Eine Beschäftigung mit der historischen Phase des sog. „Kirchenkampfes“ mehr als 60 Jahre nach Kriegsende und nachdem sich lebensweltliche wie globale Bedingungen mehrfach verändert haben, versteht sich nicht von selbst. Mit einigen Vorbemerkungen soll daher der Weg skizziert werden, auf dem sich mir das Thema erschlossen hat.
Zunächst möchte ich den Horizont beschreiben, in dem ich das Thema angesiedelt sehe. Dabei wird auf das heuristische Moment der „protestantischen Widersetzlichkeit“ (Günther van Norden) abgehoben. Sodann soll plausibel gemacht werden, warum die Darstellung Ostpreußen fokussiert. Schließlich möchte ich, auch mit persönlichem Akzent, darlegen, inwiefern Dietrich Bonhoeffer und Ostpreußen zum Gegenstand einer historischen und theologischen Untersuchung haben werden können. Der Hinweis im Buchtitel auf das Wort aus Matthäus 10, 16 ist als Richtungsangabe zu verstehen, die das Selbstverständnis der Glaubenden in der Nachfolge Jesu kennzeichnet.
INHALT
Zur Einführung
Immer noch Beschäftigung mit dem „Kirchenkampf“?
1. Dietrich Bonhoeffers Eltern
2. Ostpreußen und die komplexen Beziehungen zwischen Staat und Evangelischer Kirche
2.1 Zur Vorgeschichte
2.2 Nebeneinander – Miteinander Evangelische Kirche und nationaler Aufbruch Exkurs: Zur „Glaubensbewegung Deutsche Christen“
2.3 Die Bekennende Kirche in Ostpreußen Exkurs: Hans Joachim Iwand in Riga
2.4 Vor dem Krieg
2.5 Porträts aus der Bekennenden Kirche in Ostpreußen - Wichtige Kirchen
3. Leben und Glauben im weltweiten Horizont
4. Die Visitationsreisen in Ostpreußen 1940
6. – 25. Juni
Exkurs: „Innere Kapitulation vor den neuen Fakten?“
7. – 29. Juli
Exkurs: Ulrich Sporleder
25. August – 2. September
5. Remembering Forward
Literatur
Herkunft der Abbildungen
Zeittafel
Zur Einführung
Immer noch Beschäftigung mit dem „Kirchenkampf“?
Eine Beschäftigung mit der historischen Phase des sog. „Kirchenkampfes“ mehr als 60 Jahre nach Kriegsende und nachdem sich lebensweltliche wie globale Bedingungen mehrfach verändert haben, versteht sich nicht von selbst. Mit einigen Vorbemerkungen soll daher der Weg skizziert werden, auf dem sich mir das Thema erschlossen hat. Zunächst möchte ich den Horizont beschreiben, in dem ich das Thema angesiedelt sehe. Dabei wird auf das heuristische Moment der „protestantischen Widersetzlichkeit“ (Günther van Norden) abgehoben. Sodann soll plausibel gemacht werden, warum die Darstellung „Ostpreußen“ fokussiert. Schließlich möchte ich, auch mit persönlichem Akzent, darlegen, inwiefern Dietrich Bonhoeffer und Ostpreußen zum Gegenstand einer historischen und theologischen Untersuchung haben werden können. Der Hinweis im Buchtitel auf das Wort aus Matthäus 10, 16 ist als Richtungsangabe zu verstehen, die das Selbstverständnis der Glaubenden in der Nachfolge Jesu kennzeichnet.
(1.) Wie der politische bzw. militärische Widerstand gegen das NS-Regime zu den Gründungsmythen Nachkriegsdeutschlands gehörte, so wird auch der sog. Kirchenkampf, d.h., der Widerstand protestantischer Kreise gegen den Nationalsozialismus und seine kirchlichen Hilfstruppen zu den konstitutiven Faktoren beim Aufbau der Evangelischen Kirche nach 1945 gezählt. Gründungserzählungen und Gründungsmythen kommt hohe Plausibilität zu. Sie halten ihre bloße Wiederholung aber nur begrenzte Zeit aus. Wird ihnen jedoch ein heiliger Status beigelegt, der Nachfragen (wenn Widersprüche entdeckt wurden) und Diskussion (wenn neue Erkenntnisse es nahe legen) verbietet, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die unhistorische Monumentalisierung einstürzt.
Der Begriff „Kirchenkampf“ bezieht sich, allgemein verstanden, auf die Jahre zwischen 1933 und 1945, in denen das Verhältnis zwischen Evangelischer Kirche in Deutschland und dem Nationalsozialismus von Konflikten bestimmt war. Zugleich steht der Begriff für die innerkirchlichen Kontroversen, wobei das Ausmaß der theologischen Auseinandersetzungen nicht ohne den Einfluss der geschichtlichen und politischen Entwicklungen zu denken ist. In jener Zeit stand die Evangelische Kirche dem Staat keineswegs als homogener Block gegenüber. Aus Sachgründen muss eine Beschäftigung mit dieser Phase auch auf die Zeit vor 1933 rekurrieren und ansatzweise über das Jahr 1945 hinausblicken.
Gegenwärtig ist die Erforschung des Kirchenkampfes nach 1945 selbst zum Gegenstand der Forschung geworden. U. a. wird dafür plädiert, auf den Begriff als Epochenbezeichnung zu verzichten[1], weil der historische Prozess viel komplexer, als gemeinhin vorausgesetzt, verlaufen ist oder ihn nur in einem präzis eingegrenzten Sinne zu gebrauchen[2]. Diese Vorschläge sind nicht von der Hand zu weisen. Der Blick auf den Verlauf jener Beziehungsgeschichte zeigt, dass das Freund-Feind-Schema wenig beiträgt zur Beschreibung des Frontverlaufs oder zur Darstellung der theologischen Kontroversen. Im Verhältnis von NS-Staat und deutschem Protestantismus verschränkten sich Linien des Nebeneinander, des Miteinander und des Gegeneinander. Auch hat sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in der biographischen Entwicklung vieler protestantischer Protagonisten eine Wandlung in der Einstellung zum Nationalsozialismus vollzogen, so dass Differenzierung nottut.
Der Rückblick auf die Forschung[3] zeigt ein ambivalentes Ergebnis. In mehreren Etappen wurde mit hoher existentieller Beteiligung und wissenschaftlichem Ethos gearbeitet: Sammlung und Archivierung von Dokumenten und Materialien; monographische und biographische Darstellungen; Befragung von Zeitzeugen; Selbstvergewisserung und Selbstkritik der Beteiligten; internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde aufgebaut. Diesen Bemühungen lag eine konstruktive Motivation zugrunde. Es ging nicht um Archivierung in musealer Intention, sondern um Aktualisierung. M.a.W., das Interesse an der Geschichte des Kirchenkampfes war verbunden mit dem Ziel, eine Werteperspektive in den Demokratisierungsprozess nach 1945 einzubringen. Denn die Beteiligten stimmten in dem Wunsch überein, weder dem Nationalsozialismus noch einer Diktatur Möglichkeiten zur Rückkehr zu geben.
Andererseits ist zu beobachten, dass der konstruktiv-kritische Forschungsdiskurs zunehmend von „neuen Autoritäten“ unterlaufen wurde. Das versteht sich nicht von selbst, wird aber durch mehrere Aspekte aus dem Geschichtsverlauf evident. In Westdeutschland war die „Bekennende Kirche“ (= BK) von mehreren Landesgerichten als „antifaschistische Widerstandsorganisation“ anerkannt worden, obwohl in ihren Kreisen nie in direkter Form „politischer Widerstand“ thematisiert worden ist[4]. Dieses „Pauschalurteil“ galt fast zwei Jahrzehnte. So waren es in erster Linie ihre Repräsentanten, also die „Opfer“ bzw. die Gegner des Nationalsozialismus und seiner kirchlichen Handlanger, die das Feld mit ihrem „Binnendiskurs“ beherrschten. Dass die „Täter“ sich kaum zu Wort gemeldet haben, bedarf keiner Erklärung. Man wollte, und das ist der zweite Aspekt, bei den Verhältnissen wieder anfangen, wo man 1933 gezwungen war aufzuhören, um ein Wort von Otto Dibelius[5] aufzugreifen. Auch hatte der zuvorkommende Umgang der Westalliierten mit den Kirchen deren Selbstbewusstsein und öffentliches Auftreten gestärkt. Den Kirchen wurde sogar die Arbeit der „Entnazifizierung“ in den eigenen Reihen überlassen. Ein Auftrag, der mit Widerwillen, viel Nachsicht und Kompromissbereitschaft[6] realisiert wurde. Denn Ziel der Kirchenführer war, das ist der dritte Aspekt, „Einheit“ und nicht „theologische Kontroversen“[7] oder gar Schuldzuweisung und Verurteilung. Darum stand bei der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte der Auftrag zu kritischer Aufarbeitung nicht unbedingt an erster Stelle. Der Wille zur Verklärung motivierte stärker als der Wille zur Aufklärung. Die Beobachtung von Ernst Wolf, dass in den Kirchen weitgehend ein “Widerstand wider Willen“ praktiziert worden sei, hätte eine „entmythologisierende“ Linie in die Forschung einführen können. Das ist aber unterblieben. Kein Wunder, dass schon bald Mythen und Legenden die Kirchenkampf-Überlieferungen durchzogen. Ein Freund Karl Barths, Arthur Frey, meldete 1949 von der Schweiz her Bedenken an: „Es ist um den deutschen Kirchenkampf ein derartiger Mythos entstanden, dass eine Entmythologisierung des deutschen Kirchenkampfes zu einer dringlichen Aufgabe geworden ist, denn dieser Mythus muss zum Fluch der Kirche werden. Er rächt sich schon heute furchtbar, indem der Mythos die guten Anfänge, die im deutschen Kirchenkampf immerhin sichtbar wurden, verdeckt und erstickt. Warum braucht es eine Erneuerung der Kirche, wenn sie sich in der gewaltigen Katastrophe, die der Nationalsozialismus für das deutsche Volk bedeutete, im Ganzen bewährt hat?“[8]
Angesichts der komplexen Semantik, die dem Begriff „Kirchenkampf“ innewohnt, liegt es nahe, eine Alternative zu wählen, um dem eigenen Interesse und der Darstellung einen „cantus firmus“ zu geben. M.E. bietet der Begriff „Bekennende Kirche“ diese Möglichkeit, weil sich in ihm theologische wie politische, individuelle wie communitäre Faktoren verschränken. Zugleich wird man hier mit einem „ideologischen clash“ konfrontiert, der die Epoche prägte, der sich aber in der Nachkriegszeit in veränderter Gestalt wiederholte.
„Bekennende Kirche“ sollte aber nicht als „Zauberschlüssel“ missverstanden werden, selbst wenn die Annäherung an die zu erforschende Phase sich eindeutiger, weil nach Landeskirchen, Regionen, Personen, Sachfragen und exemplarischen Schwerpunkten differenziert, vollzogen werden kann. Auch hier muss zuvor Definitions- und Abgrenzungsarbeit geleistet werden. Denn die Bekennende Kirche ist nie ein homogener Block gewesen und hat erst in der Reaktion auf bestimmte kirchenpolitische Schritte und theologische Provokationen während der NS-Zeit ihr Selbstverständnis gewonnen. Günther van Norden hat für die Jahre 1933-35 als Signatur „Konsens im Patriotismus – Dissens im Bekenntnis“ und für die Zeit danach „Konsens im Bekenntnis – Dissens im Patriotismus“ vorgeschlagen[9]. Gleichwohl bleiben bei dieser Systematisierung offene Fragen. Wer hat die Kriterien in der Bekenntnisfrage bestimmt? Wie sollte das im Bekenntnis Implizierte mit dem vom Patriotismus Geforderten zusammengehen? In welches Dilemma wurden Glaube und Gewissen gebracht, wenn menschliches Wort Unmenschliches von ihnen verlangte? Gerade in nationalen Fragen wollte niemand abseits stehen, wobei die Unterscheidung zwischen Regime-Loyalität und Staatsloyalität für die individuelle Einstellung eine nicht unwesentliche Rolle spielte. In vielen Gemeinden herrschte zudem ein konfessionell geprägtes Bewusstsein, das sich nicht unterschlagen ließ. So verlief eine Front, trotz der einflussreichen theologischen Gruppierungen von „Lutherrenaissance“ und „Dialektischer Theologie“, quer durch die Lager der BK. Ein „Übriges“ kam von den Kirchenführern/ Bischöfen der sog. „intakten“ Landeskirchen (Bayern, Hannover, Württemberg), die sich (In bester Absicht? Kontextorientiert? Kompromissbereit? Naiv?) öfter staatskonform verhalten haben, als es für den Weg der Kirche förderlich oder für die Gemeinden zu vermitteln war. Auch sie beanspruchten Vertreter von bekennenden Kirchen zu sein, wiewohl ihre Biographien die große Nähe zur deutschnationalen, obrigkeitsstaatlichen und antidemokratischen Tradition der Vergangenheit offenbart.
Die Liste mit Fragen bzw. Bedenken zum Begriff „Bekennende Kirche“ zeigt die Schwierigkeit an, die mit diesem „cantus firmus“ verbunden ist. Dennoch muss eine Zuordnung riskiert werden. M.a.W., der Titel „Bekennende Kirche“ steht ohne Zweifel den Gemeinden und ihren Theologen zu, die kompromisslos an den Synodalbeschlüssen von Barmen und Dahlem (1934) festgehalten haben und ohne falsche Rücksichtnahme dem Verkündigungs- und Handlungsauftrag des Evangeliums gefolgt sind. Mit ihrer Existenz haben sie einen nicht unerheblichen „Störfaktor“[10] in den NS-Staat hineingetragen, der das bloße Faktum „christliche Gemeinde“ um etliches gesteigert hat. In der schlichten Realität von Kirche sah der NS keine Gefahr, umso heftiger waren die Reaktionen auf die Bekennende Kirche als „Sammelbecken protestantischer Widersetzlichkeit“[11]. Es ging aber um mehr als ‚Querulantentum’. Mit ihrem Leben und Glauben haben die bekennenden Gemeinden „eine alternative Gegenwelt“ offen gehalten, „in der Vergebung, Wahrheit und Ewigkeit ungebrochen etwas galten … Die Kirche als Hütte Gottes, als geistig-seelischer Schutzraum unter den Menschen. Die Kirche als inspirierende Kraft und als Rückhalt für die, die vielleicht alle Not haben, sich in einer Distanz von der NS-Ideologie zu halten“[12].
Als es nach Ende des Krieges daran ging, der Evangelischen Kirche in Deutschland eine neue Gestalt zu geben, haben sich (von den ersten Synode in Treysa 1945 an) restaurative Tendenzen durchgesetzt[13]. Von Otto Dibelius wird ein bezeichnendes Dictum über den Erneuerungsprozess des Protestantismus nach 1945 kolportiert: „Es musste etwas Neues geschaffen werden. Und – dies Neue musste irgendwie das Alte sein“. M.a.W., ein grundsätzlicher Dissens (konsequente Kirche versus Betreuungskirche) beherrschte den Suchvorgang. Dieses oft vernachlässigte Faktum ergänzt die o.g. drei Punkte um einen vierten Aspekt. Und zwar blieben diejenigen, denen an Erneuerung aus kritischer Selbsterkenntnis gelegen war, und die mit den Erfahrungen aus der zurückliegenden Zeit Kirche bauen wollten (u.a. Hans Joachim Iwand, die Niemöller-Gruppe, die Theologische Sozietät in Württemberg bzw. die Anhänger einer Barthschen Theologie), in der Minderheit. In der kleinen Schar der „aufrechten Brüder“ gebe es, nach einem Wort von Otto Dibelius, „zu wenig Persönlichkeiten mit geistlichen Führerqualitäten“. Exemplarisch spiegelt sich diese Entwicklung im spannungsvollen Nebeneinander von „Stuttgarter Schulderklärung“ (Oktober 1945) und „Darmstädter Wort“ (August 1947)[14]. Oder auch in der gezielten Missachtung des Laien-Elements durch Installation autoritärer Amtsstrukturen. Die Israelfrage hatte im protestantischen Horizont offiziell noch keine Beachtung gefunden.
Der gerade skizzierte Sachverhalt gibt eine Teilantwort auf die Frage, warum der große Fundus an Erfahrung und Kompetenz gerade im Raum der Evangelischen Kirche nach 1945 so wenig Echo gefunden hat. An Stimmen, die vor einem Rückfall in konservierenden Traditionalismus und in Bündnisse mit den herrschenden religiös-politischen Mächten warnten, hat es nicht gefehlt. Martin Niemöller rief auf der Synode in Treysa dazu auf, eine Rückkehr zur „Behördenkirche“ unbedingt zu verhindern. Karl Barth erinnerte daran, dass nicht die großen Theologen, sondern gerade tausende von Unbekannten in den Gemeinden für die Wahrheit des Evangeliums eingetreten seien. Über sie hinweg zu gehen, sei Verrat am Evangelium. Und Paul Schempp verurteilte die „theologisch und historisch lernresistente Politisierung des Christentums, die bruchlos an die Bejahung des ‚positiven Christentums’ im Programm der NSDAP durch eine große protestantische Mehrheit ab 1933 anknüpfte“[15].
Hier ist ein fünfter Aspekt in Erinnerung zu bringen, auf den Frederick Taylor[16] in seiner Monographie hinweist. Mit dem Kriegsende war auch eine bis dahin herrschende Welt- und Werte-Ordnung zu Ende gegangen. Die westlichen Siegermächte hatten demokratische Strukturen verordnet und forcierten den Aufbau normaler Verhältnisse in den entscheidenden Lebensbereichen. Zu diesem Werk musste auf Fachleute auch mit NS-Vergangenheit zurückgegriffen werden. Für einen radikalen Neuanfang ohne Kooperation der „Täter“ oder Mitläufer fehlten die Voraussetzungen. Und für ideologiekritische Unternehmungen fehlte das Interesse. Durch die Nürnberger Tribunale ist zwar der „genozidale Überbau des Dritten Reiches“ in einem unvorstellbaren Ausmaß sichtbar geworden. Doch muss gefragt werden, wo daraus bewusstseinsverändernde Impulse für die Gesellschaft gewonnen wurden. Die „mentale Dekontamination der Durchschnittsbürger“ vollzog sich „in Windeseile“[17]. Daher sind viele Entnazifizierungsverfahren wohl nur halbherzig durchgeführt worden. „Insgesamt war es ein Nichtfertigwerden mit den schmerzenden Problemen von Niederlage und Schuld“[18]. Der wahre Grund lag aber vor allem in dem einsetzenden Ost-West-Gegensatz, vom ersten Tag der Besetzung an. Nachkriegs-Deutschland bot dem sog. „Kalten Krieg“, dem neuen „ideologischen clash“ ein hervorragendes Feld. Die „Ablösung“ vom Nationalsozialismus verband sich mit der Trennung von West- und Ostdeutschland sowie einer erneuten „weltanschaulichen Frontenbildung“. Als 1948 im Westen die Währungsreform durchgeführt wurde, waren die Weichen endgültig gestellt. Auch die separate Entwicklung der Evangelischen Kirche in Ost und West, obwohl die „Vision“ von Einheit lange beibehalten wurde, hat hier eine Wurzel. Vor dem Hintergrund des geopolitischen Umbruchs gewinnen die Kontroversen (Wiederbewaffnungs- und Atomdebatte, Militärseelsorge, Versöhnung mit dem Osten u.a.), die das Gesicht der Evangelischen Kirche in den 50er und 60er Jahren geprägt haben, an Plausibilität. Die meisten Vertreter der Barmer bzw. Dahlemer Linie fanden sich in einem kritischen Gegenüber zur neuen Politik der Bundesrepublik zusammen. Hingegen wurde die staatstragende Rolle von einer „bunten Koalition“ aus Widerstandskämpfern, Mitgliedern der BK, konservativen und modernen Katholiken, ehemaligen Parteigenossen und Mitläufern übernommen.
Als Fazit aus diesem Überblick halte ich (1) fest, dass Probleme des sog. „Kirchenkampfes“ weiterhin Thema wissenschaftlicher Forschung bleiben müssen, auch um den „Graben des Verstehens zu dem, was vor 1945 war“[19], nicht zu einem Abyssus werden zu lassen. Und dass (2) das Erbe der Bekennenden Kirche nicht zu einer musealen Reminiszenz verkümmern darf. Dazu gehört die Bereitschaft, Schwächen, Defizite, Unterlassungen o.ä. in dem mit Sympathie bearbeiteten Forschungsbereich anzuerkennen[20]. Es gilt aber auch, sich immer wieder klar zu machen, in welchen Grenzen bzw. unter welchen Bedingungen die Bekennende Kirche agiert hat, damit keine Projektionen unterlaufen. Einer konservativen Vorstellungs- und Ordnungswelt verhaftet, konnte sie bestimmte Sachfragen nicht in der Form „wissen“, wie sie nach 1945 aufgetreten sind. Der „Kampf gegen eine diabolische Perversion von Ordnung“ hatte alle Kräfte gebunden[21]. Z.B. war noch nicht abzusehen, welche Veränderungen volkskirchlicher Strukturen durch Säkularisierung und moderne Industriegesellschaft in Gang gesetzt würden. Dennoch hat die Bekennende Kirche gerade aufgrund ihrer kontextuellen Eingebundenheit den Blick für ein „Jenseits-des-Kontextes“ schärfen können.
Weil das kollektive Gedächtnis immer Gefahr läuft, sich auf ein selektives Vergangenheitsbild einzustimmen bzw. sich von Verdrängungsmechanismen leiten zu lassen, ist „memoria passionis“ (Johann B. Metz) nötig. Gegenwärtiger Glaube fängt nicht am Nullpunkt an, sondern braucht die Zeugen des Glaubens, damit sie durch ihr Leben und Leiden den Gegenwärtigen in Stunden der Illusionen und Anfechtung zur Seite stehen. Der Erkenntnis- und Lernprozess, den Teile der Bekennenden Kirche durchgestanden haben, ist ein kostbares Erbe, das verpflichtet. Eberhard Bethge: „ein Bekenntnis, ein status confessionis verrottet, wenn er sich auf die confessio gegen beschränkt und sich nicht einlässt auf die confessio für, das heißt: wenn der Bekennende sich nicht auf seine Verantwortung für die jeweilige Gesellschaft und ihre Opfer einlässt, mit anderen Worten: sich auf Bekenntnis und Widerstand, auf Bekennen mit Widerstand einlässt“[22].
(2.) In meiner Studie verbinde ich zwei Pole, eine geographische Region und einen Theologen: Ostpreußen und Dietrich Bonhoeffer. Letzterer ist vor allem durch seine Wirksamkeit post mortem bekannt und berühmt geworden. Seine von Eberhard Bethge u.a. edierten Werke sowie die unübersehbare Fülle von wissenschaftlicher bzw. populärer Literatur haben ihn zu einem der bekanntesten Theologen[23] des 20. Jahrhunderts gemacht. Anders Ostpreußen. Seit 1945 ist die Provinz mit jedem Jahr tiefer in das Vergessen eingegangen. Das haben auch die vielfältigen Bemühungen, eine Erinnerungskultur zu schaffen, nicht verhindern können. Standen sie doch unter dem Verdikt reaktionärer Unbelehrbarkeit bzw. dem Vorwurf nur noch „gebrochene Erinnerung“ zu kultivieren. Mittlerweile ist die Zahl der „echten“ Ostpreußen sehr übersichtlich geworden. Ihre Stimme wird schwächer, und sie haben Mühe, die kulturelle Bedeutung ihres Beitrags im gesellschaftlichen Diskurs der Gegenwart von bloßer Nostalgie abzuheben.
Die kirchenhistorische Erforschung der Jahre von 1933-1945 in Ostpreußen hat von Anbeginn an mit mehreren Hypotheken gearbeitet. Im Unterschied zu den Landeskirchen im Westen war der Zugriff auf Quellen, Dokumente, Überlieferungsmaterial o.ä. höchst begrenzt. Ebenso der Personenkreis, der in der Lage war, sich an dieser Aufgabe zu beteiligen. Vor einer wissenschaftlichen Arbeit standen Trauerarbeit und Fragen des Überlebens. In vielen Veröffentlichungen dominierten emotionale Töne oder auch Selbstrechtfertigungen. Eine Ausnahme bildeten wohl Hans Joachim Iwand und sein Versuch, in Beienrode ein Zentrum des ehemaligen ostpreußischen Bruderrates aufzubauen[24]. Hier entstand ein Archiv, hier wurden regelmäßig Tagungen durchgeführt, hier fanden ältere Menschen (z.B. ostpreußische Pfarrwitwen) eine freundliche Bleibe. Um Iwand scharten sich viele Ehemalige aus Ostpreußen (Beienroder Konvent), die fern von reaktionärem Geist die Versöhnung mit den Völkern des Ostens suchten, jegliche Gebietsansprüche aufgaben und politische Positionen vertraten, die viel später in der Ostdenkschrift der EKD (1966) aufgenommen und dann von der Ostpolitik Willy Brandts realisiert wurden. In der Zeit nach 1947, als der erste und einzige Ostpreußische Kirchentag in Hannover stattfand, ernteten sie breiteste Ablehnung nicht nur in der politischen Öffentlichkeit, sondern auch unter ehemaligen Mitstreitern. Denn es hatte sich auch eine Gruppe aus Kreisen ostpreußischer Bekenntnis-Pfarrer und Laien gebildet[25], die vehement an Gebietsansprüchen festhielt und der damaligen Politik der Bonner Regierung nahe stand. Durch den frühen Tod Hans Joachim Iwands (1960) und andere Ereignisse in Beienrode ist diesem Ansatz keine Entwicklungsmöglichkeit gegeben worden.
Unter den wenigen Publikationen zur Kirchengeschichte Ostpreußens ist das entsprechende Kapitel im ersten Band von Walther Hubatsch[26] zu nennen. Und dann vor allem die zwei Monographien von Hugo Linck[27] und Manfred Koschorke[28]. Beide Werke verbinden mehrere Interessen. Sie wollen persönliche Erfahrungen und Erlebnisse festhalten (beide waren Pfarrer in Königsberg); zugleich aber auch dokumentieren und Informationsmaterial präsentieren. Schließlich sollen Ereignisse, Entwicklungen, Entscheidungen erklärt und beurteilt werden. Die Darstellung lebt von den Porträts vieler Akteure der Bekennenden Kirche in Ostpreußen. M.E. haben beide Werke keine fortsetzenden Darstellungen oder Einzeluntersuchungen gefunden. Auch nach der geopolitischen Wende 1990 hat sich die Forschungssituation kaum verändert. Das Vorkriegs-Ostpreußen scheint zur „terra incognita“ geworden zu sein. Städte- und Ortsnamen sind belanglos geworden, weil mit ihnen nichts mehr assoziiert wird. Ebenso die einstige Bedeutung für Philosophie, Theologie und Frömmigkeit (Kirchenlieder). Und das Reisen in die heute russischen bzw. polnischen Teile der Provinz konfrontiert zunächst mit anderen Wahrnehmungen und Reflexionen. Zwischen dem Reisenden und der Geschichte steht immer noch die gefühlte Präsenz des Zweiten Weltkriegs. Und doch geschieht es, dass durch derartige Reisen unvermutet eine „Verbindung“ hergestellt wird, aus der eine Fragestellung erwächst.
(3.) Wie kommt die Verbindung von Ostpreußen und Dietrich Bonhoeffer zustande? Die Antwort möchte ich auf dem Umweg über einige persönliche Anmerkungen geben.
Mit dem Namen „Dietrich Bonhoeffer“ werden Erinnerungen an das „andere Deutschland“ geweckt, an Menschen, die sich in der Zeit des Nationalsozialismus nicht haben gleichschalten lassen. Als evangelischer Theologe hat sich Bonhoeffer mit hohem Einsatz an den innerkirchlichen Diskussionen, die der politische Umbruch ausgelöst hatte, beteiligt und wegweisende Impulse für das christliche Selbstverständnis gegeben. Ihm lag daran, angesichts der staatlich organisierten Verblendungsprozesse mit Gleichgesinnten im geistlichen wie im politischen Bereich verantwortlich zu existieren: „Beten und Tun des Gerechten und auf Gottes Zeit warten“.
Durch meine Eltern bin ich schon während der Schulzeit mit „Widerstand und Ergebung“ bekannt geworden. Bonhoeffers im Gefängnis verfasste Texte hatten den Rang einer Pflichtlektüre in bewusst protestantischen Kreisen angenommnen. Denn in der Nachkriegszeit gehörte die Sympathie denen, deren Kampf gegen das NS-System gewaltsam unterdrückt[29] worden war, deren Zeugnis für Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden aber zu einer permanenten Herausforderung gerade der Heranwachsenden wurde. Im Studium hatte ich dann eine erste Begegnung mit Bonhoeffers Denken, als ich eine Vorlesung seines Schülers Gerhard Ebeling über „Die ‚nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe’“[30] hörte und dieses oder jenes Werk las, das von Eberhard Bethge u.a. nach und nach herausgegeben wurden. Es gab wohl keine Predigt oder Aufsatz, bei deren Vorbereitung nicht auch Bonhoeffer „befragt“ wurde.
Als ich 1995 längere Zeit zu Gastvorlesungen in São Leopoldo/ Brasilien war, wurde ich Zeuge einer besonderen Ehrung. Die „Escola Superior de Teologia“ verlieh Pastor Ernesto Bernhoeft den Ehrendoktor der Theologie. Es war der 9. April, an dem sich zum 50. Mal der Tag der Ermordung Bonhoeffers jährte. Bernhoeft (geb. 1917) war mit seinen Eltern 1936 nach Brasilien ausgewandert, weil aufgrund des jüdischen Familienhintergrundes ihr Leben in Deutschland bedroht war. In seiner bewegenden Dankesrede erzählte er von der Auswanderung, den Erfahrungen im Exil und wie er dazu gekommen war, Texte von Bonhoeffer zu übersetzen, die dann im brasilianischen Kontext ein großes Echo auslösten. Es war sicherlich das Zusammentreffen von intellektueller Redlichkeit und im Glauben gegründeter Existenz, die der Weitergabe des Bonhoefferschen Beispiels zugute kam. Man sollte sich aber auch daran erinnern, dass in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die christlichen Kirchen Lateinamerikas unter Repression und Verfolgung durch Militärregime litten. Diese Aktualität hat nicht wenig zur Aufnahme des Bonhoefferschen Denkens in der evangelischen wie der katholischen Theologie des Kontinents beigetragen[31]. Sein Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ hat inzwischen einen festen Platz als Lied in den Gottesdiensten der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses von Brasilien (IECLB) eingenommen.
Es sollten Jahre vergehen, bis mich erneut der Name „Bonhoeffer“ fesselte. 2008, während einer Fahrt in das nördliche Ostpreußen (heute: Kaliningradskaja Oblast) hatte die Gruppe, der ich mich angeschlossen hatte, am Strand von Baltisk (früher: Pillau) Rast gemacht. Eine der Teilnehmerinnen entfaltete in ihrer Meditation Gedanken zum Tage. Ich horchte auf, als Frau Dr. Marikje Smid (siehe Literaturverzeichnis) an die Beziehung Bonhoeffers zu Ostpreußen erinnerte. Das war für mich etwas Neues.
Als Orte seines Wirkens werden in der Regel Berlin, die deutschen Gemeinden in Barcelona und London, die USA oder das Predigerseminar der Bekennenden Kirche (= BK) in Finkenwalde (Pommern) genannt[32]. Doch hat er seine Aktivitäten als Seelsorger, Prediger und Lehrer auch entfalten können, als er im Sommer 1940 im Auftrag des Bruderrates der Bekennenden Kirche drei Visitationsreisen in Königsberg und Ostpreußen durchgeführt hat. In mir wuchs der Plan, in diese wenig beachtete Aktivität und den ostpreußischen Kontext zu „blicken“. Längere Aufenthalte in Kaliningrad, vergebliche Spurensuche dort, aber viele erhellende Einsichten aus der Literatur haben sich angeschlossen. Das Ergebnis liegt in dieser Studie vor, die einem Ausschnitt aus dem Leben Dietrich Bonhoeffers gilt und zugleich der Erinnerung an eine große Region deutscher Kultur- und Kirchengeschichte gewidmet ist. Das Photo des Königsberger Hauses, in dem Bonhoeffers Eltern 1903 und er selber 1940 gewohnt haben, Rhesastrasse 18, wurde mir von Herrn Martin Schmittke/ Sonthofen zur Verfügung gestellt. Im Zweiten Weltkrieg ist das ganze Viertel zerstört worden, ebenso wie viele Kirchen und Gemeindehäuser, die Bonhoeffer in jenem Jahr besucht hat[33].
In die Studie habe ich visuelles Material aufgenommen, das die diskursive Darstellung unterstützen und im Falle von Personen die Physiognomie sprechen lassen soll. Ein besonderes Kapitel ist den „Akteuren“ der Bekennenden Kirche in Ostpreußen gewidmet. Es handelt sich um Frauen und Männer, Theologen und Laien, die mir in den Quellen bzw. in der Literatur begegnet sind, und deren Namen ich für erinnerungswert halte. Damit soll keine Hagiographie getrieben werden. Es geht um die vielen unbekannten Männer und Frauen, die das Wagnis des Glaubens in dunkler Zeit aufgebracht haben. Leider müssen manche Namen ohne Gesicht bleiben, weil die Suche nach Photos erfolglos verlaufen ist. Es wäre ein Projekt eigener Art, bei den ostpreußischen Stadt- und Kreisgemeinschaften u.ä. nachzufragen oder die Erinnerungsliteratur durchzugehen, um ein Bild-Panorama „zweiter Hand“ zu rekonstruieren. Den mitdenkenden Zeitgenossen, die mir mit Hinweisen geholfen oder aus ihren Familienalben Photos zur Verfügung gestellt haben, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Ebenso den Einrichtungen, die der Nutzung von Materialien zugestimmt haben. Erwähnt sei besonders die Unterstützung durch das Evangelische Zentralarchiv Berlin, das Herder-Institut Marburg und das Museum der Stadtgemeinschaft Königsberg in Duisburg. - Hinweise auf Druckfehler, missverständliche Urteile, falsche Daten ebenso wie ergänzende Informationen und Materialien können dem Autor via e-mail (uschoenborn@web.de) zugeleitet werden. Am Anfang einer historischen Arbeit geben meist Neugier und subjektives Interesse die leitenden Impulse und motivieren den Fortgang. Das übergeordnete Ziel ist aber stets Austausch und Dialog, geht es doch um „unsere“ Geschichte.
Ich widme diese Studie meinem Bruder Paul Gerhard Schoenborn. Sein Überblick über die Bonhoeffer-Forschung und den „Kirchenkampf“, besonders die Interpretation der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 haben mir geholfen, gewagte Rekonstruktionen zu meiden und die Fakten sprechen zu lassen.
Marburg, im August 2012 Ulrich Schoenborn
Die Verbindung Dietrich Bonhoeffers mit Ostpreußen, genauer Königsberg, ist nicht ad hoc entstanden, sondern hat eine Vorgeschichte in der Familie. Sie war durch die Eltern[34] gegeben. Darum sollen sie zunächst vorgestellt werden, begegnen sie doch wiederholt in den Notizen aus dem Jahr 1940.
I. Dietrich Bonhoeffers Eltern
Die Vorfahren des Vaters stammten aus Holland (van den Boenhoff; Nymwegen) und sind seit dem 16. Jahrhundert in Württemberg in angesehenen Berufen nachweisbar. In der Kirche von Schwäbisch Hall finden sich Grabsteine der Bonhoeffers und an etlichen Bürgerhäusern das Bonhoeffersche Familienwappen[35]. Aus dem schwäbischen Kontext (Tafelsche Linie) sind „revolutionäre Elemente“ in das Selbstverständnis der Bonhoeffers eingegangen: demokratisches Selbstbewusstsein, liberales Denken, Verantwortungsbereitschaft[36].
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Abb.1: Das Bonhoeffersche Familienwappen in Schwäbisch-Hall
Karl Ludwig Bonhoeffer wurde am 31. März 1868 in Neresheim geboren. Er studierte von 1887 bis 1892 Medizin in Tübingen, Berlin und München. 1897 habilitierte er sich bei Carl Wernicke in Breslau. Hier entstanden wichtige Arbeiten über die symptomatischen Psychosen, d.h. psychische Erkrankungen, die als Begleiterscheinungen von akuten Infektionen oder Vergiftungen auftraten. Die Forschungen auf diesem Feld haben seinen Ruf als Neurologe und Psychiater begründet. Karl Bonhoeffer hat sich sehr darum bemüht, den Stellenwert der Psychiatrie als anerkanntes medizinisches Fach weiterzuentwickeln und die psychischen Erkrankungen aus dem Kontext der Anstaltsmedizin herauszuholen bzw. in Spezialpraxen zu überführen. Auch die Tätigkeit als Gutachter gehört in diese Sparte[37]. Bemerkenswert ist, dass er sich nicht an den Diskussionen um die aufstrebende Psychoanalyse beteiligt hat. Ein Kollege in Heidelberg (Robert Gaup) merkt dazu an: „Es mag vielleicht auffallen, dass ein Mann, der als feinsinniger, mit hervorragender Einfühlung begabter Psychiater uns das wohl Beste über das Wesen der hysterischen Symptombildung gegeben hat, im Streit der Geister über die Lehren von Freud, Adler, Jung und anderen
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Abb. 2: Karl Bonhoeffer, um 1938
’Psychoanalytikern’, soweit ich sehe, nirgends ausführlicher und grundsätzlich Stellung genommen hat. ‚Psychoanalyse’ heißt unvoreingenommene ‚Analyse der seelischen Erkrankung eines Menschen mit allen Mitteln einfühlender Psychologie bei sorgfältigster Beobachtung’. In dieser einfühlenden Psychologie und sorgfältigen Beobachtung war Bonhoeffer wohl keiner überlegen. Aber er kam aus der Wernickeschen Schule, deren Orientierung sich immer am Gehirn vollzog und die Loslösung vom hirnpathologischen Denken nicht gestattete … Das Intuitive war ihm nicht fremd, das beweist sein ganzes Lebenswerk. Aber es drängte ihn nicht, ins Reich des Dunklen, Unbeweisbaren, der kühnen, phantasievollen Deutungen vorzudringen, wo so viel zu behaupten und so wenig wirklich zu beweisen ist“[38]. Karl Bonhoeffer hat weder eine spezielle Schule gegründet noch ein Lehrbuch der Psychiatrie geschrieben, jedoch aufgrund seiner Persönlichkeit bei vielen Menschen einen unverwechselbaren Eindruck hinterlassen. „Durch seine Arbeiten geht ein Hauch von Bescheidung vor den ungeheuren Rätseln“ (Karl Jaspers).
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Abb. 3: Paula Bonhoeffer, geb. von Hase.
(1876-1951)
Mit der Mutter, Paula von Hase, kamen die preußische Welt und der künstlerische Horizont in die Familie. Sie war die Enkelin des bekannten Theologen Karl August von Hase (1800-1890), Professor in Jena und großherzoglicher sächsischer Wirklicher Geheimrat. Ihr Vater, Karl-Alfred von Hase (1842-1914), Konsistorialrat in Hannover und Königsberg, ab 1894 Theologieprofessor in Breslau, war mit Clara Gräfin von Kalckreuth verheiratet. Großvater und Urgroßvater von Kalckreuth waren anerkannte Maler, deren Bilder in der Münchener Pinakothek und in Hamburger Museen ausgestellt waren. Auch die Musik nahm in der Tradition der Familien einen wichtigen Platz ein. Paula von Hase wurde 1876 in Königsberg geboren. Sie studierte in Breslau Pädagogik. 1894 legte sie das Lehrerinnenexamen ab und erwarb die Befähigung zum Unterricht an mittleren und höheren Mädchenschulen.
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Abb. 4: Paula und Karl Bonhoeffer 1898
Am 5. März 1898 heirateten Paula von Hase und Karl Bonhoeffer in Breslau. Fünf Jahre später (1903) erhielt Karl Bonhoeffer einen Ruf nach Königsberg auf ein persönliches Ordinariat. Er nahm die Berufung an, obwohl die Arbeitsbedingungen in der psychiatrischen Klinik manches zu wünschen übrig ließen. In Karl Bonhoeffers Erinnerungen heißt es: „Meine Abteilung war das Gegenteil eines Neubaus und befand sich im Dachstock des ältesten Teils des Krankenhauses. Es war ein altes Spinnhaus aus dem 17. Jahrhundert und hatte damals als Arbeitshaus gedient … Ich war aus meiner Beobachtungsstation gewohnt, mit einfachen Mitteln zu arbeiten und war überzeugt, dass sich in einer Stadt von
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Abb. 5: Psychiatrische Klinik der Universität Königsberg.
Um 1903. Straßenfront.
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Abb. 6: Psychiatrische Klinik der Universität Königsberg.
Um 1903. Rückfront.
über 100 000 Einwohnern das für Unterricht und Forschung nötige Krankenma -
terial zusammenfinden müsse“[39]. Und einer seiner Biographen schreibt: „Was er … als Klinik vorfand, war geradezu grotesk und spiegelte drastisch die Situation der Psychiatrie und die Denkweise derer wieder, die über Geld und Einfluß verfügten. Die Patienten waren in Dachräumen des ältesten Teils des Städtischen Krankenhauses untergebracht, in Zwangsjacken eingeschnürt, im Bett liegend, ob gehfähig oder nicht. Wie in Breslau forderten auch hier die Alkoholdelirien ihre Opfer“[40].
Für seine Frau, die gerade ihr fünftes Kind erwartete, war es eine Rückkehr in die Jahre ihrer Kindheit. Vor dem Umzug machte die Familie am Neuhäuser Strand Ferien. Im Rückblick heißt es: „ich freute mich nun auch, diese Nordostecke des Reiches und seine Bewohner kennenzulernen, aß Schmand mit Glumse, suchte mit den Kindern Bernstein am Strande und bereitete mich auf Königsberg vor“[41].
Am 1. Oktober 1903 trat Karl Bonhoeffer seinen Dienst an. Bei der Wohnungssuche ergab sich „in der Rhesastraße eine Stätte, die als Wohnung mit Garten angesprochen wurde. Ich stellte aber fest, daß in diesen Garten 196 Fenster Ausblick hatten. Die Wohnung lag aber insofern bequem, als ich im Winter über den gefrorenen Schloßteich rasch in meine Klinik kommen konnte“. Die Familie traf alte Freunde der Breslauer Eltern aus deren Königsberger Zeit, u.a. Bertha von Gossler und die Brausewetters. Am 26.10.1903 wurde die Tochter Christel geboren.
Karl Bonhoeffer ging daran, bessere Behandlungsmethoden für die Patienten einzuführen und einen geordneten klinischen Betrieb zu organisieren. Sein engagiertes Auftreten trug bald Früchte. Im Übrigen hielt er medizinische Vorlesungen für einen kleinen Kreis von Interessierten. Die Familie integrierte sich rasch in die Königsberger Gesellschaft. Als man sich in der neuen Umgebung eingerichtet und ein „Gefühl der Anhänglichkeit an die Stadt, das Land und die Menschen“[42] sich eingestellt hatte, traf im Königsberger Winter der Ruf aus Heidelberg ein. An sich wäre die Familie gerne geblieben, aber Karl Bonhoeffer nahm der Ruf an. „Mitte März 1904 fuhren wir bei 15 Grad Kälte in Königsberg ab; die 5 Kinder, von denen der älteste eben 5 Jahre alt war, wohl in Pelzen verpackt“[43]. Aber auch in Heidelberg blieb die Familie nur kurze Zeit. Noch im selben Jahr (1904) erhielt Karl Bonhoeffer einen Ruf als Nachfolger von Carl Wernicke nach Breslau und folgte ihm auch.
1912 erhielt er einen Ruf an die Berliner Universität, wo er das Ordinariat für Neurologie und Psychiatrie 26 Jahre lang bis zu seiner Emeritierung 1938 innehatte. Gleichzeitig übernahm er die Leitung der Universitätsklinik für Nerven- und Geisteskrankheiten in der Charité.
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Abb. 7: Karl Bonhoeffer. Um 1930
Am 4. Februar 1906 kamen in Breslau (Birkenwäldchen 7) die Zwillinge Sabine und Dietrich Bonhoeffer zur Welt. Mit ihren sechs Geschwistern wuchsen sie in einem starken Familienverbund heran[44]. Im Elternhaus herrschte, vor allem vom Vater her, der Geist des Empirismus, der Rationalität und des Liberalismus. Karl Bonhoeffer lehnte es ab, über ungeklärte Erscheinungen zu spekulieren und hielt sich an organisch nachweisbare Phänomene. Er besaß ein großes Vertrauen in den Wert der Naturwissenschaften. „Bemerkenswerte Zurückhaltung übte Bonhoeffer gegenüber allen rigorosen therapeutischen Methoden“[45]. ‚Selbstbescheidung‘ gehörte zum Zentralen seines medizinischen Ethos, in dem eine nüchterne und strenge Sicht Entscheidungen oder Urteile lenkte. „Er hasste Übertreibungen, vor allem zu große Worte … Überheblichkeit … war ihm zuwider“[46]. Die sachbezogene Perspektive und die liberale Grundhaltung hatten ihn während seiner Heidelberger Zeit in die Nähe des Kreises um Max Weber geführt. Erwähnenswert ist auch seine ausgesprochene Distanz gegenüber allem Militärischen und Ideologischen. Die politische Entwicklung in Deutschland unter den Nationalsozialisten begleitete er mit Sorge und Abneigung.
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Abb. 8: Paula Bonhoeffer mit ihren Kindern 1910.
Dietrich Bonhoeffer: 2. von rechts.
Durch die Mutter wurde eine betont christliche (nicht unbedingt kirchliche) und zugleich liberale Haltung in der Familie gefördert. Paula Bonhoeffer unterrichtete ihre Kinder, zu denen auch Kinder befreundeter Familien stießen, zu Hause und sorgte für eine förderliche Atmosphäre. Sie „war eine sehr anregende und nie kapitulierende Mutter … Sie war gewohnt, sich bei Kindern und Erwachsenen durchzusetzen, und fand stets die entsprechenden Mittel und Wege … Mit entwaffnendem Schwung brachte sie Zaghafte und Ängstliche – wie sie sagte – ‚auf den Trab‘“[47]. Ihr pädagogischer Eros galt der Liebe zu Wahrheit und Klarheit, der Ablehnung des Pathetischen, der Ausbildung von Takt und Hilfsbereitschaft, sowie der Einübung ästhetischer und musischer Fähigkeiten. Neben „lebendiger Offenheit für das Neue“ wurde „ein ausgeprägter Sinn für das Gewordene“ gepflegt[48].
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Abb. 9: Mitgliedskarte der Bekennenden Kirche („rote Karte)
Für den Außenstehenden mag es paradox erscheinen, dass sich die Perspektive des politischen Liberalismus mit der Orientierung an christlichen Grundwerten verbunden hat. Dass es möglich war, zeigen jedoch die souveräne Eindeutigkeit, das Verantwortungs- und Freiheitsbewusstsein in den Biographien der Bonhoeffers. „Die unbedingte Verbindlichkeit der Nachfolge mit der Freiheit des Liberalen zu einer unbefangenen und experimentierenden Sicht der Dinge zu verbinden, das war die große Aufgabe, die er (sc. Dietrich Bonhoeffer) vor sich sah“[49]. Auch sollte nicht vergessen werden, dass im Hause Bonhoeffer Denken
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Abb. 10: Familie Bonhoeffer im Jahre 1926 in der Wangenheimstraße 14 in Berlin.
Hintere Reihe (von l. nach r.): Christel und Hans von Dohnanyi, Sabine und Gerhard
Leibholz, Karl Friedrich Bonhoeffer, Susanne Bonhoeffer, Klaus Bonhoeffer,
Dietrich Bonhoeffer. Vordere Reihe (von l. nach r.): Julie Bonhoeffer, geb. Tafel
(Karl Bonhoeffers Mutter), Karl Bonhoeffer, Paula Bonhoeffer (mit dem ersten
Enkelkind Hans Walter Schleicher), Ursula und Rüdiger Schleicher. (○ = zeitweilig
inhaftiert, x = von den Nazis ermordet, + = zur Emigration gezwungen).
und Ethos von Natur- und Rechtswissenschaft maßgeblich geleitet wurden und vor dem Hintergrund ästhetischer und religiöser Prinzipien einen eigenen Intellektualismus konstituierten. Über das „Familienethos“ wurde eine wirklichkeitsgemäße Einstellung zum Leben vermittelt, die deutliche Spuren bei allen Kindern (und auch in Bonhoeffers Theologie) hinterlassen hat. So vollzog sich trotz zunehmender gesellschaftlicher Spannungen und politischer Auseinandersetzungen „eine zwar nicht weltfremde, aber in sich ruhende, undoktrinäre, alles Individuelle fördernde menschlich-familiäre Entwicklung“[50]. Von Seiten der Eltern erhielt Dietrich Bonhoeffer uneingeschränkte Unterstützung in seinem kirchen- und gesellschaftskritischen Engagement. Dem Fundament des Familienethos wurde soviel Vertrauen entgegengebracht, dass Bedenken gegenüber der Institution Kirche zur Nebensache wurden. In einem Brief schrieb Karl Bonhoeffer an seinen Sohn:
„Als Du Dich seiner Zeit für die Theologie entschlossen hast, dachte ich manchmal im Stillen, dass ein stilles, unbewegtes Pastorendasein, wie ich es von meinen schwäbischen Onkeln kannte und wie es Mörike schildert, eigentlich doch fast zu schade für Dich wäre. Darin habe ich ja, was das Unbewegte anlangt, mich gröblich getäuscht. Dass eine solche Krise auch auf dem Gebiete des Kirchlichen möglich wäre, schien mir aus meiner naturwissenschaftlichen Erziehung heraus eigentlich ausgeschlossen“[51].
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Abb. 11: Haus der Bonhoeffers in Berlin.
Marienburger Allee 43
Nicht zu unterschätzen waren vorgelebte Integrität und Unabhängigkeit. So hat Karl Bonhoeffer sich in seinen Arbeitsbereichen nicht zum Handlanger oder Erfüllungsgehilfen nationalsozialistischer Gesundheitspolitik (Zwangssterilisation und Euthanasie) machen lassen[52]. Gegen die Entlassung von Mitarbeitern in der Charité, die jüdischer Herkunft waren, hat er, wenn auch vergeblich, Einspruch erhoben.
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Haus in der Marienburger Allee 43 vielen zum „Refugium und Quellort für die Energie zum Durchhalten und zu immer neuer Motivation“[53]. Die Liste der von Eberhard Bethge aufgeführten Namen lassen Geist, Kultur und Kraft ahnen, die in den „ungewünschten und ungeübten Widerstand“ flossen. Karl Bonhoeffer schrieb in seinen „Erinnerungen“: „Wenn wir Eltern auch in die Einzelheiten der Komplotte nicht eingeweiht wurden, so waren wir doch durch die zahlreichen Besprechungen, die in unserem Hause stattfanden, über vieles unterrichtet und über die Gefährlichkeit der Situation für unsere Kinder, wie über die Notwendigkeit ihres Tuns im Interesse der deutschen Zukunft durchaus im klaren“[54].
Im Hause Bonhoeffer kam es 1940 mehrfach zu Besprechungen mit dem Kreis um Oberst (seit 1943 Generalmajor) Hans Oster und Hans von Dohnanyi. Am 9. Mai hat Oster dem holländischen Militärattaché Sas den Angriffstermin auf dessen Land mitgeteilt. Karl Bonhoeffer hat, angeregt durch seinen Sohn, am 7. Mai 1940 zusammen mit Friedrich von Bodelschwingh (Bethel) und dem Leiter der Lobetaler Anstalten, Pastor Paul Braune, nach Möglichkeiten gesucht, das fortschreitende Euthanasie-Programm aufzuhalten. Braune hatte dann am 9. Mai eine Unterredung mit Hans von Dohnanyi und wurde nach einem Protest gegen die staatlichen Maßnahmen[55] verhaftet. Im Kapitel „Das natürliche Leben“ seiner „Ethik“[56] geht Dietrich Bonhoeffer auf Fragen ein, die im Gespräch mit seinem Vater virulent geworden waren. Einblick in Karl Bonhoeffers Denken gibt auch die 1947 als Fahnenabzug fertig gestellte Arbeit „Führerpersönlichkeit und Massenwahn“[57]. Im letzten Absatz heißt es:
„Jedenfalls habe ich gefunden, dass die Zahl der Deutschen, für die ihre Soldatenzeit, die Studentenjahre, ihre Korporationszugehörigkeit auch späterhin der Mittelpunkt ihres Erlebens bleibt, verhältnismäßig groß ist und dass man bei ihnen auch häufig eine nicht ausgereifte Begeisterungsfähigkeit findet. Richtig ist wohl auch, wenn man beim Deutschen in einer gewissen Freudigkeit zum Gehorsam eine Bereitschaft zur Massensuggestion sieht. Es ist wohl nicht zweifelhaft, dass beim Deutschen im öffentlichen Leben auch außerhalb des Militärs das Verhältnis vom Vorgesetzten und Untergebenen, des Befehls und des Gehorsams eine größere Rolle spielt als in den westlichen Ländern. Daß diese geistige Haltung anlagemäßig bedingt ist, ist fraglich, wahrscheinlich ist wohl, dass es ein Züchtungsergebnis der durch die letzten Jahrhunderte gehenden militaristischen Erziehung des gesamten Volkes ist. Ob diese durch die gefährdete geographische Lage Deutschlands geboten war, steht hier nicht zur Erörterung. Jedenfalls begünstigte sie den Verzicht auf eigenes Urteil und eigene Verantwortlichkeit. „Zivilcourage“ und „Kadavergehorsam“ sind wohl nicht zufällig deutsche Wortbildungen. Es mag auch die vielfach gehörte Klage nach dem Fehlen politisch führender Köpfe in Deutschland damit in Zusammenhang gebracht werden. Man wird aber bei dieser Frage vor allem auch auf den schweren Aderlaß an Menschengut, den Deutschland im Kriege 1914 bis 1918 erfahren hat hingewiesen. Man weiß, dass sechzig Prozent von den eindreiviertel Millionen in jenem Krieg Gefallenen zwischen dem neunzehnten und neunundzwanzigsten Lebensjahre standen, dass es sich dabei um gesunde, zukunftsversprechende Jugend gehandelt hat und dass andererseits unter den Überlebenden die psychopathischen Individuen nach Art der militärischen Auslese einen nicht zu unterschätzenden zahlenmäßigen Anteil hatten, der hinsichtlich der sozialen Qualitäten und der Erbmasse zu erheblichen Bedenken Anlaß gab. Es mag in dieser Tatsache eine gewisse Erklärung für die Qualität der Naziführerschaft wie für die ihrer Massengefolgschaft gegeben sein.
Endlich sei noch auf einen wesentlichen äußeren Faktor für die ungeheure Ausdehnung der Massensuggestion hingewiesen. Es ist in der Geschichte der revolutionären Masseninfektion zum erstenmal, dass alle die modernen technischen Mittel zur Massenwirkung und Nivellierung des geistigen Niveaus in Radio, Kino und Lautsprecher in einem Umfange den führenden Kreisen zur Verfügung standen, der der früheren Zeit, auch noch in den Jahren 1918 bis 1919, unbekannt war. Es mag einem durch jahrelange Notzeit geschwächten Volke als Milderung der Schuld angerechnet werden, wenn es durch diese von allen Seiten und alltäglich einstürmenden Propaganda mehr und mehr dem Massenwahne verfällt“[58].
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Abb. 12: Dietrich Bonhoeffers Eltern 1945
Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.
(2. Korinther 3,6)
So ist die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
(Römer 13,10)
„Diese beiden Bibelverse … finden sich in der Konfirmandenbibel Dietrich Bonhoeffers, die ihn sein Leben lang begleitete … hatten die beiden Bibelverse für die ganze Familie Bonhoeffer Bedeutung, wie sich in der gemeinsamen Haltung und in ihrem Handeln gegen das Unrechtsregime des Nationalsozialismus zeigte“[59].
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(http://www.bonhoeffer.com)
II. Ostpreußen und die komplexen Beziehungen
zwischen Staat und Evangelischer Kirche
2.1 Zur Vorgeschichte
Während des Ersten Weltkrieges ist Ostpreußen als einzige deutsche Provinz zum Kriegsschauplatz geworden. Die Russische Invasion 1914 (Njemen-Armee im Norden und Narew-Armee im Süden) brachte Bedrängnis (Schlacht von Gumbinnen, 19. August 1914) und Zerstörung über die Bevölkerung. Zum Ende des Jahres 1914 war der größte Teil Ostpreußens besetzt. Zwar hatten die Schlachten von Tannenberg (26. – 30. August 1914) und an den Masurischen Seen (1. – 14. September 1914) zwischenzeitliche Erleichterung gebracht. Doch erst die Winterschlacht in Masuren (7. – 22. Februar 1915) führte eine Wende im Kriegsgeschehen herbei. Im Bewusstsein der Bevölkerung hatte der Krieg tiefe Spuren hinterlassen. 39 Städte und 1900 ländliche Ortschaften waren von den Zerstörungen direkt betroffen. Die „Angst vor den Russen“ wurde in den kommenden Jahren durch die Propaganda von rechts immer wieder geschürt.
Nach Kriegsende musste die Provinz geopolitische Veränderungen akzeptieren, die der Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 dekretiert hatte. Im Memelgebiet übernahm Frankreich im Namen des Völkerbundes am 15. Februar 1920 die Verwaltung. An Polen fielen nicht nur weite Teile Westpreußens, sondern ohne Befragung der Bevölkerung auch Teile des Kreises Neidenburg und die Stadt Soldau. Durch Soldau führte die Eisenbahnlinie Danzig-Warschau. Dagegen entschied eine Volksabstimmung am 11. Juli 1922 über die endgültige Zugehörigkeit aller südlichen Kreise Ostpreußens und der umstrittenen Kreise in Westpreußen (Ermland) zu Deutschland. Stadt- und Landkreis Elbing, sowie vier rechts von Weichsel und Nogat gelegene Kreise wurden als neuer Regierungsbezirk Westpreußen der Provinz Ostpreußen angeschlossen.
Geographisch war Ostpreußen durch den „Korridor“ vom „Reich“ abgeschnitten. Darüber konnte auch die Intensivierung der Schifffahrtsverbindungen auf der Ostsee nicht hinwegtäuschen. Folge dieser „Insellage“ und Isolation war, dass die Wirtschaft stagnierte. Der Osthandel ging um mehr als 2/3 gegenüber der Vorkriegszeit zurück, denn die traditionellen Absatzmärkte bei den östlichen Nachbarn waren verschlossen. Dazu kam, dass Polen und Litauen einen Zoll- und Handelskrieg gegen Deutschland führten. Es gab aber auch interne Faktoren, die zur Verschärfung der politischen und ökonomischen Lage führten.
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Abb. 13: Deutschlandkarte mit den Abtretungsgebieten gemäß
des Versailler Vertrags
Ostpreußen war mit 37 000 km2 nach Schlesien und Brandenburg zwar die drittgrößte preußische Provinz, wies aber die geringste Bevölkerungsdichte auf: 55 Einwohner pro km2. Mehr als die Hälfte der im Jahre 1933 Erwerbstätigen (54 % im Vergleich zum nationalen Durchschnitt von 29 %) waren in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Die Dominanz einer agrarisch bestimmten Wirtschaft belegt auch die Statistik, wonach die Anzahl der Großbetriebe (über 100 Hektar) einen Anteil von 39,2 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausmachten. 1925 verfügten 1,9 % aller landwirtschaftlichen Betriebe über 50 % der gesamten Nutzfläche. Daneben fielen der Industrialisierungs- und Verstädterungsprozess eher bescheiden aus. Königsberg war mit ca. 340 000 Einwohnern die einzige Großstadt. Von den 4805 Gemeinden in Ostpreußen hatten 4719 weniger als 2000 Einwohner[60]. Insgesamt wirkte sich hier der Bevölkerungsrückgang aus, verursacht durch steigende Abwanderung in die westlichen Industriegebiete, die einzige Alternative zu Beschäftigungslosigkeit und Wohnungsnot. Zudem hatten die Abrüstungsauflagen der Alliierten viele Garnisonsstädte in die Bedeutungslosigkeit geführt. Alle Maßnahmen zur Entwicklung der Ökonomie (u.a. Verzicht auf Rückzahlung von Saatgutkrediten, Steuernachlässe, Lastensenkungen) blieben ohne durchschlagenden Erfolg. Die Neuverschuldung der Provinz drohte die Vorkriegsverhältnisse zu überholen. Als 1928 die Staatliche Ostpreußenhilfe („Osthilfe“) zur Sanierung und Strukturverbesserung anlief, landeten die Fördermittel nur zu einem geringen Teil in den Not leidenden Kleinbetrieben. Es konnte daher nicht verwundern, dass in dieser Zeit radikale Parolen[61] sich überschlugen und ein revolutionäres Klima[62] entstand. Antidemokratische und antiparlamentarische Kräfte gaben den Ton an und offenbarten zunehmende Gewaltbereitschaft. Der Kapp-Putsch fand in der Öffentlichkeit[63] breite Zustimmung. In das Misstrauen gegenüber der neuen Republik mischte sich Kopflosigkeit und utopische Neuerungssucht. Die Großagrarier, die bisher in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) ihr politisches Sprachrohr hatten, wandten sich bald der NSDAP zu. In der Stadt Königsberg konnte der soziale Friede dank einsichtiger Regierungen bis 1929 in der Balance gehalten werden. Aber schon mit den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 begann der rasante Aufstieg der NSDAP in Ostpreußen (Stimmenanteil von 22,5 %).
Zeitgleich mit der sich zuspitzenden Agrarkrise und der politischen Radikalisierung („Ruck nach rechts“) entwickelte sich in Ostpreußen ein neues Landesbewusstsein, die sog. „Grenzlandmentalität“. Signalcharakter übernahmen die emotional geführten Auseinandersetzungen in der Sprachenfrage. In den grenznahen Regionen war es zu Diskriminierungen von Deutschen bzw. Polen und Litauern gekommen. Deutschnationale Kreise nutzten den Anlass, um die Pflege des Deutschtums in speziellen Vereinen zu intensivieren und den „Mythos Ost-
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Abb. 14: Karte von Ostpreußen
preußen“ zu verbreiten. Die Nation sollte überzeugt werden, dass die Menschen in Ostpreußen einen Auftrag stellvertretend für den Rest des „Reiches“ erfüllten.
Besonders die Medien taten viel, um das Deutschtum zu beschwören[64]. Elemente der lutherischen, preußischen oder kantischen Tradition wurden zumal bei
Gedenkfeiern zelebriert. Der Germanist Josef Nadler, 1925 nach Königsberg berufen, verklärt seine Ankunft in Ostpreußen:
„Man kam, wenn man um die Mitte der zwanziger Jahre ostpreußischen Boden betrat, in eine neue Welt. Gespenstisch glitt im Zwielicht des trüben Aprilabends das eiserne Netzwerk der Dirschauer Brücke an den Fenstern vorüber. Die Weichsel war überstanden. Der große Name Marienburg brannte über einem kleinen Bahnhof. Er war der erste Gruß. Er war eine Verheißung. Er machte Mut und er verpflichtete“[65].
Der politische Prozess in Ostpreußen bleibt unverständlich, wenn in der historischen Analyse die psychologische Dimension unberücksichtigt bleibt, die mit der territorialen Veränderung und dem ökonomischen Niedergang verbunden war. Im Lebensgefühl der Menschen aller Schichten mischten sich antiaufklärerische, antidemokratische, antiliberale, antikommunistische und antisemitische Tendenzen. Gerade bei den Eliten entwickelte sich große Sympathie für einen radikalen Umbruch. Denn mit dem Ausstieg aus der Moderne hoffte man auf das Ende der „Traumatisierung“, ein Begriff, der den emotionalen Zustand nach Versailles treffend erfasst[66]. „Los von Versailles“ – unter diesem Ruf ließen sich die politischen Gruppen von rechts bis links vereinen. Vor allem der Grenze mit Polen galten revisionseifrige Umtriebe. Die Weimarer Republik, die „Republik der Außenseiter“ (Peter Gay), stand von vornherein auf verlorenem Posten mit ihrem Ziel, ein demokratisches Gemeinwesen aufzubauen. „Wir genießen das eigentümliche Schauspiel eines Parlaments, das zum großen Teil aus Antiparlamentariern besteht“, schrieb Friedrich Georg Jünger.
Ein für die Epoche typisches Phänomen, das die irrationale Befindlichkeit in Deutschland dokumentiert, war der „politische Messianismus“. So diagnostizierte Max Scheler (1874-1928) „eine beispiellose Sehnsucht nach Führerschaft … Das zeigen vielleicht am deutlichsten die zahllosen neuen ‚Gemeinschaften’, ‚Kreise’, ‚Orden’, ‚Sekten’, ‚Schulen’, die mit einem Male in unserem Lande für alle Arten von Lebensinteressen emporgetaucht sind, jede mit ihrem besonderen ’Heiland’, ‚Propheten’, ‚Weltverbesserer’ in der Mitte, jede mit hohen Ansprüchen aller Art, die Welt zu verbessern und zu bekehren“[67]. Die vertraute Führung war den Deutschen infolge von Krieg und Revolution „genommen“. An der Tagesordnung war jetzt nicht nur die Suche nach dem „Retter Deutschlands“ sondern auch die Hoffnung auf die Rückkehr alter nationaler Größe. „Die Erinnerung an heroische Vergangenheit nährte Sehnsüchte und Wunschbilder, die kommende Heilsbringer und wiederkommende Helden erfüllen sollten. Idealisierte Vergangenheit wurde zum Garanten einer besseren Zukunft“[68]. Eine tief sitzende Angst vor der Moderne förderte die Anfälligkeit für radikales Denken. Es verwundert also nicht, wenn politische Enttäuschungen, Verlusterfahrungen, kulturelle Umbrüche, Hilflosigkeit u.ä. einen Erwartungshorizont konstituierten, in den der Nationalsozialismus erfolgreich eindrang. Die Mahnung und Warnungen, z.B. von Max Weber[69] u.a., die enthusiastisches Lebensgefühl und messianische Schwärmerei auf den Weg der Vernunft zurückriefen, wurden in den Wind geschlagen. Man war „der Mäkler und Schwätzer müd“, hatte sich lang genug „mit Feldwebeln begnügt“; „das Bedürfnis nach dem starken Mann“ (Friedrich Gundolf) breitete sich in allen Schichten aus wie ein Fieber. Ein Liederbuch der „Christlichen Studentenvereinigung“ von 1927 verbreitete folgendes Gebet von Ernst Leibl:
[...]
[1] so Joachim Mehlhausen in seinem Artikel „Nationalsozialismus und Kirchen“, in: TRE XXIV (1994), 43-78. – Auf das Verhältnis „Nationalsozialismus und Katholische Kirche“ einzugehen, hätte den Rahmen dieser Untersuchung gesprengt. Angemerkt sei jedoch, dass der Begriff „Kirchenkampf“ im katholischen Forschungsdiskurs weite Akzeptanz gefunden hat.
[2] So Günther van Norden, Zwei Aspekte kirchlicher Zeitgeschichte, in: Transparent-Extra 94/ 2009, 1-12.
[3] Vgl. z.B. Peter Maser, Der Kirchenkampf und seine Legenden, in: ders. (Hg.), Der Kirchenkampf im deutschen Osten und in den deutschsprachigen Kirchen Osteuropas, Göttingen 1992, 9-26; Heinz Eduard Tödt, Komplizen, Opfer und Gegner des Hitlerregimes. Zur ‚inneren Geschichte’ von protestantischer Theologie und Kirche im ‚Dritten Reich’, Gütersloh 1997, 383ff; Kristine Fischer-Hupe, Der Kirchenkampfdiskurs nach 1945. Wie katholische und evangelische Theologen in der frühen Nachkriegszeit über den Kirchenkampf der Jahre 1933-1945 sprachen, in: Kirchliche Zeitgeschichte 15, 2002, 461-489; Frank-Michael Kuhlemann, Erinnerung und Erinnerungskultur im deutschen Protestantismus, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 119, 2008, 30-44.
[4] Diese Frage behandelt Eberhard Bethge auf der Grundlage von persönlichen Erinnerungen, Kontextanalyse und theologischen Reflexionen: Zwischen Bekenntnis und Widerstand. Erfahrungen in der Altpreußischen Union, in: ders., Bekennen und Widerstehen. Aufsätze, Reden, Gespräche, München 1984, 141-150; 145: „Asmussen hatte in Barmen deutlich genug betont, dass das Bekenntnis zum solus Christus nichts zu tun habe mit einer Opposition gegen das neue Deutschland und seine veränderte Staatsform“.
[5] Vgl. Hans Prolingheuer, Das kirchliche Wendejahr 1946. Ein historisch-kritischer Rückblick, Manuskript Deutschland-Radio, 16. November 1996, 5ff.
[6] Über zwei Fälle aus dem kirchlichen Bereich ist wieder vor einigen Jahren berichtet worden: Rainer Hering, Heilige Opfer für Hitler. Der Fall Biberstein und die evangelische Kirche (in: DIE ZEIT Nr. 16, 13.04.2000) und Manfred Gailus, Vom ‚gottgläubigen’ Kirchenkämpfer Rosenbergs zum ‚christgläubigen’ Pfarrer Niemöllers: Matthes Zieglers wunderbare Wandlungen im 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54, 2006, 937-973. Vgl. auch Jens Gundlach, Otto Dibelius und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, Mss. 2012 (Vortrag auf dem Symposion zu Ehren von Prof. Dr. Joachim Perels in Hannover), 6f.
[7] Frederick Taylor spricht in seiner Darstellung der ersten Nachkriegsjahre („Zwischen Krieg und Frieden. Die Besetzung und Entnazifizierung Deutschlands 1944-1946“, Berlin 2011) sogar von einer „hyperkapitalistischen Orgie des Vergessens“.
[8] Arthur Frey, Kirchen im Gericht, Zollikon-Zürich 1949, 15f zitiert nach Maser (wie Anm. 3), 11.
[9] Günther van Norden, Zwischen Patriotismus und Bekenntnis. Der deutsche Protestantismus 1920-1950, in: Evangelische Theologie 1/ 1994, 61-78.
[10] So van Norden (wie Anm. 2), 6ff in Auseinandersetzung mit Thesen von Kurt Meier und Kurt Nowak.
[11] A.a.O., 10. Vgl. Klaus Scholder, Politischer Widerstand oder Selbstbehauptung als Problem der Kirchenleitungen, in: Jürgen Schmädecke/ Peter Steinbach (Hg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler, München 1985, 262: „Was an tatsächlichem Widerstand gegen das Regime von den Kirchen ausging, kam durchweg von unten, von Pfarrern, Gemeinden und einzelnen Christen. Sie hatten, wie die Listen der Opfer ausweisen, auch die ganze Last der Verfolgung zu tragen. Nicht selten haben Kirchenleitungen den aus politischen Gründen Inhaftierten und Verurteilten die Solidarität verweigert“.
[12] Tödt (wie Anm. 3), 388. – Am 23. Juli 1933 (Tag der Kirchenwahlen) predigte Dietrich Bonhoeffer in der Berliner Dreifaltigkeitskirche über Matthäus 16, 13-18 (Petrusbekenntnis in Cäsarea Philippi). Die Predigt hebt die „bekennende Kirche“ von anderen Kirchenmodellen ab (vgl. DBW XII, 465-470).
[13] Vgl. dazu die kritischen Anmerkungen von Hartmut Ludwig (Der Kirchenkampf blieb Episode, in: Junge Kirche 56, 1995, 418-422) sowie die linguistischen Analysen von Fischer-Hupe (wie Anm. 3).
[14] Zur allgemeinen Orientierung sei auf folgende Artikel hingewiesen: http://de.wikipedia. org/wiki/Stuttgarter_Schuldbekenntnis und http://de.wikipedia.org/wiki/Darmstädter_Wort; (10.10.2011). Ferner: Joachim Mehlhausen, Die Wahrnehmung von Schuld in der Geschichte. Ein Beitrag über frühe Stimmen in der Schulddiskussion nach 1945, in: ders. (Hg.), … und über Barmen hinaus: Studien zur Kirchlichen Zeitgeschichte. FS für Carsten Nicolaisen, AKZG B 23, Göttingen 1995, 471-498; Martin Greschat, Die evangelische Christenheit und die deutsche Geschichte nach 1945. Weichenstellung in der Nachkriegszeit, Stuttgart 2002, 322-338 (zum Darmstädter Wort im historischen Kontext).
[15] Art. Darmstädter Wort (wie Anm. 14), 5. Schon am 29. Mai 1945 hat Paul Schempp in einer scharfen und weitsichtigen Analyse („Der Weg der Kirche“) das verzerrte Geschichtsbild und die autoritären Ansprüche der Kirchenführung (gemeint ist der württembergische Bischof Wurm) angegriffen. Vgl. Hans Prolingheuer, Der erstickte Bußruf des Paul Schempp, in: Neue Stimme, 4/ 1985, 7-11.
[16] S.o. Anm. 7.
[17] Formulierungen von Dorion Weickmann in ihrer Besprechung des Buches von Frederik Taylor (wie Anm. 7), in: Süddeutsche Zeitung Nr. 256, 16. Gundlach (wie Anm. 6) zeigt am Beispiel Otto Dibelius die ablehnende Einstellung protestantischer Kreise gegen die von den (West-) Aliierten verordneten Entnazifizierungsmaßnahmen.
[18] Kuhlemann (wie Anm. 3), 40.
[19] Tödt (wie Anm. 3), 383.
[20] Vgl. z.B. Maser (wie Anm. 3), 20ff; Tödt (wie Anm. 3), 393ff; 397 und die Diskussionen, die im Umfeld des Darmstädter Wortes geführt worden sind.
[21] Rudolf von Thadden, „Dietrich Bonhoeffer und der deutsche Nachkriegsprotestantismus“, in: Kirchen in der Nachkriegszeit. Vier zeitgeschichtliche Beiträge, Göttingen 1979, 125-138; 128; vgl. auch 130.
[22] Bethge (wie Anm. 4), 153.
[23] Bekanntheitsgrad und verstehende Rezeption gehen allerdings nicht Hand in Hand. Das reflektiert von Thadden in seinem in Anm. 21 genannten Aufsatz.
[24] Vgl. Jürgen Seim, Hans Joachim Iwand. Eine Biografie, Gütersloh 1999, 368ff.
[25] Die Rede ist von der „Gemeinschaft evangelischer Ostpreußen“, die Jahre später mit der „Evangelischen Notgemeinschaft in Deutschland“ eng zusammenarbeitete. Letztere vertrat extrem konservative Ansichten und fühlte sich berufen, einen „Kirchenkampf gegen den modernen Zeitgeist“ zu führen; vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Evangelische_Notgemeinschaft_in_Deutschland; (12.02.2012).
[26] Walther Hubatsch, Geschichte der Evangelischen Kirche Ostpreußens, Bd. I., Göttingen 1968, 422-480. Einen kurzen Überblick bieten auch Kurt Meier, Der Evangelische Kirchenkampf Bd. III., Halle/Göttingen 1984 und Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg, III. Band: Vom Ersten Weltkrieg bis zum Untergang Königsbergs, Köln/ Wien 1971, 149ff.
[27] Hugo Linck, Der Kirchenkampf in Ostpreußen 1933-1945. Geschichte und Dokumentation, München 1968.
[28] Manfred Koschorke (Hg.), Geschichte der Bekennenden Kirche in Ostpreußen 1933-1945, Göttingen 1976. Außer der ausführlichen Darstellung des Herausgebers enthält der Band Berichte anderer Zeitzeugen.
[29] Das kann so gesagt werden, obwohl das Todesurteil gegen Bonhoeffer u.a. erst sehr spät aufgehoben worden ist – Bundesgesetze zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile wurden erst 1998 und 2002 verabschiedet. - und obwohl die deutsche Justiz in vielen Fällen zugunsten der „Täter“ und gegen die „Opfer“ geurteilt hat.
[30] In: Wort und Glaube, Tübingen 21960, 90ff.
[31] Z.B. bei Julio de Santa Ana, Bonhoeffer und die Theologie der Befreiung, in: Hans Pfeifer (Hg.), Genf’ 76. Ein Bonhoeffer-Symposion, IBF 1, München 1976, 151-170; Gustavo Gutierrez, Die historische Macht der Armen, München/ Mainz 1984, 190-203; Hermann Brandt, Widerstand und Vergebung. Lateinamerikanische Perspektiven zum Verhältnis von Religion und Macht, in: J.Mehlhausen (Hg.), Recht-Macht-Gerechtigkeit, Gütersloh 1998, 768-790; ISEDET, Cátedras Carnahan 1995. Dietrich Bonhoeffer, Buenos Aires 1998; vgl. Paul Gerhard Schoenborn, Alphabete der Nachfolge, Wuppertal 1996, 104ff; ders., Nachfolge-Mystik-Martyrium. Studien zu Dietrich Bonhoeffer, Münster 2012, 127-183.
[32] Exemplarische Verortungen kennzeichnen die Beiträge in dem von Josef Außermair herausgegebenen Band „Dietrich Bonhoeffer – Orte seiner Theologie“ (Paderborn 2008), ohne dass Ostpreußen Erwähnung findet.
[33] Das Buch von Anatolij Bachtin/ Gerhard Doliesen, Vergessene Kultur. Kirchen in Nord-Ostpreußen. Husum 32000 vermittelt einen Eindruck von „einst“ und „jetzt“. Im Übrigen vgl. Walther Hubatsch, Geschichte der Evangelischen Kirche Ostpreußens, Bd. 2: Bilder ostpreußischer Kirchen, Göttingen 1968.
[34] Über die Eltern bzw. die Familie Dietrich Bonhoeffers informieren Sabine Leibholz-Bonhoeffer, Weihnachten im Hause Bonhoeffer, Wuppertal 61984; dies., in: Wolf-Dieter Zimmermann (Hg.), Begegnungen mit Dietrich Bonhoeffer, München 21965, 12ff; dies., Vergangen, erlebt, überwunden. Schicksale der Familie Bonhoeffer, Gütersloh 71993, 13ff; Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ - Zeitgenosse, München 61986, 23ff; Marikje Smid, Hans von Dohnanyi – Christine Bonhoeffer: Eine Ehe im Widerstand gegen Hitler, Gütersloh 2002, 20ff; Ferdinand Schlingensiepen, Dietrich Bonhoeffer 1906-1945. Eine Biographie, München 2005, 17ff. – Gegenüber dem Reichssicherheitshauptamt hat Dietrich Bonhoeffer 1940 in einem Brief die Ahnentafel der Familie „entfaltet“ (vgl. DBW XVI, 61ff).
[35] Auf dem Wappen (nach dem Wappenbrief von 1590) ist ein Löwe, der eine Bohnenranke in der Tatze hält, dargestellt. „Dietrich Bonhoeffer trug einen Siegelring mit diesem Wappen“ (Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer, Reinbek 22007, 15).
[36] In der Grabrede auf seine Großmutter, Julie Bonhoeffer (1842-1936), hat D.Bonhoeffer ihre „Redlichkeit und Einfachheit“, ihre Liebe zur „Unbeugsamkeit des Rechts“ bezeugt; vgl. DBW XIV, 924; Bethge (wie Anm. 34), 31ff und 574.
[37] Eine Würdigung des Mediziners und Menschen Karl Bonhoeffer gibt Jürg Zutt, in: ders. u.a. (Hg.), Karl Bonhoeffer zum hundertsten Geburtstag am 31. März 1968, Berlin 1969, 1-7. Vgl. auch Dag Moskoop/ Dorothea Jäkel (Hg.), Karl Bonhoeffer. Ein Nervenarzt. Vorträge zum 60. Todestag, Berlin 2009.
[38] In: Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde, Bd. 161, 5f: zit. nach Bethge (wie Anm. 35), 11ff. Vgl. auch Bernhard Meyer, 26 Jahre auf dem Psychiatrie-Lehrstuhl. Der Arzt Karl Bonhoeffer (1868-1948), in: Berlinische Monatsschrift, Heft 9, 2000, 124-132; 126: „Er überzeugte durch die ‚Vollkommenheit innerer Ordnung’, die Achtung und Distanz zu seinen Mitarbeitern und Patienten gleichermaßen ausdrückte“.
[39] In: Zutt (wie Anm. 37), 61.
[40] Klaus J. Neumärker, Karl Bonhoeffer. Leben und Werk eines deutschen Psychiaters und Neurologen in seiner Zeit, Berlin 1990, 50.
[41] Zutt (wie Anm. 37), 62.
[42] Zutt (wie Anm. 37), 65.
[43] Ibd.
[44] Vgl. Bethge (wie Anm. 34), 34ff. Über die prägenden Erfahrungsräume in der Kindheit bemerkt Carl Friedrich von Weizsäcker, Gedanken eines Nichttheologen zur theologischen Entwicklung Dietrich Bonhoeffers, in: Hans Pfeifer [Hg.], Genf `76. Ein Bonhoeffer-Symposion, München 1976, 29-50; 30: „Dietrich Bonhoeffer war einer jener homines religiosi, deren Entscheidung, das eigene Leben in den Dienst Gottes zu stellen, früh in der Kindheit gefallen ist, jenseits dessen, was das Auge eines Mitmenschen hat wahrnehmen können … Ein Kind kann, unbeschadet seiner kindlich-natürlichen Entwicklung, ein schweigsames und intensives Leben mit Gott haben, für das ihm die Umwelt nur die kulturell geprägten Formen bietet, in welchen es sich seine innere Erfahrung auslegen und ausbilden kann“.
[45] Uwe Gerres, Medizinisches Ethos und Theologische Ethik. Karl und Dietrich Bonhoeffer in der Auseinandersetzung um Zwangssterilisation und Euthanasie im Nationalsozialismus, München 1996, 59.
[46] Ibd.
[47] Bethge (wie Anm. 34), 39. Ferner Renate Bethge, Bonhoeffers Familie und ihre Bedeutung für seine Theologie (1985), Berlin 2003, 16; Smid (wie Anm. 34), 25: Paula Bonhoeffer „handelte sehr entschieden, war fast pietistisch fromm und immer besorgt um die ihr anvertrauten Menschen“.
[48] Leibholz-Bonhoeffer (1984; wie Anm. 34), 6. Vgl. Von Weizsäcker (wie Anm. 44), 30: „Modernes Bewusstsein in der Gestalt der Tradition“.
[49] Heinz Eduard Tödt, Komplizen, Opfer und Gegner des Hitlerregimes. Zur ‚inneren Geschichte’ von protestantischer Theologie und Kirche im ‚Dritten Reich’, Gütersloh 1997, 160.
[50] Neumärker (wie Anm. 40), 72. Davon zeugen die Eintragungen zur Familiengeschichte im sog. „Sylvesterbuch“, die Karl Bonhoeffer alljährlich vorgenommen hat. Vgl. auch von Weizsäcker (wie Anm. 44), 31f; 34ff.
[51] DBW IX, 50.
[52] Vgl. dazu Karl Bonhoeffers Aufzeichnungen in: Zutt (wie Anm. 37), 115 und den bei Leibholz-Bonhoeffer (71993; wie Anm. 34), 108ff abgedruckten „Silvestereintrag“. Ferner Meyer (wie Anm. 38), 129f.
[53] Eberhard Bethge, Haus, Familie und Gäste in der Marienburger Allee 43, in: ders., Erstes Gebot und Zeitgeschichte, München 1991, 156. Vgl. auch Bethges Ausführungen über die Bedeutung der preußischen Tradition in Dietrich Bonhoeffers Vita (in: ders., Bekennen und Widerstehen. Aufsätze, Reden, Gespräche, München 1984, 24ff).
[54] In: Zutt (wie Anm. 37), 106.
[55] Der Text von Braunes Denkschrift vom 4. Juli 1940 ist abgedruckt bei Heinrich Hermelink (Hg.), Kirche im Kampf. Dokumente des Widerstands und des Aufbaus in der Evangelischen Kirche Deutschlands von 1933 bis 1945, Tübingen 1950, 519-532.
[56] DBW VI, 163ff; bes. 209-211; vgl. 437f. Dieses Kapitel ist in der Zeit ab dem 9. Dezember 1940 konzipiert worden. Ferner Gerres (wie Anm. 45), 160ff: Karl und Dietrich Bonhoeffer im Vergleich; sowie Helmut Reihlen, Vom Wert des Lebens. Karl und Dietrich Bonhoeffer im ethischen Gespräch, in: Günter Brakelmann/ Traugott Jähnichen (Hg.), Dietrich Bonhoeffer – Stationen und Motive auf dem Weg in den politischen Widerstand, Münster 2005, 59-74.
[57] In: Zutt (wie Anm. 37), 108-114. Aufschlussreich für die Verbindung von medizinischer und gesellschaftspolitischer Perspektive sind folgende Arbeiten Karl Bonhoeffers: Über die Bedeutung der Kriegserfahrungen für die allgemeine Psychopathologie und Aetiologie der Geistes- und Nervenkrankheiten, in: O.v.Schjernings Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918, Bd. 4, Leipzig 1922, 1-44 und Vergleichende psychopathologische Erfahrungen aus den beiden Weltkriegen, in: Der Nervenarzt 18, 1947, 1-4. Vgl. auch Gerres (wie Anm. 45), 109ff: Rückblick nach Kriegsende.
[58] In: Zutt (wie Anm. 37), 113f. – Ein Zeitgenosse, der Historiker Friedrich Meinecke, weist in eine vergleichbare Richtung, wenn er bei den Deutschen die Neigung diagnostiziert, „einmal ergriffene Ideen zu übersteigern“ und sich von der Vernunft zu verabschieden (Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 21946, 40). Im Übrigen pflegte Karl Bonhoeffer eine Geisteshaltung nüchterner, bisweilen ironischer Sachlichkeit, die an den Publizisten und Satiriker Adolf Glaßbrenner (1810-1876) erinnert:
„Mit der friedlich-liberalen Moral,
der kurzatmigen, ging es fatal,
dagegen mit Eisen und Blut,
Ging vorläufig schnell es gut.
Wie aber durch Eisen und Blut
Man wieder zurückkehren tut
Zur friedlich-liberalen Moral?“
Aus: Ingrid Heinrich-Jost, Die politische Publizistik Adolf Glaßbrenners, in: Manfred Richter (Hg.), Kirche in Preußen: Gestalten und Geschichte, Stuttgart usw. 1983, 160-177; 175.
[59] Renate Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Eine Skizze seines Lebens, Gütersloh 22004, 2.
[60] Statistische Angaben nach Christian Tilitzki, Alltag in Ostpreußen 1940-1945. Die geheimen Lageberichte der Königsberger Justiz 1940-1945, Leer 1991, 10ff. Vgl. auch Andreas Kossert, Ostpreußen. Geschichte und Mythos, München 2005.
[61] Ein Autor, der großen Einfluss auf die Gedankenwelt Hitlers ausgeübt hat, war Dietrich Eckart („Der Bolschewismus von Moses bis Lenin – Zwiegespräche zwischen Adolf Hitler und mir“); vgl. http:// de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Eckart; (27.02.2012). – Ein Mitglied der religiösen Sozialisten, Lic. theol. und Dr. phil. Paul Piechowski, setzte über sein Buch „Proletarischer Glaube“ (1927) folgendes Motto:
„Es krampft und kreißt die Zeit der Leidenswehen,
der Boden bebt, wo starr die Kreuzeszeichen stehen.
Der Masse Sehnsucht ringt sich los vom Alten
Und will in neuen Formen heilig sich gestalten“.
Zit. nach Kurt Nowak, Religiöser Sozialismus in der Weimarer Republik, in: Joachim Mehlhausen (Hg.), … und über Barmen hinaus: Festschrift für Carsten Nicolaisen, AKZG 23, Göttingen 1995, 100-111; 109.
[62] Über die ideologischen Strömungen und ihre Akteure im Kontext der Weimarer Republik informieren Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch, 1950; Graz 62005; Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958; Fritz Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland, Bern/ Stuttgart/ Wien 1963 (Paul de Lagarde 25ff; Julius Langbehn 127ff; Moeller van den Bruck 223ff) und Stefan Breuer, Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 21995. Ein viel gelesener Autor war Edgar Julius Jung (1894-1934), der mit seinem Buch „Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung durch ein neues Reich“ (Berlin 1927) zu den Wegbereitern der NS-Ideologie wurde. Im Zusammenhang der sog. Röhm-Affäre wurde Jung ermordet. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Edgar_Julius_Jung; (10.06.2011).
[63] Vgl. dazu Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg, Band III., Köln/ Wien 1971, 34f; Jürgen Manthey, Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik, München 2006, 554ff. – Zum Aufstieg der NSDAP vgl. Bohdan Koziello-Poklewski, Die NSDAP in Ostpreußen. Gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Bedingungen ihrer Entwicklung, in: Christian Pletzing (Hg.), Vorposten des Reiches? Ostspreußen 1933-1945, München 2006, 15-28.
[64] Vgl. Kossert (wie Anm. 60), 242ff. Nur eine Minderheit sah in der „geographischen Isolation“ eine Chance für die „Freiheit einer eigenen Entwicklung“; vgl. Manthey (wie Anm. 63), 652.
[65] Zitiert bei Kossert (wie Anm. 60), 248.
[66] Siehe dazu Frank-Michael Kuhlemann, Protestantische „Traumatisierungen“. Zur Situationsanalyse nationaler Mentalitäten in Deutschland 1918/19 und 1945/46, in: Manfred Gailus/ Hartmut Lehmann (Hg.), Nationalprotestantische Mentalitäten, Göttingen 2005, 45ff. Ferner Tödt (wie Anm. 49), 152 mit Verweis auf Hans Mommsen, Die deutschen Eliten und der Mythos des nationalen Aufbruchs von 1933, in: Merkur 38, 1984, 97-102.
[67] Max Scheler, Vorbild und Führer, in: ders., Zur Ethik und Erkenntnislehre. Schriften aus dem Nachlass 1, Berlin 1933, 151. Vgl. Ulrich Linse, Barfüssige Propheten. Erlöser der Zwanziger Jahre, Berlin 1983.
[68] Klaus Schreiner, „Wann kommt der Retter Deutschlands?“. Formen und Funktionen von politischem Messianismus in der Weimarer Republik, in: Saeculum 49, 1998, 107-160; 121.
[69] Vgl. Max Weber, Wissenschaft als Beruf (1917/19), hrsg. von Wolfgang J.Mommsen und Wolfgang Schluchter, Tübingen 1992; Schreiner (wie Anm. 68), 155ff. – Aus theologischer Perspektive hat früh (1931) der Barth-Schüler Richard Karwehl warnende Überlegungen geäußert: Politisches Messiastum. Zur Auseinandersetzung zwischen Kirche und Nationalsozialismus, in: Zwischen den Zeiten 9, 1931, 519-543. Auch Ewald von Kleist-Schmenzin, Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht (1933), in: Bodo Scheurig, Ewald von Kleist-Schmenzin. Ein Konservativer gegen Hitler, Berlin/ Frankfurt 1994, 269-274. Im Jahr 1933 hat E. von Kleist-Schmenzin folgenden plakativen Satz zur geistigen Situation geprägt: „In Zukunft wird es heißen: Charakterlos wie ein deutscher Beamter, gottlos wie ein protestantischer Pfaffe, ehrlos wie ein preußischer Offizier“ (nach Tödt [wie Anm. 49], 154).
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