Der Umgang von Lehren mit sozial benachteiligten Schülern in sächsischen Mittelschulen


Diplomarbeit, 2003

71 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Einleitung

1 Sozialisation
1.1 Sozialisationsinstanzen
1.2 Sozialisation durch die Schule

2 Soziale Benachteiligung und Armut in einer reichen Gesellschaft
2.1 Kinder aus Familien mit arbeitslosen Eltern
2.1.1 Subjektive Wahrnehmung / Bewältigungsmuster
2.1.2 Veränderung im Wohnen
2.1.3 Gesundheit
2.1.4 Sozialer Rückzug
2.2 Ausländische Kinder und deren Familien
2.2.1 Sozialräumliche Bedingungen
2.2.2 Das Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft
2.2.3 Haushaltsstruktur / Haushaltseinkommen
2.3 Folgen der sozialen Benachteiligung bei Kindern und Jugendlichen
2.4 Vergleich von ausländischen Familien mit deutschen Arbeitslosenfamilien

3 Institution Schule und ihre Funktionen
3.1 Bedeutung der Schulzeit
3.2 Gesellschaftliche Bedingungen
3.3 Institutionelle Bedingungen
3.4 Spezifische Problemfelder von sozial benachteiligten Kindern im
Schulalltag
3.4.1 Problemfeld soziale Situation
3.4.2 Problemfeld Sprache

4 Der Umgang von Lehrern mit sozial benachteiligten Schülern
4.1 Schichtenspezifische Chancen in der Erfüllung schulischer Normen
4.2 Typisierung der Schüler durch den Lehrer
4.3 Die Behandlung negativ typisierter Schüler durch den Lehrer
4.3.1 Benachteiligung in der Notengebung
4.3.2 Benachteiligung im Interaktionsprozess
4.4 Verhältnis von deutschen Lehrern mit ausländischen Schülern

5 Die Bewältigung von Schülerproblemen
5.1 Beispiel aus dem Schulalltag
5.2 Reaktionen von Lehrern auf problembelastete Schüler

6 Umfrage

7 Zusammenfassung und Schlussfolgerung für die Praxis

8 Quellen- und Literaturverzeichnis

0 Einleitung

„Die Schule war, ist und wird nie ein konfliktfreier Lebensraum sein. Und dies ist auch gut so. Konflikte sind ja nicht nur negativ. Ganz im Gegenteil: Sie können das Tor zur Erneuerung und Verbesserung aufstoßen. Wo jedermann zufrieden ist bzw. aus Überangepasstheit, Ängstlichkeit oder Bequemlichkeit Zusammenstößen ausweicht, kommen wenig Lebensfreude und Selbstvertrauen auf. Konflikte sind wie Salz in der Suppe; allerdings schmeckt diese nicht, sobald sie versalzen ist. Konflikte werden immer dann als unerträglich empfunden, wenn sie in Mobbing ausarten, eskalieren, den Gegenspieler demütigen und zum alleinigen Verlierer machen. Heutzutage zählt Konfliktfähigkeit als eine Art Schlüsselfunktion. Wie aber sollen unsere Schüler dazu befähigt werden, wenn Zusammenstöße verdrängt bzw. schon im Ansatz abgewürgt werden? Und wo sonst bietet sich ein so geeignetes Übungsfeld zum Erwerb dieser Schlüsselqualifikation an wie im Haus des Lernens, der Schule?“ (Sander, Winklers Flügelstift 3/98)

Doch dies setzt das Bemühen des Lehrers voraus, den Schüler besser kennen und verstehen zu lernen. Besonders sozial benachteiligte Schüler aus arbeitslosen und ausländischen Familien, die teilweise in Auftreten, Aussehen und Verhalten anders erscheinen benötigen Beachtung und Zuwendung.

Deshalb ist es Ziel meiner Arbeit, die sozialräumlichen, strukturlichen und psychischen Bedingungen von Kindern aus sozial benachteiligten Familien aufzuzeigen, um danach auf die Vor- und Nachteile während des Aufwachsens eingehen zu können. Ich bin absichtlich in meiner Arbeit nur auf arbeitlose und ausländische Familien eingegangen, da ich der Meinung bin, dass sich mit diesen Kindern viel zu wenig beschäftigt wird, denn in vielen Büchern wird nur über die betroffenen Eltern geschrieben und die Kinder werden außer Betracht gelassen. Deshalb wollte ich speziell auch auf die betroffenen Kinder aus sozial schwachen Familien eingehen.

Das die gesellschaftlichen Veränderungen an den Kindern nicht spurlos vorüber gehen, macht sich spätestens in der Schule bemerkbar, wo Kinder mit Gleichaltrigen aller Sozialschichten zusammentreffen. Dort lernen sie sich mit anderen zu vergleichen und sehen, wie andere Kinder in ihren Familien aufwachsen. Sie werden soziale Verhaltensweisen, wie Rücksichtnahme, Kooperation und Kommunikation lernen und sich in einer Gruppe durchsetzen müssen. Dabei gestalten sich dieser Lernprozess für sozial benachteiligte Kinder nicht immer leicht. Deshalb werde ich im Hauptteil meiner Arbeit speziell auf den Umgang von Lehren mit diesen Kindern eingehen. Dazu habe ich Themen wie Benachteiligung in der Notengebung und im Interaktionsprozess, aber auch das Erkennen und den Umgang mit Schülerproblemen erörtert. Abschließen werde ich diese Arbeit mit einer Umfrage, wo die Theorie in den Ergebnissen aus der Praxis wiederspiegelt.

1 Sozialisation

„ Sozialisation ist begrifflich zu fassen << als ein Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt. Vorrangig thematisch ist dabei ..., wie sich der Mensch zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt bildet.>>“ (Tillmann 1993, S.10)

Zentrum des Sozialisationsprozesses ist immer die Entwicklung und Veränderung der menschlichen Persönlichkeit. Persönlichkeit lässt sich bezeichnen als „das spezifische Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und Handlungskompetenzen, das einen einzelnen Menschen kennzeichnet.“ (Tillmann 1993, S.11)

Jeder Mensch hat somit ein spezifisches Gefüge, welches als „Individualität“ bezeichnet wird. Diese Individualität gehört ebenso wie der Sozialcharakter, „den die Mitglieder einer Gesellschaft miteinander teilen“ (Tillmann 1993, S.12) zur Persönlichkeit. Mit dem Begriff Sozialcharakter „wird der Teil der Persönlichkeit verstanden, <<der signifikant sozialen Gruppen gemeinsam ist und der ... das Produkt der Erfahrungen dieser Gruppe darstellt. Der so verstandene Begriff des sozialen Charakters erlaubt es uns, ... von dem Charakter von Klassen, Gruppen, Völkern und Nationen zu sprechen>>“. (Tillmann 1993, S.12) Die entsprechenden Anteile des Sozialcharakters erwirbt ein heranwachsender Mensch durch die Selbstverständlichkeit seiner Gruppe, zum Beispiel Eßgewohnheiten, Rollenverhalten zwischen Mann und Frau, alltägliche Höflichkeitsformen.

Doch nicht nur innerpsychische Strukturen wirken auf den Sozialisationsprozess ein, sondern auch die Bedingungen der sozialen Umwelt. „Menschen sind nicht Opfer ihrer Sozialisation, sondern sie wirken auf sich und ihre Umwelt immer auch selber ein und entwickeln sich auf diese Art und Weise zum handlungsfähigen Wesen,... .“ (Tillmann 1993, S.12)

1.1 Sozialisationsinstanzen

Der Mensch durchläuft in seinem Sozialisationsprozess mehrere Stadien. Im Grunde gibt es so viele Stadien wie Gruppen, in denen wir uns bewegen, aber die primäre Sozialisationsinstanz ist in allen Kulturen die Familie, wobei die Form der Familie sehr unterschiedlich sein kann.

In der Familie erwerben die Heranwachsenden Verhaltenweisen und Ansichten, die typisch für die Eltern sind. Doch die Familie als Sozialisationsinstanz hat sich im letzten Jahrzehnt stark verändert, dies hat damit zu tun, dass zum Beispiel die Anzahl der erwerbstätigen Mütter wieder gestiegen ist und somit viele Kinder in institutionellen Einrichtungen untergebracht werden. Damit wird die Familie „transparenter“ gemacht, das heißt, Außenstehende, wie Tagesmütter erhalten einen Einblick in das elterliche Erziehungsverhalten. Somit erweitern Kinder heute ihren sozialen Nahraum viel eher, das bedeutet, sie bekommen frühzeitig einen Einblick in andere familiäre Lebensformen und Erziehungsstile. Die eigene Familie ist mit anderen vergleichbar und hinterfragbar.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Familie wichtig und unwichtig zugleich geworden ist. Wichtig in Bezug auf vermittelte emotionale, materielle und kulturelle Ressourcen und unwichtig in Bezug auf den Bedeutungsverlust der familiären Herkunft als soziale Zuschreibung beziehungsweise Identitätsfindung. (vgl. Elfter Kinder- und Jugendbericht, S.126f)

Die zweite wichtige Sozialisationsinstanz ist die Peer-Group. In Peer-Groups erschließen sich Kinder und Jugendliche Orte der Verständigung, es werden Erfahrungen ausgetauscht und diskutiert. In solchen gleichaltrigen Gruppen haben die Heranwachsenden die Möglichkeit, gewisse Verhaltensregeln zu testen und zu erkunden. Die Beziehungen in solchen Gruppen laufen „demokratischer“ und „egalitärer“ ab als in der Familie. Eltern können Verhaltensweisen erzwingen, wobei in Gruppen öfter Kompromisse oder wechselseitiger Zustimmung erfolgen.

Zu dieser Sozialisationsinstanz gehört auch die Schule, denn dort wird neben dem Lehrplan auch das Lernen der Kinder beeinflusst, zum Beispiel Pünktlichkeit, Regeln einhalten. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass die Kontrollmöglichkeiten, zum Beispiel im Bereich Medien, im Vergleich zu anderen Sozialisationsinstanzen gesunken sind. Die Identitätsfindung in gleichaltrigen Gruppen läuft somit als Selbstsozialisation und wird von den Kindern und Jugendlichen selbst gesteuert. (vgl. Elfter Kinder- und Jugendbericht, S.127f)

Eine dritte wichtige Sozialisationsinstanz ist die Berufswelt. Dort wird eine größere Anpassung der Sichtweisen oder des Verhaltens einer Person verlangt.

Aber auch auf unpersönlichen Ebenen laufen Sozialisationsprozesse ab, wie zum Beispiel durch Massenmedien (Zeitung, Bücher, Fernsehen). Über den Einfluss von solchen Medien auf die Menschen, wurden schon unzählige Untersuchungen durchgeführt, doch inwieweit dies das Verhalten von Kindern fördert oder nicht gibt es keine entgültigen Befunde.

(vgl. Korte / Schäfers 1992)

1.2 Sozialisation durch die Schule

Im Folgenden möchte ich näher auf die Sozialisationsinstanz Schule eingehen, da die von jedem Heranwachsenden durchlaufen und erlebt wird.

Mit dem Eintritt in die Schule übernimmt sie zwei wichtige Aufgaben in Bezug auf Sozialisation. „Die eine betrifft das mehr „kognitive“ Erlernen von Informationen, technischen Fertigkeiten und von Bezugssystemen, die auf einem Abstraktionsniveau liegen, das höher ist als das aus dem Sozialisationsprozess in der Familie bekannte, wie z.B. die geschrieben Sprache und das mathematische Denken. Die andere betrifft das Erlernen von sozialen Verhaltensweisen wie Respekt vor dem Lehrer, Rücksichtnahme auf die Mitschüler, Bereitschaft zur Zusammenarbeit, disziplinierte Arbeitsgewohnheiten oder auch Initiative und Führungsqualitäten.“ (Rolff 1997, S.131)

Der Eintritt des Kindes in die Institution Schule, ist ein sehr wichtiger Schritt. Für den Schulanfänger eröffnet sich eine neue Welt, in die er sich einüben und einfinden muß. Doch diese neue Welt ist verbunden mit Pflichten, die dem Schüler auferlegt werden. Zum Beispiel hat er zu den vorgeschriebenen Zeiten in der Schule zu sein, daraus ergibt sich die Pflicht der Pünktlichkeit. Die Schule verlangt die Bereitschaft zum Lernen, zielstrebig zu arbeiten, Lerninhalte anzueignen und diese wiederzugeben. Neben diesen genannten Pflichten hat der Schüler erworbene soziale Verhaltensweisen (dazwischenreden, schlagen, abschreiben) zu vermeiden. Unaufmerksamkeit oder störendes Verhalten werden vom Lehrer oft und schnell als abweichendes Verhalten betrachtet. (vgl. Seitz 1991)

Anders als in der Familie, ist Schule viel mehr von Wechsel und Versachlichung geprägt. Mit dem Schuleintritt entsteht für das Kind eine größere Bewegungsfreiheit; der Kontakt mit Gleichaltrigen vermittelt ganz andere Erfahrungen, als das in der Familie möglich ist. Kinder brauchen für ihre Entwicklung offene Bereiche, sie müssen Verhaltensregeln selbst aushandeln, Krisen eigenständig bewältigen und sich durchsetzen lernen. Die Grundlage für dieses flexible Handeln bildet der Kontakt mit Gleichaltrigen.

In der Schule übernimmt ähnlich wie in der Familie, der Lehrer die Erwachsenenrolle. Jedoch kann sich ein Schüler in der Schule nicht auf die gleiche Art und Weise mit der Erwachsenenrolle identifizieren wie das bei den Eltern der Fall ist. Der Lehrer übernimmt die Erzieherrolle nur berufsmäßig. Er hat nicht die Möglichkeit jeden Schüler mit Liebe und Anerkennung zu belohen, wie das in der Familie ist.

In der Schule wird nicht die gesamte Persönlichkeit des Kindes betrachtet, sondern der Lehrer sieht die Kinder in ihrer Schülerrolle. Die Kinder lernen dabei, sich mit verschieden Rollen zu identifizieren, zum Beispiel mit der Lehrerrolle. Sie werden die Erfahrung machen, die Mutterrolle von der Lehrerrolle zu unterscheiden und dabei lernen, dass der Lehrer im Unterschied zur Mutter austauschbar ist. Indem sich das Kind an die Rollenmuster und Beziehungen innerhalb der Schule einfindet, übernimmt es die Wertmuster, die in der Gesellschaft für alle Rollen gelten.

Doch die Sozialisation in der Schule ist vom ersten Tag an mit einer systematischen Bewertung der Leistungen verbunden. Der Lehrer verteilt Zensuren, lobt und tadelt, dadurch entsteht eine interne Differenzierung innerhalb der Schulklasse in gute und weniger gute Schüler. Auf diese Weise macht das Kind die Erfahrung, wie es sich die Aufmerksamkeit des Lehrers erwirbt und verteidigt.

Diese neuen Anforderungen bereiten vielen Schülern große Schwierigkeiten. Sie müssen sich der Gemeinschaft unterordnen, sie erfahren, dass sie sich nicht mit ihrer gesamten Individualität darstellen können wie in der Familie. Der einzelne Schüler hat aufgrund der hohen Schülerzahl nur eine geringe Möglichkeit, seine persönlichen Interessen deutlich zu machen. Gefühlsmäßige Beziehungen können nur eingeschränkt ausgedrückt werden. Die individuellen Qualitäten und Fähigkeiten müssen den Erwartungen und Anforderungen der Schule untergeordnet werden.

2 Soziale Benachteiligung und Armut in einer reichen Gesellschaft

Die Bundesrepublik Deutschland ist – im internationalen Maßstab – ein reiches Land, in dem der erwirtschaftete Reichtum sowie die Vermögen in privater Hand kontinuierlich ansteigen. Deutschland gehört zu den reichsten Ländern Europas und der Welt. Seit 1960 ist das Geldvermögen der privaten Haushalte kontinuierlich von 82,6 Milliarden Euro auf über 2,14 Billionen Euro im Jahre 1996 und damit um das 26fache angestiegen. Die Deutsche Bank schätzte Ende 1999 das Gesamtvermögen, dies beinhaltet zusätzlich Immobilien, Wertgegenstände etc., der deutschen Privathaushalte auf 7,5 Billionen Euro. (vgl. Elfter Kinder- und Jugendbericht, S.128)

Damit könnte man meinen, dass in Deutschland soziale Benachteiligung beziehungsweise Armut kein Thema wäre, doch die folgenden Zahlen belegen das Gegenteil:

- 7,5 Millionen Menschen leben in Deutschland in wirtschaftlicher Armut, dass sind 9,1% der Gesamtbevölkerung (darunter ist jedes fünfte Kind betroffen)
- 20 Millionen Menschen leben im „prekären Wohlstand“, sie verdienen nur weniger als 50% des durchschnittlichen Nettoeinkommens
- 38% der Sozialhilfeempfänger ist jünger als 18 Jahre
- ein Drittel der deutschen Bevölkerung ist von wirtschaftlicher Armut betroffen oder bedroht (vgl. Wilke 2002, S.3)

Doch es ist nochmals hervorzuheben, dass Armut in Deutschland eine relative Größe ist. So sind Personen oder Familien als relativ arm zu bezeichnen, wenn diese über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in der Bundesrepublik als unterste Grenze des Akzeptablen annehmbar ist. (vgl. Klocke, Hurrelmann 1998, S.10)

2.1 Kinder aus Familien mit arbeitlosen Eltern

Wenn heutzutage von Armut in unserer Gesellschaft die Rede ist, so wird meist nur auf die Erwachsenen, die materiell eingeschränkt und benachteiligt sind aufmerksam gemacht.

Die gleichzeitig betroffenen, in Armut lebenden Kinder werden nur am Rande diskutiert.

In vielen Arbeitslosenforschungen wird nur von betroffenen Familien gesprochen und nur wenige Arbeiten richten sich gezielt auf die Situation der Kinder und Jugendlichen in arbeitslosen Familien. Dies führt zu einem einseitigen Bild der Arbeitslosenforschung. Denn Armut und Arbeitslosigkeit betrifft nicht nur die Eltern, sondern wird auch von den Kindern wahrgenommen.

Bei den derzeitigen Arbeitslosenzahlen von etwa 392.425 Menschen in Sachsen (4.257.425 in Deutschland) (vgl. Landesarbeitsamt Sachsen) erscheint doch der Verlust des Arbeitsplatzes und noch vielmehr die Langzeitarbeitslosigkeit nicht mehr als Einzelschicksal. Doch nicht nur die direkt davon Betroffenen haben Furcht vor Stigmatisierung, auch Kinder und Jugendliche aus betroffenen Familien werden mit allen Problemen die sich durch die Arbeitslosigkeit der Eltern ergeben direkt oder indirekt konfrontiert.

Wie Kinder mit der materiellen Armut beziehungsweise der Arbeitslosigkeit ihrer Eltern umgehen, ist sehr davon abhängig, wie die Eltern selbst mit der finanziellen Notsituation klarkommen. Dabei spielen Verhaltensweisen und Vermittlung von Normen und Werten eine wichtige Rolle. Nicht selten versuchen die Eltern ihre Kinder von der den finanziellen Nöten und Belastungen fernzuhalten. Damit wollen sie verhindern, dass die Situation der Familie nicht ins soziale Umfeld gelangt und somit keine Minderwertigkeitsgefühle oder Ängste hervorgerufen werden. Doch die Situation der Eltern geht an Kindern nicht unscheinbar vorüber.

Für Kinder sind Einsparungen täglich spürbar, zum Beispiel beim Streit ums Taschengeld. Die Zahlung eines monatlichen oder wöchentlichen Taschengeldes ist für Kinder und Jugendliche wichtig, damit sie lernen können ihr Geld einzuteilen und damit einen bestimmten Zeitraum auszukommen. In Sozialhilfehaushalten erhalten nur 25% der Einzelkinder unregelmäßiges Taschengeld. Kinder mit Geschwistern sind dabei noch schlechter gestellt, über 60% verfügen über keine eigenen finanziellen Mittel. (vgl. Nationale Armutskonferenz 2001)

Auch das neuste Spielzeug ist immer wieder Thema, wobei diese Kinder nicht weniger Spielzeug bekommen, sondern eher Spielzeug von schlechterer Qualität. Doch diese finanziellen Einsparungen sind nicht nur für die Kinder eine enorme Belastung, sondern auch die Eltern sind immer in Erklärungsnöten, warum sie zum Beispiel nicht ins Kino gehen können oder ihr Sohn kein Mountenbike bekommt.

Für die Kinder bedeutet das, dass sie nur selten die Möglichkeit haben, das System Familie zu verlassen und somit ihre individuellen und sozialen Entwicklungsmöglichkeiten durch die finanzielle Situation der Eltern sehr eingeschränkt wird. (vgl. Otto 1997, S. 83)

Auch in der Schule machen sich diese Einsparungen für die Kinder bemerkbar. Denn in der Schule haben die Kinder den direkten Vergleich zu Gleichaltrigen, die vielleicht keine finanziellen Nöte haben, sich die neuste Kleidung leisten können und am Wochenende ins Kino gehen. Im Gespräch merken die Kinder somit, wie es anderen Kindern in ihren Familien geht. Auch an Klassenfahrten oder Wandertagen können einige Kinder nicht teilnehmen, weil sie das Geld dafür nicht aufbringen können.

2.1.1 Subjektive Wahrnehmung / Bewältigungsmuster

Wie Kinder mit der Arbeitslosigkeit ihrer Eltern umgehen, hängt sehr davon ab, wie sie von den Eltern gelebt wird. Die meisten Kinder machen die Situation der Eltern zur eignen Lebensperspektive. So kann es schnell passieren, das die Kinder motivationslos werden, wenn sie ihre Eltern auch nicht anders erleben. „Für die Sozi (Sozialhilfe) braucht man keinen Abschluss, warum soll ich mich dann anstrengen?“ (vgl. Otto 1997, S. 87)

Um die Belastungen beziehungsweise Probleme innerhalb der Familie zu überwinden und zu lindern, entwickeln Kinder ganz unterschiedliche Bewältigungsmuster. Diese beginnen bei Anspruchssenkung und enden in direkten Handlungen, wie aktiver Geldbeschaffung.

Besonders in der Schule sehen sozial benachteiligte Kinder den Unterschied zu ihren Mitschülern und fühlen sich dadurch herausgefordert Geld zum Beispiel für Markenkleidung oder Spielzeug zu beschaffen. Dies erledigen sie durch Putzjobs, Freundschaftsdienste, Pfandflaschen sammeln, Zeitung austragen, aber auch betteln dient der Strategie des Gelderwerbs. Doch durch die kindliche Bewältigung der materiellen Not wird den Kindern ein Teil ihrer Kindheit genommen, sie können ihre Freizeit nicht zum spielen mit Gleichaltrigen nutzen, sondern gehen der Kinderarbeit nach.

Auch die schulischen Leistungen leiden unter der aktiven Geldbeschaffung, da keine Zeit für Hausaufgaben mehr bleibt.

Eine andere Form der Bewältigung, ist die Anspruchsenkung der Kinder. Bei dieser Form, verschweigen Kinder ihre Wünsche oder lassen ihre Enttäuschung nicht nach außen sichtbar werden. Ein Beispiel dafür ist, „Ich sag das nie meiner Mama, dass ich die Stifte gerne hätt´, ich vergess´ dass immer (...), ich vergess` das immer zu sagen.“. (Otto 1997, S. 89)

Kinder reagieren aber auch durch unbewusste Verhaltensauffälligkeiten auf die materielle Not der Eltern. Diese psychosoziale Form der Bewältigung zeigt sich oft in der Schule, zum Beispiel wenn sie sich ihrer Kleidung schämen oder kein Geld für gemeinsame Klassenausflüge (Schwimmbad, Kino) haben. In diesen Situationen reagieren die Kinder zum Teil sehr aggressiv, dadurch erzeugen sie in der Klasse eine andere Art der Aufmerksamkeit. Nicht mehr ihre Kleidung, sondern ihr Verhalten steht jetzt im Mittelpunkt des Klassengeschehens.

2.1.2 Veränderung im Wohnen

Die Wohnung und das Wohnumfeld spielen für die Entwicklung von Heranwachsenden eine wichtige Rolle. Besonders problematisch erscheint die Wohnumwelt der Kinder und Jugendlichen, die in sogenannten „sozialen Brennpunkten“ aufwachsen, weil dort die Mieten wesentlich günstiger sind.

Doch für Kinder und Jugendliche bedeutet dies meist nichts positives. Es handelt sich nicht nur um infrastrukturell schlecht ausgestattete Wohngebiete, sondern auch die Wohnhäuser selbst sind oft in einem schlechten Zustand. Die beengte Wohnsituation wird zur Belastung der Familie. Mehrere Geschwister müssen sich ein Zimmer teilen und die Eltern übernachten im Wohnzimmer. In solchen Wohnverhältnissen ist keine Garantie für störungsfreie Rückzugsmöglichkeiten gegeben, Konflikte spitzen sich zu.

Das Leben in solchen sozialen Brennpunkten ist von Stigmatisierung begleitet. So wirkt schon allein die Adresse in der Schule als Ausgrenzungskriterium. (vgl. Hock, Holz 1998, S.37)

2.1.3 Gesundheit

Eine ausgewogene Ernährung ist für die kindliche Entwicklung sehr wichtig. Aus verschiedenen Untersuchungen wurde deutlich, dass bei Kindern und Jugendlichen, die von Armut betroffen sind, ein abwechslungsreiches Ernährungsverhalten fehlt. Durch die knappen finanziellen Ressourcen mangelt es an Obst und Fleisch. Kinder kommen ungefrühstückt zur Schule und nehmen nicht am Mittagessen teil.

Doch nicht nur an der Ernährung wird gespart, auch die gesundheitliche Vorsorge wird vernachlässigt. Durch die belastende finanzielle Situation der Eltern, schaffen es viele Familien nicht, eine planvolle, präventive und gesunde Lebensführung zu entwickeln. Die Eltern sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie zum Beispiel das Impfen der Kinder vergessen.

Durch die oben genannten Unterversorgungen sind Kinder für Infektionskrankheiten, aber auch psychomatische Beschwerden sehr viel schneller anfällig. Asthma, Zahnkrankheiten, Kopf- und Rückenschmerzen, Nervosität, Magenschmerzen, Eß- und Schlafstörungen spielen eine zentrale Rolle. Man kann sagen: „Armut macht körperlich und seelisch krank!“ (vgl. Nationale Armutskonferenz 2001, S.24)

2.1.4 Sozialer Rückzug

Armut beziehungsweise Arbeitslosigkeit bedeutet auch oft ein Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben. Die Familien haben kein Geld für Unternehmungen, Einladungen zu Geburtstagen von Verwandten, werden abgelehnt, weil für Gegeneinladungen die finanziellen Mittel fehlen. Aber auch Schamgefühle sind Gründe, warum sich die arbeitslosen Familien aus dem Freundeskreis zurückziehen.

Weniger als die Hälfte der Armutsgruppe ist Mitglied in einem Verein und ein Drittel fühlt sich nur gering in eine Peer-Group integriert. So sind arme Kinder und Jugendliche häufiger einsam, fühlen sich öfters hilflos und bezeichnen sich deutlich häufiger als unglücklich. Das Selbstvertrauen ist deutlich reduziert.

Durch die Isolation der Eltern aus der Öffentlichkeit, werden die Kinder immer mehr im System Familie eingeengt. Unternehmungen, die wichtig für den Sozialisationsprozess der Kinder sind, werden eingestellt. Die Eltern sind meist auch nicht bereit mit anderen Institutionen (Schulen, Beratungsstellen) zusammenzuarbeiten. Konflikte werden nur noch innerhalb der Familie, allein ausgetragen. Es entsteht ein Mangel an Problemlösungsstrategien, die Kinder passen sich der sozialen Situation an, haben wie ihre Eltern keine Zukunftspläne mehr, schulische Bildung hat keinen Sinn mehr.

Die meisten Familien wissen von ihrem Anspruch auf Hilfe, nehmen diesen jedoch nicht an, weil sie sich verpflichtet fühlen, eine Gegenleistung zu erbringen.

2.2 Ausländische Kinder und deren Familien

Seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es in Deutschland eine kontinuierliche Zuwanderung aus dem Ausland. Zur Zeit leben in Sachsen 106.888 Ausländer (vgl. Statistisches Bundesamt 2003), darunter sind 12.075 unter 17 Jahren (vgl. Ausländerzentralregister, 2002), doch die tatsächliche Zahl der Zugewanderten aus dem Ausland ist allerdings noch beträchtlich höher. Es gibt derzeit keine seriöse Möglichkeit der genauen Quantifizierung der grenzüberschreitend Gewanderten.

1996 hatten 13% der in Deutschland geborenen Kinder, Eltern mit ausländischem Pass, über 7% stammen aus binationalen Ehen, circa 2% waren nichteheliche Kinder mit einer ausländischen Mutter und die Zahlen werden immer größer. (vgl. Kendelbach)

[...]

Ende der Leseprobe aus 71 Seiten

Details

Titel
Der Umgang von Lehren mit sozial benachteiligten Schülern in sächsischen Mittelschulen
Hochschule
Hochschule Mittweida (FH)
Note
2,5
Autor
Jahr
2003
Seiten
71
Katalognummer
V22988
ISBN (eBook)
9783638261982
Dateigröße
651 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Diplomarbeit befasst sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen der Familie. Dabei werden soziale Benachteiligungen von Kindern angebracht und ihre Bedeutung auf die Institution Schule erläutert. Im Hauptteil wird auf den Umgang der Lehrer mit sozial benachteiligten Kindern eingegangen, dabei spielen Themen wie Benachteiligung in der Notengebung, im Interaktionsprozess und das Erkennen von Schülerproblemen eine hauptsächliche Rolle. Abgerundet wird diese Arbeit mit einer Umfrage.
Schlagworte
Umgang, Lehren, Schülern, Mittelschulen
Arbeit zitieren
Claudia Mehner (Autor:in), 2003, Der Umgang von Lehren mit sozial benachteiligten Schülern in sächsischen Mittelschulen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22988

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Titel: Der Umgang von Lehren mit sozial benachteiligten Schülern in sächsischen Mittelschulen



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