Nikolaus Pipers „Felix und das liebe Geld“ im Deutschunterricht


Masterarbeit, 2012

75 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die aktuelle Forschungssituation der Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland

3. Der aktuelle Forschungsstand der Kinder- und Jugendliteratur
3.1 Terminologische Einordnung der Kinder- und Jugendliteratur

4. Gattungen der KJL
4.1 Moderne realistische KJL
4.2 Realistisches Erzählen in der Geschichte der KJL
4.3 Reform der Kinder- und Jugendliteratur
4.4 Der moderne sozialkritische Problemroman
4.5 Der psychologische Kinder- und Jugendroman

5. Autorenporträt
5.1 Inhalt

6. Narratologische Textanalyse
6.1 Figurenanalyse
6.2 Typisierte Figuren
6.3 Raumkonzeptionsanalyse
6.4 Perspektivgestaltung
6.5 Handlungsanalyse
6.6 Das Thema Geld in „FdlG“

7. Zusammenfassung

8. Grundlegende Überlegungen zur Positionierung des deutschen Bildungssystems
8.1 Aufgaben des Literaturunterrichts
8.2 Leseförderung
8.3 Handlungs- und Produktionsorientierter Literaturunterricht

9.Konzeption einer Unterrichtssequenz
9.1 Bezug zum Lehrplan
9.2 Bestimmung der Jahrgangsstufe
9.3 Ziele der Unterrichtssequenz
9.4 Lesetagebuch

10. Schwerpunktbezogene Darstellung und Analyse der letzten beiden Unterrichtseinheiten (13.–16.)
10.1 13./14. Unterrichtseinheit
10.2 15./16. Unterrichtseinheit

11. Fazit

Anhang:
A 1: Abkürzungsverzeichnis
A 2: Literaturverzeichnis
A 3: Internetquellen

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit „Nikolaus Pipers Felix und das liebe Geld“ verknüpft die zwei konstitutiven Elemente des germanistischen Studiums im Master of Education – Studiengang.

Im ersten, literaturwissenschaftlich ausgerichteten Teil der Arbeit wird deshalbelementar die Verortung der KJL im Forschungsfeld der Literaturwissenschaft vorgenommen, um aufbauend auf dieser literaturwissenschaftlichen Einordnung eine narratologische Textanalyse durchzuführen, die sich im Kern auf die für den zweiten, literaturdidaktischen Teil der Arbeit konstitutiven Elemente bezieht. Dass die narratologische Textanalyse lediglich einige zentrale Bereiche behandelt, ist nicht nur im Sinne der Handlungs- und Kontextorientierung für den zweiten Teil der Arbeit sinnvoll, sondern ebenso aus räumlichen Gründen unvermeidlich.

Im zweiten Teil der Arbeit wird die Konzeption einer Unterrichtssequenz erläutert. Diese Unterrichtssequenz soll zeigen, wie der Roman „Felix und das liebe Geld“ im Deutschunterricht be- und erarbeitet werden kann.

Die Unterrichtssequenz bezieht sich hierbei sowohl auf die curricularen Vorgaben für das Unterrichtsfach Deutsch (Kernlehrplan Deutsch, 2007, Sek. I (G8)) als auch auf literatur- und mediendidaktische Überlegungen im Unterrichtsfach Deutsch.

Es soll vor allem gezeigt werden, wie die verschiedenen methoden- und teilweise auch fächerübergreifenden didaktischen Theorien in fruchtbarer Weise im Deutschunterricht eingesetzt werden können.

2. Die aktuelle Forschungssituation der Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland

Die Kinder- und Jugendliteratur [im Folgenden: KJL] konnte sich in den vergangenen 40 Jahren als eigenständige Teildisziplin im wissenschaftlichen Forschungsfeld der Neueren deutschen Literaturwissenschaft etablieren.

Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von einschlägigen Publikationen, Handbüchern und Nachschlagewerken zur KJL, von denen die Arbeiten Hans-Heino Ewers [Literatur für Kinder- und Jugendliche, 2010), Günter Langes [Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart, 2010] und Rainer Wilds [Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur, 2008] zu den wichtigsten zählen.

Diese Werke beschäftigen sich – ausgehend von einer historisch-systematischen Analyse – mit der Aufarbeitung des Quellenmaterials sowie der Theorie und Poetik der KJL.

Die KJL ist in den letzten Jahren auch deshalb zu einem integralen Bestandteil des wissenschaftlichen Forschungsfeldes geworden, da sie einerseits eben eine Teildisziplin des allgemein literarischen Systems darstellt und andererseits als oben definierte adressatenspezifische Literatur für Kinder und Jugendliche Gegenstand der Erziehungswissenschaft sowie der Literaturdidaktik ist.

In der Literaturdidaktik stehen Fragen zu den Themen der Lesesozialisation, der Lesemotivation, des literarischen Lernens und des Erwerbs von Weltwissen im Mittelpunkt der Untersuchungen.

Grundlegende Forschungsarbeiten, Handbücher und Theorieansätze stammen z.B. von Dagmar Grenz, Bettina Hurrelmann, Gina Weinkauff oder Kaspar H. Spinner.

Durch die Modularisierung des Lehramtsstudiums im Zuge des Bologna-Prozesses und einer institutionell intendierten Praxisorientierung für angehende Lehrer[1] hat die Kinder- und Jugendliteraturforschung einen Bedeutungszuwachs in der universitären Lehre erlangt, wie die vom Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur durchgeführte Studie aus dem Jahre 2008 belegt.[2]

Allerdings zeigt diese Studie auch, dass im Gegensatz zu diesem Bedeutungszuwachs kein adäquater Zuwachs im literaturwissenschaftlichen Forschungsfeld auszumachen ist.

Die Verlagerung der Forschungsaktivitäten mit reinem literaturdidaktischem Fokus muss aus mehreren Gründen kritisch betrachtet werden.

Auf der einen Seite sind es pragmatische Gründe wie z.B. die Forschungskontinuität, die durch die institutionell bedingten Einsparungen im Hochschulbereich gefährdet ist, oder aber der daraus resultierende Qualitätsverlust in der Lehre, wie u.a. Dagmar Grenz beklagt.[3]

Andererseits führt jene Verlagerung auch dazu, dass Lehrer die KJL auf ihre didaktischen Fragestellungen reduzieren.

Denn diese Lehrer sind es schließlich, die aus dem aktuellen Literaturangebot für Kinder- und Jugendliche den Bildungsgehalt für die Schüler herausformen müssen.

Deshalb ist es für praktizierende und zukünftige Lehrer unerlässlich, dass sie sowohl in der literaturdidaktischen als auch in der literaturwissenschaftlichen Forschung der KJL Experten sind, um so literarische Lernprozesse professionell fördern zu können.[4]

3. Der aktuelle Forschungsstand der Kinder- und Jugendliteratur

3.1 Terminologische Einordnung der Kinder- und Jugendliteratur

Will man die KJL in ein begriffliches Gebilde gießen, steht man vor vielfältigen Problemen: Denn die Unterschiede zwischen der KJL und der Allgemeinliteratur haben sich in den letzten Jahrzehnten beinahe nivelliert.

Des Weiteren existiert eine so große, inhomogene – sowohl auf qualitativer als auch funktionaler Ebene – Gruppe von Texten, die man zur KJL zählen würde, dass man von der KJL im Allgemeinen nicht sprechen kann.

Nach Gansel[5] kann die KJL Folgendes meinen:

1. Die Gesamtheit der für Kinder und Jugendliche als geeignet empfundenen Literatur (intentionale KJL).
2. Die Gesamtheit der für Kinder und Jugendliche geschriebenen fiktionalen und nichtfiktionalen Texte (spezifische KJL).
3. Die Gesamtheit der von Kindern und Jugendlichen rezipierten fiktionalen und nichtfiktionalen Texte (Kinder- und Jugendlektüre).
4. Ein Teilsystem des gesellschaftlichen Handlungs- bzw. Sozialsystems „Literatur“ („Subsytem KJL“).

KJL ist folglich auch als ein literarisches Subsystem der Allgemeinliteratur zu sehen, da es als Teilsystem des gesamten gesellschaftlichen/literarischen Handlungs- bzw. Symbolsystems „Literatur“, das sich speziell auf Kinder und Jugendliche bezieht, aus der eigens für Kinder- und Jugendliche publizierten Literatur entstanden ist (Gansel, S. 11).

Dieses Handlungssystem, also das Subsystem der KJL, ermöglicht eine Differenzierung in Bezug auf das System der Allgemeinliteratur.

Aus der historischen Sicht heraus unterscheidet sich die KJL von der Allgemeinliteratur vor allem dadurch, dass die moralisch-soziale Funktion bis weit in die Mitte des 20. Jahrhundert die zentrale Funktion bildete.

Im Gegensatz zur Allgemeinliteratur, welche als autonom gilt, also [theoretisch] frei von utilitaristischen oder ideologischen Interessen ist, ist die KJL eben bestimmten Interessen verpflichtet und demnach als nichtautonome Literatur zu kennzeichnen.

Unter dem funktionalen Aspekt lässt sich die KJL in vier Kategorien einteilen: 1. KJL als Mittel der Erziehung, 2. KJL als kind- bzw. jugendgemäße Literatur, 3. KJL als „Wiedergeburt der Volkspoesie“ und 4. KJL als „richtige“ bzw. vollwertige Literatur (Gansel, S. 14).

Eine weitere Differenzierung in Bezug auf das System der Allgemeinliteratur ist in der Adressatenspezifik der KJL zu sehen, welche Auswirkungen auf die formale Struktur und die narrativen Elemente des Textes hat.

Mit dem eigenständigen Symbolsystem ist der Versuch gemeint, die thematischen und darstellenden Konventionen der KJL zu definieren und zu klassifizieren.

Einen Versuch zu unternehmen, eine allgemein gültige Definition für die KJL zu finden, muss scheitern, da sich diese durch eine tiefgreifende Inhomogenität auszeichnet.

Um aber den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, ist es sinnvoll, grundlegend mit der faktischen Kinder- und Jugendlektüre zu beginnen, die von Kindern und Jugendlichen freiwillig und außerhalb des Unterrichts gelesen wird.[6]

Im Gegensatz zur faktischen Kinder- und Jugendlektüre steht die intendierte KJL, für die das konstituierende Merkmal die Intention der verschiedenen Vertreter der jeweiligen Sozialisationsinstanzen und Erziehungsinstanzen – also Eltern, Lehrer, Erzieher, Kirchen, Autoren etc. – ist, wonach sie die zu diesem Textkorpus gehörige Literatur von den Kindern und Jugendlichen gelesen wissen wollen und sollen.

Bei der faktischen und intendierten KJL handelt es sich aber keineswegs um eine originäre literarische Botschaft für Kinder und Jugendliche, also die Intention des Autors, bereits beim Schreiben und dem ersten Versenden des literarischen Werks Kinder und Jugendliche als Adressaten zu haben.

Bis ein Werk durch den kindlichen und jugendlichen Leser aufgenommen wird, durchläuft es mehrere kommunikative Funktionen innerhalb des Verlaufsmusters kinder- und jugendliterarischer Kommunikation.[7]

Zu nennen ist hier die Bearbeitung eines allgemeinliterarischen Werks für Kinder und Jugendliche, welche durch Kinder und Jugendliche rezipiert werden, wie z.B. die Lügengeschichten des „Baron Münchhausen“ oder der Schwankroman „Die Schildbürger“.

So kann aber auch ein Textkorpus aus dem allgemeinen literarischen System durch eine Empfehlung der jeweils oben genannten Sozialisations- und Erziehungsinstanzen als potenzielle KJL akzentuiert werden, auch wenn der Autor des Werkes weder Jugendliche noch Kinder als Adressaten im Blickfeld hatte. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn ein Vater seinem 10-jährigen Sohn Goethes Faust im Original zum Lesen empfiehlt, weil er meint, dass dies eine geeignete Lektüre für seinen Sohn sei.

Zu der faktischen KJL, die zu einem Gros aus der intendierten KJL besteht, treten jedoch noch Textkorpora hinzu, die in der intendierten KJL aus verschiedenen Gründen nicht berücksichtigt werden und sich demnach als nicht-intendierte Kinder- und Jugendlektüre klassifizieren lassen.

Diese Gruppe ist wiederum in einen heimlichen bzw. verborgenen Literaturkonsum oder in einen durch Erwachsene tolerierten Literaturkonsum Kinder und Jugendlicher zu unterteilen.

Schwierig dabei ist jedoch, die Grenze zwischen dieser von den Erwachsenen vorgenommenen negativen oder positiven Bewertung auszuloten.

Der Roman „Rohstoff“ von Jörg Fauser, bei dem der exzessive Konsum diverser synthetischer Drogen intensiv und explizit dargestellt wird, kann auf der einen Seite von den jeweiligen Vermittlungsinstanzen als aufklärerisches Werk dargestellt werden, welches nicht nur literarästhetisch, sondern auch als pädagogisch wertvoll eingeschätzt wird.

Auf der anderen Seite ist es nicht auszuschließen, dass einige Eltern über diesen literarischen Gegenstand eher negativ urteilen und ihren heranwachsenden Jugendlichen die Lektüre aus Sorge vor moralisch und ethisch zweifelhaftem Inhalt verbieten würden.

Weitaus harmloser in Bezug auf Drogenkonsum, aber aufgrund der expliziten Darstellung sexueller Formen und Funktionen nicht minder kritisch zu sehen, ist der Roman „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche, der möglicherweise zu einem Gros von pubertiertenden Teenagern gelesen wurde.

Ewers klassifiziert aber diese Untergruppierungen der nicht-intendierten KJL als verbotene Lektüre, da in der Geschichte der KJL dieser nicht intendierte Literaturkonsum aktiv bekämpft wurde (Ebd. S. 5)

Die hier dargestellten Verlaufsmuster kinder- und jugendliterarischer Kommunikation sollen als Annäherung an einen Gattungsbegriff verstanden werden.

Die Problematik bei dem Versuch, einen Gattungsbegriff der KJL, zu konstruieren, ist deutlich geworden, wenn man die Vielzahl von Textkorpora betrachtet, deren Adressaten im ursprünglichen Sinne nicht Kinder und Jugendliche gewesen sind.

Auch der Formenwandel innerhalb der KJL, wie er seit den 1970er-Jahren während der sogenannten Zweiten Moderne der KJL einsetzte und sich nach und nach den Formen und Funktionen der Erwachsenenliteratur annäherte und sich z.B. die Erzähltechniken dieser zu eigen machte [Näheres im Kapitel Formen und Funktionen der KJL], zeigt, dass es zunehmend schwieriger wird, die sogenannte Erwachsenen- von der Kinder- und Jugendliteratur zu unterscheiden.

Auf diese Problematik weist insbesondere Ernst Seibert hin, der vorschlägt, den Gattungsbegriff KJL in Literatur für Kinder und Jugendliche zu verändern.

Er sieht in dem Prozess der Annäherung der KJL an die Erwachsenenliteratur die Notwendigkeit, ein neues semantisches Verständnis des Untersuchungsfeldes der KJL zu benennen.

Diesen Annäherungsprozess erkennt er unter anderem vor dem Hintergrund neuer gesellschaftlicher und sozialer Rahmenbedingungen seit der Jahrtausendwende. Die technische und soziale Realität bedinge ein Zeitalter totalen Mediatisierung, die generationenübergreifend prägend sei.[8]

Vor diesem Hintergrund sieht er auch das von Jacques Derrida entworfene „Bild einer alterslosen Welt“[9], in der die veränderten sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein gesellschaftliches Veränderungspotenzial durch die Jugend bewirkt haben.

Insgesamt sieht Seibert die Begriffsbestimmung der Kinder- und Jugendliteratur kritisch und möchte mit seinem Definitionsversuch dazu beitragen, dass jene im allgemeinen literarischen System einen Bedeutungszuwachs erfährt.

Deutlich wird diese Vermischung von Elementen der KJL mit denen der „klassischen“ Erwachsenenliteratur vor allem in Bezug auf den Rezipientenkreis, wenn man z.B. auf eine der weltweit erfolgreichsten Romanreihe der letzten Jahre verweist, die „Harry Potter“-Reihe von J.K. Rowling, die nach Ewers als intendierte KJL definiert wird, aber in Wirklichkeit generationenübergreifend rezipiert wurde.

Auch die Fantasyroman-Trilogie „Twilight“ von Stephenie Meyer wurde am globalen Buchmarkt zu einem „Kassenschlager“ par excellence.

Zwar ist davon auszugehen, dass die Abenteuer um den „umwerfend gut aussehenden“ Vampir Edward Cullen und der schüchternen und nicht nur im Gesicht ein wenig „blass“ auftretenden Bella Swanson größtenteils von pubertierenden Mädchen gelesen wird, dennoch kann dieses Beispiel Seiberts neuen definitorischen Ansatz verdeutlichen, dass „per se“ der Begriff KJL aufgrund der generationenlosen Gesellschaft überholt ist, denn es ist davon auszugehen, dass ebenso viele erwachsene Frauen [und auch erwachsene Männer] zu den Rezipienten dieser Trilogie zählen.[10]

Seibert greift damit eine seit den 1980er-Jahren von Didaktikern geführte Debatte auf, in der Argumente für oder gegen eine Klassifizierung als zweite Literatur angebracht wurden, um somit Handlungskonsequenzen für die Vermittlung von KJL im Deutschunterricht gewinnen zu können.

Im didaktischen Teil der Arbeit werden diese Diskussion und die Auswirkungen auf den Deutschunterricht thematisiert; für den weiteren Verlauf der Arbeit möchte ich auf die Meinung Hurrelmanns verweisen, das Eigentümliche der Kinderliteratur mit dem Primat der pädagogischen Funktion als Faktum anzuerkennen, obwohl auch sie konstatieren muss, dass die KJL an „ästhetischer Komplexität gewinne und sich damit tendenziell der Erwachsenenliteratur annähere“[11].

4. Gattungen der KJL

4.1 Moderne realistische KJL

Unter Realismus versteht man in der Literaturwissenschaft zweierlei: erstens die Epoche zwischen Romantik und Naturalismus, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verortet wird, und zweitens die an die jeweilige Realitätsauffassung des Publikums gerichtete wirklichkeitsgetreue Darstellung gegebener Tatsachen, die historisch variablen Bedeutungseffekten untersteht.[12]

Dabei gilt es aber zu beachten, dass die real existierende Wirklichkeit niemals mimetisch als solche in der Literatur abgebildet werden kann, sondern dass diese stets lediglich eine ästhetisch gestaltete Wirklichkeit ist; das in der aristotelischen Poetik verankerte Verhältnis von Mimesis und Poiesis, also von der Nachahmung der Wirklichkeit und dem Prozess der künstlerischen Verarbeitung, ist für den Realismusbegriff konstitutiv[13].

Das realistische Erzählen in der KJL ist kongruent mit der oben genannten zweiten Definition von Realismus und meint die in der KJL verwandte Darstellungsweise, welche die Welt ohne idealistische oder fantastische Überhöhung zeigt. Diese Darstellungsform orientiert sich an der sozialen Realität und bildet die Lebenssituationen und Probleme von Kindern und Jugendlichen ab.[14]

4.2 Realistisches Erzählen in der Geschichte der KJL

Dieser Realismusbegriff ist an die jeweiligen gesellschaftlichen, kulturellen, sozialen und politisch-programmatischen Realitäten gebunden und hat sich demnach im Laufe der letzten Jahrhunderte stark verändert.

Herrschte im 18. Jahrhundert, also während der Aufklärungsepoche, in der die KJL entstand, die realistische Weltbetrachtung von Kindern und Jugendlichen, die als Exempel-, Beispiel- und Moralgeschichten als Anliegen den Kindern die durch Trennung von Familie und Arbeitsplatz fehlenden Erfahrungen zu vermitteln versuchte, vor, wandelte sich das realistische Erzählen im 19. Jahrhundert zu einer idealisierenden Umdeutung der sozialen Verhältnisse ausgelegte Literatur; gleichzeitig prägten aber auch realistische zeitgenössische Lebensrealitäten im Sinne des sozialen Realismus die KJL.[15]

Diese Konzepte des sozialen Realismus erfuhren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (bis 1968) einen Bedeutungszuwachs; seit Anfang des 20. Jahrhunderts setzte sich ein Realismusbegriff durch, der sehr viel stärker an die spezifischen kindlichen und jugendlichen Lebenswirklichkeiten anknüpfte als die moralisierenden Darstellungsmuster der Aufklärung.

Einer der bedeutenden und wichtigsten Autoren jener „Epoche“ ist sicherlich Erich Kästner, der mit seinen Romanen eine neue Sachlichkeit propagierte, die sowohl auf der Ebene der Handlung, des Handlungsortes, der Figurenkonstellation als auch der Sprache der Protagonisten und der Erzähltechniken ihren Ausdruck fand.

Für dieses neuartige Realismuskonzept in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ist vor allem der starke Bezug zu den sich verändernden gesellschaftlichen und sozialen Gegebenheiten charakteristisch[16].

Zu nennen ist hier auf jeden Fall die moderne technisierte Großstadt, in der sich die Protagonisten selbstbewusst und sicher bewegen und agieren.

Am Beispiel „Emil und die Detektive“ wird diese neuartige Realismuskonzeption besonders deutlich:

Emil und seine Freunde begeben sich in Berlin, der Stadt der gesellschaftlichen und kulturellen Hochburg der goldenen Zwanziger, auf Verbrecherjagd. Sie begegnen in der Stadt den Attributen der Moderne (Untergrundbahnen, Telefonen etc.) und wissen, mit ihnen umzugehen. Sie bedienen sich einer Sprache, die stark durch die Elemente des Berliner Jargons oder Anklänge an die Jugendsprache geprägt ist.

In der Stadt bewegen sie sich frei, vor allem von den Erwachsenen, und wenn diese auftreten, dann verkörpern sie meistens wie im Falle der Figur des Max Grundeis eine negative Rolle. Die Verbrecherjagd können sie schließlich erfolgreich beenden, indem sie trotz ihrer kindlichen Bedürfnisse dem erwachsenen Verbrecher überlegen sind. Es kommt zu einem klassischen „Happy-End“.

An eben diesem „Happy-End“ und an der – zumeist von wenigen Ausnahmen abgesehen –erwachsenenfreien Welt wird jedoch deutlich, wie stark das realistische Erzählen jener Zeit idealisiert gewesen ist, in der die Kinder als die besseren Menschen dargestellt werden.

Noch deutlicher zum Tragen kommt diese Idealisierung der Kinderwelt nach 1945, in welcher eine restaurative Phase einsetzen musste[17], die zwar mehrheitlich die expliziten gesellschaftlichen, sozialen und politisch-programmatischen Bezüge zur unmittelbaren Realität weglässt, die aber jener Konzeption folgend, eine Kindheitswelt entwirft, in der Kinder getrennt von der Erwachsenenwelt autonom sind und fernab der Erwachsenenwelt agieren.

Insgesamt ist eine Tendenz zur Exterritorialisierung von Kindheit erkennbar, indem Schauplätze der Romane außerhalb der Erwachsenen- und modernen Städtewelt inthronisiert wurden.[18]

Stellvertretend für die Literatur des „Schonraums“ steht die von Astrid Lindgren im Jahre 1949 erschaffene Figur Pippi Langstrumpf, die aus mehreren Gründen als eine der für die KJL der 1950er- und 1960er-Jahre konstituierende Protagonistin steht.

An ihr vollzog sich endgültig ein literarischer Formenwandel von einer moralisch-didaktischen hin zu einer kindgemäßen Literatur (vgl. Ewers 2000)

Diese kindgemäße Literatur zeichnete sich einerseits dadurch aus, dass hier eine neue Kindheitsauffassung konstatiert wurde, die – beeinflusst durch die Erkenntnisse der Entwicklungspschologie – den Abschnitt des Kindseins als eine eigenständige, von der jugendlichen und erwachsenen isolierte Phase deklarierte, für die auf sprachlicher und inhaltlicher Ebene die kindgemäße Darstellung als oberstes Prinzip galt.[19]

Dieses führte andererseits dazu, dass die KJL in einen gesellschaftlichen Schonraum verlagert und teilweise eine Art Gegenwalt konzipiert wurde, in welcher die Protagonisten fernab der gesellschaftlichen, sozialen und politisch-programmatischen Problemfelder jener Jahrzehnte frei und unbesorgt leben konnten.

Wiederum war es Lindgren, die mit zahlreichen Erzählungen wie z.B. „Wir Kinder aus Bullerbü“, „Michel“ oder „Rasmus und der Landstreicher“ einen idealisierten Ort schaffte, an dem Kinder unbeschwert, frei und autonom leben und wirken konnten.

Zwar gab es während dieser Zeit einige wenige realistische Kindererzählungen, in welchen vereinzelt und zaghaft reale gesellschaftliche und soziale Probleme verarbeitet wurden, wie etwa in Hans Peter Richters Roman „Damals war es Friedrich“ oder Hans Petersons „Matthias und das Eichhörnchen“ aus den späten 1950er-Jahren.

Eine von Getraud Middellhauve im Jahre 1966 herausgegebene Anthologie [„Dichter erzählen Kindern“], in welcher 36 Autoren der zeitgenössischen Belletristik für Erwachsene Beiträge für das Lesebuch für Kinder und Erwachsene lieferten, proklamierte das Programm für die kinderliterarische Epoche, die folgen sollte, indem im Vorwort bemerkt wurde, dass das Kinderalter nicht mehr begrenzt sein sollte.[20]

4.3 Reform der Kinder- und Jugendliteratur

Die Studenten-, Frauen- und Emanzipationsbewegung nach 1968 brachte weitreichende gesamtgesellschaftliche Veränderungen und Folgen für die junge Bundesrepublik.

Sie veränderte das Denken und Handeln einer ganzen Generation, deren politisch

programmatische Ideen und trug wesentlich dazu bei, dass ein Gros der tradierten sowie nicht mehr zeitgemäßen, konservativen und als „verkrustet“ empfundenen Grundprinzipien überwunden werden konnten.

Diese epochalen Veränderungen fanden auch in einem kinderliterarischen Paradigmenwechsel ihren Ausdruck; dieser bedingte sich nach Ewers aus einer neuen „epochalen Veränderung der Kindheitsauffassung“, welche parallel oder im Gefolge zu oben genannten Veränderungen erfolgte. (Ewers, 2000, S. 15)

Die Kindheitsauffassung, basierend auf den Idealen dieser kulturgeschichtlichen Bewegung, war emanzipatorisch ausgelegt, d.h., dass das Kind als mündiges und zur Erwachsenenwelt gleichberechtigtes Wesen wahrgenommen wurde.

Dieses veränderte Kindheitsmuster hatte zur Folge, dass dem Kind a priori die gesellschaftliche Realität mit all ihren komplexen Problemen und Konfliktpotenzialen zugemutet werden musste und konnte.

Denn im Gegensatz zu der oben skizzierten Literatur des Schonraums, in der das Kind eben von der Wahrnehmung der Wirklichkeit aufgrund einer anderen Auffassung des Kindheitsbegriffs ausgeschlossen und demnach unmündig war, bedingte das Primat des neuen Autoritäts- und Emanzipationsbegriffs Mündigkeit und Gerechtigkeit, eine neue Kindheitsauffassung, die sich in der KJL nach 1968 manifestieren konnte.

Peter Härtling formulierte diesen Umstand beinahe schon programmatisch in einer Rede anlässlich der Verleihung des Deutschen Jugendbuchpreises im Jahre 1969:

„Herrscht noch immer die Meinung vor, dem Kind müßte eine Welt vorgegaukelt werden, die heil und von guten Geistern bewacht ist […]. Die Kinder von heute sind vielen Wirklichkeiten ausgesetzt […]

Die Literatur der Kinder ist auch die Wirklichkeit der Kinder“.[21]

Die Auswirkungen auf die KJL stellten durchgreifende und nachhaltige Veränderungen sowie Neuausrichtungen in der Themenauswahl, der Formenart und der Funktion dar, sodass man in der Forschung auch von der sogenannten Zweiten Moderne der KJL spricht.

Der neuartige Realitätshabitus zeichnete sich auch auf der Ebene der Erzählverfahren in der KJL ab, indem sich die KJL sozusagen von den auktorialen Erzählinstanzen befreien konnten.

Denn an die Stelle des für die KJL bis 1968 allwissenden und auktorialen Autors, für den vor allem die für diese Epoche stilbildenden Kinderbücher von Erich Kästner[22] als repräsentativ anzusehen sind, traten nun komplexere Darstellungstechniken, welche aus einer subjektivierten, also aus der kind- und jugendlichen Sicht der Protagonisten heraus, implizite oder versteckte Wertungspositionen der Erwachsenen verdrängten[23].

Ausgehend von den oben dargestellten kulturgeschichtlichen Veränderungen sowie dem an dem Primat der Emanzipation orientierten Kindheitsbild kam es in der KJL zu einer beträchtlichen Ausweitung der Themenbereiche, aus denen sich neue literarische Kategorien und Subgenres entwickelten, die bis heute die KJL dominieren.

Zu nennen ist hier erstens der moderne sozialkritische Problemroman und zweitens der psychologische Kinder- und Jugendroman.[24]

Der moderne sozialkritische Problemroman wird von einigen Forschern auch schlichtweg als Problemroman bezeichnet.

4.4 Der moderne sozialkritische Problemroman

Der moderne sozialkritische oder auch der moderne realistische Kinder- und Jugendroman, von Ewers in den 1990er-Jahren als Moderner Kinder- und Jugendroman im Forschungsfeld der KJL konstituiert, bezieht sich auf die empirisch wahrnehmbare Umwelt der Kinder und Jugendlichen.[25]

Ausgehend von den ideologiekritischen Ansichten der intellektuellen Studentenbewegung, öffnete sich seit den 1970er-Jahren die KJL für fast alle aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten und Problemfelder, wie z.B. bedrückende Wirklichkeitserfahrungen wie Krieg, Tod, Gewalt, soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten aller Art, Intoleranz, Vorurteile, Umweltproblematik, Dritte Welt, Holocaust, Liebe etc.

Diese polyvalenten Themenfelder des sozialkritischen Problemromans besaßen neben dieser Orientierung an außerliterarischen Verhältnissen aufklärerische Funktionen, mithilfe derer die kind- und jugendlichen Leser in die Lage versetzt werden sollten, die gesellschaftspolitische Realität wahrzunehmen, indem sie Problembereiche erkennen sollten, um diese kritisch reflektieren zu können. Dadurch sollten sie schließlich auch zur aktiven Teilhabe in einer als zunehmend intransparent wahrgenommen Welt mobilisiert werden.

Ebenso die Figurenkonstellation, also insbesondere das Verhältnis von Kindern und Erwachsenen, folgte dem emanzipatorischen Primat, im Rahmen dessen sich Erwachsene und Kinder als weitestgehend gleichberechtigte Partner begegneten.

4.5 Der psychologische Kinder- und Jugendroman

Der psychologische Kinder- und Jugendroman ist eine spezifische Textgruppe des modernen Kinder- und Jugendromans und entwickelte sich aus dem sozialkritischen Problemroman. Der beim sozialkritischen Problemroman auf die außerliterarische Realität gerichtete Blick richtete sich in die Psyche der kind- und jugendlichen Protagonisten.

Dieses erforderte allerdings weitere komplexere narrative Darstellungstechniken, wie stark subjektiviertes, mehrperspektivisches und personales Erzählen, Verwendung erlebter Rede, innerer Monolog, Bewusstseinsströme.

Als Wegbereiter für den psychologischen Roman gilt Peter Härtlings Werk „Ben liebt Anna“ aus dem Jahre 1979.

Härtling setzte mit der Psychologisierung, also mit der Entdeckung und Erkundung der kindlichen Psyche, auch neue qualitative Standards, indem literarästhetische Innovationen und bisher kaum nachweisbare Gestaltungsmittel, die z.B. aus dem modernen psychologischen Roman adaptiert wurden, in die KJL Einzug fanden.[26]

Neben oben genannten narrativen Elementen wurden das zeitdehnende Erzählen, innerer Monolog und erlebte Rede, Zuspitzung beider Erzählweisen hin auf (Vor-)Formen des Bewusstseinsstroms, chronologische Brüche, Wechsel der Tempusformen und intrapersonale Dialoge in die KJL integriert.[27]

Mit dem psychologischen Kinder- und Jugendroman wurde der allwissende auktoriale Erzähler endgültig überwunden, indem ein radikales subjektiviertes Erzählen, streng aus der Perspektive der kind- und jugendlichen Protagonisten, zu beobachten ist.

Damit einhergehend stellt der psychologische Kinder- und Jugendroman höhere Anforderungen an die kind- und jugendlichen Leser, wenn diese direkt den Wissens- und Erfahrungshorizont sowie die Unsicherheiten, Zweifel und Irritationen der Protagonisten miterleben und teilen müssen.[28]

Die Psychologisierung und Individualisierung der Protagonisten, die sich mit – ähnlich wie beim sozialkritisch-problemorientierten Roman – psychologischen Folgen unerfreulicher und unangenehmer Umstände auseinandersetzen müssen, kann je nach Verständnishorizont aufgrund des in die Innenperspektive verlagerten Erzählerstandorts dosiert werden, sodass eine psychologische Überforderung vermieden werden kann.[29]

Der psychologische Kinder- und Jugendroman zeichnet sich ebenfalls dadurch aus, dass oftmals kein „Happy-End“ zustande kommt.

Den jungen Lesern wird es nun überlassen, Erklärungen und Einschätzungen zu den verschiedenen Protagonisten zu finden sowie Lösungsvorschläge zu konzipieren.

Zentraler Schauplatz des psychologischen Kinder- und Jugendromans ist die Familie als Ort problematischer und krisenhafter Erfahrungen.

Es kommt im Zuge der 1980er zu einer weiteren Öffnung des Themenarsenals, wobei „letzte“ Tabus gebrochen und sogar die Themen Gewalt und sexueller Missbrauch im Familienkreis in der KJL behandelt werden.[30]

Genau wie zu Beginn der 1970er, als die kulturgeschichtlichen Veränderungen ihren Niederschlag in der KJL zeigten, findet seit den 1980er-Jahren aufgrund sich stark zu beobachtenden Strukturveränderungen innerhalb der für die Kinder zentralen Lebenswelt Familie eine beinahe parallel verlaufende Modernisierung jugendlicher Texte statt.

Es sind vor allem die negativen Auswirkungen, die sich unmittelbar aus der Auflösung des klassischen Familienbildes ergeben.

So zählen vor allem die Themenfelder der Instabilität familiärer Gebilde (Scheidung, Trennung, Wiederverheiratung, Patchworkfamilien), homoerotische Lebensgemeinschaften, das gewandelte Verhältnis zwischen den Generationen, veränderte geschlechtsspezifische Rollenbilder und veränderte Erziehungsprinzipien (von der Befehls- zur Verhandlungserziehung) zu den wichtigsten Kategorien, die innerhalb dieses Genres in der KJL behandelt werden.[31]

Daubert verweist allerdings energisch darauf, dass die Autoren im Umgang und der Behandlung dieser Themen eine Selbstverständlichkeit propagieren, die der empirischen Realität schlichtweg nicht entspricht. Sie führt das auf liberale und progressive Utopien der Autoren zurück und kritisiert die Quantität, mit der alternative Familienbilder und Lebensstile in der KJL seit den 1980er-Jahren ihren Niederschlag finden.[32]

Einhergehend mit der oben geschilderten Öffnung und Erweiterung der Themen und Funktionsfelder in der KJL ab den 1970er-Jahren ist insgesamt eine gesteigerte Literarizität und damit eine qualitative Steigerung zu erkennen, da zunehmend auf literarische Darstellungsweisen zurückgegriffen wird, die der moderne Roman seit dem 19. Jh. entwickelt hat.[33]

5. Autorenporträt

Nikolaus Piper wurde am 17.07.1952 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur 1971 absolvierte er ein zweijähriges Volontariat bei der Badischen Zeitung in Freiburg.

Anschließend studierte er bis 1978 Wirtschaftswissenschaften und schloss als Diplom-Volkswirt ab. Nach den ersten journalistischen Gehversuchen bei einigen kleineren Zeitungen im Ressortbereich „Wirtschaft“, gelang ihm 1987 der Einstieg als Wirtschaftsredakteur bei der in Hamburg erscheinenden Zeitung „Die Zeit“.

Im Jahre 1997 wechselte er zur Süddeutschen Zeitung (SZ), bei der er ab 1999 die Funktion des Ressortleiters Wirtschaft besetzte.

Seit 2007 ist er als Auslandskorrespondent der SZ in New York tätig.

Neben der Veröffentlichung von Sachbüchern im Bereich „Wirtschaft“, wie unter anderem „Die großen Ökonomen: Leben und Werk der wirtschaftswissenschaftlichen Vordenker“ [1997], „Die neuen Ökonomen: Stars, Vordenker und Macher der deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaft“ [2002], „Willkommen in der Wirklichkeit“ [2004], „Die große Rezession“ [2009], verfasste er zwei Bücher für Kinder und Jugendliche: „Felix und das liebe Geld“ [1999], „Geschichte der Wirtschaft“ [2002].

Diese beiden Werke wurden mittlerweile nicht nur in mehrere Sprachen übersetzt, sondern konnten auch bedeutende Preise erringen, wie z.B. den Deutschen Jugendliteraturpreis 2003 in der Kategorie „Bestes Sachbuch“ [Geschichte der Wirtschaft] oder den Quandt-Medien-Preis für „Felix und das liebe Geld“.[34]

Nikolaus Piper ist verheiratet und hat einen Sohn.[35]

5.1 Inhalt:

„Felix und das liebe Geld“ handelt von den drei 12-jährigen Freunden Felix, Peter und Gianna, die zusammen eine Firma, die Heinzelmännchen und Co., gründen, um reich zu werden.

Dabei steht ihnen der Musikalienhändler Adam Schmitz als eine Art Mentor zur Seite, der den Kindern auf anschauliche und verständliche Art elementare betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse und Grundfähigkeiten erläutert.

Als sie dann noch einen Schatz, 72 Gold-Vrenelis im Wert von ca. 11.000 DM, die in einem alten Klarinettenkasten versteckt sind, finden, beginnt für die Firma Heinzelmännchen und Co. ein rasanter ökonomischer Aufstieg: Denn mit ein wenig Glück und Geschick – sie investieren ihr Kapital in Aktien der Firma Telekid – können sie innerhalb kürzester Zeit ihren „Schatz“ verdoppeln

Dieser Gewinn spornt die Kinder zusätzlich an: Sie wollen nun auf eigene Faust und ohne die Unterstützung von Schmitz und den anderen Erwachsenen ihr Kapital weiter vermehren.

Dabei geraten sie an den Finanzbetrüger Willy Rappke. Trotz Bedenken hinsichtlich der Integrität Rappkes und trotz erster Verluste, die er mit ihrem Geld macht, stellen sie ihm nach und nach ihr gesamtes Geld zur Verfügung. Als schließlich kaum noch Geld übrig ist und die Kinder bemerken, dass Rappke ein Betrüger ist, machen sie sich auf eigene Faust auf in die Großstadt nach Frankfurt, um von Rappke wenigstens das restliche Geld zurückzubekommen.

Zusammen mit weiteren Verbündeten gelingt es den Kindern schließlich, Rappke und zwei weitere Anlagebetrüger, darunter den am meisten gesuchten Anlagebetrüger Deutschlands, zu stellen.

Zurück in Schönstadt treffen sie auf Michael Friedmann, den ursprünglichen Besitzer des Goldschatzes, den sie ausfindig gemacht haben. Dieser musste während des der des Nationalsozialismus Schönstadt verlassen und emigrierte in die USA, wo er zu einigem Reichtum kommen konnte. Er ist es auch, der Felix' Vater, der vor Kurzes seinen Arbeitsplatz als Ressortleiter Wirtschaft des Schönstädter General-Anzeigers verloren hat, anbietet, ein eigenes Anzeigenblatt zu gründen, mit diesem als Chefredakteur. Das Happy-End ist perfekt, als die Kinder die Nachricht erhalten, dass sie als Belohnung der Überführung der Anlagebetrüger 20.000 DM erhalten.

6. Narratologische Textanalyse

Im Folgenden soll und kann keine vollständige narratologische Textanalyse durchgeführt werden. Vielmehr möchte ich mich auf einige zentrale Bereiche der narratologischen Textanalyse, die für den Fortgang und den zweiten Teil der Arbeit konstitutiv sind, beschränken.

6.1 Figurenanalyse

Felix Blum

Felix Blum, die Hauptfigur und tragende Gestalt des Romans, ist ein 12 Jahre alter Junge, der die 6. Klasse des Kant-Gymnasiums in der fiktiven Kleinstadt „Schönstadt“ besucht.

Er ist ein sehr guter Schüler und wird von seinen Klassenkameraden nicht zuletzt deshalb – sowie auch weil er ein Brille trägt – „Professor“ genannt.

Er überragt seine Klassenkameraden nicht nur in den Schulleistungen, sondern auch in der Größe: Er ist nämlich der größte Schüler der Klasse.

Zudem spielt er noch im Schulorchester Klarinette; ähnlich wie seine Schulleistungen kann die musikalische Qualität als überdurchschnittlich charakterisiert werden, da er im Rahmen des Weihnachtskonzerts eine sehr anspruchsvolle und lange Solopassage spielt, die die Orchesterleiterin eigens für ihn geschrieben hat.

[...]


[1] Um den Lesefluss nicht zu unterbrechen, werden im Folgenden die meisten Begriffe in männlicher Form verwendet.

[2] Weinkauff, Gina: Stellenwert der Kinder- und Jugendliteratur im Lehramtsstudium. Umfrage des Heidelberger Zentrums für Kinder- und Jugendliteratur zum Stellenwert des Gegenstandes „Kinder- und Jugendliteratur“ im Lehramtsstudium, Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur, Heidelberg 2008, online unter: http://www.ph-heidelberg.de/fileadmin/user_upload/deutsch/Zentrum_KJL/Umfrage_KJL_LAS/Umfage_KJL_im_Lehramtsstudium.pdf.

[3] Grenz, Dagmar: Kinder- und Jugendliteratur. Theorie, Geschichte, Didaktik. Schneider Verlag Hohengehren 2010, S. 3.

[4] Glasenapp, Gabriele/ Weinkauff, Gina: Kinder- und Jugendliteratur. Paderborn u.a.: Schöningh (UTB

Standardwissen Lehramt) 2010, S. 13 (im Folgenden zitiert als: Glasenapp, Gabriele/ Weinkauff, Gina: KJL 2010).

[5] Gansel, Carsten: Moderne Kinder- und Jugendliteratur. Vorschläge für einen kompetenzorientierten Unterricht, Berlin 2010, S. 13 [im Folgenden zitiert als: Gansel: Carsten: Moderne Kinder- und Jugendliteratur].

[6] Ewers, Hans-Heino: Literatur für Kinder und Jugendliche. Eine Einführung in grundlegende Aspekte des Handlungs- und Symbolsystems Kinder- und Jugendliteratur. Paderborn 2000, S. 16 [im Folgenden zitiert als Ewers 2000].

[7] Im Folgenden nehme ich Bezug auf Tabelle 1 des von Hans-Heino Ewers im Jahr 2011 erstellten Verlaufsmusters kinder- und jugendliterarischer Kommunikation.

Ewers bietet in dieser Einführung in die Begriffsdefinition der KJL eine übersichtlichere und leicht veränderte Darstellung von den im Jahr 2000 und in der KJL-Forschung zitierten Begriffsbestimmungen in dem unter Fußnote 5 veröffentlichten Studienbuch zur KJL

[so ändert er den Begriff intentionale KJL in intendierte KJL, um eine Begriffsverwirrung zwischen Intention des Autors und Intention der anderen Instanzen des Handlungssystems der KJL, also z.B. der Autoren von Lehrwerken für die Schule, auszuschließen;

den Begriff Kinder- und Jugendlektüre ändert er in faktische Kinder- und Jugendlektüre].

In: Lange, Günter (Hrsg.): Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. Ein Handbuch. Schneider Verlag Hohengehren, 2011, S. 7 [im Folgenden zitiert als Lange, Günter: KJL der Gegenwart, 2011].

[8] Seibert, Ernst: Themen, Stoffe und Motive in der Literatur für Kinder und Jugendliche, Wien 2008, S. 22.

[9] Ebd., S. 19.

[10] Gansel beschreibt die Annäherung der KJL an die Allgemeinliteratur mit dem Begriff „new age“. Er sieht in Jostein Gaarders „Sofies Welt“ den Wegbereiter für das „new age“-Genre und führt weitere Beispiele an, wie z.B. die Trilogie Cornelia Funke [Tintenherz, Tintenblut und Tintentod“] sowie Eoin Colfers „Artemis Fowl“ oder Christopher Paolinis „Eragon“ Serie. In: Gansel, Carsten: Moderne Kinder und Jugendliteratur, S. 8f.

[11] Bettina Hurrelmann 1988, zitiert in: Jesch, Tatjana: Kinder- und Jugendliteratur. In: Lange, Günter/ Weinhold, Swantje: Grundlagen der Deutschdidaktik, Stuttgart 2000, S. 228.

[12] Glasenapp, Gabriele/ Weinkauff, Gina: KJL 2010, S. 75.

[13] Payhuber, Franz-Josef: Moderne realistische Jugendliteratur. In: Lange, Günter: KJL der Gegenwart, 2011.

[14] Karst, Theodor: Realismus in der Kinder- und Jugendliteratur. In: Doderer Bd. 3, 1979, S. 135f.

[15] Scheiner, Peter: Realistische Kinder- und Jugendliteratur. In: Lange, Günter (Hrsg.): Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 1, Baltmannsweiler: Schneider 2000, S. 158–186.

[16] Zwischen 1933 und 1945 musste diese neuartige Realismuskonzeption „pausieren“, da die KJL während jener Zeit ähnlich wie andere literarische Schriften dem nationalsozialistischen Denken gleichgeschaltet wurden.

[17] Die restaurative Phase der KJL zeichnete sich dadurch aus, dass die alliierten Siegermächte ideologisch belastende Kinder- und Jugendbücher verbannen mussten. Aus Mangel an Neuerscheinungen und vor allem Alternativen griff man vermehrt auf Bücher aus der Vorkriegszeit und der Weimarer Republik zurück.

[18] Weinmann, Andrea: Geschichte der Kinderliteratur der Bundesrepublik nach 1945, in: Lange, Günter: KJL der Gegenwart, 2011, S. 17f. [im Folgenden zitiert als: Weimann, Andrea: Geschichte der KJL nach 1945].

[19] Anna Krüger gilt als eine der Hauptvertreterin des Begriffs des „guten Jugendbuchs“; diesen Begriff konstituierte Ewers 1996.

[20] Weimann, Andrea: Geschichte der KJL nach 1945, S. 29f.

[21] Härtling, Peter: Die Wirklichkeit der Kinder. Rede anlässlich der Verleihung des Deutschen Jugendbuchpreises in Bayreuth 1969, in: Härtling, Peter: Zwischen Untergang und Aufbruch: Aufsätze, Reden, Gespräche. Berlin, 1990.

[22] Ewers, Hans-Heino/ Dolle-Weinkauff. Bernd (Hg.): Erich Kästners weltweite Wirkung als Kinderschriftsteller..

Frankfurt am Main: Peter Lang, 2002, S. 16.

[23] Beispielhaft sei hier der Romananfang von Kästners „Emil und die Detektive“ zitiert: „Ja euch kann ich's ja ruhig sagen: Die Sache mit Emil kam mir selber unerwartet. Eigentlich hatte ich ein ganz anderes Buch schreiben wollen. Ein Buch, in dem, vor lauter Angst, die Tiger mit den Zähnen und die Dattelpalmen mit den Kokosnüssen klappern sollten. Und das kleine schwarzweiß karierte Kannibalenmädchen, das quer durch den Stillen Ozean schwamm, um sich bei Drinkwater & Co. in Frisco eine Zahnbürste zu holen, sollte Petersilie heißen.“

[24] Verwiesen sei in diesem Fall auf die wissenschaftliche Konstruktion von Gattungen in Literaturwissenschaft, die bestenfalls Beschreibungsmodelle sind, welche auf einer abstrahierenden Ebene eine Zuordnung erleichtern soll.

[25] Daubert, Hannelore: Moderne Kinderromane, in: Lange, Günter: KJL der Gegenwart 2011, S. 87 [im Folgenden zitiert als Daubert, Hannelore: Moderne Kinderromane].

[26] Steffens, Wilhelm: Der psychologische Kinderroman. In: Baumgärtner, Alfred (Hrsg.): Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. Meitingen, 1995, S. 21f.

[27] Ebd., S. 2.

[28] Vgl. Ewers, Hans-Heino: Was ist der moderne Kinderroman? In: Daubert, Hannelore/Ewers, Hans-Heino (Hrsg.): Lesen in der Schule mit dtv junior. Moderne Kinderromane. Unterrichtsvorschläge für die Altersstufen 9 bis 12 Jahre. München, 1996, S. 11–15.

[29] Daubert, Hannelore: Moderne Kinderromane, S. 92f.

[30] Ebd., S. 95.

[31] Ebd., S. 96.

[32] Ebd., S.96.

[33] Gansel, Carsten: Moderne Kinder- und Jugendliteratur, S. 50.

[34] Vgl. hierzu die leider wenig aktuellen Information auf der offiziellen Homepage von Nikolaus Piper [www.nikolaus-piper.de, Stand 08.01.2012].

[35] Vgl. die Aussagen Pipers im Interview mit Hans ten Doornkaat über seine Idee, ein Buch für Kinder zu schreiben, das sich mit dem Thema „Geld“ beschäftigt:

Die Genese von Felix ist aber ohnehin eine andere. Am Anfang standen Gespräche mit unserem damals fünfjährigen Sohn. Irgendwann habe ich zu meiner Frau gesagt, darüber müsste man mal etwas machen, in der Zeitung. Es gibt doch auch andere Kinder, die fragen "woher das Geld kommt". Die Eltern könnten doch ein Interesse haben an Beiträgen darüber. Ich habe damals über ein Sachbuch nachgedacht; über einen Dialog mit Kinderfragen. Aber befriedigt hat mich das nicht. Und meine Frau hat gemeint: "Du musst eine Geschichte erzählen, richtig erzählen.",

online unter: http://www.1001buch.at/bibliothek/autoren/piper.html , [08.01.2012], [im Folgenden zitiert als: Interview mit Nikolaus Piper].

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Nikolaus Pipers „Felix und das liebe Geld“ im Deutschunterricht
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (germanistisches Institut)
Note
gut
Autor
Jahr
2012
Seiten
75
Katalognummer
V211868
ISBN (eBook)
9783656397069
Dateigröße
722 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
nikolaus, pipers, felix, geld, deutschunterricht
Arbeit zitieren
Ingo-André Mess (Autor:in), 2012, Nikolaus Pipers „Felix und das liebe Geld“ im Deutschunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/211868

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