Die gesetzliche Erbfolge in rechtshistorischer und rechtsvergleichender Sicht


Seminararbeit, 1998

28 Seiten, Note: 14 Punkte (gut)


Leseprobe


GLIEDERUNG

1.Rechtshistorischer Teil
1.1. Die gesetzliche Erbfolge nach dem heute geltenden Recht
1.2. Das „Erbrecht“ der Frühzeit
1.3. Das römische Erbrecht
1.3.1. Das Agnationsprinzip der Zwölf Tafeln
1.3.1.1. Die einzelnen Klassen der gesetzlichen Erbfolge
1.3.2. Das gesetzliche Erbrecht der klassischen Zeit
1.3.2.1. Die einzelnen Klassen der gesetzlichen Erbfolge
1.3.3. Das nachklassische gesetzliche Erbrecht
1.3.3.1. Die Erbfolge
1.4. Das germanische Recht
1.4.1. Die Herausbildung der Erbfolge
1.5. Vermengung germanischer und römischer Gedanken durch die Rezeption des
römischen Rechts
1.6. Die Schaffung des BGB
1.7. Änderungen der Erbfolge
1.8. Die gesetzliche Erbfolge der DDR

2.Rechtsvergleichender Teil
2.1. Das hebräische Recht
2.2. Die gesetzliche Erbfolge Frankreichs
2.3. Die dänische Erbfolge
2.4. Das gesetzliche Erbrecht in Italien

„DIE GESETZLICHE ERBFOLGE IN RECHTSHISTORISCHER UND

RECHTSVERGLEICHENDER SICHT“

Die gesetzliche Erbfolge ist ein Teil des Erbrechts. Erbrecht im allgemeinen Sinne kann als Ausdruck der Bereitschaft, das Vermögen eines Verstorbenen einem neuen Rechtsträger zuzuweisen, definiert werden[1]. Dabei gibt es ver­schiedene Arten dieser Vermögenszuweisung. Von Interesse soll hier dieje­nige an die gesetzlichen Erben sein.

1. RECHTSHISTORISCHER TEIL

Voraussetzung für diese Arbeit ist die Kenntnis der gesetzlichen Erbfolge nach dem heutigen BGB. Daher wird diese im folgenden grob aufgezeigt, um an­schließend deren historische Entwicklung verdeutlichen zu können.

1.1. DIE GESETZLICHE ERBFOLGE NACH DEM HEUTE GELTENDEN RECHT

Die Erbfolge wird im fünften Buch des BGB, im ersten Abschnitt, §§ 1922 bis 1941[2], behandelt. Sie beruht auf der Verwandtschaft, der Ehe und der Zuge­hörigkeit zum Staat. Dabei stehen diese Gruppen nicht gleichberechtigt neben­einander.

An erster Stelle sind die Verwandten berufen (§ 1589 i.V.m. §§ 1924 ff.) und neben ihnen der überlebende Ehegatte (§§ 1931 ff.). Die Verwandten sind dabei in Ord­nungen eingeteilt, deren Rangfolge so gestaltet ist, daß ein Ver­wandter dann nicht zur Erbfolge berufen ist, solange ein Verwandter der vor­hergehen Ordnung vorhanden ist, § 1930. Innerhalb der ersten drei Ordnungen gilt die Erbfolge nach Stämmen unter der Beachtung des Repräsentations- und Eintrittsprinzips.

Unter einem Stamm versteht das Gesetz die Abkömmlinge, die von ein und dem­selben Kind des Erblassers abstammen, § 1924 III.

Als Repräsentationsprinzip erachtet man die Vertretung eines gesamten Stammes durch den mit dem Erblasser am nächsten verwandten Abkömmling[3], § 1924 II.

Gemäß § 1924 III tritt innerhalb eines Stammes an die Stelle eines weggefallenen Abkömmlings die durch diesen mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge: Ein­trittsprinzip[4].

Gemäß § 1924 I bilden die Abkömmlinge des Erblassers die erste Ordnung.

Die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge bilden die zweite Ord­nung, § 1925 I. Leben beide Eltern noch, so schließen sie ihre Abkömmlinge aus und erben zu gleichen Teilen, § 1925 II. Lebt nur ein Elternteil, so treten an die Stelle des verstor­benen Elternteils dessen Abkömmlinge nach den für die Be­erbung der ersten Ord­nung geltenden Vorschriften, § 1925 III 1 i.V.m. § 1924. Sind Abkömmlinge nicht vorhanden, so erbt der Elternteil allein, § 1925 III 2.

Die dritte Ordnung wird von den Großeltern und deren Abkömmlingen ge­bildet, § 1926 I. Sofern die Großeltern noch leben, erben sie allein und zu gleichen Teilen, § 1926 II. Ist ein Großelternteil eines Großelternpaares ver­storben, so treten an die Stelle des Verstorbenen dessen Abkömmlinge, § 1926 III 1; sind Abkömmlinge nicht vor­handen, so fällt der Anteil des Ver­storbenen dem über­lebenden Großelternteil dieses Großelternpaares an, und sofern dieser schon verstorben, dessen Abkömmlingen, § 1926 III 2. Lebt ein Großelternpaar und dessen Abkömmlinge nicht mehr, so erbt das andere Großelternpaar oder deren Abkömmlinge allein, § 1926 IV.

Gesetzliche Erben der vierten Ordnung sind die Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, § 1928 I. Sollten zur Zeit des Erbfalls die Urgroß­eltern noch leben, so erben sie allein, § 1928 II 1.Halbsatz; mehrere erben zu gleichen Teilen ohne Berück­sichtigung der Linie, § 1928 II 2.Halbsatz. Sind die Urgroßeltern nicht mehr am Leben, so erbt von ihren Abkömm­lingen derjenige, der mit dem Erblasser dem Grade nach am nächsten ver­wandt ist, § 1928 III 1.Halbsatz. Repräsentation- und Eintrittsprinzip gelten in dieser Ordnung nicht[5].

Die weiteren Ordnungen werden durch die entfernteren Verwandten ge­bildet, § 1929 I, II. Dabei fällt auf, daß es keine gesetzliche Beschränkung der Anzahl der Ord­nungen gibt.

Neben den Verwandten erbt, wie schon oben erwähnt, auch der Ehegatte, §§ 1931 ff. Dabei wird sein Anteil immer größer je entfernter die Ver­wandten vom Erblasser sind, vgl. § 1931 I, II. Voraussetzung für ein Erbrecht des Ehegatten ist eine gültige Ehe zum Zeitpunkt des Erbfalls, § 1933.

§§1934 a ff. regeln die Erbrechte eines nichtehelichen Kindes. Diesem steht beim Tode des Vaters bzw. beim Tode von väterlichen Verwandten neben den ehelichen Abkömmlingen des Erblassers an Stelle des gesetzlichen Erb­teils ein Erbersatzan­spruch in Höhe des gesetzlichen Erbteiles zu, § 1934 a I. § 1934 d gibt Möglichkeit des vorzeitigen Erbausgleichs in Geld.

Erst wenn weder Verwandte, noch ein Ehegatte vorhanden ist, erbt der Staat, § 1936. Dieser erhält dabei den Status des gesetzlichen Zwangserben, d.h. er kann das Erbe weder ausschlagen noch darauf verzichten. Im Regelfall wird der Fiskus des Bundes­landes der letzten Niederlassung Erbe. Dadurch wird sichergestellt, daß es keinen herrenlosen Nachlaß geben kann[6]

Die gesetzlichen Erben sind nicht kraft mutmaßlicher Zuneigung des Erb­lassers, sondern kraft ihrer eigenen Rechtsstellung zur Erbfolge berufen[7]. Dabei ist es gleich­gültig in welchem Verhältnis sie zum Erblasser standen, d.h. ob ihr persönliches Ver­hältnis zum Verstorbenen durch enge Be­ziehungen, Gleich­gültigkeit oder Feindschaft geprägt war, solange sie nicht erbunwürdig (§§ 2339 ff.) sind.

Wie oben erwähnt, wird nur beim überlebenden Ehegatten mit der Erhebung der Auf­hebungsklage bzw. mit dem Antrag auf Scheidung dessen Erbrecht ausgeschlossen (§ 1933)[8].

Dies soll als grober Überblick über die gesetzliche Erbfolge nach heutigem Recht ge­nügen. Auf das oben aufgeführte wird im weiteren mehrmals zu­rück­gegriffen werden.

Um die Geschichte der gesetzlichen Erbfolge darstellen zu können, muß man sich vorweg verdeutlichen, welche historischen Quellen das allgemeine Erb­recht in Deutschland hat und seit wann es eine Erbfolge gibt.

Das Erbrecht des BGB bildet eine Mischung aus deutschen und römischen Ge­danken[9]. Dabei ist im wesentlichen das gemeine römische Recht kodi­fiziert worden, wie es sich bis zum Ende des 19.Jahrhunderts entwickelt hatte[10]. Dieses gemeine römische Recht hatte seine Wurzeln im antiken römischen Recht und im deutschen Recht des Mittelalters[11]. Daher sollen hier sowohl die römische Rechtsentwicklung als auch, im Anschluß daran, die germanische aufge­zeigt werden und letztendlich die Umsetzung der Ge­danken beider Ent­wick­lungen im BGB.

Doch bevor mit der Entwicklung der gesetzlichen Erbfolge im römischen Recht be­gonnen wird, soll hier die Frage gestellt werden, wie sich das Erb­recht in ältester Zeit darstellte.

1.2. DAS „ERBRECHT“ DER FRÜHZEIT

In der Frühzeit lebte der einzelne Mensch als Glied einer Gemeinschaft in einer Sippe, auch Großfamilie oder Gens genannt[12]. Der Mensch wurde in diese Ge­meinschaft hineingeboren und schied mit dem Tod aus ihr aus[13]. Daher kam als Rechtsträger, dem das Vermögen des Verstorbenen zuge­wiesen wurde[14] in den frühen Ent­wicklungsstufen des Rechts nicht nur ein naher Angehöriger, sondern auch die Sippe, der Gentilverband, in Betracht, dem der Verstorbene angehörte[15].

Die Gesellschaftsform der Frühzeit war eine bäuerliche und trug genossen­schaftliche Züge. Das Wirtschaftsgut bestand im Bauerngut, d.h. dem Grund und Boden, sowie dem lebenden (z.B. Vieh) und totem (z.B. Ackergeräte) Inven­tar[16]. Dieses war an die Sippe gebunden und stand den jeweiligen Sippenan­gehörigen zur Nutzung zu[17]. Da dieses Vermögen im Gesamteigen­tum der Sippe stand, war für ein Erbrecht kein Raum. Denn durch den Tod eines Menschen kam es nicht zur Auflösung der Sippe, sondern nur zu einem Wechsel der nutzungsberechtigten Mitglieder dieser.

Der einzelne hatte zwar mitunter eine höchstpersönliche Habe wie Waffen, Kleider und Schmuck, diese folgten ihm aber nach seinem Tod als Grabbei­gabe[18], da er sie für ein Leben im Jenseits benötigen würde. Insofern war diese höchstpersönliche Habe ebenfalls einem Erbrecht entzogen.

Das Erbrecht gewann demnach erst Bedeutung, als sich eine Eigentums­ord­nung ent­wickelte, die ein Sondereigentum einer Person kannte, sich das System der Hausge­meinschaft lockerte und infolgedessen sich die Groß­familie in Kleinfamilien auflöste[19].

1.3. DAS RÖMISCHE ERBRECHT

Auf das antike römische Recht sind die Grundsätze der Universalsukzession (successio per universitatem), der Testierfreiheit, aber auch des Verwandten­erbrechts zurückzu­führen. Ebenfalls die Unterscheidung von Erbeinsetzung und Einzelzuweisung, Recht der Auflage und des Vermächtnisses, Erban­spruch sowie Pflichtteilsrecht und Aus­gleichspflicht unter Miterben gründen sich auf dem römischem Recht[20]. Doch soll sich hier das Augenmerk auf die gesetzliche Erbfolge richten.

Das gesetzliche Erbrecht der römischen Gesellschaft spiegelt in seiner Ge­schichte die verschiedenen Etappen und Wandlungen der Gesellschaft wider. Dabei sind drei Ent­wicklungsstufen zu unterscheiden, auf deren letzter die noch heute geltende Rege­lung beruht:

Die erste Stufe soll als das „Agnationsprinzip der Zwölf Tafeln[21] “ bezeichnet werden und beginnt demnach im 5.Jahrhundert v.Chr.

Das „gesetzliche Erbrecht der klassischen Zeit“ entsteht um 100 v.Chr., ist aber erst um 200 n.Chr. fertig ausgebildet und die dritte Stufe, das „nachklassische gesetzliche Erbrecht“, bricht unter Konstantin (um 280 - 337 n.Chr.) an, um erst von Justinian (527 - 565 n.Chr.) beendet zu werden[22].

1.3.1. DAS AGNATIONSPRINZIP DER ZWÖLF TAFELN

Die römische Gesellschaft war in Patrizier (patricii) und Plebejer (plebs) auf­ge­teilt.

Als Patrizier wurden angesehene Personen bezeichnet, die oft Nachfahren der „patres familias“, der Familienoberhäupter, waren. Sie stellten nur ein Zehntel, möglicherweise sogar nur ein Vierzehntel der Gesamtbevölkerung Roms dar[23].

Die große Mehrheit bildeten die Plebejer, doch konnte eine Plebejer niemals ein ein­flußreiches Amt übernehmen. Dieses empörte die zu Wohlstand und An­sehen ge­langten Angehörigen dieses Standes, die es sich aufgrund ihrer Ver­mögensverhält­nisse hätten leisten können, ein Amt zu übernehmen[24]. Am Anfang des 5.Jahrhunderts v.Chr. waren die Plebejer unzufriedener denn je und es entstand eine plebejische Protestbewegung. Sie wurzelte in dem Un­wissen der Plebejer um ihre Rechte. Gesetze waren zum damaligen Zeit­punkt nicht schriftlich festgelegt, sondern wurden von einem Priester­kollegium (pontifices) ausgelegt[25]. Dieses Priesterkollegium bestand aus­schließlich aus Patriziern[26]. Daher er­scheint es nicht verwunderlich, daß sich der Wunsch nach Rechtsklarheit ent­wickelte und Forderungen laut wurden, Ge­setze schriftlich und für jeden zu­gänglich niederzulegen.

Die Plebejer brachten dieses Verlangen mit solcher Deutlichkeit und Leiden­schaft zum Ausdruck, daß die normale Ernennung der Konsuln 451 v.Chr. ver­schoben wurde und man ein aus zehn Patriziern bestehendes Kollegium, die „decemviri“, unter dem Vorsitz des Appius Claudius einsetzte, um eine schrift­liche Gesetzessammlung zu erstellen[27]. Das Ergebnis der „decemviri“ wurde von der „comit centuriata“ zum gültigen Gesetz erklärt und auf zwölf Tafeln nieder­geschrieben, die auf dem Forum für jedermann zu­gänglich auf­gestellt wurden[28]. Das Zwölf-Tafel-Gesetz (tabulae duodecim) und damit ein mit fast übertriebenem Respekt betrachtetes, als Quelle der römischen Ge­setz­ge­bung gefeiertes, Recht war geboren.

Doch die erste Veröffentlichung wurde sehr ungünstig aufgenommen, gerade von den Plebejern, auf dessen Drängen hin es entstand. Die „decemviri“ hatten es nämlich nicht für besonders wichtig erachtet, Be­stimmungen zugunsten der Plebejer in die Gesetzessammlung aufzu­nehmen[29]: denn das Erbrecht des „tabulae duodecim“ (449 v.Chr.) setzte die intakte Großfamilie mit monar­chischer Spitze, und sogar den intakten Sippenverband (gens) als Ver­mögensträger voraus, wie ihn eigentlich nur die Patrizier hatten[30].

Das Erbrecht des „tabulae duodecim“ setzte das Testament an die erste Stelle der Berufungsgründe. Es stellte das Mittel der Verwirklichung von Willensun­sterblichkeit und Persönlichkeitsnachfolge dar[31]. Daher wurde das Testament als Regel und das gesetzliche Erbrecht als Ausnahme behandelt. Die gesetz­liche Erbfolge erhielt die Be­zeichnung Intestaterbfolge (successio ab intestato)[32].

Erbe wurde man aufgrund eines Testaments oder aufgrund gesetzlicher Erb­folge, wo­bei es außer bei Soldaten ausgeschlossen war, daß jemand zum Teil aufgrund eines Testaments und zum Teil nach der gesetzlichen Erbord­nung beerbt wurde: „nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest“ (d.h. niemand kann teilweise mit Testament und teilweise ohne Testament ver­sterben)[33]. Wer einmal Erbe wurde, blieb es für immer: „semesl heres semper heres“[34].

Doch was sah das Zwölf-Tafel-Recht bezüglich der gesetzlichen Erbfolge vor?

Die Grundsage des Zwölf-Tafel-Gesetzes über die Intestaterbfolge lautet:

„Si intestato moritur, cui suus heres nec escit, adgnatus proximus familiam habeto. Si adgnatus nec escit, gentiles familiam habento.“, d.h.: wenn je­mand ohne Testament stirbt, der keinen „eigenen Erben“ hat, soll der nächste agna­tische Verwandte sein Vermögen haben. Wenn es keine agna­tischen Ver­wandten gibt, soll seine Sippe das Vermögen haben[35]. Daraus ergibt sich, daß die gesetzliche Erbfolge des „tabulae duodecim“ drei Klassen kannte: (1) die „eigenen Erben“ (sui heredes), (2) die agna­tischen Ver­wandten (adgnati proximi) und (3) die Sippenangehörigen (gentiles).

Doch erbrechtlich interessant war ohnehin nur der Tod eines Hausvaters oder eines sonstigen Gewaltfreien, denn ein Gewaltunterworfener hinterließ weder eigenes Ver­mögen noch konnte durch seinen Tod ein unmündiges Kind seinen Gewalthaber und Erziehungsberechtigten verlieren und somit die Frage einer Vormundschaft ent­stehen[36].

1.3.1.1. DIE EINZELNEN KLASSEN DER GESETZLICHEN ERBFOLGE

Die erste Klasse waren, wie oben bereits aufgeführt, die eigenen Erben. Den Status des eigenen Erben (suus heres) erlangte, wer durch den Tod des Erb­lassers die Eigen­berechtigung erhielt. Dieser Personengruppe sind jene Söhne und Töchter, Adoptiv­kinder bzw. -enkel, die bisher unter Hausgewalt (patria potestas) standen, zuzuordnen, d.h. emanzipierte Kinder gehörten nicht in diesen Kreis[37]. Weiter gehören die ge­waltunterworfene Ehefrau des Erblassers (uxor in manu) sowie die Kinder von emanzi­pierten oder ver­storbenen Söhnen und die gewaltunterworfenen Ehefrauen der ver­storbenen Söhne in diese Gruppe[38].

Die nicht in Gewalt eines anderen übergewechselte Tochter erbt mit; jedoch kommen ihre Kinder, sofern die Tochter vorverstorben ist, nicht zum Zuge, da diese nicht in der Gewalt des Großvaters mütterlicherseits standen; möglicher­weise sogar unehelich waren und damit keinen Gewalthaber hatten[39].

Die gewaltunterworfene Schwiegertochter erbte dagegen nicht, denn sie wurde durch den Tod des Erblassers nicht gewaltfrei; an die Stelle ihres Schwiegervaters trat ihr Ehemann. Nur wenn ihr Ehemann vorverstorben war, so erbte sie neben ihren Kindern, den Enkeln des Erblassers[40].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[Quelle: Liebs, Seite 131.]

Repräsentation[41] war möglich, ansonsten erbten die „sui heredes“ zu gleichen Teilen nach Stämmen, wobei die „uxor in manu“ einen eigenen Stamm bildete[42].

Die „sui heredes“ wurden unmittelbar mit dem Tod des Erblassers zu dessen Erben[43]. Daraus folgt, daß sie einen Akt des Erbschaftserwerbes nicht zu setzen brauchten[44].

Häufig teilten die Erben die Erbschaft nicht auf, sondern lebten gemeinsam in einem „consortium“[45] bzw. im „consortium ercto non cito“ (Schicksalsgemeinschaft)[46]. Ein „suus heres“ blieb als einzelner weiterhin ver­mögenslos, da aller Erwerb an die Ge­nossenschaft ging[47]. Hier fallen Parallelen zur Frühzeit[48] auf, in der das Vermögen an die Sippe gebunden war und jedem nur ein Nutzungs­recht zustand. Ursache für das Leben der Erben in einem „consortium“ war möglicherweise, daß das ererbte Ver­mögen nicht die Masse aufwies, als daß jeder Erbe mit seinem eigenen Teil sich eine wirtschaftlich bessere Stellung verschaffen konnte. Dieses war nur durch Beibe­haltung der Erbengemeinschaft machbar und unterstütze so weiterhin den Familienzu­sammenhalt. Letztendlich konnte jeder einzelne aber mit Wirkung für alle über die Sachen und Rechte der Genossenschaft verfügen und er konnte zu jeder Zeit die Tei­lung des Erbes verlangen. Dazu stand ihm das Institut der „actio familiae eriscundae“, d.h. der Klage der auf­zuteilenden Familienhabe, zu[49].

Die Verfügungsbefugnis über Sachen und Rechte der Genossenschaft war aber nicht ohne weiteres auch den weiblichen Mitgliedern des „consortium“ ge­stattet, auch wenn sie durch den Tod des Erblassers an sich gewaltfrei ge­worden waren. Die weib­lichen „sui“ und dazu die noch nicht geschlechts­reifen Knaben der Familie bekamen einen Vormund (tutor) ohne dessen Mitwirkung sie so gut wie kein Geschäft wirksam tätigen konnten[50]. Dabei war der grad­nächste Ver­wandte im Mannesstamm zur Vor­mundschaft (tutela) berufen[51].

Die zweite Klasse wird von den agnatischen Verwandten, den „adgnati proximi[52] “, des Erblassers gebildet, die erst zum Zuge kamen, wenn der Ver­storbene keine „sui“ hatte. Agnatisch verwandt waren Personen, die unter der gleichen Hausgewalt standen oder gestanden hätten, sofern der gemeinsame „pater familias“ noch leben würde; dabei richtet es sich nach der Zahl der Zeugungen, die diese Verwandtschaft vermittelten, ob jemand nächster agna­tischer Ver­wandter war[53].

Zunächst kamen daher die Geschwister des Erb­lassers in Betracht. Seine Schwestern wurde aber nur dann beachtet, wenn sie durch eine Ehe mit „manus“ nicht in einen anderen Hausverband gelangt waren, denn durch eine derartige Ehe wurde die bis­herige agnatische Ver­wandtschaft ver­nichtet[54].

Waren keine Geschwister vorhanden, dann kamen die Geschwister des Vaters und die Kinder seiner Brüder als nächste Agnaten in Betracht[55]. Mehrere Agna­ten gleichen Verwandtschaftsgrades erbten zu gleichen Teilen, bildeten aber kein „consortium“. Im Unterschied zu den Erben der ersten Klasse ist hier ein Akt des Erbschaftsantritts not­wendig, da das römische Recht den Anfall der Erbschaft nur für die „sui heredes“ kannte[56].

War der Verstorbene emanzipiert oder ein freigelassener Sklave, so erbte mangels eigener Erben (sui) derjenige, der ihn aus seiner Gewalt entlassen hatte, bzw. dessen gradnächsten Agnaten[57].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] Mayer-Maly, S.160; vergleiche auch Mertens, S.23.

[2] §§ ohne nähere Kennzeichnung sind solche des BGB.

[3] Firsching/Graf, Rn 1.16.

[4] In älteren Quellen werden Eintritts- und Repräsentationsprinzip oft gleichgestellt und kein Unterschied gesehen. Daher

umfaßt im folgenden das Repräsenationsrecht auch das Eintrittsrecht. Ältere Quellen vergleiche Hübner und Scheurer.

[5] vergleiche das auf Seite 1 erläuterte.

[6] Firsching/Graf, Rn 1.54.; siehe zum Verfahren die §§ 1964 ff.

[7] Lange/Kuchinke, S 9 III,2., S. 213.

[8] Lange/Kuchinke, S 9 III,2., S. 213.

[9] Ebenroth, § 1 V, Rn 53.

[10] Schlüter, § 3, I, Rn 19.

[11] Schlüter, § 3, I, Rn 19.

[12] Lange/Kuchinke, § 1 IV,1., S.5.

[13] Lange/Kuchinke, § 1 IV,1., S.5.

[14] vergleiche die Definition des Erbrechts oben Seite 1.

[15] Mayer-Maly, S.160.

[16] Lange/Kuchinke, § 1 IV, 1., S.5; Schlüter, § 3, I, Rn 19.

[17] Schlüter, § 3, I, Rn 19; Lange/Kuchinke, § 1 IV,1., S.5.

[18] Scheurer, § 122, S.437; Lange/Kuchinke, § 1 IV,1., S.5; Schlüter, § 3, I, Rn 19.

[19] Schlüter, § 3, I, Rn 19.

[20] Ebenroth, § 1 V, Rn 53; Schlüter, § 3, I, Rn 21; Lange/Kuchinke, § 1 IV, 2., S.5.

[21] auch „ius civile“ genannt.

[22] Liebs, S. 131.

[23] Grant, S. 65.

[24] Grant, S. 65.

[25] Wolff, S.54; Grant, S. 68.

[26] Grant, S. 68; Wolff, S.54.

[27] Wolff, S.55; Grant, S. 68.

[28] Grant, S. 68.

[29] Grant, S. 69.

[30] Liebs, S. 131.

[31] Ebenroth, § 1 V, Rn 53.

[32] Ebenroth, § 1 V, Rn 53; Scheurer, § 122, S.442; Mayer-Maly, S.160.

[33] Scheurer, § 122, S.442; Mayer-Maly, S.162; Ebenroth, § 1 V, Rn 53.

[34] Mayer-Maly, S.163.

[35] Scheurer, § 125, S.449; Mayer-Maly, S.161.

[36] Liebs, S. 131; Wolff, S. 52: Das „tabulae duodecim“ regelt Institute wie Vormundschaft, Erbrecht und Familienbe-

ziehungen umfangreich, jedoch werden solch wesentlichen Begriffe wie Familie, Hausgewalt und Heirat nicht

definiert.

[37] Mayer-Maly, S.161; Liebs, S. 131.

[38] Scheurer, § 125, S.450; Mayer-Maly, S.161; Liebs, S. 131.

[39] Liebs, S. 131.

[40] Liebs, S. 131.

[41] vergleiche Definition Seite 1.

[42] Mayer-Maly, S.161; Liebs, S. 131.

[43] Schlüter, § 3, I, Rn 21; Mayer-Maly, S.161; Liebs, S. 132.

[44] Vergleiche dazu Seite 3. Nach dem heutigen BGB werden die gesetzlichen Erben aufgrund ihrer eigenen Recht-

stellung zum Erben berufen, § 1922, vergleiche aber auch § 857. Ein Akt des Erbschaftsantritts, wird nicht

gefordert.

[45] Mayer-Maly, S.161.

[46] Liebs, S. 132.

[47] Liebs, S. 132.

[48] vergleiche Seite 3.

[49] Liebs, S. 132.

[50] Liebs, S. 132.

[51] Liebs, S. 132: Vormund der Witwe wurde daher der mündige Sohn, ansonsten der Bruder des Erblassers.

Grant, S. 70: Doch werden die archaischen Grundsätze der die Ehe betreffenden Gesetze durch liberale Vor-

stellungen gemildert. Während in der römischen Frühzeit der Ehemann über die Hausgewalt (manus), welche ein

Stück der Vollmacht des „pater familias“ darstellte, verfügte, wird im Zwölf-Tafel-Gesetz die Autorität des Ehemanns

gewissermaßen eingeschränkt : der Ehefrau wird nach Erreichen des 25.Lebensjahres das Verfügungsrecht über

ihren persönlichen Besitz gewährt; allerdings wird sie bei der Ausübung dieses Rechts offiziell von ihrem Vater oder

einem Vormund beaufsichtigt (dabei kommt auf Heiratsvertrag an).

[52] teilweise auch Bezeichnung als Außenerben (heredes extranei); Agnaten = männliche Nachkommen eines

gemeinsamen Stammvaters männlicher Linie.

[53] Mayer-Maly, S.161: Insofern erbten die über den Vater, Großvater, Bruder usw. Verwandten, im zweiten Grad

einschließlich der Frauen, deren Abkömmlinge aber ausgeschlossen bleiben.

[54] Mayer-Maly, S.162.

[55] Mayer-Maly, S.162.

[56] Schlüter, § 3, I, Rn 21; Liebs, S.132.

[57] Liebs, S. 133.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Die gesetzliche Erbfolge in rechtshistorischer und rechtsvergleichender Sicht
Hochschule
Technische Universität Dresden
Veranstaltung
Seminar zum Erbrecht
Note
14 Punkte (gut)
Autor
Jahr
1998
Seiten
28
Katalognummer
V21875
ISBN (eBook)
9783638253819
Dateigröße
592 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand. Kommentar des Korrektors: Sorgfältige und konstruktive Bearbeitung.
Schlagworte
Erbfolge, Sicht, Seminar, Erbrecht
Arbeit zitieren
Ute Brettschneider (Autor:in), 1998, Die gesetzliche Erbfolge in rechtshistorischer und rechtsvergleichender Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21875

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