Der Antagonismus zwischen Russland und der Ukraine. Erklärung, gemeinsame Geschichte und externe Ideologien


Hausarbeit, 2014

38 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung
1.1 Überblick

2.Der sozialkonstruktivistische Ansatz in der Außenpolitikanalyse
2.1 Das Analysemodell und die Hypothese

3.Die gemeinsame Geschichte: Von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert
3.1.Kiewer Rus
3.2.Die Geschichte der Kosaken
3.2.1.Die Kosaken und ihre nationale Bedeutung für die Ukraine
3.2.2.Die Auflösung der Kosakengemeinschaft
3.3.Die ukrainische Nationalbewegung in der Zarenzeit
3.3.1.Das Erbe um die Kiewer Rus
3.3.2.Die russische Reaktion auf die ukrainische Nationalbewegung
3.3.3.Zwischenfazit
3.4.Die Assimilation an Russland
3.4.1.Zwischenfazit

4.Die gemeinsame Geschichte im 20. Jahrhundert
4.1.Die Entwicklung bis 1917
4.2.Die Phase von 1917 bis 1921
4.3.Der stalinistische Terror
4.3.1.Die erste Säuberungswelle und Russifizierung
4.3.2.Die Neuausrichtung der kommunistischen Ideologie: Umschreibung der Geschichte der Ukraine
4.3.3.Der Holodomor
4.3.4.Zwischenfazit
4.3.5.Die zweite Säuberungswelle
4.4.Der Zweite Weltkrieg
4.5.Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1991

5.Zusammenfassung
5.1.Zwischenfazit

6.Aspekte der neueren Geschichte
6.1.Der Zweite Weltkrieg
6.1.1.Der Zweite Weltkrieg aus Sicht der Ukraine und Russland
6.1.2.Die russische Sicht auf den Zweiten Weltkrieg
6.1.3.Die Sichtweisen in der Ukraine
6.1.3.1.Die Ostukraine
6.1.3.2.Die Westukraine
6.1.4.Zwischenfazit
6.2.Die Geschichtspolitik Juschtschenkos
6.2.1.Der Holodomor
6.2.2.Die UPA
6.3.Die Reaktion Russlands unter Putin
6.4.Die neuesten Ereignisse im Lichte gewonnener Erkenntnisse

7.Schlussbetrachtungen

8.Zusammenfassende Beantwortung der Forschungsfrage

9.Ausblick

10.Quellenverzeichnis
10.1.Bibliographie
10.2.Internetquellen

1.Einleitung

„ Unsere Bedenken sind verständlich, weil wir nicht einfach nur Nachbarn sind,

sondern wir sind, wie ich schon mehrfach betont habe, ein Volk. Kiew ist die Mutter der russischen Städte. Die Kiewer Rus ist unsere gemeinsame Wurzel und wir können nicht ohne einander leben. “ 1

Dieser Passus in Putins Rede am 18. März 2014 in der Duma wird womöglich oft nicht verstanden oder falsch eingeordnet, da die historische Dimension zumeist im Dunklen liegt. Doch gerade die Ukraine - Krise mit den Ausschreitungen auf dem Maidan - Platz, der Annexion der Krim - Halbinsel durch Russland und den fortwährenden konfliktiven Auseinandersetzungen zwischen pro - russischen Separatisten und der ukrainischen Armee erlauben keine Fehleinschätzung der gemeinsamen Geschichte von Russland und der Ukraine. Überhaupt ist die Kenntnis von Geschichte für die Analyse aktueller Ereignisse und Zustände nicht zu unterschätzen, dem Zitat von Johannes Scherr (1817 - 1886, schweiz. Schriftsteller und Literaturhistoriker, Politiker) folgend:

„ Man mußdie Vergangenheit kennen, wenigstens einigermaßen ahnen, um die

Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu kennen. Ohne Kenntnis der Geschichte ist dem Menschen alles, was um ihn vorgeht, schlechterdings unbegreiflich, geradezu ein Rätsel. Daher die stupide Auffassung der Erscheinungen unserer Zeit von seiten der kenntnislosen und urteilslosen Menge “ 2 . Aufgrund dessen, dass bislang der Geschichte in der außenpolitischen Analyse des Antagomismus zwischen Russland und der Ukraine nur unzureichend Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, wird ein historischer Zugang gewählt und mithilfe des Konstruktivismus argumentiert. Mit der Forschungsfrage bewegt man sich sich auf dem Gebiet der Außenpolitikforschung, die sich auf die Akteursebene konzentriert, und damit meist auf die innerstaatliche Bedingtheit staatlichen, außenpolitischen Verhaltens3. Daher bietet es sich für die folgende Untersuchung an, mit einem konstruktivistischen Erklärungsmodell zu arbeiten.

1.1. Überblick

Zuerst wird die Theorie des Konstruktivismus vorgestellt, um daraus ein entsprechendes Analysemodell zu formen. Anschließend werden zentrale Ereignisse und Aspekte der gemeinsamen Geschichte von Russland und der Ukraine erläutert. Im Anschluss wird der Fokus auf zentrale Konflikte und Differenzen in der neueren Geschichte der Ukraine gerichtet, um zu zeigen, dass der Antagonismus der neueren Geschichte mit der gemeinsamen Geschichte zusammenhängt. Die Art und Weise dieses Zusammenhangs wird dabei ebenso beleuchtet. In den Schlussbetrachtungen wird auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse die Forschungsfrage beantwortet.

2. Der sozialkonstruktivistische Ansatz in der Außenpolitikanalyse

Bevor die Theorie des Konstruktivismus vorgestellt wird, ist es nötig, den Begriff

„ Außenpolitik “ zu definieren. „ Außenpolitik “ bezeichnet die politischen Inhalte und organisatorischen Steuerungsformen eines völkerrechtlich anerkannten Gemeinwesens, meist eines Staates, gegenüber externen Akteuren4. Rationalistische Theorien gehen davon aus, dass die Eigenschaften eines Akteurs vor allem durch seine Position im internationalen System, durch seine Ausstattung mit Ressourcen und Macht bestimmt sind und so dem Einfluss des Akteurs selbst und anderer Akteure entzogen bleiben5.

Der Konstruktivismus unterscheidet sich von den rationalistischen Theorien darin, dass er nicht - materiellen, ideellen oder intersubjektiven Strukturen primäre Relevanz zuschreibt.

Zu diesen intersubjektiven Strukturen zählen Werte, Normen, Identitäten und Kultur. Diese Strukturen regulieren das Handeln der Akteure nicht nur, sondern prägen auch ihre Ziele. Die Realität ist demnach sozial strukturiert/konstruiert. Das heißt, dass auch die Außenpolitik sozial konstruiert ist, durch Werte, Normen und Identitäten6.

Die Eigenschaften von Akteuren, ihre Interessen und Präferenzen sind im Konstruktivismus endogen generiert: Akteure bilden ihre Identitäten, schaffen Normen und geben sich Rollen immer in der sozialen Interaktion mit anderen Akteuren7. Die Identitäten, Normen und Rollen der Akteure sind jedoch weder objektiv noch statisch. Sie sind vielmehr Wandlungen unterworfen, wie der Interaktionsprozess selbst8. Diese Wandelbarkeit von Akteursidentitäten und - eigenschaften hat gleichzeitig Rückwirkungen auf das Akteursverhalten. Eine weitere zentrale Grundannahme besteht also in der Ko - Konstitution von Akteursidentität und Akteursverhalten.

Das Verhalten der Akteure wird also von sozial konstruierten Werten, Normen und Identitäten angeleitet. Diese geben einen Rahmen vor, innerhalb dessen Akteure angemessen handeln können. Hierbei spricht man von der „ Logik der Angemessenheit “

- die Akteure ergründen, ob das, was sie tun, den sozialen Erwartungen an ihr Verhalten in einer bestimmten Situation entspricht9.

Der Sozialkonstruktivismus geht jedoch nicht davon aus, dass die internationalen Beziehungen stets friedlich und zivilisiert sind. Welche Normen ein Akteur für angemessen hält, ist kontextabhängig und von Akteur zu Akteur unterschiedlich. So können staatliche und nicht - staatliche Akteure unterschiedliche und sogar gegensätzliche Normen vertreten, so dass keinesfalls immer ein Klima der Kooperation vorhanden ist10.

2.1. Das Analysemodell und die Hypothese

Die unabhängige Variable des Analysemodells ist die nationale Identität des ukrainischen Volkes. Die Identität gibt Antworten auf die Fragen „ Wer sind wir? Was eint uns? Wer gehört zu uns? Was wollen wir? “ 11. Per definitionem handelt es sich bei der Identität um Ideen über die Natur und Ziele eines Gemeinwesens im Verhältnis zu seiner Umwelt12. Anders ausgedrückt, ist die Identität das „ Gemeinschaftsbewusstsein “ des ukrainischen Volkes, das „ idealerweise eine Erinnerungs - und eine Erfahrungsgemeinschaft “ voraussetzt13. In die Genese der Identität des ukrainischen Volkes fließen sowohl Ideen als auch die gemeinsame Geschichte mit Russland und die Kultur mit ein. Ideen sind die individuellen Vorstellungen der Akteure über die Identität eines Kollektivs. Es wird davon ausgegangen, dass die Akteure, die an ihrer Identität arbeiten, sie verändern oder bestätigen, ihre Ideen aus einem Fundus an historischen Erfahrungen und Handlungsmodi schöpfen14. Die gemeinsame Geschichte von Russland und der Ukraine stellt gerade diesen Fundus zur Verfügung. Die Geschichte wird von den Individuen rezipiert, diskutiert und interpretiert. Die Individuen definieren also ihre Identität, indem sie auf Grundlage einer für sie maßgeblichen Geschichtsinterpretation ein Selbstbild von sich schaffen15. Sie orientieren sich dabei an zentralen geschichtlichen Stationen/Ereignissen, von denen sie glauben, ein Selbstbild ableiten zu können. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich Selbstbild und Fremdbild voneinander unterscheiden können. Aus der sozial konstruierten Identität heraus ergibt sich die dominante Norm für das angemessene außenpolitische Verhalten der Ukraine. Auf der Basis gemeinsamer positiver Ideen und Identitäten kann eine „ Kultur der Freundschaft “ 16 und Kooperation entstehen. Sind die Ideen und Identitäten jedoch negativ, gegensätzlich, oder unvereinbar, so folgt daraus eine Kultur der „ Antipathie “ und es herrscht „ Antagonismus “ 17.

In diesem Analysemodell ist die zu erklärende, abhängige Variable die dominante Norm eines antagonistischen Verhaltens der Ukraine gegenüber Russland. In der vorliegenden Arbeit soll nun die Wirkung der unabhängigen Variablen (nationale Identität) auf die abhängige Variable erläutert und die Frage beantwortet werden, ob die Hauptquelle für die Herausbildung dieser dominanten Norm die Rezeption, Diskussion und Interpretation der gemeinsamen Geschichte mit Russland ist oder ob es externe Quellen für diese dominante Norm gibt.

Es wird die Hypothese aufgestellt, dass die nationale Identität der Ukraine im Kollektiv so beschaffen ist, dass die Norm eines antagonistischen Verhaltens gegenüber Russland stets dominant ist.

3. Die gemeinsame Geschichte: Von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert

Um die gemeinsame Geschichte der beiden Staaten zu verstehen, ist es von Bedeutung, zurück zu den historischen Wurzeln zu gehen.

3.1. Kiewer Rus

Unter Historikern herrscht Konsens, dass der nördliche Teil der Ukraine die „ Urheimat “ der Slawen sei, „ wo die frühesten Spuren direkter Vorfahren der slawischen Völker nachgewiesen werden können “ 18. Aus einer Reihe von ostslawischen Stammesbündnissen im 6. und 7. Jahrhundert n.Chr. entwickelten sich zuerst Stammesfürstentümer. Während des 7. und 8. Jahrhunderts19 formierte sich schließlich ein lockerer Verband von Fürstentümern mit der Stadt Kiew als Zentrum, woraus sich die Bezeichnung „ Kiewer Rus “ ableiten lässt20. Später, im 9. bis zum 12. Jahrhundert, wurden alle ostslawischen Stammesfürstentümer unter der Hegemonie der „ Kiewer Rus “ vereint21.

Von der Bezeichnung der Kiewer Rus als „ Staat “ kann allerdings nicht die Rede sein22. Es handelte sich eher um eine „ kulturelle Gemeinschaft “ 23, welche alle Slawen vereinte. Die Kiewer Rus ist die Basis der gemeinsamen Geschichte von Russland und der Ukraine und zweifelsohne haben Russland und die Ukraine ihre historischen Wurzeln im Kiewer Reich.

3.2. Die Geschichte der Kosaken

Nach dem Zusammenbruch der Kiewer Rus geriet der größte Teil des ehemaligen Reiches allmählich unter polnische Herrschaft24.

Im Gegensatz dazu verlief die Entwicklung im östlichen Teil des untergegangenen Reichs, wo die Kosaken als „ freie Krieger “ die Flusstäler des Dnepr, Don, Tarek und Wolga sowie die Inseln des Dnepr bewohnten25. Die Kosaken wählten auf demokratische Art und Weise jährlich einen Hetman, einen Anführer mit weit reichenden Kompetenzen, aus ihren Reihen26. Ihr Hetman unterschrieb 1654 einen Vertrag mit den Russen, worin die Kosaken dem Zaren ihre Treue schworen und sich dazu bereit erklärten, im Kriegsfall dem Zaren zu dienen. Den Kosaken wurden im Gegenzug Freiheiten und Privilegien gewährt. In den folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen brachen jedoch beide Seiten ihren Eid. Aufgrund der militärischen Überlegenheit des Zarenreiches wurde das Hetmanat gespalten und sein östlicher Teil als „ Kleinrussland “ in das Russische Reich integriert. Die kosakische Oberschicht hingegen integrierte sich in den russischen Adel27.

Seitdem gilt das Jahr 1654 als „ Jahr der Vereinigung Russlands mit der Ukraine “ und somit als Beginn der gemeinsamen Geschichte28, da die Kulturen „ Groß- und Kleinrusslands “ miteinander verschmolzen29.

3.2.1. Die Kosaken und ihre nationale Bedeutung für die Ukraine

Durchaus ist die Annahme begründet, dass die Kosaken eng mit dem Nationalbewusstsein der Ukraine verbunden sind30. Die Kosaken als „ Verkörperung der modernen ukrainischen Nation “ 31 zu betrachten, ist in der Historiographie problematisch32. Auch wenn die Kosakengemeinschaft per se organisiert und strukturiert war, kann sie höchstens als ein „ vorstaatliches/vornationales Gebilde “ eingestuft werden33. Überdies strebten die Kosaken keinen ukrainischen Nationalstaat an, sondern vielmehr den „ Erhalt ihrer Freiheiten, Privilegien, der politischen Rechte der Oberschicht und der Orthodoxie “ 34. Die Darstellung der Kosaken als direkte Erben der Fürsten der Kiewer Rus ist ebenso problematisch respektive umstritten35. Allerdings beeinflussten die Kosaken als „ Militäreinheiten und soziale Gruppen “ auch nach dem Ende ihrer Präsenz in der Ukraine in hohem Maße die „ politischen, sozialen und kulturellen Prozesse, die Elemente der ukrainischen Nation hervorbrachten “ 36. Nach dem Ende der Kiewer Rus bewahrten die Kosaken die Gewohnheiten und Sitten der Fürsten der Kiewer Rus, so dass sich in Kunst und Architektur der „ Kosakenbarock “ als Stilrichtung herausbilden konnte. Der Kosakenbarock wird noch heute als „ nationaler ukrainischer Stil “ angesehen. Die sozialen und kulturellen Überreste der Kosaken sind also Bestandteil der Volkskultur geworden und bis heute lebendig geblieben37.

3.2.2. Die Auflösung der Kosakengemeinschaft

Das so genannte Hetmanat, die Kosakengemeinschaft, wurde ab 1654 im Zarenreich geduldet. Die Zarin Katharina II. löste dieses Hetmanat 1764 auf. Nun blieb den Kosaken nur noch „ Saporiksa Sitsch “, der Teil der Kosakengemeinschaft, der seit dem 16. Jahrhundert auf den Inseln des Dnepr existierte38. Im Juni 1775 wurde die Sitsch, auf Befehl Katharinas II., von der russischen Armee belagert und musste aufgeben. Die Kosakenarmee wurde aufgelöst und die Kosaken selbst versklavt39. Weiterhin führte Katharina II. 1783 das Sklaventum wieder ein, obwohl es in der Ukraine seit Mitte des 17. Jahrhunderts keine Leibeigenschaft mehr gab40.

3.3. Die ukrainische Nationalbewegung in der Zarenzeit

3.3.1. Das Erbe um die Kiewer Rus

Im Vorfeld der ukrainischen Nationalbewegung stand im 19. Jahrhundert die Frage im Raum, auf welche Weise das russische und ukrainische Volk hervorgegangen seien. Es ging darum, welches der beiden Völker legitimer Erbe der Kiewer Rus sei, im Speziellen, welches der Völker das „ staatlich dynastische Erbe “ der Kiewer Rus angetreten habe41. Es existierten bereits im 12./13. Jahrhundert zwei grundsätzlich verschiedene Geschichtsauffassungen. Die Fürsten des Zarenreichs behielten sich im 15. Jahrhundert vor, die einzigen „ legitimen “ Erben der Kiewer Rus zu sein42.

Im zarischen Russland wurde lediglich ein wissenschaftlicher, theoretischer Diskurs um das Erbe der Kiewer Rus toleriert. Die offzielle Regierungspolitik sah einzig den „ Moskauer Staat “ als Erbe der „ Institutionen, der Kultur und der Traditionen “ der Kiewer Rus an und verbot „ Manifestationen ukrainischer kultureller und sprachlicher Besonderheit “ 43.Wie bereits festgestellt, basierte diese Sichtweise nicht auf historisch belastbaren Fakten.

In der Tat akzeptierten weder die zarische Regierung noch die Mehrheit der russischen Gesellschaft die Ukraine als eigenständige Nation, sondern betrachteten sie in kultureller wie geographischer Hinsicht als „ Kernbestandteil “ der russischen Nation44. Die Ukraine wurde als „ Kleinrussland “ (Malorossija) bezeichnet und die Ukrainer als ein „ Sprössling der russischen Nation, Sprache und Kultur “ angesehen45.

Daher überrascht es nicht, dass die ukrainische Nationalbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich auf eine Interpretation der Geschichte berief, wonach die

Ukraine und die Kosaken als Erben der Kiewer Rus anzusehen seien, vom Zarenregime als sehr beunruhigend eingestuft wurde, da ein möglicher Verlust der Ukraine für die russische Nation und ihr Selbstverständnis als „ worst case “ Szeanrio oder gar zerstörerisch wahrgenommen wurde. Außerdem war die Herrschaft über die Ukraine ein „ Fundament der Großmachtrolle “ Russlands, im Hinblick auf die besondere „strategische und wirtschaftliche Bedeutung“ der Ukraine für das Zarenreich46. Das ukrainische Nationalbewusstsein wurde folglich zu einem Schlüsselproblem der nationalen Identität der Russen47.

3.3.2. Die russische Reaktion auf die ukrainische Nationalbewegung

Aufgrund dessen war die Politik der zarischen Regierung gegenüber ersten Ansätzen einer ukrainischen Nationalbewegung repressiv48. So wurde die 1846 gegründete erste national - ukrainische Organisation „ Bruderschaft des Kyrill und Methodius “ 49, die auf die nationale Unabhängigkeit der Ukraine hinarbeitete, bereits 1847 brutal aufgelöst50. Doch erst der polnische Aufstand 1863 löste die „ extrem aggressiven, antiukrainischen Maßnahmen “ aus. Im Juni desselben Jahres wurde die Verwendung der ukrainischen Sprache in Religion und Bildung verboten51. Im Jahre 1876 wurden der Druck und die Aufführung ukrainischsprachiger Werke sowie die Verwendung des Terminus „ ukrainisch “ untersagt52. Insofern wurde der ukrainischen Sprache endgültig die Existenz aberkannt.

3.3.3. Zwischenfazit

Zwischen 1863 und 1905 wurden schon die „ geringsten Ansätze einer sprachlichen und kulturellen Organisation “ der Ukrainer verhindert, da das Zarenregime die „ Bedeutung sprachlich definierter Ö ffentlichkeiten “ als Keim von Unabhängigkeitsbestrebungen erkannt hatte53. „ Die nationale Kommunikation wurde erschwert und die ukrainische Nationalbewegung entscheidend geschwächt “ 54.

[...]


1 Vgl. http://eng.news.kremlin.ru/news/6889/print

2 Vgl. http://www.aphorismen.de/zitat/36743

3 Vgl. Fischer 2003, S.26

4 Vgl. Harnisch 2013, S. 411

5 Vgl. Fischer 2003, S. 36

6 Vgl. ebenda

7 Vgl. Harnisch 2013, S. 429

8 Vgl. Fischer 2003, S. 36

9 Vgl. Fischer 2003, S. 37

10 Vgl. Harnisch 2013, S. 430

11 Vgl. Fischer 2003, S. 37

12 Vgl. Harnisch 2013, S. 429

13 Vgl. Schmidt 2010, S. 347

14 Vgl. Fischer 2003, S. 41

15 Vgl. Wendt 1992, S. 398

16 Vgl. Fischer 2003, S. 41

17 Vgl. ebenda

18 Vgl. Isajewytsch 1993, S. 41

19 Vgl. ebenda, S. 42

20 Vgl. Wittkowsky 1998, S. 23

21 Vgl. Isajewytsch 1993, S. 43

22 Vgl. Wittkowsky 1998, S. 23

23 Vgl. Isajewytsch 1993, S. 44

24 Vgl. Wittkowsky 1998, S. 24

25 Vgl. ebenda

26 Vgl. ebenda, S. 25

27 Vgl. ebenda, S. 25

28 Vgl. Timtschenko 2009, S. 45

29 Vgl. Wittkowsky 1998, S. 25

30 Vgl. ebenda, S. 24

31 Vgl. Sysyn 1993, S. 51

32 Vgl. Wittkowsky 1998, S. 26

33 Vgl. ebenda, S. 26

34 Vgl. ebenda

35 Vgl. Sysyn 1993, S. 54

36 Vgl. ebenda

37 Vgl. Sysyn 1993, S. 52

38 Vgl. Timtschenko 2009, S. 86

39 Vgl. ebenda

40 Vgl. ebenda, S. 87

41 Vgl. Isajewytsch 1993, S. 32

42 Vgl. ebenda

43 Vgl. ebenda, S. 33

44 Vgl. Kappeler 1993, S. 77

45 Vgl. Plokhy 2006, S. 300

46 Vgl. Kappeler 1993, S. 77

47 Vgl. ebenda

48 Vgl. ebenda, S. 76

49 Vgl. Mark 1993, S. 84

50 Vgl. ebenda, S. 72

51 Vgl. Wittkowsky 1998, S. 27

52 Vgl. ebenda

53 Vgl. ebenda

54 Vgl. Kappeler 1993, S. 77

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Der Antagonismus zwischen Russland und der Ukraine. Erklärung, gemeinsame Geschichte und externe Ideologien
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Politische Wissenschaften)
Veranstaltung
Außen - und Sicherheitspolitik Russlands
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
38
Katalognummer
V308084
ISBN (eBook)
9783668062764
ISBN (Buch)
9783668062771
Dateigröße
953 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
antagonismus, russland, ukraine, erklärung, geschichte, ideologien
Arbeit zitieren
Georg Gouvianakis (Autor:in), 2014, Der Antagonismus zwischen Russland und der Ukraine. Erklärung, gemeinsame Geschichte und externe Ideologien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308084

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