In Zeiten der Krise. Protestantische Reaktionen auf die Club-of-Rome-Studie "Die Grenzen des Wachstums" (1972)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

26 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Die Voraussetzungen der Studie und ihre Ergebnisse

III. Protestantische Reaktionen
1. Vorbemerkungen
2. In Zeiten der Krise: eine Apokalypse?
3. Kritik an Wissenschaft und Technik
4. Die Natur als Mitgeschöpf
5. Kapitalismus,- und Gesellschaftskritik
6. Neue Werte
7. Noch mehr Ökumene und soziales Engagement

IV. Schluss

V. Bibliographie

I. Einleitung

Als Dennis Meadows und seine Kollegen 1972 die Studie Die Grenzen des Wachstums[1] herausgaben, trafen sie den Nerv der Zeit. Das technologische Zeitalter sei am Ende und nur radikale Umkehr könne die Menschheit vor einem völligen Zusammenbruch retten. Ende und Umkehr? Befinden wir uns hier nicht auf dem Hoheitsgebiet christlicher Lehre? Waren es nicht „die Hohepriester des angeblich grenzenlosen Fortschritts“[2] selbst, die sich nun einer religiösen Semantik bedienten, um ihrem Anliegen Gewicht zu verleihen? Man war zu der Einsicht gekommen, dass weder technische noch allein politische Maßnahmen die Krise abwenden könnten, sondern eine ethische Neuorientierung notwendig sei. So schwenkte das Rampenlicht von den Technologen zu den Theologen. Doch nicht nur sie fühlten sich angesprochen; eine ohnehin im Aufbruch befindliche westliche Gesellschaft überdachte ihre Werte und schwankte zwischen Fatalismus und Aktionismus. Der Protestantismus trug als eine „meinungsbildende Instanz im vor-politischen Raum“[3] wesentlich zu den prägenden Debatten bei.

Bevor die Meadows-Studie vorgestellt wird, soll diejenige Stimmung am Anfang der 1970er Jahre beleuchtet werden, in die hinein die Studie traf (II). Dabei soll gezeigt werden, dass nicht erst hier globale Umwelt- und Menschheitskrisen thematisiert wurden, sondern bereits die Jahre zuvor einen Perspektivenwechsel hin zu mehr Umweltbewusstsein, aber auch einen Trend zu fatalisierender Futurologie erkennen lassen. In den Vorbemerkungen zu den protestantischen Reaktionen werde ich auf ‚den Protestantismus’ eingehen, wie er zu der Zeit in Erscheinung trat (III. 1). Weil dieser als überaus pluralistisches Phänomen schwer zu greifen ist, beschränke ich mich in meinen Untersuchungen exemplarisch auf Veröffentlichungen der Jahre 1972-1973 in den Zeitschriften Evangelische Kommentare, Junge Kirche und dem Evangelischen Pressedienst sowie dem Band zum Evangelischen Kirchentag 1973.

Die untersuchten Artikel deuten darauf hin, dass es bezüglich der prognostizierten globalen Krise verschiedene Argumentationslinien innerhalb des Protestantismus gab, die sich teilweise ergänzten, teilweise jedoch diametral gegenüberstanden. Während sich die Mehrzahl der Autoren reserviert gegenüber apokalyptischen Zukunftsszenarien zeigte (III. 2), tritt die allgemeine Kritik an der modernen Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit dominant hervor (III. 3). Nicht nur hier, sondern auch bei den daraus erwachsenden Überlegungen zu dem Eigenwert der Natur im christlichen Weltbild kommen konservative, der Politisierung des Christentums skeptisch gegenüberstehende Protestanten zu Wort (III. 4). Wenn es jedoch um Alternativen zum kapitalistischen System geht, das für den verheerenden Ressourcenverbrauch verantwortlich gemacht wurde, dann sind maßgeblich Stimmen aus einem politisierten und linksorientierten Protestantismus zu vernehmen (III. 5). Ebenso scheint der Ruf nach „neuen Werten“, der viel gesellschaftliche und politische Resonanz fand, einem reformwilligen, am aktuellen politischen Diskurs interessierten Protestantismus zu entspringen (III. 6). Dem allgemein zunehmenden Bewusstsein der globalen Interdependenzen entspricht zuletzt das Bedürfnis einer weltweit agierenden Christenheit, die in den Forderungen nach mehr Ökumene ein protestantisches Profil erhielt (III. 7). Am Schluss der Arbeit soll die Rolle des Protestantismus bei der verantwortungsvollen Planung der Zukunft damals wie heute kritisch hinterfragt werden (IV).

II. Die Voraussetzungen der Studie und ihre Ergebnisse

Anfang der siebziger Jahre waren die Umweltschäden in Folge der Industrialisierung für die Öffentlichkeit nicht mehr zu leugnen. Nicht nur Vergiftungserscheinungen wie die Minamata-Krankheit im fernen Japan und der DDT-Skandal fanden Aufmerksamkeit, nein, es waren die heimischen Flüsse, die Wälder und ‚die gute Luft’, deren Bedrohung die Bürger wachrüttelte. Rhein und Neckar galten als die ‚Kloaken der Nation’, der ‚saure Regen’ führte zum Waldsterben und der Feinstaub hüllte ganze Städte in den gefürchteten ‚Smog’. Das neue Umweltbewusstsein äußerte sich in alarmierenden publizistischen Neuerscheinungen über den Zustand des Planeten, ersten internationalen Kongressen zu ökologischen Belangen sowie in zahlreichen Umweltaktivitäten, wobei der stärkste Impuls zunächst aus den USA kam, sich dann aber rasch zu einem transatlantischen Phänomen entwickelte[4]. Ein erster Höhepunkt der weltweiten Umweltbewegung war die UN-Umweltkonferenz in Stockholm 1972 mit Delegationen aus 110 Staaten sowie über 400 Nichtregierungsorganisationen. Trotz, oder gerade wegen des Bewusstseins einer existenziellen, globalen Krise wirkte dort „ein Geist des Enthusiastischen, Dynamischen, der Erregung, gemeinsam an einer Aufgabe beteiligt zu sein“[5]. Im Gegensatz zu dem Bericht des Club of Rome fiel die Deklaration zur Menschlichen Umwelt der ‚Stockholm-Konferenz’[6] sehr moderat und optimistisch aus. So heißt es beispielsweise in Artikel 5: „Gleichzeitig mit dem sozialen Fortschritt und der Verbesserung von Produktion, Wissenschaft und Technik nimmt jeden Tag die Fähigkeit des Menschen zu, die Umwelt zu verbessern“[7]. Diese erstmalige politische und gesellschaftliche Sensibilisierung für globale Umweltprobleme sowie die dahingehende Aktionsbereitschaft geben Anlass, mit Joachim Radkau, Max Nicholson, Frank Uekötter und anderen Umwelthistorikern für den Zeitraum von 1970 (1965) bis 1975 von den Jahren der „ökologischen Revolution“[8] zu sprechen.

In dieser Phase erschien 1972 das Buch Die Grenzen des Wachstums, ein im Auftrag des Club of Rome ausgearbeiteter Bericht, der die vorläufigen[9] Ergebnisse einer Forschungsarbeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT) unter der Leitung des Systemanalytikers Dennis Meadows wiedergibt. Der Club of Rome, damals bestehend aus etwa siebzig Mitgliedern, ist weder ein demokratisch gewähltes politisches Gremium noch ein Interessensverband der Wirtschaft, sondern ein internationaler ‚Think Tank’ aus renommierten Wissenschaftlern, Politikern und Unternehmern verschiedenster Provenienz, der sich weitgehend durch Stiftungsgelder finanziert[10]. Er wurde 1968 in der Academia dei Lincei in Rom gegründet mit dem Ziel, menschheitsbedrohende, globale Zukunftsprobleme zu erforschen und zu benennen und so politischen Entscheidungsträgern die Handlungsnotwendigkeit zu verdeutlichen. Bis heute hat der Verein dreiunddreißig Berichte zur ‚Lage der Menschheit’ publiziert, wobei der Meadows-Bericht in den Jahren 1992 und 2004 neu aufgelegt wurde. Der in der amerikanischen Originalausgabe Limits to Growth betitelte Bericht von 1972 wurde in fünfunddreißig Sprachen übersetzt und über neun Millionen Mal verkauft: ein „Welt-Bestseller“[11]. Erstmals vorgestellt und diskutiert wurde er auf internationalen Konferenzen in Moskau und Rio de Janeiro im Sommer 1971.

Anhand von Computersimulationen, die in ihrer Komplexität eine revolutionäre technische Innovation darstellten, berechneten Analytiker verschiedene Szenarien der Menschheitsentwicklung in den nächsten hundert Jahren unter Berücksichtigung bestimmter Trends und deren Wechselwirkung: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Nahrungsmittelproduktion, Rohstoffausbeutung und Zerstörung von Lebensraum. Im Ergebnis forderten die Autoren einen schnellstmöglichen „Übergang vom Wachstum zum [ökologischen und wirtschaftlichen] Gleichgewicht“[12]. Geschehe dies nicht, so stünde man binnen hundert Jahren vor einem unkontrollierbaren „Zusammenbruch des Weltsystems“[13], durch welchen die Weltbevölkerung auf ein Bruchteil dezimiert würde. Besonders bedrohlich sei demzufolge das exponentielle Bevölkerungswachstum angesichts begrenzter Nahrungsmittel, Rohstoffe und nutzbarem Land. Selbst eine optimistische Kalkulation des technologischen Fortschritts führe bei gleichbleibendem Wachstum durch Umweltzerstörung und Ausbeutung zwangsläufig zum Kollaps[14]. Obwohl die Autoren an der Möglichkeit einer Abwendung der Katastrophe durch menschliche Intelligenz und Anpassungsfähigkeit festhielten, lehnten sie einen rigorosen technischen Fortschrittsoptimismus, der unbegrenzte Wachstumsmöglichkeiten vorsieht, ab. Vielmehr müsse man schnellstmöglich in den Status einer ‚Postwachstumsökonomie‘ gelangen, in der aber sozialer Fortschritt mit hoher Lebensqualität und minimalem Ressourcenverbrauch durchaus möglich wäre. Dies erfordere jedoch die freiwillige Beschränkung des Wachstums. „Die Erfindungsgabe, Anpassungsfähigkeit und Selbstdisziplin der Menschheit würden auf eine harte Probe gestellt“[15].

Es waren wohl die abschließenden Worte von Aurelio Peccei und seinen Kollegen im Exekutiv-Komitee des Club of Rome, die für die weltweite Durchschlagskraft des Berichtes sorgten[16]. Nicht drohende exponentielle Kurven werden hier vor Augen geführt, sondern die besorgniserregenden Tendenzen geben Anlass zu weitgreifenden moralischen Forderungen: „Wir sind schließlich überzeugt, daß jeder vernünftige Versuch, einen dauerhaften Gleichgewichtszustand durch geplante Maßnahmen herbeizuführen, letztlich nur bei grundsätzlicher Änderung der Wert- und Zielvorstellungen des einzelnen, der Völker und auf Weltebene von Erfolg gekrönt sein wird“[17]. Wie aussichtslos jedoch das Abwenden der Katastrophe durch globale menschliche Verhaltensänderungen sei, verdeutlicht die Aussage, es bräuchte „eine geistige Umwälzung kopernikanischen Ausmaßes für die Umsetzung unserer Vorstellungen in praktische Handlungen“[18].

Auch wenn dem Bericht von einigen Seiten Malthusianismus[19] vorgeworfen und er als unwissenschaftliche „Jüngste Gericht-Botschaft“[20] denunziert wurde, deren elitärer und wirtschaftsnaher Verfasserkreis den linken Umweltaktivisten unglaubwürdig erschien[21], erlangte er beinahe über Nacht den Nimbus, „das moralisch-wissenschaftliche Weltgewissen zu verkörpern“[22]. Ein solch bedrohlicher globaler Zukunftsbericht sorgte nicht nur politisch und medial weltweit für Erregung, sondern forderte auch und besonders christliche Akteure heraus.

III. Protestantische Reaktionen

1. Vorbemerkungen

Am Anfang der 70er Jahre befand sich der Protestantismus in der Bundesrepublik inmitten eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels[23]. Besonders die junge, vom Krieg unberührte Generation, allen voran die linke Studentenbewegung, wurde politisch aktiv und setzte Reformbewegungen in Gang. Sie war geleitet von neuen Utopien und der Möglichkeit alternativer Lebensstile. Systeme seien veränderbar und Moral relativ. Die mit der bürgerlichen Selbstbestimmung einhergehende Institutionenkritik erfasste auch die Kirchen, welche ab 1968 dramatisch hohe Austrittszahlen verzeichneten. Bezeichnend für diese Entinstitutionalisierungsprozesse ist aber, dass gleichzeitig der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) als evangelische Laienbewegung an Bedeutung gewann. Hier war nach dem zweiten Weltkrieg ein Forum entstanden, auf dem sich der Protestantismus weltoffen, plural und basisdemokratisch zeigte[24]. Wie politisch der DEKT wurde, macht auch das untersuchte Podiumsgespräch Verhunzte Schöpfung am Kirchentag in Düsseldorf 1973 deutlich: Neben dem Theologen Hans Schulze sprachen dort als Referenten Kurt Hansen, Leiter der Bayer AG, die Ministerialdirigenten Werner Buchner und Peter Menke-Glückert sowie Detlef Hensche, Mitglied im DGB-Vorstand. Der Beitrag des Journalisten und Zukunftsforschers Robert Jungk musste krankheitsbedingt ausfallen. Mit Ausnahme des Erlanger Professors Schulze wurden nicht das Vergehen an der Schöpfung, die Haushalterschaft des Menschen als Stellvertreter Gottes oder die damit verbundene Schuld thematisiert, sondern es wurde vom „mündigen und freien Bürger“ gesprochen, von einem neuen, die Umweltpolitik einbeziehenden „Rechtsbewußtsein“, vom „Verursacherprinzip“, von den „Grundlagen kapitalistischer Kapitalverwertung“ und von „Lebensqualität“[25]. Es mag nicht verwundern, dass konservative Stimmen vor einer „Eskalation des Pluralismus“ warnten und das protestantische Profil gefährdet sahen, so dass gar eine Gegenveranstaltung zum Kirchentag veranlasst wurde[26]. Dies ist bezeichnend für die polarisierende Debatte über die „Politisierung“ des Protestantismus in den späten 60er und frühen 70er Jahren[27]. Während etwa Gerhard Ebeling seinen Aufsatz über das Spannungsfeld zwischen Kirche und Politik 1973 mit den Worten beginnen ließ: „Die Sache des christlichen Glaubens ist nicht Politik“[28], rief Trutz Rendtorff zeitgleich zu einer „Theologie der Revolution“[29] auf. Doch nicht nur junge Protestanten, auch die Kirche selbst fand zunehmend ihre Rolle im demokratischen Staat und nahm am politischen Diskurs teil. Davon zeugen nicht zuletzt die Denkschriften der EKD, die ab 1962 (Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung) den modernen Protestantismus in der Bundesrepublik prägten.

Dennoch ist es bezeichnend für die langsame Reaktionsfähigkeit des kirchlichen Apparats, dass es ein Unternehmer und UN-Beauftragter war, der in einer Ansprache an den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) 1972 die Kirchen zum umweltethischen Handeln aufforderte und wichtige Impulse setzte. Angesichts der bedrohlichen globalen Umweltprobleme mahnte der damalige Generalsekretär der United Nations Conference on the Human Environment Maurice F. Strong die Kirchen vor der „Macht der Passivität“ und appellierte an ihre entscheidende Rolle in der globalen Umweltdebatte: „Das Zeitalter des Umweltschutzes [verlangt] eine Revolution der Wertvorstellungen. Und Wertvorstellungen sind Sache der Kirche, Grundlage ihrer Existenz, ihres Anspruchs auf Relevanz“[30]. Das neue Bewusstsein der „Kollektivität“ und der globalen Interdependenzen von Mensch und Natur sowie Mensch und Mensch erfordere eine Synthese der materiellen und physischen mit der moralisch, geistigen Dimension, so dass „die neue Ökologie [...] zu neuen und umfassenderen Konzeptionen von Ökumenismus führen“[31] müsse.

Recherchiert man Biographie und Status der Autoren der herangezogenen Artikel, so wird schnell klar, dass es sich auch hier nicht ausschließlich um einen engeren Kreis evangelischer Theologen und kirchlicher Amtsträger handelt, sondern um anerkannte politische und gesellschaftliche Akteure. Sprachrohr des Protestantismus war längst nicht mehr nur die Kirche in ihrer institutionellen Verfasstheit, sondern sich zunehmend ausdifferenzierende und individualisierte Repräsentanten eines ‚aufgeklärten Protestantismus’, die sich nicht immer an die Kirche gebunden wissen wollten. „Die religiöse Individualisierung und die Schwächung der institutionellen Bindungskraft des kirchlich verfassten Christentums während der 1960er und 70er Jahre mündete in eine Differenzierung christlicher Präsentationsformen und in eine zunehmende Pluralisierung religiöser Deutungssysteme innerhalb der Gesellschaft“[32]. Christsein in der Welt hieß aktive Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen, Entmythologisierung und Diesseitigkeit, horizontales, am ‚Nächsten’ orientiertes Christentum statt der vertikalen Ausrichtung zu Gott hin, die noch die Nachkriegsjahre geprägt hatte.

Es ist ein schwieriges Unterfangen, jene ‚protestantischen Reaktionen’ von anderen bildungsbürgerlichen Reaktionen abzugrenzen. Der Rahmen des Kirchentages, das Erscheinen in evangelischen Zeitschriften und die Mehrzahl evangelischer Theologen unter den Autoren sollen als dezidiert protestantische Foren diese Eingrenzung gewährleisten.

2. In Zeiten der Krise: eine Apokalypse?

Die Annahme, dass sich die Menschheit 1972 in einer ernsthaften Krise befindet, teilten christliche und nicht-christliche Akteure auf dem Gebiet der Zukunftsprognosen. Nicht erst Die Grenzen des Wachstums, sondern zahlreiche Bücher wie beispielsweise G. R. Taylors Buch Das Selbstmordprogramm. Zukunft oder Untergang der Menschheit (1971) oder Die Bevölkerungsbombe von Paul Ehrlich (1968) sprachen von der globalen ‚Krise’ als eines existenzbedrohenden Szenarios. Die Zukunftsforschung hatte sich erfunden und malte Bilder des Schreckens.

Der schillernde Begriff der ‚Krise’ selbst kann Ausdruck der gespaltenen Haltung gegenüber der Zukunftsprognosen sein. Denn während die ‚Krise’ im neuzeitlichen inflationären Gebrauch in der Regel nur eine kritische Übergangsphase beschreibt[33], scheinen manche Autoren auf die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes zurückweisen zu wollen. Der Ausdruck Krisis - aus dem Griechischen von κρίνω ‘scheiden’, ‚auswählen’, ‚beurteilen’ kommend – war in der Antike ein entscheidungsträchtiger Begriff, der Recht von Unrecht, Heil von Verdammnis und Leben von Tod trennte. Neben der Verwendung für das richterliche wie auch göttliche Urteil bezeichnete die Krisis den Wendepunkt eines Krankheitsverlaufs, der zu Prognose über Leben oder Tod Anlass gab[34]. Die Krisis war dann die Zeit der letzten Entscheidung. Nicht der iterative Charakter, sondern jener der Einmaligkeit und Letztgültigkeit haftete ihr an[35].

[...]


[1] Vgl. Meadows, Dennis/ Meadows, Donella H. / Zahn, Erich / Milling, Peter: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart 11972.

[2] Fischer, Jens: Kurz vor Mitternacht. Ökumenische Tagung über Technologie und Lebensqualität, in: EK 6 (1973), 411.

[3] Gabriel, Karl: Im Spannungsfeld von Entkirchlichung, individualisierter Religiosität und neuer Sichtbarkeit der Religion. Der gesellschaftliche Ort der Kirchen in der Gegenwartsgesellschaft, in: Reppenhagen, Martin / Herbst, Michael (Hg.): Kirche in der Postmoderne, Neukirchen-Vluyn 2008, 128.

[4] Einige Beispiele wären: Georg Borgstrom, Der hungrige Planet (1965); Deutscher Naturschutzring, Natur in Not (1965); Lynn White, Über die historischen Ursprünge unserer ökologischen Krise (1970); Der Spiegel, Vergiftete Umwelt (5.10.1970); der erste Earth Day 1970 in Washington mit Millionen Teilnehmern weltweit; die Gründung von Greenpeace 1971, der National Environmental Policy Act unter US Präsident Nixon und der Weltkongress über Reinhaltung der Luft in Buenos Aires 1965 (zit. nach Radkau, Joachim: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011, 124 ff.); vgl. auch das Sofortprogramm zum Umweltschutz, welches unter Willy Brandt 1971 verabschiedet wurde.

[5] Strong, Maurice F.: Die Bedeutung der Stockholmer Umweltkonferenz für die Kirchen, in: ZdZ 27 (1973), 62.

[6] Die ‚Stockholm-Konferenz’ bezeichnet hier stets die UN-Umweltkonferenz von 1972, nicht die kirchengeschichtlich relevantere ökumenische Konferenz von 1925 mit Nathan Söderblom.

[7] Deklaration zur Menschlichen Umwelt, in: epd. Dokumentation 1972/III, Heft 31/72 (1972), 4.

[8] Radkau: Ära, 124; vgl. dazu Nicholson, Max: Umweltrevolution. Der Mensch als Spielball und als Herr der Erde; München 1972; Uekötter, Frank: Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880-1970, Essen 2003.

[9] Die Meadows-Studie versteht sich als Zwischenbericht, der aufgrund der Dringlichkeit im Handlungsbedarf jedoch vor einem fiktiven Abschluss des Projekts veröffentlicht werden sollte (vgl. Meadows: Grenzen, 16).

[10] Die Meadows-Studie wurde beispielsweise durch die Volkswagen-Stiftung finanziert.

[11] Radkau: Ära, 149.

[12] Meadows: Grenzen, 17.

[13] A.a.O., 111.

[14] Vgl. a.a.O., 129: „Das Grundverhalten des Weltsystems ist das exponentielle Wachstum von Bevölkerungszahl und Kapital bis hin zum Zusammenbruch. Wie wir dargelegt haben [Abb. 39-42], bleibt dieses Grundverhalten unverändert, ob man nun davon ausgeht, daß sich nichts Wesentliches ändern wird, oder ob man beliebig viele technologische Veränderungen einführt“.

[15] A.a.O., 153.

[16] Die sechs Club-of Rome-Mitglieder, die für die Studie verantwortlich waren: Dr. Aurelio Peccei, Vorsitzender des Exekutivkomitees des Club of Rome, Mitglied der Firmenleitung von Fiat und Olivetti und Präsident von Itaconsult; Dr. Alexander King, wissenschaftlicher Direktor der OECD; Dr. Saburo Okita, Leiter des japanischen Wirtschafts-Forschungszentrums in Tokio; Prof. Dr. Eduard Pestel, Professor an der TU Hannover, Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft; Dr. Hugo Thiemann, Leiter des Battelle-Instituts in Genf; Prof. Dr. Carroll Wilson, Professor am MIT.

[17] Meadows: Grenzen, 174.

[18] A.a.o., 175.

[19] Als Malthusianismus bezeichnet man die von T.R. Malthus Anfang des 19. Jahrhunderts vertretene Theorie, dass die Menschen aufgrund von unkontrolliertem Bevölkerungswachstum bei Knappheit der Ressourcen verelenden würden. Der von ihm unterschätze technologische Fortschritt wird heute stets gegen alle pessimistischen Zukunftsaussagen angeführt.

[20] Skrimshire, Stefan: Future Ethics. Climate Change and Apocalyptic Imagination, New York 2010, 15.

[21] Vgl. Uekötter, Frank: Untergang. 40 Jahre nach dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ - Was haben wir für den Umgang mit Prognosen gelernt?, in: Zeit Online, 3.12.2012 (http://www.zeit.de/2012/48/Die-Grenzen-des-Wachstums-Wirtschaft-Prognosen eingesehen am 30.1.2014); vgl. Radkau: Ära, 140.

[22] Brüggemeier, Franz-Josef, zit. nach Radkau: Ära, 140, Anm. 25.

[23] Vgl. Oelke, Harry: Einleitung, in: Ders. / Hermle, Siegfried / Lepp, Claudia (Hg.): Umbrüche. Der deutsche Protestantismus und die sozialen Bewegungen in den 1960er und 70er Jahren (AKiZ.B 47), Göttingen 2007, 26f.

[24] Vgl. ders.: Westdeutsche Kirchengeschichte 1945-1989, in: Kunter, Katharina / Schjorring, Jens Holger (Hg.): Europäisches und Globales Christentum / European and Global Christianity, (AKiZ.B 54) Göttingen 2011, 175.

[25] Verhunzte Schöpfung? Alternativen zur Umweltzerstörung, in: Deutscher Evangelischer Kirchentag Düsseldorf 1973. Dokumente, Stuttgart 1973, 256; 261 f; 265; 272.

[26] Chronik. Juli-August 1972, in: EK 5 (1972), 567 (Die Bewegung Kein anderes Evangelium lud zu der Gegenveranstaltung Glaubenskonferenz ein).

[27] Vgl. Lepp, Claudia: Einleitung, in: Dies. / Fitschen, Klaus / Hermle, Siegfried / Kunter, Katharina / Roggenkamp-Kaufmann, Antje (Hg.): Die Politisierung des Protestantismus. Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland während der 1960er und 70er Jahre (AKiZ.B 52), Göttingen 2011, 20.

[28] Ebeling, Gerhard: Askese als politische Bewegung. Kirche im Horizont der Politik, in: EK 6 (1973), 733.

[29] Vgl. Rendtorff, Trutz / Tödt, Heinz Eduard: Theologie der Revolution. Analysen und Materialien, Frankfurt am Main 11968.

[30] Strong: Bedeutung, 66.

[31] A.a.o., 64.

[32] Oelke: Kirchengeschichte, 190.

[33] Der Übergangscharakter ist besonders ersichtlich an den ,Krisen’ in der Wirtschaft, die aus kapitalistisch - ökonomischer Sicht „Durchgangsphasen“ hin zu einem neuen Gleichgewicht, ja „Sprosse[n] auf der Leiter des Fortschritts“ sind (Koselleck, Reinhard: Art. Krise, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 3, Stuttgart 2004, 644).

[34] Vgl. Koselleck: Krise, 619.

[35] Vgl. a.a.O., 626.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
In Zeiten der Krise. Protestantische Reaktionen auf die Club-of-Rome-Studie "Die Grenzen des Wachstums" (1972)
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Kirchengeschichte)
Veranstaltung
Christliche Konsumkritik in der Neuzeit
Note
1
Autor
Jahr
2014
Seiten
26
Katalognummer
V285061
ISBN (eBook)
9783656853251
ISBN (Buch)
9783656853268
Dateigröße
541 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konsumkritik, Fortschrittskritik, Wachstum, Lebensqualität
Arbeit zitieren
Esther Joas (Autor:in), 2014, In Zeiten der Krise. Protestantische Reaktionen auf die Club-of-Rome-Studie "Die Grenzen des Wachstums" (1972), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285061

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