Die Wirkung des Decameron auf die spanische Novellistik am Beispiel der Novelas ejemplares von Miguel de Cervantes Saavedra


Seminararbeit, 2003

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Die Novelle in Spanien - Einleitung

2 Miguel de Cervantes Saavedra – Mögliche Quellen bzw. Vorbilder der Novelas ejemplares

3 Cervantes´ Novelas ejemplares im Vergleich mit Boccaccios Decameron - Wie gestaltet sich Boccaccios Einfluß innerhalb der Novelas ejemplares ?
3.1. Ein allgemeiner Vergleich der Novellen Cervantes´ mit den Novellen des Decameron
3.2. Der Prólogo al lector der Novelas ejemplares im Vergleich mit dem Proemio sowie der Conclusione dell´autore des Decameron

4 Ein Vergleich von La gitanilla mit der Novelle V,5
4.1. Ein Vergleich der Gestaltung der Figuren der Novellen La gitanilla und V, 5 – Die (geliebten) Protagonistinnen
4.2. Die Liebhaber
4.3. Die Lösung des Konfliktes
4.4. Handlungsführung

5 Zusammenfassung

6 Literaturverzeichnis

1 Die Novelle in Spanien - Einleitung

Bis ins 16. Jh. hinein besteht die spanische Novellistik, die sich sowohl unter italienischen als auch französischen Einflüssen entwickelt[1], im wesentlichen aus der Übersetzung italienischer Autoren, wobei deren Werke, vermutlich aufgrund der starken (katholisch motivierten) Zensur, nach Möglichkeit von erotischen Inhalten befreit und infolge der ausgeprägten Exempla-Tradition den spanischen Vorstellungen von Nützlichkeit angepaßt werden.[2]

Zu den wenigen genuin spanischen Sammlungen gehört Conde Lucanor bzw. Libro de los enxiemplos del Conde Lucanor et del Patronio (ca. 1335) von Don Juan Manuel (*1282 †1348), eine vierteilige Zusammenstellung von Erzählungen, von denen besonders die fünfzig Erzählungen des ersten Teils Berühmtheit erlangten.[3] Eingebettet in einen Rahmen, getragen vom Conde Lucanor und dessen consejero Patronio[4], beziehen sich die Einzelerzählungen jeweils exemplarisch auf eine einleitend dargestellte Situation und enden stets mit einer lehrreichen Sentenz (Zweizeiler).[5] Die Form, insbesondere die Schachtelerzählungen, verweist auf orientalische Vorbilder.[6]

Erstmalig erscheinen Novellen als solche in Gestalt von Binnenerzählungen innerhalb des wohl bekanntesten spanischen Schäferromans Los siete libros de la Diana (1558/59), verfaßt von Jorge de Montemayor (*um 1520 †1561).[7]

Juan Timoneda (*um 1520 †1583) veröffentlicht 1567 das Patrañuelo (dt. Lügenwerk, patraña dt. Lüge), bzw. den Primera parte de las patrañas de Juan Timoneda en las quales se tratan admirables cuentos, graciosas marañas, y delicadas inviciones para saber contar el sabio y discreto relatador, agora nuevamente compuesto[8] , eine rahmenlose Sammlung von 22 Novellen in spanischer Sprache, die dem italienischen Muster folgen[9] und sich inhaltlich hauptsächlich an Boccaccio, Masuccio und Bandello orientieren, deren Kunstfertigkeit jedoch nicht erreichen.[10] Schenkt man dem Vorwort des Verfassers Glauben, ist das Patrañuelo, obwohl es sich bei einigen der Erzählungen eindeutig um Exempla handelt, der reinen Unterhaltung gewidmet.[11]

Mit den Novelas ejemplares (1613), 12 Novellen ohne den “italienischen“ Rahmen, verfaßt von Miguel de Cervantes Saavedra (*1567 †1616), erlebt die spanische Novellistik ihren Höhepunkt.[12]

Zu erwähnen wären des weiteren die romanhaften, nicht auf eine Pointe orientierten, Novellen Las fortunas de Diana (1621) und La más prudente venganza (1624) von Lope de Vega (*1562 †1635)[13], die Novellen des Castillo de Solórzano Jornadas alegres (1626), Los alivios de Casandra (1640) und La garduña de Sevilla (1642), die als eine Synthese cervantinischer Strukturen und italienischer Rahmenfiktion betrachtet werden können, sowie die Novelas amorosas y ejemplares (1637) und Desengaños amorosos (1647) von Maria de Zayas y Sotomayor (*1590

- um1660).[14] Bei den Novelas amorosas y ejemplares handelt es sich um eine stark an Boccaccios Decameron angelehnte Sammlung:

Den Rahmen für die hier erzählten Geschichten bildet eine

Zusammenkunft von fünf jungen Damen und fünf jungen Herren der

Madrider Gesellschaft im Hause der schönen Lisis, die aus

Liebeskummer erkrankt ist. In den fünf Nächten zwischen

Weihnachten und Neujahr erzählen die jungen Leute zur

Unterhaltung der Kranken jeweils abwechselnd zwei Novellen [...][15]

Beide Sammlungen fallen -trotz deutlicher Erotik- nicht der Zensur zum Opfer und verzeichnen beachtlichen kommerziellen Erfolg.

Jedoch schon ab Mitte des 17. Jh. verliert die Novellistik in Spanien beträchtlich an Bedeutung und das Genre der Novelle wird von dem des Romans abgelöst.[16]

2 Miguel de Cervantes Saavedra – Mögliche Quellen bzw. Vorbilder der Novelas ejemplares

Miguel de Cervantes Saavedra, der erst im reifen Alter beginnt, Novellen zu verfassen[17], publiziert 1613 die Novelas ejemplares, eine Sammlung, die, wie ich bereits angeschnitten habe, aus 12 Novellen besteht und, wie das Patrañuelo, ohne ein an einen kompositorischen Gesamtplan geknüpftes Rahmengerüst auskommt.[18] Im Gegensatz zu Boccaccio, der in der Conclusione dell´autore zum Decameron die Autorenschaft der einhundert von ihm aufgeschriebenen Novellen verneint:

Concedasi: ma io non pote´ né doveva scrivere se non le raccontate,

e per ciò esse che le dissero le dovevan dir belle e io l´avrei scritte

belle. Ma se pur prosuppor si volesse che io fossi stato di quelle e lo

´nventore e lo scrittore, che non fui [...][19]

indem er behauptet, ihm seien die Novellen zugetragen worden, verschweigt Cervantes die Herkunft der Quellen seiner Erzählungen, bzw. heißt es in der Vorrede an den Leser:

A esto se aplicó mi ingenio, por aquí me lleva mi inclinación,

y más que me doy a entender, y es así, que yo soy el primero que he

novelado en lengua castellana, que las muchas novelas que en ella

andan impresas, todas son traducidas de lenguas extranjeras, y éstas

son mías propias, no imitadas ni hurtadas; mi ingenio las engendró, y

las parió mi pluma, y van creciendo en los brazos de la estampa.[20]

Er verweist demzufolge auf seinen ingenio, also seinen Geist, als alleinige Quelle der Inspiration, was in meinen Augen, zunächst die formalen Aspekte der Novelas ejemplares betreffend, partiell durch die nachfolgenden Beobachtungen widerlegt werden kann. Obwohl es sich, laut Eberhard Leube, schwierig gestaltet, direkte Vorbilder für die Novelas ejemplares auszumachen[21], ist davon auszugehen, daß, da Cervantes die “[...]conventional form of the short story, the novella, as a model (especially Boccaccio) [...]“[22] nutzt, ihm sowohl Boccaccios Decameron als auch andere Novellensammlungen bekannt waren.[23] (Hermann Hubert Wetzel nennt als einen Grund hierfür die Tatsache, daß Cervantes sieben Jahre seines Lebens in Italien verbracht hatte.[24] ) Des weiteren verfügte er offensichtlich über tiefergehende Kenntnisse anderer, der Novelle nicht verwandter Erzählweisen[25], bzw. Genres:

There are present in all of Cervantes´s works a conciousness and

consideration of literary genres. Basically, Cervantes uses the

conventional form of the short story, the novella, as a model

(especially Boccaccio), but within this general format he varies

many of the contemporary literary forms as well as those of times

previous to his own.[26]

Dabei wären insbesondere der Abenteuerroman, der sich durch Stoffülle und abenteuerliche Spannung auszeichnet und in dem der Held in eine Kette von Ereignissen oder Irrfahrten verwickelt wird[27], der Ritterroman, ein “[...] Romantypus, in dem sich das Identifikationsangebot einer Vorbildfigur, historisches Interesse, Fabulierfreude und das Element des Abenteuerlichen als Unterhaltungswert vereinen.“[28] und der Schäfer- bzw. Hirtenroman zu nennen. Letzterer war bereits in der Antike bekannt und wurde im Zuge der Antikerezeption während der Renaissance zu neuem Leben erweckt. Die Protagonisten des Hirtenromans befinden sich in einem idyllisch-harmonischen Umfeld und sehen sich mit keinerlei Gefahren konfrontiert; die Hauptproblematik, der sie sich stellen müssen, besteht in den Leiden der (unglücklichen) Liebe.[29] Typisch für den Hirtenroman sind auch die eingeflochtenen Gedichte, Gesänge bzw. Wechselgesänge der Protagonisten, wie wir sie in der Novelle La Gitanilla wiederfinden, als sich Don Juan/Andrés und Don Sancho/Clemente befreunden und abwechselnd die Tugenden Preciosas besingen.[30] Als ein Beispiel für den Einfluß sowohl des Abenteuerromans als auch des Ritterromans in den Novelas ejemplares möchte ich die Novelle El amante liberal[31] nennen, die, charakteristisch für beide Genres in medias res mit der direkten Rede des Protagonisten beginnt.[32]

[...]


[1] W. Krömer, Kurzerzählungen und Novellen in den romanischen Literaturen bis 1700, Berlin, 1973, 150

[2] E. Leube, “Boccaccio und die europäische Novellendichtung“, in: K. von See (Hg.) Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 9, Wiesbaden: 1980, 128-160, 152

[3] Leube, 1980, 152

[4] Hauptwerke der spanischen und portugiesischen Literatur, Einzeldarstellungen und Interpretationen, Hg. W. Rössig, München, 1995, 51

[5] Leube, 1980, 152

[6] Leube, 1980, 152

[7] Krömer, 1973, 150

[8] Hauptwerke der spanischen und portugiesischen Literatur, 1995, 82

[9] Hauptwerke der spanischen und portugiesischen Literatur, 1995, 82

[10] Leube, 1980, 153

[11] Leube, 1980, 153

[12] T. Degering, Kurze Geschichte der Novelle, Von Boccaccio bis zur Gegenwart, Dichter Texte – Analysen – Daten, München, 1994, 16

[13] Krömer, 1973, 164

[14] Leube, 1980, 158

[15] Hauptwerke der spanischen und portugiesischen Literatur, 1995, 220

[16] Leube, 1980, 158

[17] Krömer, 1973, 153

[18] Degering, 1994, 18

[19] G. Boccaccio, Das Decameron, Hg. U. Übers. P. Brockmeier, Stuttgart, 1997, 264-266

[20] M. de Cervantes, Novelas ejemplares, Hg. J. B. Avalle-Arce, Madrid, 1987, 64-65

[21] Leube, 1980, 154

[22] J.V. Ricapito, Formalistic Aspects of Cervantes´s Novelas ejemplares, New York, 1997, 9

[23] Leube, 1980, 154

[24] H. Wetzel, Die romanische Novelle bis Cervantes, Stuttgart, 1977, 51

[25] Krömer, 1973, 155

[26] Ricapito, 1997, 9

[27] Metzler Literaturlexikon, Stichwörter zur Weltliteratur, Hg. G. Schweikle/I. Schweikle, Stuttgart, 1984, 1

[28] Metzler Literaturlexikon, 1984, 370

[29] Spanische Literaturgeschichte, Hg. H.-J. Neuschäfer, Stuttgart, 1997, 127-128

[30] siehe Cervantes, 1987, 139-142

[31] siehe Cervantes, 1987, 161

[32] Ricapito, 1997, 9

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Wirkung des Decameron auf die spanische Novellistik am Beispiel der Novelas ejemplares von Miguel de Cervantes Saavedra
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Proseminar Giovanni Boccaccios Decameron
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
22
Katalognummer
V22978
ISBN (eBook)
9783638261906
ISBN (Buch)
9783638676632
Dateigröße
695 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wirkung, Decameron, Novellistik, Beispiel, Novelas, Miguel, Cervantes, Saavedra, Proseminar, Giovanni, Boccaccios, Decameron
Arbeit zitieren
Nadin Meyer (Autor:in), 2003, Die Wirkung des Decameron auf die spanische Novellistik am Beispiel der Novelas ejemplares von Miguel de Cervantes Saavedra, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22978

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