Der Begriff der Schule in der Soziologie. Die Frankfurter Schule und die Durkheim-Schule


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

28 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

0 Einleitung

1 Die "Schule" - der Begriff
1.1 Die Definition der Schule
1.2 Das Rollensystem der Schule

2 Die Frankfurter Schule
2.1 Die Erscheinung der Frankfurter Schule
2.2 Warum die Frankfurter Schule ihrem wiss. Anspruch nicht genügen konnte
2.3 Das Wirken der Frankfurter Schule aus heutiger Sicht
2.4 Der Positivismusstreit

3 Die Durkheim-Schule
3.1 Entstehung und das öffentliche Bild der Schule
3.2 Die Année Sociologique
3.3 Die Soziologie Durkheims
3.4 Die Mitglieder der Durkheim-Schule

4 Schlussbetrachtungen
4.1 Gegenüberstellung: Traditionelle und Kritische Theorie
4.2 Beurteilung hinsichtlich Tiryakians Rollenmodell sowie per Definition

5 Literaturverzeichnis

0 Einleitung

Auf den folgenden Seiten soll der Versuch unternommen werden, sich dem Begriff der Schule anhand einer Begriffsklärung und der Vorstellung zweier soziologischer Denkschulen analytisch zu nähern.

Im ersten Abschnitt (1.1) dieser Ausarbeitung werden der Begriff der Schule, insbesondere die bestehende soziale Struktur innerhalb derselben, untersucht. Genauer betrachtet wird das Rollensystem ( 1.2) einer Schule zur Klassifizierung dieser herangezogen. Dabei soll das Einbringen verschiedener wissenschaftlicher Auffassungen zum Thema durch die Theoretiker Sorokin und Petrovic einen diskursiven Charakter innerhalb der Hausarbeit erbringen. Demnach versteht Sorokin unter einer Schule:

"... geistige Gruppierungen von Personen, die räumlich und/oder zeitlich voneinander getrennt sein können, die einen bestimmten erkennbaren Modell, einer Hypothese oder eine Methode teilen." (Lepenies 1981, S. 38 f).

Nachdem die Definition sowie die notwendigen Bedingungen, denen eine wissenschaftliche Schule genügen muss, wie zum Beispiel das gemeinsame Paradigma, erarbeitet wurden, wird im darauffolgenden Teil Tiryakians Rollenmodell in die Diskussion eingeführt.

Im zweiten und dritten Abschnitt erfolgt eine Konkretisierung, indem zwei soziologischen Schulen vorgestellt werden.

Beide Schulen sollen die Ausprägungen und Erscheinungsformen einer soziologischen Denktradition vor dem Hintergrund unterschiedlicher historischer Kontexte verdeutlichen.

Hierbei beschränken sich die Ausführungen auf zwei europäische Denkschulen - die Frankfurter-Schule, deren wissenschaftliche Wirkungen noch heute von Bedeutung sind und die Durkheim-Schule, die die frühe Soziologie in Europa entscheidend prägt, wenn nicht sogar mitbegründete.

Im zweiten Abschnitt soll demnach die Frankfurter-Schule und ihre Kritische Theorie betrachtet werden. Dabei wird ein Schwerpunkt in der Analyse des Scheiterns der Kritischen Theorie bestehen. Des weiteren wird auf die heutige Bedeutung der Frankfurter Schule eingegangen. Um beide vorher besprochenen Aspekte der Frankfurter Schule zu verbinden, wird im darauffolgenden Abschnitt der Positivismusstreit zum Zweck der Erläuterung kurz vorgestellt.

Im dritten Abschnitt wird das Augenmerk auf einer der ersten und wichtigsten Denkschulen der europäischen Soziologie liegen - der Durkheim-Schule. Diese sah sich im beginnendenden 20. Jahrhundert mit Schwierigkeiten ganz anderer Art konfrontiert. Da sie vor allem durch die Pionierarbeit bekannt ist, welche sie für die Soziologie in Europa betrieb, verwundert es nicht, dass ihre Problematik nicht losgelöst vom Kontext der Institutionalisierung des Faches Soziologie betrachtet werden kann. Wie später noch ausführlicher zu lesen sein wird, konnte die Soziologie zu Zeiten der Jahrhundertwende noch nicht auf facheigene Lehrstühle zurückgreifen, um sich zu etablieren.

Dies führte dazu, dass die soziologische Schule auf andere Methoden zurückgreifen musste, um im wissenschaftlichen Diskurs wirken zu können.

Den abschließenden Teil dieser Hausarbeit, der gleichzeitig als Zusammenfassung gelten kann, wird eine Schlussbetrachtung darstellen, in welcher der Versuch erarbeitet werden soll Tiryakians Rollenmodell auf die beiden vorgestellten Schulen anzuwenden.

1. Die Schule

1.1 Die Definition der Schule

Die Zahl der Schulen die zu einem beliebigen Zeitpunkt die Profession beeinflussen ist immer von geringer Anzahl. Tiryakian stellt hierzu die Vermutung auf, dass jede Weiterentwicklung innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin mit der Entstehung einer Denkschule verbunden ist und von dieser geprägt wird. Dabei kann diese Disziplin niemals als identisch mit den Inhalten dieser Schule betrachtet werden (Lepenies 1981, S. 47).

Sorokin leistete mit seiner Analyse von Clustern soziologischen Denkens Pionierarbeit. Er kam zu dem Schluss, dass man unter dem Begriff der Schule klassifikatorische Gattungen und deren Unterarten erfassen kann.

Genauer versteht Sorokin unter einer Schule folgendes:

"... geistige Gruppierungen von Personen, die räumlich und/oder zeitlich voneinander getrennt sein können, die einen bestimmten erkennbaren Modell, einer Hypothese oder eine Methode teilen." (Lepenies 1981, S. 38 f).

Diese gemeinsame Methode oder Hypothese bezeichnet das Paradigma einer Schule.

Tiryakian ergänzt diese Auffassung, indem er schreibt, dass eine Schule sich weiterhin durch eine Innovation auszeichnet, d.h. sie verfügt über einen neuen Stil, eine Technik oder eine Art der Wissensauslegung, die für die Schule als spezifisch gelten kann (ebd.). Ebenso entwickelt die Schule ein eigenes System von Begrifflichkeiten und symbolischen Ausdrucksformen, durch deren Hilfe sie ihre Theorien formuliert und markiert.

Diese Aspekte verleihen der Schule ihre Identität und ihre Struktur, die sie gegenüber anderen Denktraditionen abgrenzt.

Im Gegensatz zu Sorokin ergänzt Tiryakian die Definition einer Schule um das Merkmal eines hohen Maßes an zeitlicher und räumlicher Interaktion, welche sich unter einem kleinen Kreis von Mitgliedern vollzieht (Lepenies 1981, S. 39f ). Das dies durchaus nicht auf alle soziologischen Schulen zutrifft, wird sich während der Betrachtung der Durkheim-Schule herausstellen.

Für die Bildung und Durchsetzung einer Schule sind die folgenden Aspekte von Bedeutung:

Der gegenwärtige Stand der wissenschaftlichen Disziplin ist gekennzeichnet durch eine Phase der Stagnation oder Anomie. Es herrschen entweder zahlreiche Orientierungsmuster oder eine dominante Denkschule, deren Inhalte sich aber nicht durchsetzen können. Aus dieser "geistigen Leere" heraus wird eine neue innovative Denkschule geboren ( Lepenies 1981 , S. 48). Dies kann aber nur geschehen, wenn sich eine Person dazu berufen fühlt ihrer Art der Wirklichkeitsbetrachtung Ausdruck zu verleihen, indem sie eine neue Denkschule gründet (ebd.). Für diese Person darf die Rekrutierung und Ausbildung neuer Schüler kein Hindernis darstellen. Ebenfalls ist die Lokalisierung innerhalb eines Ballungsgebiets und die institutionelle Anbindung an die Universität für die erfolgreiche Etablierung einer wissenschaftlichen Schule von Vorteil. Dies bietet die Möglichkeit sich über den wissenschaftlichen Stand ständig aufklären und Kontakte zu anderen Intellektuellen knüpfen zu können; nicht zuletzt die Anwerbung von Schülern wird dadurch begünstigt (ebd., S. 49).

Die Existenz eines Publizierungsorgans ist für den Fortbestand einer Schule von maßgeblicher Bedeutung. Nur durch die Publikation ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse ist es der Schule möglich ihre Inhalte über weite Distanzen hinweg und wissenschaftliche Gebiete bekannt zu machen.

Dieses publizistische Organ kann in Form einer Zeitung oder Zeitschrift auftreten und ist gleichfalls ein wichtiger Faktor für die Identitätsstiftung dieser Schule, da sie einen kontinuierlichen Austausch der Mitglieder gewährleisten kann (ebd. S. 50).

1.2 Das Rollensystem der Schule

Tiryakian entwickelt zur Bestimmung einer Schule das folgende System, welches sich im wesentlichen durch die Analyse der Struktur einer Schule auf dieselbige konzentriert.

Zunächst kann man davon ausgehen, dass die Größe einer Schule zwischen den einzelnen Denkschulen, aber auch über zeitliche Abläufe hinweg stark variieren kann. Jedoch wird sie nur in seltenen Fällen über zwei Dutzend Mitglieder hinausgehen. Der Zugang der Gruppe wird im allgemeinen über deren Gründer reguliert (ebd., S. 51). Die Schule versucht durch einen "intellektuellen Missionswillen" ihre Profession zu erneuern und voranzubringen.

Dabei legt der Gründer einer Schule die Ideen und Techniken fest mit deren Hilfe sie sich nach außen formuliert. Die sich daraus ergebende Struktur bindet die Mitglieder der Schule an die zentrale Figur des Führers (Lepenies 1981, S. 40 ff).

Der Führer einer wissenschaftlichen Gemeinschaft dieses Typus kann durch seine innovative Art der Wirklichkeitsbetrachtung mitunter Schwierigkeiten in der Ausformulierung seiner Erkenntnisse haben, womit gemeint ist, dass sein Wortschatz nicht mehr im Dienste der Popularisierung seiner Idee verwendet werden kann. Demnach muss eine Person die dem Führer sehr nahe steht, welche genau weiß was dieser ausdrücken will, die Aufgabe der "Übersetzung" übernehmen, um eine breitere wissenschaftliche Rezeption zu erreichen.

Diese Person übernimmt die Rolle des ´Interpreten` und wird zum Popularisierer der Schule, indem sie seine Erkenntnisse einem breiten Publikum zugänglich macht. Im Falle der Parsons - Schule, deren zentrale Figur Talcott Parsons, ein ausgebildeter Ökonom war, geschah dies beispielsweise durch Robert K. Merton.

Die Figur des Übersetzers ist für den Fortbestand einer Schule überlebenswichtig, da ohne sie deren Denkinhalte nicht oder nur ungenügend nach außen getragen werden können (ebd.).

Tiryakian unterscheidet weiterhin folgende Rollen innerhalb einer Schule.

Gewöhnlich versammelt sich um die Figur des ´Führers` dessen unmittelbare Gefolgschaft. Diese kann aus dergleichen Generation wie der Führer stammen und deshalb über dieselben historische Erfahrung verfügen. Ihre frühe wissenschaftliche Ausbildung vollzog sich ohne eine Verbindung zu ihrer späteren Leitfigur. Erst nachdem sie diesem begegnet und mit dessen Idee vertraut geworden sind, übernahmen sie dessen Weltbild und schlossen sich seiner Arbeit an.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil einer Schule sind die ´Schüler`. Diese sind meist jünger als der Führer und werden bereits in einem frühen Stadium ihrer wissenschaftlichen Laufbahn durch die Ansichten des Führers geprägt. Sie können zu einem späteren Zeitpunkt den Fortbestand der Schule gewährleisten, indem sie die Vertreter des Führers werden und spätere Generationen rekrutieren und ausbilden.

Die Stellvertreter des Führers tragen die Idee der Schule nach außen, indem sie Stellen in außenstehenden Institutionen annehmen und sie über die Grenzen der Schule hinaus publik machen.

Eine weitere Rolle innerhalb einer Schule kommt dem ´Helfer` zu. Dieser ist weniger für die Lieferung intellektueller Beiträge zuständig. Stattdessen zeichnet er sich durch eine wohlwollende Haltung der Schule gegenüber aus und bildet einen eher stillen Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft ( Lepenies 1981, S.45). Als ´Fußsoldat` unterstützt er die Schule durch organisatorische Tätigkeiten.

Eine dem Helfer verwandte Rolle ist die des ´Patrons`. Der ´Patron` glänzt weniger durch intellektuelles Einbringen, denn durch materielle Unterstützung. Die Basis dieser Hilfestellungen bilden meist persönliche Bindungen oder die Übereinstimmung mit wesentlichen Vorannahmen der Schule.

Da sich besonders die Beziehung zu den Schülern durch die Generationendifferenz auszeichnet, kann es zu Uneinigkeiten aber auch zu dynamischen Bewegungen innerhalb der Schule kommen.

Eine Schule kann als erfolgreich bezeichnet werden, wenn es ihr möglich ist über mehrere Generationen neue Schüler zu rekrutieren und auszubilden.

Weiterhin ist dies der Fall, wenn "...die größere wissenschaftliche Gemeinde zugibt, daß sich die Schule an der Forschungsfront befindet." ( Lepenies 1981, S. 46). Den wissenschaftlichen Publikationen der Schule wird ein hohes Maß an Aufmerksamkeit geschenkt und die Mitglieder befinden sich in anerkannten institutionellen Positionen.

2 Die Frankfurter Schule

Ebenso wie dem Marxismus liegt auch der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule eine "philosphisch-kritische Wissenschaftsauffassung" im Gegensatz zur "empirisch-analytischen Wissenschaftsauffassung zu Grunde. Demnach hat Wissenschaft...

"...nicht nur die Aufgabe, Realität zu beschreiben, zu typisieren und zu erklären, sie kommt nicht darum herum, die Realität auch wertend zu interpretieren." ( Morel 1992, S.195)

Im Fall der Kritischen Theorie liegt dieser Bewertung die Annahmen der Emanzipierten Menschheit, dessen verwirklichte Freiheit sowie die Gleichheit und Brüderlichkeit der Menschen zu Grunde (ebd.). Die Kritische Theorie entstand in der 30er Jahren, zur Zeit der Weimarer Republik, im Zentrum des "Instituts für Sozialforschung".

Das "Institut für Sozialforschung" wurde 1924 in Frankfurt am Main als private Stiftung von Hermann Weil gegründet. Als ein kritisch und interdisziplinär ausgerichtetes Institut sollte es

"... die Geschichte und Theorie der Arbeiterbewegung, die Wechselwirkung zwischen den wirtschaftlichen und kulturellen Lebensbereichen der Gesellschaft sowie die Entwicklungstendenzen der modernen Gesellschaft selbst untersuchen." (Gmünder 1985, S. 10).

Carl Grünberg, der im gleichen Jahr das Amt des Direktors antrat, verstand sich als positivistisch orientierten Marxisten. Zugleich war er der Herausgeber des Grünberg Archivs (ebd.). Nachdem im Jahr 1932 Erich Fromm in das "Institut für Sozialforschung" eintrat, erschien die "Zeitschrift für Sozialforschung" als Nachfolge des Grünberg Archivs. In den folgenden Jahren sollte sich die "Zeitschrift für Sozialforschung" sich als wichtigstes Diskussions- und Publikationsinstrument, nicht nur für die Kritische Theorie, hervorheben (ebd., S. 11).

Nachdem der Faschismus in Deutschland immer weitere Verbreitung fand, eröffnete das Institut 1933 Zweigstellen in Genf, Paris und London und transferierte das Institutsvermögen in die Niederlande. Als das Institut im März 1933 wegen ´staatsfeindlicher Tendenzen` geschlossen wurde, siedelte Horkheimer, der gegenwärtigen Redens-Führer der Frankfurter-Schule, zunächst nach Genf um und nahm im darauffolgenden Jahr eine Professur an der University of Columbia an, wo er die Institutsarbeit fortsetzte. Dies Umsiedlung zwang die Frankfurter Schule ihr bisheriges Programm des " im Hinblick auf die Chance einer Emanzipation des Menschen relativ optimistischen Marxismus" aufzugeben. Stattdessen beschäftigte sich die Frankfurter Schule nun mehr mit einer reinen Geschichtsphilosophie, die mitunter sehr negative Züge aufwies ( Morel 1992, S 195).

Das Institut unterstützte im Exil mehr als 200 Emigranten. Erst im Jahr 1950 kehrte das "Institut für Sozialforschung" wieder an seinen Entstehungsort Frankfurt zurück und setzte seine Arbeit fort (ebd.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Der Begriff der Schule in der Soziologie. Die Frankfurter Schule und die Durkheim-Schule
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Soziologie)
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
28
Katalognummer
V19226
ISBN (eBook)
9783638234009
Dateigröße
585 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Begriff, Schule, Soziologie, Frankfurter, Schule, Durkheim-Schule
Arbeit zitieren
Jessica Karcher (Autor:in), 2002, Der Begriff der Schule in der Soziologie. Die Frankfurter Schule und die Durkheim-Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19226

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