Männerbilder bei Scorsese


Magisterarbeit, 2001

100 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Kurzbeschreibung der Männlichkeitsformen
1. Die traditionsgebundene Familienmännlichkeit der Italowerke
2. Weg von der Familie und der Tradition: Einzelkämpfermännlichkeiten
3. Aufeinandertreffen zweier Männlichkeitstypen
4. Untypische Männlichkeiten

III. Die homosoziale Gruppe – Homoerotik, Homophobie und männliche Initiation
1. Homoerotik
2. Homophobie
3. Männliche Initiation

IV. Männlich konnotierte Räume und Rituale
1. Bar
2. Trinken
3. Beruf, Geld, Macht, Besitz
4. Sexualität
5. Krieg, Gewalt, Aggression
5.1. Verbale Gewalt
5.2. Körperliche Gewalt
5.3. Waffengewalt
6. Unterdrückte Sexualität
6.1. Nicht zum Zug kommen
6.2. Die selbst auferlegte Zurückhaltung des Kriegers
6.3. Selbst auferlegte Unterdrückung der Gläubigen
7. Krieg
8. Omertà

V. Die Frau - Die Mutter (und der fehlende Vater), Jungfrau-Hure-Dichotomie
1. Die Mutter (und der fehlende Vater)
2. Die Jungfrau-Hure-Dichotomie

VI. Die Bedrohung Frau
1. Die Frau als undurchsichtiges Wesen
2. Die kastrierende Frau

VII. Kompensationsformen
1. Erhebung der Männer
2. Abwehr
3. Affektverschiebung
4. Aggression
5. Sexuelle Kontrolle/Besitz
6. Tötung/Mord

VIII. Das Scheitern der Männlichkeit

IX. Schlusswort

X. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

„Masculinity itself corresponds to the structure of a game that can never be mastered but must played out!“ [1]

Männlichkeit- Wie genau lässt sie sich definieren? Es scheint, als würde Scorsese selbst diese Frage in allen seinen Filmen reflektieren. Seine Werke zeigen ein patriarchalisch geprägtes Weltbild, was sich im einfachen Sinne als die Dominanz des Mannes über die Frau beschreiben. Hinter dieser Erklärung verbirgt sich die Einstellung ganzer Kulturen und eine Tradition, der die Protagonisten Scorseses so verwachsen sind, daß sie diese nicht abzulegen vermögen. Aus diesem Unvermögen resultieren auch die meisten Probleme und Ängste, vor allem in der Kommunikation mit der Frau. Obwohl die Hauptrollen seiner Filme in den meisten Fällen männlich besetzt sind, spielt das Verhältnis zum weiblichen Geschlecht eine große Rolle. Um Mißverständnisse auszuschließen, halte ich es an dieser Stelle für wichtig, auf einige Punkte der patriarchalischen Weltvorstellung einzugehen. Ein Großteil der Legitimation männlicher Herrschaft entspringt dem Alten Testament, jedoch hat sie ihre Wurzeln bereits in wesentlich älterer Zeit. In Mesopotamien regelte der Codex Hammurabi, die weltweit erste schriftliche Gesetzessammlung, unter anderem das Zusammenleben von Mann und Frau, von denen einige Gesetze noch heute Anwendung finden und so auch in den Filmen Scorseses auftreten. Im Codex wird die Frau als das Privateigentum des Mannes definiert. Ihre Jungfräulichkeit ist Voraussetzung für die Ehe, stellt sich heraus, daß sie keine Jungfrau mehr ist, kann die Ehe rückgängig gemacht werden. Außerdem hat der Mann das Recht, seine Frau körperlich zu bestrafen[2].

Auch in vorgeschichtlichen Mythen wurde die Minderwertigkeit der Frau legitimiert. Anfangs verehrten viele Urvölker Göttinnen als Symbol der Fruchtbarkeit, des Ursprungs allen Lebens, als „Mutter Erde“[3]. Als der Mann sich aber zunehmend über seine Rolle in der Zeugung bewußt wurde, und die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung ein gewisses Maß an Geburtenkontrolle erforderte, änderte sich auch die Mythologie. Aus Göttinnen wurden Götter und somit schrittweise die weiblichen Rechte durch die Struktur des Patriarchats absorbiert. Die Frau war nicht mehr die Mutter allen Lebens, sondern nur noch Empfängerin des lebensspendenden Samens. So schreibt Aristoteles in seiner Lehrschrift „De Generatione Animalium“: „Ein Weibchen ist wie ein verkrüppeltes Männchen, und der Monatsfluß ist Same, nur nicht reiner Same. Denn nur eines fehlt ihm: die Lebensquelle, (...) denn diese Lebensquelle bringt erst der männliche Same mit.“[4] Somit wurde die Frau im Laufe der Geschichte zur „Gebärmaschine“. In der westlichen Kultur läßt sich mit der Verbreitung des Christentums ein großer Einfluß der Bibel auf das gesellschaftliche Leben verzeichnen. Im Hinblick auf die Filme von Scorsese ist eben dieser Einfluß von besonderer Bedeutung, da gerade die Protagonisten der Italowerke, wie Scorsese selbst, der Tradition des Katholizismus aufwachsen und diese stark verinnerlicht haben.

Das Patriarchat wird im Alten Testament zur vorherrschenden Familienstruktur bestimmt. So heißt es in Genesis 1.3.16: „Dein Mann soll dein Herr sein.“ Der Frau werden ökonomische, politische, öffentliche und kulturelle Funktionen abgesprochen und ihre Sexualität durch eine ganze „Verbotskette“ reglementiert. Sie wird als ein Wesen definiert, das niemals das göttliche System repräsentieren kann. Die Glaubensgemeinschaft ist rein männlich. Somit wurde ihr der gleichberechtigte Zugang zu Unterricht und Ausbildung verweigert und damit auch die Möglichkeit, das gesellschaftliche und auch religiöse Wertesystem zu verändern. Die katholische Kirche verschleierte oder negierte Überlieferungen bedeutender weiblicher Persönlichkeiten (wie zum Beispiel die der Päpstin Johanna), so daß ihre Authentizität bis heute nicht geklärt werden kann. So läßt sich von einer tendenziös einseitigen Geschichtsschreibung sprechen.

Das Alte Testament unterstreicht die Vorstellung von der Frau als Besitz. Die erste sozial legitimierte Rolle der Frau ist es, getauscht oder verkauft zu werden, z.B. zur Vermeidung von Kriegen durch strategisch günstige Eheschließungen, wie es schon im Ägypten des 3. Jahrtausends dokumentiert ist[5].

Als im 19. Jahrhundert die Kraft der religiösen Erklärungen nachläßt, verlagert sich die Legitimation der weiblichen Minderwertigkeit in die Wissenschaft. Darwin vertritt die These, daß das Überleben der Art wichtiger ist als die individuellen Bedürfnisse. Im Interesse des Überlebens der Gattung schließt er die Frau aus den Bereichen Wirtschaft und Bildung aus. Ihr kommt die Aufgabe der Versorgung der Nachkommenschaft zu. Menstruation, Schwangerschaft und Menopause werden als schwächend und behindernd, sogar als abnorme Zustände angesehen, die die Fähigkeiten der Frau beeinträchtigen und sie in eine unterlegene Position verweisen. Auch in der Psychologie nach Freud ist der als normal anzusehende Mensch männlich. Die Frau ist ein abweichendes menschliches Wesen, dem der Penis fehlt . In seinem Werk „Über die weibliche Sexualität“ schreibt er bezeichnend für die damals vorherrschende Meinung: „Die Anatomie ist ihr Schicksal.“[6] Mit Anerkennung der Vaterschaft trat ein weiterer Moment in die Sozialstruktur ein: Die monogame Lebensweise, zumindest von Seiten der Frau, zur Klärung der Vaterschaft wird zur Regel.

„Aber weil die Herrschaft des Mannes in Kampf und Arbeit sich bewährt hat, und weil durch die Ehe die Vaterschaft zur Gewißheit einer natürlichen Tatsache sich erhebt: So ist die väterliche Herrschaft allgemeine Form des Kulturzustandes.“[7]

Auch heute ist unser Denken über Männlichkeit und Weiblichkeit noch stark patriarchalisch geprägt. Dabei beruft man sich immer wieder auf Strukturen, wie sie zwar zu Beginn der Menschheitsgeschichte der Fall waren, heute aber keine logische Basis mehr bilden: Die Männer als Jäger, die Frauen als Sammlerinnen. Im Laufe der Zeit haben sich aus dieser Vorstellung bestimmte Prototypen in den Köpfen der Menschen festgesetzt. So werden dem Mann die Attribute aktiv, stark, hart, vernunftsorientiert und intelligent zugeschrieben, die Frau ist passiv, schwach, weich, emotional und minder intelligent. Diese Eigenschaften können jedoch nicht so einfach auf die beiden Geschlechter verteilt werden, was zu verstärkten Konflikten innerhalb des Geschlechts und der Geschlechter untereinander führt, eines der Hauptthemen in den Werken von Martin Scorsese. Betrachtet man diese, so fällt auf, daß viele verschiedene Formen der Männlichkeit besprochen werden, die jedoch in ihrem Grundmuster Gemeinsamkeiten aufweisen. Diese sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

Dabei soll verdeutlicht werden, daß Scorsese Männer des täglichen Lebens zeigt, niemals Helden. Um zu veranschaulichen, daß das Verständnis von Männlichkeit in sehr vielen Punkten authentische Gültigkeit besitzt, stütze ich mich auf die Arbeit Michael Meusers[8], der im Verlauf seiner Untersuchungen über das Thema „Mann sein – was bedeutet das?“ eine Reihe von Diskussionen dokumentierte. Bei den Diskussionsteilnehmern handelt es sich um Männer verschiedenen Alters und verschiedener Berufsgruppen, um einen möglichst adäquaten Durchschnitt erzielen zu können.

Weiterhin sollen Thesen von Tönnies, Simmel und Rousseau[9], die den Standpunkt „Frauen sind, Männer müssen werden“ vertreten, die Basis meiner Untersuchungen darstellen. So äußert sich Rousseau zum Thema: „In Bezug auf die Folgen der geschlechtlichen Beziehung gibt es zwischen den beiden Geschlechtern keine Gleichheit. Der Mann ist nur in gewissen Augenblicken Mann, die Frau aber ihr ganzes Leben lang Frau. (...) Alles erinnert unaufhörlich an ihr Geschlecht.“[10]

Goffmans Äußerung zum Geschlechterverhalten soll zugleich Grundlage und Diskussionsansatz für die Untersuchung der Werke Scorseses sein: „Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht ist die wichtigste Quelle der Selbstidentifikation. Geschlecht ist die Grundlage des zentralen Codes, demgemäß soziale Interaktion und soziale Strukturen aufgebaut sind.“[11] In diesem Zusammenhang richtet sich die Arbeit an folgende Fragestellung: Was tut der Mann, um zu männlich sein? Welche Orte und Verhaltensweisen beansprucht er für sich? Welche Rituale werden von Männern selbst als „männlich“ konnotiert?

Jedoch soll schon an dieser Stelle bemerkt werden, daß die Begriffe „weiblich“ und „männlich“ in diesem Rahmen von der Autorin in einem rein patriarchalischen Sinne verstanden und verwandt werden. Die Wichtigkeit des Zusammenhangs zwischen den Geschlechterrollen soll verdeutlicht und die vom Mann getroffene Definition der Männlichkeit gegenüber der Frau beschrieben werden. Dadurch wird auch die Darstellung der Rolle der Frau in Scorseses Filmen notwendig.

Durch die Komplexität des gewählten Themas war es nicht möglich, sich nur auf einige von Scorseses Filmen zu beschränken, da sich das dort dargestellte Männerbild stetig wandelt, ebenso wie das Bild der Frau. So wurde sich entschieden, all die Filme zu besprechen, in denen das Topos Männlichkeit verstärkt auftritt. Hinzu kamen einige Vergleichsbeispiele aus kulturell oder gesellschaftlich veränderter Perspektive, z.B. „Kundun“ und „Alice doesn’t live here anymore.“ Bewußt verzichtet wurde auf den Film „The last Temptation of Christ“, da die Wahl des Protagonisten, Jesus Christus, stark von dem in der Arbeit behandelten Männerbild abweicht.

II. Kurzbeschreibung der Männlichkeitsformen

1. Die traditionsgebundene Familienmännlichkeit der Italowerke

Die Grundzüge der italienischen Männlichkeit – „Italianamerican“ und „It’s not just you, Murray“:

Die Italowerke Scorseses „Italianamerican“, „It’s not just you, Murray“, „Who’s that knocking on my door?“, „Mean Streets“ und „Goodfellas“ stellen eine patriarchalische Männlichkeit dar, die stark vom Katholizismus geprägt ist. In „Italianamerican“ wird diese Männlichkeit ganz deutlich durch Scorseses Vater vertreten und erhält dadurch einen gewissen Authentizitätswert. „My line is coming home from work and eat“, erzählt Mr. Scorsese, während seine Frau in der Küche Pasta kocht und ihr Rezept verrät. Die Rollenverteilung ist klar: Der Mann ernährt die Familie, die Frau organisiert den Haushalt.

In „It’s not just you, Murray“ kommt ein weiterer wichtiger Punkt der italienischen Männlichkeit hinzu. Der Film zeigt, was es heißt, sich als Mann in Mafiastrukturen zu bewegen. Wichtig ist ein tadelloses Äußeres: Anzug, Krawatte und Schuhe sind nur vom Feinsten. Das Geschäft ist illegal, doch es verschafft Macht. Die Mutter weiß nichts von den Machenschaften des Sohnes, sorgt sich aber fortlaufend um sein leibliches Wohl. Weiterhin wird deutlich, daß das Geschäft die Freundschaft überwiegt: Der Gefährte kann zum Feind werden.

Glaubensgebundene Männer werden zum Retter – „Who’s that knocking on my door?“ und „Mean Streets“:

In „Who’s that knocking on my door?“ wird die traditionsgebundene Männlichkeit hervorgehoben. J.R. kann nicht aus seiner Haut, er fordert die Jungfräulichkeit der Frau vor der Ehe und hat somit große Schwierigkeiten, eine normale Beziehung aufzubauen. In diesem Film wird deutlich, wie einschränkend Traditionsgebundenheit sein kann. J.R.’s Glauben wird zum Hindernis, seine Tradition zum Gefängnis. Um mit dem Gedanken zurecht zu kommen, daß „seine“ Freundin von einem anderen Mann sexuell besessen wurde, und um seine Eifersucht, aber auch seine sexuelle Unsicherheit zu kompensieren, stellt er sich als Vergeber und Retter dar.

In „Mean Streets“ wird die Glaubensgebundenheit weitergeführt. Charlie ist wie J.R. ein Gefangener seiner Religion. Er verkörpert die Sünder/Büßer-Mentalität. Seine uneheliche Beziehung zu Teresa bereitet ihm ein schlechtes Gewissen, und so erlegt er sich selber Buße auf. Er will leiden. Das tut er, indem er sich um Johnny Boy kümmert, der in diesem Fall die jugendliche „Draufgängermännlichkeit“ verkörpert. Er hat keine sexuellen Komplexe und richtet sich nach keinerlei Konventionen. Die Probleme der anderen sind ihm gleichgültig, selbst, daß sein Schuldner Michael ihm ernsthaft droht, kümmert ihn wenig. Arbeiten ist ihm zu lästig, Verantwortungsgefühl kennt er nicht.

Charlies Onkel Giovanni ersetzt dessen leiblichen Vater und kümmert sich um die Zukunft seines Neffen. Michael verkörpert den kalten Geschäftsmann, den Freund, der zum Feind wird. So schlägt er eine Brücke zu „Goodfellas“. Zu Beginn des Films wirkt er leicht naiv und tolpatschig, seinen Drohungen gegenüber Johnny Boy schenkt niemand Glauben. Am Ende jedoch macht er sie auf eine sehr radikale Art und Weise wahr.

Die letzten „Überbleibsel“ der Jugendbanden – „Goodfellas“:

„Goodfellas“ verkörpert eine Männlichkeit, die sich vor allem über das Geschäft definiert und ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft aufweist, um dieses zu verteidigen. Luxus gehört zum Leben Henry Hills und seiner Freunde. Jeder, der sein Geld auf „normale“ Weise verdient, ist in ihren Augen eine „Null“, „so gut wie tot“ und damit auf keinen Fall ein richtiger Mann.

In diesem Film muß Hill erleben, wie seine Männlichkeit, die stark an sein Umfeld und das Geschäft gebunden ist, durch eine Überbewertung dieser Faktoren zu Grunde geht. Hier wird deutlich, wie unsicher Freundschaften sind, deren Basis das Geschäft bildet.

Allen Filmen gemeinsam ist die Tatsache, daß der Mann als Patriarch imstande sein muß, seine Familie zu schützen und zu ernähren, gelingt ihm das nicht, gilt er als unmännlich. Die Entwicklung der Filme läßt sich mit der Schlagzeile „Von der Jugendbande zum Einzelkämpfer“ beschreiben. Immer mehr werden die Freunde der Familie zu Feinden, am Schluß ist der Mann auf sich alleine angewiesen. Die Großfamilie ist zerbrochen.

2. Weg von der Familie und der Tradition: Einzelkämpfer

Die „Werbungsmännlichkeit“- „Casino“:

„Casino“ vertritt die in „Goodfellas“ aufgezeigte Geschäftsmännlichkeit in verstärkter Form, wobei diese hier als „Werbungsmännlichkeit“ bezeichnet werden soll. Sam Rothstein hat all das, was einen Mann in der heutigen Werbung als erfolgreich auszeichnet: Einen guten Job, viel Geld und Einfluß, ein großes Haus, eine hübsche Frau und ein Kind. Rothstein hält die Fäden in der Hand, wer sich ihm in den Weg stellt, wird eliminiert. Er gehört zu der modernen Gattung der „Workoholics“, die über ihre Karriere hinaus ihre Familie vergessen. Für ihn zählt nur der Besitz, die Familie wird zum Eigentum. Seine Frau Ginger „bezahlt“ er mit Schmuck, nicht mit Liebe. Die Werbungsmännlichkeit verlangt, daß im Haushalt alles in geregelten Bahnen verläuft, ohne daß sie sich gezwungen sieht, auch etwas dafür zu tun. Der Job hat Priorität, der Rest muß sich von alleine erledigen. Diese Männlichkeit ist einsam. Alleine kämpft Rothstein gegen inkompetente Angestellte, Falschspieler, die Glücksspielkommission und gegen seine Familie. Er hat keine wahren Freunde, selbst Nicky mißtraut er.

Außenseiter mit Mission – „Taxi Driver“:

Travis Bickle ist ein Außenseiter und findet weder im Job noch im Privatleben Freunde. Sein Versuch, eine Beziehung aufzubauen, scheitert an seiner sozialen Unfähigkeit und seiner Unsicherheit. Er ist enttäuscht, reagiert aggressiv und flüchtet in eine Phantasiewelt, um seine Einsamkeit und seine Frustration zu kompensieren. In dieser Welt macht er sich zum Retter mit staatlicher Mission, deren „Ziel“ er in der Rettung von Iris sieht, einer minderjährigen Prostituierten, die jedoch kein großes Interesse an Travis heldenhaftem Gehabe zeigt. Doch Bickle erkennt diese Tatsache nicht. Er kauft sich Waffen, trainiert seinen Körper, übt provokative Posen vor dem Spiegel und verpaßt sich eine Kampffrisur. In seiner Phantasie ist er der Held, Iris die Prinzessin. Er verkörpert den Einzelkämpfer, dessen Mission es ist, das Gesindel auszumerzen und das zu tun, wovor andere zurückschrecken.

Künstler mit Mission – „King of Comedy“:

„King of Comedy“ beschreibt ebenfalls einen „Einzelkämpfer“, jedoch einen unfreiwilligen. Rupert Pupkin muß dem Rest der Welt beweisen, daß er komödiantisches Talent hat. Auf seinem harten Weg lebt auch er oft in einer Phantasiewelt, in der er in großen Fernsehshows auftritt und vom Publikum gefeiert wird. So läßt er in seinem Streben keine Gelegenheit aus, sein Talent unter Beweis zu stellen, und da dies auf legalem Wege nicht mehr möglich ist, wählt er den illegalen. Dabei fehlt auch ihm die Frau an seiner Seite. Die findet er in Rita, der er ein besseres Leben verspricht. Seinen Plan läßt er sich nicht ausreden. Er ist der „King“, er braucht seine „Queen“, die jedoch, ähnlich wie Iris in „Taxi Driver“, überhaupt nicht den Wunsch verspürt, aus ihrem jetzigen Leben befreit oder gerettet zu werden.

Der ewige Retter – „Bringing out the dead“:

„Bringing out the Dead“ zeigt die ausgeprägteste Form einer Rettermännlichkeit. Frank ist Sanitäter in New York City und verbringt jede Nacht damit, Leben zu retten. In Rückblicken wird klar, daß ihm das nicht immer gelingt: die 18-jährige Rose stirbt durch sein Versagen. Um gegen seine Schuldgefühle anzukämpfen, versucht er krampfhaft, jeden am Leben zu erhalten. Dabei trifft er allerdings auch auf Menschen, deren Wunsch es ist, zu sterben. So im Fall von Patrick Burke, den Frank bei einem Herzanfall vor dem Tod bewahrt, den jedoch im Krankenhaus ein qualvolles Weiterleben durch Maschinen und ständiges Defibrilieren erwartet. Am Ende erkennt er, daß der Qual des Mannes ein Ende gesetzt werden muß, und befreit ihn von den lebenserhaltenden Maschinen. Obwohl man in diesem Fall von einer Art Erkenntnis sprechen könnte, darf nicht übersehen werden, daß er erneut der Retter ist, vielleicht mehr als zuvor: Er ist Herr über Leben und Tod.

Der verunsicherte Kämpfer – „Raging Bull“:

Jake LaMotta ist ebenfalls ein Einzelkämpfer. Seine Männlichkeit scheint durch seine ausgeprägte Muskulatur und die Erfolge im Kampf offensichtlich, doch ihm reicht das nicht aus. Er leidet unter Minderwertigkeitskomplexen und einer daraus entstehenden starken Eifersucht, die in Paranoia umschlägt. So ist auch er einsam, denn er traut keinem Menschen, weder den Leuten aus der Nachbarschaft noch seinem eigenen Bruder. Ständig kämpft er gegen seine „Entmännlichung“ an. Am Ende verliert er den Kampf und die Personen, die er am meisten liebt.

Künstler und ungewollte Vaterfigur – „Life Lessons“:

Ähnlich wie LaMotta benötigt auch Lionel Dobie außerberufliche Anerkennung. Auf der Suche nach Liebe stellt der erfolgreiche Maler immer wieder junge Assistentinnen ein, die er ausbildet. Er ist ihr Mentor und Sponsor. Dobie bietet seiner Schülerin Paulette eine Menge, und er ist sich dessen bewußt. Dabei scheint sein Selbstbewußtsein eben aus dieser Abhängigkeit der Frau von ihm zu entspringen. Die Bewunderung und Liebe seiner Assistentin bestätigen ihn erst richtig in seiner Männlichkeit, die Paulette jedoch in Frage stellt, indem sie beschließt, die Beziehung zu ihm zu beenden, und sich einen neuen Freund sucht.

Dobie verkörpert schon alleine durch seine physische Erscheinung eher eine Vaterfigur. Als seine Assistentin mit Männern ihres Alters anbandelt, reagiert er eifersüchtig und benimmt sich wie ein pubertierender Junge. Sie verläßt ihn endgültig, und er bietet einem anderen jungen Mädchen die Assistentenstelle bei sich an.

Der exzentrische und neidische Künstler – „New York, New York“:

Jimmy versteckt seine sensible und ängstliche Seite hinter aggressiver Männlichkeit. Er definiert sich über das, was er am besten kann: Saxophon spielen. Als Einzelkämpfer fällt es ihm schwer, sich der Band anzupassen. So kommt es ihm gerade gelegen, daß er nach Frankies Weggang der Bandleader wird. Von seiner Frau Francine fühlt sich Jimmy ständig bedroht, sei es durch ihr Einzählen der Band bei den Proben, durch ihre Schwangerschaft oder durch die Unabhängigkeit, die sie beweist, als sie ohne ihn nach New York zurückkehrt und dort große Erfolge feiert. Jimmy kann nach ihrem Weggang keinen Erfolg mehr mit der Band verbuchen und sieht sich gezwungen, diese aufzugeben. Er spielt auf kleinen Bühnen in Harlem und eröffnet schließlich einen eigenen Club, schafft es jedoch nie, an den Ruhm seiner Frau heranzukommen. An seinem Neid zerbricht die Ehe.

Patriarchalische Männer im Frauenfilm – „Alice doesn’t live here anymore“:

Männer besetzen in diesem Film nur Nebenrollen, für die Entfaltung ihrer Männlichkeit bleibt nicht viel Raum. Dennoch verdeutlicht sich schnell, daß Donald und Ben dem hegemonialen Männlichkeitsbild zuzuordnen sind und die Frau als Besitz betrachten, während David bereit ist, Alice Zugeständnisse zu machen und sich somit von dem üblichen bei Scorsese beschriebenen maskulinen Verhalten abhebt.

3. Aufeinandertreffen zweier Männlichkeitstypen

Krieger trifft auf Geschäftsmann – „Cape Fear“:

Max Cadys Körperlichkeit in „Cape Fear“ ist ein unübersehbarer Ausdruck seiner Männlichkeit. Jeder Muskel, jede Sehne zeichnet sich ab. Die Tätowierungen gleichen einer Kriegsbemalung und unterstreichen somit seine Kämpfermentalität.

Ganz anders dagegen wirkt sein Gegenspieler Sam Bolden, der eher der Kategorie „Werbungsmännlichkeit“ angehört. Er ist Anwalt, besitzt ein großes Haus, fährt ein schickes Auto, hat eine schöne Frau und eine schöne Tochter. Er wird als schwankende Persönlichkeit dargestellt, die Probleme im Beruf und in der Ehe hat. Seine Familie wird von dem Exsträfling belästigt, seine Tochter von ihm gewissermaßen verführt. Cady schafft es, für Daniele eine Art Vater und Freund zu werden, etwas, was Sam bisher nicht geschafft hat; damit scheint er ihn in gewissem Sinne zu kastrieren. Hinzu kommt, daß Cady sich im Laufe seiner Gefängnisjahre enormes juristisches und auch biblisches Wissen angeeignet hat, was ihn nicht bloß als „Muskelprotz“ erscheinen läßt, sondern ihn somit zu einer Autorität macht, die sich auf rhetorischer und intellektueller Ebene mit Sam messen kann.

Das Aufeinandertreffen der beiden Männlichkeiten wirft die Frage auf, ob und wie Sam es schaffen wird, sich gegen eine so offensichtliche Männlichkeit wie die Cadys zu wehren und seine Familie vor ihm zu schützen. Der Anwalt muß zum Kämpfer werden. Die Schlacht wird dabei nicht auf rhetorischer, sondern immer auf der körperlichen Ebene ausgetragen.

Rebell trifft auf Softie – „Boxcar Bertha“:

Der Gewerkschaftler Big Bill Shelley ist nicht länger gewillt, die Ausnutzung der Lohnarbeiter hinzunehmen. Er entfacht eine Revolution, in der seine Rolle jedoch stark verblaßt: Er überläßt den anderen das Kämpfen, während er sich mit Bertha zurückzieht. Big Bill möchte die Revolution voranzutreiben, muß jedoch zum Gebrauch der Waffe geradezu überredet werden und reagiert beleidigt, als die Zeitung ihn als „Kriminellen“ darstellt. Das Leben auf der Flucht sagt ihm in keiner Weise zu. Ganz anders dagegen Rake: Er wird als Yankee eingeführt und gilt zunächst als „Softie“. Bertha muß ihm zu Hilfe kommen, und auf der Flucht erweist sie sich eindeutig als die Geschicktere und Schnellere. Doch schon bald findet Rake Gefallen am Leben als Rebell. Im Gegensatz zu Big Bill zögert er nicht, von der Waffe Gebrauch zu machen. Als die Gruppe bei einem ihrer Überfälle von der Eisenbahngesellschaft überrumpelt wird, ist Rake der einzige, der sich nicht ergeben will. So stirbt er einen „Märtyrertod“. Der „Softie“ ist zum Kämpfer geworden.

Vater trifft Sohn: die eitle Männlichkeit trifft auf den Draufgänger – „Farbe des Geldes“:

Eddie Felson, ein ehemals sehr erfolgreicher Billardspieler, verdient mittlerweile sein Geld als Schnapsvertreter. Als er Vincent Lauria trifft, einen jungen und sehr begabten Poolspieler, sieht er eine Chance, mit ihm das große Geld zu machen. Er geht mit ihm und dessen Freundin Carmen auf „Tour“, um den Jungen für das große Turnier in Atlantic City vorzubereiten. Vincent ist hochbegabt, aber angeberisch und ein Draufgänger. Es fällt ihm schwer, zu verlieren. Eddie bringt seinem Schützling die nötigen Tricks bei, die man im Profi-Billard kennen muß. Zwischen den beiden Männern entsteht eine Art Vater-Sohn-Beziehung, die jedoch nicht immer ganz konfliktfrei verläuft. Als Eddie merkt, daß Vincent ihn spielerisch übertrifft (im übertragenen Sinne: der Sohn schlägt den Vater), fühlt er sich gekränkt und verläßt das Pärchen. Seine Eitelkeit ist getroffen, er kann nicht zusehen, wie sein „Sohn“ ihn überholt. Felson beginnt wieder zu spielen. Sein Ziel ist es, Vincent zu schlagen.

Softie wagt Ausflug in die Männlichkeit – „After Hours“:

Paul Hackett hat einen eher langweiligen Job als Programmierer und scheint im Umgang mit Frauen keine Erfahrung zu haben. Somit verkörpert er die Art von Mann, die Henry und seine Freunde aus „Goodfellas“ als „Null“ bzw. „Niemand“ bezeichnen. Als er Marcy kennenlernt, die ihn in das Künstlerviertel nach Soho einlädt, ist er Feuer und Flamme. In der Aussicht auf eine Liebesnacht sieht er die Chance, wenigstens für kurze Zeit ein „richtiger Mann“ zu sein. Seine Erwartungen werden jedoch enttäuscht. Die Nacht in Soho und der damit verbundene Schrecken läßt sich als „gescheiterter Ausflug in die Männlichkeit“ bezeichnen. Schon nach wenigen Stunden ist Paul ein nach Hilfe suchender Flüchtender, der von bedrohlichen Frauen verfolgt wird, die alle, im übertragenen Sinne, nur das eine wollen: seine Kastration. Je mehr er sich nach mütterlicher Geborgenheit sehnt, umso mehr wird er enttäuscht. Als er am nächsten Morgen durch Zufall vor den Toren seiner Arbeitsstelle steht, ist klar, daß er niemals wieder einen solchen „Ausflug in die Männlichkeit“ wagen wird.

4. Untypische Männlichkeiten

Die Macht der Frau und verweiblichte Männer – „Time of Innocence“:

In diesem Film wird ein bisher nicht dagewesenes Männerbild gezeigt. Es scheint, als entstünde hier eine Umkehrung der Rollen. So nimmt beispielsweise die Großmutter Mingott die Rolle eines „Paten“ ein. Sie wird von allen respektiert, von ihr holt man sich Rat, sie hat die Beziehungsfäden in der Hand und weiß, wie man Streit schlichtet. Sie lebt ohne Mann in einem großen Haus, jedoch freiwillig, denn „Wenn Mrs. Mingott an einem Liebhaber interessiert gewesen wäre, hätte diese furchtlose Frau ihn sich auch genommen. , so heißt es in der Voice Over. Die Männer werden eher mit weiblich konnotierten Eigenschaften beschrieben: Julius Beaufort heiratet, um sich eine gesellschaftliche Stellung zu sichern, Laurence Lefferts ist die „erste Autorität, wenn es um die Beurteilung heimlicher Liebschaften“ geht und Siliton Jackson trägt „ein ganzes Verzeichnis von Skandalen und Geheimnissen“ mit sich herum. Archer Newland scheint sich zunächst von dieser Art Männer abzuheben, doch als er sich in Gräfin Olenska, die Cousine seiner Frau, verliebt, wird deutlich, daß auch er nicht den Mut besitzt, aus den Konventionen auszubrechen. Seine Angst vor gesellschaftlichem Ausschluß ist zu groß, als daß er sich vollends zu ihr bekennen würde. So beginnt er ein feiges Doppelleben. Er scheint wie alle anderen männlichen Protagonisten dieses Films unter der „Fuchtel“ der Frauen zu stehen, welche ihre Waffen geschickt einzusetzen wissen.

Durch die Religion geregelte Männlichkeit – „Kundun“:

Kundun stellt, was die Männlichkeit betrifft, eine Ausnahme in den Werken von Scorsese dar. Man könnte hier von einer souveränen Männlichkeit sprechen, da sie nicht willentlich oder verbissen konstruiert, sondern als gegeben vorausgesetzt wird. „Mann sein“ wird nicht thematisiert. Die typisch männlichen Räume und Rituale, wie sie sich in allen anderen Werken aufzeigen lassen, sind hier nicht zu finden. Es existieren Rituale, die die Religion explizit vorschreibt und die somit auch von Frauen bedingungslos akzeptiert werden. Durch die strenge Regelung bleibt kein Raum mehr zur Konstruktion einer Männlichkeit bzw. ist eine solche Konstruktion in diesem Fall auch gar nicht nötig. Allerdings wachen die Männer über die Einhaltung der Regeln, eine Verletzung zeigt die Infragestellung der für die Männer vorbehaltenen Rechte.

III. Die homosoziale Gruppe –

Homoerotik, Homophobie und männliche Initiation

Es fällt auf, daß die männlichen Protagonisten die meiste Zeit mit anderen Männern verbringen. Dies kann aus beruflichen Gründen sein, in den meisten Fällen ist es aber ein gewollter Zusammenschluß. Deshalb ist es wichtig, auf die homosoziale Gruppe und ihre Bedeutung für die männlichen Charaktere einzugehen.

Aus der Literatur kristallisiert sich heraus, daß die homosoziale Gruppe folgende Faktoren beinhaltet:

1. die habituelle Sicherheit und Geborgenheit
2. die Erstellung eines geschlechtsspezifischen Männlichkeitkonzeptes durch das Aufstellen von eigenen Regeln und Ritualen
3. der Gruppenzwang, nach diesen Ritualen zu leben
4. die gefährliche Sicherheit, da die Konzepte nur innerhalb der Gruppe gelten
5. die Kontraproduktivität in der Kommunikation mit dem anderen Geschlecht

Immer wieder läßt sich der Wunsch nach zeitweise „reflexionsfreier“ Männlichkeit ablesen. Peter Wahl spricht in seinem Aufsatz „Wenn die Jungs mal loslegen“[12] von der Wichtigkeit der Männercliquen. Er betont, daß vor allem männliche Heranwachsende auf Cliquen angewiesen sind und sie als spezifisch männliche Orte gestalten, in denen in „kontrollierter“ Nähe Gemeinschaft erlebt wird, Abwechslung und Anregung durch soziale Aktivitäten wahrgenommen und Männlichkeitsentwürfe überprüft werden. Wahl weist auf die „kulturzentristische“ Bestimmung und Organisation solcher Männercliquen hin, die auf diese Weise das Bedürfnis des einzelnen Jugendlichen und Heranwachsenden erfüllen, sich zu definieren. Die Gruppen sind geprägt durch die Ambivalenz von Macht und Ohnmacht, durch das Nebeneinander von Überlegenheitsgefühlen, Stärkedemonstrationen und Unterwerfung unter scheinbar nicht beeinflußbare Strukturen. Homosoziale Männercliquen beinhalten aber auch die Form eines Katalysators für individuell eingebrachte Bedürfnisse nach spannenden, Abwechslung bietenden Erlebnissen in Form von Grenzüberschreitung und Bewährungsproben.

Dieser Gruppenform liegt eine gewisse Abwehr von Forderungen und Ansprüchen zugrunde, wie sie Frauen an Männer stellen. Oft fühlen sie sich in ihren Intentionen von den Frauen mißverstanden. Die homosoziale Welt ermöglicht ein Zusammenleben in reflexionsfreier Geschlechtlichkeit, in der die Männer die autonome Kontrolle haben, und stellt somit einen wesentlichen Faktor der habituellen Sicherheit dar. Bei Meuser bestätigen einige Männer, daß die bloße Anwesenheit einer Frau einen gewissen Druck erzeuge, sich zu kontrollieren und zurückzuhalten[13]. Ohne Frauen entfällt dieser Druck und erlaubt den Mitgliedern, auf „ihre“ Weise zu kommunizieren. Die Gruppe dient dazu, Verunsicherungen aufzufangen und diese zu kompensieren. Sie stellt somit einen Schutzraum dar, in dem ein sicheres Auftreten ermöglicht wird, allerdings im Rahmen selbst konstruierter Maßstäbe. Die Freiheit von bürgerlichen Konventionen, das proletenhafte Benehmen, ist ein wichtiger Bestandteil männlicher Selbstinszenierung. „Im Rudel sind wir unerträglich“[14], bestätigt eines der Mitglieder . Dabei betonen alle Diskussionsteilnehmer, daß sie außerhalb der Gruppe auf ein solches Benehmen verzichten. Obwohl die homosoziale Gruppe die Männer von dem Unterfangen abhält, eine Frau kennenzulernen, versuchen sie es dennoch auf diese Weise. Ohne die Sicherheit der Gruppe hingegen fehlt ihnen der Mut. Das gemeinsame Auftreten in der Gruppe ist laut und auffällig und verhält sich kontraproduktiv, was das Ziel, in diesem Fall die Frau, anbelangt. Das Wissen um die negative Wirkung des Auftretens in der Gruppe begünstigt jedoch nicht folglich eine Änderung. „Wenn’s mal n guter Abend ist, dann kommt ne Frau vorbei und die wird dann erstmal ganz hart angepröllert (...) und die geht dann wieder nach Hause.“[15], erzählt eines der Gruppenmitglieder bei Meuser.

Durch das negative Auffallen bei Frauen sind die Mitglieder um so mehr aufeinander angewiesen, was zwar das Zugehörigkeitsgefühl untereinander stärkt, zugleich aber schon zum „Gruppenzwang“ hin tendiert. Wer sich nicht den Ritualen entsprechend verhält, wird als Außenseiter betrachtet, was einer Abwertung der Männlichkeit gleichkommt. Diese Abwertung übernehmen die Männer in ihr Selbstbild: „Die ham gleich gemerkt, daß ich ein Muttersöhnchen war (...) daß ich nicht richtig Mann bin.“[16] In jeder Diskussion bei Meuser, stellt sich die homosoziale Gruppe als Fokus männlicher Selbstdefinition dar. Es scheint, als habe man sich besonders hier als Mann zu beweisen. Die Clique wird zu einer Validierungsinstanz der Männlichkeit, die der weiblichen Vorstellung in keiner Weise zu entsprechen scheint. So kann man von der Konstruktion einer bestimmten Maskulinität sprechen, die nur innerhalb dieser homosozialen Gruppe Anerkennung findet. Hier zeigt sich das Problem: Die Clique ist nicht immer Stütze der männlichen Selbstidentifikation, sondern kann sich auch problemverschärfend auswirken. Man muß „seinen Mann stehen“, sonst droht die Entwertung durch die anderen. Auf der einen Seite werden Beziehungen zu Frauen als „unmännlich“ bewertet, („Dann biste wieder der Schlappheini, den die Frau wieder in der Knute hat.“[17] ), auf der anderen Seite Beziehungen zu Männern aber völlig abgelehnt. Die Sicherheit, welche die Gruppe den Männern vermittelt, entfällt, sobald der einzelne die schützende Sphäre der homosozialen Welt verläßt.

Wie wichtig diese Bereiche sind, wird auch in den Filmen von Scorsese deutlich. Daher gilt es zu untersuchen, wie die Männer untereinander ihre Männlichkeit definieren und was ihnen die Clique bedeutet. Da bereits in der Einleitung klargemacht wurde, daß es sich vor allem in den Italowerken um „Gruppen- und Familienmännlichkeit“ handelt, werden diese Filme im Folgenden genauer auf das Phänomen des homosozialen Raums untersucht.

In „Who’s that knocking on my door?“ entspringt ein Großteil des maskulinen Selbstbewußtseins aus der Gruppe. Besonders bei J.R. wird dies deutlich. Innerhalb des Freundeskreises gibt er sich selbstsicher und betont männlich : „Sag mal, sollen wir den ganzen Abend herumsitzen und quatschen?“, fragt er seinen Freund Sally auf einer Party. In seinem Buch „Männlichkeit und Gewalt“ schreibt Gottschalch: „Männer glauben leicht, weniger auf Sprache angewiesen zu sein als Frauen, (...) denn Sprache ist die Ausdrucksform der Schwachen.“[18]

Die italienischen Jungen holen ein paar „Miezen“ von der Straße, erlauben sich Scherze mit ihnen, um sie schließlich, unter großem Gelächter aller so weit zu bringen, daß sie empört das Haus verlassen. Daß das eigentliche Ziel, die Befriedigung der sexuellen Triebe, dabei nicht erreicht wird, stört niemanden. Richtiges Feiern scheint nur ohne Frauen möglich. Bei Theweleit bestätigt sich das: „Die ganze Kolonie würde sich versammeln, ohne Damen, Gott sei Dank, denn es sollte barbarisch gefeiert werden.“[19]

Ein weiterer wichtiger Faktor, der in diesem Film deutlich wird, ist die Festlegung der Hierarchie in der Männergruppe. Einer der Partygäste bedroht Sally Gaga mit einem Revolver. Die anderen jubeln ihm zu und lachen über Sallys verängstigtes Gesicht. Trotz des offensichtlichen Spaßes dient diese kleine Szene der Machtdemonstration und verdeutlicht, wer der Stärkere ist. Wenn es um das Herumalbern und sich Betrinken geht, ist J.R. in seinem Element. Im Umgang mit dem Mädchen allerdings zeigt er große Unsicherheit. Hier zählen andere Werte der Männlichkeit als in der homosozialen Gruppe. Seinem maskulinen Bewußtsein scheint die Basis entzogen. „(...)Alleine machste das Maul nicht auf. Also ich sprech, wenn ich alleine bin, nicht unbedingt ne Frau an.“[20], bestätigt einer der Gruppenmitglieder dieses Phänomen.

In „Mean Streets“ spielt die homosoziale Gruppe ebenfalls eine wichtige Rolle. Tony, Charlie und Johnny Boy sind eine fest aufeinander eingeschworene Gemeinschaft. Ausgelassene Parties sind auch hier nur ohne Frauen möglich. Derbe Ausdrucksformen („Arschficker“, „Wichser“, „Fotze“ etc. ) beherrschen die Sprache der Männer. In der Gesellschaft von Teresa verliert Charlie sichtlich sein Selbstbewußtsein. Ständig fühlt er sich von der jungen Frau bedroht. Sie nimmt seine hypermaskuline Art, die er ihr gegenüber an den Tag legt, nicht ernst und gefährdet somit seine Identität als Mann.

In „Goodfellas“ wird die homosoziale Gruppe neu definiert. Sie dient nach wie vor als Refugium, beruht aber zum größten Teil auf Geschäftsbeziehungen. Im Verlauf des Films wird klar, daß von „Männerfreundschaften“ im Sinne von „Who’s that knocking on my door?“ nicht mehr die Rede sein kann. Freunde entpuppen sich als Feinde. „Deine Mörder kommen als deine Feinde, als die Leute, die dich schon dein ganzes Leben lang kennen.“, so Henry. Die homosoziale Gruppe besitzt hier starken Exclusivitätscharakter, denn ihre Mitglieder definieren ihre Männlichkeit über ihre illegalen Geschäfte. Wer „nichts drauf“ hat, ist eine „Null“ und darf auch nicht dazugehören. Am Beispiel von Thommy wird deutlich, wie sehr die Gruppe zur Validierungsinstanz der Männlichkeit werden kann. Die Clique ist für ihn ein Forum, in dem er mit seinen übertriebenen Heldengeschichten Anerkennung findet. Immer wieder versucht er, seine Dominanz unter Beweis zu stellen: „Hat er gezittert, Frankie?“, fragt er, nachdem er Henry mit strengen Fragen in die Enge getrieben hat. Das Lachen der Gruppe bestätigt ihn. Als der Wirt der Bar ihn vor versammelter Mannschaft auf die noch offenen Rechnung anspricht, muß er seine angegriffene Maskulinität verteidigen: „Du weißt wohl nicht, wen du hier vor dir hast, du Anfänger“, sagt er und beginnt, sein Gegenüber zu schlagen. Die Anfeuerungsrufe der Gruppe bestätigen ihn erneut. Die Angst vor der Entwertung durch die anderen Männer wird in der Szene deutlich, in der Billy Thommy auf seine Vergangenheit als Schuhputzer anspricht: „Bei dem glänzten die Schuhe wie Fickspiegel. Thommy fühlt sich in seinem Selbstbewußtsein angegriffen: „Hier sind ne Menge Leute, die das mitkriegen. Die Angst schlägt in unverhältnismäßige Aggression um. Thommy sieht sich genötigt, seine männliche Ehre zu verteidigen und tötet Billy. Dies ist nicht das einzige Mal, daß er aus Angst vor Entwertung durch die anderen soweit geht, jemanden umzubringen. Als Spider, ein junger Kellner, den Thommy durchgehend vor der Gruppe demütigt, sich wehrt und ihn vor allen Gästen beleidigt, zeigt dieser zunächst keine Reaktion. Doch Jimmy weiß ihn zu provozieren: „Thommy, du läßt ihn ungestraft davonkommen? Du läßt das ungestraft durchgehen? Was wird aus dieser Welt ? Jimmys Fragen beinhalten eine potentielle Entwertung der Männlichkeit bei Nichtagieren. Also erschießt Thommy den Jungen: „Gut so, oder was?“ fragt er auffordernd. Jimmy zeigt sich entsetzt, doch Thommy verteidigt sich: „Woher soll ich wissen, daß du Spaß machst?“ Jimmys Fragen haben eine sofortige Verteidigungsreaktion in ihm hervorgerufen.

Derbe Ausdrucksformen bestimmen auch in diesem Film die Sprache der Männer. Allerdings gilt es hier zu unterscheiden zwischen den harmlos-derben Ausdrucksformen unter Freunden und den Schimpfwörtern in der Funktion einer Warnung oder gar Beleidigung. Es scheint eine festgelegte Regel, wer was zu wem sagen darf, die nur Beteiligten kennen. Wer sie mißachtet oder nicht kennt, wird umgelegt.

In „Goodfellas“ wird deutlich, wie sehr Thommys männliches Selbstbewußtsein von der Bestätigung der Gruppe abhängt und wie unsicher es damit ist. Diese Unsicherheit macht ihn gefährlich. Er ist bereit, bis zum Äußersten zu gehen, um Anerkennung zu erlangen. Seine männliche Ehre ist ihm dabei wichtiger als ein Menschenleben. Vielmehr scheint es so, als sei sie seine Existenzberechtigung.

In „Raging Bull“ muß zwischen zwei Formen der homosozialen Gruppe unterschieden werden: Die Gruppe der Nachbarschaft gleicht einer unangenehmen Validierungsinstanz, in der Jake ständig das Gefühl hat, seine Männlichkeit verteidigen zu müssen. Er ist besessen von der Angst, daß die Angehörigen dieser Gruppe ihm seine Frau ausspannen könnten. Ihnen gegenüber gibt er sich selbstsicher und hypermaskulin: „Ich werde ihm den Arsch so weit aufreißen, wer schwul ist, kann ihn vergessen“, gibt er angesichts seines anstehenden Kampfes gegen Janiro bekannt. Im Kreise seiner Betreuer dagegen, kann er sich so geben, wie er wirklich ist. An der Schulter seines Masseurs weint er wie ein Baby nach einem verlorenen Kampf. Einer seiner Betreuer kann seine Tränen ebenfalls nicht zurückhalten. Keiner schämt sich der Emotionen, sie sind in diesem Fall kein Grund für eine Entwertung als Mann. Diese Gruppe ist gegenüber der Außenwelt hermetisch abgeriegelt. Auch Frauen haben hier keinen Zutritt. Als Vicky vor der Kabinentür um Einlaß bittet, läßt Jake sie wegschicken. Die Emotionen, die hier ausgelebt werden, sind nur für die Augen der Männer bestimmt.

[...]


[1] Stern, S.27

[2] Orthmann, S.197f.

[3] Die griechische Göttin Gaia gebiert den Himmel und ist damit die Mutter des gesamten Titanengeschlechts.

[4] nachzulesen bei Lerner, S.256

[5] Orthmann, S.324

[6] nachzulesen bei Lerner, S.38

[7] Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. 1979, S9f.; nachzulesen bei Meuser, S.29

[8] Meuser, 1998

[9] nachzulesen in: Meuser, S.28ff

[10] Meuser, S.34

[11] nachzulesen in Meuser, S.70

[12] nachzulesen in Kersten, J. und Steinert, H. S.80

[13] Meuser, S.217

[14] Meuser, S.219

[15] Meuser, S.286

[16] Meuser, S.227

[17] Meuser, S.228

[18] Gottschalch, S. 29

[19] Killinger, 1939, S.39

[20] Meuser, S.219

Ende der Leseprobe aus 100 Seiten

Details

Titel
Männerbilder bei Scorsese
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Filmwissenschaftliches Institut)
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
100
Katalognummer
V233
ISBN (eBook)
9783638101776
ISBN (Buch)
9783638871631
Dateigröße
772 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Männerbilder, Scorsese
Arbeit zitieren
M.A. Daniela Wolf (Autor:in), 2001, Männerbilder bei Scorsese, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233

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