Die technische Entwicklung stellt die Rechtsordnung immer wieder vor neue Aufgaben, denn die Technik-
anwendung bringt zwangsläufig Folgen mit sich, die einer rechtlichen Regelung bedürfen. Solche
Folgen betreffen sowohl die Gefährdung oder Verletzung von Leben, Gesundheit und natürlicher Lebensbedingungen
des Menschen als auch die Beeinträchtigung der Integrität von Sachwerten. Rechtliche
Regelung technischer Sachverhalte bedingt eine Einschränkung der Technikanwendung mit dem Ziel, das
mit technischen Anlagen und Prozessen einhergehende Risiko auf ein sozial erträgliches Maß zu reduzieren.
Für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht besteht in diesem Zusammenhang die Aufgabe, die
betreffenden Rechtsgüter vor der schädigenden Einwirkung technischer Anlagen und Verfahren zu schützen.
Die Aufstellung entsprechender Rechtsnormen stößt dabei jedoch auf zahlreiche Probleme: Zum einen
bedingt die Mannigfaltigkeit und das Entwicklungstempo der Technik einen quantitativ hohen Bedarf
entsprechender Normen, dies wird an den zahlreichen Spezialgesetzen sowie technisch geprägten Rechtsverordnungen
und Verwaltungsvorschriften deutlich. Zum anderen besteht das Problem, daß Rechtsnormen
auf der einen Seite möglichst dauerhaft das soziale Leben ordnen sollen, man spricht insofern auch
von einer konservierenden Wirkung des Rechts1. Die Technik dagegen ist dynamisch und auf ständige
Weiterentwicklung gerichtet. Diese Diskrepanz mit dem daraus folgenden Mangel an Flexibilität wird
durch die Tatsache verstärkt, daß dem Gesetzgeber der nötige technische Sachverstand zur Regelung
technischer Detailfragen fehlt. Es ist jedoch unumstritten, daß die Rechtsordnung ihre Aufgabe trotz dieser
Schwierigkeiten auch im technischen Bereich erfüllen muß2; dabei besteht der Anspruch, sich nicht
repressiv auf die Regelung von Haftungsfragen zu beschränken3.
Diese Zielstellung unter Berücksichtigung der geschilderten Probleme führte zu einer Einbeziehung von
sogenannten technischen Standards in das Gesetz sowie zu Verweisungen auf technische Normen privater
Vereinigungen (z.B. das Deutsche Institut für Normung - DIN) innerhalb der gesetzlichen Norm. Einige
damit zusammenhängende Fragen sollen im Rahmen dieser Arbeit in Bezug auf das Strafrecht unter Einbeziehung
des Ordnungswidrigkeitenrechts als Strafrecht im weiteren Sinne4 untersucht werden. [...]
1 BACKHERMS JuS 1980, 9
2 BREUER AöR 101, 46 (47) mwN
3 BACKHERMS JuS 1980, 9 (10); BREUER AöR 101, 46 (48)
4 JESCHEK/WEIGEND § 7 V (S. 58)
Gliederung
TEIL 1 EINLEITUNG UND PROBLEMSTELLUNG
TEIL 2 REGELN DER TECHNIK UND TECHNISCHE STANDARDS
A Regeln der Technik
I Definition des Begriffs „Regel der Technik“
II Arten von Regeln der Technik
1. Technische Normen privatrechtlicher Organisationen
2. Regeln der Technik in staatlichen Vorschriften
B Technische Standards
TEIL 3 REGELN DER TECHNIK IM STRAF- UND ORDNUNGSWIDRIGKEITENRECHT
A Überblick
I Strafrecht
II Ordnungswidrigkeitenrecht
B Direkte Rezeption technischer Normen durch Verweisung
I Rechtsnatur technischer Normen
II Arten der Verweisung
III Verfassungsrechtliche Probleme der Verweisungstechnik
1. Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
2. Vereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip
a) Gewaltenteilungsgrundsatz
b) Bestimmtheitsgebot
c) Anforderung des Art. 103 II GG
3. Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit der dynamischen Verweisung
a) Verfassungskonforme Auslegung der dynamischen Verweisung
b) Kriterium von MARBURGER: normkonkretisierende dynamische Verweisung
c) Verfassungsmäßigkeit der dynamischen Verweisung - Rechtssetzung durch Private
(1) Stellungnahmen in der Rechtsprechung und Literatur
(2) Bewertung
IV Ausgewählte Beispiele
1. § 35h III StVZO iVm §§ 69a III Nr. 7c StVZO; 24 I StVG (Erste-Hilfe-Material in Kraftfahrzeugen)
2. § 2 10. BImSchV iVm §§ 10 Nr. 1 10. BImSchV; 62 I Nr. 7 BImSchG (Qualitätsanforderungen an Kraftstoffe)
C Die Verwendung technischer Standards und die indirekte Rezeption technischer Normen
I Rechtsnatur der technischen Standards
II Wesen technischer Standards
1. Allgemein anerkannte Regeln der Technik (aaRdT)
2. Stand der Technik
3. Stand von Wissenschaft und Technik
III Inhalt des technischen Standards aaRdT
1. Kritik an der Auffassung des RG
a) kriminalpolitische Bedenken
b) Bedenken bezüglich der Zeitgemäßheit des Standards der aaRdT
2. Verhältnis aaRdT - technische Normen
a) Keine Identität von aaRdT und technischen Normen
b) Vermutungswirkung technischer Normen
c) Technische Normen als antizipierte Sachverständigengutachten
D Technische Normen und Standards bei Fahrlässigkeitsdelikten
I Bestimmung des Fahrlässigkeitsmaßstabes
II Konkretisierung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung
1. Konkretisierung durch Rechtsnormen (Sondernormen, abstrakte Verhaltensnormen)
2. Konkretisierung durch technische Normen - Verhältnis zur Sorgfaltspflicht
III Verhältnis der aaRdT zum rechtlichen Sorgfaltsmaßstab
1. Fall: Identität zwischen aaRdT und technischer Norm
2. Fall: Verletzung einer aaRdT, welche nicht auch technische Norm ist
Teil 1 Einleitung und Problemstellung
Die technische Entwicklung stellt die Rechtsordnung immer wieder vor neue Aufgaben, denn die Tech- nik-anwendung bringt zwangsläufig Folgen mit sich, die einer rechtlichen Regelung bedürfen. Solche Folgen betreffen sowohl die Gefährdung oder Verletzung von Leben, Gesundheit und natürlicher Le- bensbedingungen des Menschen als auch die Beeinträchtigung der Integrität von Sachwerten. Rechtliche Regelung technischer Sachverhalte bedingt eine Einschränkung der Technikanwendung mit dem Ziel, das mit technischen Anlagen und Prozessen einhergehende Risiko auf ein sozial erträgliches Maß zu reduzie- ren. Für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht besteht in diesem Zusammenhang die Aufgabe, die betreffenden Rechtsgüter vor der schädigenden Einwirkung technischer Anlagen und Verfahren zu schüt- zen.
Die Aufstellung entsprechender Rechtsnormen stößt dabei jedoch auf zahlreiche Probleme: Zum einen bedingt die Mannigfaltigkeit und das Entwicklungstempo der Technik einen quantitativ hohen Bedarf entsprechender Normen, dies wird an den zahlreichen Spezialgesetzen sowie technisch geprägten Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften deutlich. Zum anderen besteht das Problem, daß Rechtsnormen auf der einen Seite möglichst dauerhaft das soziale Leben ordnen sollen, man spricht insofern auch von einer konservierenden Wirkung des Rechts1. Die Technik dagegen ist dynamisch und auf ständige Weiterentwicklung gerichtet. Diese Diskrepanz mit dem daraus folgenden Mangel an Flexibilität wird durch die Tatsache verstärkt, daß dem Gesetzgeber der nötige technische Sachverstand zur Regelung technischer Detailfragen fehlt. Es ist jedoch unumstritten, daß die Rechtsordnung ihre Aufgabe trotz dieser Schwierigkeiten auch im technischen Bereich erfüllen muß2 ; dabei besteht der Anspruch, sich nicht repressiv auf die Regelung von Haftungsfragen zu beschränken3.
Diese Zielstellung unter Berücksichtigung der geschilderten Probleme führte zu einer Einbeziehung von sogenannten technischen Standards in das Gesetz sowie zu Verweisungen auf technische Normen privater Vereinigungen (z.B. das Deutsche Institut für Normung - DIN) innerhalb der gesetzlichen Norm. Einige damit zusammenhängende Fragen sollen im Rahmen dieser Arbeit in Bezug auf das Strafrecht unter Ein- beziehung des Ordnungswidrigkeitenrechts als Strafrecht im weiteren Sinne4 untersucht werden. Insbesondere sollen die Probleme diskutiert werden, die sich aus der Einbeziehung von Normen technischer Regelwerke und der Verwendung technischer Standards in Strafgesetzen und in Bußgeldtatbeständen ergeben. Außerdem soll untersucht werden, welche Bedeutung den Regeln der Technik bezüglich der Bestimmung der Sorgfaltspflicht in Fahrlässigkeitsdelikten zukommt.
Teil 2 Regeln der Technik und technische Standards
A Regeln der Technik
Zunächst ist festzustellen, daß der Begriff „Regeln der Technik“5 doppelt besetzt ist. Zum einen taucht er in zahlreichen Gesetzen und Rechtsverordnungen als eine Umschreibung eines näher zu bestimmenden Inhalts (technische Standards) auf, zum anderen beschreiben die RdT in gewisser Form niedergelegte technische Sachverhalte (technische Normen). Im folgenden soll zunächst die letztere Bedeutung unter- sucht werden. Es gilt also zu bestimmen, was RdT ungeachtet der Verwendung dieser Formulierung in Rechtsnormen ausmachen.
I Definition des Begriffs „Regel der Technik“
In der Literatur gibt es verschiedene Vorstellungen darüber, was RdT sind. Ausgangspunkt ist dabei stets die Betrachtung eines technischen Prozesses.
Nach einer Ansicht ist der technische Prozeß als Summe von Zwangsabläufen zu sehen, der Zwang resul- tiere dabei aus den Naturgesetzen einerseits sowie einem ökonomischen Optimierungsbestreben anderer- seits. Die Summe der Zwangsabläufe stellen danach die RdT dar, wobei diese trotz ihres Ursprungs aus dem „Tatsächlichen“ (also ihrer faktischen Geltung) einen normativen Charakter haben sollen6. Im Gegensatz dazu wird vertreten, daß die RdT rein faktischen Charakter aufweisen. Sie haben das Ziel einer werthaften finalen Gestaltung und sind als wissenschaftlich begründete Arbeitsmethoden zur Be- wältigung rationeller, jederzeit wiederholbarer Prozesse zu verstehen. Dabei erheben sie keinen Gel- tungsanspruch, sondern sind lediglich Erfahrungssätze besonderer Sachkunde7. Eine dritte Ansicht interpretiert den technischen Prozeß als System, welches aus einer wohldefinierten Anordnung von einzelnen Operatoren (z.B. Maschinen, Verfahrensabläufen und technischem Know-how) besteht. Eingangsgrößen des technischen Systems (z.B. Werkstoffe, Zielinformationen über das zu ferti- gende Produkt, Energie) wirken dabei in einer bestimmten Weise mit den Operatoren zusammen8. Die Summe aus den Operatoren und ihrer Anordnung sowie der Art und Weise des Zusammenwirkens von Operatoren und Eingangsgrößen heißt Struktur des technischen Systems. Dabei ist für einen bestimmten Output (z.B. gewünschtes Produkt) eine bestimmte Struktur erforderlich. Diese Strukturbedingungen werden als RdT angesehen: Sie werden vom Menschen gesetzt und sind disponibel, ihre Gestaltungsfreiheit wird jedoch durch die Naturgesetze begrenzt. Somit sind die RdT im allgemeinen keine Gesetzmäßigkeiten im Sinne strenger Kausalbindung, sondern Finalrelationen9.
II Arten von Regeln der Technik
Ungeachtet der Interpretation des Begriffs der RdT werden jedenfalls als solche angesehen10:
- die überbetrieblichen technischen Normen,
- die von den Berufsgenossenschaften herausgegebenen Unfallverhütungsvorschriften (UVV)
- die Regelwerke der öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüsse
- Technische Regelungen in Rechtsverordnungen
- Technische Regelungen in allgemeinen Verwaltungsvorschriften
1. Technische Normen privatrechtlicher Organisationen
Der Begriff „Technische Norm“ wird definiert als eine technische Spezifikation oder ein anderes Doku- ment, das der Öffentlichkeit zugänglich ist, unter Mitarbeit und im Einvernehmen oder mit allgemeiner Zustimmung aller interessierten Kreise erstellt wurde, auf abgestimmten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Praxis beruht, den größtmöglichen Nutzen für die Allgemeinheit erstrebt und von einer auf nationaler, regionaler oder internationaler Ebene anerkannten Organisation gebilligt worden ist11. Gemäß dem Deutschen Institut für Normung (DIN) ist unter Normung die planmäßige, durch die interessierten Kreise gemeinschaftlich durchgeführte Vereinheitlichung von materiellen und immateriellen Gegenstän- den zum Nutzen der Allgemeinheit12 bzw. die einmalige, bestimmte Lösung einer sich wiederholenden Aufgabe unter den jeweils gegebenen wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkei- ten13 zu verstehen. Die „interessierten Kreise“ sind namentlich die technisch-wissenschaftlichen Vereini- gungen und Normungsorganisationen:
- Normung in Deutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten14 15
- Normung in Europa
Ziel der europäischen Normungsorganisationen ist es, durch technische Harmonisierung in Europa Handelsbarrieren abzubauen und damit den freien Handelsverkehr zwischen den Mitgliedsländern zu fördern sowie Kompatibilität von Produkten und Verfahren zu erreichen16. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Harmonisierung von technischen Normen der Mitgliedsländer.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten17
- Internationale Normung
Die internationalen Organisationen verfolgen im weltweiten Maßstab die Ziele, welche bereits bei den europäischen Organisationen genannt wurden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten18 19
Unter dem allgemeinen Aspekt der Vereinheitlichung von technischen Sachverhalten haben technische Normen unterschiedliche Funktionen zu erfüllen:
- Rationalisierungsfunktion20 : Hierbei geht es um ökonomische Vorteile durch Vereinheitlichung. Dies betrifft zum einen die Erhöhung der Effizienz des Produktionsprozesses, zum anderen die Erleichte- rung des Handels durch feststehende Produkttypen.
- Qualitätssicherungsfunktion21 : Technische Normen dienen auch der Gewährleistung einer definierten Qualität von Erzeugnissen und Dienstleistungen.
- Schutz- u. Sicherheitsfunktion22 : Eine weitere wesentliche Funktion erfüllen die technischen Normen im Bereich der technischen Sicherheit. Diese Funktion ist auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten relevant.
2. Regeln der Technik in staatlichen Vorschriften
RdT sind nicht auf die Regelwerke der vorgestellten privaten Institutionen beschränkt23. Sie finden sich zahlreich in Rechtsverordnungen, in den UVV, in den Regeln der öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüsse und in allgemeinen Verwaltungsvorschriften (AVV).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten24 25 26 27 28 29 30
B Technische Standards
In den vorangegangenen Betrachtungen sind RdT stets als schriftlich niedergelegte Bestimmungen bezüg- lich technischer Sachverhalte in Erscheinung getreten. In Strafgesetzen sowie Gesetzen und Rechtsver- ordnungen des technischen Sicherheitsrechts taucht der Begriff „Regeln der Technik“ meist in Gestalt der „allgemein anerkannten Regeln der Technik“31, des „Standes der Technik“32 oder des „Standes von Wis- senschaft und Technik“33 auf. Diese Formulierungen werden als technische Standards bezeichnet34. Die Verwendung technischer Standards soll es dem Gesetzgeber ermöglichen, den Fortschritt der wissen- schaftlichen Erkenntnis und Entwicklung ohne förmliche Gesetzesänderung zu berücksichtigen35. Außer- dem fehlt der Legislative die technische Sachkunde, um die Entwicklung auf wissenschaftlich- technischem Gebiet zu verfolgen und in die Gesetze aufzunehmen, auch die Exekutive ist nicht in der Lage, alle Normierungslücken durch Rechtsverordnungen zu schließen36. Zum Teil werden die techni- schen Standards als mittlere Stufe einer dreistufigen Regelung auf dem Gebiet der Sicherheitstechnik gesehen: Auf der ersten Stufe stehen dabei allgemeine Schutzzielbestimmungen im Gesetz, die durch technische Standards konkretisiert werden. Letztere erfahren durch wissenschaftlich-technische Regel- werke eine inhaltliche Bestimmung37.
Teil 3 Regeln der Technik im Straf- und Ordnungswidrig- keitenrecht
A Überblick
Im folgenden ist zu untersuchen, welche Bedeutung den in Teil 2 behandelten Regeln der Technik im Sinne der technischen Normen sowie die Verwendung technischer Standards im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht zukommt.
I Strafrecht
Im Strafrecht wird in der Literatur stets der Tatbestand der Baugefährdung gem. § 319 I StGB herangezogen, der auf die aaRdT Bezug nimmt. Soweit ersichtlich, existieren neben dieser Norm keine weiteren Straftatbestände im Kern- und Nebenstrafrecht, die entweder auf RdT verweisen oder technische Standards aufgenommen haben38.
Jedoch spielen die RdT bei den Fahrlässigkeitsdelikten, insbesondere den §§ 222, 229 StGB39, im Zusammenhang mit der Ermittlung des Fahrlässigkeitsmaßstabs mit Hilfe technischer Normen und Standards eine Rolle.
Zu beachten ist weiterhin die Bedeutung von technischen Normen und Standards im Rahmen der Umweltstraftaten gem. §§ 324 ff. StGB. Zunächst ist festzustellen, daß diese Tatbestände durch die Formulierungen „unbefugt“, „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“, „entgegen einem Verbot“, „ohne die erforderliche Genehmigung“ sowie „entgegen einer vollziehbaren Untersagung“ auf das Verwaltungsrecht bzw. das Verwaltungshandeln Bezug nehmen, es liegt eine verwaltungsakzessorische Ausgestaltung der §§ 324 ff. StGB vor40. Hierbei ist jedoch zu differenzieren41:
(1) Zum einen gibt es Tatbestände, die nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines Verwaltungsaktes zum Inhalt haben. In solch einem Falle der sogenannten Verwaltungs akt akzessorietät42 hängt die Strafbarkeit nur vom Vorliegen43 bzw. Fehlen44 eines VA ab. Dabei ist uninteressant, ob der VA sei- nerseits materiell rechtmäßig ist. Wenn also die Erteilung einer Genehmigung die Einhaltung der all- gemein anerkannten Regeln der Technik erfordert, die Genehmigung jedoch entgegen diesem Erfordernis erteilt und aufgrund dessen eine Anlage betrieben wird, macht sich der Betreiber nicht straf- bar.
(2) In anderen Tatbeständen ist die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten ein Tatbestandsmerk- mal45. Eine solche Pflicht ist jedoch nicht auf das Einholen einer Genehmigung beschränkt, vielmehr zählen gem. § 330d Nr. 4 StGB auch Verstöße gegen Rechtsvorschriften, namentlich Gesetze und Rechtsverordnungen46, welche ihrerseits auf RdT oder technische Standards verweisen können. In diesen Fällen ist die Strafbarkeit zumindest nicht ausschließlich von einem Verwaltungshandeln ab- hängig, es liegt lediglich Verwaltungsrechtsakzessorietät vor. Diese Tatbestände unterscheiden sich insofern nicht von Straftatbeständen, die selbst auf technische Normen verweisen oder technische Standards beinhalten und sind somit zu berücksichtigen47.
(3) Schließlich sind manche Tatbestände derart ausgestaltet, daß ein VA lediglich rechtfertigend wirkt48, hier hängt also die Tatbestandsverwirklichung nicht von einem Verwaltungshandeln ab.
II Ordnungswidrigkeitenrecht
Der Schwerpunkt der Verwendung technischer Normen und Standards ist in den Gesetzen und Rechts verordnungen des technischen Sicherheitsrechts angelegt, in diesem Bereich findet auch die Diskussion in der Literatur über Regeln der Technik und das Recht überwiegend statt. Die Gesetze und Rechtsverord- nungen enthalten regelmäßig Kataloge von Ordnungswidrigkeitentatbeständen, die zum Teil auf Bestimmungen Bezug nehmen, welche ihrerseits Verweise auf technische Normen oder technische Standards enthalten49. Es ist zu beachten, daß weite Bereiche des Nebenstrafrechts in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt wurden50. Die Ordnungswidrigkeiten sind in der gleichen Weise verwaltungsakzessorisch aus- gestaltet wie die Straftatbestände der §§ 324 ff. StGB. Somit gelten die in Teil 3 A I gemachten Bemerkungen entsprechend51. Im übrigen sprechen folgende Tatsachen für eine Behandlung der Ordnungswidrigkeiten im Rahmen der Strafrechtsakzessorietät:
- Zunächst besteht kein essentieller, sondern nur ein gradueller Unterschied zwischen einer Straftat und einer Ordnungswidrigkeit. Deshalb müssen die Ordnungswidrigkeiten den gleichen Anforderungen genügen wie die Straftatbestände des StGB52.
[...]
1 BACKHERMS JuS 1980, 9
2 BREUER AöR 101, 46 (47) mwN
3 BACKHERMS JuS 1980, 9 (10); BREUER AöR 101, 46 (48)
4 JESCHEK/WEIGEND § 7 V (S. 58)
5 im folgenden mit RdT abgekürzt
6 LUKES in MARBURGER S. 24 ff.
7 HERSCHEL NJW 1968, 617 f.
8 MARBURGER S. 32 f.
9 MARBURGER S. 33 ff.
10 VEIT S. 5 f.
11 Economic Commission for Europe (ECE), abgedr. In DIN 820 Teil 3 Anhang A S. 8
12 DIN 820 Teil 1
13 Otto KIENZLE (Mitbegründer des DIN), http://www.din.de/portrait/wasistdi.html
14 wenn sie elektrotechnische Normen betreffen (z.B. DIN 40900: Graphische Symbole für Schaltungsunterlagen)
15 wenn sie elektrotechnische Sicherheitsnormen betreffen (z.B. DIN 57100 Teil 410 VDE 100 Teil 410: Errichten von Starkstromanlagen mit Nennspannungen bis 1000 V − Schutz gegen gefährliche Körperströme)
16 http://www.cenorm.be/AboutCEN/AboutCEN.html
17 dies sind Normen des CEN, die das DIN in sein Regelwerk übernommen hat
18 dies sind Normen der ISO, die das DIN in sein Regelwerk übernommen hat
19 dies sind Normen der IEC, die das DIN in sein Regelwerk übernommen hat
20 z.B. einheitliche Papierformate (DIN 476, ISO 216); metrisches Schraubengewinde (DIN 13 Teil 1, ISO 261)
21 z.B. Qualitätssicherungssystem für Unternehmen (ISO 9000); Holzschutz: Qualität der Kesseldruckimprägnierung (DIN 68800)
22 z.B. grundlegend Allgemeine Leitsätze für das sicherheitsgerechte Gestalten technischer Erzeugnisse (DIN 31000/VDE 1000); DIN 57100 Teil 410 VDE 100 Teil 410: Errichten von Starkstromanlagen mit Nennspannungen bis 1000 V − Schutz gegen gefährliche Körperströme; VDI-Richtlinie 2263: Verhütung von Staubbränden und Staubexplosionen
23 MARBURGER S. 47 f.
24 MARBURGER S. 267 Fn 47
25 MARBURGER S. 58 f., 63
26 z.B. Deutscher Dampfkesselausschuß (DDA); Deutscher Druckgasausschuß (DGA); Deutscher Ausschuß für brennbare Flüssigkeiten (DAbF)
27 z.B. Technische Regeln für Dampfkessel (TRD); Technische Regeln für Druckgase (TRG); Technische Regeln für brennbare Flüssigkeiten (TRbF) (niedergelegt in den Bundesarbeitsblättern, Fachteil Arbeitsschutz)
28 so z.B. § 4 II, VI 17. BImSchV, §§ 6 ff. GefStoffV (Kennzeichnungsvorschriften)
29 z.B. TA-Luft, TA-Abfall, TA Lärm
30 z.B. TA-Luft Pkt. 3.3 (Emmissionsvorschr. für bes. Anlagen); TA-Abfall Pkt. 9.4 (Errichtung einer Deponie)
31 § 319 I StGB; § 3 I GerSG; § 6 I 2 ProdSG; §§ 3 I, 6 I MedGV
32 § 5 I Nr. 2 BImSchG; § 7a I WHG; § 30a I StVZO; § 10 I 17. BImSchV (Stand der Meßtechnik); § 19 I GefStoffV §
33 7 II Nr. 3 AtG; § 6 I, II, 13 I Nr. 4 GenTG (Stand der Wissenschaft);
34 VEIT S. 9
35 VEIT S. 145 mwN
36 BREUER AöR 101, 46 (49 f.)
37 NICKLISCH NJW 1982, 2633 (2635 ff.); MÜLLER-FOELL S. 20 ff.
38 vgl. VEIT bzgl. Verweisung auf RdT: S. 18 § 2 I, offengelassen bzgl. technischer Standards: S. 23 § 3, Fn 49
39 vgl. VEIT S. 3
40 T/F Vor § 324 Rn 4b
41 vgl. T/F Vor § 324 Rn 4b
42 vgl. T/F Vor § 324 Rn 4a
43 bei Tatbeständen mit der Formulierung „entgegen einer vollziehbaren Untersagung“ z.B. in §§ 327 II, 329 II StGB; sowie der Formulierung „entgegen einem Verbot“ z.B. in § 326 II StGB
44 mittels der Formulierung „ohne die erforderliche Genehmigung“ z.B. in §§ 326 II, 327 I, 328 I Nr. 1 StGB
45 z.B. in §§ 324a I, 325 I, 326 III, 328 III StGB
46 im Falle des § 325 beispielsweise die 12./13. BImSchV (vgl. T/F § 325 Rn 3)
47 im Gegensatz dazu VEIT S. 2, 23, die die Verwaltungsakzessorietät einheitlich betrachtet
48 mittels der Formulierung „unbefugt“ z.B. in §§ 324 I, 326 I StGB
49 z.B. § 50 I Nr. 2 GefStoffV iVm § 26 I Nr. 8b ChemG verweist auf § 15a II GefStoffV, dort wird in S. 2 Nr. 2 auf den „Stand der Technik“ Bezug genommen
50 SCHÜNEMANN LACKNER-FS S. 369
51 Beispiel für Verwaltungsaktakzessorietät: § 38 I Nr. 3 iVm § 8 I 2 GenTG; Beispiel für Verwaltungsrechts- akzessorietät: siehe Fn 49
52 LACKNER-FS S. 369 f.
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