Zur Problematik des Begriffs der Freiwilligkeit in prekarisierten Dienstleistungsverhältnissen am Beispiel illegalisierter MigrantInnen in der Sex-Industrie


Seminararbeit, 2004

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung/ Grundpositionen der fachlichen Debatte

2. Vorgehensweise/ Aufbau der Diskussion

3. Diskussion)
3.1. Diskussion der Grundpositionen
3.1.1. Der neo-abolitionistische Ansatz: Diskussion der Postulate und deren Konsequenzen
3.1.2. Der Legalisierungs-Ansatz: Diskussion der Postulate und deren Konsequenzen
3.2. Der Begriff der Freiwilligkeit
3.2.1. Diskussion der Freiwilligkeitsbegriffe in der Legalisierungsdebatte
3.2.2. Jenseits von Zwang und Freiheit: Freiwilligkeit bei Foucault
3.3. Ist Sexarbeit eine Arbeit wie jede andere? Sexarbeit als prekarisiertes Dienstleistungsverhältnis.

4. Fazit

5. Quellen

1. Einleitung/ Grundpositionen der Debatte

In der feministischen Soziologie bestand lange Zeit die unangefochtene Vorstellung, daß Prostitution stets in unmittelbarem Zusammenhang mit Zwang und Gewalt stünde. Die Prostituierte, die in der Regel ausschließlich, und teilweise ausdrücklich, in ihrer weiblichen Form (Barry 1984:11) betrachtet wurde, konnte unter keinen Umständen selbst die Prostitution gewählt haben: Prostituierte kamen zu ihrer Beschäftigung durch Gewalt, Naivität, Einsamkeit – in jedem Fall nicht durch persönliche Entscheidung. Vorausgesetzt wurde hierbei häufig ein naives junges Mädchen, das in die Fänge eines skrupellosen Mädchenhändlers gelang und zur Prostitution gezwungen wurde:

„Conning a girl or young woman by feigning friendship or love is undoubtedly the easiest and most frequently employed tactic of slave procurers ... and it is the most effective. Young women readily respond to male attention and affection and easily become dependent on it“ (ebd., 5).

Dadurch wurde die Prostituierte als Opfer - und damit als unschuldig - konstruiert. Dem Hinweis auf ihre Unschuld (im Kontrast zur Schuld derjenigen, die freiwillig als Prostituierte arbeitete, und die im sogenannten abolitionistischen Diskurs als gefallenes Mädchen bezeichnet wurde) unterliegt eine implizite Vorstellung von der (freiwilligen) Prostituierten als Kriminellen, die auch in den Fällen, in denen einer juristischen und politischen Kriminalisierung des Opfers ausdrücklich widersprochen wurde, beibehalten wurde. Auf diese Weise kann eine soziale Ordnung aufrecht erhalten werden, die Prostitution verdammt und in der es unmöglich wird, die Interessen der Betroffenen zu vertreten. Diese Position wird heute unter dem Begriff des Neo-Abolitionismus unter Anderem von der Organisation Coalition Against Trafficking in Women (CATW) unterstützt, die jede Art der Sexarbeit als Ausbeutung der Frau und als Menschenrechtsverbrechen verurteilt:

„All prostitution exploits women, regardless of women's consent (...). Prostitution affects all women, justifies the sale of any woman, and reduces all women to sex. Sexual exploitation eroticizes women's inequality.“ (CATW, http://www.catwinternational.org/about/ )

Eine Unterscheidung zwischen freiwilliger Sexarbeit und erzwungener Prostitution wird von den VertreterInnen des neo-abolitionistischen Ansatzes folglich abgelehnt.

Dem entgegen stellen sich seit Mitte der 1970er Jahre (Doezema 1999:12) verschiedene Autorinnen und Organisationen, die die Freiwilligkeit der Entscheidung zur Prostitution in den Vordergrund stellen. Als Dachorganisation der Vertreter dieses Diskurses, den ich in dieser Arbeit als Legalisierungs-Ansatz bezeichnen möchte, versteht sich die 1994 in Thailand gegründete Global Alliance Against Trafficking in Women (GAATW).

Prostitution wird hier als eine ganz normale Arbeit dargestellt, die gleiche Anerkennung und Schutz verdient wie jeder andere Beruf und die grundsätzlich freiwillig aufgenommen werden kann. Ziel ist die Verbesserung der Situation der sogenannten Sexarbeiterinnen unter grundsätzlicher Beibehaltung der Sexarbeit als Option zum Verdienst des Lebensunterhalts und unter ausdrücklicher Verurteilung jeder Form von Zwang in der Sexarbeit:

„At the international level, countries must recognise the rights of all migrant workers, including sex workers, and apply all international human rights law to trafficked persons, as well as cooperate to locate and prosecute traffickers.“ (GAATW, http://www.gaatw.org/).

2. Vorgehensweise/ Aufbau der Diskussion

In dieser Arbeit möchte ich die theoretischen und praktischen Konsequenzen der jeweiligen Positionen im Freiwilligkeits-Diskurs beleuchten, ihre Unzulänglichkeiten und Grenzen aufzeigen und versuchen, eine eigene Position zu entwickeln. Ich werde dabei den Begriff der Freiwilligkeit einer kritischen Betrachtung unterziehen und die Problematik der implizit unterstellten Möglichkeit einer freien Wahl bei der Aufnahme prekarisierter Arbeitsverhältnisse darstellen. Dabei werde ich kurz auf den Subjektbegriff in Foucaults Spätwerk eingehen, der über die klassische Dichotomie von Freiheit und Zwang hinaus weist. Anhand der Techniken des Selbst werde ich so die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Handlungsfreiheit darstellen, ohne dabei strukturelle Ungleichheit zu relativieren und zu verschleiern. Schließlich werde ich darstellen, warum es sich bei Sexarbeit (und anderen prekarisierten Arbeiten) zwar um Arbeit, nicht aber um eine normale Arbeit wie jede andere handelt, und wie sie zu normalisieren ist.

Ich werde dabei in Hinblick auf die Vielseitigkeit bezahlter sexueller Dienstleistungen und ihren auf Gelderwerb ausgerichteten Charakter den Begriff Sexarbeit benutzen. Der Begriff Prostitution erscheint mir zu einseitig und zu negativ besetzt.

Als Vertreter des neo-abolitionistischen Ansatzes habe ich die CATW-Gründerin Kathleen Barry, sowie die feministische Essayistin Elaine Audet und CATW-Mitglied Janice Raymond ausgewählt.

Literatur von Laura Agustín, Mitglied der MigrantInnen-Organisation C onexiones Para Migrantes, Jo Bindman (Anti-Slavery International), Thérèse Blanchet, Melissa Ditmore (Network of Sex Work Projects), Jo Doezema (Network of Sex Work Projects), Kamala Kempadoo, Penelope Saunders und Jo Weldon (SWIMW) wurde als Referenz für den Legalisierungs-Ansatz benutzt.

3. Diskussion

3.1. Diskussion der Grundpositionen

Je nachdem, welchem Paradigma man bei dem Versuch, die Situation von Sexarbeitern zu verbessern, folgt, produziert man, gewollt oder ungewollt, eine ganze Reihe theoretischer und praktischer Konsequenzen. Dies ist unvermeidbar, sollte aber dennoch bedacht werden. Im Folgenden möchte ich darstellen, welche Konsequenzen sich aus den beiden wichtigsten Positionen in der Freiwilligkeits-Debatte ergeben.

3.1.1. Der neo-abolitionistische Ansatz: Diskussion der Postulate und ihrer Konsequenzen

Die Konsequenzen des neo-abolitionistischen Diskurses sind von Vertretern des Legalisierungs-Ansatzes vielfach kritisiert worden. Die Kritikpunkte beziehen sich einerseits auf die Vorgehensweise neo-abolitionistischer TheoretikerInnen und andererseits auf das Persönlichkeitsbild, das diese von der Sexarbeiterin zeichneten.

So würden z.B. unkritisch fragwürdige Statistiken verwand, die teilweise extrem variierten:

„To any conscientious social scientists, such discrepancies should be cause for extreme suspicion of the reliability of the research, yet when it comes to sex work and prostitution, few eyebrows are raised and the figures are easily bandied about without question“ (Kempadoo 1998, zit. in Doezema 1999:11)

Statistische Erhebungen seien durch Suggestivfragen und nicht repräsentative Stichproben von fragwürdiger Aussagekraft (Agustín und Weldon[1] ). Sexarbeit werde pauschal und auf unzulässige Weise mit Trafficking gleichgesetzt und Zahlen über die Anzahl von Migranten in der Sexindustrie unverändert für Trafficking-Opfer übernommen (Doezema 1999:11). SexarbeiterInnen selbst kämen in der Regel nicht zu Wort und wenn sie doch die Gelegenheit hätten, eine abweichende Meinung kund zu tun, so würde ihnen eine verzerrte Wahrnehmung unterstellt (Agustín und Weldon):

„For Third World prostitutes, the result is that NGOs, feminists and governments relentlessly construct them as objects who are talked about, moved about, pitied and seen as needing 'help'. Many Euramerican feminists compete and argue among themselves about how best to help prostitutes. The problem with this impulse to help can be seen as far back as Josephine Butler's famous comment that if she were a prostitute she would be crying all day. Present-day feminist abolitionists continue this projection of their own ideology of sex onto all other women, assuming they know where lies some true, essential, correct pleasure.“ (Agustín a).

An dieser Stelle geschieht also etwas, das Spivak in dem Satz „The subaltern cannot speak“ zusammenfasst. Damit ist nicht die körperliche oder geistige Unfähigkeit zu sprechen gemeint, sondern die Ignoranz westlicher/ weißer Intellektueller gegenüber der subalternen Stimme. Der Akt des Sprechens ist aber bedeutungs- und wirkungslos ohne das Gehört-Werden:

“So, ‚the subaltern cannot speak‘, means that even when the subaltern makes an effort to the death to speak, she is not able to be heard, and speaking and hearing complete the speech act.” (Spivak 1996:292, zit. in Gutiérrez Rodríguez 1999:7).

Gleichzeitig werde ein völlig hilfloses und unbedarftes Subjekt konstruiert und Dritte-Welt-Frauen mit Kindern gleichgesetzt. In statistischen Erhebungen träten häufig Kategorien auf, die Frauen und Mädchen zwischen 12 und 30 Jahren in einer Gruppe zusammen fassten und so ein Bild der Dritte-Welt-Frau als ewiges Kind konstruierten, ein Vorgang, den ich mit Avtar Brah als Minorisierung bezeichnen möchte.[2]

„Postcolonial feminists have criticised this tendency to infantilise Third World women, to construct them as 'traditional', 'domestic', backward and generally in need of help. Consistently agency and power are taken from these subjects, making them passive victims of imperialism, development and violent men." (Agustín a)

Eine Folge dieser Minorisierung erwachsener Frauen sei, daß ihre Meinung in der Regel nicht beachtet, bzw. herabgewürdigt werde. Es werde über ihre Köpfe hinweg gehandelt und, ausgehend von der unterstellten Homogenität der Interessen aller Frauen im globalen Maßstab, von zumeist westlichen/ weißen Frauen, die nicht aus dem Sexsektor kommen, entschieden, was gut für sie sei. Dadurch würden die tatsächlichen heterogenen Bedürfnisse der im Sexsektor beschäftigten Frauen (und Männer und Kinder) nur zu einem sehr kleinen Teil berücksichtigt. Die Bedürfnisse der großen Zahl der freiwillig im Sexsektor beschäftigten Frauen und Männer würden in der Regel missachtet, wodurch ihre Situation prekär bleibe.

[...]


[1] Ich war beim Verfassen dieser Arbeit in hohem Maße von Internet-Quellen abhängig. Bei einigen Quellen waren keine Angaben über den Zeitpunkt der Veröffentlichung zu finden. Wenn es sich nicht um pdf-Dateien handelte habe ich auch keine Seitenzahlen angegeben, da der Text in der Quelle auch nicht in Seiten unterteilt war. In der Regel sind die Texte aber nur wenige Seiten lang.

[2] Minorisierung bedeutet bei Brah die Konstruktion ethnisierter Gruppen als minderjährig und hilfsbedürftig, wodurch Bevormundung gerechtfertigt wird (Erel 2003:111).

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Details

Titel
Zur Problematik des Begriffs der Freiwilligkeit in prekarisierten Dienstleistungsverhältnissen am Beispiel illegalisierter MigrantInnen in der Sex-Industrie
Hochschule
Universität Hamburg  (Sozialwissenschaftliches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V31678
ISBN (eBook)
9783638326025
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Problematik, Begriffs, Freiwilligkeit, Dienstleistungsverhältnissen, Beispiel, MigrantInnen, Sex-Industrie
Arbeit zitieren
Franka Winter (Autor:in), 2004, Zur Problematik des Begriffs der Freiwilligkeit in prekarisierten Dienstleistungsverhältnissen am Beispiel illegalisierter MigrantInnen in der Sex-Industrie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31678

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