Der "Lanzelet" Ulrichs von Zatzikhoven

Eine Untersuchung zur Bedeutung von Konflikten und Konsensbestrebungen innerhalb von wehselreden


Seminararbeit, 2014

20 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Vorüberlegungen
II.1 Dialog oder Gespräch
II.2 Grundannahmen zur wehselrede
II.3 Erscheinungsformen der wehselrede

III Dialogtypologie nach Franke

IV Zu untersuchende wehselreden
IV.1 Galagandreiz' Tochter
IV.2 Ade
IV.3 Iblis

V Résumé

Literaturverzeichnis

I Einleitung

Oft scheinen im Kontext menschlicher Kommunikation Sagen und Meinen zu d ifferieren; die "conditio communicationis humanae"1 ist reich an Missverständnissen, welche durch die menschliche Natur und deren Kommunikationssystem mit allen Elementen, die dieses bedingt und von welchen dieses wiederum bedingt wird, hervorgerufen werde n.2 Die Unmöglichkeit sich diesen direkten und indirekten Regularien zu entziehen, lässt den Schluss zu, dass Verstehen im Zuge von Kommunikation wohl Ausnahme ist und vom Missverstehen überwogen wird.

Im Rahmen dieser Arbeit sollen ausgehend von dieser Annahme Konsens- und Konfliktpotentiale mittels einer Typologisierung der Gespräche zwischen Lanzelet und Galagandreiz' Tochter, Ade und Iblis und deren Bedeutungsmöglichkeit bezüglich der Ausformungen der weiblichen Figurencharaktere bis zum Ende des erste n Teiles des Textes untersucht werden.3

Die Quellenlage zur mittelhochdeutschen dialoglinguistischen Forschung, welche am ausgedehntesten noch zu den Thematiken Streit, Lehrgespräch und Minnegespräch angelegt ist, machte es notwendig, sich dem Thema "Dialog im Lanzelet" aus unterschiedlichen Richtungen und Perspektiven zu nähern.4

Die grundlegende Frage, die sich vor der Textbearbeitung auftat, war jedoch, ob moderne erzähltheoretische Herangehensweisen literarischen Dialogen des Mittelalters unter der Annahme bewusster "Dialogwiedergabe als narrativem Prinzip"5 tatsächlich gerecht werden können. Zu bejahen ist dies, da sich bereits im Hochmittelalter etwa das

Bewusstsein der Illokutionslogik zu entfalten begann; durch differenzierte Anlage von Figurendialogen offenbart sich ein Gespür für narratives und narratologisches Potential von Figurenrede.6 Ob in allen Dialogsegmenten jedoch volle gestalterische Intentionalität der mittelhochdeutschen Autoren gegeben war, ist natürlich fraglich, dennoch erscheinen Schlüsse wie jener, dass sowohl direkte als auch indirekte Rede wenig bis kaum zur Figurencharakteristik beitragen7, übereilt, eine Untersuchung unter gegenwärtigen Gesichtspunkten der Dialogforschung erscheint nicht gänzlich verfehlt.

Bei der Untersuchung angegebener Dialoge möchte ich mich auf die Dialogtypologie Wilhelm Frankes, der in kompetitiven, koordinativen und komplementären Dialog unterteilt, stützen.8

Vor der analysierenden und systematisierenden Herangehensweise an den Text aber ist es zunächst notwendig, die definitorische Schlinge um die bereits mehrfach genannten Begriffe "Dialog" und "Gespräch" enger zu ziehen und damit eine Analysegrundlage für den Hauptteil dieser Arbeit herauszustellen.

Als Textgrundlage gereicht ferner die Studienausgabe der Edition Florian Kragls, da hier unter anderem an stark abweichenden Stellen die Paralleltexte mit aufgeführt wurden.

II Vorüberlegungen

II.1 Dialog oder Gespräch

Im Zuge des Quellenstudiums stieß ich in Fragen der Definitionen im Bereich der menschlichen Kommunikation zumeist zunächst auf eine Unterscheidung zwischen den Begriffen "Dialog" und "Gespräch". Uneinigkeit besteht bereits darin, ob das Gespräch dem Dialog systematisch übergeordnet oder ob das Gespräch eine spezielle Form der Kommunikation ist, welche unter den Oberbegriff Dialog zu stellen wäre. Wiederum Konsens herrscht darüber, dass beide Begriffe semantisch aufgeladen sind - so wird der Bezeichnung Dialog im Alltagsgebrauch einer verbalen Kommunikationshandlung ein Mehr an Bedeutsamkeit zugesprochen als der des Gesprächs.9

Um einer unbeabsichtigten Hierarchisierung vorzubeugen, möchte ich an dieser Stelle das Wort "wehselrede"10 für die Bezeichnung aufeinander folgender und sich gegenseitig bedingender verbaler Kommunikationshand lungen zwischen mindestens zwei Menschen aufgreifen und sie im Folgenden mit Spezifika anreichern,11 wobei der Abwechslung im Lesefluss halber einstweilen auf die Worte Dialog und Gespräch zurückgegriffen werden soll.

II.2 Grundannahmen zur wehselrede

Die wehselrede beschreibt in großem Maßstabe den Umgang "mit sich selbst und anderen"12, es ist unmöglich sich dem allgegenwärtigen umgebenden System dialogischer Elemente zu entziehen, was gleichermaßen das Bestehen von Nichtverhalten ausschließt.13

Wie Informationen innerhalb dieses ständig ablaufenden Prozesses wahrgenommen werden, ist Resultat "primär sozialer Interaktionsprozesse"14, die in eine bestimmte ethnozentrische Weltauffassung eingebettet sind.15

Jede Redesituation ist dynamisch und bewegt sich in einem „situativ hermeneutischen Zirkel“16. Resultat dieser Vorgänge ist eine Horizontverschmelzung, wobei jede Mitteilung die Zahl der nächstmöglichen Mitteilungen vermindert.17

Die sich aus einem wechselseitigen Ablauf von Mitteilungen zwischen zumindest zwe i Personen generierte Interaktion ergibt sich aus dem Miteinander von Wortsemantik und paralinguistischen Elementen18, wodurch der Fokus des Verstehens unter anderem sowohl vermehrt auf durch Kommunikation übermittelte Inhalts- oder Beziehungsaspekte gelegt werden kann.19

Die Makroebenen eines Gespräches basieren zudem unter Annahme beidseitiger Kooperationsbereitschaft bezüglich des Gelingens des Dialoges auf der wechselseitigen Akzeptanz bezüglich der durch die Situation vorgegebenen sozialen Beziehungen.20

Eine Sprechsituation besteht aus mehreren Bereichen; sie wird bedingt durch Elemente des Prä- und Postsituativen, sie ist sprachbezogen, formbestimmt, personengebunden (wobei die sozialen Rollen den Sprechrollen gleichzusetzen sind21 ) und löst durch Sinnkonstitution eine Handlung aus.22 Sprechhandlungen folgen oft einem bewährten Muster,23 wobei die diese mitkonstituierenden Gefühle und Gedanken Produkte von Vergangenem sind.24

Aufgrund dieser Verschlingungen von Semantik und Pragmatik und einer zwar allgemeinen, aber dennoch durch den individuellen Erfahrungshorizont mitgeformten ethnozentrischen Weltanschauung erscheinen Missverständnisse und Konflikte als der Sprache immanent25. Implizieren Begriffe wie "Dialog", "Unterhaltung" und "Konversation" anders als deren Pendants etwa im Französischen nicht von vornherein die Existenz von Hierarchien im Mitteilungsgeschehen, so erzeugt das Bestehen von besonderem Wissen, bestimmtem Alter und Generationen innerhalb einer wehselredesituation eine Asymmetrie zwischen Gesprächsteilnehmern.26 Aus dieser Verschiebung resultiert eine Verwischung der Grenzen zwischen Bewusstem und Unterbewusstem, Gegenwart und Vergangenheit sowie zwischen Ursache und Wirkung.27 Im Prozess der wehselrede kann es dadurch nun zu einem Ineinanderübergehen von Inhalts- und Beziehungsebene kommen28, was Nährboden für Meinungsverschiedenheiten und offene oder versteckte Konflikte bietet:

Ego und Alter stehen sich so verständnislos und in wachsender Entfremdung gegenüber, einer Entfremdung, deren zwischenpersönliche Struktur sich der individuellen Wahrnehmung entzieht und deren Folgen daher dem anderen zugeschrieben werden.29

II.3 Erscheinungsformen der wehselrede

Um eine genauere Selektion der zu untersuchenden Textsegmente vorzunehmen, ist es notwendig, eine kurze Unterteilung nach Erscheinungsformen des literarisch Dialogischen vorzunehmen.

[...]


1 Vo lker Hinnenka mp: M issverständnisse in Gesprächen. Eine e mp irische Untersuchung im Rahmen der interpretativen Soziolinguistik. Wiesbaden 1998, S. 9.

2 Vgl. ebd., S. 9.

3 Als Übergangspunkt zwischen dem e rsten Teil des Artusromans, welcher den Aufstieg Lan zelets wiederg ibt, und dem zweiten Teil, in dem die Bewährung des Ritters behandelt wird, wird hie rbei die Na mensoffenbarung in Vers 5428 angenommen. (Vg l. Kurt Ruh : Kle ine Schriften. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalte rs. Be rlin 1984, S. 66.)

4 Jörg Kilian: Historische Dia logforschung. Eine Einführung. Tübingen 2005 (German istische Arbeitshefte 47), S. 33.

5 Niene Miede ma : Zur historischen Narratologie a m Be ispiel der Dia loganalyse. In: Historische Narratologie . Mediävistische Perspektiven: Trends in Medieval Philo logy 19. Be rlin 2010. S. 35-67, hier S. 37.

6 Vg l. ebd., hie r S. 67. Ferner sind etwa be i e ine m vergle ichenden Blic k auf das Situationsmodell Hellmut Geißners und die Intentionshexa meter Matthieu de Vendômes aus dem 12. Jahrhundert viele Überlappungen festzustellen, was die Beschreibung situations- und gesprächsbeeinflussender Para meter anbelangt, welches die mögliche Existenz e ines „sich -bewusst-Sein“ der Autoren der damaligen Zeit über Bedeutungsmöglichkeiten von Dialogen nahelegt.

7 Vgl. Adolf Behre : Die Kunst der Personenschilderung bei Ulrich von Zatzikhoven. Diss. Gre ifswa ld 1913, S. 66.

8 Vgl. Wilhelm Franke: Ta xono mie der Dialogtypen. Eine Skizze . In : Linguistische Arbeiten 156. Tübingen 1985. S. 213-222, hier S. 214.

9 Vgl. Anja Becke r: Poetik der wehselrede. Dia logszenen in der mittelhochdeutschen Epik u m 1200. Diss. Frankfurt a m Ma in 2009 (Mikrokosmos Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 79), hie r S. 30.

10 Vgl. ebd., S. 180.

11 Vg l. Klaus Brin ker u. Sven F. Sager: Linguistische Gesprächsanalyse. Eine Einführung. In : Grundlagen der Ge rmanistik 30. Berlin 2006. S. 9.

12 Michael Benesch: Psychologie des Dialogs. Wien 2011, hier S. 11.

13 Vgl. Pau l Watzlawick u. Janet H. Beav in u. Don D. Jac kson: Menschliche Ko mmunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. 11. Auflage. Bern 2007, hier S. 90 f.

14 Benesch, S. 18.

15 Vgl. ebd., S. 18.

16 Hellmut Geißner: Sprecherziehung. Dida ktik und Methodik der mündlichen Ko mmunikation. 2. Auflage. Frankfurt am Main 1982 (Monographien Literatur + Sprache + Didaktik 30), S. 28.

17 Vgl.Watzlawick., S. 26. und Kilian, S. 70.

18 Vgl.Watzlawick, S. 90.

19 Vgl. ebd., S. 55.

20 Vgl.Kilian, S. 80.

21 Vgl.ebd., S. 33.

22 Vgl.ebd., S. 27 ff.

23 Vgl.Benesch, S. 68.

24 Vgl.ebd., S. 40.

25 Vg l. Hinnenka mp, S. 9.

26 Vg l. Gabrie le Kalmbach: „A Voca l Looking-Glass“. Der Dia log im Spannungsfeld von Schriftlichke it und Mündlichkeit. Diss. Tübingen 1996, S. 165.

27 Vg l. Watzlawick, S. 46 f.

28 Vg l. Hinnenka mp, S. 9.

29 Watzlawick, S. 91.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der "Lanzelet" Ulrichs von Zatzikhoven
Untertitel
Eine Untersuchung zur Bedeutung von Konflikten und Konsensbestrebungen innerhalb von wehselreden
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Autor
Jahr
2014
Seiten
20
Katalognummer
V279379
ISBN (eBook)
9783656731214
ISBN (Buch)
9783656731207
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
lanzelet, ulrichs, zatzikhoven, eine, untersuchung, bedeutung, konflikten, konsensbestrebungen
Arbeit zitieren
Miriam Gräfenstein (Autor:in), 2014, Der "Lanzelet" Ulrichs von Zatzikhoven, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279379

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