Unterrichtsstörungen. Möglichkeiten zur Intervention


Akademische Arbeit, 2006

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Störungsintervention
1 Lehrerzentrierte Intervention
1.1 Reaktionen im akuten Konflikt
1.2 Strafen
1.3 Veränderungsstrategien
1.4 Problemdiagnose
2 Kooperative Intervention
2.1 Konstruktives Konfliktgespräch nach Gordon (Lehrer-Schüler-Konferenz)
2.2 Kooperative Verhaltensmodifikation im Unterricht
3 Organisatorische Maßnahmen der Schule zur Störungsintervention
3.1 Mediation
3.2 Die Trainingsraum-Methode

4 Literatur

Störungsintervention

„Störungsfreier Unterricht ist eine didaktische Fiktion“ (Lohmann 2003, S. 13). Diese These berücksichtigend beschäftigt sich diese Arbeit mit der Konflikt bewältigung, d.h. präventive Maßnahmen waren entweder nicht möglich, wurden nicht eingesetzt oder verfehlten ihre Wirkung: eine Störung des Unterrichts, die nicht ignoriert oder durch nonverbale Maßnahmen gelöst werden kann, tritt auf. Neben einer schwerwiegenden Störung können auch kleinere Konflikte Grund zur massiven Intervention geben, sofern sie wiederkehren.

Im Rahmen dieser Arbeit sollen drei Möglichkeiten des Einschreitens dargestellt werden: die lehrerzentrierte und die kooperative Intervention sowie institutionelle Maßnahmen, die anhand der Beispiele „Meditation“ und „Arizona“-Projekt bzw. „Trainingsraumprogramm“ anschaulich gemacht werden. Obwohl u.a. durch KOUNINS Forschungen bestätigt wurde, dass die Störungsprävention wichtiger als die eigentliche Störungsbewältigung ist, gibt es im Bereich der Intervention gewisse Vorgehensweisen, die Störungen in der Schulklasse wirkungsvoller und dauerhafter abstellen als andere. Die Wahl der geeigneten Methode hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Einschätzung der Störung, der Unterrichtssituation, während der die Störung auftritt oder auch dem Führungsstil und Charakter des Lehrers.

Eines der Hauptprobleme ist, dass der Lehrer durch die aufgetretene Störung emotional tangiert wird und sich in seiner Reaktion auf den Störer Gefühle wie Wut, Entrüstung oder Enttäuschung widerspiegeln (Lohmann 2003, S. 151). Aggressives Ermahnen, Drohen und Strafen sind die meistgebrauchten und zumeist ineffektivsten Methoden der Intervention. Kurzfristig mögen die Maßnahmen eine Störung abstellen, auf längere Sicht vergiften sie jedoch das Lehrer-Schüler-Verhältnis und verbauen gleichzeitig die Sicht auf langfristig wirksamere Methoden. Es ist zwar verständlich, dass Lehrer emotional reagieren – dennoch ist es nicht professionell. Gerade in solchen Situationen sollte der Lehrer nicht als Privatmensch, sondern als „pädagogischer Profi“ handeln. In diesem Fall würde das bedeuten, sowohl emotional Abstand zum Vorfall zu gewinnen als auch sachlich und angemessen zu reagieren (vgl. Nolting 2002, S. 74f.). Eine praktische Konsequenz wäre, dass der Lehrer nach einer Störung und bevor er reagiert eine bestimmte Zeit „durchatmet“, ein Fenster öffnet oder – was allerdings nicht die Regel sein sollte – kurz den Raum verlässt. Damit erzielt er einen Abstand zum Vorfall und gibt sich darüber hinaus die Möglichkeit, den Konflikt einzuschätzen.

BECKER schlägt bezüglich der Intervention bei Störungen eine Handlungsmatrix vor, eine festgelegte Reihenfolge von Überlegungen und Verhaltensweisen, die der Lehrer beim Auftritt störenden Schülerverhaltens programmartig durchgehen sollte (Becker 2000, S. 37). Diese Standardi­sierung hat zum Ziel, dem Lehrer die Verunsicherung beim Auftreten von Störungen zu nehmen, die zu den bereits erwähnten kurz­sichtigen, emotional gefärbten Spontan­reaktionen führt. BECKERS Schema enthält insgesamt 12 Schritte, die jedoch nur im Falle von Extremkonflikten alle zu durchlaufen sind (s. Anhang, Anlage 3). Nach der Störung gilt es auf den ersten Stufen zu entscheiden, wie schwerwiegend die Störung ist und zu bestimmen, ob eine sofortige Intervention notwendig oder ob ein Handlungsaufschub möglich ist. Kommt der Lehrer zu dem Ergebnis, dass es sich um einen leichten Konflikt handelt, genügt es, nach Handlungsmöglichkeiten zu suchen, diese abzuwägen und die Umsetzung zu überlegen. Wird die Störung vom Lehrer als gravierender eingeschätzt, sind weitere Schritte wie die Frage nach Ursachen, weitere Informationsbeschaffung oder Perspektivenwechsel notwendig.

Kritisch muss angemerkt werden, dass diese Matrix selbst im Falle eines unerheblichen Scheinkonfliktes sechs Stufen vorsieht, die von der Konfliktauffassung bis zur Konzipierung der Handlungsreihenfolge zu durchlaufen sind. Ein Lehrer, der aufgrund einer Störung emotional geladen ist, wird Probleme haben, in diesem Zustand folgsam das vorgegebene Schema zu durchlaufen. Anderseits kann auch dies – wie andere Verhaltensweisen auch – trainiert werden. Bei einem Lehrer, der diese Matrix konsequent und regelmäßig anwendet, wird sich die „Durchlaufzeit“ deutlich verringern. Im Idealfall hat er das Schema schließlich so verinnerlicht, dass er es praktisch unbewusst und automatisiert anwendet. Die entscheidenden Folgen der Beachtung einer derartig standardisierten Matrix für die Störungsintervention sind, dass sich der Lehrer zunächst einmal der Störung bewusst wird und erklären kann, warum er Gefühle wie Wut und Ärger verspürt. Des Weiteren reflektiert er mögliche Handlungs­alternativen, d.h. er erkennt, dass er nicht nur eine Methode zur Intervention hat sondern ihm mehrere Wege offen stehen. Diese Abkehr von der eingeschränkten „Ein-Weg-Sichtweise“ ist Voraussetzung für die folgenden Interventionsansätze.

1 Lehrerzentrierte Intervention

1.1 Reaktionen im akuten Konflikt

Der oftmals einfachste und schnellste Weg der lehrerzentrierten Intervention ist die Bitte und die höfliche Aufforderung an den Störer, sein Verhalten zu ändern. Hier erweist es sich am effektivsten, den Störer als gleichwertigen Gesprächspartner anzusprechen, anstatt ihm bereits durch den Tonfall anzuzeigen, dass er sich in der Rolle des unartigen Kindes befindet (vgl. Calvert 1975, S. 19). Unterlässt der Schüler daraufhin die Störung, gilt es dieses Wohlverhalten zu verstärken, was allerdings in den seltensten Fällen geschieht – Fehlverhalten wird beachtet, Wohlverhalten nicht (vgl. Bergsson 1998, S. 55). Des Weiteren sind Aufforderungen an die Schüler effektiver, wenn sie mit einsichtigen Begründungen unterlegt werden (Verweis auf Regeln, Risiken usw.).

Bei gravierenderen Störungen (z.B. lautstarken Auseinander­setzungen unter Schülern oder Tätlichkeiten) erweist es sich als sinnvoll, zunächst eine Klärung der Situation anzustreben. Hierbei gilt es entweder, die Sache zu klären („Was ist passiert? Was habt ihr beobachtet?“) oder den Beteiligten die Chance zu geben, ihre Gefühle auszudrücken (vgl. Nolting 2002, S. 77). Oftmals ergeben sich bereits hier Ansatzpunkte zur Entschärfung des Konfliktes. In jedem Falle gilt es, den Konflikt von den Beteiligten zu trennen. Allzu leicht verfällt man sonst Pauschalierungsverlockungen („Typisch Peter, ist ja klar“) und lässt kontextbezogene Lösungsansätze (Peergroup, Sitzordnung, eigenes störungsförderndes Verhalten) außer Acht. Wenn der Lehrer einen Schüler kritisiert oder tadelt, dann sollte er – wie übrigens beim Lob auch – klarstellen, worauf sich die Kritik bezieht, ohne den Schüler als Person anzugreifen. Sein Verhalten kann der Störer ändern – seine Persönlichkeit nicht. In diesem Zusammenhang kann die Verwendung von Ich-Botschaften durch den Lehrer ratsam sein. Er kann seine eigenen Empfindungen und Gefühle kundtun und damit den Schülern eine Begründung liefern, warum er das störende Verhalten nicht tolerieren kann (vgl. Handke 1997, S. 97). Ein Lehrer, der seinen Schüler anfährt („Du bist genauso aggressiv und unverschämt wie dein Bruder“) wird wenig erreichen. Welche Handlungsaufforderung der Störer aus diesen Worten ableitet, bleibt allein der (in der Regel sehr geringen) Interpretations­bereitschaft des Schülers überlassen. Kritisiert der Lehrer hingegen sachlich und konstruktiv („Ich habe gesehen, wie du Tim gerade mehrfach heftig angestoßen hast. Das macht mich selbst aggressiv und wütend. Hör damit auf.“), so ist keine Interpretation auf Schülerseite nötig. Die Aufforderung steht, die Grenzen sind klar gesetzt, der Schüler hat die Möglichkeit sein Verhalten zu ändern ohne sich als Person angegriffen und bloßgestellt zu fühlen.

Ein weiterer Ansatz zum Umgang mit Undiszipliniertheiten ist Humor. Den Störer durch eine geistreiche, entwaffnende Bemerkung sein störendes Verhalten vor Augen zu halten, ohne ihn bloßzustellen, ist sicherlich einer der Königswege der Intervention. Gleichwohl ist die Fähigkeit, spontan, situationsangemessen und witzig zu reagieren, stark abhängig vom Lehrer selbst und nur bedingt erlernbar (vgl. Lohmann 2003, S. 106). Ein Fehler wäre es, künstlich witzig sein zu wollen und sich damit ungewollt selbst lächerlich zu machen.

Schließlich kann der Lehrer auch durch Ablenkung erreichen, Störverhalten abzustellen (Domke 1973, S. 98f.). Ein Beispiel hierzu ist der Lehrer, der einen schwätzenden Schüler aufruft und ihn damit wieder aktiv ins Unterrichtsgeschehen einbindet. Diese Methode ist meist wirksam, doch kann sie den Schüler bloßstellen, was im Lehrer-Schüler-Verhältnis zu Spannungen führen kann (Protesthaltung, Vergeltungsbedürfnis des Schülers). Daher sollten die Fragen, die vom Störverhalten ablenken sollen, für den Störer beantwortbar sein, und ihm damit die Möglichkeit geben, vor der Klasse sein Gesicht zu wahren. Außerdem signalisiert es dem störenden Schüler den guten Willen und die Fairness des Lehrers, was der Festigung der Lehrer-Schüler-Beziehung dient.

Akutreaktionen können zwar erreichen, dass Störungen kurzfris­tig eingestellt werden und der Unterricht fortgesetzt werden kann. Sie sind aber selten geeignet, das Problem, das hinter dem gezeigten Verhalten steckt, deutlich zu machen oder gar zu lösen (vgl. Biller 1979, S. 110). Gerade wenn dieselben Störungen immer wieder auftreten und Muster erkennbar werden, erscheint es angebracht, dass der Lehrer statt kurzfristiger störungs­unterbindender Reaktionen nach längerfristigen Lösungsstrategien sucht. Dies setzt in der Regel eine eingehendere Problem- und Störungsdiagnose voraus. Trifft der Lehrer Maßnahmen, muss er in regelmäßigen Abständen überprüfen, ob diese Wirkung zeigen oder ein weiteres Problem hinter dem Störverhalten liegt (vgl. Gordon 1982, S. 203).

1.2 Strafen

Im Zusammenhang mit lehrerzentrierter Intervention im akuten Konflikt muss auch das Thema „Strafen“ Erwähnung finden. Generell sollten Strafen subsidiär angewendet werden, d.h. es sollten andere Maßnahmen zur sanktionsfreien Konfliktregelung vorausgegangen sein (Dreikurs u.a. 1995, S. 106). Wenn der Lehrer straft, sollte er gewisse Regeln berücksichtigen. Sonst kann es, wie in folgendem Witz dargestellt, zu überraschenden Folgen kommen.

Ein junger Lehrer bemüht sich, einem seiner kleinen Schüler beizubringen, ihn nicht ständig zu duzen. „Du schreibst bis morgen zehnmal den Satz „Ich darf meinen Lehrer nicht duzen“.“ Am nächsten Morgen überreicht der Junge strahlend seine Strafarbeit. „Warum hast den Satz zwanzigmal geschrieben, ich hatte doch nur zehnmal gesagt?“ „Ich wollte dir eine kleine Freude machen.“ (Grell 2001, S. 95).

Diese kleine Geschichte zeigt, dass Bestrafungen nicht nur der bloßen Sanktionierung wegen erfolgen, sondern natürlich und logisch sein sollten (vgl. Busch 1992, S. 119). Ein Schüler, der nachsitzen muss, weil er nicht mitgearbeitet hat und den Unterricht störte, oder ein Junge, der seinen Tennisball weggenommen bekommt, weil er damit im Unterricht spielt – all das sind Beispiele für natürliche Sanktionen, die in logischem Zusammenhang mit dem Störvorfall stehen. Sie bieten den Vorteil, dass sie in der Regel auch für den Schüler ohne weitere Erklärungen einsichtig sind und somit die Wahrscheinlichkeit von Protestverhalten geringer ist. Weiterhin sollte der Lehrer mit der Klasse über mögliche Konsequenzen störenden Verhaltens bereits vor einem Vorfall sprechen, so dass jeder Schüler weiß, mit welcher Strafe er zu rechnen hat, wenn er in einer bestimmten Form stört (Lohmann 2003, S. 157).

Der Lehrer sollte weiterhin darauf achten, dass seine Strafandrohungen auch konsequent umgesetzt werden. Tut er dies nicht, läuft er Gefahr unglaubwürdig und für die Schüler unberechenbar zu werden. Das Gleiche gilt für die Kontrolle der Strafe. Wenn er Strafarbeiten aufgibt, dann muss er zumindest überprüfen, ob diese erledigt wurden. Richtig durchgeführt wird damit die für viele Lehrer so selbstverständliche, weil einfache Interventionsmethode der Sanktionierung oft zeitraubender und arbeits­intensiver als ein klärendes Einzelgespräch mit dem Störer nach der Stunde. Auch ist das klassische Nachsitzen eines Schülers für den beaufsichtigenden Lehrer oftmals mehr Strafe als für den Störer selbst. Rechtlich gesehen darf der Lehrer in Baden-Württemberg ohne Hinzuziehen weiterer Instanzen einen Schüler nur bis zu zwei Stunden Nachsitzen lassen (Schulgesetz Baden-Württemberg von 1983 §90, s. Anhang, Anlage 4). Zusammenfassend gilt demnach bei Strafen, dass sie angemessen, logisch, transparent und gerechtfertigt sein müssen. Darüber hinaus müssen sie dem Schüler sein Ehrgefühl lassen (vgl. Biller 1979, S. 115f.; Keller 1997, S. 573).

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Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Unterrichtsstörungen. Möglichkeiten zur Intervention
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg  (Pädagogische Psychologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V273391
ISBN (eBook)
9783656651291
ISBN (Buch)
9783656651307
Dateigröße
704 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
unterrichtsstörungen, möglichkeiten, intervention
Arbeit zitieren
Christian Manuel Fesler (Autor:in), 2006, Unterrichtsstörungen. Möglichkeiten zur Intervention, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273391

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