte des ersten Jahrhunderts nach Christus auf. Die Römer, die religiöse Gruppen nach ihren Gründern kategorisierten, übernahmen diesen Namen bald und sahen in den Christen eine religiöse Splittergruppe innerhalb des Judentums. Der römische Historiker Sueton schrieb in seiner Claudiusbiographie: „[…]Die Juden vertrieb er [Kaiser Claudius] aus Rom, weil sie, von Chrestus aufgehetzt, fortwährend Unruhe stifteten.“[26]. Die Christen selbst verschrieben sich dem Namen „Christiani“ erst viel später.

Die im letzen Drittel des ersten Jahrhunderts nach der Zerstörung des jüdischen Tempels im Jahre 70 n. Chr. verfassten neutestamentlichen Schriften und Evangelien zeugen von einer totalen Ablehnung der christlichen Gemeinden im westlichen

Kleinasien und Syrien durch die jüdische Oberschicht (vgl. Apg. 17,5 -13; 18,12-17; 21,

15- 25,12) und ersten jüdischen Aktionen gegenüber den Christen. Schon in dieser Zeit trugen die christlichen Gruppen den Makel einer aufrührerischen Sekte. Es ist anzunehmen, dass die Juden sich gegenüber der römischen Besatzungsmacht loyal verhalten und eine Gleichstellung mit dieser Gruppierung verhindern wollten. Eine theologische Verarbeitung der Trennung aus christlicher Sicht erfolgte nachhaltig in den Begründungen des Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Galatien: „[…] Bevor der Glaube gekommen ist, waren wir dem Gesetz unterworfen, eingesperrt und bewacht für die kommende Zeit, da der Glaube offenbar werden sollte.[…] Nachdem nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir keinem Aufseher mehr unterworfen. Ihr alle seid ja durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus.“[27]. Paulus fährt in seinem Brief weiter fort: „Denn in Christus Jesus kommt es nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist.“[28] Somit war das Christentum in seiner Erlöserbotschaft an alle Menschen (Gott wird Mensch auf Erden, lebt und stirbt für den Menschen) und mithilfe seiner menschlichen Botschaft attraktiver als das Judentum und die heidnischen poly- oder henotheistischen Religionen. Es bot den Menschen der hellenistischen Welt eine neue Weltansicht und Glaubensperspektive.

Der theologische Weg des Christentums zu einer selbstständigen Weltreligion war vorbereitet.

1.2 Die Ausbreitung des Christentums in der Antike

„[…] Die Kirche des Nazareners, längst durch solide Strukturen gefestigt, wächst und wächst. Zulauf erhält sie nicht nur von Handwerkern, Händlern und Sklaven. Auch Angehörige der politischen und sozialen Eliten fühlen sich nun vom Offenbarungsglauben und mit seiner Aussicht auf ewiges Leben angezogen[…].“[29]

Die soziale Ausbreitung

Die jüdisch- christliche Sekte, die Gruppe der Nazaräer[30], zog durch ihre Heilsbotschaft[31] und mit Hilfe ihrer Heidenmission (das Christentum war neben den anderen Kulten und Religionen in der damals bekannten Welt die einzige Religion, die

missionarisch tätig war)[32] innerhalb der ersten beiden Jahrhunderte nach Christus im

kleinasiatischen Raum und römischen Reich immens viele neue Mitglieder an. Denn die Heidenmission, anfangs weder strukturiert noch genau geplant, legte das Fundament für die spätere Verbreitung des Christentums. Außer den Apostolischen Schriften um die Person Paulus und dem Markusevangelium (vgl. Mk 6,7-11) gibt es keinen einheitlichen, historischen Einblick in die Chronologie der ersten Missionen. Die Urgemeinde in Palästina sah sich zunächst als eine innerjüdische Reformbewegung ohne weltliche Ziele. Zunächst waren die Missionsgedanken an die Wurzel der eigenen Herkunft gerichtet, eine außerjüdische Mission war nicht geplant.[33] Dies änderte sich mit der o.g. Trennung vom Judentum und der Parusie- Verzögerung. Durch die Heilsbotschaft und den Missionsaufruf der Evangelien: „Darum geht hin und macht alle Völker zu meinen Jüngern[…].“[34] begann die allmähliche Inkulturation mit anderen Volksgruppen im Reich. Als die Erfolge innerhalb des Judentums ausblieben, wandten sich die Christen anderen Bevölkerungsgruppen zu. Die Christen verließen den palästinensischen Raum und fanden in der nichtjüdischen, heidnischen, hellenistischen Welt starken Anklang. In den Städten des römischen Reiches war eine starke Mischkultur anzutreffen; auf dem Land und in den Provinzen hingegen herrschten die alten regionalen Kulte vor.

Die Städte waren Anziehungspunkte für alle Volksgruppierungen aus den verschiedensten Teilen des Römischen Reiches. Die Minderheit bildete wie auch zu späteren Epochen, in der Spätantike und im Frühmittelalter die römische Oberschicht. Der Mittelstand (Handwerker, Kaufleute) machte wohl den zweiten Teil der Bevölkerung einer römischen Stadt aus, den Großteil der Stadtgruppierung jedoch stellte die Unterschicht: „[…] Der Großteil der Bevölkerung lebte in allergrößter Armut in Slums und war den Risiken […] ausgesetzt. […] Ein weiterer ansehnlicher Teil der städtischen Armen wurde von Witwen und Waisen gestellt[…]“.[35] Viele Unfreie beherrschten das Stadtbild. Denn das Leben als Sklave in den römischen Städten war die bessere Wahl als auf dem Land zu leben. Hier erbot sich, ermöglicht durch das römische System, die Möglichkeit einer Freilassung oder die eines sozialen Aufstiegs. Das Christentum nahm sich vieler Menschen aus den verschiedensten sozialen Schichten an. Auch Bettler, Tagelöhner, Arme und Sklaven fühlten sich von der Botschaft Jesu Christi (vgl. Lk 15,1-10) angesprochen, da sie innerhalb der Gemeinde

soziale Nähe erleben konnten.[36] In der apostolischen Zeit erfuhren sie von den

Wandermissionaren, die ohne kirchlichen Auftrag umherzogen, als auch von den ersten christlichen Gemeinden mehr Aufmerksamkeit als von der paganen Umwelt.[37] Es dürften auch die ersten christlichen Martyrien (vgl. hl. Stephanus) Auslöser für viele Bekehrungen und Taufen gewesen sein.[38] Die Tatsache, dass Gläubige „Gleich Jesu in der Bezeugung des Wortes Gottes und im Dienst am Nächsten[…]“[39] ihr Leben für ihren Glauben hingaben, veranlasste viele Menschen, es „ihren Vorbildern gleich zu tun“ und sich zum Christentum bekehren zu lassen.

Nach neueren empirischen Befunden machte die Gruppe der Mittelosen trotz ihrer hohen Anzahl in den Städten jedoch die Minderheit in den christlichen Gemeinden aus. Neben ihnen und der Mittelschicht ließen sich Mitglieder aus höheren Stellungen der Gesellschaft auf den Namen Christi taufen. Einen nicht unwesentlichen Teil der Sozialstruktur der ersten Gemeinden nahmen die verwitweten Frauen in Anspruch. Sie entstammten zumeist aus höheren Schichten und konnten sogar dem römischen Familiengeschlecht angehören. Die Männer aus dem Senatoren-, Dekurionen- und römischen Soldatenstand waren in den ersten drei Jahrhunderten nach Christi Geburt selten Getaufte. Für sie war der Anreiz eher gering. Noch überwogen die Nachteile. Durch die Ethik des Christentums: „Leichter kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gottes.“[40], war der Verlust des gesellschaftlichen Ansehens noch zu stark.

Die heutige Forschung nimmt an, dass in den ersten zwei Jahrhunderten nach Christus die Majorität der ersten christlichen Gemeinden die Handwerker und Händler belegten.[41] Die frühere Annahme, das Christentum habe seine ersten Anhänger lediglich in den untersten sozialen Schichten gefunden, erweist sich heute als Trugschluss. Diese Annahme wird dadurch widerlegt, dass römischen Quellen (vgl. Minucius Felix, „Octavius“)[42] und Polemik seitens des Judentums gegenüber den sich ausbreitenden Christengemeinden (im römischen Reich blieb das Judentum als „religio licita“ noch eine attraktive Alternative gegenüber dem Chirstentum)[43] in ihrer antichristlichen Haltung das Bild der Christen verzerrten. Minucius, Verteidiger des Christentums in der vorkonstantinischen Zeit, lässt in seiner Schrift einen Heiden über die Christen

sprechen: „Aus der untersten Hefe des Volkes sammeln sich da die Ungebildeten[…]“[44]

und die Jüdische Schrift, das Schema Israel enthält eine Ergänzung in ihren Bittgebeten: „Für die Abtrünnigen möge es keine Hoffnung geben[…]. Und die Noserim [wohl als Nazarener zu deuten] und die Minim [Ketzer] mögen augenblicklich vergehen, getilgt werden aus dem Buche des Lebens[…].“[45]

Die christliche Minderheit wurde von den Heiden und Römern zunächst als jüdische Sekte gesehen[46] und von den Juden geächtet. Doch auch von christlicher Seite wurde die Polemik gegenüber dem Judentum verschärft, um die christlich- soziale Identität zu festigen: „Ihr stammt vom Teufel, der ist euer Vater; und wonach es ihm gelüstet, das seid ihr entschlossen zu tun“[47]. Aus der Offenbarung des Johannes stammte die Ansicht von dem Anbruch einer neuen Zeit: „[…] Er schied vom Gott des Lichtes, dem Gott des Neuen Testamentes, den Gott der Finsternis, den bösen Gott des Alten Testamentes.“[48] Die meisten Schriften des Neuen Testamentes erklären den Prozess der inneren, theologischen und sozialen Identitätsbildung des Christentums. Sie beeinflussten den später entstandenen christlichen Antijudaismus wesentlich.

Die geographische Ausbreitung

Seit der Zeit des Apostels Paulus kann man erst von einer Verkündigungsstrategie sprechen: „Paulus hatte drei große Missionsreisen unternommen, die ihn von Antiocheia nach Zypern, Kleinasien, nach Makedonien, Illyrien und in die Peloponnes führten. Jetzt wandte er sich der westlichen Reichshälfte zu, […] seine Zielstrebung war erstaunlich weitsichtig. […].“[49] Da ein großer Teil der ersten Wandermissionare (vgl. Mk 6,7f.): „Da rief er die Zwölf zu sich und sandte sie aus, jeweils zwei zusammen. […] Wenn man euch aber an einem Ort nicht aufnimmt und euch nicht hören will, da geht fort […].“[50] aufgrund mangelnder Quellen[51] historisch nicht verifiziert werden kann, muss man sich auf andere Informationen, z.B. aus den Paulusbriefen, stützen. Paulus war ein eifriger Verkünder der Botschaft Christi: „Und so habe ich von Jerusalem aus ringsum bis nach Illyrien die Christusbotschaft vollstreckt.“[52] Seine Missionen erstreckten sich auf weite Gebiete. Seine Motivation und Ziele sind relativ einfach zu deuten. Der Raum von Ägypten über Nordafrika bis zu den nördlichen

Gebieten des östlichen Mittelmeerraumes war zu seiner Zeit schon in vielen Regionen

mit christlicher Lehre durchzogen. Paulus selbst suchte neuen Raum für eine großflächige Verbreitung der Botschaft Christi; erst wenn die gesamte damals bekannte Welt vom Evangelium gehört habe, träfe die Wiederkehr Christi ein.[53] Die Barbarenländer außerhalb Roms dürften ihn nicht interessiert haben. Seine Mission begrenzte sich auf die Gebiete innerhalb des römischen Reiches. Hier waren die Bedingungen für die relativ schnelle Ausbreitung des Christentums optimal. Zu Beginn des zweiten Jahrhunderts nach Christus befand sich das römische Imperium in seiner größten geographischen Ausdehnung; es umschloss das gesamte Mittelmeer und reichte bis ins heutige Groß- Britannien im Nordwesten Europas. Die römischen Provinzen erstreckten sich auf der Landkarte Europas vom heutigen Portugal im Westen, über den Norden Dänemarks, im Osten, in seiner größten Ausdehnung (unter Kaiser Trajan, 98- 117 n. Chr.) bis in den heutigen Iran (vgl. Fig.1) und im Süden bis nach Ägypten und Lybien (vgl. Fig.2). Die römische Infrastruktur mit ihrem gut ausgebauten Straßenverkehrsnetz und die dadurch verbundenen Städte machte sich Paulus zu Nutze. In den Städten der Provinzen herrschte das damalige politische und gesellschaftliche Leben. Paulus, selbst ein römischer Bürger (geboren in Tarsus, in der heutigen Türkei gelegen), strebte während seiner drei Missionsreisen (ca. 45-58 n. Chr.) die urbanen Zentren an (vgl. Fig.2).[54] Die Städte, die als Verkehrs- und Handelsknotenpunkte im Reich fungierten, waren für Paulus wichtig. Er nutze sie für die Gründung einzelner Gemeindezentren und sorgte dafür, dass die Kommunikation zwischen jenen nicht abbrach.[55] Er schuf in den jeweiligen Gemeinden einen selbsttätigen Mitarbeiterkreis, der die Geschicke der Gläubigen leitete und für die Verkündigung des Glaubens im Umfeld zuständig war. Neben der hohen Mobilität war der nach Reinbold benannte Effekt der „Face- to- Face -Kommunikation“ ausschlaggebend für neue Gemeindemitglieder und - gründungen. Die christlichen Missionare und das weitverstrickte Kontaktnetz in den Städten und Gemeinden waren Fundamente für die optimale Verbreitung des Evangeliums.

Ländliche Gebiete spielten im ersten und zweiten Jahrhundert eine untergeordnete Rolle, erst seit dem Mönchtum, gerieten auch ländliche Gebiete in den Fokus der kirchlichen Missionsbewegung.[56] Weitere Faktoren waren die äußeren Bedingungen: „Ein Imperium, eine Weltsprache [das Griechische], ein Verkehrsnetz, eine Kultur

[…].“[57] Ebenso boten z.B. die Gemeinden in Ephesos, Thessalonike, Philippi, Korinth

ein gewohntes Bild für ankommende Gläubige. Das gemeinsame Feiern der Eucharistie und die gebotene Gastfreundschaft intensivierten die Bindungen und schafften Vertrautheit.[58] Außerhalb des Imperiums fand der christliche Glaube in der vorkonstantinischen Zeit zunächst nur wenig Verbreitung. Lediglich Kaufleute, römische Gefangene oder Einzelpersonen brachten die Botschaft vereinzelt außerhalb des Reiches. Bei der Verbreitung des Christentums muss jedoch berücksichtigt werden, dass es neben den positiven Bedingungen zu erheblichen Widerständen seitens der paganen Umwelt kam.

1.3 Die Christen in Rom

„Judaeos impulsore Chresto assidue tumultuantes Roma expulit” (Er verbannte die Juden, die auf Anstiftung des Chrestos sich in heftigen Tumulten bekämpften, aus Rom).[59]

Als das Christentum entstand, galt Rom, die Hauptstadt des römischen Reiches als wichtigster Handelsknotenpunkt und politisches Zentrum. Es zog Menschen aus allen Provinzen an, und mit ihnen kamen andere religiöse Kultformen in die Stadt. Rom bot mit seiner Vielfalt an Volksgruppen eine optimale Plattform für die geistige Entfaltung neuer Religionen. Gerade die orientalischen Kulte (z.B. der Mithraskult aus Persien) fanden mit ihren Weihen und Riten Zulauf, da sie nicht der breiten Masse offen standen, sondern durch ihre besondere Praxen, neben dem römischen Götterhimmel und dem Kaiserkult, eine gewisse Exklusivität boten. Der römische Staat war im Normalfall tolerant gegenüber den verschiedenen Mysterienkulten, die im Reich und in den Städten praktiziert wurden, solange sie keine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellten. Zu Konflikten kam es erst, wenn diese Ordnung gefährdet wurde. Intoleranter gegenüber anderen Religionen wurde Rom ab dem vierten Jahrhundert nach Christus. Der Staat verfolgte nun massiv alle Religionsgruppen, die von den römischen Traditionen abwichen. Die Forschung weist jedoch auf die ungenaue Quellenlage hin und sieht ein Problem darin, die historischen Ereignisse in allen Facetten korrekt zu rekonstruieren. Die meisten Quellen, die das Verhältnis des Christentums zum römischen Staat beschreiben, sind primär christlichen Ursprungs. Die meist spätantiken christlichen Autoren tendierten dazu, die römischen Christenverfolgungen zu überzeichnen und retroperspektivisch zu ihren Gunsten zu stilisieren. Sie setzen voraus, dass der Staat aus

religiösen Motiven handelte, und bewerteten die Vorgänge unter theologischen

Gesichtspunkten. Wesentlich aufschlussreicher sind für diese Epoche die Schriften paganer Autoren und staatliche Zeugnisse.[60] Eine Religionsgemeinschaft der Christen in Rom ist auf das Jahr 49 n. Chr. zurückzuführen. Tumulte innerhalb der Judengruppen schienen in Rom die innerstädtische Ordnung zu gefährden. Die Anhänger wurden per Edikt des Kaisers Claudius aus der Hauptstadt des Reiches verwiesen. Es schienen aber zu den Unruhestiftern auch Menschen christlichen Glaubens dazu zu gehören. Der Name „Chresto“ wurde irrtümlicherweise mit der gesamten Gruppe der römischen Judenchristen gleichgesetzt und beweist, dass erste Christen schon zu dieser Zeit in Rom lebten.[61] Neben den späteren Vereinigungsverboten, Erlässen durch die „Lex Julia Cesaris“ und „Lex Augusti“, blieben den jüdischen Gemeinden der Status einer erlaubten Vereinigung (vgl. lat.: „factiones licitae“) und der Erlaubnis zur freien Religionsausübung erhalten. Andere „collegia“ wurden zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Städten nur unter Auflage geduldet, solange sie beweisen konnten, dass sie die staatliche Ordnung nicht gefährdeten (vgl. „collegia licita“)[62]. Waren es zunächst die jüdischen Behörden oder Gemeinden, die durch die theologischen Kontroversen Judenchristen und Christen verfolgten: „Sie werden euch aus den Synagogen ausstoßen. Ja, es kommt die Stunde, da jeder, der euch getötet hat, meinen wird, er erweise damit Gott einen heiligen Dienst.“[63], kamen später die Verfolgung durch die Römer hinzu. Spätestens seit Kaiser Nero im Jahre 64 n. Chr. wurden die Christen in Rom als „factiones illicitae” bezeichnet. Der Historiker Tacitus bringt sie mit dem Brand Roms in Verbindung. Er behauptet, es sei das Gerücht entstanden Nero selbst habe den Brand befehligt. Um die Gerüchte aus der Welt zu schaffen, wurden die Christen zum Sündenbock gemacht, vom Kaiser des Brandanschlages bezichtigt und hingerichtet.[64] In der Tat war es einfach, den Blick auf die Gruppe der Christen zu lenken, da es ab der Mitte des ersten Jahrhunderts nach Christus vermehrt in Rom zu einer ausgeprägten Skepsis und Abneigung (vgl. Fig. 3) gegenüber der christlichen Religion kam. Mit ihrer ehre und den religiösen Praktiken distanzierten sich die Christen sich von den öffentlichen, kultischen Handlungen der Römer, zogen nicht nur Neugierige an, sondern lenkten auch das Misstrauen seitens der römischen Bevölkerung auf sich.

1.4 Das Verhältnis der Christen zur römischen Gesellschaft

„Suchet das Wohl des Landes, in das ich euch verbannt habe, und betet für es zum Herrn; denn sein Wohl ist auch euer Wohl.“[65]

Der Anfang der Bewegung ist noch von der Parusie- Haltung geprägt. Die ersten Christen verhielten sich gegenüber den Besatzungsmächten distanziert. Die Hoffnung über das baldige Kommen des Gottesreiches blendete alle anderen Dinge aus. Die Urchristen sahen sich als „Fremdlinge“ und „Heimatlose“ in der römischen Welt.[66] Später, als viele der Zeitzeugen Jesu nicht mehr lebten, änderte sich die Haltung gegenüber dem Staat nach und nach, und die Christen akzeptierten die Regeln der Besatzungsmacht Rom: „Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll, Furcht oder Ehre.“[67] Paulus legte den Lesern nahe, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren und Konflikte mit den Römern zu vermeiden. Wahrscheinlich ist, dass zuvor einige der ersten Gemeinden, ermutigt durch die Parusie- Haltung, an Paulus die radikale Forderung stellten, die Steuern zu verweigern. Ab dem ersten Jahrhundert nach Christus, als sich die Hoffnungen auf die Wiederkehr Christi nicht erfüllten, setzten sich die Christen aktiver mit ihrer sozialen Umwelt auseinander und suchten nach Lösungsansätzen für ein christliches Leben in einer heidnischer Umgebung. Im zweiten Jahrhundert zielte das Bemühen der Leiter der Gemeinden darauf ab, die Mitglieder zu einem der christlichen Botschaft angemessenen Leben zu ermutigen. Denn die Christen schienen zu einem Großteil fest in dem Berufs-, Wirtschafts- und Familienleben verankert zu sein. Die Gemeindemitglieder waren römische Bürger, die zwischen den Geboten des Staates und den Normen und Regeln der christlichen Botschaft standen. Im Hinblick auf diese Spannungen ergab sich die Frage, wie das irdische Leben gestaltet werden sollte. Bischof Irenäus von Lyon (ca. 140- 200 n. Chr.) schreibt in der Tradition des Paulus und damit gegen die gnostische Vorstellung, das Irdische sei als dämonischer Teil der Welt zu betrachten, weltliche Herrschaften seien von Gott allein auf der Erde installiert worden.[68] Handelten diese gerecht, sei es der Wille Gottes, handelten sie ungerecht, erführen sie die gerechte Strafe Gottes. Ein Widerstand gegenüber der irdischen Obrigkeit sei somit sinnlos. Eine extremere Position vertraten die jüngeren Schriften des Neuen Testamentes: „[…] - zur Zeit von örtlichen Christenverfolgungen im westlichen Kleinasien entstandenen Offenbarung des Johannes. […] Hier wurde […] Rom, als die große Hure Babylon, das Tier aus dem

Abgrund bezeichnet.“[69] Ab der Zeit der Pogrome entstanden immer wieder Zweifel an

dem römischen Staat. Und obwohl den Christen Schaden zugefügt wurde und die Botschaft in Hinblick auf die Opfer für den Kaiser eindeutig zu sein schien: „Man muss Gott mehr gehorchen als dem Menschen!“[70], bestand das Gebot für den Kaiser zu beten weiterhin. Tertullian schrieb: „Es gibt noch eine andere, höhere Notwendigkeit für uns, für die Kaiser zu beten, sogar für den Bestand des Reiches insgesamt und für das römische Gemeinwesen, da wir wissen, daß das gewaltige Unheil, das der ganzen Welt bevorsteht…durch die dem Römischen Reich gewährte Frist aufgehalten werde.“[71] Die Christen waren weiterhin der Überzeugung, dass das Imperium Romanum das letzte irdische Reich darstelle und bald durch ein christliches Reich abgelöst werde.

Die Christen, die das römische Bürgerrecht besaßen, akzeptierten grundsätzlich den römischen Kaiser und Staat, sahen sich als Bürger des irdischen wie des himmlischen Staates: „Vor allem fordere ich zu Bitten und Gebeten, zu Fürbitte und Danksagung auf, und zwar für alle Menschen, für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben, damit wir […] ungestört und ruhig leben können.“[72] Die Botschaft war, Gehorsam gegenüber Gott Verehrung gegenüber dem Kaiser zu zeigen. Tertullian schreibt in seinem Apologeticum, dass irdische Dinge befolgt werden sollten, ein wahrer Christ aber Gott mit seinem Geist folgen und sich ihm mit ganzem Herzen hingegeben solle. Meliton von Sardes (+ 190) stellte in seiner Schrift zu Zeit des Kaiser Marc Aurel (121 -180) die christlichen Gemeinden als Helfer und Verbündete des Reiches dar: „Von da ab nämlich erhob sich die römische Macht zu Größe und Glanz […] Daß unsere Lehre zugleich mit dem Reiche, das glücklich begonnen hatte, zu dessen Wohl erblühte […], daß ihm von den Zeiten des Augustus an nichts Schlimmes widerfahren ist, […] lauter Glanz und Ruhm geerntet hat.“[73] und begründete somit eine enge Position im Verhältnis der Christen zum römischen Staat, die schon im ersten Jahrhundert nach Christi wurzelte, aber erst in späterer Zeit von großer Bedeutung war.

1.5 Das Toleranzedikt von Nikomedia

„[…] in unserer außerordentlichen Milde und beständigen Gewohnheit, sämtlichen Menschen zu verzeihen, für notwendig, auch in diesen unsere freimütigste Nachsicht zu gewähren, damit sie wieder Christen sein und ihre Versammlungsstätten wieder

aufbauen können, jedoch so, dass sie nichts gegen die öffentliche Ordnung

unternehmen.“[74]

In der letzen Verfolgungsphase während der Regierungszeit des Diocletian ging der römische Staat mit neuer, bis dato nicht dagewesener Härte gegen die Christen vor. Die Gemeinden bekamen nun mehr und mehr Zulauf von Menschen aus der römischen Oberschicht. Römische Senatoren und Mitglieder der sozialen und poltischen Elite ließen sich taufen und wurden Christen. Die zunehmende Macht der wachsenden Kirche schien in den Augen des Kaisers nicht nur die inneren Verhältnisse zu gefährden, sondern eine große Gefahr für den Fortbestand des römischen Reiches zu sein. Dem Reichsreformer misslang im Jahre 300 eine Eingeweideschau. Er machte die dabei anwesenden Christen für den Zorn der Götter verantwortlich und befahl wie einige seiner Vorgänger Sühneopfer für ihn, die Soldaten und die Götter zu erbringen. Er ordnete an, alle christlichen Kirchen zu zerstören, die Kleriker zu verfolgen, die christlichen Schriften zu verbrennen und Christen in öffentlichen Stellungen zu entmachten. Der Kaiser ging noch weiter. Er erließ 304 das generelle Opferedikt. Alle Bürger des Reiches wurden dazu aufgerufen, kollektiv Opfer darzubringen. Verweigerten die Christen die Opfer, drohte wie bei den Regierungen der Kaiser Decius und Valerian der Tod. Doch dadurch, dass die Machtverhältnisse im Reich seit Diocletian auf die Verteilung von vier Kaisern in vier römischen Teilreichen beruhten, wurden die Anordnungen von den Tetrarchen verschieden stark umgesetzt. Der Ostteil des Reiches hielt sich strikt an die Anordnungen, da der christliche Glaube im vierten Jahrhundert dort stärker als im Westen verbreitet war und staatskirchliche Züge trug.[75] Diocletians Nachfolger, Galerius (305-311), Mitkaiser in der ersten Tetrarchie, der die antichristliche Haltung fortsetzte, erkrankte schwer und erließ noch vor seinem Tod in 311 ein Toleranzedikt, das die bisherige Politik der Härte für gescheitert erklärte. Das Edikt von Nikomedia erklärte die Gemeinschaft des Nazareners zu einer „religio licta“, stellte den Christengott auf dieselbe Ebene des paganen Götterhimmels und ließ die freie Glaubensausübung zu. Galerius war zwar kein Förderer der christlichen Kirche, er erkannte jedoch, dass die exklusive Haltung der Christen, die Anbetung des Christengottes, nicht mehr annulliert werden konnte. Die Kirche und die einzelnen Gemeinden durften nun nach dem öffentlichem Recht (ius publicum) nicht nur ihren Glauben offiziell praktizieren, sondern auch Handel betreiben und eigene Güter besitzen.[76]

[...]


[1] Vgl. Weyres (1987)

[2] Vgl. Angenendt (2001)

[3] Vgl. EÜ (1980), Mt 18,20.

[4] Vgl. EÜ (1980), Joh 2,13-16; Mk 11,15 - 19; Lk 19,45-48.

[5] Vgl. EÜ (1980), Hebr 9,24-28.

[6] Vgl. EÜ (1980), 1 Petr 3,18; Angenendt (2007), S. 28 f.

[7] Vgl. Angenendt (2007), S. 29.

[8] Vgl. EÜ (1980), Lev 19,18; 1 Kor 3,16.

[9] Vgl. EÜ (1980), Ex 25,8.; Deichmann (1982), S.29.

[10] Vgl. Angenendt (2007), S. 27 EÜ (1980), Joh 5,29; 1 Kor 5,7.

[11] Vgl. EÜ (1980), Mt 9,13.

[12] Vgl. EÜ (1980), 1 Petr 1,16 f.

[13] Vgl. Lutterbach (2003), S. 32 f.

[14] Vgl. EÜ (1980), Hebr 8,1;7-13; Joh 8,56-59.

[15] Vgl. Angenendt (2007), S.30.

[16] Vgl. EÜ (1980), 1 Kor 12,12-13.

[17] Vgl. Deichmann (1982), S. 56.

[18] Vgl. Winkelmann (1996), S.17 f.

[19] Vgl. EÜ (1980), Apg 15 / Römerbrief; Winkelmann (1996), S. 19ff; Piepenbrink (2007), S. 2.

[20] Vgl. Winkelmann (1996), S.18.

[21] Vgl. EÜ (1980), Gl 5,2-6; Eph 2,11-16.

[22] Vgl. EÜ (1980), Mt 24,14.

[23] Vgl. Winkelmann, S. 18 f.

[24] Vgl. Piepenbrink (2007), S. 2.

[25] Vgl. Winkelmann (1996), S. 35.

[26] Vgl. Winkelmann (1996), S. 39; Hausammann (2001), S. 3.

[27] Vgl. Winkelmann (1996), S. 42; Gal 3,23-26.

[28] Vgl. EÜ (1980), Gal 5,2-6.

[29] Vgl. Piepenbrink in „Antike und Christentum“ , zitiert nach U. Schwarz in: Der Spiegel Geschichte (01 2009), S.107.

[30] Vgl. Piepenbrink(2007), S. 2.

[31] Vgl. Winkelmann (1996), S.11.

[32] Vgl. Spiegel Geschichte (01 2009), S. 114 ; 1 Petr 2,9.

[33] Vgl. Winkelmann (1996), S. 17; EÜ (1980), Mt 15,24.

[34] Vgl. EÜ (1980), Mt 28.

[35] Vgl. Winkelmann (1996), S. 24,25.

[36] Vgl. Lutterbach (2003), S. 185, 186; EÜ (1980), Gal 5,14.

[37] Vgl. Piepenbrink (2007), S. 5.

[38] Vgl. Piepenbrink (2007), S. 12, 14; Lutterbach (2003), S. 33 f; Angendent (2007), S.36, S.62 -

63.

[39] Vgl. Angenendt (2007), S. 35; Reinbold (2000), S.310, 313 f.

[40] Vgl. EÜ (1980), Mt 19,24.

[41] Vgl. Piepenbrink (2007), S. 5.

[42] Vgl. Winkelmann (1996), S.24.

[43] Vgl. Winkelmann (1996), S.44 f.

[44] Vgl. Winkelmann (1996), S.24.

[45] Vgl. Winkelmann (1996), S.37.

[46] Vgl. Winkelmann (1996), S. 45.

[47] Vgl. EÜ (1980), Offb 8,44.

[48] Vgl. Winkelmann (1996), S. 47.

[49] Vgl. Winkelmann (1996), S. 20; EÜ (1980), Röm 15,14 ff.

[50] Vgl. EÜ (1980), Mk 6,7.

[51] Vgl. Winkelmann (1996), S. 19; Piepenbrink (2007), S. 5.

[52] Vgl. EÜ (1980), Röm 15 ff.

[53] Vgl. Winkelmann (1996), S. 20.

[54] Vgl. Kinder/Hilgemann (1982), S. 107

[55] Vgl. EÜ (1980): 1Kor 16,19; 2 Kor 2,1-4; Gal 2,1ff.

[56] Vgl. Angenendt (2007), S. 38

[57] Vgl. Harnack A. von, Bd 1, S. 27 zitiert nach Winkelmann (1996), S. 27

[58] Vgl. Winkelmann (1996), S. 29

[59] Vgl. Hausamman (2001), S. 3.

[60] Vgl. Piepenbrink (2007), S. 10; Winkelmann (1996), S. 53.

[61] Vgl. EÜ (1980): Apg 18,1-3; Hausamman (2001), S. 3.

[62] Vgl. Hausamann (2001), S. 5.

[63] Vgl. EÜ (1980): Joh 16,2.

[64] Vgl. Piepenbrink (2007), S. 11.

[65] Vgl. EÜ (1980), Jer 29,7.

[66] Vgl. EÜ (1980), 1 Petr 2,11.

[67] Vgl. EÜ (1980), Röm 13,1.

[68] Vgl. Piepenbrink (2001), S.21.

[69] Vgl. Winkelmann (1996), S.82.

[70] Vgl. EÜ (1980), Apg 5,29.

[71] Vgl. Winkelmann (1996), S.85.

[72] Vgl. EÜ (1980), 1 Tim 2,1 f.

[73] Vgl. Winkelmann (1996), S.86.

[74] Vgl. Winkelmann (1996), S.92, Toleranzedikt von Nikomedia, 311 n. Chr.

[75] Vgl. Winkelmann (1996), S.22.

[76] Vgl. Piepenbrink (2001), S.71.

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Architektur und Theologie christlicher Kirchenbauten (4. - 8. Jahrhundert)
Untertitel
Am Beispiel Xanten
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Katholische Theologie)
Veranstaltung
Historische Theologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
81
Katalognummer
V192005
ISBN (eBook)
9783656175605
ISBN (Buch)
9783656176152
Dateigröße
10859 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Xanten, Kirchen, Kirchenbauten, Archäologie, Dombauten, Theologie, Frühchristentum, St. Victor, Kirchenarchitektur, Christentum, Niederrhein
Arbeit zitieren
Fabian Korting (Autor:in), 2009, Architektur und Theologie christlicher Kirchenbauten (4. - 8. Jahrhundert), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192005

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