Wissensgesellschaft – nur ein Trendwort oder gesellschaftliche Realität? Wird
Wissen wirklich wichtiger als andere Leistungskriterien und Produktionsfaktoren,
z.B. Kapital, Körperkraft, Sozialkompetenz? Der Begriff Wissensgesellschaft verursacht
Fragezeichen auf allen Seiten; die wissenschaftliche Community ist darüber
zerstrittener denn je. Unbestritten ist aber die Tatsache, dass
• der Zugang zu Wissen heutzutage wesentlich leichter und universaler ist
als in vergangenen Epochen,
• Wissen komplizierter und komplexer wird und
• das Wissensvolumen in einem immer höheren Tempo wächst.
Welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf die Gesellschaft und ihre Teilbereiche
– Wirtschaft, Bildung etc. – haben und ob es aufgrund dessen angebracht
ist, von Wissensgesellschaft zu sprechen, wird dieser Text erörtern. Er bezieht
sich dabei vornehmlich auf die Industrieländer (die sog. 1. Welt), da sich hier die
genannten Tendenzen am stärksten auf das gesellschaftliche Leben auswirken.
Die Wertschöpfungskette in Ländern der Dritten Welt ist noch zu sehr von frühkapitalistischen
und industriellen Arbeitsweisen bestimmt. Das bedeutet jedoch
keineswegs, dass diese Länder durch eine Inkorporation von Merkmalen einer
Wissensgesellschaft nicht auch profitieren könnten.
Beginnend mit einer Definition von Wissen an sich zeigt die vorliegende Arbeit
verschiedene Definitionen des Begriffs Wissensgesellschaft auf, bevor auf die
Auswirkungen der Bedeutungszunahme des Faktors Wissens auf die verschiedenen
menschlichen Lebens- und Funktionsbereiche eingegangen wird.
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
1 Definition Wissen
2 Die Geschichte der Wissensgesellschaft;
2.1 Die Wissensgesellschaft von der Antike bis zur Industrialisierung
2.2 Definitionen der Wissensgesellschaft bis 1980
2.3 Aktuelle Definitionen von Wissensgesellschaft.
3 Die Dimensionen der Wissensgesellschaft
3.1 Medien und Technik in der Wissensgesellschaft.
3.2 Die Wirtschaft der Wissensgesellschaft
3.3 Arbeiten in der Wissensgesellschaft.
3.4 Organisationen in der Wissensgesellschaft
3.5 Bildung in der Wissensgesellschaft
4 Fazit: Tendenzen der Wissensgesellschaft.
5 Literaturverzeichnis
0 Einleitung
Wissensgesellschaft - nur ein Trendwort oder gesellschaftlche Realitat? Wird Wissen wirklich wichtiger als andere Leistungskriterien und Produktionsfaktoren, z.B. Kapital, Korperkraft, Sozialkompetenz? Der Begriff Wissensgesellschaft ver- ursacht Fragezeichen auf allen Seiten; die wissenschaftliche Community ist dar- uber zerstrittener denn je. Unbestritten ist aber die Tatsache, dass der Zugang zu Wissen heutzutage wesentlich leichter und universaler ist als in vergangenen Epochen,
- Wissen komplizierter und komplexer wird und
- das Wissensvolumen in einem immer hoheren Tempo wachst.
Welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf die Gesellschaft und ihre Teilbe- reiche - Wirtschaft, Bildung etc. - haben und ob es aufgrund dessen angebracht ist, von Wissensgesellschaft zu sprechen, wird dieser Text erortern. Er bezieht sich dabei vornehmlich auf die Industrielander (die sog. 1. Welt), da sich hier die genannten Tendenzen am starksten auf das gesellschaftliche Leben auswirken. Die Wertschopfungskette in Landern der Dritten Welt ist noch zu sehr von fruh- kapitalistischen und industriellen Arbeitsweisen bestimmt. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass diese Lander durch eine Inkorporation von Merkmalen einer Wissensgesellschaft nicht auch profitieren konnten.
Beginnend mit einer Definition von Wissen an sich zeigt die vorliegende Arbeit verschiedene Definitionen des Begriffs Wissensgesellschaft auf, bevor auf die Auswirkungen der Bedeutungszunahme des Faktors Wissens auf die verschie- denen menschlichen Lebens- und Funktionsbereiche eingegangen wird.
1 Definition Wissen
Dem Begriff des Wissens kann sich aus drei Richtungen genahert werden (Leid-hold 2001:431f.):
1. Wissen im Gegensatz zu Glauben und Meinung: Glauben bezeichnet grund- loses Furwahrhalten eines Sachverhaltes, eine Meinung das Furwahrhalten aus wahrscheinlichen Grunden. Wissen hingegen entsteht aufgrund „guter Grunde", also fundierter Urteile, die auf Erfahrung, logischen Beweisen oder Autoritat beruhen. Jede Wissensdisziplin hat ihre eigenen Regeln, nach denen Grunde als gut gelten.
2. Wissen im Gegensatz zu Materie und Energie: In der herkommlichen Wirt- schaftstheorie taucht Wissen nur ceteris paribus auf. Als entscheidende Pro- duktionsfaktoren gelten Boden, Arbeit und Kapital, Wissen hingegen ist Auf- gabe des Staates. In der modernen Wirtschaftstheorie gilt Wissen hingegen als DER Produktionsfaktor, und die Entstehung, Verbreitung, Nutzung und Kon- trolle sind strategisches Thema Nummer eins der Unternehmen.
3. Wissen im Gegensatz zu Information, Daten und Zeichen: Information bedeu- tet ursprunglich „Formgebung", also strukturiertes Daten-Rohmaterial. Erst wenn Informationen verstanden werden, spricht man von Wissen. Information ist daher datentragergebunden, Wissen ist personengebunden. Die gegen- wartige Informationsexplosion fuhrt also nicht automatisch zu einer Wissensexplosion, solange Informationen nicht von Personen aufgenommen, verstanden, verknupft und angewendet werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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Abbildung 1: Wissenspyramide.
Quelle: http://www.uni-bielefeld.de/pet/wiss.html
Trotz der Bindung an Personen ist Wissen nicht subjektiv, denn es wird sozial konstruiert und muss sich intersubjektiven Prufungen unterziehen. (Seifert 1996:203f.) Wissen im Sinne von als wahr geltenden kognitiven Schemata, Erwartungen, Annahmen regelt den Umweltbezug von Personen und wird anhand von Erfahrungen standig getestet und ggf. korrigiert. Wissen kann auf- grund seiner Bewahrung in der Praxis beurteilt werden. Es schafft eine gemein- same Hintergrundfolie und kann daher mit Handlungsvermogen bzw. der Fahig- keit zum sozialen Handeln gleichgesetzt werden. (Heidenreich 2000) Dass Wissen nicht nur nicht subjektiv, sondern auch nicht objektiv ist, halten Anhanger des Konstruktivismus dagegen, nach deren Ansicht Wissen nicht Wirklichkeit ist, sondern diese nur konstruiert.
2 Die Geschichte der Wissensgesellschaft
Wenn Wissen also mit sozialem Handlungsvermogen gleichgesetzt werden kann, war dann nicht jede Gesellschaft auch eine Wissensgesellschaft? Der Neander- taler war von seinem Wissen genauso abhangig wie der romische Prokonsul, der mittelalterliche Handwerksmeister oder der Mechatroniker im Jahre 2003. Wissen wurde in vielen Epochen eine groGe ethische, philosophische Bedeutung zuge- schrieben und mit Macht gleichgesetzt, aber das Verhaltnis zwischen Wissen und den ubrigen Macht- und Wohlstandsfaktoren schwankte.
2.1 Die Wissensgesellschaft von der Antike bis zur Indus- trialisierung
Wissen als wesentliches Merkmal menschlicher Lebensformen und gesellschaftli- che GroGe war schon in den fruhen Hochkulturen der Anlass fur die Entwicklung von Wissenstragern, z.B.
- Symbole
- kommunikative Artefakte
- Zahlen
- Sprache
- Schrift
Die Verbreitung, Speicherung und Wiedergabe von Wissen bzw. die Ausge- staltung der Wissenstrager war stets an Technik gebunden. Dies lasst sich an der Speicherung veranschaulichen: Von Einzelstucken auf Metall- oder Steinplatten und Pergament steigerte man sich in den mittelalterlichen Schreibstuben zu zwei- bis dreifachen Faksimiles, bis man mit Gutenbergs Buchdruck mit bewegli- chen Lettern eine wesentlich hohere Stuckzahl erreichte. Heute, wenn selbst Na- tionalbibliotheken an den Rand ihrer Lagerkapazitaten stoGen, steht mit der Digi- talisierung eine exponentiell hohere Speicherkapazitat zur Verfugung.
In der griechischen Antike besaG Wissen eine grundlegende Bedeutung: Platon sprach in seiner politeia davon, dass Philosophie, die damals intellektuelle und ethische Bildung, Anwendungs- und Orientierungswissen beinhaltete, die Voraus- setzung fur gesellschaftliches Wohlergehen und Gerechtigkeit ist. Im Mittelalter waren Erwerb und Entwicklung von Wissen einer kleinen privilegierten Schicht
vorbehalten, dem Klerus und zum Teil auch dem Adel. Die breite Masse hatte sich mit uberlebensnotwendigem Wissen zu begnugen und wurde sogar vom Lesen der Bibel abgehalten. (Leidhold 2001:430)
Die Zeit der Aufklarung erhob Wissen zu der Kraft, die Gesellschaft strukturieren soll: wissenschaftliche Rationalitat und Argumente, Einsicht und Kenntnisse statt vererbten Privilegien und unbeweisbaren Doktrinen, wie sie im Mittelalter re- gierten. Seit der Aufklarung leben wir also in einer wissensorientierten Gesellschaft. (Haan 2002:313)
Mit den Erfindungen und Fortschritten der fruhen Neuzeit und dem darauf folgenden Industriezeitalter erhielt die Ressource Wissen einen erheblichen Be- deutungszuwachs, weil der Umgang mit Wissen rationaler und systematischer als je zuvor war. Fungierte die Wissenschaft im 17. Jahrhundert noch als treibende Kraft der Aufklarung, avancierte sie im 19. Jahrhundert zur Produktiv- kraft. Die Maschinerie der Industriegesellschaft war eine Akkumulation grower Mengen technisch-wissenschaftlichen Wissens; dennoch wurde Kapital, Boden und Rohstoffen eine wesentlich groGere Bedeutung fur das Wachstum zuge- schrieben als Wissen allein. (Haan 2002:314)
Dieser „alten Wachstumstheorie" setzte Karl Marx die neue entgegen, nach der die Grundlage fur Wachstum im Kapitalismus ein standiger technischer und wissenschaftlichen Fortschritt sei. Marx entwickelte sogar das Idealbild einer Gesellschaft, in der nicht mehr Arbeitszeit und Korperkraft belohnt werden, wie es der Taylorismus vorsah, sondern nur das Resultat der Arbeit zahlt, also eine Gehalts- statt einer Lohnkultur - auch bei „blue collar workers". (Gorz 2002:17, 21)
Kapitalisten und Unternehmen erkannten schon im 19. Jahrhundert, dass der moderne Kapitalismus durch die Spannung zwischen
- Wandel und Ordnung,
- riskanten Investitionen und exakten Risikokalkulen sowie
- organisatorischen Innovationen und burokratischer Disziplin
[...]
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