Wege aus der Sackgasse? Die Auswirkungen von Reformmodellen in der Pflegeausbildung auf die Karrierechancen in der Pflege


Diplomarbeit, 2004

89 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschichtlicher Überblick
2.1 Anspruch auf Bildung und Erwerbstätigkeit für Frauen
2.2 Die Pflege als Frauenberuf
2.2.1 Die Entwicklung der Krankenpflege zum Beruf
2.2.2 Die Entwicklung der pflegeberuflichen Bildung
2.2.3 Historische Entwicklung der Krankenpflegeausbildung von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 60er Jahre
2.2.3.1 Kampf um eine staatliche Regelung: 1906-1938
2.2.3.2 Krankenpflegegesetz von 1938
2.2.3.3 Krankenpflegegesetz von 1957
2.2.3.4 Krankenpflegegesetz von 1965

3 Bisheriger Stand der Ausbildung
3.1 Ausbildung nach dem Krankenpflegegesetz von 1985
3.1.1 Wichtige Regelungen
3.1.2 Ausbildungsberührende Regeln
3.1.3 Verbesserungen durch das KrPflG von 1985
3.2 Sonderstellung der Pflegeausbildung und deren Folgen: Karrierechancen in der Pflege
3.3 Das neue Krankenpflegegesetz
3.3.1 Änderungen

4 Reformmodelle und ihre Auswirkungen
4.1 Begründung für die Reformierung der Pflegeausbildung
4.1.1 Ziele der Ausbildungsreform
4.1.2 Rechtliche Grundlage
4.2 Zur Auswahl der Modelle
4.3 Robert Bosch Stiftung: Pflege neu denken
4.3.1 Entwicklung des Modells
4.3.2 Zukunftsvision
4.3.2.1 Empfehlungen
4.3.2.2 Das neue Ausbildungsmodell
4.3.2.3 Kritik
4.4 Modellversuch „Integrative Pflegeausbildung: Das Stuttgarter Modell©“
4.4.1 Ziele
4.4.2 Ausbildungsprinzipien
4.4.3 Der Modellausbildungsgang
4.4.4 Auswirkungen
4.5 Uta Oelke und Marion Menke: Gemeinsame Pflegeausbildung
4.5.1 Entwicklung des Modells
4.5.2 Aufbau des Modells
4.5.2.1 Beteiligte Einrichtungen
4.5.2.2 Übergeordnete Bildungsziele
4.5.2.3 Stufenaufbau und Wechselmöglichkeit
4.5.2.4 Theoretische Ausbildung
4.5.2.5 Praktische Ausbildung
4.5.2.6 Examen
4.5.3 Evaluation des Modells
4.6 Zusammenfassung der Auswirkungen
4.6.1 Auswirkungen auf die Qualifikation der Auszubildenden
4.6.2 Auswirkungen auf die Karrierechancen in der Pflege:

5 Konsequenzen
5.1 Selbstreflexion
5.2 Normalisierung
5.2.1 Duales System oder Berufsfachschule?
5.2.1.1 Duales System und Berufsbildungsgesetz
5.2.1.2 Landesschulrecht und Berufsfachschulen
5.3 Professionalisierung
5.3.1 Gründe für Professionalisierng
5.3.2 Kennzeichen einer Profession
5.3.3 Kritik an Professionalisierungsbemühungen
5.4 Zusammenfassung

6 Literatur

1 Einleitung

Neben den Problemen, wie Überalterung der Bevölkerung und damit an-steigende Pflegebedürftigkeit, die Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie der modernen Medizin und die damit verbundenen ethischen, finanziellen und politischen Diskussionen, die unsere Gesellschaft allgemein und das Gesund-heitswesen im besonderen betreffen, sieht sich die Pflege noch mit weiteren, berufsspezifischen Problemen konfrontiert:

Schlecht bezahlt, gesellschaftlich kaum anerkannt, eine berufliche Sackgasse ohne Karrieremöglichkeiten – Pflegeberufe haben in dieser Hinsicht keinen guten Ruf.

Die Ansicht, Pflege sei eine typisch weibliche Tätigkeit, da die Fähigkeit für andere zu sorgen, sie zu pflegen den Frauen angeboren sei, entstand im 19. Jahrhundert und hat sich bis heute gehalten (Bischoff 1992, S.45ff). Laut Berufsbildungsbericht 2002 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) waren im Schuljahr 2001/2002 von 53.504 Auszubildenden in der Krankenpflege 43.562 Frauen, d.h. der Frauenanteil lag bei über 80% (BMBF 2002, S.330). Und auch heute spielt der Wunsch, anderen Menschen helfen zu wollen, eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für einen Pflegeberuf (Huber 2002, S.105), Gedanken an Karrieremöglichkeiten stehen erst an zweiter Stelle – Pflege gilt noch immer eher als Berufung, nicht als Beruf.

Professionalisierungsbemühungen, die Bedeutung der Pflegewissenschaft und die Akademisierung der Pflege werden häufig, auch von Pflegenden selbst, in Frage gestellt: Wozu Professionalisierung, wenn jede Frau nach kurzer Einarbeitung in der Lage ist, zu pflegen, wie der große Anteil von ungelernten Kräften in der Pflege zeigt?

Die Pflege ist momentan auf der Suche nach einem eigenständigen Profil innerhalb des Gesundheitswesens, Berufsbild und Selbstverständnis der Pflegenden wandeln sich. Das Verständnis von Pflege als karitative Liebes-tätigkeit am Nächsten und vom Pflegeberuf als einem der Medizin unterge-ordneten Assistenzberuf wird nach und nach durch ein neues berufliches Selbstbewusstsein ersetzt. Immer mehr Pflegende sehen ihren Beruf nicht mehr als Berufung, sondern als modernen Ausbildungsberuf. Die Forderung nach gesellschaftlicher Anerkennung und Möglichkeiten zu beruflichem Aufstieg, die mit denen anderer Berufe vergleichbar sind, werden laut.

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit einem Problem auseinander, das Pflegende mit beruflichem Ehrgeiz betrifft: da sich die Pflegeausbildung in Deutschland außerhalb des Berufsbildungssystems entwickelt hat, nimmt sie in vielen Bereichen, die noch genauer dargestellt werden, eine Sonderstellung ein. Vor allem die fehlende bundesweit einheitliche gesetzliche Regelung in Aus-, Fort- und Weiterbildung stellen Hindernisse für Pflegende dar. Es gibt nicht die Durchlässigkeit, die es in anderen Berufen ermöglicht, durch Weiterqualifi-zierung Karriere zu machen.

In den letzten Jahren wurden verschiedene Reformmodelle für die Pflegeausbildung entwickelt, alle mit dem Ziel eine moderne, den zukünftigen Anforderungen angepasste Ausbildung zu gewährleisten und die Pflegeaus-bildung aus ihrer Sonderstellung innerhalb des deutschen Berufsbildungs-systems zu holen.

In dieser Arbeit wird versucht folgende Frage zu beantworten: Können diese Reformmodelle die Pflegeberufe aus der beruflichen Sackgasse holen und zu einem Karrieresprungbrett machen oder sind andere Maßnahmen nötig?

Ich werde zunächst einen historischen Überblick über Frauenbildung allgemein, die Entwicklung der Pflege zum Frauenberuf und der pflegeberuflichen Bildung geben. Ich halte einen ausführlichen Überblick für wichtig, da die Anfänge des Problems „Pflege als berufliche Sackgasse“ auf diese Entwicklung zurück-zuführen sind.

Im Anschluss daran findet sich ein Kapitel über den heutigen Stand der Ausbildung nach dem Krankenpflegegesetz von 1985. Das neue Kranken-pflegegesetz, das am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist, wird nur kurz behandelt. Da sich dessen Auswirkungen auf die Situation der Pflege noch nicht abschätzen lassen, werden lediglich die wichtigsten Veränderungen aufgelistet.

Das dritte große Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit drei verschiedenen Reformmodellen für die Ausbildung in der Krankenpflege:

- Das Ausbildungsmodell, das im Rahmen der „Zukunftswerkstatt zur Ver-besserung der Pflegeausbildung“ im Auftrag der Robert Bosch Stiftung Stuttgart erarbeitet und im Jahr 2000 unter dem Titel „Pflege neu den-ken“ veröffentlicht wurde,
- der Modellversuch „Integrative Pflegeausbildung: Das Stuttgarter Modell©“, das auf dem Hintergrund von „Pflege neu denken“ entwickelt wurde und z.Zt. am Robert Bosch Krankenhaus Stuttgart erprobt wird und
- der Modellversuch „Gemeinsame Pflegeausbildung“ von Uta Oelke und Marion Menke, die von 1997–2000 an zwei Schulen in Essen durch-geführt und im Anschluss daran evaluiert wurde.

Nach einer ausführlichen Beschreibung der Modelle, wird ihre Auswirkung auf die schwierige Situation der Pflegeberufe beurteilt.

Da der Umfang dieser Arbeit begrenzt ist, beschränke ich mich beim historischen Überblick auf die Entwicklung der Krankenpflege zum Beruf.

Die Probleme in Bezug auf Karrierechancen sind in der Alten- und Kinderkrankenpflege ähnlich gelagert wie in der Krankenpflege und müssen daher nicht ausführlich dargelegt werden. Zudem haben sich die Berufsbilder Kinderkranken- und Altenpflege erst später vom Berufsbild Krankenpflege abgespalten, d.h. die Beschreibung der Entwicklung der Krankenpflege zum Beruf und der Verweis auf den weiblichen Charakter pflegerischer Tätigkeit trifft für alle drei Berufsbilder zu.

Bei der Beschreibung der Reformmodelle erfolgt dann eine Miteinbeziehung von Alten- und Kinderkrankenpflege, da beide Modelle eine Zusammenführung der drei Ausbildungsgänge beinhalten und in der Literatur weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass eine Zusammenführung der drei Berufsbilder in der Zukunft unvermeidbar sein wird.

Auch wenn sich die Krankenpflege im 19. Jahrhundert zum Frauenberuf ent-wickelt hat, bzw. zum Frauenberuf gemacht wurde, wird in dieser Arbeit wenn möglich die neutrale Form gewählt. Wo dies nicht möglich ist, werden beide Formen verwendet, da ich der Ansicht bin, dass zu einer Verbesserung der Karrierechancen in der Pflege und der Reformierung der Pflegeausbildung auch die Abkehr von dem Verständnis von Pflege als weibliche Tätigkeit gehört. Der Pflegeberuf muss zum attraktiven Beruf für beide Geschlechter werden, da gerade die Ansicht, Pflege sei ein Beruf für den „typisch weibliche“ Eigen-schaften wie Einfühlungsvermögen nötig sind, jeglichen Reformbemühungen entgegensteht.

2 Geschichtlicher Überblick

2.1 Anspruch auf Bildung und Erwerbstätigkeit für Frauen

Dass Frauen einen Anspruch auf Bildung und Ausbildung haben, scheint heute selbstverständlich, ist jedoch das Ergebnis einer langwierigen Entwicklung, da es über weite Strecken als normal und gottgegeben galt, dass die Frau ihrer natürlichen Berufung als Ehefrau und Mutter nachkommt – Tätigkeiten, für die Bildung als eher hinderlich galt.

Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick über die diese Entwicklung gegeben:

Lesen und schreiben zu können galt im Mittelalter als „ ‚weibisch und pfaffisch’ “ (Blochmann 1990, S.1), wie Weinhold (1882) von Blochmann zitiert wird. Der Großteil der Bevölkerung, ob männlich oder weiblich, konnte weder lesen noch schreiben, dies war wenigen vorbehalten, die überwiegend in Klosterschulen unterrichtet wurden.

Die Bildung breiterer Volksschichten gewann erst zur Zeit des Humanismus und der Reformation an Bedeutung, da eine Erweiterung der bisher rein theolo-gischen Bildungsinhalte um weltliche Bereiche erfolgte. Nach Blochmann (1990) machte sich schon zu diesem Zeitpunkt ein Unterschied in der Bildung der Geschlechter bemerkbar: zwar war eine Art religiöser Grundausbildung der wichtigste Bildungsbestandteil sowohl für Jungen als auch für Mädchen; allerdings zielte die Erziehung der Mädchen darauf ab, sie zu frommen, gehorsamen und nützlichen Hausfrauen zu erziehen – wie es ihre natürliche, gottgewollte Bestimmung war. Und es galt als selbstverständlich, dass Mädchen diese Erziehung von Frauen, Jungen ihre Bildung dagegen von Männern erhalten sollten. Schon zu dieser Zeit war die Bezahlung der weiblichen Lehrkräfte schlechter als die der männlichen.

Nach Blochmann (1990) waren die sowohl sozial als auch wirtschaftlich schwierigen Verhältnisse nach dem Dreißigjährigen Krieg dafür verantwortlich, dass die allgemeine Schulbildung für die Bevölkerung an Bedeutung verlor. Erst mit Gründung der preußischen Monarchie 1701 nahm das Interesse der Regierung an Volksbildung erneut zu.

Piechotta verweist auf Jean Jacques Rousseau, der sich 1762 dafür aussprach, Mädchen nicht völlig ohne Bildung aufwachsen zu lassen, da eine ungebildete Ehefrau für ihren Mann, ihre Familie und somit die Gesellschaft schwere Folgen haben könnte: eine ungebildete Frau sei nicht in der Lage, ihren Kindern moralische Werte oder Tugenden zu vermitteln, könne sie nicht zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft erziehen und somit nicht ihrer Aufgabe nach-kommen. Allerdings plädiert Rousseau dafür, Mädchen und Frauen nicht mehr Bildung zukommen zu lassen, als für die Erfüllung ihrer Aufgabe – Erziehung der Kinder im Sinne des Mannes und der Gesellschaft – unbedingt notwendig. Eine zu gebildete Frau ist, nach Rousseau, schlimmer als eine ungebildete (Piechotta 2000, S.69ff).

Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Bildung in Deutschland zu einem bedeutsamen Element im Kampf des Bürgertums gegen die ständische Ordnung. Piechotta beschreibt Bildung als wichtiges Mittel das Selbstbe-wusstsein des Bürgertums gegenüber dem herrschenden Adel zu stärken.

Auch hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Bildung für Männer und Bildung für Frauen: während die Söhne aus bürgerlichen Familien ihre Bildung in öffentlichen Einrichtungen wie Gymnasien erwarben, blieb die Bildung der Töchter Privatsache, sie erhielten Privatunterricht, bzw. besuchten Privatschulen, wo sie die Bildung erhielten, die gesellschaftlich angemessen schien: es wurden die Fähigkeit vermittelt, die es den Mädchen ermöglichen sollten, einen gut situierten Ehemann zu finden, diesem eine gefügige und gute Frau zu sein und die Kinder nach dessen Vorstellungen zu erziehen. So beschränkte sich der Unterricht für Mädchen auf Musik, Handarbeit, Tanz, gutes Benehmen und Konversation, sowie neue Sprachen. Der Tatsache, dass das Erlernen alter Sprachen wie Latein oder Griechisch den Jungen vorbehalten war, kam eine besondere Bedeutung zu, da dies eine Bedingung für den Abschluss des Gymnasiums und den Beginn eines Studiums darstellte (Piechotta 2000, S.69f). Frauen waren also von vorneherein von höherer Bildung ausgeschlossen, sie sollten gute Ehefrauen, angenehme Gesell-schafterinnen und gute Mütter, aber keinesfalls berufstätig und somit selbständig sein.

Die schlechten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ab Mitte des 19. Jahrhunderts führten dazu, dass Frauen, denen es nicht gelungen war, sich durch eine Heirat materiell abzusichern und die nicht von Verwandten versorgt wurden, sich eine alternative Lebensform suchen mussten, um zu überleben. Auch das konservative, reaktionäre Bürgertum konnte sich dieser Entwicklung nicht widersetzen: Frauen mussten berufstätig werden. Da weibliche Erwerbstätigkeit eine Notlösung, nicht eine gewünschte gesellschaftliche Veränderung darstellte, wurden Ausbildungsstätten für Frauen durch private statt staatliche Initiativen gegründet und die Ausbildungen wurden nicht institutionalisiert, so dass sie bei einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation schnell aufgelöst und die Frauen zurück an den häuslichen Herd gedrängt werden konnten (Piechotta 2000, S.72f).

Ein weiterer Grund, weshalb Frauen im Lauf des 19. Jahrhunderts eine außer-häusliche Tätigkeit anstreben, war, dass in gutsituierten Haushalten die Haus-arbeit durch aufkommende technische Möglichkeiten erleichtert wurde, viele zeitraubende Arbeiten fielen dadurch weg und die Frauen der mittleren und höheren Stände begannen, sich für eine sinnvolle Tätigkeit außerhalb des Haushalts zu interessieren (Kruse 1995, S.15). Aus welchem Grund auch immer eine Frau eine Berufstätigkeit anstrebte, die gesellschaftlichen Normen des Bürgertums standen solchen Bestrebungen ablehnend gegenüber. Die un-verheiratete bürgerliche Frau sollte als Tante oder Schwester im Haushalt von Angehörigen leben, die verheiratete bürgerliche Frau sollte ihre Rolle als Haus-frau erfüllen – weitergehende Ambitionen waren nicht erwünscht (Kruse 1995, S.15).

Erst dank der Bemühungen der Frauenbewegung wurde universitäre Aus-bildung für Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts möglich, erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts konnten Frauen ohne Einschränkungen studieren, bzw. habilitieren. Diskriminierung im Bereich der höheren Bildung findet jedoch noch heute statt.

2.2 Die Pflege als Frauenberuf

2.2.1 Die Entwicklung der Krankenpflege zum Beruf

Bischoff beschreibt ausführlich, dass die Krankenpflege nicht immer der Frauenberuf war, als der sie heute gilt. Krankenpflege wurde sowohl von Männern als auch von Frauen ausgeübt, wobei davon ausgegangen werden kann, dass Männer und Frauen jeweils Angehörige des eigenen Geschlechts pflegten. Erst im 19. Jahrhundert nahm die Anzahl der in der Pflege tätigen Frauen in dem Maße zu, dass die Männer verdrängt wurden und sich die Krankenpflege zum Frauenberuf entwickelte (Bischoff 1992 17ff). Da speziell diese Entwicklung für die heutige Situation in der Pflege enorm wichtig und entscheidend ist, möchte ich an dieser Stelle ausführlich darauf eingehen und die frühere Geschichte der Krankenpflege außen vor lassen.

Die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Krankenpflege zum Beruf im 19. Jahrhundert waren u.a. (Bischoff-Wanner 2002, S.15ff):

- Der größere Bedarf an Pflegepersonal, verursacht durch die von der Industrialisierung bedingten sozialen und wirtschaftlichen Verän-derungen;
- „die Übertragung der bürgerlichen Frauenrolle auf die Krankenpflege;
- die Übernahme christlich-kirchlicher Wertorientierungen“ (Bischoff-Wanner 2002, S.15).

Im folgenden Abschnitt werden diese Faktoren näher erläutert (Bischoff-Wanner 2002, S.15ff):

- Soziale und wirtschaftliche Veränderungen: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts reichten das bestehende Lohnwartsystem und die Ordenskrankenpflege aus, um die Kranken- und Armenversorgung zu gewährleisten. Die Verbreitung von industriellen Produktionsformen sowie der Zusammenbruch des feudalistischen Systems 1810, zusammen mit der Aufhebung der Leibeigenschaft, der Einführung der Gewerbefreiheit und der Landreform hatte tiefgreifende Folgen: im Bereich der Landwirtschaft gingen viele Arbeitsplätze verloren, was dazu führte, dass große Teile der Bevölkerung in die Stadt flüchteten, um ihre Existenz zu sichern. Auf diese Weise lösten sich die bisher bestehenden Familien- und Versorgungsstrukturen auf, was eine Neuorganisation der Kranken- und Armenversorgung notwendig machte: eine große Anzahl von öffentlichen und kirchlichen Krankenanstalten wurde gegründet. Diese Landflucht führte zu einem Wachstum der Städte, gab es 1800 in Deutschland zwei Großstädte mit mehr als 100 000 Einwohnern (Hamburg und Berlin), so waren es 1871 bereits acht und 1900 dreiunddreißig (Kruse 1995, S.15).

Auch die vielen Kriege im 19. Jahrhundert wurden, steigerten die Nach-frage nach ausgebildetem Pflegepersonal in ausreichender Zahl.

Ein weiterer Grund für den erhöhten Bedarf an Pflegepersonal war das Bevölkerungswachstum. Kruse bezieht sich auf das statistische Jahrbuch für die Bundesrepublik von 1968, wenn sie folgende Zahlen nennt: „Innerhalb der [.] Grenzen von 1871 wuchs die Bevölkerung von 1816 bis 1900 von 24,8 [.] auf 56 Millionen an; bis 1919 wurde eine weitere Zunahme bis auf 67,8 Millionen registriert“ (Kruse 1995, S.14).

- Die christlich-kirchliche Wertorientierung: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde von Pastor Theodor Fliedner vor einem an christlichen Werten orientierten Hintergrund in Kaiserswerth das System der mutterhausgebundenen Diakonissenpflege entwickelt, d.h. er ver-band religiöse Werte wie Demut, selbstloses Dienen im Sinne der Nächstenliebe mit der Krankenpflege. Gleichzeitig vertrat auch er die herrschende Auffassung über die Rolle der Frau in der Gesellschaft: das System der Mutterhäuser gewährte den Frauen einerseits den angeblich wichtigen Schutz und machte andererseits eine freie Ausübung des Berufs unmöglich. Krankenpflege galt als christlicher Liebesdienst am Nächsten, wer pflegte diente Gott. Aus diesem Selbstverständnis heraus verboten sich Fragen nach Entlohnung oder Selbstbestätigung. Zwar gelang im 20. Jahrhundert eine Säkularisierung der Krankenpflege, dennoch bekommen Pflegende auch heute noch zu hören, dass Krankenpflege eine höhere Aufgabe sei, die durch Werte wie Nächsten-liebe motiviert sein muss und nicht schlicht dem Geldverdienen dienen kann, wie so viele andere Berufe auch.
- Der Übertrag der bürgerlichen Frauenrolle auf die Krankenpflege: da auch durch die erfolgreiche Diakonissenkrankenpflege der aus ver-schiedenen, im Vorfeld bereits erwähnten Gründen steigende Bedarf an Pflegepersonal nicht gedeckt werden konnte, musste versucht werden, auch bürgerliche Frauen ohne ausgeprägte religiöse Motivation für den Pflegeberuf zu gewinnen. Zu diesem Zweck wurde die Rolle der Frau mit der Krankenpflege verknüpft. Ein Grund für bürgerliche Frauen, einen Beruf ergreifen zu müssen, lag in den bereits beschriebenen schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen: Frauen, die nicht durch Eltern oder Ehemann abgesichert waren, mussten auf irgendeine Art und Weise selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen.

Eine Möglichkeit dazu bot die Krankenpflege – allerdings erst nachdem die Rolle der bürgerlichen Frau auf die Krankenpflege übertragen worden war, galt Krankenpflege bis zu diesem Zeitpunkt als eine minderwertige Arbeit für Angehörige der Unterschicht und wurde im Lohnwart-System oder durch an Mutterhäuser gebundene Schwestern ausgeübt. Die Über-tragung geschah auf verschiedene Weise:

- Die Krankenpflege wurde mit der Mutterrolle gleichgesetzt und somit zum idealen, ja gottgewollten Arbeitsfeld für Frauen.
- Es wurde behauptet, dass Frauen durch ihre weiblichen Eigen-schaften und Tugenden geradezu prädestiniert für die Kranken-pflege seien. So wurden beispielsweise den Frauen anerzogene Eigenschaften wie die Bereitschaft zur Unterordnung, die Fähig-keit zur Entsagung oder Liebesfähigkeit und Wärme als wichtige Voraussetzungen für Krankenpflege beschrieben.

Auf diese Weise gelang es, dass die Arbeit in der Pflege, die von den Frauen verrichtet wurde, als Nicht-Arbeit betrachtet werden konnte – schließlich waren die natürlichen Eigenschaften und Begabungen der Frau Grundlagen für diese Arbeit, sie ging also lediglich ihrer Be-stimmung nach und musste daher auch nicht bezahlt werden. Frauen, die nicht von Ehemann oder Familie versorgt wurden, konnten also berufstätig sein, ohne aus ihrer gesellschaftlich erwünschten Rolle zu fallen. Die Meinung, dass Pflege ein Liebesdienst am Nächsten ist, für den weibliche Eigenschaften wie Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft unbedingte Voraussetzung sind, wurde in dieser Zeit zementiert und hält sich bis heute.

Erst Ende des 19. Jahrhunderts führten die schlechte Bezahlung und die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen dazu, dass viele Schwestern aus den Verbänden der Mutterhäuser austraten. Dies markierte den Beginn der freiberuflichen Krankenpflege: zunächst nur in der häuslichen Pflege und gegen großen Widerstand von Seiten der Mutterhäuser und teilweise auch der Ärzte. 1903 gründete Agnes Karll den Berufsverband der Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger. Um die Akzeptanz der freiberuflich tätigen Schwestern zu sichern, übernahm sie die „christlich-sittlichen Ideale, so die Forderung nach einem einwandfreien Lebenswandel, die Tracht sowie die Anrede“ (Bischoff-Wanner 2002, S.21). Auch den Charakter als weibliche Liebestätigkeit am Nächsten verliert die Krankenpflege durch die diese Entwicklung nicht, daher wird sie sozialpolitisch vernachlässigt: für die Schwestern gab es lange Zeit weder eine Krankenversicherung, noch eine Einschränkung der Arbeitszeit oder eine Bezahlung, die es erlaubte, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Tarifverträge galten für die Krankenpflege erst ab 1919, eine Arbeitszeit-regelung bestand ab 1924, ab 1928 wurde Krankenpflegepersonal staatlicher Versicherungsschutz gewährt.

2.2.2 Die Entwicklung der pflegeberuflichen Bildung

Ärzte, Apotheker und Hebammen müssen seit dem Erscheinen der Gewerbe-ordnung 1896 eine fachliche Vorbereitung auf ihren Beruf vorweisen, für das Ausüben von Krankenpflege hingegen wurden keine Regelungen getroffen – bis zum In-Kraft-treten des Krankenpflegegesetzes im Januar 2004 gab es keine Tätigkeiten, die vorbehaltlos nur von ausgebildeten Pflegekräften aus-geübt werden dürfen, dort wurde erstmals ein eigenverantwortlicher Tätigkeitsbereich festgeschrieben. Schulungs- und Anleitungsprogramme für die Krankenpflege gehen auf die Initiative der Diakonissenmutterhäuser, der katholischen Pflegeorden und der vaterländischen Frauenvereine zurück. Kennzeichnend für diese Programme ist nach Stöcker eine Analogie zu ärztlichen Tätigkeiten, d.h. die Schwestern wurden so ausgebildet, dass sie den Medizinern gute Assistentinnen sein konnten, ohne deren Autorität jemals in Frage zu stellen (Stöcker 2002, S.21). Die Ausbildung erfolgte in Form von internen Schulungen, jedes Krankenhaus schulte seine Schwestern der jeweiligen Haltung und Anschauung entsprechend.

2.2.3 Historische Entwicklung der Krankenpflegeausbildung von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 60er Jahre

2.2.3.1 Kampf um eine staatliche Regelung: 1906-1938

Im folgenden Abschnitt werden die wichtigsten Daten für die Entwicklung der pflegeberuflichen Bildung aufgeführt und erläutert.

Im 19. Jahrhundert gab es keine gesetzlichen oder staatlichen Vorgaben zur Ausbildung in der Krankenpflege, die Gewerbeordnung von 1869 regelte lediglich die Tätigkeiten von Ärzten und Hebammen. Daraus folgte, dass das Pflegepersonal sowohl der kirchlichen als auch der vaterländischen Organi-sationen eine nur unzureichende Ausbildung erhielt:

- „die Ausbildungsstrukturen in diesen Organisationen waren gekenn-zeichnet durch religiöse Erziehung und durch praktisches Lernen“ (Brenner 1994, S.23). An den Krankenpflegeschulen, die an Kranken-häuser angegliedert waren, wurde zwar medizinischer Unterricht durch Ärzte erteilt, aber diesen war es wichtig, den Schülerinnen nicht zu viel theoretisches Wissen zu vermitteln, ging es ihnen doch darum Assisten-tinnen auszubilden, die ärztlichen Anweisungen Folge leisten konnten, aber nicht zu selbständigem Arbeiten in der Lage waren.
- Eine Trennung von Ausbildung, d.h. Lernen, und praktischer Arbeit am Krankenbett fand nicht statt. Die Schülerinnen wurden in vollem Umfang zur Patientenversorgung eingesetzt.

Nach Brenner, die sich auf Wanner (1987) bezieht, belief sich der Umfang der Ausbildung auf lediglich 40 bis 100 Stunden (Brenner 1994, S.23).

Diese sehr mangelhafte Ausbildung führte zu Missständen in der Kranken-pflege, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr ignoriert werden konnten. Neben den Medizinern, die sich einen größeren Einfluss auf die Pflege erhofften, und berufsständisch organisierten Pflegekräften, welche die Ein-schränkung der Ausbildung durch den Einfluss der Mutterhäuser beheben wollten, forderten nun auch Politiker eine staatliche Regelung. Die Berufs-organisation der Krankenpflegerinnen in Deutschland forderte eine gesetzlich geregelte dreijährige Ausbildung. Diese geforderten klaren Regelungen wurden jedoch durch den Einspruch von geistlichen und weltlichen Krankenpflege-genossenschaften verhindert, deren Interessen eine solche Gesetzgebung widersprochen hätte. 1906 gab der Bundesrat einen Entwurf verschiedener Vorschriften über eine staatliche Prüfung und einen Ausbildungsplan für die Krankenpflege heraus, diese hatten für die einzelnen Bundesstaaten nur einen empfehlenden Charakter (Rau 2001, S.37). So erschienen 1907 die „Vor-schriften über die staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen vom 10. Mai 1907 (Preußen)“. In diesen Vorschriften wurde die Ausbildungsdauer mit einem Jahr festgelegt, zudem wurde der praktische Charakter der Ausbildung besonders hervorgehoben. Andere Bundesstaaten folgten dem Beispiel Preußens und bis 1920 galten in fast allen Bundesstaaten des deutschen Reichs bis auf zwei Ausnahmen übereinstimmende Ausbildungsvorschriften.

Diese Vorschriften wurden jedoch nur fakultativ angewendet und brachten keine wesentlichen Veränderungen mit sich. Die Ausbildungs- und Arbeitsbe-dingungen blieben weiter schlecht, bzw. wurden noch schlechter:

- Die Schülerinnen wurden von den Krankenhausverwaltungen als billiges Personal betrachtet und entsprechend ausgenutzt, so lag die tägliche Arbeitszeit zwischen 15 und 18 Stunden, für den theoretischen Unterricht wurde z.T. nur eine Stunde pro Woche angesetzt (Brenner 1994, S.24f).
- Während Industrie und Handwerk zu dieser Zeit „die Eckpfeiler der beruflichen Bildung“ (Brenner 1994, S.25) entwickelten, so gewannen beispielsweise Lehrwerkstätten an Bedeutung, es kam zu ersten Ausbildungsregelungen, Berufsbilder und Lehrberufe wurden festgelegt, scheiterten Bemühungen, solche Festlegungen auch für die Pflege zu treffen.
- Die Forderung nach gesetzlich geregelter und verbindlicher Ausbildung wurde immer wieder gestellt, setzte sich aber nie durch.
- Die Etablierung einer eigenständigen, staatlichen Schule außerhalb einer Klinik war nie ein Thema.
- Überlegungen zur beruflichen Bildung wie in Industrie und Handwerk gab es nicht (Brenner 1994, S.25f).

1917 gab es eine erste staatliche Ordnung für die Kinderkrankenpflege, dennoch kam es auch weiterhin nicht zu einer Integration in das sich entwickelnde allgemeine und berufliche Bildungssystem (Stöcker 2002, S.22).

Auch in der Weimarer Republik ergaben sich für die Krankenpflegeausbildung keine grundlegenden Veränderungen. Zwar schrieb ab 1921 in Preußen eine Regelung eine Ausbildungsdauer von zwei Jahren und 200 Stunden theore-tischen Unterricht vor, doch auch diese Regelung fand nur fakultativ Anwen-dung, die Dominanz der genossenschaftlichen Pflegeorganisationen blieb unangetastet.

Die Entwicklungen und Diskussionen in Industrie und Handwerk, die zu dieser Zeit stattfanden, unterscheiden sich wesentlich von denen in der Kranken-pflege:

In der Entwicklung der beruflichen Bildung kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem traditionsreichen Handwerk und der traditionslosen Industrie, wobei die Industrie an Boden gewinnen konnte. Es fand ein Kräftemessen zwischen Arbeit und Kapital statt, das besonders durch das Auftreten der Gewerkschaften gefördert wurde. Es ging u.a. um die Frage, inwieweit ein Ausbildungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis darstellt und so der Verhandlungs-fähigkeit der Gewerkschaft unterliegt. In der Krankenpflege fand eine solche Auseinandersetzung nicht statt, durch die genossenschaftliche Organisation blieb alles in einer Hand, oben genannte Gegensätze traten nicht auf.

Während es bei der Diskussion in Industrie und Handwerk hauptsächlich um Qualifikationsprobleme ging, stand in der Krankenpflege die Frage nach vorberuflichen, bzw. beruflichen Organisationsformen im Vordergrund. Die Frage nach Qualifikation betraf v.a. die von den Ärzten geforderte Anpassung an die Fortschritte der Medizin, wurde allerdings „durch das autokratische Regime der Oberinnen ständig ethischen Gesichtspunkten untergeordnet“ (Brenner 1994, S.27).

2.2.3.2 Krankenpflegegesetz von 1938

1938 kam es zu ersten reichseinheitlichen Regelungen für die Krankenpflege, wobei gemäß der Politik des Dritten Reiches staatliche Kontrolle und Ein-flussnahme im Vordergrund standen. Eine Neuerung bestand darin, dass zum ersten Mal auch die Berufsausübung geschützt werden sollte (§1 Abs. 1 der Verordnung), allerdings trat dieser Absatz nie in Kraft, lediglich die Berufs-bezeichnung wurde geschützt. Dennoch wurde, aufgrund des ursprünglich geplanten Schutzes der Berufsausübung, der Tätigkeitsbereich von Kranken-pflegekräften beschrieben.

Im folgenden werden die Inhalte des Gesetzes kurz aufgelistet (Rau 2001, S.38f):

- Zugangsvoraussetzungen:
- Vollendung des 18. Lebensjahres
- polizeiliches Führungszeugnis
- abgeschlossene Volksschulbildung
- gesundheitliche Eignung
- einjähriges hauswirtschaftliches Praktikum (Frauen) (Rau 2001, S.38)
- Die Schule musste an ein Krankenhaus angegliedert sein,
- die Schule musste von einem Arzt geleitet werden, der von einer/einem Krankenschwester/-pfleger vertreten wurde. Eine/ein Lehrschwester/-pfleger musste ihm zugeordnet werden.
- Die Ausbildung dauerte 1½, ab 1943 zwei Jahre, vergleichbare Aus-bildungen konnten angerechnet werden,
- der theoretische Unterricht umfasste mindestens 200 Stunden, davon mindestens 100 durch Ärzte erteilt,
- ein bestehendes amtliches, dem nationalsozialistischen Gedankengut angepasstes Krankenpflegelehrbuch musste dem Unterricht zugrunde gelegt werden.
- Die Abschlussprüfung setzte sich aus einem praktischen und einem theoretischen Teil zusammen. Vor der Prüfung musste der Prüfling zwei Tage lang einen Patienten selbständig versorgen.

Für den Bereich der Psychiatrie fand die Verordnung keine Anwendung.

Diese Verordnung galt nach 1945 in einigen Bundesländern weiterhin, wobei lediglich die Erb- und Rassenlehre vom Lehrplan gestrichen wurde. Andere ersetzten sie durch landesrechtliche Verordnungen.

2.2.3.3 Krankenpflegegesetz von 1957

Erst 1957 trat ein Krankenpflegegesetz in Kraft mit dem die Krankenpflege-ausbildung bundeseinheitlich geregelt wurde. Hier war der Schutz der Berufsausübung nicht mehr vorgesehen, lediglich die Berufsbezeichnung wurde geschützt, daher wurde auch der Tätigkeitsbereich von Krankenpflegekräften nicht beschrieben.

Inhalte des Gesetzes waren u.a.:

- die Zugangsvoraussetzungen:

- Vollendung des 18. Lebensjahres (in Ausnahmefällen 17.Lj.)
- ärztliches Zeugnis
- amtliches Führungszeugnis
- einjährige hauswirtschaftliche Tätigkeit oder Schwesternvorschule. (Rau 2001, S.39)
- Die Schulen mussten staatlich anerkannt und mit geeigneten Krankenhäusern verbunden sein,
- die Schulen mussten über genügend Lehrkräfte und Räumlichkeiten verfügen und als Internat geführt werden.
- Ausbildungsdauer: zwei Jahre mit der Möglichkeit der Verkürzung bei bestimmter Vorbildung.
- Mindestens 400 Stunden theoretischer Unterricht,
- unmittelbar nach den Lehrgang erfolgte ein einjähriges Praktikum unter Aufsicht einer ausgebildeten Pflegekraft mit mindestens 50 theoretischen Unterrichtsstunden.
- Die Abschlussprüfung nach zwei Jahren bestand aus einer mündlichen Prüfung vor einem staatlichen Prüfungsausschuss. Den Vorsitz hatte der Medizinalbeamte der zuständigen Verwaltungsbehörde. Vor der Prüfung musste der Prüfling einen Patienten zwei Tage lang selbständig versorgen, Nachtdienst eingeschlossen. In die Endnote flossen die Leistungen während der Ausbildung in Form der sogenannten „„Bewährungsnote““ (Rau 2001, S.40) mit ein.

Brenner kritisiert, dass auch in diesem Gesetz die schon zu Beginn des Jahrhunderts geforderte dreijährige Ausbildung nicht festgeschrieben wurde, was eine Veränderung und Verbesserung des Gesetzes notwendig machen würde (Brenner 1994, S.28f).

2.2.3.4 Krankenpflegegesetz von 1965

Zu dieser Novellierung kam es 1965, hier wurde die Ausbildungsdauer auf drei Jahre festgelegt, das Praktikumsjahr entfiel. Ansonsten wurden die Strukturen des alten Gesetzes beibehalten, durch Ausweitung und Konkretisierung der Ausbildungsvorschriften konnte jedoch eine Verbesserung der Ausbildung erreicht werden (Rau 2001, Brenner 1994). Der gesetzliche Schutz der Berufsausübung wurde auch zu diesem Zeitpunkt wieder diskutiert, aber mit der Begründung, den bestehenden Mangel an Pflegepersonal nicht weiter ver-schärfen zu wollen, abgelehnt.

Die wichtigsten Neuregelungen waren:

- Mittlere Reife oder gleichwertiger Abschluss als Zugangsvoraussetzung,
- Mindestalter 17 Jahre,
- Kürzung des hauswirtschaftlichen Praktikums auf ein halbes Jahr, wobei dieses nur von Bewerberinnen, nicht aber von Bewerbern gefordert wurde, wie Brenner (1994, S.29) bemerkt, was meines Erachtens deutlich zeigt, dass der Gesetzgeber hier davon ausgegangen ist, dass es sich bei der Krankenpflege um einen Frauenberuf handelt, d.h. dass nicht mit männlichen Bewerbern zu rechnen ist.
- Festlegung der Ausbildungsdauer auf drei Jahre. Erst 60 Jahre nach den 1906 gestellten Forderungen Agnes Karlls nach einer dreijährigen Ausbildung, wird diese vom Gesetzgeber vorgeschrieben. Die Haupt-gründe dafür liegen in der Ansicht, dass für die Krankenpflege als praktischen Beruf keine so lange Ausbildung vonnöten wäre und dem Argument, dass der herrschende Personalmangel eine Ausbildungs-dauer von drei Jahren nicht erlaube (Kruse 1995, S.165).
- Erhöhung der Unterrichtsstunden von 400 auf 1200 Stunden, dabei erfolgte gleichzeitig eine Aufteilung in verschiedene Unterrichtsfächer, zudem sollten die Lehrkräfte eine spezielle Vorbildung haben,
- Festschreibung einer mündlichen, praktischen und schriftlichen Prüfung,
- Mindestanforderungen an das Krankenhaus, an welches die Schule angeschlossen war, in Bezug auf Größe und Fachbereiche.

Rau hebt besonders die Verdreifachung der theoretischen Unterrichtsstunden hervor, da hiermit endlich die Betonung der Wichtigkeit von theoretischen Anteilen in der bis dato als überwiegend praktisch betrachteten und durchgeführten Ausbildung geschah (Rau 2001, S.40).

Das Krankenpflegegesetz in der Fassung von 1965 galt, abgesehen von kleinen Änderungen bis 1985, obwohl bereits seit 1970 über notwendige Reformen diskutiert wurde (Rau 2001, S.40).

Eine „Kleine Kommission zur Überprüfung des Krankenpflegegesetzes“

beschäftigte sich speziell mit den Themen:

- Dauer der Ausbildung
- Mindestalter für den Zugang
- Der besondere Beruf der Kinderkrankenschwester
- Krankenpflegeberuf für die Psychiatrie
- Grundbildung für verwandte Heilberufe. (Rau 2001, S.40)

Rau nennt das Europäische Übereinkommen über die theoretische und praktische Ausbildung von Krankenschwestern und Krankenpflegern vom 25. Oktober 1967 als einen wichtigen Grund, für die Diskussion über die Notwendigkeit der Novellierung des Krankenpflegegesetzes. Dort wurde u.a. eine zehnjährige Schulbildung als Zugangsvoraussetzung und eine Ausbildungszeit von 4600 Stunden, davon 1/3 als theoretischer und praktischer Unterricht, gefordert, was vom deutschen Gesetz von 1965 nicht erfüllt wurde (Rau 2001, S.41).

Dass ein neues, überarbeitetes Krankenpflegegesetz erst 1985, 18 Jahre nach dem Europäischen Übereinkommen und 15 Jahre nach den ersten Dis-kussionen über Reformen, in Kraft trat, lag an der Überlegung, die Kranken-pflegeausbildung ins allgemeine Bildungssystem zu integrieren, die heftig diskutiert wurde (Rau 2001, S.41):

- Ein erster Referentenentwurf wurde 1974 abgelehnt, da vor allem die Berufsverbände eine „„Verschulung der Ausbildung““ (Rau 2001, S.41) befürchteten.
- Ein weiterer Referentenentwurf, der die Anwendung des Berufs-bildungsgesetzes (BBiG) vorsah, scheiterte 1979 hauptsächlich am Widerstand der kirchlichen Ausbildungsträger. Diese argumentierten, dass die vorgesehenen Bildungsausschüsse den kirchlichen Selbstbe-stimmungsbereich verletzen würden, der laut Art. 140 Grundgesetz vor Fremdeinwirkung geschützt ist. Rau nennt an dieser Stelle Isensee (1980), der zu dem Schluss kommt, dass es keine rechtlichen Grundlagen gab, die eine Anwendung des BBiG auf die Kranken-pflegeausbildung zwingend notwendig machten (Rau 2001, S.41f).

Weiter war in diesem Entwurf eine gemeinsame Grundausbildung für unterschiedliche Ausbildungsgänge vorgesehen – eine Idee, die in den letzten Jahren erneut aufgegriffen und in den später beschriebenen Reformausbildungsgängen erprobt wurde, bzw. wird.

Ein weiteres Problem vor dem In-Kraft-Treten des neuen Kranken-pflegegesetzes 1985 war nach Rau die Rechtsunsicherheit, inwieweit das BBiG in Einzelfragen anzuwenden war, da das BBiG gemäß § 107 als subsidäres Recht angesehen werden konnte, wenn die verfassungs-rechtlichen garantierten Rechte der kirchlichen Träger nicht verletzt wurden (Rau 2001, S.42), so dass manche Streitfälle vor Gericht geklärt werden mussten.

Ein anderer Entwurf beinhaltete Vorschriften, nach denen ein Bildungsberater bei der zuständigen Behörde und Beratungsausschüsse ohne konstitutive Mitwirkungsrechte eingesetzt werden sollte; der Entwurf wurde jedoch wegen des Regierungswechsels zurückgezogen.

Erst „nach weiteren Entwürfen, der Forderung des Bundesrates nach Nicht-anwendung des Berufsbildungsgesetzes, öffentlicher Anhörung und daraus hervorgehenden Änderungen“ (Rau 2001, S.42) trat am 1. September 1985 das neue Krankenpflegegesetz in Kraft, die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung folgte am 16. Oktober 1985.

3 Bisheriger Stand der Ausbildung

Im folgenden Kapitel soll zunächst ausführlich die Ausbildung nach dem Krankenpflegegesetz von 1985 beschrieben und im Anschluss daran die Sonderstellung, welche die Pflegeausbildung im deutschen Bildungswesen einnimmt, sowie deren Folgen für die Karrierechancen in der Pflege erläutert werden.

Da das neue Krankenpflegegesetz erst am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist, können in dieser Arbeit lediglich die wichtigsten Veränderungen aufgelistet werden, über die Auswirkungen auf die Sonderstellung, bzw. die Karriere-chancen können zu diesem Zeitpunkt nur Vermutungen angestellt werden.

3.1 Ausbildung nach dem Krankenpflegegesetz von 1985

Die Neufassung des Krankenpflegegesetzes (KrPflG) trat am 1. September 1985 in Kraft, die Ausbildungs- und Prüfungsordnung (APrV) folgte am 16. Oktober 1985. Dominierende Gedanken bei der Gestaltung des Gesetzes waren a) die Erfüllung des Europäischen Übereinkommens, das bereits zuvor beschrieben wurde und b) die Anpassung ans BBiG, ohne jedoch die Selbstbe-stimmungsrechte der Kirche zu verletzen (Rau 2001, S.43).

[...]

Ende der Leseprobe aus 89 Seiten

Details

Titel
Wege aus der Sackgasse? Die Auswirkungen von Reformmodellen in der Pflegeausbildung auf die Karrierechancen in der Pflege
Hochschule
Hochschule Esslingen  (Fachbereich Gesundheit und Pflege)
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
89
Katalognummer
V27338
ISBN (eBook)
9783638294157
Dateigröße
754 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wege, Sackgasse, Auswirkungen, Reformmodellen, Pflegeausbildung, Karrierechancen, Pflege
Arbeit zitieren
Silke Hegemann (Autor:in), 2004, Wege aus der Sackgasse? Die Auswirkungen von Reformmodellen in der Pflegeausbildung auf die Karrierechancen in der Pflege, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27338

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