Prüfungsangst besiegen!

So bewältigen Sie Stresssituationen optimal


Fachbuch, 2013

260 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Prüfungsangst aus psychoanalytischer Sicht von Alexis Pflug, 2003

Einleitung

Zum Begriff „Prüfung“

Die Psychoanalyse der Angst

Psychoanalytische Betrachtungen zum Zusammenhang zwischen Prüfungen und Angst

Die Neurosen des Prüflings

Neurotische Beeinflussung durch das soziale Umfeld

Neurotisches Verhalten des Prüfers

Fazit

Literaturverzeichnis

Prüfungsangst als Form der Schulphobie. Über die Diagnose und den Umgang mit prüfungsängstlichen Schülerinnen und Schülern von Lena Grun 2012

Einleitung

Fallbeispiel

Beschreibung aus psychologisch-diagnostischer Sicht

Ursachenforschung

Empirie

Ausblick

Fazit

Literaturangabe

Anhang

Menschen in Prüfungssituationen stärken. Eine Zusammenstellung von Bewältigungsstrategien für Prüfungs- und Redeangst von Martin Selzle 2009

Rede- und Prüfungsängste – Eine Einführung

Ursachen von Prüfungs- und Redeangst

Konsequenzen von Prüfungs- und Redeangst

Selbstanalyse

Klärung der Situation

Entkräftung einiger gängiger hinderlicher Vorannahmen

Methoden und Wege zum Abbau von Prüfungsangst

Zeitmanagement

Lernmethoden

Ratschläge für einen starken Willen und zur Selbstmotivation

Brain-Food – Nahrungsmittel, die dem Gehirn schmecken

Strategien für Prüfungssituationen

24 h – Der Countdown läuft …

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang

Danke schön!

Menschen in Prüfungssituationen stärken – eine Zusammenstellung von Bewältigungsstrategien für Prüfungs- und Redeangst

Prüfungsangst aus psychoanalytischer Sicht von Alexis Pflug, 2003

Einleitung

Diese Hausarbeit bildet für den Verfasser die Zwischenprüfung (im Fach Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften) und entbehrt daher in ihrer Thematik nicht einer gewissen Ironie.

Jedenfalls gibt sie ihm die Gelegenheit, nochmals die arbeitshemmenden Aspekte der Prüfungsangst in der Praxis an sich selbst nachzuerleben. Es sei dabei an dieser Stelle schon einmal erwähnt, dass der Begriff der Prüfungsangst in erster Linie mit der Form der mündlichen Prüfung und – schon schwächer – der Form der Klausur in Verbindung gebracht wird. Probleme mit dem Erstellen einer Hausarbeit würden gemeinhin eher als Arbeitsstörungen bezeichnet werden. Hierbei können jedoch oft gleiche oder ähnliche Ursachen zu Grunde liegen.

Die einschlägige Literatur zum Problem der Prüfungsangst zeichnet sich größtenteils durch ihren Ratgebercharakter aus und versteht sich zumeist als Vermittler von Tipps und Tricks für von Prüfungsangst Betroffene, in denen diese praktische Hilfestellung bekommen sollen. Dabei richtet sich das Augenmerk weniger auf die tiefer im Prüfling verwurzelten Ursachen, sondern vielmehr auf die Möglichkeiten zur Reduktion und Eindämmung von Prüfungsängsten durch allgemein verwendbare Rezepte und Modelle. Als Beispiel für diese Richtung sei hier das Buch „Prüfungsangst“ von H.-J. WEIß genannt. Zur Therapie der Prüfungsangst wird hier vor allem auf verhaltenstherapeutische Ansätze, das „Verlernen“ von Angst, etwa durch Entspannungsverfahren (systematische Desensibilisierung), kognitive Ansätze, die die Einstellung gegenüber der Prüfung verändern sollen (Selbstverbalisationstraining, Problemlösetraining, kognitive Umstrukturierung) oder die Gesprächstherapie (Reflektieren von Bedürfnissen und Gefühlen) verwiesen. Im Zentrum dieser Therapieansätze steht also vor allem das Symptom, welches beseitigt werden soll.

Der psychoanalytische Ansatz ist es hingegen, die tiefliegenden unbewussten Konflikte, die für die irrationale Angst vor Prüfungen verantwortlich sind, zu erfassen und bewusst zu machen, so dass sie danach bearbeitet und aufgelöst werden können. Dies jedoch ist ein oft langwieriger Prozess, der zudem an tiefen Schichten des Betroffenen rührt und in vielen Fällen als unangenehm empfunden und mit Widerstand belegt wird. Zentral wird hier also die Ursache der Prüfungsangst behandelt.

Diese Arbeit bezieht sich auf eine Veranstaltung mit dem Titel „Einführung in die Psychoanalyse“, die sich an Teilen der „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ Sigmund FREUDs orientierte. Ich werde zunächst die Begriffe „Prüfung“ und „Angst“ näher zu erläutern versuchen und diese dann vom psychoanalytischen Standpunkt aus in Verbindung bringen, um schließlich die möglichen Ursachen für eine irrationale Prüfungsangst zu benennen.

Ich beziehe mich dabei zum Grundbegriff der Angst im Wesentlichen auf die Theorien FREUDs, wobei ich andere psychoanalytische Angsttheorien kurz darlege, und zum Thema Prüfungsangst hauptsächlich auf Arbeiten STENGELs, SINGERs (der sich nah an STENGEL orientiert) sowie MOELLERs und HIRSCHs eingehe.

Zum Begriff „Prüfung“

Allgemeine Merkmale sind:

a) ein prüfendes Subjekt
b) ein geprüft werdendes Objekt
c) eine an diesem Objekt geprüfte Eigenschaft, Fähigkeit oder Kenntnis
d) das Prüfungsgeschehen
e) das Element der relativen Unklarheit des Ergebnisses vor der Prüfung
f) das Prüfungsergebnis
g) die Konsequenzen aus dem Ergebnis
sowie nicht zwingend:
h) Die Bedeutung der Prüfung und der Konsequenzen
i) Der Prüfungszweck (kein Muss: Es lässt sich zum Beispiel vorstellen, dass ein Sturm die Standfestigkeit eines Hauses prüft, wobei er keine Absicht damit verbindet)

Die Etymologie des Wortes (lat. probare, prüfen und probieren) zeigt die ursächliche Bedeutung des Wortes an: Der Mensch prüft, um Sicherheit über einen bestimmten Sachverhalt zu erlangen. So prüft der Bergsteiger das Seil, das er zum Aufstieg benutzen will, oder der Schwimmer die Wassertemperatur. (Je nach Grad der Unsicherheit und des Gefahrenpotenzials der Materie wird er sich dabei nach den Aussagen anderer richten).

Wer prüft will also sichergehen.

Die Alternative zum Prüfen wäre das ausreichende Vertrauen.

Die Frage nach der Legitimation von Schul- und Examensprüfungen könnte vor diesem Hintergrund also folgendermaßen logisch erklärt werden: Die Gesellschaft prüft, um über die Befähigung des Prüflings zur angemessenen Ausführung seiner beruflichen Rolle Gewissheit zu erlangen. Damit ist gewährleistet, dass etwa ein Arzt über das nötige Fachwissen zur Behandlung seiner Patienten verfügt. Der Prüfling beweist durch das Bestehen der Prüfung seine Eignung auch im Beruf später bestehen zu können.

Die Rolle des Prüfers beschreibt STENGEL (S. 287) folgendermaßen: „Ein wichtiges Kriterium des Prüfers ist, dass er ein legitimierter Vertreter eines bestimmten Teils der menschlichen Gesellschaft ist. Er vertritt eine bestimmte Forderung der Gesellschaft und muss darauf achten, dass der Prüfling sie erfüllt. Er ist mit der Zuteilung der Prüfungsprämie und der Strafe betraut.“

Dieser Teil ist laut STENGEL identisch mit der Schicht, die die herrschende Kultur repräsentiert und zu verteidigen hat.

Diese Sicht legt nahe, dass der Prüfungsgegenstand identisch mit den wichtigsten praktischen Anforderungen des betreffenden Berufsfelds ist. Aus ihr heraus würde die Beförderung aus ausreichendem Vertrauen eine Alternative darstellen. (So kann ein Prüfer, der schon vorher von der Leistungsfähigkeit des Prüflings überzeugt ist, guten Gewissens die Prüfung zu einem symbolischen Akt, der pro forma erledigt wird, degradieren, oder sogar, sofern das in seiner Macht steht, komplett auf sie verzichten.)

Dies erscheint jedoch schon allein aus der Gefahr der Subjektivität der Prüfer und der Kapazitäten als nicht allgemein praktikabel.

Bei näherer Betrachtung der Form und Praxis von Prüfungen, ihrer Durchführung und Auswirkungen auf den Prüfling fällt jedoch eine Anzahl Ungereimtheiten auf: Warum wird so vieles geprüft, was in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der späteren Tätigkeit des Prüflings steht? Warum wird so vieles, was später dabei dringend benötigt wird, nicht geprüft? Wie ist es möglich, dass die Prüfung so unterschiedlich gehandhabt werden kann? Und warum finden viele nach den genannten Kriterien äußerst sinnvolle Prüfungen nicht statt? (STENGEL führt hier das Beispiel eines Arztes an, der seinen Beruf 50 Jahre lang ausüben kann, ohne in dieser Zeit auf Kenntnis der einschneidenden Veränderungen und Fortschritte in seinem Fachbereich überprüft zu werden.) (STENGEL, S. 288)

Es scheint bei näherer Beschäftigung mit der Materie fast so, als bezöge die Prüfung ihre Berechtigung aus ihrer Rolle als zu meisternde Schwierigkeit allein, und das sowohl für den Prüfling als auch für die Gesellschaft (und ihren Repräsentanten, den Prüfern), als Test der Fähigkeit, eine Schwierigkeit zu meistern und als Quelle der (Selbst-)Sicherheit und Identitätsfindung. Damit würde die Überprüfung des Fachwissens nur noch zu einer nebensächlichen Begleiterscheinung ganz anderer Motive der Gesellschaft.

Es liegt also nahe, dass andere Faktoren als die genannten, logisch nachvollziehbaren Gründe die Festsetzung und Gestaltung der Prüfungsnormen bestimmen.

Zum besseren Verständnis dieser Vorgänge verweist STENGEL (S. 289 ff.) auf die Prüfungsriten primitiver Völker, wie sie von REIK in „Das Ritual“ beschrieben wurden. Hier müssen die Jünglinge des Stammes oft grausame Rituale über sich ergehen lassen, um am Ende in den Kreis der Männer aufgenommen zu werden. Sinn dieser Prozedur ist angeblich die Erprobung des kriegerischen Geistes. Die Männer des Stammes zeigen dabei eine Mischung aus sadistischen Folter- und zärtlichen Schutzhandlungen. Von einer Gruppe der Männer werden die Jünglinge geschlagen, von einer anderen geschützt. Der Charakter der Kastration tritt in der im Rahmen der Pubertätsriten stattfindenden Beschneidung deutlich zu Tage. STENGEL zitiert dazu REIK: „Wir dürfen uns nicht scheuen, diese raffinierten Quälereien als das anzusehen, was sie wirklich sind: als grausame und feindselige Handlungen der Männer gegen die jungen Leute.“ und kommt zu folgendem Schluss: „Die Pubertätsriten sind der Ausdruck des ewigen Kampfes zwischen den Generationen der Söhne und der Väter. Feindseligkeit und Freundschaft sind in ihnen vertreten, also Ausdruck des Zusammenwirkens des Hasses der Väter gegen die Söhne, die gekommen sind, sie zu verdrängen und zu ersetzen, und der werbenden Liebe der Väter zu den Söhnen, mit denen sich die Väter identifizieren und in denen sie sich fortzusetzen hoffen.“

An diesen Prüfungsriten der Primitiven lässt sich einiges an Parallelen zu unserer heutigen Prüfungspraxis festmachen: Die Zugehörigkeit des Prüfers zur Vater- und die des Prüflings zur Jünglingsgeneration, deren Modifizierung, wenn sie in seltenen Fällen auftritt, als unnatürlich empfunden wird und der offizielle Verzicht auf „Auffrischungs“-Prüfungen, auch wenn diese logisch notwendig erscheinen mögen; die fehlende Rechtfertigung des Prüfungsgegenstands aus dem vorgegebenen Prüfungszweck; die in der Gesamtheit der Prüfer zu beobachtende Ambivalenz in der Einstellung den Prüflingen gegenüber (manche Prüfer geben hier den quälenden, andere den schützenden Part); die Art der Feierlichkeiten nach Abschluss der Prüfungen; Begriffe wie „Reifeprüfung“, „geschunden werden“ (das Schinden, das Abziehen der Haut, was in den Riten der Primitiven eine große Rolle spielte), „bestehen“ oder „durchkommen“.

Auch in den Symptomen, in denen sich die Angst vor Prüfungen in unseren Kulturkreisen widerspiegeln kann, lässt sich eine Nähe vermuten. MOELLER (S.311) listet hier nach einer amerikanischen Studie folgende auf: Herzklopfen, schnellerer Herzschlag, erregte und ängstlich Stimmung, Gefühl der Anspannung, Konzentrationsunfähigkeit, Angst, zu wenig Zeit zu haben, Zittern, vegetativer Erregungszustand, vermehrtes Schwitzen, pessimistische Einstellung, Gedankenblock, Appetitlosigkeit, Gefühl der Minderwertigkeit, Verlust des geistigen Überblicks, Neigung zu Zweifeln, motorische Unruhe, unruhiger Schlaf, leichte Vergesslichkeit, Gefühl, die eigenen Fähigkeiten zu verlieren, Verkrampfung, Schlaflosigkeit, automatisches Denken, leeres und flaues Gefühl im Magen, tieferes Atmen, Kopfschmerzen, Unbehagen, Gefühl der Einsamkeit und Einzelgängertum.

STENGEL beruft sich weiterhin auf FREUD, dem er die Entdeckung des Gesetzes von der Verwandtschaft zwischen primitivem und neurotischem (irrationalem) Verhalten zuschreibt und bemerkt: „Je höher die Zivilisation, je gesünder die beiden Menschen sind, die den Prüfungsvorgang gestalten, um so geringer werden die Spuren sein, die der uralte Kampf der Generationen im Prüfungsgeschehen hinterlässt. Je neurotischer sie sind, um so mehr Irrationales, Primitives wird im Prüfungsvorgang aufscheinen.“ (S. 293)

Auch in unserer heutigen Kultur könnte man gewisse nicht offizielle Prüfungen mit den Grundgedanken der primitiven Völker in Verbindung bringen. Beispiele hierfür wären z. B. Prüfungen der Trinkfestigkeit als allgemein vertrautes Ritual, das jedoch auf mehr oder weniger freiwilliger Basis beruht oder die an Matrosen vollzogene „Äquatortaufe“, bei der der Betroffene heftiger Ertrinkensangst ausgesetzt wird. Dabei ist eine Verweigerung ebenso wenig denkbar wie etwa das Einleiten rechtlicher Schritte.

Kennzeichnend ist hier die Aufnahme in einen mehr oder weniger festen Kreis, dessen Mitglieder, die als Prüfer fungieren, dieselbe Prüfung im Normalfall ebenfalls abgelegt haben.

Wenn wir die Motive der Prüfer hier einmal näher betrachten, sind dabei folgende, aus dem „Wohl“ der Gruppe heraus zu rechtfertigende und nicht zu rechtfertigende, denkbar: (zu rechtfertigen) Auslese, Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls, näheres Kennenlernen des „Charakters“ des Prüflings durch Betrachtung seiner Reaktionen in Krisensituationen sowie, (nicht zu rechtfertigen) Sadismus, Selbsterhöhung durch Erniedrigung anderer, Festigung und Demonstration der eigenen Machtposition, rekapitulierbare Demütigung (man hat etwas in der Hand gegen den Prüfling, um ihn gegebenenfalls kleinzuhalten), durch „Erlösung von den Qualen der Prüfung“ erlangte anhaltende Dankbarkeit, Test des Prüflings auf Unterwerfungswilligkeit und eventuelle Gefährlichkeit und Verarbeitung der eigenen Prüfungserfahrungen (nach dem Motto: Die sollen durchmachen, was ich durchgemacht habe!).

Je geringer die Chancen des Prüflings sich zu wehren sind, desto ungehemmter kommen diese Motive zum Tragen. Auch die Schule und damit die schulische Prüfungssituation bietet solchermaßen disponierten Charakteren einen Raum zum Ausleben ihrer Triebregungen, in dem sie nahezu keine Strafe zu fürchten haben.

Die Psychoanalyse der Angst

Die Angsttheorien FREUDs

FREUD (2002) benennt drei zentrale seelische Instanzen, die er als ‚Seelenkräfte’ bezeichnet.

Da ist zum einen das Es, der Sitz der Triebe, in der Hauptsache des Sexualtriebs, der Libido. Später fügt er dieser noch den sogenannten Todestrieb, Destrudo, hinzu.

Die zweite Instanz ist das Über-Ich, das ‚Gewissen’, in dem die von der Gesellschaft, hauptsächlich den Eltern, tradierten Normen und Werte ihren Niederschlag finden.

Das Ich schließlich ist der Mittler, der versucht, Wege zu finden, beiden gerecht zu werden.

FREUDs erste Angsttheorie (1895) erklärt Angst zunächst als die Umwandlung verdrängter Libido. Diese Theorie erlebt im weiteren eine Modifikation, die er vor allem 1926 in seinem Werk: „Hemmung, Symptom und Angst“ behandelt. Die dort von ihm formulierte ‚Signaltheorie’ erklärt die Angst als Signal, welches dem Zweck unterstellt ist, vor einer Bedrohung zu warnen. Auslöser für die Angst ist laut FREUD der Gegensatz zwischen den Bedürfnissen des Es, welches auf Triebbefriedigung drängt, und denen des Über-Ich, welches die Wünsche der Außenwelt repräsentiert, der als unvereinbar empfundenen wird.

FREUD sieht im Vorgang der Geburt das prägende Schlüsselerlebnis für alle späteren Empfindungen von Angst. Er sieht die menschliche Angstreaktion analog zur Angstreaktion der Tiere, die sich durch natürliche Selektion gebildet haben. Wie bei diesen greift auch der Mensch in Situationen der Bedrohung demnach auf Verhaltensweisen zurück, die sich in vorangegangenen als zweckmäßig herausgestellt haben.

Das Ich reagiert nach FREUD immer dann mit Angst, wenn es keine Gewalt über das Es, das Über-Ich oder die Umwelt hat. Er unterscheidet nach diesen verschiedenen Arten der Bedrohungen drei Arten der Angst: Die Triebangst, die Gewissensangst und die Realangst. Die sogenannten neurotischen Ängste, die Triebangst, die eine Bedrohung des Ich durch Triebwünsche des Es herbeiführt, und die Gewissensangst, die eine Bedrohung durch das Über-Ich suggeriert, stellen Ängste dar, die im Inneren des Individuums ihren Ursprung haben, während die Realangst vor einer tatsächlichen Bedrohung von außen warnt.

Die Hauptsymptome der Angst sind starke Unlustgefühle und Hilflosigkeit. FREUD formuliert sechs Mechanismen zur Angstabwehr: Verleugnung, Reaktionsbildung, Projektion, Identifizierung, Rationalisierung und Verschiebung.

Weitere psychoanalytische Angstmodelle

ADLER sieht die Entstehung der infantilen Angst im Erschrecken vor der übermächtigen Welt draußen, aus dem Gefühl allgemeiner Hilflosigkeit (Minderwertigkeit). Er betrachtet vor allem das finale Moment, das „Wozu?“ eines Symptoms, das er dem von ihm als primär angesehenen Wunsch nach Überlegenheit und Geltung (im Gegensatz zu FREUD, der die Libido und den Todestrieb für zentral hält) zuordnet. (BITTER 1971, S.64)

C. G. JUNG, als dritter Vertreter der „klassischen“ Psychoanalyse verweist im Besonderen darauf, dass Konflikte nicht immer auf tatsächliche Personen, sondern auch auf die von ihnen verkörperten „Archetypen“ Bezug nehmen können. (BITTER, S. 131)

Zum Schluss sei hier noch die Neo-Analyse angeführt, die die vier Grundformen der Angst den vier Grundimpulsen in unserem Leben zuteilt.

Die Grundimpulse:

1.Streben nach Hingabe und Geborgenheit beim anderen.
2.Gegenstreben nach Selbstbewahrung und Ichwerdung.
3.Streben nach Veränderung, Wandlung und Entwicklung.
4.Gegenstreben nach Dauer und Beständigkeit.

Die dazugehörigen Grundformen der Angst:

1. Angst vor Selbsthingabe, weil sie als Ich-Verlust und Abhängigkeit erlebt wird.
2. Angst vor Selbstwerdung, weil sie als Ungeborgenheit und Isolierung erlebt wird.
3. Angst vor der Wandlung, weil sie als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt wird.
4. Angst vor der Notwendigkeit, weil sie als Festgelegtsein und Unfreiheit erlebt wird. (RIEMANN)

Psychoanalytische Betrachtungen zum Zusammenhang zwischen Prüfungen und Angst

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Realangst: Es erscheint logisch nachvollziehbar, dass die Prüfung Unwägbarkeiten beinhaltet, die eine berechtigte Angstentwicklung hervorrufen. Der Prüfling befindet sich in einer Situation der Unsicherheit, die Prüfungsfragen, der Ablauf der Prüfung und das Prüfungsergebnis sind Faktoren, die ihm weitgehend unbekannt sind und die sich außerhalb des Macht- und Einflussbereichs seines Ichs befinden. Diese Unsicherheit steht vor dem Hintergrund der oft hohen Bedeutung der Prüfung für den Prüfling. Nicht selten könnte ein Durchfallen die Arbeit von mehreren Jahren zunichte machen. Abgesehen davon wäre es denkbar, dass der Prüfling sich in der Prüfung blamiert oder den Prüfer durch vermeidbare Wissenslücken oder Unpünktlichkeit enttäuscht oder verärgert, was seiner späteren Laufbahn hinderlich sein könnte. In der Abhängigkeit von der Willkür eines möglicherweise selbst neurotischen Prüfers liegt zweifellos ein großer Gefahrenkomplex. Daneben bergen Umfang und Schwierigkeitsgrad des Themas, unzureichende Vorbereitungszeit oder Materialien sowie mangelnde geistige Leistungsfähigkeit seitens des Prüflings weitere Gefahrenpotenziale.

Nach FREUD hat die Angst hier die Signalfunktion, das Ich auf diese in der Prüfung enthaltenen Gefahren hinzuweisen und es zu alarmieren, damit es die notwendigen Schritte ergreift, um diese abzuwehren. Im Bezug auf die Prüfung wären das z. B. eine ausreichende Vorbereitung auf das Prüfungsthema und mögliche Eigenarten des Prüfers, absolut pünktliches Erscheinen und angemessene Kleidung.

Man könnte hier von einer konstruktiven, sinnvollen Angst sprechen, Reaktion auf eine tatsächliche Bedrohung für das Individuum von außen.

Anders verhält es sich mit den neurotischen Ängsten, auch Prüfungsneurosen, die hier im Folgenden besprochen werden sollen. FREUD (2002) teilt diese wie schon erwähnt in zwei Hauptgruppen ein: Die Angst vor der Stärke der Leidenschaften des Es (Triebangst) und die Angst vor den Anforderungen des Über-Ich (Gewissensangst). Sie sehen in der Prüfung eine Bedrohung, deren Ursprung aber im Innern des Prüflings zu suchen ist, also in unbewussten, nicht verarbeiteten Konflikten, die auf die Prüfung übertragen werden, liegt. Nach FREUD ist insbesondere die Stellung des Prüfers, der mit dem Vater identifiziert wird, von Bedeutung.

STENGEL (S. 296) weist darauf hin, dass der Begriff „Prüfungsneurose“ richtigerweise „neurotisches Verhalten in der Prüfungssituation“ meint. Er bemerkt dazu, dass eine Prüfungsneurose keine Krankheitseinheit ist, sondern dass jeder Prüfungsneurotiker auch sonst neurotisch ist.

Aspekte der Prüfung

Betrachten wir die Theorien zur Angst nun auf ihre Beziehung zur Prüfung hin, so gehen wir noch mal auf ihre möglichen Bedeutungsaspekte für den Prüfling ein:

a) Der Öffentlichkeitsaspekt der Prüfung (MOELLER S. 317: Der bipolare überindividuelle Aspekt; Situation der Begegnung):

Die Prüfung, hier natürlich im Besonderen die mündliche Prüfung, lässt den Prüfling und seine ‚Performance‘ zum Mittelpunkt des Interesses von Prüfer oder Prüfungskommission sowie eventuell anwesenden Beisitzern, Mitprüflingen oder Zuschauern werden.

b) Die Prüfung als Schwelle zu einer veränderten Identität

Die Prüfung kann einen Knotenpunkt sowohl im Selbstverständnis des Prüflings als auch in den Augen der Außenwelt darstellen. Sie markiert häufig eine Schnittstelle im Leben des Prüflings, die den Übergang von der kindlichen in die Welt der Erwachsenen bildet und bringt Verantwortung und Unsicherheit, aber auch Freiheit und Selbstbestimmung mit sich.

c) Die Prüfung als Erprobung des Selbst (MOELLER: Der individuelle Aspekt; Situation der Selbstverwirklichung)

Dieser Aspekt beleuchtet die Bedeutung der Prüfung für das Selbstverständnis des Prüflings. Die Bestätigung, die das erfolgreiche Bestehen mit sich bringt, ist neben den gesellschaftlichen und sozialen Vorteilen als Grund für das Eingehen von Prüfungen zu sehen. Für den Prüfling ist es lustvoll besetzt, sich selbst auf die Probe zu stellen und somit Sicherheit über die eigene Leistungsfähigkeit zu erlangen. Das es auch in Situationen, in denen straffreies „Schummeln“ möglich ist, nicht zwangsläufig dazu kommt, hängt ebenfalls mit diesem Aspekt zusammen.

d) Die Prüfung als Vergleich innerhalb der Gemeinschaft der Prüflinge (MOELLER: der gemeinschaftliche überindividuelle Aspekt; Situation der Rivalität und der gegenseitigen Unterstützung)

Die Prüfung stellt einen Vergleich sowohl mit den Mitprüflingen, die als Mitglieder einer Gruppe, z. B. eines Jahrgangs oder Kurses im gleichen Zeitraum die gleiche Art Prüfung durchlaufen, als auch mit all jenen, die diese zeitunabhängig noch vor oder schon hinter sich haben. Das gemeinsame „Leiden“ steht hier verbindend auf der einen Seite, die Konkurrenz untereinander auf der anderen.

Außerdem bildet der Vergleich einen wichtigen Gradmesser für die Bewertung der eigenen Leistung durch andere und das Individuum selbst, der im vorherigen Punkt dargelegt wurde. Ein „ausreichend“ verändert sich im Stellenwert gravierend, wenn die sonstige Durchschnittsnote ein „sehr gut“ oder ein „mangelhaft“ ist.

e) Der gesellschaftliche Aspekt (MOELLER: Der überindividuelle Gesellschaftsaspekt; Situation sozialer Anerkennung)

Neben dem Vergleich mit den Mitprüflingen stellt die Prüfung auch eine Möglichkeit zur Erlangung eines bestimmten sozialen Status dar, sozusagen ein Vergleich mit der Gemeinschaft im weiteren Sinne. Es ist zu erwarten, dass eine bestandene Prüfung mit gesteigerter sozialer Anerkennung einhergeht.

f) Die Prüfung als Unterwerfung

Die Prüfung verlangt vom Prüfling die Unterwerfung unter die (oftmals fragwürdigen und willkürlichen) Vorgaben der Außenwelt, denen er weitgehend ohnmächtig gegenübersteht. Sie fordert somit die Akzeptanz ihrer Normen und Werte, belohnt die größtmögliche Anpassung an ihre Anforderungen und bestraft deren Verweigerung.

g) Der Aspekt einer unbewussten Projektion (MOELLER: Der unbewusst übertragene Aspekt)

Das Auftreten dieses Elements scheidet den Neurotiker vom normal Prüfungsängstlichen. Erstgenannter verbindet unverarbeitete Konflikte mit einem bzw. mehreren der Prüfungsfaktoren und entwickelt daraufhin eine rational nicht nachzuvollziehende Angst. Laut MOELLER überlagert dieser Aspekt die vorgenannten, realen Aspekte und lässt die Prüfung zu einer Situation werden, in der der Prüfling gezwungen ist, unbewusste Ängste aus der Kindheit wieder neu zu erleben.

Prüfungsfaktoren und deren mögliche Funktionen

Betrachten und ergänzen wir die in Punkt 2. aufgeführten verschiedenen Faktoren noch mal im Bezug auf eine Schul- oder Examensprüfung. Als da wären:

- Das Prüfungsgeschehen, darin:

- Der Prüfling

- Der Prüfer (Die Prüfungskommission)

Sonstige Anwesende, Zuschauer, Mitprüflinge

- Der Prüfungsgegenstand (Das Prüfungsthema), die Prüfungsfragen

- Der Prüfungsablauf

- Das Prüfungsergebnis (Prüfungserfolg, Prüfungsversagen, Abstufungen)

Sowie, weiter gefasst:

- Die Prüfungsvorbereitung

- Die Konsequenzen aus dem Prüfungsergebnis (individuell, für das nähere soziale Umfeld, für das weitere soziale Umfeld)

- Die Offenheit des Ausgangs (Die Möglichkeit verschiedener Prüfungsergebnisse)

- Die Bedeutung der Prüfung (individuell, für das nähere soziale Umfeld, für das weitere soziale Umfeld)

MOELLER ordnet den Prüfungsfaktoren jeweils drei mögliche Funktionen zu:

1. Als „reales Gefahrenmoment“, das eine adäquate Prüfungsangst hervorrufen kann.

2. Als „Entgegenkommen der Realität für die Wiederholung eines neurotischen Konflikts“. (Er verwendet hier das Beispiel eines Jurastudenten mit schweren neurotischen Gewissensqualen, bei dem die Prüfung im Schuldrecht starke Ängste verursacht, weil sie seinem unbewussten Konflikt entgegenkommt.)

3. Als selbst neurotisch besetzt. (Er nennt hier einen neurotischen Prüfer oder eine neurotische Strukturierung des Prüfungsvorgangs.)

Die fünf Arten der Bedrohung nach MOELLER

MOELLER (S. 318) unterteilt fünf Arten einer möglichen Bedrohung in der Prüfung:

1. Bedrohung der Person durch den eigenen unkontrollierten Trieb, Triebangst.
2. Bedrohung der Person durch die Bestrafung ihrer Triebwünsche, Straf-, Schuld- bzw. Gewissensangst.
3. Angst vor dem eigenen Masochismus.
4. Bedrohung durch den Verlust eines Schutzes, Trennungsangst.
5. Bedrohung durch den Verlust einer unbewussten Allmachtsvorstellung, narzisstische Kränkung.

Die ersten beiden Punkte, die Trieb- und die Gewissensangst, die nach FREUD aus der Unvereinbarkeit der Anforderungen des Es und des Über-Ich entspringen und denen laut FREUD als Hauptkategorien die anderen neurotischen Ängste untergeordnet werden können, sind hier von MOELLER im Bezug auf die Prüfungsangst um drei Punkte erweitert bzw. weiter oder neu unterteilt worden. Die Angst vor dem eigenen Masochismus erscheint auch eines eigenen Punktes entbehren zu können.

Weitere Bemerkungen zu Prüfungsneurosen

MOELLER weist des Weiteren darauf hin, das die neurotische Prüfungsangst als Angstgemisch zu verstehen ist und nennt folgende vier hauptsächliche Gefahrensituationen der Prüfung als mögliche Bezugspunkte: (S. 319)

1. Die Situation der Versuchung – d.h. Versuchung seiner (libidinösen und aggressiven) Triebwünsche. (Darin enthalten auch die Versuchung der gegengeschlechtlichen Rolle und die Geschwisterrivalität.)
2. Die Situation der Bestrafung dieser Triebwünsche.
3. Die Situation der Trennung – nämlich von der Schutzwelt des Kindes.
4. Die Situation der Kränkung – nämlich der inadäquaten Vorstellung seiner selbst.

Dazu kommt noch 5.: Die Situation der masochistischen Versuchung, der Versuchung, sich selbst zu schädigen und zu bestrafen.

MOELLER sieht, nach der Schule FREUDs, die Libido und die Aggressivität als die primären Triebtendenzen an. Er sieht den Zusammenhang dieser Triebe mit den bei der Prüfung betroffenen intellektuellen Fähigkeiten (Teil der Ich-Funktionen) in der engen Verbindung von Ich und Es im frühkindlichen Stadium. Er nennt dazu ein Beispiel: „Die optische Wahrnehmung, das Sehen, wird etwa im ersten Lebensjahr in der sogenannten oralen Phase, in der die Nahrungseinnahme die entscheidende vitale Aufmerksamkeit erregt, vom Säugling ebenfalls als ein Vorgang der Einverleibung erlebt. Diese Ich-Funktion ist also mit dem libidinösen und aggressiven Triebvorgang verbunden, was etwa in der Sprachwendung vom ‚verschlingendem Blick‘ nachklingt“.

Und obwohl diese Ich-Funktionen mit zunehmender Reife selbstständiger werden und das Ich u. a. die entscheidende Fähigkeit des Aufschubs der Bedürfnisstillung, die Geduld, lernt, können sie in Krisenzeiten wieder zurück in ihre „frühere Legierung mit den Trieben fallen“. (vgl. MOELLER S. 314)

Dieses Phänomen wird als Ich-Regression bezeichnet.

MOELLER misst diesem Vorgang, durch den die intellektuellen Fähigkeiten in die Triebkonflikte „hineingezogen“ werden, im Bezug auf die Prüfungsangst große Bedeutung bei.

Die intellektuelle Leistung kann so auch von unbewussten Konflikten mit Teilen des näheren sozialen Umfelds (etwa Eltern oder Partner), die dem Bestehen der Prüfung einen hohen Wert beimessen, beeinflusst werden.

STENGEL (S. 296) spricht in dieser Hinsicht von irrationalen, affektiven (bei ihm als libidinös zusammengefassten) Momenten, die störend in den Prüfungsvorgang eingreifen, als Quellen für ein neurotisches Verhalten in der Prüfungssituation.

Dabei spielt nach STENGEL nicht nur das neurotische Verhalten des Prüflings, sondern auch das des Prüfers und deren Zusammentreffen eine Rolle.

Auch sieht er im Vatercharakter des Prüfers die wesentliche Ursache für eine neurotische Reaktion des Prüflings.

Wie bereits angeführt, ließen sich noch andere Ansatzpunkte finden, die als primär in der Entstehung neurotischen Verhaltens angesehen werden könnten. So ließen sich nach ADLER der Geltungs- und Machttrieb als ursächlich betrachten, der sich vornehmlich auf den erwähnten Aspekt der Prüfung als Unterwerfung bezieht, die vom Prüfling als Situation der Ohnmacht wahrgenommen wird. Nach der Typenlehre der Neoanalyse würden sich die Prüfungsängste vom Grundcharakter (schizoid, depressiv, zwangsneurotisch, hysterisch) des Prüflings herleiten lassen (RIEMANN). Dabei wäre im Besonderen der Aspekt der Prüfung als Schwelle zu einer neuen Identität zu beachten.

Allgemein ist noch das Auftreten besonderer Ereignisse im Leben des Prüflings, etwa der Tod eines nahen Verwandten (der z. B. ein unbewusstes Schuldgefühl weckt) oder die Aufnahme einer problematisch besetzten Beziehung in der Vorbereitungszeit, als unter Umständen äußerst bedeutsamer Faktor nicht außer Acht zu lassen. Die Prüfung würde hier praktisch von den schwerwiegenden Auswirkungen eines solchen Ereignisses auf das Gefühlsleben des Prüflings betroffen.

Des Weiteren sei hier nochmals erwähnt, dass dem Geschlecht des Prüflings, bzw. seinen femininen und maskulinen Anteilen und Triebtendenzen und seine Stellung dazu, zweifellos Aufmerksamkeit zuteilwerden muss. Auch lassen sich bestimmte Prüfungsneurosen geschlechtlichen Anteilen zuordnen, was im späteren, im Zuge der Ausführungen zur „Situation der Versuchung der gegengeschlechtlichen Rolle“ noch näher erläutert wird.

Die Neurosen des Prüflings

Ich habe die Neurosen des Prüflings ihrem Bezug zu folgenden Prüfungsfaktoren zugeordnet: Dem Prüfungsgeschehen (wozu der Prüfling, der Prüfer, der Prüfungsgegenstand, eventuell anwesende Mitprüflinge und die Prüfungsform gehören) sowie dem Prüfungsergebnis, das ich unterteilt habe in: Die Möglichkeit des Prüfungserfolgs mit Konsequenzen und die Möglichkeit des Prüfungsversagens mit Konsequenzen (hier zugehörig: die Bedeutung und Konsequenzen aus der Prüfung für den Prüfling, sein näheres und sein weiteres soziales Umfeld). Dabei ist natürlich zu beachten, dass sich ein neurotisches Verhalten in der Prüfung immer aus mehreren Quellen speist und dass die verschiedenen Faktoren auch untereinander in vielfacher Beziehung stehen.

Konflikte mit Aspekten des Prüfungsgeschehens

Erleben der Öffentlichkeit als Gefahr und Angst vor dem Hervorbrechen abnormer Triebregungen

Nach MOELLER kann hierin eine „Situation der Versuchung“ durch die Triebwünsche des Es gesehen werden, welche vom Ich als bedrohlich aufgefasst wird. Der Prüfling fühlt sich unbewusst verführt, seinen libidinösen, etwa exhibitionistischen oder aggressiven Trieben nachzugeben (Triebangst). MOELLER (S. 323) führt zu dieser Thematik das Beispiel einer Studentin an, deren Ängste aus dem unbewussten Wunsch, ihren „feminin-libidinösen Impulsen“ nachzugeben und mit ihren Lehrern sexuellen Verkehr zu haben, herrührten. MOELLER der in dieser Angsttheorie FREUD folgt, betrachtet außerdem noch die Versuchung durch die gegengeschlechtliche Rolle, beim Mann die feminin-passive, bei der Frau die maskulin-phallische. Wenn der Prüfling mit dieser Rolle eine Gefahr verbindet, etwa die Angst vor eigenen homosexuellen Tendenzen, die er in der Prüfung aktualisiert sieht, kann dies eine neurotische Angstreaktion zur Folge haben.

Geschwisterrivalität

Prüflinge, die einen nicht verarbeiteten Rivalitätskonflikt in Bezug auf ein Geschwisterteil (oder mehrere) in sich tragen, können durch die Anwesenheit von Mitprüflingen, mit denen sie diese unbewusst identifizieren, in der Prüfung beeinflusst werden. Die aggressiven Impulse gegen die „Konkurrenten“ rufen Triebangst hervor. Laut MOELLER (S. 326) ist dieser Faktor zwar häufig, stellt aber meist nur eine Steigerung der Prüfungsangst dar. Er führt hierzu das Beispiel einer Probandin an, die eine Prüfung nicht durchstehen konnte, weil sie den Hass und die Angst vor ihren Geschwistern auf die ihr bekannten, anwesenden Mitprüflinge bezog. Die gleiche Prüfung konnte sie mit fremden Studenten kurze Zeit später weitgehend angstfrei bestehen.

Prüfung als Situation des Ausgeliefertseins in die Macht einer strafenden Vaterfigur, Kastrationsangst

Besonders Prüflinge, die von einem strengen Vater zur Leistung „geprügelt“ werden sollen, aktualisieren in der Prüfung eine starke Strafangst, da sie den Prüfer mit dem Vater identifizieren. Sie sehen die Prüfungssituation als Gefahr, der Bestrafung durch den Vater hilflos ausgeliefert zu sein, was eine heftigen Fluchtreflex auslöst. SINGER (S. 138) führt hierzu noch den Aspekt der Kastrationsangst an. Der Prüfling verbindet mit dem Prüfer und den Prüfungsfragen den Vater und dessen Frage danach, ob er ihm die Mutter wegnehmen will. Da er darauf nicht antworten kann, entwickelt er im Zuge des Ödipus-Komplexes Schuldgefühle und Schuldangst dem Vater gegenüber sowie die Angst davor, dass der Vater ihn als Konkurrenten sehen und kastrieren könnte (Strafangst).

Auch die bereits erwähnte Verbindung zwischen der intellektuellen Leistung und den Trieben, die Gleichsetzung des Erfolgs in der Prüfung mit einem Erfolg bei der Mutter, kann hier angeführt werden.

Die Ängste berühren einen unbewussten Konflikt, der durch die Konstellation und den Ablauf des Prüfungsgeschehens auf die Prüfungssituation übertragen wird und auf diese Weise für den Prüfling wieder hervorbricht. Die Prüfung wird für ihn zum Tribunal, in dem falsche, aber auch richtige Antworten (wenn die ödipale Situation übertragen wird) als mögliche Auslöser für eine Bestrafung mit Angst belegt werden können. Es sind natürlich auch beliebige Wechselwirkungen beim Zusammenwirken gegensätzlicher Über-Ich Anteile (vgl. HIRSCH S. 86) vorstellbar.

Verknüpfung der Prüfung mit dem Versagen beim Geschlechtsakt

SINGER (S. 142) führt den Aspekt der Prüfung als „Erprobung sexueller Reife“ an. Da der Anteil der Impotenten, die bei einer Prüfung versagen, auffällig hoch ist, sieht er darin eine Verbindung. Er verweist hier auf Freud, der von einer „Vorbildlichkeit der Sexualität“ spricht, wobei ein Versagen in diesem Bereich sich auch auf andere Bereiche auswirkt. Da auch der Geschlechtsakt als eine Art Prüfung aufgefasst werden kann, ist der Aspekt der Entmutigung als Verstärkung der Erwartungsangst nachvollziehbar, wobei anzunehmen ist, dass dem ein ursächlicher Konflikt zu Grunde liegt.

Verknüpfung des Prüfungsgegenstandes mit inneren Konflikten

Wie im Beispiel des von MOELLER (S. 315) angeführten Jurastudenten, bei dem die Prüfung im Schuldrecht einen unverarbeiteten Gewissenskonflikt aktualisiert, kann auch das Prüfungsthema selbst eine Verbindung zu neurotischen Verhaltensweisen herstellen.

Konflikte mit einem eventuellen Prüfungserfolg und den Konsequenzen

Die Angst davor, erfolgreich zu sein

Prüflinge, deren Über-Ich Erfolg negativ besetzt, können im Bestehen der Prüfung eine Gefahr sehen. HIRSCH (S. 77) nennt das: „Schuldgefühl aus Vitalitätsbestrebungen“. Der eigene Erfolg wird hier als Zurücksetzung und Schädigung anderer erlebt, so, „als ob nur eine bestimmte Menge Erfolg zur Verfügung stünde“.

Dieser Aspekt beleuchtet die allgemein erfolgshemmende Dimension der Gleichsetzung von jedwedem bedeutenden Erfolgserlebnis mit dem Erfolg beim ödipalen Elternteil, der unbewusst eine Beseitigung des anderen einschließt und so eine Schuldangst hervorruft. Laut HIRSCH wirkt die Angst vor dem Erfolg „als Angst vor Strafe, Kastration, Liebesentzug oder gar Verlust des Objektes“ (S. 79) in dieselbe Richtung. Auch gegenüber Geschwistern kann der Erfolg als Überrunden und Übertreffen und somit als auf deren Kosten erreicht, besetzt und somit mit Schuldangst verbunden sein.

Trennungsangst

Die Prüfung markiert häufig den Abschluss eines bestimmten Lebensabschnitts, nach dem ein neuer beginnt. Damit bekommt das Bestehen der Prüfung die Bedeutung des Verlustes der Sicherheit des vertrauten Zustands. Im Extremfall kann die Prüfung hier als eine Art Tod erlebt werden, auf die eine Neugeburt folgt. Auch durch eine traumatische Erfahrung, die der Prüfling in der Kindheit gemacht hat, kann dies im Besonderen problematisiert sein.

HIRSCH (S. 83) bezeichnet in diesem Zusammenhang den „Ambivalenzkonflikt zwischen Autonomiebestrebungen und Abhängigkeitsbedürfnis“, der sich hier wiederfindet, als den allgemeinsten Konflikt des Menschen.

Die verschiedenen Aspekte finden sich auch im neo-analytischen Modell wieder: Die Veränderung der Identität in der Prüfung als Situation der Selbstwerdung und der Angst vor Ungeborgenheit (depressive Angst) und als Situation der Wandlung und der Angst vor Vergänglichkeit und Unsicherheit (zwangsneurotische Angst).

MOELLER (S. 330) führt die durch die Prüfung erweckte Angst auf den Verlust des elterlichen Schutzes (vgl. den Begriff „Alma mater“) zurück und ordnet diese in FREUDs Angstmodell ein: Triebangst ist demnach vorhanden, wenn der Verlust Angst vor den eigenen unkontrollierten Impulsen meint, Strafangst, wenn er Liebesentzug bedeutet und Schuldangst, wenn er ein Verlassen, also einen aggressiven Akt, darstellt.

Konflikte mit einem eventuellen Prüfungsversagen und den Konsequenzen

Versagen als Racheakt gegen am Erfolg interessierte Bezugspersonen

Ein Prüfling, der starke unbewusste Hassgefühle, z. B. seinen Eltern oder seinem Partner gegenüber, empfindet, kann die Prüfung als Gelegenheit sehen, sich durch ein Versagen an diesen Personen zu rächen. MOELLER (S. 326) nennt hier das Beispiel eines Studenten, der aufgrund starker Hassimpulse seiner Frau gegenüber, die sehnsüchtig auf das bestandene Examen wartete, in heftige Versuchung geriet, seinen aggressiven Trieben durch ein Nichtbestehen nachzugeben, und der aus diesem Grunde schließlich seine fertige und ausreichende Arbeit nicht abgeben konnte.

Angst vor einer narzisstischen Kränkung

Nach FREUD kann die Unfähigkeit, Beziehungen zu anderen aufzubauen und auf diesem Wege die Libido zu befriedigen, dazu führen, dass diese auf sich selbst umgeleitet wird. Solche narzisstischen Persönlichkeiten gehen unbewusst von einer „Allmachtsvorstellung ihrer Fähigkeiten und ihrer Person aus“ (MOELLER, S.331), die durch die Prüfung erschüttert werden kann. Ein mögliches Versagen wäre mit dem Selbstbild des Betroffenen nicht zu vereinbaren, da das Ich, das auf die Größe des vom Über-Ich aufgebauten Ideal-Ich aufgebläht wurde, der Konfrontation mit der Realität nicht standhalten könnte.

Prüfungsversagen als unbewusste Selbstbestrafung

STENGEL (S. 298) bezeichnet dieses Verhalten als „Schicksalsneurose“. Ein tiefes Schuldgefühl aus der Kindheit führt hier zu einem unbewussten Bedürfnis nach Selbstbestrafung, was den Prüfling dazu verleitet, stets alles so einzurichten, dass er zwangsläufig scheitern muss. Auch die Verweigerung der Anerkennung durch die Eltern, insbesondere den Vater, kann hier eine Rolle spielen. So ruft der Liebesentzug einen Hassimpuls hervor, der jedoch nicht ausgelebt werden kann und schließlich gegen sich selbst gerichtet wird. Außerdem wird dem Vater auf diese Weise gewissermaßen Recht gegeben, man verdiene tatsächlich keine Anerkennung. (vgl. HIRSCH, S. 86)

Angst vor dem eigenen Masochismus

Nach MOELLER (S. 329) bietet die Prüfung aufgrund ihrer großen Bedeutung für Beruf, Selbstverwirklichung und Anerkennung ein „Verführerisches Ziel“ für den Masochismus, die lustvolle Selbstbestrafung. Die masochistischen Impulse sind laut MOELLER eine Verbindung aggressiver und libidinöser Impulse, die aus Aggressivität gegen Außenstehende, meist die Eltern, entspringen. Da diese Aggressivität aber nicht ausgelebt werden kann, da sie unter strenger Bestrafung steht, richtet sie sich gegen sich selbst. Die Realangst vor dem Prüfungsversagen wird hier also unbewusst instrumentalisiert um sich selbst zu quälen, was als lustvoll empfunden wird. Gleichzeitig verspürt das am Bestehen der Prüfung interessierte Ich Angst vor diesen selbstzerstörerischen Impulsen (Triebangst).

Neurotische Beeinflussung durch das soziale Umfeld

Das familiäre Umfeld des Prüflings ist nicht nur als passive Gegebenheit zu untersuchen. Es bildet vielmehr auch eine aktiv handelnde Instanz, die sich selbst neurotisch verhalten und somit den Prüfling empfindlich stören kann. So werden ja auch die moralischen Vorstellungen und gesellschaftlichen Werte, die das Über-Ich des Prüflings bilden, vom sozialen Umfeld des Prüflings transportiert. Hier ist den Eltern zweifellos die bei weitem größte Wirkung zuzuschreiben. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Über-Ich dabei aufgrund der unterschiedlichen Einflüsse auch unterschiedliche Anteile aufnimmt, welche zudem gegensätzlich, konträr sein können. Wenn die Eltern nun selbst noch unbewältigte Konflikte beherbergen und diese in Form von neurotischen Wünschen und Maßgaben im Über-Ich des Kindes verankert werden, werden dessen Anforderungen immer bedrohlicher für das Ich. So können verschiedene Über-Ich Anteile starke Schuld- und Strafängste, die zudem noch wegen ihrer gegenläufigen Positionen unauflösbar werden, auslösen. HIRSCH (S. 86) nennt hier das Beispiel einer Patientin deren Mutter einerseits gute Zensuren von ihr forderte und die andererseits ihren Wunsch, das Gymnasium zu besuchen, mit Beschimpfungen, sie halte sich wohl für etwas Besseres, quittierte. Die Mutter zeigt hier ein für viel Eltern charakteristische Verhalten: Die Abhängigkeit des Kindes soll bestehen bleiben, es soll kleingehalten werden, während sie auf der Gegenseite die Leistungen des Kindes vor Freunden und Bekannten zur eigenen Bestätigung stolz präsentieren. Solch ein Verhalten kann natürlich vor allem im Hinblick auf Prüfungssituationen und besonders im Falle einer Aktualisierung dieser Konflikte etwa in der Prüfungsvorbereitung schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Die Rolle des Prüflings dabei ist weitgehend in den Punkten 5.2.1. und 5.2.2. thematisiert worden.

Neurotisches Verhalten des Prüfers

Leider würde es den Rahmen dieser Arbeit sprengen, sich ausführlich mit den Neurosen des Prüfungsgestaltenden, des Prüfers zu beschäftigen. Es ist aber in jedem Fall ein Faktor, dem große Bedeutung beigemessen werden muss. STENGEL (S. 304) bemerkt dazu: „Neurotisches Verhalten beim Prüfer kann krankhafte Reaktionen beim Prüfling provozieren, die bei richtigem Verhalten vielleicht nie manifest geworden wären. Der neurotische Prüfer bildet vielfach die Quelle einer berechtigten Angst auch des nichtneurotischen Prüflings, also einer Realangst...“

Da der Prüfer sich aufgrund seiner in der Prüfung auftretenden Neurosen im Normalfall nicht in Behandlung begeben muss erfährt dieser Aspekt eher spärliche Beachtung. Für den Verlauf der Prüfung jedoch ist er von eminenter Relevanz.

STENGEL (S. 302) führt folgende Gründe für das neurotische Verhalten des Prüfers an:

a) Unbewusste Identifizierung mit einem allzu strengen Vater nach dem Prinzip ‚Wie er mir, so ich dir‘
b) Zu warme väterliche Gefühle
c) Grundsätzliche Verachtung des Prüflings, welche ein ernsthaftes Einlassen verhindert und dazu führt, dass der Prüfer den Prüfling in jedem Fall passieren lässt.
d) Das narzisstische Bestreben, den Prüfling so haben zu wollen, wie man selbst ist und die Prüfung ausschließlich an den eigenen Interessen- und Forschungsgebieten auszurichten, auch wenn diese nicht mit dem sachlich relevanten Stoff korrespondieren.
e) Identifizierung mit dem Prüfling. Der Prüfer sieht hier im Studenten den eigentlichen Prüfer und versucht das Schuldgefühl darüber, dass er die Vaterrolle übernommen hat, durch stetiges Erzählen zu besänftigen. Vor allem bei Anwesenheit von weiteren Autoritätspersonen kann der Prüfer hier in einen schwerwiegenden Konflikt geraten.

SINGER (S. 145, f.) fügt diesem Komplex noch „Hass gegen den Rivalen“, welcher, etwa bei Erwähnung eines als Rivalen empfundenen Kollegen, demgegenüber der Prüfer aggressive Hassimpulse verspürt, auf den Prüfling projiziert wird und „Sadistische Regungen“, die Lust den Prüfling zu quälen, hinzu. Der Sadismus des Prüfers findet in der Strukturierung des Schulwesens und im Besonderen in der Prüfung natürlich vortreffliche Bedingungen vor. Während der sadistische Prüfer selbst allerlei Instrumentarien zur Demütigung des Prüflings in der Hand hält, ist dieser dem Prüfer nahezu ohnmächtig ausgeliefert. So ist es dem Prüfer im Regelfall bequem und ungestraft möglich, selbst bestens vorbereitete Kandidaten durchfallen zu lassen, wenn er will. Es gibt Theorien, die in dieser Möglichkeit, seine sadistischen Impulse auszuleben, den Hauptgrund für das Ergreifen des Lehrerberufs sehen. SINGER sieht die Ursachen für den Sadismus des Prüfers in der Feigheit, seine aggressiven Impulse an Erwachsenen auszuleben, weil er dort Widerstände erwarten müsste.

Fazit

Die Aufgabe der Psychoanalyse im Bezug auf die Prüfungsangst bzw. Prüfungsneurose liegt m. E. in der Aufdeckung und Bewusstmachung ihrer Ursachen, nicht nur im Bezug auf den Prüfling, sondern auch im Bezug auf den Prüfer und die gesellschaftlichen Ansichten und Wertvorstellungen, die er repräsentiert. Dabei ist die Frage danach, warum es Prüfungen überhaupt und in dieser Form gibt, der erste Schritt. STENGEL bemerkt: „Der neurotische Prüfling ist bedauernswert, der neurotische Prüfer ist gefährlich. Er schadet nicht nur dem Prüfling, sondern auch der Sache, die er zu vertreten hat.“(S. 301 f.). Wobei, wie schon angesprochen, darüber hinaus fraglich bleibt, was denn nun die Sache ist, die er zu vertreten hat. Wenn die Überprüfung fachlicher Qualifikationen, wie in Punkt 2. angeführt, nur das Alibi für die wahren Motive der Prüfungspraxis, die in der gesellschaftlichen und gesetzlichen Festlegung ihren Ausdruck finden, bildet, könnte man die an den Prüfer gerichteten Anforderungen auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. So liegt die indirekte gesellschaftliche Legitimation seines Tuns vielleicht eher lediglich in seiner Rolle als Hindernis, durch das etwa die Fähigkeit des Prüflings mit Schwierigkeiten und problematischen Charakteren umzugehen und seine Menschenkenntnis (ob er so klug ist, sich einen anderen Prüfer zu suchen) gemessen werden soll. Die Vielzahl neurotische Prüfer selbst ist hier schon der Beweis für die Fragwürdigkeit des Sinns und Zwecks des Prüfungswesens, da sie ja sämtlich ihren Beruf ausüben ohne die elementarsten menschlichen Qualifikationen, welche für ihre Tätigkeit entscheidend sind, jemals nachgewiesen haben zu müssen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Triebimpulse der primitiven Völker in sublimierter Form weiterhin ihren Niederschlag finden.

Auch die Neurosen des Prüfers benötigen vor allem die Schaffung eines Bewusstseins für ihre Relevanz. Solange diese Grundlagen des Bildungswesens nicht behandelt werden, wird die Erfüllung der Aufgabe der Prüfung, den Prüfling auf Tauglichkeit für seinen späteren Beruf hin zu testen, weiter oftmals verfehlt.

Und so oft dieser Gedanke auch schon formuliert wurde, so wenig Veränderungen sind hier doch festzustellen.

Literaturverzeichnis

Bitter, W.: Die Angstneurose. 2. Aufl. München 1971

Freud, S.: Hemmung, Symptom und Angst. (1926) In: Gesammelte Werke Band II-III. Frankfurt 1964

Freud, S.: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. 11., unv.

Aufl. Frankfurt a. M. 2002 (Erschien zuerst 1916/17)

Hirsch, M.: Arbeitsstörungen und Prüfungsangst. In: Psychoanalyse und Arbeit: Kreativität, Leistung, Arbeitsstörungen, Arbeitslosigkeit. Hrsg. Hirsch, M. Göttingen 2000 Psychoanalytische Blätter Bd. 14

Moeller, M. L.: Zur Psychoanalyse der Prüfungsangst. (1969) In: Der psychoanalytische Beitrag zur Erziehungswissenschaft. Hrsg. Fürstenau, P. Darmstadt 1974

Reik, T.: Das Ritual. Psychoanalytische Studien. Mit einer Vorrede von Sigmund Freud. 2. Ergänzte Aufl. Leipzig 1928

Singer, K.: Lernhemmung, Psychoanalyse und Schulpädagogik. München 1970

Stengel, E.: Prüfungsangst und Prüfungsneurose. (1936) In: Der psychoanalytische Beitrag zur Erziehungswissenschaft. Hrsg. Fürstenau, P. Darmstadt 1974

Weiß, H.-J.: Prüfungsangst. 2. Aktualisierte und erw. Aufl. Würzburg 1997

Prüfungsangst als Form der Schulphobie. Über die Diagnose und den Umgang mit prüfungsängstlichen Schülerinnen und Schülern von Lena Grun 2012

Einleitung

Angst wird als hypothetisches Konstrukt beschrieben, dessen Vorliegen über eine Reihe von Angstindikatoren erschlossen wird. Zwei Arten von Angstindikatoren werden bei einer psychologischen Betrachtung unterschieden. Die erste besteht in den situationellen Angstindikatoren, zum Beispiel Situationen, die soziale Interaktion beinhalten, die neu oder fremdartig sind und in denen psychische Gefahren drohen. Hierbei dienen angstauslösende Situationen als Indikator. Die zweite Art der Indikatoren besteht in den reaktionsspezifischen Angstindikatoren, die in kognitive und emotionale, physiologische und biochemische und verhaltensmäßige und motorische Indikatoren unterteilt werden. Bei diesen werden nicht Situationen, sondern Reaktionen verwendet, um auf Angstzustände zu schließen. (Vgl. Weiß, 1986, S.1ff.) Die Schulangst ist eine mögliche Angsterkrankung, die sowohl von situationellen als auch von reaktionsspezifischen Indikatoren ausgelöst werden kann. Tiefere Ursachen für die Schulangst können dabei auch in einer besonderen Form in der frühen Eltern-Kind-Beziehung liegen. Erlebnisse aus der frühen Kindheit, die einer Prüfungssituation ähnlich sind, und Situationen, in denen die Eltern Urteile, oft von Sanktionen begleitet, über das Verhalten des Kindes fällen, können in der weiteren Entwicklung des Kindes ausschlaggebend für Angst vor Bewertungssituationen sein. (Vgl. Viehöfer, 1980, S.20) Die Schulangst bedingt die Prüfungsangst, die das zentrale Thema der Arbeit ausmacht. Eine spezielle Mischung von Schulangst und Schulphobie stellt die Prüfungsangst dar, weshalb in der folgenden Arbeit die Prüfungsangst im Zusammenhang mit der Schulangst und Schulphobie dargestellt wird. Prüfungsangst ist dabei mehrdimensional, wobei unterschieden werden kann zwischen normaler Aufgeregtheit, ängstlicher Besorgtheit, Mangel an Zuversicht bis hin zu Grübelzwängen. (Vgl. Hopf, 2011, S.137)

„’In einer Prüfung passiert einem ja nichts, man wird nicht verwundet, es findet nur ein Gespräch statt, und davor muß man ja keine Angst haben.’ So versuchen Freunde und Bekannte, einen Kandidaten zu ermutigen oder sie zu trösten und weisen darauf hin, daß man ja ruhig einmal durchfallen dürfe.“ (Metzig, Schuster, 1998, S.43)

Die nachfolgende Arbeit soll jedoch verdeutlichen, dass Prüfungsangst als Form einer phobischen Störung nicht als banaler und von jedem Schüler oder jeder Schülerin durchlebter Zustand betrachtet werden kann, sondern Einfluss auf das geistige und körperliche Wohlbefinden eines Betroffenen haben kann. Wird Prüfungsangst unter systematischen und psychologischen Aspekten betrachtet, lässt sich die Prüfungsangst auf vier Ebenen beschreiben und diagnostisch erfassen. Die Ebene der Vorstellung, der sprachlichen Mitteilung über Gefühle und Erleben, der physiologischen Reaktionen und Umstände und die Ebene des motorischen Verhaltens. Dabei schreibt die psychologische Angstforschung dem Einfluss von Kognitionen auf das Angsterleben die entscheidende Rolle zu. (Vgl. Knigge-Illner, 2010, S.24f) Nach den diagnostischen Kriterien des DSM IV und ICD 10 gehören Prüfungsängste nicht explizit zu den dort definierten Störungen mit Krankheitswert. Folglich führt dies dazu, dass eine allgemein akzeptierte und damit verbindliche operationale Definition in der wissenschaftlichen Literatur nicht vorliegt. Der Begriff Prüfungsangst wird von unterschiedlichen Autoren nicht einheitlich verwendet. Gesprochen wird unter anderem auch von einer Leistungsangst oder Testangst. Prüfungsangst kann verstanden werden als anhaltende und deutlich spürbare Angst in Prüfungssituationen und/oder während der Zeit der Prüfungsvorbereitung, die den Bedingungen der Prüfungsvorbereitung und der Prüfung selbst nicht angemessen ist. Die Angst äußert sich auf den Ebenen Verhalten, Emotion, Kognition und Psychologie. Klinisch relevante Prüfungsängste liegen dann vor, wenn die Ängste das alltägliche Leben und/oder den Ausbildungsverlauf, beziehungsweise das berufliche Weiterkommen deutlich beeinträchtigen. (Fehm, Fydrich; 2011, S.5ff) Im Folgenden veranschaulicht ein Fallbeispiel, wie sich Prüfungsangst im Alltag eines schulpflichtigen Kindes äußert und inwiefern sich diese Angst von einer der Situation angemessenen Reaktion auf Prüfungen unterscheidet. Im Anschluss wird die Störung aus psychologisch-diagnostischer Sicht beschrieben, der sich eine Forschung nach möglichen Ursachen anschließt. Mit Hilfe der Empirie und den Erkenntnissen aus der Psychologie sollen die Fragen geklärt werden, wie viele Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I von einer Prüfungsangst betroffen sind, wie sich diese Prüfungsangst bei den Betroffenen zeigt und wie deutlich sie ausgeprägt ist. Das Ergebnis der Empirie soll dabei nicht nur Daten über die Betroffenen liefern, sondern im Falle der Notwendigkeit auch Anreiz und Vorlage für Interventionsmaßnahmen für die Schule sein.

Fallbeispiel

Ein 16-jähriger Gymnasialschüler wird von seiner Mutter an einer Beratungsstelle angemeldet, da er seit mehreren Jahren trotz regelmäßiger Nachhilfestunden an Schulschwierigkeiten leidet. Die Schwierigkeiten konzentrieren sich insbesondere auf die Fächer Englisch und Mathematik, in denen er trotz der Nachhilfe „mangelhaft“ steht. Schwache Leistungen erbringt der Schüler auch in den Fächern Biologie und Geschichte, wobei seine Leistungen in Latein und Chemie befriedigend und in Deutsch gut sind. Nach Aussagen der Fachlehrer und Nachhilfelehrer müsste der Schüler aufgrund seiner Kenntnisse in allen Schulfächern gute bis befriedigende Leistungen erbringen. Wegen der unerklärbaren Schwierigkeiten des Jungen in der Schule, hat sich die Mutter im Laufe der letzten drei Jahre mehrfach an Beratungsstellen, Nervenärzte und Psychologen gewandt, wobei der Junge wiederholt mit Intelligenztests untersucht wurde. Die Tests ergaben, dass der Schüler über eine gut durchschnittliche Intelligenz verfügt. Die untersuchenden Psychologen kamen zu der Annahme, dass vom Intelligenzniveau ausgehend ein komplikationsfreier Schulbesuch möglich sein müsste. Dementsprechend wurden keine weiterführenden therapeutischen Schritte unternommen. (Vgl. Abschnitt Florin, von Rosenstiel, 1976, S.152ff.)

Bereits vor einem Jahr hat sich der Schüler auf Anraten der Lehrerinnen und Lehrer um eine Klasse zurückstufen lassen. Dennoch ist die Versetzung im laufenden Schuljahr abermals gefährdet. Dem Schüler fehlt es nicht an der notwendigen Motivation, im Gegenteil, er lernt täglich und gibt nach Aussagen der Mutter auch bei schwierigen Hausaufgaben nicht auf, sondern arbeitet so lange, bis er die Aufgabe lösen kann. Er selbst führt sein defizitäres Abschneiden bei den Schulaufgaben und Klassenarbeiten auf seine immer wiederkehrende Aufregung zurück. Nach seiner eigenen Einschätzung stellt sich die Aufregung erst relativ kurz vor Beginn der Schulaufgaben oder Klassenarbeiten ein, schätzungsweise 15 Minuten vorher. „Er bekommt dann Schweißausbrüche und merkt, daß er sich überhaupt nicht mehr konzentrieren kann.“(Florin, von Rosenstiel, 1976, S.153) Die Nervosität ergibt sich dabei nicht nur vor den Leitungssituationen, sondern in abgeschwächter Form auch bei Probearbeiten, wie zum Beispiel bei Zettelarbeiten und Extemporalien, die bei der Endbenotung ein wesentlich geringeres Gewicht haben. Ähnliches gilt für mündliche Prüfungen vor der Klasse. Nach Angabe des Schülers, variiert die Stärke der Angst im Bezug auf das Fachgebiet, auf die Person des Fachlehrers und auf inhaltliche Gesichtspunkte. Um einen genaueren Einblick in die Variation der Angstintensität bei wechselnden Prüfungsbedingungen bekommen zu können, wurde der Schüler in einer Untersuchung gebeten, seine Furcht vor den unterschiedlichen Prüfungsarten in den verschiedenen Fächern auf einer Skala von 0 („ich bin völlig ruhig“) bis 100 („ich hatte extreme Angst“) einzustufen. (Vgl. Florin, von Rosenstiel, 1976, S. 153) Der Schüler ordnete dabei Klassenarbeiten deutlich höhere Punktwerte zu als Probesituationen und die Fächer Englisch und Mathematik wurden in allen gefragten Situationen von dem Schüler mit 80 Punkten bewertet. Zudem äußerte der Schüler, dass sich die Angst bei den Klassenarbeiten um 20 Skalenpunkte erhöht, wenn er feststellt, dass er eine Aufgabe nicht lösen kann. Die Angst steigert sich bei einfachen Schulaufgaben auch um 20 Punkte, wenn er von seinem Banknachbarn getrennt wird. Zusätzliche Punkte vergibt er im Allgemeinen, wenn er sich einer Lösung nicht sicher ist oder ihm gar keine Lösungsmöglichkeit einfällt. Die Angst des Schülers bezieht sich dabei nicht nur auf die Prüfung selbst, sondern auch auf die Benotungssituation und auf die Mitteilung der Noten im Elternhaus, obwohl es von Seiten der Eltern noch zu keinen negativen Sanktionen schlechter schulischer Leitungen kam. (Vgl. ebd.)

Da die Fachlehrer, die Nachhilfelehrer und auch der Schüler die Gewissheit hatten, dass der Auslöser für die schwachen schulischen Leistungen und für die Prüfungsangst nicht in einem unzureichenden Wissensstand zu suchen ist und das Interview zudem ergab, dass die Störquelle mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht in ungünstigen Arbeitstechniken zu finden ist, erschien es den Psychologen angebracht, die therapeutische Intervention im Wesentlichen auf die Behandlung der Prüfungsangst und der damit verbundenen Angst vor sozialer Kritik auszurichten. (Vgl.: Florin, von Rosenstiel, 1976, S. 154)

Beschreibung aus psychologisch-diagnostischer Sicht

Prüfungsangst ist ein Problem ersten Ranges in Beruf, Schule und Hochschule, da sie die allgemeinen Leistungsfähigkeiten der Prüfungskandidaten wesentlich beeinflusst. Die Mehrzahl der empirischen Untersuchungen gelangt zu dem Ergebnis, dass Prüfungsangst ein hemmender Faktor ist und sich negativ auf das Prüfungsergebnis auswirkt. Zudem ist Prüfungsangst problematisch, weil sie in der Regel den Lernprozess ungünstig beeinflusst und daher lernhemmend wirkt. Angst kann dabei zu einer Beeinträchtigung der Persönlichkeit führen, wobei auch die Prüfungsangst für Verhaltensweisen wie unkritisches Verhalten und Konformität, autoritäre Aggression, Dogmatismus und Ambiguitätsintoleranz verantwortlich sein kann. Nicht zuletzt ist Prüfungsangst problematisch aufgrund des Leidensdrucks der Prüfungsängstlichen, der in der Zahl Ratsuchender in therapeutischen Beratungsstellen und in den Suizidziffern sichtbar wird. Wenn davon ausgegangen wird, dass Prüfungen unverzichtbar sind, dann steht der Erziehungswissenschaftler und Pädagoge vor der Aufgabe, ein Prüfungsverfahren zu entwickeln, das geeignet ist, die Prüfungsangst zu mindern. (Vgl. Kohrs, Krope: 1978, S.9) Um auch in der Schule Betroffene erkennen, verstehen und ihnen helfen zu können, muss zunächst eine Grundlage geschaffen werden, in der das Störungsbild aus psychologisch-diagnostischer Sicht beschrieben wird, was im Folgenden geschieht.

Erscheinungsformen

Die Symptomatik von Schulphobie nimmt auf das körperliche Wohlbefinden betroffener Kinder und Jugendlicher Einfluss. Dabei können die Symptome das Verhalten in entscheidendem Maße beeinflussen. Das Störungsbild geht in vielen Fällen mit psychosomatischen Beschwerden wie Übelkeit, Bauchschmerzen und Kopfschmerzen einher, wobei außerdem Schwindelgefühle und Schwächeanfälle möglich sind. Aber auch andere Symptome wie Wutausbrüche, Schlafstörungen, Weinen und Trennungsängste sind mögliche Anzeichen für eine Störung. Schulphobische Kinder fühlen sich unwohl, wenn sie zur Schule gehen müssen. Die Symptome verschwinden für den Moment, wenn die Eltern erlauben, zu Hause bleiben zu dürfen, wobei die Eltern in ihrem Handeln durch die körperlichen Symptome verunsichert werden. (Vgl. Weber, 2011, S.28) Ängstliche Kinder und Jugendliche nehmen ihre Umwelt anders war und handeln dementsprechend auch anders als Nichtängstliche. Die abweichenden Reaktionen und Verhaltensweisen ängstlicher Schülerinnen und Schüler, wie Hilflosigkeit, Schüchternheit, Unsicherheit, Abhängigkeit und Unzulänglichkeit, stören in der Regel viele Eltern und Pädagogen nicht und bleiben deshalb häufig unbeachtet. Doch die Schülerinnen und Schüler erleben ihre heftigen Ängste selbst als eine starke Behinderung. Denn in ihrer Angst und Gehemmtheit wagen sie zunehmend weniger ihren eigenen Impulsen nachzugehen und zu handeln, auch wenn sie aus Erfahrung wissen, dass sie dies ungefährdet machen können. Als Folge ihrer großen Ängstlichkeit scheinen die Fähigkeiten der Betroffenen gemindert, dabei treten in angstauslösenden Situationen Leistungshemmungen und gelegentlich auch totales Leistungsversagen auf. (Vgl. Kluge, Kornblum, 1981, S. 54)

Prüfungsangst im Speziellen erleben die meisten Betroffenen schon lange vor der Prüfung. Dabei wird Prüfungsangst durch Gedanken und Phantasien ausgelöst. Allein das Hineinversetzen in die Prüfungssituation, die nach Vorstellung der phobischen Schülerinnen und Schüler aufgrund fehlenden Wissens nicht bewältigt werden kann, löst bereits Angstreaktionen aus. In der konkreten Prüfungssituation zeigt sich die Störung in unterschiedlichen Erscheinungsformen. Mögliche Symptome für eine Prüfungsangst sind sichtbare Reaktionen der Haut, zum Beispiel das Erröten oder Erblassen bis hin zu krankhaften Hautveränderungen, wie Ausschlag oder neurodermitische Symptome. Sichtbar wird Prüfungsangst auch durch die Motorik, explizit durch hektische Bewegungen, Zittern oder verlangsamte Reaktionen, wobei sich dies störend auf den Verdauungsapparat und den Schlaf auswirken kann. (Vgl. Knigge-Illner, 1999, S.12) Die Angst hängt dabei unmittelbar mit dem Ausmaß der Aktivität des sympathischen Nervensystems zusammen. Beim Auftauchen eines gefahrenzeigenden Signals, also bei einer angstbesetzten Situation, reagiert der Körper mit gehäufter Adrenalinausschüttung. Die erhöhte hormonale Ausschüttung wirkt sich auf organische Funktionssysteme aus. Dabei lässt sich eine Erhöhung der kortikalen Aktivität, der Herzschlagfrequenz, der Atemfrequenz und des Blutdrucks feststellen. Diese vegetativen Veränderungen werden oftmals von motorischen Störungen begleitet, die große Ähnlichkeiten mit Schreckreaktionen zeigen. Der Katalog an Symptomen ist breit gefächert. Er führt von Magenschmerzen, Schwindelgefühl und Hitzegefühl bis hin zu Übelkeit, Durchfall und Schlappheit. Den Schülerinnen und Schülern, die aufgrund ihrer Ängste unter den oben aufgeführten Symptomen leiden, fehlt es an Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Sie werden durch dieses Fehlen gleichsam zur ängstlichen Abwehr gezwungen. (Vgl.: Spandl, 1979, S.26f) Prüfungsangst drückt sich zudem aus in Stimmungsveränderungen, die geprägt sind von Depressionen oder Wut, die sich in einer Extremsituation auch abwechseln können. Die Störung beeinflusst zudem die geistigen Funktionen, wie die Konzentration, das Gedächtnis, die Sprache oder Bewusstseinszustände, die Verwirrtheit oder gar Trance auslösen können. Prüfungsangst kann dabei auch das komplexe Verhalten, wie das Sozialverhalten, beeinflussen, da es möglich ist, dass Betroffene sich zurückziehen und dadurch Beziehungskrisen auslösen. (Vgl. Knigge-Illner, 1999, S.12) Eine Prüfungsangst kann das Verhalten eines Schulkindes entscheidend beeinflussen. Die freie Entfaltung der sozialen, seelischen und geistigen Fähigkeiten kann nachhaltig behindert oder auch unmöglich gemacht werden. Folgen können dabei kindliche Fehlentwicklungen und Verhaltensstörungen sein, die sich auf unterschiedliche Art und Weise äußern. Einige Kinder werden gehemmt und schüchtern, allgemein interesselos, passiv und ziehen sich zurück. Sie lassen sich treiben und haben kein Bestreben gestellte Anforderungen zu bewältigen, wobei ihnen die nötige Anstrengungsbereitschaft fehlt. Betroffene Schülerinnen und Schüler können lustlos und verstimmt sein, wobei auch die Möglichkeit besteht, dass prüfungsängstliche Kinder unter starken inneren Beunruhigungs- und Angstgefühlen leiden, was sie durch aggressives Verhalten äußern. Sie sind frech, nicht einordnungsbereit und stören den Unterricht oder die Prüfungssituation. (Vgl.: Spandl, 1979, S.27) „Neben spezifischen Prüfungsängsten sind als weitere Gefühle Verzweiflung, Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit sowie umfassende Versagens- und Minderwertigkeitsgefühle oft vorhanden.“ (Fehm, Fydrich, 2011, S.8, Z.9ff.) Auf der kognitiven Ebene beschreiben Betroffene Situationen, in denen Angstgefühle überwiegen, zudem häufig als intensive Katastrophengedanken oder aber als eine Art „Leere im Kopf“. Dabei richten sich ihre Gedanken auf negative Aspekte der Situation oder der angenommenen Folgen der Situation, zum Beispiel darauf, dass der Prüfer oder die Prüferin schwere Fragen stellen könnte oder dass während der Prüfung starke und unangenehme körperliche Symptome auftreten könnten, die als nicht kontrollierbar eingestuft werden. Als langfristige Folgen von Prüfungsangst und dem befürchteten Prüfungsversagen wird außerdem befürchtet, dass eine nicht bestandene Prüfung das Ende einer Karriere bedeutet, dass das gesetzte Berufs- oder Ausbildungsziel nie erreicht wird und dass das antizipierte Scheitern einen Beweis für absolute Unzulänglichkeit und Versagen darstellt. Auch die erwartete Enttäuschung wichtiger Bezugspersonen, sowie die Scham über das antizipierte Versagen, spielen eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus sind auf der Ebene der Überzeugungen und Pläne überdauernde Denkmuster bei prüfungsängstlichen Schülerinnen und Schülern erkennbar. Hierzu gehören beispielsweise grundsätzliche Zweifel an der eigenen Kompetenz und Leistungsfähigkeit. Hinsichtlich des antizipierten Verlaufs von Prüfungen stehen besonders Befürchtungen über das Auftreten plötzlicher Blockaden im Vordergrund. Betroffene Kinder und Jugendliche beschreiben diese als plötzlich auftretende Leere, verbunden mit akuten Versagenskognitionen sowie dem Erleben der Unfähigkeit, die gestellten Fragen des Prüfers zu verstehen. Die Präsenz dieser oder ähnlicher Gedanken führt meist zu Problemen mit der notwendigen Konzentration auf die eigentlichen Lerninhalte, auf die Inhalte des Gesprächs mit dem Prüfer oder der Prüferin oder die Inhalte der schriftlich gestellten Aufgabe. (Vgl.: Fehm, Fydrich, 2011, S.8f.) Außerdem sind häufig betroffene Kinder und Jugendliche in Prüfungs- oder prüfungsähnlichen Situationen besonders gestresst. In der psychologisch-medizinischen Literatur etablierte sich der Begriff Stress zur Kennzeichnung der Reaktionsform des Individuums auf einen auslösenden Reiz. Diese Auslöser werden als Stressoren bezeichnet, die in Stresssituationen auf das Individuum einwirken. Unterschieden werden können zwei Bedrohungssituationen, die physische Bedrohung und die Selbstwertbedrohung. Neben den physikalischen und sozialen Stressoren sollten auch die psychischen Stressoren, zum Beispiel Leistungsversagen, berücksichtigt werden. Nach Janke (1995) gibt es fünf Gruppen von Stressoren, die besonders auf Betroffene durch die Bedrohung des Selbstwertkonzeptes durch Kritik wirken. Hierzu gehören äußere Stressoren, wie zum Beispiel Gefahrensituationen, eine Behinderung bei der Befriedigung von primären Bedürfnissen wie Essen und Schlafen, soziale Stressoren wie soziale Isolation, Konfliktsituationen wie die Ungewissheit über Erfolg oder Misserfolg von Bewältigungsversuchen und Leistungsstressoren, die sich zum Beispiel bei Überforderung durch Zeitdruck ausbilden. (Vgl.: Brockmeyer, 2005, S.3f.)

Welche der Symptome im Einzelfall auftreten, hängt unter anderem von den individuellen körperlichen Empfindlichkeiten ab, zum Beispiel davon, welche Organe besonders auf Erregungen reagieren. Zudem wirken sich die gewohnheitsbedingten Reaktionsweisen auf die Erscheinungsform für Prüfungsangst aus. Folglich ist es möglich, dass prüfungsängstliche Kinder und Jugendliche in einer Prüfungssituation ruhig und träge erscheinen, nervöse Charaktere können in einen hektischen Aktionismus geraten. Die Symptome können dabei unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Die meisten Schülerinnen und Schüler erleben Prüfungsangst in einer milden Form als Lampenfieber oder durch ein Stressgefühl, das aber das Verhalten nicht stark beeinflusst. Bei Kindern und Jugendlichen mit Prüfungsangst entwickelt sich die Prüfungssituation zu einem quälenden Angstzustand mit psychosomatischen Störungen und beeinträchtigt dadurch den Alltag und die Lebensfreude. (Vgl. Knigge-Illner, 1999, S.12f)

Epidemiologie

Die Krankheitshäufigkeit von Schulphobie aller Kinder und jungen Erwachsenen liegt bei etwa vier Prozent. Die Prävalenz der Störung ist im Kindesalter recht hoch und nimmt von der Kindheit bis zum Jugendalter hin ab. Der zeitliche Beginn der Störung variiert. Die Schulphobie beginnt in der Regel ab einem frühen Durchschnittsalter von 8,7 Jahren, kann aber auch zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen, nämlich zwischen 12,4 und 12,9 Jahren. Laut der Angaben im DSM-IV tritt die Störung in klinischen Stichproben bei Jungen und Mädchen gleich häufig auf. Bei epidemiologischen Stichproben kommt die Störung häufiger bei Mädchen vor, was durch ein Verhältnis von circa zwei zu eins der durchschnittlichen Zusammensetzung bei der Inanspruchnahme kinder- und jugendpsychiatrischer Einrichtungen begründet wird. (Vgl.: Weber, 2011, S. 31f.)

Im Folgenden wird die Verbreitung von Prüfungsangst in einer Population angeführt, wobei die Epidemiologie die Variablen wie Häufigkeit, Geschlechterverteilung und die soziale Herkunft Betroffener umfasst. Obwohl die Prüfungsangst als häufiges Phänomen bezeichnet wird, existieren nicht viele Studien, die konkrete Angaben zur Häufigkeit von Prüfungsängsten machen. Das Grundproblem ist zum einen die fehlende einheitliche Definition, aber auch das Festlegen eines übereinstimmend akzeptierten Messinstruments mit Vergleichswerten. Außerdem erschweren geringe Rücklaufquoten die Generalisierung der Ergebnisse auf die Gesamtpopulation. Im Bereich der Häufigkeit von Prüfungsängsten bei Schülerinnen und Schülern variieren die Angaben sehr stark, zum Teil fehlen Angaben zu den genutzten Instrumenten. Ein spezifischer Zeitbezug für die Prüfungsangst wird in den Studien nicht formuliert, sondern nach dem generellen Umgang mit Prüfungen und Prüfungsängsten gefragt. Methodische Probleme der Studien sind unter anderem, dass einige nur an kleinen Stichproben durchgeführt wurden, über die Rücklaufquote nicht berichtet wird oder diese problematisch niedrig ist und das die Studien unterschiedliche Operationalisierungen für Prüfungsängste verwenden, was eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse sehr erschwert. (Vgl.: Fehm, Fydrich, 2011, S.13) Kluge und Kornblum (1981) kommen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass 52 Prozent aller deutschen Schülerinnen und Schüler unter einer Schulangst leiden, aber nur 32 Prozent aller europäischen, 47 Prozent aller nordamerikanischen und 28 Prozent aller orientalischen Schülerinnen und Schüler. Deutsche Schülerinnen und Schüler erreichen dabei vermutlich höhere Angstwerte als nordamerikanische vergleichbaren Alters, da das Verhalten deutscher und amerikanischer Eltern gegenüber ihren Kindern und ihre Erziehungsstrategien stark variiert. (Vgl.: Kluge, Kornblum, 1981, S.63) Schätzungen und Vergleiche mehrerer Studien zeigen, dass circa fünf Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I von einer Prüfungsangst betroffen sind. In den meisten Studien werden Geschlechtsunterschiede dahingehend festgestellt, dass weibliche Personen stärkere Ausprägungen einer Prüfungsangst aufweisen als männliche. Die Effektstärken für den Geschlechtsunterschied bewegen sich dabei im mittleren Bereich. Der Geschlechtsunterschied ist damit für Prüfungsängste etwas weniger stark ausgeprägt als bei anderen Ängsten. Wie auch bei der Beurteilung von Geschlechtsunterschieden hinsichtlich der Prävalenz von sonstigen Ängsten und Phobien muss bei der Interpretation der Befunde für Prüfungsängste berücksichtigt werden, dass für diese Unterschiede zwei Gründe möglich sind: Frauen erleben tatsächlich mehr Prüfungsängste oder sie berichten offener über ihre Ängste als Männer. (Vgl. Fehm, Fydrich, 2011, S.15) Zudem besteht der Verdacht, dass aufgrund der in der Erziehung wirksam werdenden Geschlechtsstereotype, den Mädchen größere Emotionalität und weniger Selbstbeherrschung zugeschrieben wird, es für Mädchen angemessener und leichter ist, sich selbst Angst einzugestehen. (Vgl.: Kluge, Kornblum, 1981, S.72) Prüfungsangst resultiert nicht aus der jeweiligen Prüfungssituation, sondern durch die Sozialisation des jeweiligen Prüflings. Die in der frühen Kindheit ausgeprägten Dispositionen sind für die spätere Ausprägung der Prüfungsangst entscheidend. Damit ist die Entstehung und Ausprägung der Störung in hohem Maße von der Sozialisations-Biographie des Kindes abhängig und diese wiederum ist vor allem durch die primäre, beziehungsweise familiäre Sozialisation strukturiert. Die Erziehungswerte und Sozialisationsstile mit denen das Kind in den ersten Lebensjahren in Berührung kommt, prägen sowohl die Leistungsmotivation und Leistungsangst als auch die unbewussten Angstfraktionen, die in der Prüfung reaktualisiert werden können. (Vgl.: Prahl, 1977, S.155f.) „Erziehungswerte und Sozialisationsstile variieren aber mit dem sozioökonomischen Status der Eltern. Insofern hängt die Prüfungsangst in signifikantem Umfang von der sozialen Herkunft des Prüflings ab.“ (Prahl, 1977, S. 156, Z.17ff.) Familien aus Unterschichten sind gekennzeichnet durch eine geringe Aufwärtsmobilität und daher durch einen hohen Grad von Klassenreproduktion, daher lässt sich bei ihnen eine starke Tradierung von Sozialisationspraktiken und -normen nachweisen. Umgekehrt sind Familien aus der Mittelschicht durch ihre Mobilitätsorientierung gekennzeichnet und daher durch eine stärkere Offenheit und Dynamik ihrer Sozialisationsmethoden. Die Sozialisation in Unter- und Mittelschicht ist demnach durch eine große Anzahl von Merkmalen zu unterscheiden. In der Unterschicht sind die Umweltanreize geringer, weshalb die bei der kindlichen Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten und Leistungsmotive förderlichen Anreize reduziert sind. Aufgrund der Wohnsituation, der Anzahl der Geschwister und der möglichen Berufstätigkeit der Mutter haben Kinder aus Unterschichten seltenerer Identifikationschancen und die häufigeren Trennungserlebnisse führen zu einer stärkeren Angstdisposition. Zudem unterscheidet sich das Strafmaß in den Schichten, wenn in der Unterschicht schneller und härter bestraft wird und in der Mittelschicht auch über aufsässiges Verhalten hinweggesehen wird. Der berufliche Werdegang der Eltern hat zudem in der Unterschicht mehr Einfluss auf das Verhalten der Eltern als in der Mittelschicht, was sich in autoritärem Verhalten widerspiegelt. Dieses Verhalten kann von Kindern als willkürlich betrachtet werden, was auf spätere Sanktionsverhaltensweisen in Prüfungen übertragen wird.

Komorbidität

Kinder und Jugendliche, die von einer schweren Schulphobie betroffen sind, weisen häufig eine zweite psychische Erkrankung auf. Eine Abhängigkeit von wichtigen Bezugspersonen und eine auffällige Trennungsschwierigkeit von der Mutter sind zwei mögliche Merkmale für psychiatrisierte Kinder und Jugendliche. Zudem „leiden trennungsängstliche Kinder gehäuft unter depressiven Verstimmungen, die mit der Zeit hartnäckiger werden und eine zusätzliche Diagnose einer Dysthymen Störung oder einer Major Depression rechtfertigen können“ (Weber, 2011, S.33). Mögliche Ursachen für eine erhöhte Komorbidität sind die Vielgestaltigkeit der psychosomatischen und somatischen Symptome und die Verfestigung der Störung, die sich über mehrere Jahre hinziehen kann, wenn keine produktiven, lösungsorientierten Maßnahmen zur Intervention unternommen werden. Die Wahrscheinlichkeit besteht, dass ätiologische Faktoren, die komplex und vielseitig sein können, einen kausalen Einfluss auf die Komorbidität haben. (Vgl. Weber, 2011, S.32f) „Die Anzahl und Intensität weiterer psychischer Erkrankungen können den Verlauf der Pathogenese entscheidend mitbestimmen.“(Weber, 2011, S.33)

Im Fall der Prüfungsangst ist festzuhalten, dass Prüfungsangst keine distinkte diagnostische Kategorie ist, weshalb keine spezifischen Daten über die Komorbidität mit anderen psychischen Störungen vorliegen. „Für eine entsprechende Interpretation vorliegender epidemiologischer Daten wäre zudem zunächst eine Differenzierung der vergebenen Diagnose, soziale Phobie oder spezifische Phobie, in dem Sinne notwendig, ob sie Fälle mit der Diagnose Prüfungsängste beinhaltet und ggf. in welchem Umfang.“(Fehm, Fydrich, 2011, S.18) Bei Betrachtung der Komorbidität von Sozialer Phobie mit anderen psychischen Störungen zeigt sich, dass Soziale Phobien besonders häufig zusammen mit anderen Angststörungen, mit depressiven Störungen und Suchterkrankungen auftreten. Bei über 50 Prozent der Personen mit einer Sozialen Phobie tritt innerhalb ihrer Lebenszeit eine weitere Angststörung auf. In diesem Fall gehäuft spezifische Phobien oder eine Agoraphobie. Bei den affektiven Störungen kommt es gleichzeitig mit Sozialen Phobien häufig zu Depressionen. Im Bezug auf Suchterkrankungen kann vermehrt die Verbindung zum Alkoholkonsum festgestellt werden. (Vgl. Fehm, Fydrich, 2011, S.19) „Da die Grundmuster der Problematik bei Prüfungsangst ähnlich der bei Sozialen Phobien sind, kann davon ausgegangen werden, dass bei Prüfungsängsten ähnliche Zusammenhangsmuster anzunehmen sind.“ (Fehm, Fydrich, 2011, S.19)

Pathogenese

Die Pathogenese beschreibt den Störungsbeginn, den weiteren Verlauf und die prognostischen Gesichtspunkte der allgemeinen Schulphobie und im Speziellen der Prüfungsangst. Der Beginn und der Verlauf der psychischen Störung sollte immer im Zusammenhang mit den individuellen Ursachen betrachtet werden, da die Ursachen den Störungsverlauf entscheidend mitbestimmen. Bei einer Schulphobie wird häufig ein Schulwechsel als eine mögliche auslösende Variable angeführt, bevor die eigentliche Symptomatik ausbricht. Neben dem Schulwechsel ist auch der erste Schultag nach den Sommerferien eine Variable zur Auslösung der Störung sowie zu Zeitpunkten in der Schullaufbahn, an denen sich Freundschaften verändern. Es kann dabei von drei Altersgipfeln gesprochen werden: das Kindergartenalter, die Einschulung und die Adoleszenz. (Vgl.: Weber, 2011, S.33) „Für das Auftreten schulvermeidenden Verhaltens bei den Schulanfängern werden am häufigsten bestehende Trennungsängste als mitursächlich für das Fernbleiben vom Unterricht betrachtet.“ (Weber, S.33, Z.37f.) Häufig führen Verlustereignisse im Leben des Kindes oder des Jugendlichen zur Erkrankung und/oder Manifestation der Störung. Die Störung kann dabei bereits im Vorschulalter beginnen und jederzeit bis zum Alter von 18 Jahren auftreten. Selten beginnt die Störung in der Adoleszenz. Das Einsetzen schulphobischen Verhaltens, einschließlich der damit verbundenen Symptome, lässt sich oftmals nicht auf einen Zeitpunkt festlegen, da nicht festzustellen ist, ob sich die Angaben auf den Zeitpunkt des Therapiebeginns beziehen oder ob sich die Angaben an Eltern, Lehrerinnen und Lehrern oder Medizinerinnen und Medizinern orientieren. Außerdem bleibt oftmals unklar, ob der Beginn einer Schulphobie die Schulvermeidung selbst oder die somatischen Begleiterscheinungen sind. Der Störungsbeginn wird durch situative Variablen beeinflusst, die das Auslösen der Störung begünstigen. Eine der entscheidenden Variablen ist der Schulbesuch mit einer Schulpflicht. Eine Schulphobie kann im weiteren Verlauf aufrechterhalten werden, wenn Kinder längere Zeit aus der Schule bleiben und dann wieder in den Schulalltag integriert werden sollen. Die Ängste verlieren sich nur dann, wenn das betroffene Kind zu Hause bei den Eltern bleiben darf. Die Aufrechterhaltung der Schulphobie liegt demnach vielfach im Verhalten der Eltern. Ärzte können den Störungsverlauf zudem negativ beeinflussen, indem sie dem Betroffene Atteste ausstellen, die dem Schüler oder der Schülerin ermöglichen, der Schule fern zu bleiben. (Vgl.: Weber, 2011, S.35f.)

Da Prüfungen in der Regel über die Ausbildungszeit, beziehungsweise Berufstätigkeit hinweg seltener werden, darf angenommen werden, dass sich in vielen Fällen das Problem von selbst löst und zwar prinzipiell dadurch, dass eine Ausbildung abgebrochen wird oder die notwenigen Prüfungen absolviert werden und damit das Prüfungsziel erreicht ist. Systematische Studien über den unbehandelten Verlauf von Prüfungsängsten liegen jedoch nicht vor. Einen Hinweis auf mögliche Konsequenzen klinisch relevanter Prüfungsangst können epidemiologische Daten zu Personen mit sozialen Phobien liefern. Betroffene Personen haben unabhängig vom Intelligenz- und Bildungsniveau niedriger qualifizierte berufliche Positionen inne als Personen ohne soziale Phobien. Der Befund kann dadurch erklärt werden, dass Personen mit starken sozialen Ängsten und/oder Prüfungsängsten auf den Abschluss von Aus-, Fort- und Weiterbildungen verzichten und vergleichsweise geringer qualifizierte Positionen anstreben. Plausibel ist dies wenn bedacht wird, dass höher qualifizierte Positionen mit mehr Situationen verbunden sind, die soziale Ängste auslösen können, wie zum Beispiel Prüfungen und umfangreiche Bewerbungsprozeduren, das Leiten von Mitarbeiterbesprechungen, die Teilnahme an Schulungen oder die Wahrnehmung von umfassender Personalverantwortung. (Vgl. Abschnitt: Fehm, Fydrich, 2011, S.16)

Schwarzer (1976) vermutet, dass sich die Schul- beziehungsweise Prüfungsangst vom ersten bis zum vierten Schuljahr ansteigend als ein Prozess zunehmender Sensibilisierung gegenüber Leistungserwartung, Bedeutung schulischer Leistungen und Misserfolg sowie sozialer Kontrolle entwickelt. Mit dem vierten Schuljahr scheint die Angst ihren Gipfel erreicht zu haben. Mehrere Untersuchungen lassen die Tendenz erkennen, dass Schulangst nach dem vierten Schuljahr, beziehungsweise ab dem zwölften Lebensjahr mit zunehmendem Alter abnimmt. Allerdings ergeben die Studien über den Zusammenhang von Schulangst und Alter kein einheitliches Bild. Bei Mädchen nimmt in einer österreichischen Erhebung die Angst im Alter von zehn bis elf ab, im Alter von zwölf bis dreizehn aber wieder zu. Alter und Schulangst stehen demnach wohl nur in diesem Zusammenhang, dass Schulangst mit zunehmendem Alter weniger geäußert wird. (Vgl.: Kluge, Kornblum, 1981, S.71)

Prognose

Die Prognose einer Schulphobie ist im Wesentlichen von drei Kriterien abhängig: Vom Alter der Betroffenen bei Störungsbeginn, vom Grad der Schwere der Schulphobie und von der Kooperationsbereitschaft der Eltern. Im Bezug auf das Alter ist die Prognose umso günstiger, je jünger die Kinder sind und je früher sie in therapeutische Behandlung kommen. „Die Behandlungserfolge sind nach Remschmidt (2008) relativ niedrig, denn sie liegen bei den trennungsängstlichen und schulphobischen Kindern je nach Intensität zwischen 30 und 60%.“ (Weber, 2011, S.36) Nach einer Studie von Lotzgeselle im Jahr 1990 (ebd.) gibt es bestimmte Merkmale, die einen günstigen Verlauf der Erkrankung prognostizieren. Ausschlaggebend ist dabei, dass die Kinder unter zwölf Jahre alt sind, allgemeine Lern- und Leistungsmöglichkeiten im überdurchschnittlichen oder zumindest durchschnittlichen Bereich vorliegen, unmittelbare Wiedereingliederungsmaßnahmen der Eltern unternommen werden und kontaktsuchende Strategien der Schülerinnen und Schüler festzustellen sind. Begibt sich ein Betroffener rechtzeitig in eine Therapie, so bestehen günstige Aussichten, dass der Patient auf einer relativ einfache Therapie anspricht. Menschen, bei denen die Störung seit längerer Zeit vorliegt, weisen eine deutlich schlechtere Prognose hinsichtlich eines Heilungserfolges auf, da bei ihnen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie auch unter anderen emotionalen Störungen leiden. Individuelle Prognosen sind sinnvoll, da ein Therapeut auf dieser Grundlage angemessene Maßnahmen zur Intervention treffen kann. Symptome, die vor einer stationären Aufnahme des Kindes von langer Dauer sind, können zu einer ungünstigen Prognose führen. In der Regel vergeht vom Zeitpunkt des Symptombeginns bis zur Aufnahme in eine Klinik oder zu einem ambulanten Therapeuten ein langer Zeitraum, im Durchschnitt 9 Monate bis 1,4 Jahre. (Vgl., Weber, 2011, S.37)

Grad der Störungsausprägung

Zunächst ist festzuhalten, dass es schwere und leichte Fälle einer Schulphobie und auch der Prüfungsangst gibt. Der Grad der Ausprägung ist dabei entscheidend für das Einsetzen und das Greifen von Interventionsmöglichkeiten. Dementsprechend muss die Art der Behandlung auch vom Störungsgrad abhängig sein. Kurzzeitige Konsequenzen einer Schulphobie beinhalten eine geringe bis schwache schulische Leistung, Familienprobleme, Probleme mit Gleichaltrigen bis hin zur sozialen Isolation. Langzeitfolgen der Störung können ein Schulabbruch, Schwierigkeiten einen Ausbildungsplatz oder Anstellung zu finden sowie ein erhöhtes Risiko für psychiatrische Erkrankungen sein. Wenn ein Kind unter einer unbehandelten Trennungsangststörung leidet, kann sich dies bis zu einer Schulphobie im Jugendalter steigern und im Erwachsenenalter eine Agoraphobie oder Panikstörung zur Folge haben. Dies kann die Lebensqualität Betroffener erheblich einschränken. (Vgl.: Weber, 2011, S.38)

Sehr prüfungsängstliche Kinder und Jugendliche stehen einer Prüfungssituation äußerst abweisend und negativ gegenüber. Sie lehnen Prüfungsanforderungen, Prüfungstermin, den Verlauf und die Prüfperson ab, wobei sie mit diesen Rahmenbedingungen so unzufrieden sind, dass diese Unzufriedenheit in Aktionen und Handlungen zur Veränderung der Rahmenbedingungen führen würde. Die ablehnende Haltung nehmen die sehr Prüfungsängstlichen mit in ihre Prüfung hinein, was sich nicht nur auf die Angst steigernd, sondern auch auf die Motivation hemmend auswirkt. Zudem erleben die sehr prüfungsängstlichen Kinder und Jugendlichen die Situation als Bedrohung und fühlen sich der Ungewissheit der Situation schicksalhaft ausgeliefert. Sie sind hilflos, da sie nicht wissen, was in der Prüfung auf sie zukommt und wie die Prüfung verlaufen und ausgehen wird. Die Einstellung ist aufgrund der subjektiv empfundenen Bedrohung passiv und abwartend. (Vgl.: Weiß, 1997, S.42) Die psychologischen Symptome wie zum Beispiel Herzklopfen, Atembeschleunigung, Schwitzen oder Spannungen der Muskulatur werden als hinderlich, belastend und leistungsdämpfend empfunden. Sehr prüfungsängstliche Schülerinnen und Schüler haben eine negative Einstellung ihren physiologischen Angstsymptomen gegenüber, die sehr häufig eine derart beunruhigende Wirkung auf sie haben, dass sich daraus ein Teufelskreis ergibt. Die physiologischen Symptome der Angst werden von dem Betroffenen wahrgenommen, beunruhigen ihn und bereiten ihm deshalb wieder Angst. Der Betroffene fürchtet in Panik zu geraten und sich dadurch nicht mehr kontrollieren zu können, wobei er die Befürchtungen durch die physiologischen Symptome bestätigt sieht. Sehr Prüfungsängstliche haben Angst vor der Angst. Angst stellt für sie etwas absolut Negatives und Hinderliches dar. (Vgl.: ebd.) „Diese neu entstandene Angst führt wiederum zur Steigerung der physiologischen Angstsymptome, die ihrerseits wieder die Angst hochschrauben.“ (Weiß, 1997, S.42, Z.31ff.) Die wenig Prüfungsängstlichen haben eine ganz andere Einstellung zur Prüfung. Sie stehen den Rahmenbedingungen der Prüfung positiv gegenüber und nehmen Prüfungsanforderungen, Verlauf, Ergebnis, Prüfungsperson und Termin als gegeben an. Sie versuchen, die gegebenen Rahmenbedingungen einer Prüfung, sofern sie ihnen nicht zustimmen, durch ihre Handlungen zu beeinflussen, indem sie zum Beispiel das Gespräch mit dem Prüfer suchen. Sie nehmen die Unzufriedenheit nicht in die Vorbereitung auf die Prüfung mit hinein, sondern lassen sie außen vor. Der Betroffene vertritt in der Vorbereitung und in der Prüfung selbst eine akzeptierte Einstellung und versucht, unter den gegebenen Umständen das Beste aus der Situation zu machen, wobei die Prüfung selbst als Herausforderung betrachtet wird. Dementsprechend aktiv ist ihre Haltung der Situation gegenüber. Auch die Einstellung gegenüber den physiologischen Symptomen der Angst ist positiv, denn sie betrachten die Symptome als leistungsfördernd. (Vgl.: Weiß, 1997, S.43) „Die Angst selbst wird von den Wenig-Prüfungsängstlichen ebenfalls positiv gesehen: Sie führt nicht zu Beunruhigung, sondern gilt als nützliches, sonnvolles Signal, das auf eine Gefahrensituation aufmerksam macht.“ (Weiß, 1997, S.43, Z.28ff.) Die negative Einstellung der Sehr-Prüfungsängstlichen fördert die Angst, wobei die positive Einstellung der Wenig-Prüfungsängstlichen die Angst mindert, was verdeutlicht, dass sich durch einen Einstellungswandel die Prüfungsangst verringern lässt. (Vgl.: ebd.)

Ende der Leseprobe aus 260 Seiten

Details

Titel
Prüfungsangst besiegen!
Untertitel
So bewältigen Sie Stresssituationen optimal
Autoren
Jahr
2013
Seiten
260
Katalognummer
V263961
ISBN (eBook)
9783656529170
ISBN (Buch)
9783956871061
Dateigröße
5988 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
prüfungsangst, stresssituationen
Arbeit zitieren
Alexis Pflug (Autor:in)Lena Grun (Autor:in)Martin Selzle (Autor:in), 2013, Prüfungsangst besiegen!, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263961

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Prüfungsangst besiegen!



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden