Literaturanalyse: "Pygmalion"

Die Geschichte des Bildhauers Pygmalion - Antike Ursprünge und Mittelalterliche


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

25 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

Vorwort

„Pygmalion“

P. Ovidius Naso

1. Altertum
1.1. Inhalt
1.2. Variationen zu diesem Thema
1.3. Der Name „Pygmalion“
1.4. Abbildungen aus der Antike
1.5. „Pseudo-Lactantius“

2. Das Mittelalter
2.1. Lateinische Überlieferungen
2.1.1. Arnulf von Orléans
2.1.2. John of Garland
2.1.3. John de Vergilio
2.1.4. „Ovidius moralizatus“ (Petrus Berchorius)
2.2. Übersetzungen in Landessprache
2.2.1. „Ovide moralisé“
2.2.2. „Morales de Ovidio“ (Pierre Berçuire)
2.2.3. Albrecht von Halberstadt
2.3. Pygmalion in der Poesie:
2.4. Buch_Illustrationen vor 1500

3. Fortleben der Pygmalion-Thematik in der Neuzeit

Nachwort

Bibliographie

Vorwort:

Thema dieser Arbeit soll die Fabel Pygmalion sein.

Wie wir sehen werden, ist die Figur des Bildhauers Pygmalion zum großen Teil eine eigenständige Erfindung Ovids. Auf Ovids mögliche Quellen und ältere Versionen dieser Geschichte möchte ich im ersten Teil der Arbeit eingehen, mich jedoch dabei sehr stark auf den literarischen Aspekt beschränken. Andere sicherlich auch sehr interessante Gesichtspunkte wie z. B. ethymologische, kulturgeschichtliche und religionswissenschaftliche, werde ich außer Acht lassen.

Im zweiten, dem Mittelalter-Teil, wende ich mich den Behandlungen zu, die diese pagane Fabel aus Ovids „Heidenbibel“1 durch christliche Autoren erfahren hat. Dabei möchte ich keine langen Nacherzählungen ihrer Pygmalion-Versionen liefern, sondern nur die Besonderheiten ihrer Interpretation und - soweit vorhanden - ihr moralisches Urteil herausstreichen.

Am Ende dieser Arbeit ist noch ein Abschnitt über die Abbildungen Pygmalions in der Buchmalerei vor 1500 n. Chr. und ein knapper Ausblick seiner explosiven Entwicklung in der Neuzeit beigefügt. Da ich Abbildungen aus dem Pygmalion-Kreis vor 1500 hauptsächlich aus dem Roman de la Rose von Jean Molinet für diese Arbeit gefunden habe, wollte ich das Kapitel 2. 3. Pygmalion in der Poesie der Vollständigkeit halber nicht auslassen, auch wenn es nicht unbedingt zu den primären Anforderungen an diese Arbeit gehört. In diesem Punkt werde ich nur sporadisch auf einige Beispiele des Nachlebens Pygmalions in der poetischen Literatur eingehen und die im Seminar gezogene zeitliche Grenze von 1500 genau einhalten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß in diesem Kapitel einige Behandlungen Pygmalions übersehen wurden, aber eine genauere Beachtung würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen.

Die Beschaffung des Quellenmaterials erwies für diese Arbeit - und besonders für den Punkt 2. 3. - als sehr schwierig. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: das Werk von Alfred Kuhn ist in der Bayrischen Staatsbibliothek - im folgenden Text von mir als Stabi abgekürzt - zwar noch im Rechner gespeichert, aber es stellte sich nach umfangreichen Nachfragen heraus, daß es real gar nicht mehr existiert, weil es im 2. Weltkrieg ein Kriegsverlust wurde ... Miller, Josephs Versions of pygmalion wurde zwar wochenlang auf meinem StabiKonto als Bestellt geführt, aber ich habe es bis heute noch nicht in den Händen gehalten.

Über Ovid ist bereits vieles geschrieben worden.

In Anbetracht der breitgefächerten Fachliteratur erschien es mir wie „Eulen nach Athen tragen“ ausführlicher die Vita dieses bekanntesten der römischen Dichter nachzuerzählen. Ich habe versucht, mich in meinem Absatz über Ovid so knapp wie möglich zu fassen und nur die wichtigsten Stationen seines Lebens wiederzugeben. Ähnlich knapp habe ich mich auch bei den Daten zu den Dichtern des Mittelalters gehalten - hier jedoch aus zum Teil anderen Gründen: zu vielen von ihnen ist wenig sicher bekannt. Es gibt viele Vermutungen, die an Hand von philologischen Untersuchungen und weit verstreuten Dokumenten gemacht wurden. Diese habe ich zum Großteil außer Acht gelassen, da sie nicht Thema dieser Arbeit sein sollen; ich verweise jedoch in meiner Bibliographie und Fußnoten auf weiterführende Literatur.

Einige kleinere Probleme, die ich bei der Arbeit auf Grund meines Textverarbeitungsprogramms hatte, möchte ich kurz erwähnen: Meine MS Word-Variante beinhaltet zwar einen griechischen Zeichensatz, jedoch weder Spiritus asper, Spiritus lenis, Zirkumflex noch Gravis (die Apostrophtaste ist im griechischen Zeichensatz mit einem ganz anderem Zeichen belegt). Ich habe die wenigen griechischen Zitate ohne diese Sonderzeichen übernommen, die auch weggefallen wären, wenn ich diese Zeilen in lateinische Buchstaben übertragen hätte.

„Pygmalion“

Die Geschichte um den zyprischen Bildhauer Pygmalion gehört in Ovids Metamorphosen zum Kreis der Orpheus-Erzählungen. Orpheus singt, nachdem es ihm nicht gelungen war Eurydike aus der Unterwelt ins Reich der Lebenden zurückzuholen, vor einem Auditorium von Bäumen, Tieren und Vögeln. Das Thema seiner Lieder sind Liebesgeschichten besonderer Art, so auch die Geschichte von Pygmalion, der sich in eine von ihm geschaffene Statue verliebt.

Sie ist im 10. Buch der Metamorphosen zu finden und ist nach der allgemeinen Zählweise auch die 10. Fabula; es sind die Strophen 243 - 297.

P. Ovidius Naso:

Ovid wurde am 20. März des Jahres 43 v. Chr. in Sulmo im Pelignerland2, welches sich ca. 120 Kilometer östlich von Rom befindet, geboren. Seine Familie gehörte dem Ritterstand an und ermöglichte ihm eine rhetorische Schule. Hier zog ihn schon bald die Dichtkunst an, während er den Rechtsfällen der Kontroversien möglichst aus dem Weg ging.

„Sein Ziel war der dichterische Lorbeer; bei Aemilius Macer, Properz, Ponticus, Bassus und anderen Gleichgesinnten suchte und fand er Beifall; bald auch erregte er allgemeinere Aufmerksamkeit, die Jüngeren ahnten in ihm das aufgehende Gestirn. Von nun an bewegte er sich auf aufsteigender Ruhmesbahn.“3. Ovids Werke sind (in der Reihenfolge ihres Erscheinens): Amores (mit der fiktiven Corinna als Mittelpunkt seiner Liebe ...), Medea (eine Tragödie) , Heroides (fingierte Briefe berühmter Frauen aus der griechisch- römischen Sagenwelt an ihre Gatten, bzw. Geliebten), ars amatoria („Liebeskunst“) und kurz darauf deren Konterpart remedia amoris („Heilmittel der Liebe“) und de medicamine faciei („Über Schönheitsmittel“)4. Darauf folgen die Metamorphosen („Verwandlungen“), mit 15 Büchern und etwa 250 Fabeln5 Ovids umfangreichstes Werk mit raffinierten inhaltlichen Beziehungen, die im frühesten griechischen Sagenkreis von Chaos und Ordnung beginnen, chronologisch fortfahrend die homerischen Epen und den römischen Aeneas streifen und schließlich mit der Apotheose Caesars und der Lobpreisung des Augustus in Ovids Gegenwart einmünden.

Schließlich existiert noch das zweite große Werk dieser Periode, die fasti, ein Festkalender mit einzelnen Gedichten zu den jeweiligen (Fest)Tagen des römischen Kalenders.

„Wie ein Blitz aus heiteren Himmel traf den Fünfzigjährigen die Strafe der lebenslänglichen Relegation. Er mußte nach Tomi (Constanza) am Schwarzen Meer, südlich der Donaumündung. Für die Gründe seiner Ausweisung sind wir nur auf die Äußerungen des Dichters angewiesen. Er dürfte als angeblicher oder wirklicher Mitwisser des lasterhaften Lebens der Kaisertochter Julia in den Skandal verwickelt worden sein. Anlaß zu dieser Vermutung gab auch der Umstand, daß Julia in demselben Jahr von Augustus verbannt wurde.“6 Bereits auf der Anreise zu dem Ort seiner Verbannung begann Ovid sein letztes Werk: die epistulae ex ponto („Briefe aus der Verbannung ). In ihnen trauert Ovid den vergangenen, glücklichen Tagen in Rom nach, beklagt sich über sein hartes Schicksal im kulturell hinterwäldlerischen Tomi und bittet verschiedene Freunde und Fürsprecher in Rom, sie mögen sich für die Aufhebung seiner Relegation einsetzen. Augustus zeigte sich jedoch im Fall Ovid unnachgiebig.

Mit dem Tod von Augustus (14 n. Chr.) schöpfte Ovid neue Hoffnung, dessen Nachfolger Tiberius werde sich seines Falles noch einmal annehmen. Aber Tiberius beachtete Ovids Bitten nicht, selbst dann nicht, als sie von Germanicus vorgetragen wurden ...7 Ovid überlebte Augustus um drei Jahre und starb im Jahre 17 n. Chr. nach neunjähriger Relegation in Tomi.

1._Altertum

1. 1. Inhalt:

Ovid leitet zu Pygmalion über, indem er in der Fabula zuvor die Metamorphose der Propoeteiden8 erzählt.

Die Propoetiden sind äußerst lasterhafte zyprische Frauen. Sie leugnen die Göttin Venus und haben ihre Körper als Erste prostituiert. Wegen ihrer Schamlosigkeit verwandeln sie sich in harte Kieselsteine. Pygmalion beschließt wegen dieser (erlebten) obszönen Schamlosigkeiten und „ob der Menge der Laster des Weibergeschlechts“9, frauenlos zu leben.

Offensichtlich hat er jedoch im Hinterkopf ein edleres Frauenideal, denn er fertigt die Statue einer Frau an, die so schön wird, daß er sich in sein eigenes Werk verliebt. Nun verzehrt ihn das Feuer der Leidenschaft zu dieser perfekten Jungfrau, die jedoch aus leblosem Stein ist. Pygmalion behandelt die Statue wie eine lebendige Person: er küßt sie, umarmt sie, führt Gespräche mit ihr und will nicht zugeben, daß sie nur Elfenbein ist10. Er steigert sich immer mehr in seinen Liebeswahn hinein, beschenkt die Statue bald reichlich und nimmt sie sogar mit ins Bett.

An einem Fest zu Ehren der Venus opfert Pygmalion der Göttin und bittet sie scheu, sie möge seine Frau - Ovid betont hier noch, daß Pygmalion nicht von seiner elfenbeinernen Jungfrau spricht - „similis mea“ machen. Die Göttin, an ihrem Feste im Tempel anwesend, erhört diese Bitte.

Als Pygmalion heimkehrt und seine Statue küßt und liebkost, wird das Elfenbein unter seinen Fingern weich und geschmeidig wie Wachs. Pygmalion kann sein Glück erst fassen, als er an der Statue auch den Puls fühlt. Jetzt dankt er Venus, feiert Hochzeit und kommt sogleich zur Sache: binnen neun Monden gebiert ihm seine Frau Paphos.

Ovid erwähnt, daß nach dieser die Insel benannt wurde und beendet die Geschichte Pygmalions mit einem düsteren Ausblick auf das Schicksal der Kinder der Paphos11.

1. 2. Variationen zu diesem Thema:

In der Antike wird der Name Pygmalions noch in der Bibliotheka von Apollodorus (ca. Mitte 1. Jahrhundert v. Chr.12 ) genannt. Apollodorus lebte kurz vor Ovid und nennt in einer langen Genealogie im Buch III, Kapitel 14.3 in einem Nebensatz Pygmalion als König von Zypern. Mehr als diese knappe Information ist meines Wissens bei Apollodorus über Pygmalion nicht zu finden; die Geschichte mit der Statue erwähnt er überhaupt nicht.

Auch bei dem bereits christlichen Autor Clemens Alexandrinus (150 - nach 200 n. Chr.) erscheint der Name Pygmalions. Clemens gibt folgende Zusammenfassung der fabulae in seinem Προτρεπτιχοσ (“Mahnrede an die Heiden“) IV, 57, 3:

„So verliebte sich jener Pygmalion von Kypros in eine elfenbeinerne Statue; die Statue war ein Bild der Aphrodite und war nackt. Der Kyprer wird von der schönen Form überwältigt und umarmt die Statue, und das erzählt Philostephanos.“13

Obwohl von Clemens` Werken nur ein Teil erhalten ist und keine anständige Neuausgabe existiert14, ist er sehr wichtig, weil er häufig seine Quellen nennt und auf sie eingeht. So sind die Namen Philostephanos und Posidippus als Urquellen der Sage bei ihm überliefert15. Dadurch ist sehr wahrscheinlich, daß Ovid und die anderen Autoren diese Geschichte nicht frei erfunden haben, sondern sich auf wesentlich älteres Sagengut aus dem griechischen Kulturkreis gestützt haben.

Breitenbach führt sie auf das Buch „Über Inseln“ oder die Monographie „Über Kypros“ des alexandrinischen Schriftstellers Philostephanos zurück16. In dieser Version erwacht wie bei Lukian das Kultbild der Aphrodite zum Leben. Die Bücher Philostephanos und Posidippus sind uns nur noch in Fragmenten bei anderen Autoren überliefert17.

Macleod nennt als Quelle Lukians Posidippus18.

Bei Clemens Alexandrinus ist der Vorgang der Liebe Pygmalions zu seiner Statue noch relativ neutral beschrieben, obwohl er die Verwandlung der Statue ausläßt. Er berichtet noch von einem namentlich nicht genannten Mann auf Knidos, der sich in das dortige Bild der Aphrodite verliebt haben soll19... In der „Häufung“ der Stellen klingt jedoch durch, was die frühen christlichen Autoren bezweckten, wenn sie diese Geschichte erzählten: sie wollten auf die Lächerlichkeit von paganen Götzenkulten aufmerksam machen. Wesentlich deutlicher wird dies bei Arnobius in seiner Schrift „ Adversus nationes “ („Gegen die Heiden“), die er ein gutes Jahrhundert nach Clemens verfaßte: „Abgesehen davon, daß nach Arnobius` Überlieferung Pygmalion kyprischer König ist und daß auf der Insel eine lange Kulttradition der Aphrodite herrscht, legt Arnobius in seinen Kurzbericht mehr Gewicht auf Pygmalions Geisteshaltung und seinen Umgang mit dem Kultbild. Dabei spart der Kirchenvater nicht mit Tadel. Ausdrücklich kennzeichnet er den Kyprer als verblendet, liebestoll (lumine rationis iudicioque caecatis ... dementem) und mißbilligt dessen pathologisches Verhalten in höchsten Maße“20

„Nur muß auf einen Unterschied hingewiesen werden; Klemens` zorniger Tadel trifft allein die Dämonen, welche die Menschen verblenden - so besonders Aphrodite χαν γυµνην τισ ιδη αναγραπτον, την χπυστην Αϕορδιτην νοει. Hier liegt für Klemens die Hauptursache; auf Pygmalions Schuld oder Mit-Verschulden geht Klemens nicht ein. Eben das wird von Arnobius mit Emphase betont. Nach ihm ist Pygmalion mente anima lumine rationis iudicioque caecatus; den Pygmalion trifft also der Vorwurf, daß er der Verführung durch das Götterbild keinen Widerstand entgegengesetzt habe. Hier wird ein scharfes, für Pygmalion ganz negatives Urteil gefällt; er ist bis zur absurden Konsequenz der Faszination durch ein Götterbild unterlegen.“21

Diese negative Beurteilung sollte dann von einem großen Teil der christlichen Autoren des Mittelalters aufgegriffen werden und zum Teil noch verschärft werden, worauf ich später eingehen werde.

Über ähnliche Verwandlungsgeschichten berichten in der Antike auch Lukian und Aelian.

Der Satiriker Lukian erzählt in seinen Amores in einem Gespräch zwischen seinen zwei Figuren Theomneteus, einen Großmeister in punkto körperlicher Liebe, und Lycinus, einem vielgereisten „Alleswisser“22, die Geschichte von drei Männern, deren Schiff in Knidos anlegte. Die drei Männer nutzten ihren Landgang dazu, die berühmte Statue der Aphrodite von Knidos, ein Werk des berühmten hellenistischen Bildhauers Praxiteles, im Tempel zu besuchen. Bei deren Anblick verfallen die beiden Begleiter des Erzählers in helle Begeisterung23. Nach ausgiebiger Bewunderung der Schönheit dieser Statue bemerken sie einen dunklen Fleck auf dem hellen Marmor.

Eine Tempeldienerin, die dies bemerkt, erzählt ihnen die Aitologie dieses Makels24. Ihre Geschichte klingt wie eine tragische Version der Pygmalion-Geschichte bei Ovid.

Ein junger Adliger, der den Tempelbezirk häufig besuchte, hatte das Unglück sich in die Statue zu verlieben. Er verbrachte seine ganze Zeit damit, die Statue anzustarren. Er begann Knochen zu werfen: wenn er gewann, warf er sich unterwürfig der Göttin zu Füßen, wenn er jedoch verlor - der häufigere Fall -, so verfluchte er ganz Knidos und verfiel in tiefste Niedergeschlagenheit. Bereits nach kurzer Zeit wiederholte er seine Würfe. Sein Wahnsinn entbrannte noch derartig, daß die Tempelwände und Bäume im heiligen Bezirk vor seinen Lobpreisungen der Schönheit Aphrodites und des göttlichen Könnens Praxiteles´ nicht mehr sicher waren und er sein ganzes Gold der Göttin anbot ...

Schließlich faßte er einen wagemutigen Plan.

In der Abenddämmerung versteckte er sich in der Kammer der Aphrodite, wurde von einer Tempeldienerin, die den Tempel abschloß, dort eingesperrt und verbrachte eine Nacht mit der Liebesgöttin. Der Fleck im Marmor sei nun die Folge seiner amorösen Umarmungen. Dieser wurde bei Tageslicht entdeckt und mit ihm der Frevel des jungen Adligen.

Laut der allgemeinen Überlieferung habe sich der junge Mann von den Klippen gestürzt oder sich den Wellen des Meeres übergeben - jedenfalls sei er seitdem spurlos verschwunden gewesen ... Aelian (Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr.25 ) berichtet im 9. Buch, Kapitel 39 seiner Varia historia, einer bunten Aneinanderreihung von Anekdoten und historischem Material, von Beispielen lächerlicher und bizarrer Liebe26. Er erzählt hierbei von einem - ebenfalls - jungen und adligen Athener, der sich in eine Statue der Fortuna in der Nähe des Prytaneions verliebte. Auch er umarmt und küßt die Statue und versucht sein gesamtes Vermögen aufzubringen, um die Statue dem Stadtrat abzukaufen.

Als der Rat die Statue nicht verkaufen will, schmückt er sie reich mit Kronen und Girlanden und begeht, nachdem er ausschweifende Wehklagen ausgestoßen hatte, Suizid.

W. H. Roscher führt in seinen Lexikonartikel zu Pygmalion noch ähnliche Sagenmotive aus anderen Kulturkreisen auf27.

Trotz dieser in der Antike bekannten Geschichten, die sich ebenfalls mit der bizarren Liebe von Menschen zu Statuen befaßten, sollte man keinen Moment aus den Augen lassen, daß Ovid mit seiner ausgefeilten28 Fabula in den Metamorphosen etwas ganz eigenes schafft: „Erst durch Ovid hat das Thema von der Statue, die Leben gewinnt, Größe und Tiefgang erlangt. Alles, was nachmals hierzu gesagt wurde, ist aus dem Anstoß herzuleiten, den Ovid gab. Die Geschichte von Pygmalion, so wie Ovid sie in den Metamorphosen erzählt, ist so recht ein locus classicus geworden - ein locus classicus ohne Konkurrenz.“29

Die anderen Geschichten zu belebten Statuen gerieten in Vergessenheit und fast tausend Jahre schien es so, als solle Ovids Pygmalion das gleiche Schicksal blühen, dann wurde er jedoch im 12. Jahrhundert von den christlichen Autoren wiederentdeckt und gelangte mit den Metamorphosen zu einer solchen Blüte, daß das 12. und - vor allem - das 13. Jahrhundert oftmals als aetas Ovidiana 30 bezeichnet wird.

1. 3. Der Name „Pygmalion“:

Laut Adrian Room31 ist der Name Pygmalion ein sogenannter „sprechender Name“.

Room zerlegt den Namen Pygmalion in die Bestandteile pygme (= Faust) oder pygon (= Ellbogen) und malion (=Haar). Seiner Aussage nach sind sowohl pygme als auch pygon alte Längenmaße, wobei bei der pygme vom Ellbogen bis zu den Knöcheln (der geballten Faust?) gemessen wurde und bei dem pygon vom Ellbogen bis zum ersten Fingergelenk. Daraus schließt er, daß Pygmalion an einem maßstabgetreuen Modell gearbeitet hat. Eine ältere Interpretation des Namens durch Robert Graves - dieser übersetzt pygme mit „rauher Faust“ - schließt Room aus, da in der ganzen Geschichte keine rauhe Faust vorkommt.

Auf das Haar geht Room nicht weiter ein, wobei jedoch anzunehmen ist, daß Pygmalion vielleicht eine außergewöhnliche Haarfarbe hatte.

Roscher32 führt den Ursprung des Namens Pygmalion auf pumaj-eljon 33 aus dem phönizischen Sprachraum zurück. Hier kam der Name ursprünglich einer Gottheit zu.

Für diese Annahme spricht, daß ein Teil der zyprischen Insel zeitweise unter der Vorherrschaft der phönizischen Stadt Tyros stand und möglicherweise ein Statthalter als historisches Beispiel für Pygmalion gedient hatte. Weiteres Indiz für die phönizische Herkunft des Namens ist der gleichnamige König von Tyros. Dieser Pygmalion brachte den Gatten seiner Schwester Dido um, um sich seiner Schätze zu bemächtigen. Sie erfuhr im Traum von der Freveltat, verließ Tyros und gründete letztendlich Karthago. Porphyrios34 sagt ausdrücklich, daß Pygmalion aus Phönikien stammt.

Möglich ist auch, daß Ovid den Namen einfach deshalb wählte, weil er für seine römischen Zeitgenossen „typisch orientalisch“ geklungen hat35.

1. 4. Abbildungen aus der Antike:

Abbildungen des Pygmalion-Themas aus der Antike sind uns nicht bekannt36.

[...]


1 So wurden die Metamorphosen einmal vom kastilischen König Alfons den Weisen (1252 - 1284) genannt. Dinter, Annegret: Der Pygmalion-Stoff in der europäischen Literatur. Rezeptionsgeschichte einer OvidFabel. Heidelberg 1979. S. 42.

2 Schanz, Martin und Hosius, Carl: Geschichte der römischen Literatur. Bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian. 2. Teil. Die Literatur vom Ende der Republik bis zum Tode des Augustus. Würzburg 1935. S. 206.

3 Schanz und Hosius: Römische Autoren. S. 206 - 207.

4 Nack und Wägner: Rom. Land und Volk der alten Römer. Wien 1956.S. 213 - 214.

5 Nack und Wägner. Rom. S. 214.

6 Nack und Wägner. Rom. S. 214.

7 Laut Schanz und Hosius setzte Ovid seine Hoffnung auf Augustus: „Und schon glaubte er Augustus umgestimmt zu haben, da starb (14 n. Chr.) der Kaiser und mit ihm sanken alle die Hoffnungen des verbannten ins Grab.“ Wie auch immer, die Folgen für den Dichter sind die Gleichen: „Er sah sein geliebtes Rom nicht wieder und starb in der Verbannung , wahrscheinlich im Jahre 18 n. Chr.“ - Schanz und Hosius: Römische Autoren. S. 207.

8 Eine interessante Ausführung beginnend mit den Propoeteiden, einem Exkurs über Tempelprostitution und Hurerei auf dem freien Markt als „unlautbaren Wettbewerb“ zum Geschäft der Göttin siehe bei: Dörrie, Heinrich: Pygmalion. Ein Impuls Ovids und seine Wirkung bis in die Gegenwart. Opladen 1974. S. 12 -

9 Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. Herausgegeben und Übersetzt von Hermann Breitenbach. Zürich 1964. S. 685, Zeile 244.

10 „(...),; nec adhoc ebur esse fatetur.“. Ovid. Metamorphosen. Lib. X, 255.

11 Laut Roscher ist Papho eine Tochter. Roscher, W. H.: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band III.2. Hildesheim 1965. S. 3318. Bei Sautner ist Papho ein Sohn. Sautner, Reinhold: Lexikon der Mythologie. Salzburg 1982. S. 225. Dinter: Pygmalion-Stoff. S. 21, Anmerkung: „V. 297 de qua tenet insula nomen. Diese Metonomie ist ein weiteres Indiz für Philostephanos als Ovids Vorlage, denn der Grieche hat Kallimachos gekannt und benutzt. - In einigen Ausgaben der Metamorphosen steht fälschlich de quo; auch in der kritischen Literatur wird oft von einem Sohn gesprochen.“ Ich tendiere auch zu der Annahme, daß Papho eine Tochter ist.

12 Über diesen Apollodorus ist nur wenig bekannt, da er so gut wie nichts autobiographisches schreibt und auch kaum über das direkte Zeitgeschehen berichtet. Laut Frazer handelt es sich jedoch nicht um Apollodorus den 12 Athener, der um 140 v. Chr. mannigfache Werke verfaßt hatte und dem später fälschlicherweise noch mehr Werke zugeschrieben wurden. - Frazer, James George:Apollodorus: The Library. Volume I. London 1921. S. IX.

13 Mondésert faßt den Abschnitt um diese Fabel herum als „Faiblesse des idoles“ zusammen. Mondésert, Claude: Clement D´Alexandrie. Le Protreptique. Paris 1949. Die Übersetzung habe ich von Dinter übernommen, die sie wiederum von Stählin (O. Stählin: Des Clemens von Alexandreia Mahnrede an die Heiden. München 1934 (Bibl. der Kirchenv ä ter)) hat. Dinter: Pygmalion-Stoff. S. 27, Anmerkung 89.

14 Jülicher, A.: „Clemens Alexandrinus“ In: RE IV, 1 7. S. 13.

15 Clemens Alexandrinus. Protrepticus. IV, 57, 3.

16 Ovid. Metamorphosen. Breitenbach in den Anmerkungen zur S. 684.

17 Roscher: Ausführliches Lexikon. S. 3318.

Gisinger, F.: Philostephanos. In: Wissowa, Georg: Real-Enzyklopädie der classischen Altertumswissenschaft. Stuttgart 1941. Band 41. S. 104 - 118. Diese Fragmente sind auch noch aufgeführt als: Philost. Fr. 13, F. H. G. (Fragmenta Historicorum Graecorum, ed. C. Müller) 3, S. 31. Posidippus Fr. 1, F. H. G. 4, S. 482. (Letzeres konnte ich nicht finden, ist nur ein Zitat aus George E. McCracken: Arnobius of Sicca. Maryland 1949. S. 600, Anmerkung 154.) - Die Quelle über Philostephanos im F. H. G. bezieht sich ausdrücklich auf die hier behandelte Stelle bei Clemens Alexandrinus. Posidippus konnte ich nicht finden.

18 Macleod, M. D.: Lucian: Works. Volume VIII. London 1967. S. 173, Anmerkung 1. Hier noch einmal ein kurzer Bezug auf die wichtige Überlieferungsarbeit Clemens Alexandrinus`: Das RE führt den Namen Posidippus erst gar nicht auf - über diesen Mann ist außer seinen Namen aus dieser Textstelle sonst nichts mehr bekannt.

19 Dörrie: Pygmalion. S. 24. Vergleiche zu der Aphrodite von Knidos auch die Geschichte die Lukian erzählt.

20 Dinter: Pygmalion-Stoff. S. 27.

21 Dörrie: Pygmalion. S. 31.

22 Eine Person selben Namens - höchstwahrscheinlich der selbe Charakter - gibt bereits in Lukians Essays in Portraiture, 4 die Geschichte, die sich die Einheimischen über die Aphrodite von Knidos erzählen einen Polystratus zum besten. („Well, have you also heard the story that the natives tell about it - that someone fell love with the statue, was left behind unnoticed in the temple, and embraced it to the best of his endeavours? But no matter about that.“) - Harmon, H. M.: Lucian. Works. Volume IV. London 1953. S. 263.

23 Pikanter Weise jeder von ihnen über eine andere Seite der Statue: der eine über deren Vorderseite mit ihren weiblichen Reizen, der andere über die Rückseite, die ihn an den Rücken eines perfekt geformten Knaben erinnert ... Lukian, Amores, 13 - 14. Dazu: „Though I have adopted Harmon`s attractive title „Affairs of the Heart“, it is perhaps misleading and a more accurate rendering would be The Two Types of Love. Macleod, M. D. :Lucian: Works. Volume VIII. London 1967. S. 148.

24 Lukian, Amores, 15 - 16.

25 Wilson, N. G.: Aelian: Historical Miscellany. London 1997. S. 1.

26 „One must admit that the following examples of love are ridiculous and bizarre. (...)“ - Aelian, Var. Hist., 9. 39. Aelian berichtet in diesem Abschnitt noch die Geschichten von Xerxes, der sich in einen Baum verliebte und von Glauce, Xenophon und einem namenlosen, spartanischen Jungen, die von einem Hund, Widder, bzw. einer Krähe geliebt wurden ...

27 Roscher. Ausführliches Lexikon. S. 3318.

28 Zu den verschiedenen Handlungsebenen, Erzählelementen und Stilmitteln, die Ovid in den wenigen Versen zu Pygmalion verwendete siehe: Dörrie: Pygmalion. S. 11 - 24.

29 Dörrie: Pygmalion. S. 29.

30 Munari, Franco: Ovid im Mittelalter. Zürich 1960. S. 5.

31 Room, Adrian: Who`s who in classical mythology. Chicago, Illinois 1975. S. 266.

32 Roscher. Ausführliches Lexikon. S. 3318.

33 Die lateinisierte Form habe ich von Dinter entnommen; Roscher gibt in seinen Artikel nur die Originalschreibweise in phönizischen Schriftzeichen an, mit der ich nicht viel anfangen konnte. Dinter: Pygmalion-Stoff. S. 15.

34 Porphyr. De abstin. 4, 15. Roscher. Ausführliches Lexikon. S. 3319.

35 Dörrie: Pygmalion. S. 12. Dörrie bemerkt auch, daß Vergil in seinem römischen Nationepos Aeneas dem Bruder und Widersacher Didos, der phönizischen Prinzessin in Karthago, diesen Namen gegeben hatte. Aeneas erschien fast zeitgleich mit den Metamorphosen.

36 Lexicon miconographicum mythologiae classicae (LIMC). Band VII, 2. München 1994. S. 486 - 487. Hier zeigt das Lexikon gleich nach den Zwergenmenschen, den Pygmaioi, Orests Freund und Begleiter

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Literaturanalyse: "Pygmalion"
Untertitel
Die Geschichte des Bildhauers Pygmalion - Antike Ursprünge und Mittelalterliche
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar Wirth
Note
2,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
25
Katalognummer
V28086
ISBN (eBook)
9783638299749
ISBN (Buch)
9783638649704
Dateigröße
735 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Geschichte des Bildhauers Pygmalion - Antike Ursprünge und Mittelalterliche Rezeption
Schlagworte
Literaturanalyse, Pygmalion, Hauptseminar, Wirth
Arbeit zitieren
Uli Goenczi (Autor:in), 1998, Literaturanalyse: "Pygmalion", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28086

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Titel: Literaturanalyse:  "Pygmalion"



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