Der Einfluss der Mystik auf die Entwicklung der deutschen Sprache


Seminararbeit, 2011

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die deutsche Mystik
1.1. Die mittelalterliche Frauenmystik
1.2. Erkenntnismystik und Gefühlsmystik

2. Charakteristika der Sprache der deutschen Mystik
2.1. Neubildung von Nomina durch Ableitungssuffixe
2.2. Wortneubildungen mit Präpositionen und Präfixen
2.3. Negativbildungen
2.4. Substantivierungen
2.5. Lehnübersetzungen
2.6. Metaphorik

3. Textanalyse: Mechthild von Magdeburg „ Von der minne weg an siben dingen, von drin kleiden der brúte und von tantzen
3.1. Einordnung in das Gesamtwerk
3.2. Inhalt und Metaphorik
3.3. Sprachliche Charakteristika

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die deutsche Mystik und mit ihr die mystische Literatur begann sich ab der Mitte des 13. Jahrhunderts zu entfalten. Die Bewegung lief neben der offiziellen Kirche her und wirkte unmittelbar auf Nonnen und geistliche Frauen sowie auf andere geistliche Kreise. Bekannte Mystiker waren zum Beispiel Meister Eckehart, Mechthild von Magdeburg und David von Augsburg. Sie lebten vorwiegend im ostmitteldeutschen Sprachraum.

Die Mystiker versenkten sich meditativ in die religiösen Gehalte des Christentums. Ihr Streben war dabei auf eine gefühlsmäßige oder geistige Vereinigung ihrer Seele mit Gott ausgerichtet, der unio mystica. Das Einssein mit Gott konnte sich zwar nur auf außersprachlicher Ebene vollziehen, doch das Wort musste als Medium dienen, um die mystische Erfahrung mitzuteilen und glaubhaft zu machen.

Bei der Versprachlichung religiöser Erlebnisse stießen die Mystiker immer wieder auf das Problem, dass der deutschen Sprache entsprechende Mittel fehlten, um das tiefe Erleben der unio mystica darzustellen. Der Wortschatz erschien unzureichend, um das Verhältnis der eigenen Seele zu Gott zu beschreiben. Sie brauchten neue, nicht vorbelastete Ausdrucksmittel, um ihre Visionen zum Ausdruck zu bringen. Schwierigere Inhalte, die bisher nur durch das Latein wiedergegeben wurden, sollten durch sprachliche Neuerungen angemessener ausgedrückt werden.

Eggers spricht von einer Notwendigkeit der Sprachneuschaffung: „Mystik ist eine so großartige, so umstürzende Bewegung des menschlichen Geistes, daß sie notwendigerweise ihre eigene, unverwechselbare Sprache schaffen muss.“ (Eggers 1991, 69). Diese „höchst sublime und esoterische Sondersprache“ (Tschirch 1989, 78) werde ich im Folgenden eingehender betrachten. Nach einer kurzen Vorstellung der deutschen Mystik und ihrer Träger erfolgt die Darstellung der sprachlichen und stilistischen Besonderheiten der mystischen Texte. Anschließend werden diese Charakteristika an einem Text von Mechthild von Magdeburg belegt.

1. Die deutsche Mystik

1.1. Die mittelalterliche Frauenmystik

Seit dem 12. Jahrhundert beschäftigten sich mehr Laien mit religiösen Fragen. Ihre Visionen wurden von Klerikern niedergeschrieben. (vgl. Bochsler 1997, 22) Während die Träger der Visionen ab dem Frühmittelalter hauptsächlich Männer waren, erreichte im 13. Jahrhundert in Brabant, Nieder- und Süddeutschland die mittelalterliche Frauenmystik ihren Höhepunkt. (vgl. Haas 1987, 241) Es werden zahlreiche kürzere Visionen von Frauen aufgezeichnet, die in Visionsbüchern zusammengefasst oder in einer Vita aufgezeichnet werden. Viele der Visionärinnen sind Beginen, so die bekannte Begine Hadewijch, deren Werk Mechthild beeinflusste, Gertrud die Große und Mechthild von Hackeborn, die mit Mechthild von Magdeburg im Kloster Helfta lebten. Die Mehrheit dieser Frauen war von adliger Herkunft. Sie wählten aus religiösem Enthusiasmus ein Leben in Armut und Askese. (vgl. ebd., 241) Die bekannte Mystikerin Mechthild von Magdeburg (ca. 1207 - 1282) wuchs vermutlich als Adlige in der höfischen Kultur auf. Sie lebte um die dreißig Jahre als Begine in Magdeburg, wohin sie sich mit etwa 20 Jahren begeben hatte. Sie entschied sich für ein Leben in Enthaltsamkeit von weltlichen Dingen, „in Armut und Schmach, in Entfremdung und Kasteiung“ (Wehrli 1997, 625).

Die Visionen dieser Frauen wurden von ihren Beichtvätern oder Seelsorgern niedergeschrieben. Frauen in Beginen-Konventen wurden von Dominikanern seelsorgerisch betreut, so auch Mechthild, die unter der Seelsorge des Bruders Heinrich von Halle stand. Dieser fasste die von ihr in mittelniederdeutsch auf losen Blättern niedergeschriebenen Visionen und Gebete in sieben Büchern zusammen, die sie „Das fließende Licht der Gottheit“ nannte. In den Texten der Mechthild von Magdeburg finden sich viele Motive, die in der Geschichte der Visionsliteratur tradiert wurden und von den Mystikern immer wieder aufgegriffen wurden. Ihre visionäre Bilderwelt wurde zudem durch die zeitgenössische bildende Kunst, aus dem ikonographischen Themenkreis in Kloster und Kirche, beeinflusst. (vgl. Bochsler 1997, 36ff.)

1.2. Erkenntnismystik und Gefühlsmystik

In den Texten der Mystiker lässt sich eine Unterscheidung zwischen Erkenntnismystik und Gefühlsmystik anhand unterschiedlicher Ausdrucksweisen und bildlicher Vorstellungen treffen. (vgl. Eggers 1991, 463)

Die Gefühlsmystik ist „der Weg unendlicher Liebe“, die Erkenntnismystik dagegen „vom Intellekt getragen“ (ebd., 463). Die Mystiker beider Richtungen sahen sich jedoch vor die gleiche Aufgabe gestellt: die Versprachlichung des Erlebnisses der unio mystica. Sie verwendeten dazu, „der ganz unirdischen, entrückenden Art des mystischen Erlebnisses entsprechend“ (ebd., 463), sehr abstrakte Ausdrucksweisen und versuchten in Bildern und Gleichnissen darzustellen, was mit einfachen Worten nicht ausgedrückt werden konnte.

Die Sprache der Gefühlsmystiker ist durch starke Bildhaftigkeit gekennzeichnet, geistige Vorgänge werden mithilfe sinnlicher Bilder dargestellt. (vgl. ebd., 469) So verwendete Mechthild von Magdeburg leidenschaftliche, erotische Bilder, um das intensive, geistig-religiöse Erleben der mystischen Vereinigung mit dem Göttlichen auszudrücken. Während die Darstellung des Verhältnisses von Gott zu Mensch in frühmittelalterlichen lateinischen Texten noch von Formulierungen der Gottesferne und Gottesangst dominiert wurde, wandelte sie sich um 1100 in der geistlichen Literatur zu einem Verhältnis der Liebe zwischen dem Gläubigen und Gott. (vgl. Bochsler 1997, 139) Der Begriff der Liebe wurde vor allem aus dem Vokabular der höfischen Minnelyrik übernommen. Topologische Wendungen der Minnesprache wurden von Mechthild aufgegriffen und in neue Sinnverbindungen eingebracht. Begriffe aus der höfischen Literatur wurden zudem mit Bildern kombiniert, die sie dem Hohelied Salomos aus dem Alten Testament entnahm. (vgl. ebd., 139) Die Übernahme von Bildern aus diesem Bibeltext war in der Gefühlsmystik gebräuchlich. Die erotischen Bilder des Hohelieds wurden als „Metaphern für ganz unsinnliche, geistig-religiöse Erlebnisse“ (Eggers 1991, 469) verwendet.

Die Ausdrucksweise der Mystikerin unterscheidet sich durch ihren sinnlich ekstatischen Ton von der klaren, sachlich-gegliederten Darstellungsweise der Erkenntnismystiker, deren Gottesliebe auf der Erkenntnis vom Wesen Gottes beruhte. Zur Gruppe der Erkenntnismystiker zählten David von Augsburg, ein „Wegbereiter der Sprache der Erkenntnismystik“ (ebd., 473) und die bekannten Mystiker des 14. Jahrhunderts, die Dominikaner Meister Eckhart und seine beiden großen Schüler Johannes Tauler und Heinrich Seuse.

Der Franziskanermönch und Volksprediger David von Augsburg (ca. 1210 bis 1272), zählte zum Kreis der theologisch ausgebildeten, gelehrten Geistlichen. Eggers charakterisiert ihn als einen „klaren, gut disponierenden Denker und einen vorzüglichen Stilisten“, der in „einer mühelosen, edlen Sprache [...] auch die schwierigsten Gedankengänge wohlgegliedert vorzutragen“ (ebd., 462) wusste. David von Augsburg benannte in seinem Traktat „Von der Erkenntnis der Wahrheit“ den Glauben, das Verständnis vom Wesen Gottes und die Vision des Göttlichen als Wegbereiter zur Erkenntnis. Er verwendete ebenfalls den Begriff der Minne, um das innige Verhältnis von Gott und Mensch zu umschreiben. Die Minne beruhte nach ihm auf Gotteserkenntnis. (vgl. Wolff 1999, 98)

Die Kreativität in der Wortschöpfung ist der Bewegung der Mystiker eigen. Sie versuchten, den als unzureichend empfundenen deutschen Wortschatz zu bereichern und ihre mystischen Erfahrungen mittels sprachlicher Neuerungen in Worte zu kleiden. Dabei wirkten sie als kreative Wortschöpfer und schufen eine eigene, religiöse Sondersprache.

2 . Charakteristika der Sprache der deutschen Mystik

2.1. Neubildung von Nomina durch Ableitungssuffixe

Die sprachliche Darstellung religiöser Erfahrungen wurde hauptsächlich mittels Suffigierung umgesetzt. Die Mystiker bildeten am Häufigsten neue Abstrakta mit den Suffixen -heit, -keit, -ung, -nisse. Die Anzahl der bis dahin selten auftretenden Abstraktbildungen nahm erheblich zu. Die bedeutungsvolle Rolle der Ableitungssuffixe in der Mystik veranschaulicht ein statistischer Vergleich zwischen zwei Ausschnitten mit gleichem Umfang aus den Werken des höfischen Dichters Hartmann von Aue um 1190 und Mechthild von Magdeburg um 1344. Bei Mechthild von Magdeburg finden sich 156 Suffixableitungen auf -heit und -keit, bei Hartmann von Aue nur 38; bei Mechthild 74 Bildungen auf -unge gegenüber nur vier bei Hartmann; 19 Bildungen auf -nisse gegenüber keiner Verwendung bei Hartmann. (vgl. Tschirch 1989, 88)

Das Suffix - heit bzw. - keit war ursprünglich bis ins Mittelhochdeutsche ein selbständiges Femininum mit der Bedeutung ´Gestalt, Art und Weise, Natur`. Es behält diesen Sinn auch als Suffix noch lange bei, wie folgende Beispiele verdeutlichen: gotheit meint die ´Gestalt, Wesenheit Gottes`; cristenheit bezeichnet die ´Art, Gestalt des Christen`; menschheit bezeichnet die ´Weise des Menschen`. (vgl. ebd., 86)

Das Suffix - ung kann schon im Germanischen nachgewiesen werden (- unga). Es stand für die Zugehörigkeit, bei Personen für die Angabe der Herkunft oder des Sippenzusammenhangs: ahd. sunu-fatar-ungo zur Bezeichnung der Verwandtschaft im Hildebrandslied, mhd. nibelunge für das Sagenvolk der Nibelungen. In der Sprache der Mystik wurde es zum Suffix für Abstrakta umgebildet. Es verbindet sich überwiegend mit verbalen Stämmen: anschouwunge ´Anschauung`, einunge ´Vereinigung`, wandelunge ´Verwandlung`, înbildunge ´Hineinbilden, ´Erleuchtung`, mitelîdunge ´Mitleid`, en(t)giezunge ´Ausfluss`, umbekêrunge ´Umkehr`. (vgl. ebd., 87)

Das Suffix -nisse ist ebenfalls ein germanisches Suffix, ahd. - nissi (ahd. finstarnissi, drînissa ´göttliche Trinität`): bekantnisse ´Erkenntnis`; ziugnüsse ´Zeugnis`; geheimnus ´Geheimnis`. (vgl. ebd., 87)

2.2. Wortneubildungen mit Präpositionen und Präfixen

Es wurden viele neue Wörter durch die Zusammensetzung mit Präpositionen und Präfixen gebildet. Wortneubildungen mit den Präpositionen über und durch sollten die „Erfahrung des Grenzüberschreitens, des Durchdrungenwerdens vom göttlichen Licht“ (Heusinger 1999, 3) beschreiben: durchgân, durchliuhten, durchlûter (´makellos rein`), durchvînen (´mit Schönheit durchdringen`) übergotlich, übervliezen, übervluz, überladen, überhell (´blendend hell`).

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss der Mystik auf die Entwicklung der deutschen Sprache
Hochschule
Universität Potsdam
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
20
Katalognummer
V199559
ISBN (eBook)
9783656259114
ISBN (Buch)
9783656260301
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
einfluss, mystik, entwicklung, sprache
Arbeit zitieren
Ulrike Scheske (Autor:in), 2011, Der Einfluss der Mystik auf die Entwicklung der deutschen Sprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199559

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