Positivismusstreit in der deutschen Soziologie


Vordiplomarbeit, 2002

27 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung
Popper`s biographische Skizze
Popper`s philosophischer Ansatz
Adorno`s biographische Skizze
Adorno`s philosophischer Ansatz
Popper`s Betrachtung von Geschichte

”Die Logik der Sozialwissenschaften”

”Zur Logik der Sozialwissenschaften”
Adorno`s Betrachtung von Geschichte
Dialektik der Aufklärung

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Tübinger Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, durch die Erörterung der wissenschaftslogischen Grundlagen der Soziologie, die vorhandenen Differenzen in den Forschungseinrichtungen hervortreten zu lassen und damit für die Forschung fruchtbar zu machen.[1] Die sich daraus entwickelnde Kontroverse, ging in die Geschichte als Positivismusstreit in der deutschen Soziologie bzw. als Methodenstreit ein.

Thema der beiden Hauptreferenten war ”Die Logik der Sozialwissenschaften”. Als Hauptreferenten wurden zwei Personen ausgewählt, von denen man annehmen konnte, dass ihre Auffassung zu diesem Thema so entgegengesetzt ist, dass ihre Referate die gewünschte Kontroverse über die Thematik auch erfüllen würden. Man entschied sich einerseits für Karl R. Popper, Vertreter des Kritischen Rationalismus, und anderseits für Theodor W. Adorno, als Vertreter der Kritischen Theorie.

Viele Beobachter der Tübinger Arbeitstagung mussten aber letztlich von ihrer Erwartungshaltung an die beiden Referate Abstand nehmen. Die erwartete Kontroverse zwischen den beiden Hauptreferenten blieb für viele Anwesende unerfüllt. Statt dessen gewannen viele Teilnehmer eher den Eindruck, dass sich eine nicht zu erwartende Einstimmigkeit, wenn auch nur oberflächlich, zwischen den beiden Referenten auftat, von der man unangenehm überrascht wurde.

So erging es auch Ralf Dahrendorf, beteiligt an der Auswahl der Referenten wie auch des Themas, der in seinem Diskussionsbericht zur Arbeitstagung feststellen musste, dass das gewählte Thema sich als nicht geeignet erwies ”zur Präzisierung allgemeiner wissenschaftslogischer Positionen, also etwa zur detaillierten paradigmatischen Analyse einzelner Theorien oder zur scharfen Bestimmung des Verhältnis von Theorie und Empirie, von Konstruktion, Analyse und Tatsachenforschung” beizutragen.[2] Die Fruchtbarkeit der beiden Referate wird von Dahrendorf zwar anerkannt, doch die beabsichtigte Klärung der anstehenden Fragen blieb aus.

Ob dies nun wirklich so ist, möchte ich zur Aufgabe der hier vorliegenden Hausarbeit machen. Ziel dieser Hausarbeit soll es sein, die Positionen der beiden Hauptreferenten, Popper und Adorno, herauszuarbeiten und die Frage nach den moralischen und politischen Positionen der beiden Theorien zu klären. Methodisch werde ich dementsprechend so vorgehen, dass ich zunächst die beiden Referenten kurz skizzieren möchte, um den Einstieg in die Referate zu erleichtern. In einem zweiten Schritt werde ich mich darum bemühen, die wesentlichen inhaltlichen Kern- und Kritikpunkte beider Referate vorzustellen und sie in einem weiterem Abschnitt miteinander zu vergleichen. Dabei halte ich mich an die vorgegebene Reihenfolge der Referate. Ergänzt werden sollen die beiden Referate durch die, m.E. wichtige, unterschiedliche Auffassung von Geschichte. Zum Schluss dieser Hausarbeit möchte ich die oben aufgestellte Frage nach der Fruchtbarkeit der Referate aufnehmen und ein mögliches Fazit formulieren.

Popper`s biographische Skizze

Karl Raimund Popper wurde am 28. Juli 1902 in Wien geboren. Das Ende des ersten Weltkrieges erlebte Popper mit sechzehn Jahren. Die Erfahrungen der Umbruchsjahre 1918-1919 veranlassten Popper seine marxistische Einstellung aufzugeben und sich danach eher als Sozialisten zu bezeichnen. Hunger, Elend und Gewalt ließen Popper explizit die Divergenz zwischen Doktrin und Praxis erleben, außerdem störte es ihn, dass sich junge Intellektuelle, die im allgemeinen Söhne aus der Bürgerschicht waren, so selbstverständlich als Führer der Arbeiterklasse sahen, nur weil sie Marx gelesen hatten.[3] Seit 1922 studierte er für das Lehramt mit den Hauptfächern Mathematik und Physik und legte 1924 das Examen als Realschullehrer ab. Erst im Jahre 1930 erhielt Popper seine erste Stelle als Lehrer an einer Hauptschule. In diese Zeit fällt seine erste Begegnung mit einem Mitglied des ”Wiener Kreises”, der ihn ermutigte, zu Fragen der Wissenschaftstheorie, die Popper seit langem beschäftigten, zu schreiben. 1934 erschien eine gekürzte Fassung ”Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie” mit dem Titel ”Logik der Forschung”. Die Tatsache, daß Popper aus dem Diskussionszusammenhang mit dem ”Wiener Kreis” die ”Logik der Forschung” entwickelte, führte dazu, dass Popper als Vertreter der Philosophie des logischen Empirismus gesehen und auch bis in die Debatte um den Positivismusstreit hinein als Repräsentant des Positivismus betrachtet wurde. Die zweibändige Arbeit mit dem Titel ”Die offene Gesellschaft”, die 1945 in London erschien, ist im Geiste der Aufklärung gegen jede Form von Totalitarismus gerichtet. Zugleich wird in dieser Schrift der methodische Ansatz aus der ”Logik der Forschung” weiterentwickelt zu einem kritischen Rationalismus.

Popper`s philosophischer Ansatz

Poppers Ansatz lässt sich einerseits durch den Verweis auf Sokrates und andererseits auf die Philosophie der Aufklärung bestimmen. Sokrates Formulierung ”Ich weiß, dass ich nichts weiß” bezieht sich auf jene Zeitgenossen, die sich im Besitz sicheren Wissens wähnten und glaubten, sich für ihr politisch-praktisches Handeln darauf verlassen zu können.[4] Sokrates Anliegen war es, den Menschen aus seiner Fixiertheit an kritiklos übernommene Ansichten herauszuführen. Popper nimmt diesen sokratischen Ansatz auf, wenn er sich gegen ein Denken in wie immer gearteten Kategorien wendet und die Offenheit der Problemsituation betont, wobei auch bewährte und für sicher gehaltene Ansichten doch nur Zwischenstadien in einer sich ständig durch weitere Fragestellungen fortzuentwickelnden Erkenntnis darstellen.

Die Verbindung zur Aufklärung lässt sich durch Poppers geistige Nähe zu Kant bestimmen. Aufklärung ist nach Kant ”... der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist dies Unmündigkeit, wenn die Ursache nicht an Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude, habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung”.[5] Ebenso bedeutend ist für Popper die Kantische These vom Primat der praktischen Vernunft und die These, dass die Erkenntnistheorie als Theorie der wissenschaftlichen Erfahrung durchzuführen sei. Als besonders vorbildlich für die menschliche Erkenntnis gelten die Mathematik und die Physik.[6] In Abgrenzung zu Kant vertritt Popper die These, dass all unser Wissen ein fehlbares Wissen sei. All unser Wissen kann nach Popper prinzipiell als unzuverlässig, unsicher, ungewiss oder unwahr betrachtet werden, nichts ist im Prinzip gewiss, alles ist Vermutungswissen und steht der kritischen Betrachtung offen. Fortschritt in der Theorie wie auch in der wissenschaftlichen Forschung ist für Popper nur durch die auf Tradition und Theorie bezogene Kritik zu erreichen. Daher sieht sich Popper auch in die Tradition der kritischen Diskussion eingeordnet.[7]

Nach Popper steht jeder Mensch in für ihn selbstverständlichen Traditionen und Lebenszusammenhängen. Wir sind daher ständig im Besitz von Überzeugungen, die uns in einem vorwissenschaftlichen Sinne zugehören. Diese Überzeugungen prägen und tragen entscheidend unsere

Auffassung von der Welt, aus ihnen heraus entwickelt und bildet sich unser Wissen. Sie werden als solche nicht weiter reflektiert. Die Wissenschaftliche Erkenntnis vollzieht sich, nach Popper, aber gerade als und durch Kritik an solchen überkommenen Überzeugungen.

In Abgrenzung zu dem philosophischen Bewusstsein des ”Wiener Kreises”, als dessen Vertreter Popper im Positivismusstreit angesehen wurde, glaubt Popper bei der Bestimmung des Sinnkriteriums an den genuinen Charakter philosophischer Probleme. Nach dem Sinnkriterium der Positivisten ließen sich die sogenannten philosophischen Probleme entweder auf Probleme der Naturwissenschaften oder der Logik reduzieren, oder aber als Scheinfragen entlarven. Popper versucht mit seinem philosophischen Ansatz zu zeigen, dass es neben den empirisch wissenschaftlichen und den formallogischen Aussagen, eine weitere Klasse kognitiv bedeutsamer Aussagen mit eigener Methode gibt, das Gebiet der Erkenntnistheorie, wie es in der Tradition Kants gepflegt worden war.[8]

Adorno`s biographische Skizze

Adorno wächst in Frankfurt am Main auf. Parallel zu seinen musikalisch-künstlerischen Ambitionen, beeinflusst durch seine Mutter die Sängerin war, entsteht ein ausgeprägtes Interesse für die Philosophie. Für eine frühe theoretische Bildung sorgte sein Freund und Mentor Siegfried Kracauer, mit ihm erarbeitete Adorno Kants ”Kritik der reinen Vernunft”. 1921 immatrikulierte sich Adorno an der Universität in Frankfurt, wo er die Fächer Philosophie, Psychologie und Soziologie belegte. In einem Husserl-Seminar machte Adorno 1922 die Bekanntschaft von Max Horkheimer, aus der eine langjährige Freundschaft und Zusammenarbeit resultieren sollte. 1924 schließt Adorno sein Studium mit einer ”summa cum laude” bewerteten Dissertation über die Philosophie Edmund Husserls ab. Besonders angetan war Adorno von Lukács` Aufsatzsammlung ”Geschichte und Klassenbewusstsein”, so wie viele junge Intellektuelle, die dadurch zu Anhängern einer im Lichte der Hegelschen Philosophie neu gesehenen marxistischen Theorie wurden.

Auch bei Adorno führte die Theorie vom Fetischcharakter der Ware und der allgemeinen Verdinglichung in der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft zum einer kritischen Sicht der Gesellschaft. Nach dem Abschluss des Studiums ging Adorno Anfang 1925 zu Alban Berg nach Wien mit dem Wunsch, Komponist und Konzertpianist zu werden. Dies blieb für ihn enttäuschender Weise leider ebenso ohne Erfolg wie seine Versuche als Musikkritiker tätig zu werden. 1931 habilitiert Adorno in Frankfurt mit einer Schrift über die ”Konstruktion des Ästhetischen bei Kierkegaard” am Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie. Zu einer regulären Mitarbeit am Institut für Sozialforschung, dessen Leitung Horkheimer 1930 übernommen hatte, kam es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, nur zur Mitarbeit an der von Horkheimer im Auftrag des Institutes herausgegebenen Zeitschrift für Sozialforschung. Als die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht ergreifen, war sich Adorno über die Konsequenzen dieser politischen Wende, die zur Zerstörung der Demokratie der Weimarer Republik und zum totalitären Staat führte, keineswegs im klaren. Seine jüdische Abstammung und das sich daraus ergebende Veröffentlichungs- und Lehrtätigkeitsverbot veranlassen Adorno sich 1934 als Advanced Student am Oxforder Merton College zu immatrikulieren. 1937 nimmt Adorno die Einladung Max Horkheimers an, Mitarbeiter des Institute of Social Research zu werden. Adornos erstes Forschungsgebiet in der amerikanischen Emigration ist die Wirkungsanalyse des Rundfunks. Die neuen Erfahrungen, die Adorno in diesem Zusammenhang mit den Methoden der empirischen Sozialforschung und ihrer praktischen Anwendung machte, kamen ihm insbesondere bei der breit angelegten Antisemitismus- und Autoritarismusforschung des Institute of Social Resarch zugute. 1941 folgte Adorno Horkheimer an die Westküste der USA, wo sie zusammen das Werk ”Dialektik der Aufklärung” verfassten, in dem sie sich in gemeinsamer philosophischer Arbeit mit den Ursachen des geschichtlichen Scheiterns der Vernunft beschäftigen. In dieser Schaffensphase, bis 1949, entstand auch das von den meisten als sein Hauptwerk angesehene, die ”Minima Moralia”. Vier Jahre nach Kriegsende kehrte Adorno nach Deutschland zurück. Er nahm seine Professur für Philosophie und Soziologie wieder auf und wurde Stellvertreter des bereits wieder in sein Amt eingesetzten Horkheimer. Ab 1959 lag die Leitung des Instituts für Sozialforschung ganz in seinen Händen.

Adorno`s philosophischer Ansatz

War es bei Popper noch angebracht seine philosophischen Wurzel bereits in der Einleitung zu dieser Hausarbeit aufzuzeigen, möchte ich bei Adorno den umgekehrten Weg wählen und dies zum Ende, im Zusammenhang mit der Geschichtsbetrachtung, tun.

[...]


[1] vgl. Dahrendorf, 1978, S. 145

[2] Dahrendorf, 1978, S. 145

[3] vgl. Schäfer, 1988, S. 19

[4] vgl. Schäfer, 1988, S. 23

[5] Schäfer, 1988, S. 25

[6] vgl. Schäfer, 1988, S. 26

[7] vgl. Schäfer, 1988, S. 28

[8] vgl. Schäfer. 1988, S. 33

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Positivismusstreit in der deutschen Soziologie
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
LS
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
27
Katalognummer
V29919
ISBN (eBook)
9783638313155
ISBN (Buch)
9783638703178
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Arbeit wir der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie bearbeitet. Hauptakteure sind Jürgen Habermas und Karl Popper. Es werden beide Standpunkte beleuchtet, um ein Überblick über die damals wichtigste Diskussion in Deutschland zu gewinnen.
Schlagworte
Positivismusstreit, Soziologie
Arbeit zitieren
Manuel Simon (Autor:in), 2002, Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29919

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