Die Theorie des Gesellschaftsvertrages und deren wirtschaftspolitische Bedeutung (Rawls, Nozick, Buchanan)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit
2.1 Der hypothetische Urzustand
2.2 Die Rawlsschen Gerechtigkeitsprinzipien
2.3 Die Verwirklichung einer sozial gerechten Wirtschaftsordnung
2.4 Kritische Bemerkungen zu Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit

3 Robert Nozicks Theorie des Minimalstaates
3.1 Der Lockesche Naturzustand
3.2 Die Entstehung einer dominanten Schutzfirma aus dem Naturzustand
3.3 Der Schritt von der dominanten Schutzfirma zum Minimalstaat
3.4 Die Unrechtmäßigkeit staatlicher Umverteilung
3.5 Kritische Bemerkungen zu Nozicks Theorie des Minimalstaates

4 James M. Buchanans konstitutionelle Vertragstheorie
4.1 Der Urzustand und die Begründung des Rechtsschutzstaates
4.2 Die Begründung des Leistungsstaates und das Entscheidungsregel-Problem
4.3 Kritische Bemerkungen zu Buchanans konstitutioneller Vertragstheorie

5 Zusammenfassung der Theorien und der politischen Erkenntnisse

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Gesellschaftsvertragstheoretiker John Rawls, Robert Nozick und James M. Buchanan setzen sich mit der prinzipientheoretischen Legitimation demokratischer Staatsformen und politischer Institutionen auseinander. Die Autoren stehen in der Tradition der Vertragstheorien des 17. und 18. Jahrhunderts, als Autoren wie Hobbes, Locke oder Rousseau sich mit Fragen der staatsrechtlichen Herrschaftslegitimation und Problemstellungen der Staatserrichtung beschäftigten.1

Vor allem John Rawls löste mit seinem 1971 erschienenen Werk „A Theory of Justice“ eine regelrechte Renaissance der Kontrakttheorien aus. John Rawls wurde 1921 in Baltimore geboren und war seit den frühen sechziger Jahren als Philosophieprofessor an der Harvard University tätig. Historisch bezieht er sich sowohl auf antikes und speziell platonisches Gedankengut als auch auf Rousseau und vor allem Kant. Robert Nozick, 1938 in Brooklyn geboren, ebenfalls Philosophieprofessor an der Harvard University, veröffentlichte 1974 sein Werk „Anarchy, State, Utopia“, in dem er zu völlig anderen Schlussfolgerungen als Rawls kommt. Nozick steht als Vertreter des libertären Modells in der Tradition Lockes.

Der dritte hier betrachtete Autor ist der Wirtschaftswissenschaftler James M. Buchanan, 1919 in Murfreesboro, Tennessee geboren. Buchanan war Professor an verschiedenen Universitäten in den USA und gilt als Begründer der public choice-Theorie. Den Grundstein seiner Untersuchungen legte er 1962 mit seinem zusammen mit Gordon Tullock veröffentlichtem Werk „The Calculus of Consent. Logical Foundations of Constitutional Democracy“. In dem 1975 erschienenen Werk „The Limits of Liberty“ und der 1977 publizierten Artikelsammlung „Freedom in Constitutional Contract“ entwickelte er eine vor allem an der Hobbesschen Theorie angelehnte Vertragstheorie.2 Die Theorie John Rawls’ wird im ersten Teil dieser Hausarbeit beschrieben. Ausgehend von den Annahmen des Naturzustandes wird die kollektive Entscheidung über die Gerechtigkeitsgrundsätze abgeleitet, aus denen die Verwirklichung einer sozial gerechten Wirtschaftsordnung folgt. Das Kapitel wird mit einer kurzen kritischen Betrachtung der Rawlsschen Theorie der Gerechtigkeit abgeschlossen.

Im zweiten Teil wird Robert Nozicks Theorie der minimalstaatlichen Ordnung vorgestellt. Auch hier wird zuerst der Urzustand erläutert, aus dem sich eine dominante Schutzfirma entwickelt. Im folgenden Abschnitt wird der Schritt von der dominanten Schutzfirma zum Minimalstaat sowie die Unrechtmäßigkeit darüber hinaus gehender Ausdehnungen staatlicher Leistungen dargestellt. Auch dieses Kapitel schließt mit einigen kritischen Bemerkungen zur Theorie Nozicks.

Der dritte Teil der Arbeit beschäftigt sich mit James M. Buchanan. Zur besseren Vergleichbarkeit wird wie bei den vorangegangenen Autoren zuerst der Urzustand skizziert. In den folgenden Abschnitten werden die Entwicklungen zum Rechtsschutz- und zum Leistungsstaat aufgezeigt, im letzten Abschnitt werden mögliche Kritikpunkte vorgestellt.

Das letzte Kapitel fasst die beschriebenen Theorien noch einmal kurz zusammen und gibt einen kurzen Überblick über den politischen Erkenntniswert der Ansätze von Rawls, Nozick und Buchanan.

2 John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit

2.1 Der hypothetische Urzustand

Der Urzustand in Rawls’ Theorie, die sogenannte „original position“, ist gekennzeichnet durch ein theoretisches Konstrukt: Den „Schleier des Nichtwissens“ (veil of ignorance).3 Die Mitglieder der Gesellschaft befinden sich in einer Situation der vollkommenen Unsicherheit, „vor allem kennt niemand seinen Platz in der Gesellschaft, seine Klasse oder seinen Status; ebensowenig seine natürlichen Gaben, seine Intelligenz, Körperkraft usw. Ferner kennt niemand seine Vorstellung vom Guten, die Einzelheiten seines vernünftigen Lebensplanes, ja nicht einmal die Besonderheiten seiner Psyche wie seine Einstellung zum Risiko oder seine Neigung zu Optimismus oder Pessimismus“.4 Auch die wirtschaftliche und politische Lage, der Entwicklungs- stand von Kultur und Zivilisation sowie die Generationszugehörigkeit sind unbekannt.5 Alle Mitglieder der Gesellschaft sind im Urzustand gleich, niemand verfügt über Möglichkeiten, Macht über andere Gesellschaftsmitglieder auszuüben und sie unter Druck zu setzen.6 Im Urzustand herrscht außerdem „mäßige Knappheit“, d.h. „Natürliche und andere Hilfsmittel sind nicht so im Überfluß vorhanden, daß planvolle Zusammenarbeit nicht notwendig wäre; andererseits sind die Bedingungen nicht so hart, daß jede Unternehmung fruchtlos bleiben müßte“.7 Des weiteren wird die original position durch „gegenseitiges Desinteresse“ und einen „allgemeinen Gerechtig- keitssinn“ charakterisiert. Gegenseitiges Desinteresse bedeutet, dass „ein vernunft- geleiteter Mensch keinen Neid kennt“, der Mensch im Urzustand akzeptiert eine Bevorteilung eines Mitmenschen, „solange die Unterschiede zwischen ihm und den anderen gewisse Grenzen nicht überschreiten.“8 Der allgemeine Gerechtigkeitssinn soll gewährleisten, „daß jeder die beschlossenen Grundsätze versteht und nach ihnen handelt“.9

Die genannten Annahmen den Urzustand betreffend stellen die Voraussetzung dar, dass einstimmige Entscheidungen getroffen werden können. Alle Individuen befinden sich hinter dem Schleier des Nichtwissens in der gleichen unsicheren Lage, sind gleich vernünftig, lassen sich von den gleichen Argumenten leiten und kommen daher zu gleichen rationalen Schlussfolgerungen. Alle Mitglieder der Gesellschaft wählen die Regeln, die ein Gesellschaftsmitglied im Urzustand allen anderen Regeln vorzieht. Es entwickelt sich eine allgemeine Gerechtigkeitsvorstellung, die in zwei Gerechtigkeits- grundsätzen zum Ausdruck kommt.10

2.2 Die Rawlsschen Gerechtigkeitsprinzipien

Der erste Gerechtigkeitsgrundsatz lautet: „Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist“.11 Zu den Grundfreiheiten gehören beispielsweise Wahlrecht, Rede- und Versammlungs- freiheit, Gewissens-, Gedanken- und Religionsfreiheit sowie grundlegende Menschen- rechte wie die Unverletzlichkeit der Person oder das Recht auf Eigentum.12 Die Grundfreiheiten werden in ihrer Gesamtheit betrachtet, da im Allgemeinen Interdependenzen mit anderen Gesellschaftsmitgliedern bei Ausübung der Einzelfreiheiten bestehen. Die Einzelfreiheiten können daher eingeschränkt werden, allerdings „nur um derselben oder einer anderen Grundfreiheit willen und zur Optimierung des ganzen Systems der Freiheiten“.13

Der zweite Gerechtigkeitsgrundsatz bezieht sich auf die Verteilung von sozialen und wirtschaftlichen Gütern wie Macht, Einkommen und Vermögen: „Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen folgendermaßen beschaffen sein: (a) sie müssen unter der Einschränkung des gerechten Spargrundsatzes den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen, und (b) sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offenstehen“.14 Der zweite Gerechtigkeitsgrundsatz beinhaltet drei Prinzipien: Erstens das Prinzip fairer Chancen- gleichheit, mit dem vermieden werden soll, dass Benachteiligte persönlich zurückgesetzt werden, das heißt es soll jedem der Dienst an der Öffentlichkeit als besondere Form der Selbstverwirklichung offen stehen. Zweitens beinhaltet der zweite Gerechtigkeitsgrundsatz das Prinzip gerechten Sparens. Die Lasten der Kapital- akkumulation müssen gerecht auf die Generationen verteilt werden. Das dritte Prinzip ist das Differenzprinzip, nach dem eine Ungleichverteilung der Grundgüter gerecht und gerechtfertigt ist, solange der daraus resultierende Mehrertrag auch die Mitglieder der untersten sozialen Schicht besser stellen kann.15

Die beiden Gerechtigkeitsprinzipien können nach Rawls unter verschiedenen institutionellen Bedingungen verwirklicht werden16, er entwirft aber ein System von dafür erforderlichen Rahmeninstitutionen.

2.3 Die Verwirklichung einer sozial gerechten Wirtschaftsordnung

Rawls’ Gerechtigkeitsprinzipien entsprechen, von der politischen Perspektive aus betrachtet, den Prinzipien eines sozialen, liberalen Rechtsstaats. Wesentlich ist, dass eine sich frei entfaltende, unkontrollierte Marktwirtschaft zugunsten der Gerechtigkeit abgelehnt wird.17

Rawls gelangt zu den institutionellen und politischen Konsequenzen der beiden Gerechtigkeitsprinzipien, indem er, ausgehend von der original position, vier aufeinander folgende Phasen beschreibt. In der ersten Phase werden die beiden Gerechtigkeitsprinzipien unter dem Schleier der Unwissenheit gewählt. In der zweiten Phase wird der Schleier der Unwissenheit teilweise gelüftet, so dass die am Entscheidungsprozess Beteiligten „die wesentlichen allgemeinen Tatsachen über ihre Gesellschaft, nämlich die natürlichen Bedingungen und Hilfsquellen, den wirtschaftlichen und politischen Entwicklungsstand usw.“18 kennen. Es wird eine gerechte Verfassung bestimmt, die im Einklang mit den Gerechtigkeitsprinzipien steht. In dieser Phase geht es um die Konkretisierung des ersten Gerechtigkeitsprinzips, nämlich die Festlegung der Grundfreiheiten und deren Abstimmung aufeinander. In der dritten Phase sind im Rahmen der Gerechtigkeitsprinzipien und der beschlossenen Verfassung gerechte Gesetzgebung und die Durchführung politischer Programme festzulegen. In dieser Phase wird das Prinzip fairer Chancengleichheit und das Differenzprinzip konkretisiert. Vor allem sind die wirtschaftlichen Verteilungs- mechanismen zu entwerfen. Nach Rawls verträgt sich eine auf Märkten beruhende Wirtschaft mit den Gerechtigkeitsgrundsätzen, wenn der notwendige institutionelle Ordnungsrahmen geschaffen ist.19 Die gerechte Einkommens- und Vermögens- verteilung wird durch vier Abteilungen gewährleistet. Die Allokationsabteilung verhindert übermäßige Marktmacht und erhält das Konkurrenzsystem aufrecht. Durch Steuern, Subventionen oder Änderungen von Eigentumsrechten kann die Allokations- abteilung gröbere Abweichungen von der Optimalität in Form von externen Effekten korrigieren. Zur Sicherstellung von freier Berufswahl, Investitionsmöglichkeiten und Vollbeschäftigung wird eine Stabilisierungsabteilung eingerichtet. Die Stabilisierungs- und die Allokationsabteilung optimieren das Marktgeschehen. Die Transferabteilung sichert durch Transferzahlungen das Existenzminimum. Die Distributionsabteilung soll über die Ausgestaltung eines gerechten Steuersystems eine ausgeglichene Vermögensverteilung sichern, um den Wert der politischen Rechte und die faire Chancengleichheit zu erhalten.

In der letzten Phase der Verwirklichung einer sozial gerechten Wirtschaftsordnung werden die festgelegten Gerechtigkeitsprinzipien, die Verfassung und die Gesetze von der Regierung, der Verwaltung, der Justiz und den Bürgern angewendet und befolgt.20

[...]


1 Vgl. Schubert, C., Theorien, 1998, S. 128 f.

2 Vgl. Kley, R., Vertragstheorien, 1989, S. XII ff.

3 Rawls, J., Theorie, 1975, S. 159 ff.

4 Rawls, J., Theorie, 1975, S. 160.

5 Vgl. Rawls, J., Theorie, 1975, S. 160.

6 Vgl. Ribhegge, H., Relevanz, 1991, S. 242.

7 Rawls, J., Theorie, 1975, S. 149.

8 Rawls, J., Theorie, 1975, S. 167.

9 Rawls, J., Theorie, 1975, S. 169.

10 Vgl. Fritsch, M., Legitimation, 1984, S. 49 f.

11 Rawls, J., Theorie, 1975, S. 336.

12 Vgl. Kersting, W., Einführung, 1993, S. 51.

13 Rawls, J., Theorie, 1975, S. 232.

14 Rawls, J., Theorie, 1975, S. 336.

15 Vgl. Kley, R., Vertragstheorien, 1989, S. 54 ff.

16 Vgl. Rawls, J., Theorie, 1975, S. 314 f.

17 Vgl. Kersting, W., Einführung, 1993, S. 52.

18 Rawls, J., Theorie, 1975, S. 225.

19 Vgl. Rawls, J., Theorie, 1975, S. 304 f.

20 Vgl. Kley, R., Vertragstheorien, 1989, S. 64 ff.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Theorie des Gesellschaftsvertrages und deren wirtschaftspolitische Bedeutung (Rawls, Nozick, Buchanan)
Hochschule
Universität zu Köln  (Wirtschaftspolitisches Institut)
Veranstaltung
Volkswirtschaftliches Hauptseminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
18
Katalognummer
V23463
ISBN (eBook)
9783638265829
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorie, Gesellschaftsvertrages, Bedeutung, Nozick, Buchanan), Volkswirtschaftliches, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Jens Mennigmann (Autor:in), 2002, Die Theorie des Gesellschaftsvertrages und deren wirtschaftspolitische Bedeutung (Rawls, Nozick, Buchanan), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23463

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