Cicero, Terentia und Tullia. Dynamik, Wandel und Scheitern der römischen Ehe anhand einer spätrepublikanischen Familie


Examensarbeit, 2014

152 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Exordium –Ehe im Rampenlicht

2 Methodik und Vorgehensweise
2.1 Zielsetzung und Struktur
2.2 Treggiaris Werk und Vorbild
2.3 Cicero im Urteil der Nachwelt

3 Das Medium des Briefes
3.1 Der Brief im Allgemeinen
3.2 Cicero als Briefautor
3.3 Sprachliche Besonderheiten und Eigentümlichkeiten
3.4 Privat oder für die Öffentlichkeit bestimmt?
3.5 Die Problematik der Überlieferung

4 Die Römische Ehe in der späten Republik
4.1 Status und Rechte der Frau in Rom
4.2 Formen der Eheschließung
4.2.1 Confarreatio
4.2.2 Coemptio
4.2.3 Usus
4.2.4 Veränderungen und Novitäten
4.3 Intentionen der Ehe und der Scheidung
4.3.1 Heiratspolitik: die politische Zweckehe
4.3.2 Romantik und echtes Glück
4.3.3 Gründe für Scheidungen
4.4 Evolution der Emanzipation oder mehr Schein als Sein

5 Ciceros Ehe in Briefen
5.1 Intentionen der Eheschließung
5.2 Arcana – was verborgen bleibt
5.3 Ciceros Verhältnis zu seiner Frau
5.3.1 Quid de Terentiae morbo comperire possimus
5.3.2 Eheliche Zuneigung und Zugeständnisse
5.3.3 Das Exilium als Grund für beginnende Entfremdung
5.3.4 Die Scheidung als einzige Ausweg
5.3.5 Der letzte Brief an Terentia
5.3.6 De Ciceronis Caerellia necessaria
5.3.7 Die Abwicklung der Scheidung
5.4 Erneute Heirat, erneute Scheidung – nur ein Lapsus?
5.5 Terentias Leben nach der Scheidung
5.6 Tullias Ehen, Ciceros Kummer

6 Die Bilanz (s)einer Ehe

1 Exordium – Ehe im Rampenlicht

Die Ehen von Politikern und anderen Prominenten scheinen schon seit langem geradezu einem Fluch zu unterliegen: Die allerwenigsten von ihnen währen ewig, sie sind mitunter wahrste Eintagsfliegen.

Spontan mag einem da der in jüngster Vergangenheit gleichsam gestürzte deutsche Bunderpräsident in den Sinn kommen, wie er der Bestechlichkeit verdächtigt wurde, was ihm letztendlich jenes höchste politische Amt kostete. Seine Frau ließ sich freilich, da er aller Würde, politischer wie privater, beraubt war, rasch von ihm scheiden, Ersatz war schnell gefunden.

Was nun wie der alltägliche billige Klatsch anmutet, und tatsächlich auch ist, hätte auch vorzüglich in Ciceros Zeit gepasst: Dieser war auch am meisten damit beschäftigt, seine Kollegen und Politikerfreunde in Prozessen zu verteidigen, nachdem man sie ungerechtfertigt irgendwelcher Vergehen, oft auch Kapitalverbrechen, bezichtigt hatte (calumnia) mit dem Ziel, sich auf diese Weise ihrer bequem zu entledigen (i.e.exsilium).

Ciceros Scheidung zeigt indes Parallelen zu der von Wulff auf, obschon die Scheidung des letzteren von der Frau ausging: Beide waren nach einer „Affäre“ politisch kaltgestellt, hatten an Würde und Ansehen kräftig eingebüßt, und nun erkannten ihre Frauen, dass sie keine Lust mehr auf jene „Geächteten“ hatten.[1]

Zugegeben, im Falle Ciceros handelt es sich dabei um eine bloße Vermutung, was später von mir noch genauer ausgeführt werden soll, doch vorstellbar ist es für uns allemal, dass die Terentia Cicero zur Scheidung „reizen“ wollte (im Gegensatz zu anderen Frauen ihrer Zeit wird sie wohlhabend genug gewesen sein).

Was Cicero angeht, so war eine Scheidung wohl für ihn wie auch für seineaequalesan sich nichts Ehrenrühriges; vielmehr schrieb man Dingen wie Ehrverlust, Ächtung, Ansehen bei Freunden und Politikern etc. große Bedeutung zu, während das Privatleben und besonders das Eheleben hintanstehen musste.

Was die Nachvollziehbarkeit der Scheidungsgründe oder eher der individuellen Begründung angeht, so haben wir in Bezug auf Cicero einerseits einen Nachteil, andererseits durch ebendiesen wieder einen Vorteil:

Zunächst einmal liegt Ciceros Scheidung ungefähr 2060 Jahre zurück, was für uns bedeutet, dass eine Vielzahl an Dokumenten verloren gegangen ist, Vorgänge nicht mehr nachvollziehbar und höchstwahrscheinlich alle Zeitzeugen tot sind, mit Ausnahme von Ciceros Briefen. Und genau die versorgen uns nun mit einer Fülle an teils intimen Informationen zum Privatleben, zum Geisteszustand, zu Gefühlsregungen, kurzum: zur ganzen Person Ciceros.

Der Vorteil besteht also darin, dass Cicero geradezu abundant viele Briefe schrieb, wie er auch sonst literarisch äußerst produktiv war,[2]ein Umstand, den wir bei aktuellen Politikern und ihren skandalträchtigen Scheidungen nicht haben, da ja heute niemand mehr Briefe schreibt. Wir können zwar unsere Zeitgenossen heute interviewen, doch dabei erfahren wir wohl nur selten die ganze Wahrheit, noch dazu nicht in einer solchen Detailfülle. Wenn sich aber ein Cicero seinen Freunden und besonders dem Intimfreund Atticus anvertraut, gibt es wohl deutlich weniger Grund, den Wahrheitsgehalt des dort Geschriebenen gänzlich anzuzweifeln.

Das teils exzessive Scheidungsverhalten der römischen Oberschicht in der späten Republik war geprägt von politischen wie auch finanziellen Aspekten.[3],[4]Letzterer schien für Cicero eine gewichtige Rolle bei der Scheidung von Terentia und vor allem bei der Heirat mit Publilia zu spielen.

Doch übten neben Reichtum auch Ansehen (diehonestas, heute neudeutsch „Image“ genannt) und Macht eine enorme Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht aus.

Das trifft auch noch für unsere Zeit zu: Je prominenter die Leute sind, desto leichtfertiger und unbekümmerter lassen sie sich scheiden, so scheint es jedenfalls.

Jedoch haben wir keinen Zugang zu verlässlichen Daten, um eine Scheidungsrate zu berechnen. Nicht so wohlhabende Menschen werden sich tendenziell weniger häufig mit Scheidungen (finanziell) zusätzlich belastet haben, wobei von ihnen freilich auch keine Grabinschriften erhalten sind, da sie sich solche nicht leisten konnten.[5]

Zur Steigerung der Scheidungsfälle wird jedenfalls die Tatsache beigetragen haben, dass es in der späteren republikanischen Zeit keiner bestimmten Begründungen mehr bedurfte, wenn man sich scheiden lassen wollte; eine Scheidung war von nun an auch zulässig, wenn eine Frau unschuldig war, so zum Beispiel, wenn sie keine Kinder gebar. Zudem musste der Mann keinen finanziellen Ausgleich deswegen erbringen – d.h. keine Halbierung des Vermögens mehr, dafür Rückerstattung der Mitgift.[6]

Für viele scheinen solche Aussichten allzu verlockend gewesen zu sein; doch gab es auch glückliche Ehen. Zeiten ändern sich, heißt es, doch Manches ändert sich eben nie.

2 Methodik und Vorgehensweise

Es folgt eine Darstellung der für diese Arbeit gewählten und angewandten Methodik, sowie des Aufbaus und der Grundlagen der vorliegenden Untersuchung.

2.1 Zielsetzung und Struktur

Diese Arbeit verfolgt das hehre Ziel, die römische Ehe in der späten Republik anhand von Ciceros Privatleben in Hinsicht auf seine Ehe mit Terentia und deren Scheitern eingehend zu analysieren. Dieses Thema wird generell in den Biographien bloß kurz angeschnitten, angetastet, letztendlich doch nur gestreift.[7]Der Bedeutung der Sache und der Rolle gerade von Terentia wird das nicht gerecht, wie ich finde, gerade wenn man an Terentias Bedeutung für Ciceros Rückkehr nach Rom denkt, aber auch an ihre gewiss starke Persönlichkeit. In der einschlägigen Literatur zur römischen Ehe, ja selbst in denjenigen Werken, die sich ausschließlich mit Ciceros Privatleben befassen (siehe Treggiari oder die Dissertation von Ermete), finden sich – gewiss auch aus Platzgründen – kaum Originaltexte und nur selten übersetzte Ausschnitte. An sich wäre darauf zu verzichten, mag man denken, doch es liegt in der Natur solcher Arbeiten, dass man bisherige Deutungen gerade einschlägiger Briefstellen nicht anzweifelt, sodass man in der Folge wenig Neues dazu berichten kann. Jedoch sollte eine Interpretation immer am Text selbst (i.e. textimmanent) erfolgen, kritisch beurteilt und nicht von anderenpropugnatoresoderantistitesauf dem jeweiligen Gebiet einfach übernommen werden.

Hierin liegt nun das Besondere an meiner Arbeit begründet, da ich einerseits vorhandene Sekundärliteratur mit meinen eigenen Erkenntnissen, die ich aus den Briefen gewonnen habe, vergleiche, andererseits die sprachliche Komponente immer größte Beachtung erfährt.

Das Gebiet der Handschriften und der Überlieferungstradition der Briefe dagegen, auf welche ich im Weiteren nicht näher eingehen kann, ist hinreichend gut erforscht worden;[8]die Editionen verlangen nicht nach Nachbearbeitung, keine Emendationen erscheinen mehr wirklich sinnvoll (das gilt jedenfalls für die hier angeführten Textstellen).[9]Hinzu kommt, dass sich die Quellenlage im Falle Ciceros nicht nur qualitativ gut, sondern sogar außerordentlich reichhaltig gestaltet, so dass es sich anbietet, originale Texte in die Arbeit zu integrieren, was für mich von Anfang an feststand. Wenn nämlich überhaupt eine Ehe aus der Zeit der römischen Republik eingehend betrachtet werden kann, dann steht doch eigentlich die des Cicero an erster Stelle.

Doch auch die kurzzeitige Ehe mit Publilia, Ciceros Mündel, wird im Folgenden thematisiert werden, auch im Zusammenhang mit Tullias Tode, der zur selben Zeit eintrat. Was Tullia angeht, so werden ihre Ehen, soweit aufgrund des recht knappen Materials möglich, studiert und ausführlich vorgestellt; besonderes Augenmerk lag hierbei auf den juristischen Details und innerfamiliären Debatten (über Scheidung, Mitgift etc.).

Zu weiteren Vergleichszwecken dient außerdem die Ehe zwischen Ciceros Bruder Quintus und der Pomponia. Hier können wir Ciceros Sicht auf eheliche Spannungen nachverfolgen, die er uns in seiner Korrespondenz mit Atticus mitteilt.

Die rechtliche Stellung und der gesellschaftliche Status der römischen Frau wird gesondert und in aller Ausführlichkeit erörtert werden. Hierbei liegt der Schwerpunkt selbstredend auf der Zeit der späten Republik, wobei jedoch Änderungen und Tendenzen im Vergleich zu früheren (und bisweilen späteren) Zeiten aufgezeigt werden. Oft handelt es sich dabei um juristische Grundlagen eher theoretischer denn praktischer Natur; dieses Spannungsfeld aus Theorie und Praxis wird schließlich durch die hier behandelten reale(n) Ehe(n) aufgelöst, die uns einen klärenden Einblick in die tatsächlichen Verhältnisse gewähren.

In sporadischen, kleinen Exkursen, die in den fließenden Text integriert wurden, aber bei der Lektüre auch übersprungen werden können, werde ich relativ knapp auf die römische Innenpolitik jener Zeit ab 63 bis ca. 48 v. Chr. sowie auf (charakterliche) Aspekte in Ciceros politischem Handeln seit seinem Konsulat eingehen, um darin Spuren potentieller Motive oder Gründe für die Scheidung zu finden.

Die Cicero-Biographien Gelzers und Fuhrmanns erwiesen sich als hilfreich, wobei sich ersterer durch Genauigkeit und sein „behutsam abwägendes Urteil“ über Cicero auszeichnet und letzterer den Unzulänglichkeiten des Politikers Cicero unter Einbeziehung menschlicher Aspekte gerecht zu werden sucht.[10]

Wie bereits erwähnt, besteht kein Mangel an Quellenliteratur: Cicero selbst liefert uns mit seinen Briefen alle Zeugnisse für sein Leben als Politiker, seine literarische Tätigkeit und schließlich seinen Werdegang als Privatmann. Zudem können wir Kommentare von Zeitgenossen (Caesar, Sallust) und Ausführungen späterer Biographen (Plutarch) konsultieren, was ich allerdings eher vermied.[11]

Allein die gigantische Menge von ca. 900 Privatbriefen (100 davon entstammen dem Stilus der Korrespondenten) dürfte den Rahmen einer solchen Zulassungsarbeit leicht sprengen:[12]So musste ich mich denn auch sehr einschränken in meiner Auswahl der Briefe,quod mihi valde displicuit.

Mein Hauptaugenmerk lag also besonders auf den Briefenad familiaresundad Atticum, aus welchen ich diejenigen Briefstellen zitiere, die für diese Arbeit von Bedeutung sind; eine eigens von mir angefertigte Übersetzung sowie – wo es notwendig und angemessen erschien – die sprachliche Analyse und Interpretation der jeweiligen Textstelle sind fester Bestandteil dieser Studie.

Die zitierten Briefstellen richten sich, wenn nicht anders vermerkt, nach den anerkannten Editionen mit englischen Übersetzungen bzw. Anmerkungen von Shackleton Bailey, Winstedt oder Williams; auch die teils konkurrierenden Ausgaben der Briefe an Atticus, herausgegeben von Shackleton Bailey, wurden auf Unstimmigkeiten, wie z.B. eine abweichende Lesart, von mir überprüft, jedoch ohne Befund, sodass ich mich, außer bei Unklarheiten bezüglich der Überlieferung bzw. derlectio difficilior, an die vorliegenden Versionen der Briefe hielt und diese auch mit Kommentaren zu möglichen Emendationen abglich.[13]

2.2 Treggiaris Werk und Vorbild

Susan Treggiaris im Jahre 2007 publiziertes BuchTerentia, Tullia and Publilia: The Women of Cicero’s Familyist die logische Konsequenz ihrer bisherigen Forschungsarbeit (vgl. “Divorce Roman Style: How Easy and how Frequent was it?”).[14]Im Grunde zeigt sie in Aufbau und Inhalt frappierende Ähnlichkeiten zu einem Aufsatz aus dem Jahr 1996 von Claassen.[15]Doch auch ein Makel ist beiden gemeinsam, nämlich das Fehlen von zitierten Textstellen. Zudem konzentriert sich Claassen m. E. zu sehr auf Beurteilungen und Zeugnisse abseits von Ciceros Briefen (wie Plutarch), denn so kann keine neutrale Perspektive erhalten bleiben.

Wie Sarah Cohen in ihrer Rezension zu Treggiaris Werk konstatiert, rückt das Buch vor allem Terentia in den Fokus, während Tullia nur in Verbindung mit ihrem Vater oder ihrer Mutter beachtet und genannt wird. Über Publilia wird hingegen kaum etwas gesagt. Glücklicher wäre es gewesen, Pomponia miteinzubeziehen, da man von ihr etwas mehr Informationen in Ciceros Briefen bekommt und herausziehen kann. In Bezug auf Tullia wird nur die unglückliche Ehe mit Dolabella beleuchtet, der Rest bleibt im Dunkeln. Insgesamt ist die Darstellung sehr auf die Beziehung zw. Terentia und Cicero fixiert bzw. beschränkt, wobei doch viel mehr hätte erwähnt werden können. Es werden auch keine bzw. zu wenige Mutmaßungen und vor allem damit verbundene Beweisführungen angestellt, was aber anhand des reichen Materials wünschenswert gewesen wäre.[16]

Eine unhaltbare Vermutung wird geäußert, nämlich dass die Eheschließung bereits vor 79 v. Chr., als Cicero Rom verließ, um auf seine Bildungsreise nach Athen zu gehen, stattgefunden haben müsse, und dass Terentia ihn jedenfalls auf jener (Reise) begleitet habe.[17]

Außerdem behauptet Treggiari auf S. 76 ihres Buches, dass es nie eine Hochzeit zwischen Tullia und Furius Crassipes gegeben habe. Auch über Terentia Leben nach Ciceros Tod (cf. S. 151) erfährt der Leser nichts Neues oder Konkretes: Sie sei entweder alleinstehend geblieben oder habe Sallust, den einstigen Rivalen Ciceros, geheiratet, schließlich den Redner M. Corvinus (cos. 31) geehelicht. Auch dass alternativ ebendieser Corvinus Publilias dritter Mann gewesen sein könnte, ist bekannt (Terentia wäre wesentlich älter gewesen als er!). Die ersten beiden Kapitel von Treggiaris Werk enthalten darüber hinaus Unmengen an Allgemeinplätzen.[18]

Treggiari will eine Balance zwischen Cicero und Terentia erreichen: Indem sie behauptet, Terentia sei zu Unrecht kritisiert worden von Gelehrten der Neuzeit, welche wiederum angeblich als Männer mit Cicero sympathisiert und sich gegen seine Frau verschworen hätten, ergreift Treggiari jedoch – unbewusst? – Partei für Terentia. Die leider fehlende Betrachtung der Pomponia muss Leach auch monieren. Der Vorsatz, den Leser dort zu eigenen Vermutungen anzuregen, wo wir keine Belege oder Anhaltspunkte haben, ist ein frommer Wunsch – mangels originaler Textbelege fällt es schwer, die eigene Phantasie anzuregen.[19]

Bei Treggiaris Werk steht letztendlich die Lesbarkeit – auch und vor allem für Laien – im Vordergrund.[20]Das Buch ist weitestgehend im Stil eines Romans geschrieben, wenngleich es dafür thematisch noch zu fachspezifisch sein dürfte. So kommt es denn auch, dass neben vielerlei unbelegten Mutmaßungen keine Briefe, wie es in meiner Arbeit der Fall ist, explizit erwähnt oder gar im Original zitiert werden. Bisweilen muss man sich mit aus dem Zusammenhang gerissenen Übersetzungen begnügen, sofern überhaupt vorhanden, ein Umstand, der für Verdruß sorgt, da man einige Schlußfolgerungen Treggiaris nicht nachvollziehen kann. Zudem erscheint es schwierig, nur anhand gestelzter Übersetzungen eigene Schlüsse zu ziehen und sich ein eigenes Bild von der jeweils geschilderten Situation zu machen.

2.3 Cicero im Urteil der Nachwelt

Sehr verschiedenartig fiel die Beurteilung Ciceros in der Neuzeit aus: Während sich das Cicero-Bild im englischen Sprachraum durchweg positiv und wohlwollend gestaltete, bildete sich in Deutschland gerade vor jenem zeitgeschichtlichen Hintergrund eine Riege von Kritikern, der u.a. Mommsen angehörte.

Gerade Ciceros politische Ausrichtung, da er ja überzeugter Republikaner war, wurde dabei scharf kritisiert, wohingegen Caesar oft überschwänglichen Beifall fand. Jene Schmähungen auf Cicero gingen einher mit einer ausgeprägten Abneigung gegenüber seinen Schriften und bisweilen mit einer daraus resultierenden Unkenntnis derselben.[21]Doch fiel bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts (Horneffer und Aly) die Beurteilung des Cicero durchaus versöhnlich aus, da man erkannt hatte, dass Cicero mehr ein Opfer des politisch und gesellschaftlich bereits siechen und vorbelasteten Roms war, als dass er selbst Fehler gemacht hätte.[22]

Die vernichtendste Einschätzung zu Cicero bietet sich uns bei Mommsen, wobei man sich den soziokulturen Hintergrund eines Mannes jener Zeit vor Augen halten muss:

„Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht, hat er nach einander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchen figurirt und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist.“[23]

Der Vorwurf der angeblichen Unbeständigkeit und Leichtfertigkeit (inconstantia,levitas) gerade in Hinsicht auf politische Fragen konnte hinlänglich widerlegt werden. Auch wenn schon Ciceros Gegner ihn 54 v. Chr. derlevitasbezichtigten, was Mommsen allzu bereitwilligt übernommen zu haben scheint, ist dies deswegen noch lange keine Tatsache – aufgrund seines Status,equestri loco natus, und seines Erfolgs zog Cicero nämlich Anfeindungen an. Somit konnte ihm dieses Stigma leichter anhaften als etwa dennobiles. Heutzutage sieht man jenen „Wankelmut“ eher als Flexibilität an, die Cicero auch brauchte, um seinen politischen Einfluss geltend machen zu können. Dass er dabei so manche Entscheidung im Nachhinein revidieren, neue Verbindungen knüpfen (foedera) und Gefälligkeiten erweisen musste, die auf Gegenseitigkeit beruhten, (politischeamicitia) liegt in der Natur der Sache. Hinzu kamen seine, im Vergleich zu den Adligen, geringeren Ressourcen und die kleinere Lobby um ihn herum, beides Umstände, die seinen Rückhalt im Staate ständig auf die Probe stellten. Weiterhin waren es doch eher seine Zeitgenossen, die wankelmütig und unentschlossen waren, gleich ob man den Senatorenstand betrachtet oder die Revolutionären (Triumvirat, Volkstribunen): Daher war es schwer bis unmöglich für Cicero, sich der einen oder anderen Partei anzuschließen, wie es auch imbellum civileder Fall war. Jene scheinbare Liebedienerei nach der jeweils geeigneten politischen Seite war Cicero peinlich (subturpicula– „etwas schimpflich“), doch wusste er ja, dass er keine Popularitätshascherei betrieb, sondern für das einzig moralisch Richtige und Gute eintrat (cf.Att.4,5,1), auch wenn es manchmal einer Verdrehung der Wahrheit bedurfte. Letztendlich muss man Cicero vorausschauendes Handeln und kluge Einsicht, Nachgiebigkeit, Anpassungsfähigkeit an veränderte Umstände, ein unerschütterliches Gefühl für Gerechtigkeit, sowie Milde gegenüber früheren Gegnern attestieren.[24]

Demzufolge war nicht Cicero das Werkzeug der Herrscher, sondern allenfalls ‚seine‘ Sprache, also das elaborierte, feine Latein, das erst er für die Weltmacht Rom und den Imperialismus salonfähig machte.[25]

Wenngleich Mommsen über Ciceros menschliche, moralische und staatsmännische Qualitäten ein vernichtendes Urteil fällte, so kann und muss man für eine Untersuchungen von dessen Privatleben andere Maßstäbe ansetzen als diejenigen, welche für Cicero als Politiker und Philosoph gelten;[26]denn schließlich geht es hier um den Menschen Cicero.

Um ein realistisches Bild von Cicero zu bekommen, das ihm auch gerecht wird, möchte ich eine überaus treffliche Charakterisierung wiedergeben:

„Wenn ich lediglich nach dem Eindruck urteile, den ich aus den Schriften über den Verfasser gewinne, stellt sich mir Ciceros Natur etwa folgendermaßen dar. Er war ein kleiner Mensch, (…) nicht genial in unserem Sinne. Er verstand die Kunst, bis an sein Lebensende fleißig zu lernen, war aufmerksam auf alles, unermüdlich und unbeirrbar, ein wenig Pedant, ein wenig Mustermensch, geriet nie auf Abwege, blieb immer gesittet, willig und emsig. Es fehlte ihm an Leichtsinn. Er liebte die Tugend auf engherzige Weise und hatte sogar eine wenig Verwandtschaft mit dem Kleinbürger, der sich gegen alles Ungewöhnliche auflehnt. (…) Cicero hatte sein Ziel fest im Auge. Dies Ziel war: so hoch zu kommen als möglich, angesehen, berühmt und den großen Vorbildern der Vergangenheit gleich zu werden. Er war ehrgeizig und eitel; er liebte den Weihrauch, ohne viel zu fragen woher er kam. Seine Selbstgefälligkeit entstammte einer glücklichen Naturanlage und war keine Hemmung und Gefahr für seine Entwicklung; sie förderte ihn sogar.“[27]

Ferner mangele es Cicero „an Bescheidenheit und (…) an einer gewissen Großzügigkeit. Wo wir moralisch zu sein lieben und erstreben, versagt er, und wo wir der Unmoral das Wort reden möchten, ist er moralisch.“[28]

„Cicero als organisierter Mensch, als beseelte Form, als fleischgewordene Bildung, die deshalb nicht epigonenhaft ist, weil sie Natur geworden ist, so empfehle ich ihn unseren Zeitgenossen. Und gerade ihn vor manchen andern!“[29]

Zu dieser Beurteilung kam Horneffer vor allem nach der Lektüre der Briefe,[30]sodass wir, wenn wir uns mit Ciceros Ehe auseinandersetzen, auch etwas über ihn als Privatmenschen erfahren.

3 Das Medium des Briefes

Cicero zählt zu den bedeutendsten und bekanntesten Briefautoren im römischen Sprachraum, weshalb ich mich vor allem auf ihn, seine Briefe und seine Zeit konzentieren werde.

3.1 Der Brief im Allgemeinen

Der Grund für das Schreiben von Briefen war – neben dem Mangel an anderen Kommunikationsformen bei räumlicher Trennung – in erster Hinsicht dieamicitia, wobei die Art und Weise des Briefverkehrs (Veranlassung, Inhalt, Form) dem ständigen Wandel der Gesellschaft unterlag und von den daran beteiligten Personen maßgeblich abhing.[31]

Aus rein handwerklicher Sicht lässt sich feststellen, dass die Briefe meist auf Papyrusblättern geschrieben wurden, die zusammengerollt bzw. gefaltet und versiegelt mehr oder minder zuverlässigen Boten zur Zustellung übergeben wurden.[32]

Die Schreibanlässe waren auch weitestgehend dieselben wie heute noch: Geburtstagsgrüße, Kondolenzen, Glückwünsche, Hochzeiten etc. Meist waren die Briefe von formelhaften, inhaltsleeren Sentenzen geprägt (nicht jedoch bei Cicero). Das Präund Postskript blieb abgesehen von einigen Variationsmöglichkeiten im Grunde immer gleich aufgebaut, wie wir später noch sehen werden.[33]

Man kann nun eine Unterscheidung zwischen dem Brief als solchem und der Epistel treffen: Der echte „Brief“ ist wohl eigentlich für den bzw. die Empfänger selbst bestimmt, während eine „Epistel“ für eine weitreichendere Leserschaft gedacht ist. Ersterer sei nach Adolf Deißmann eher unliterarisch oder vorliterarisch (er sah private Briefe nicht als Literatur im engeren Sinne an), letztere zähle zur echten Literatur, sei demnach künstlicher. Im privaten Brief gibt sich der Verfasser somit ganz natürlich, während er sich in der Epistel stilisiert bzw. verstellt. Der Brief an sich ist reines Mittel zum Zweck, die Epistel verfolgt ein höheres Ziel, wie die Beeinflussung anderer, Rechtfertigung, Darlegung eines Sachverhaltes.[34]

3.2 Cicero als Briefautor

Die antike Brieftopik ist ein schier endloses Gebiet, weshalb ich mich auf Cicero beschränken wollte. Ciceros Briefwechsel wiederum ist ebenso endlos und reichhaltig, weshalb ich mich auf die markantesten bei Cicero vorkommenden und von ihm auch geprägten Briefmotive konzentriere. Ausgehend von den Schlagwörterniocari(scherzen) undcolloqui(sich unterreden) können wir in Ciceros Briefwechsel (mit seinen der Epistolographie kundigen Freunden) zwei grundlegend verschiedene Schemata mit jeweils drei ‚Unterpunkten‘ bzw. Themenbereichen ausmachen: Das erste Schema beinhaltet die Mitteilung wichtiger Neuigkeiten an Abwesende, dann eine gewisse leutselige Vertrautheit, und schließlich ernste Themen. Das zweite hingegen beginnt mit Nichtigkeiten bzw. Allgemeinem, dann folgen erfreuliche Nachrichten, schließlich Verdrießliches und Trauriges, wozu das Geben von Versprechen und/oder Trost gehört.[35]

Doch solche Schemata unterliegen keineswegs einem verbindlichen Gattungssystem, sondern können je nach Bedarf untereinander (verhältnismäßig) frei variiert werden (cf. Thraede, S. 32 f.). Innerhalb von Ciceros Brieftopik kanniocaribeispielsweise auch den Platz voncolloquieinnehmen und umgekehrt (cf. Thraede, S. 35).

Eine weitere hervorstechende Eigenschaft von Ciceros Briefen ist die „Idee der Anwesenheit“ des Adressaten: Der Brief fungiert nicht nur als Medium der Kommunikation, sondern auch als Ersatz für die fehlende reale Interaktion beider Briefschreiber. Die Korrespondenz wird also gewissermaßen idealisiert.[36]

Noch häufiger aber ist der Schreiber im Brief ‚geistig anwesend‘: Dies wird u.a. durch die Einbeziehung des Adressaten in die „Handlung“ bzw. den Handlungsstrang (durchnosund Verben in der ersten Person Pl.) erreicht, durch direkte Ansprache (teund Verben in der zweiten Person Sing.), und durch Verben des aktiven Verkehrens, wieinqui(e)s,loqui,discedisetc.[37]Cicero selbst ‚sagt‘ inFam.2,9,2:Te autem contemplans absentem, et quasi tecum coram loquerer.Er schildert damit also, wie er beim Schreiben gleichsam den Empfänger des Briefes ansieht (contemplans) und mit ihm persönlich (coram) plaudert.

Mit anderen Worten istanimo videreein ständig wiederkehrendes Element in Ciceros Briefen, als Schreiberlebnis, neben der gedachten Anwesenheit des Briefpartners, wofüriocari(inhaltlich) bzw.colloqui(situativ) die Grundvoraussetzung darstellen (cf. Thraede, S. 43; 46).

Der Briefstil zeichnet sich durch eine sonst unbekannte Natürlichkeit und Schlichtheit der Sprache aus; er will die einfache Sprache einer Unterhaltung reflektieren bzw. imitieren. Alles, Inhalt, Ton, Charakter, Sprachebene, richtet sich nach dem Empfänger des Briefes, ist also zielgerichtet und gleichsam ‚maßgeschneidert‘ im Gegensatz zu sonstigen Schriften (abgesehen von Reden, die aber an eine größe Menschenmenge gerichtet sind).[38]Solch ein persönlicher Brief ist weder übertrieben gekünstelt noch stilistisch besonders elaboriert. Ferner fehlt es ihm durchaus häufiger an inhaltlicher Stimmigkeit, da er oft unzureichend Antwort gibt oder nur Fragen stellt, aber auch bei einem Leser, der nicht dem gedachten Empfänger entspricht, Fragen aufwirft, wenn der Verfasser Rückbezug auf einen vorherigen Brief nimmt, und Dinge daraus scheinbar zusammenhanglos rezitiert. Der Brief wird auch dadurch lebendig, aber auch kurzlebig; subjektiv ist er sowieso, denn er will nicht wissenschaftlich erörtern, sondern allein Persönliches vermitteln.[39]Doch was für den Redner und den Stil seiner Reden gilt, wendet Cicero ebenso gekonnt in seinen Briefen an: Er will mehrcommovereundconciliarealsdocere, also den jeweiligen Adressaten eher überreden als überzeugen, er wirkt eher auf das Gemüt als auf den Verstand ein, will Affekte beim Leser erzeugen.[40]An den jeweils geeigneten Stellen werde ich diese Methode Ciceros veranschaulichen.

Der eigentliche Reiz, und das möchte ich noch einmal betonen, liegt bei Ciceros Privatbriefen einerseits in ihrer Authentizität, andererseits eben in ihrer Unmittelbarkeit, die uns Cicero als Menschen auf natürliche Art und Weise, im Ganzen und unverfälscht, präsentiert.[41]

3.3 Sprachliche Besonderheiten und Eigentümlichkeiten

Sprachlich sind die Briefe Ciceros bemerkenswert, da die verschiedenen Möglichkeiten der lateinischen Sprache voll ausgenutzt werden. Umgangssprache der gebildeten Kreise kann anhand ihrer nachvollzogen werden. Ein loser Satzund Periodenbau, lockere Satzverbindungen und häufiges Auftreten von Ellipse, Parenthese und affektischer Sätze zeichnen diesensermo cottidianusaus. Offiziellere Briefe nähern sich freilich stilistisch Ciceros Reden an. Es herrscht insgesamt eine elegante Leichtigkeit in dieser gehobenen Brief-Umgangssprache vor.[42]

Zu den sprachlichen Auffälligkeiten zählt zum einen die Häufung von Deminutiva, wieTulliola deliciolae nostraeoderfiliola(passim) oder auchsubturpicula(Att.4,5,1 – anstelle vonsubturpis), was auf die Sprache im familiären Umgang schließen lässt.[43]Zudem tritt der Superlativ des Adjektivs recht häufig in Anreden in Erscheinung:Mea Terentia, fidissima atque optima uxor, et mea carissima filiola (…) valete.[44]

Viel häufiger, als sie sonst in Ciceros Werken zu finden wäre, kann man die Verwendung freier Infinitiv(i.e. AcI) und Konjunktivkonstruktionen (sog.ut-Sätze) beobachten;[45]diese empathisch-affektiven Formulierungen werden noch ad locum eingehender behandelt.

Gerne, und bei weitem am häufigsten in den Briefen an Atticus, streut Cicero eine Vielzahl an griechischen Begriffen ein, die gleichsam der Reminiszenz der gemeinsamen Vorliebe für das Griechische[46]und der Erinnerung an die zugebrachte Zeit in Griechenland (Bildungsreise) dienen.[47]

Aber Cicero nutzte seine eigenen und Atticus‘ hervorragende Griechischkenntnisse auch gleichsam als Geheimsprache,[48]wobei hier besonders der fast komplett in griechischer Sprache verfasste Briefad Atticum6,5 auffällt.

InAtt.9,4 übt sich Cicero scheinbar zum Vergnügen im Verfassen adäquater griechischer Prosa. Doch auch in Briefen an Cassius (Fam.15,16-18) und dem Antwortbrief desselben (Fam.15,19) finden sich viele griechische Ausdrücke und Wendungen aus der Philosophie. Ferner diente das Griechische, wenn man von direkten Zitaten absieht, dem Zurschaustellen der eigenen Kenntnisse (und dem gegenseitigen Übertrumpfen in dieser Fremdsprache), und dem Wettmachen von Unzulänglichkeiten der lateinischen Sprache durch den Einsatz von Fremdwörtern.[49]Ganz ähnlich verwenden wir heute ja auch Anglizismen, wo das Deutsche nur umständliche oder unnatürliche Formulierungen gestattet.

Und so verwendet Cicero das Griechische nicht nur als gehobene, geradezu elitäre Ausdrucksweise, sondern oft auch als Ersatz für in dieser Art (damals noch) nicht vorhandene lateinische Vokabeln, um so quasi ‚Lücken‘ oder unnötig komplizierte Formulierungen zu vermeiden. Teilweise werden griechische Begriffe von Cicero auch umgangssprachlich, ja geradezu wie ein ‚Slang‘ oder Jargon, gebraucht (vgl. unser eingedeutschtes ‚cool‘), und in ähnlicher Weise trifft dies auch auf griechische Sprichwörter zu, die wir üblicherweise nur in ihrer lateinischen Version kennen.[50]

Doch gibt Cicero, wie wir es, sei es als Erlerner einer Fremdsprache, sei es auch schon als Meister, auch tun, freimütig eine gewisse Unsicherheit bezüglich der idiomatischen Ausdrucksweise im Griechischen zu:[51]

Commentarium consulatus mei Graece compositum misi ad te, in quo si quid erit, quod homini Attico minus Graecum eruditumque videatur, non dicam (…).[52]

„Ich habe Dir eine in griechischer Sprache abgefasste Version der protokollarischen Anmerkungen zu meinem Konsulat zugeschickt, und wenn darin irgendetwas sein wird, was dem attischen Menschen[53]nicht wirklich griechisch und gebildet vorkommt, werde ich nicht sagen...“

Manche Briefe hingegen, in denen es um besser geheimzuhaltende geschäftliche, finanzielle oder sehr delikate politische Angelegenheiten geht, sind zurückhaltender geschrieben, offenbaren folglich nur wenig von Cicero, zumal sie auch noch mit speziellen Schlüsselwörtern oder Spitzbzw. Codenamen gespickt waren. Solche Vorsichtsmaßnahmen waren nötig, da der Schriftverkehr durch die lange Zustelldauer und unzuverlässige, fremde Boten alles andere als spionagesicher war.[54]

Auch Archaismen können bei Cicero im Brief vorkommen, wobei sie sich auf sakrale Wendungen wiedi faxintbeschränken.[55]Denkbar wäre sonst auch der juristische Kontext, in dem, wie z.B. bei den Zwölftafelgesetzen, man sich archaistisch ausdrückte.

3.4 Privat oder für die Öffentlichkeit bestimmt?

Nach Bengl waren Ciceros Briefe nicht zur Herausgabe bestimmt gewesen im Gegensatz zu den Briefen des Plinius oder Seneca. Sie offenbaren uns daher selbst seine geheimsten Gedanken(gänge).[56]

Diese Fragestellung können wir jedoch auch direkt anhand der Originaltexte beantworten, denn es war offenbar von Anfang an berechnet, ob der Inhalt eines bestimmten Briefes veröffentlicht werden sollte und auch durfte oder nur für den Adressaten gedacht war; Cicero unterschied zwischen diesen zwei „Briefgattungen“ selbst:

Primum enim ego illas Calvo litteras misi, non plus, quam has, quas nunc legis, existimans exituras. Aliter enim scribimus, quod eos solos, quibus mittimus, aliter, quod multos lecturos putamus. Deinde ingenium eius melioribus extuli laudibus, quam tu id vere potuisse fieri putas.[57]

„Zunächst schickte ich nämlich dem Calvus besagten Brief, nichtsahnend, dass er weiter nach außen dringen würde als der, den Du jetzt gerade liest. Denn ich schreibe einmal so, was die Briefempfänger meiner Meinung nach allein lesen werden, und wiederum anders, was, wie ich glaube, viele lesen werden. Dann habe ich sein Denkvermögen mittels ausdrucksvolleren Lobpreisungen erhoben, als Du es überhaupt in Wahrheit für möglich hältst.“

Cicero passte demnach seine Schreibweise und den Briefstil dem Adressaten und somit auch der Intention des Briefes an.[58]Im Falle der Briefe an Terentia, Tullia oder gar Atticus werden wir aber höchstwahrscheinlich nur den ersteren, rein privaten Briefstil antreffen.

So wird es denn auch ein Brief intimeren Inhaltes sein, wenn Cicero dem Atticus schreibt (55):

Crassum quidem nostrum minore dignitate aiunt profectum paludatum quam olim aequalem eius L. Paulum, item iterum consulem.O hominem nequam!De libris oratoriis factum est a me diligenter. diu multumque in manibus fuerunt.[59]

„Unser lieber Crassus jedenfalls, so sagt man, habe in seinem Feldherrnmantel mit geringerer Würde angefangen als einst der damals gleichaltrige L. Paulus, ebenfalls zum zweiten Male Konsul.Oh was für ein Nichtsnutz!Was die Bücher über den Redner angeht, so habe ich gründlich gearbeitet. Lang und viel befanden sie sich in meinen Händen zur Überarbeitung°.“

Hätte dieser Brief zu seiner Zeit publiziert werden sollen, dann hätte ihn Cicero nicht so geschrieben, ja vielleicht ein völlig anderes Thema gewählt. Bei Atticus aber durfte sich der Consular über alles und jeden mokieren.

3.5 Die Problematik der Überlieferung

Ciceros Briefe (damit sind auch diejenigen gemeint, die er empfing) wurden bereits in der Antike offenbar von Tiro veröffentlicht.

Das Problem, das sich für uns nun ergibt, ist die (unmögliche) Beantwortung der Frage, inwieweit die Briefe vom „Herausgeber“ noch bearbeitet bzw. verändert wurden. Genauso gut wäre es möglich, dass die Texte weitestgehend so belassen wurden, wie sie waren, und somit zumindest keine bewussten Änderungen vorgenommen wurden. Vor diesem Hintergrund ist also auch die philologische Tätigkeit der Neuzeit kritisch zu sehen, die zumindest einige Male eine Verfälschung der Originalität der überlieferten Texte bewirkt haben könnte; es wurden teils intakte Textpassagen emendiert, obwohl es dafür eigentlich keine Veranlassung gab. Jedoch beurteilten einige Editoren die Textstellen wohl als nicht ‚ciceronisch‘, nicht klassisch genug, sodass man sich auf der Suche nach ‚besserem‘ Latein in seinen übrigen Werken bediente.[60]

Ein weiteres Problem stellt die Datierung der Briefe dar: Ich selbst habe mich bezüglich der Chronologie der Briefe an der von Shackleton Bailey et alii vorgenommenen Datierung orientiert, sofern es eine Rolle für diese Arbeit spielte.

Die Tatsache, dass das Briefdatum bald von Cicero selbst in den Text eingefügt wurde (gleich zu Beginn z.B.Att.7,18,1, gegen Ende z.B.Att.8,9,4), bald erst am Ende nachvaleo.ä. erscheint, bald völlig fehlt, bringt Stark damit in Verbindung, dass Cicero einst persönlich die Sammlung seiner Briefe zu solch einem Konvolut bei Tiro in Auftrag gab. Möglicherweise wurden daher die Datumsangaben ganz am Ende der Briefe mangels Bedeutsamkeit unterschlagen.[61]

Eine mögliche Nachlässigkeit des Verfassers weist Stark entschieden zurück, vielmehr müsse man für fehlende Daten Tiro oder andere Abschreiber verantwortlich machen (cf. Stark, S. 182). Vorhandene Datumangaben können jedoch auch falsch sein, besonders wenn sie von Diaskeuasten nachträglich einbzw. hinzugefügt wurden (S. 184 ff.). Solche Manipulationen sind unberechenbar, denn entweder wurde ein Datum anhand des Briefinhaltes (oder dem anderer, zeitnah verfasster Briefe) korrekt erschlossen oder falsch emendiert oder aber, wie bei Kopien üblich, einfach weggelassen.[62]Zudem birgt die multiple Diaskeuase eine weitere Gefahr: Änderungen wurden vielfach vorgenommen, quasi bei jeder neuen Abschrift, und somit ist die Historie der Abänderung nicht mehr nachvollziehbar. Cicero ließ die Monatsnamen sowieso meist weg, gab nur den Tag an, sodass Monatsnamen oftmals falsch ermittelt wurden (cf. Stark, S. 193).

4 Die Römische Ehe in der späten Republik

Die folgende Darstellung der Ehe,matrimonium, und der Stellung der Frauen wird sich vor allem auf die Zeit der spätenres publicabeschränken. Erstens tut die Zeit nach den Wirren der untergehenden Republik für unsere Studien nichts zur Sache, zweitens wurden gerade in der frühen Kaiserzeit dermaßen viele Neuerungen im Eherecht eingeführt, dass man durch die ständigen Veränderungen vollends den Überblick verliert.

4.1 Status und Rechte der Frau in Rom

In der Antike war die Bestimmung der Frau ein häusliches Leben in Zurückhaltung im Rahmen der Ehe und die Ehe war in erster Linie zur Erzeugung von legitimen Kindern (und somit von Erben) bestimmt:[63]Aus der Sicht von Evolutionstheoretikern mag dies vielleicht zutreffend sein, doch genau genommen bedarf es dafür keiner ehelichen Verbindung. Erst rechtliche Vorgaben sowie soziale Normen und Konventionen bedingen eine Eheschließung.

Frauen unterstanden generell Männern, gleichgültig ob sie verheiratet waren oder nicht. Es handelte sich hierbei um eine Art von ‚Schutzherrschaft‘, denn man hielt Frauen für ungeeignet, in (materieller wie rechtlichter) Unabhängigkeit zu leben. Zudem hatte man generelle Vorurteile gegenüber dem weiblichen Geschlecht: So verdächtigte man – meist zu Unrecht – Frauen der Völlerei, Trunksucht und Wollust. Fakten basierten in der antiken Lebenswelt oft auf falschen Annahmen.[64]

Bei den Griechen, namentlich in PlatonsPoliteia, hatte sich bereits eine modernere Sichtweise auf Frauen entwickelt, die einer (annähernden) Gleichstellung der Geschlechter entsprach.[65]

Eine Art von Selbstverwirklichung war zur Zeit Ciceros im Mindesten den Angehörigen der Oberschicht, und hier wohl nur den Männern, vorbehalten. Die starken, klugen Frauen, die hinter ihnen standen, konnten natürlich Einfluss nehmen (man mag an die Clodia, Schwester des Clodius Pulcher, und ihre Machenschaften denken).

Es ist daher leichterklärlich, dass man Frauen nicht dieselben Rechte zubilligte wie Männern. Eine Frau stand entweder unter der „Fuchtel“ des Vaters, ihres Vormundes, oder Mannes. Äußern konnte sich diese männliche Gewalt über sie in derpatria potestas,tutelaundmanus. Vollkommene Selbstbestimmung blieb in jedem Fall utopisch, denn eine Frau hatte immer einen Vormund, egal ob verheiratet oder nicht. Es war auch egal, ob siesui iurisoder nicht, ob sie mit oder ohnemanusverheiratet war (Genaueres im Folgenden).[66]

Einer der Gründe dafür lag darin, dass man Frauen für zu wechselhaft im Urteil und für unfähig, eigenverantwortlich zu handeln und rechtsverbindliche Geschäfte einzugehen, hielt. Dies war natürlich eine ‚hausgemachte‘ Problematik, denn weil Frauen aufgrund ihrer schwächlichen Veranlagung nur Haushaltstätigkeiten ausüben sollten, waren sie unerfahren, was finanzielle Dinge betraf sowie das öffentliche Leben an sich.[67]Ein Aufpasser, dertutor, sollte deshalb immer über ihre Aktionen wachen, wobei er nur Absichten der Frau verbieten, nicht aber welche veranlassen konnte. Das Vermögen einer Familie im römischen Sinne sollte zusammengehalten werden. Eigentum selbst haben konnten nur Frauen eigenen Rechts, und als Erben konnten sie keine anderen Frauen einsetzen (hier waren zur Umgehung des Gesetzes dann juristische Winkelzüge,anfractus, gefragt). Vermächtnisse waren gemäß derlex Voconia, nach der es übrigens auch verboten war, eine Frau, ja sogar die eigene Tochter, als Erbin einzusetzen, generell eingeschränkt worden, ein Umstand, der auch für Männer galt.[68]

Eine Verbesserung der rechtlichen Lage einer Frau (aber auch eines Mannes) konnte dieemancipatio[69]bedeuten:

Es handelte sich hierbei um die rechtsgeschäftliche Entlassung einerfiliafamiliasbzw. einesfiliusfamiliasaus derpatria potestas.

Einer emanzipierten Tochter stand damit die Möglichkeit offen, ein Erbe anzutreten, da sie nun auch selbst Vermögen erwerben konnte; solches Vermögen konnte sie wiederum testamentarisch an ihre Kinder (auch Töchter!) weitervererben, was sonst nur Männern zustand, denn Frauen hatten ja selbst kein Eigentum, ergo konnte sie auch nichts vererben.[70]

Für Männer war dieseemancipatioauch von Vorteil, da sie, solange ihrpateram Leben war, ihm bzw. seinerpotestasja auch unterstanden und eigentlich keine Rechtsgeschäfte selbständig eingehen konnte (wenngleich die Praxis gewiss anders ausgehen haben wird).

4.2 Formen der Eheschließung

Der Vollständigkeit halber folgen nun Ausführungen zu den drei verschiedenen Formen der Schließung einer römischen Ehe, sowie zu damals „modernen“ Neuerungen, was zudem den Zweck der Erinnerung und Auffrischung des Wissens erfüllen soll.

Wie auch aus Ciceros Briefen ersichtlich wird, waren sich die Römer der Familienfeste bzw. der familienbezogenen Festivitäten bewusst. Kaum ein Monat verging ohne solche familiären Festtage. Der Stellenwert und die Bedeutung der Familie sollte auf diese Weise indoktriniert bzw. in den Ansichten und Sitten gefestigt werden. Die Römer waren daher in der Regel quasi ständig verheiratet, wenngleich Ehen häufig durch Tod oder Scheidung beendet wurden. Die Ehe war also nicht lebenslang und einmalig, sondern eher seriell. Da Kinder mit diesem Ideal bereits aufwuchsen, ergo an diese Wertvorstellungen gewöhnt waren, war es von Anfang an beschlossene Sache, dass sie heiraten, einen starken Kinderwunsch hegen, und Familien formen würden.[71]

4.2.1 Confarreatio

Wie schon anhand des im Begriff derconfarreatioenthaltenenfar(Spelt, Dinkel) ersichtlich, handelte es sich bei dieser feierlichsten Form der Eheschließung um eine Zeremonie, die vom Pontifex Maximus und dem Flamen Dialis (Juppiterpriester) durchgeführt wurde, und im Zuge derer die Frau unter Verwendung desfarreum <libum>, des Speltkuchens bzw. einer Art von Dinkelbrot, dem Iuppiter Farreus ein besonderes Opfer darbrachte und dadurch in diemanus, wohl am treffendsten wiederzugeben mit „eheliche Schutzpflicht“ einschließlich Vormundschaft, weniger mit „Vollgewalt“[72]oder bloßer „Verfügungsgewalt“, ihres Gatten überging.[73]Außerdem wurden noch zur Wahrung der Rechtsgültigkeit mehrere rituelle Formeln vor zehn Zeugen aufgesagt. Ein Ehekontrakt zwischen Brautvater und Bräutigam stellte schließlich die materielle Versorgung der Gattin sicher.[74]Neben dem Speltbrot (auchfarreus panisgenannt) wurden wohl auch Früchte, gesalzenes Opferschrot,mola salsa, sowie ein Schaf geopfert. Das Brautpaar saß eng beeinander auf mit einem Vlies abgedeckten Stühlen.[75]

Für Cicero und Terentia können wir diese Eheform wohl nicht annehmen, da sie als Ritual innerhalb des Adels anscheinend voraussetzte, dass es sich bei den beiden „Parteien“ um Patrizier handelte, wenngleich diese Annahme nicht als gesichert gilt. Zudem handelte es sich bei dieser Eheform immer um eine Ehe mitmanus.[76]

Jedenfalls ist erwiesen, dass ausschließlich dieconfarreatioals Eheschließungsform für die vier obersten Priester im Staate (Rex SacrorumundFlamines) legitim war. Um diese höchsten Ämter zu bekleiden, mussten nicht nur sie selbst, sondern sogar ihre Eltern sich nach diesem Ritus vermählt haben. Eine Scheidung,diffarreatio, war gleichsam unmöglich, und Bestrebungen in diese Richtung mussten vom Mann ausgehen. Im Falle des Flamen Dialis musste der Tod das Ehepaar scheiden.[77]

4.2.2 Coemptio

Anders als dieconfarreatiostand diecoemptio, ein gewissermaßen fiktiver Verkauf einer Tochter an den künftigen Bräutigam (vgl. Balsdon, S. 200, „ein Überbleibsel des primitiven Brautkaufs“), wodurch sie ebenfalls in seinemanuskam, offenbar Angehörigen beider Stände, also Plebejern und Patriziern gleichermaßen, offen. Hinzu kommt, dass dieser Scheinkauf, spätestens nachdem kein Heiratsverbot mehr zwischen den Mitgliedern jener Stände bestand, neben demususzur beliebtesten Form der Eheschließung avancierte. Für Mischehen jedenfalls war diecoemptiojedenfalls sowohl in rechtlicher als auch religiöser Hinsicht am unbedenklichsten. Von generell nicht unerheblicher Bedeutung war bei dercoemptiodie Zustimmung zur Ehe seitens der betroffenen Tochter, da ihr dies im Ernstfall die Option eröffnete, gewichtige Gründe für eine gerechtfertigte Scheidung (wie Misshandlung und Verletzung der Pflichten seitens des Gatten) vorzubringen.[78]

Um einen sog. Scheinkauf handelte es sich deswegen, weil nur ein symbolischer Betrag, in diesem Falle ein As, ein Groschen also, vom Bräutigam dem Vater bzw.tutorder heiratsfähigen Frau gezahlt wurde (nummo uno venire). Für dieses Prozedere waren fünf Zeugen nötig, danach ging – drastisch formuliert – gewissermaßen die „Ware“ in den Besitz und das Eigentum des Mannes über.[79]

War die Braut eine Personsui iuris, fiel sie mitsamt all ihrem Besitz bzw. Vermögen nach der obligatorischen Zustimmung ihrer Vormünder unter die neuemanusin derfamiliades Gatten (außer bei Eheschließung ohnemanus, natürlich).[80]

4.2.3 Usus

Wie bereits angedeutet, war neben dem „Kauf“ die sogenannte „Ersitzung“ oder, treffender, Kohabitation die häufigste Realisierung einer Eheschließung: Sie kam zustande, indem eine Frau ein ganzes Jahr lang als quasi vorläufige Gattin im Domizil ihres Mannes weilte, ohne sich jedoch durchgehend drei Nächte in Folge von ebendort zu entfernen und sich in das Haus des Vaters oder, nach dessen Tod, eines direkten männlichen Verwandten oder ihres Tutors zu begeben.[81]Sicherlich musste im Voraus eine quasi eidesstattliche Erklärung abgegeben werden, dass beide Seiten auch wirklich eine echte Ehe anstreben und nicht ein bloßes Konkubinat.[82] Waren die genannten Voraussetzungen erfüllt, gab der Brautvater seine eigenepatria potestasüber die Tochter zugunsten der des Bräutigams bzw. – sofern dieser selbst noch unter derpotestasseines eigenenpater familiasstand – der von dessen Vater ab. Die Braut wurde so zu einerfilia familiarisihren Status betreffend[83]und dadurch zugleich auch erbberechtigt.[84]

4.2.4 Veränderungen und Novitäten

Gleich, welche Form der Eheschließung nun vorlag, in jedem Fall gelangte eine Frau in diemanus, Balsdon nennt sie „Autorität“, ihres Ehemannes, genau wie ihr ganzes Vermögen in dessen Eigentum oder das seines Vaters überging.[85]Demnach wurde sie nicht emanzipiert, sondern ging lediglich in die „Gewalt“ eines anderen Mannes bzw. einer anderen Familie über. Noch lange vor der Zeit Ciceros, im dritten Jahrhundert v. Chr., kam jedoch aufgrund von weiblicher Unzufriedenheit mit den „alten“ Eheformen die Neuerung der sogenannten „freien“ Ehe auf und wurde alsbald generell praktiziert: Es war nun möglich geworden, auch ohnemanuszu heiraten! Dies bewirkte, dass eine Frau alsfilia familias uxor[86]derpatria potestasoder der ihres Tutors auch nach der Hochzeit unterstellt blieb,[87]sofern sie nicht schon emanzipiert war, und „ihr“ Eigentum behielt – wenngleich sie ihre Mitgift dem Ehemann zur freien Verfügung natürlich gewähren konnte – und dass das Einreichen der Scheidung erleichtert wurde. Doch benötigte die in „freier“ Ehe, also ohne Übertragung dermanus-Gewalt, verheiratete Frau den Einfluss und die Hilfe ihres eigenen Vaters, um ihre Scheidung zu erwirken.[88]

Im Wandel der Zeit entwickelte sich die Ehe(schließung) zunehmend weg von einer religiösen, teils abergläubischen Zeremonie hin zu einem zivilrechtlichen Vorgang, der stark von praktisch-finanziellen Gesichtspunkten geprägt war; die religiöse Dimension der Hochzeit im Allgemeinen war wohl gegen Ende der Republik stark in den Hintergrund getreten, war nur noch ‚pro forma‘ vorhanden. Die minutiösen Verhandlungen über diedoserschienen indes wichtiger.[89]

Was die Mitgift anbelangt, so musste sie schon ab dem dritten Jahrhundert v. Chr. in bestimmten Fällen zurückgezahlt werden; dies galt erst recht bei der bereits genannten „moderneren“ Form der freien Ehe, mit der wir es wohl zur Zeit Ciceros vorwiegend zu tun haben. Solche Ereignisse, wie der Tod des Ehemannes oder wenn er durch eigene Schuld geschieden wurde (z.B. bei Misshandlung oder Verletzung der Obhutspflicht der Ehefrau gegenüber), bedingten jedenfalls eine Rückzahlung. Dass jenes Heiratsgut im Falle einesdivortiumsogar bei Verschulden der Ehefrau (Ehebruch, Vernachlässigung der häuslichen Pflichten) rückzuerstatten war, gehört bereits in die späte Republik.[90]Scheidungen wurden dadurch juristisch gesehen noch komplizierter, als sie es heute sind.

Einerseits hatte zwar eine geschiedene Frau oder Witwe bzw. deren Vater oder Vormund den Anspruch auf Rückzahlung der Mitgift (das Geld, das für eine erneute Heirat eingesetzt wurde), andererseits aber konnte auch der ehemalige Gatte Forderungen erheben, die in einer teilweisen Einbehaltung derdosmündeten, natürlich besonders bei möglichen Verfehlungen seitens der Gattin, die letztlich zur Scheidung führten:

Ein Sechstel der Mitgift durfte der Mann sozusagen als Strafzahlung oder Bußgeld der Frau einbehalten, wennadulteriumals Tatbestand vorlag, ein Achtel bei minderschweren Vergehen (z.B. Alkoholabusus);[91]diesen Einbehalt wegen Fehlverhaltens der Frau nannte manretentio propter mores.[92]Da dem Ehemann generell das Sorgerecht für die Kinder zustand, benötigte und bekam er pro Kind ein Sechstel der Mitgift zur Sicherung von dessen Unterhalt (max. drei Kinder waren anrechenbar, also die Hälfte der Mitgift einzubehalten). Dieseretentio propter liberos, also gewissermaßen unsere heutigen Unterhaltsansprüche für Kinder, war nur durchsetzbar, wenn die Scheidung von Seiten der Frau, d.h. durch ihr Fehlverhalten, verursacht oder initiiert worden war.[93]

Nach Aufaddierung der vom ehemaligen Ehemann legitim einzubehaltenden Teile der Mitgift ergibt sich ein maximaler Anteil von zwei Drittel an der gesamten Mitgift.[94]

Die Rückzahlungssumme konnte verringert werden, wenn die Mitgift aus Immobilia bestand oder der Ehemann das Vermögen selbst vermehrt hatte. Ansonsten hatte die Rückzahlung wie einst die Zahlung der Mitgift in drei Jahresraten zu erfolgen; war der Scheidungsgrund einadulteriumdes Mannes, so musste dieser die gesamte Mitgift sofort erstatten.[95]

Trotz aller Neuerungen wurde die Bedeutung matrimonieller Traditionen bewahrt, so die obligatorische Heimführung der Braut durch den frisch gebackenen Ehemann in dessen Haus, diedomum deductio.

[...]


[1]Cf. Zimmerer (1990), S. 71.

[2]Cf. Fuhrmann (2011), S. 9.

[3]Cf. Gardner (1995), S. 85. Über die Dekadenz jener Zeit wurde m. E. schon zu viel geschrieben.

[4]Cf. Ermete (2003), S. 179.

[5]Ibid.

[6]Cf. Gardner (1995), S. 87.

[7]Cf. Ermete (2003), S. 15 f.

[8]Cf. Tuomi (1975), S. 29 ff. Hier findet sich eine exzellente Darstellung der Briefüberlieferung inklusive aller relevanten Stemmata. Dem wäre nichts hinzuzufügen.

[9]Cf. Tuomi (1983), S. 5.

[10]Cf. Fuhrmann (2011), S. 11.

[11]Cf. Fuhrmann (2011), S. 9.

[12]Ibid.

[13]So nahm ich Einsicht in Kochs „Emendationes M. Tullii Ciceronis epistolarum“ (1857).

[14]Cf. Levick (2008), S. 1072. Treggiaris Fachgebiet ist demnach ‘Roman social history’.

[15]Cf. Claassen, “Documents of a Crumbling Marriage: the Case of Cicero and Terentia” (1996), 208-32.

[16]Cf. Cohen (2010), S. 205 f.

[17]Cf. Treggiari (2007), S. 28 f.

[18]Cf. Levick (2008), S. 1072 f.

[19]Cf. Leach (2008), S. 215 f.

[20]Cf. Noy (2008), [http://bmcr.brynmawr.edu/2008/2008-07-06.html]. David Noy beurteilt Treggiaris Leistung als ausgewogen und dem vorgesehenen Zweck entsprechend; dies trifft insofern zu, als nun viele Informationen zu dem Thema in einem Buch gebündelt aufzufinden sind.

[21]Cf. Horneffer (1906), S. 99 ff.

[22]Cf. Aly (1913), S. 6.

[23]Mommsen (1856), S. 572.

[24]Cf. Fulkerson,Cicero’s Palinode(2013), 246-260.

[25]Cf. Sihler (1914), S. 3.

[26]Cf. Horneffer (1906), S. 116 f.

[27]Horneffer (1906), S. 117.

[28]Ibid., S. 118.

[29]Ibid., S. 119.

[30]Cf. Horneffer (1906), S. 120.

[31]Cf. Thraede (1970), S. 3.

[32]Cf. Kuhlmann (2014), S. 12.

[33]Ibid., S. 13.

[34]Cf. Luck (1961), S. 77 f.; Thraede (1970), S. 1.

[35]Cf. Thraede (1970), S. 30 f.

[36]Ibid., S. 39 f.

[37]Ibid., S. 40 ff.

[38]Cf. Thraede (1970), S. 43. DieAccommodatio, das Anpassen der Thematik an die Neigungen des Empfängers.

[39]Cf. Luck (1961), S. 82; Horneffer (1906), 122 ff.

[40]Cf. Horneffer (1906), S. 101. Mommsen habe jedoch gerade die sehr persönlichen Briefe für schlecht befunden (cf. S. 126), auf das Künstlerische und den kunstvollen Gehalt in den Werken u. Briefen Ciceros nichts gegeben (cf. S. 117).

[41]Cf. Horneffer (1906), S. 129.

[42]Cf. Bengl (1981), S. 5.

[43]Ibid.

[44]Fam. 14,4,6.

[45]Cf. Regula (1951), S. 76 ff.; weniger genau, da auf Textkritik beschränkt, ist Tuomi (1983), S. 12 f.

[46]Jedoch bedenke man nach Fam. 16,4,2:Lyso enim noster, vereor, ne neglegentior sit; primum, quia omnes Graeci; deinde, quod, cum a me litteras accepisset, mihi nullas remisit.Ob er die Feststellen, dass doch alle Griechen so (recht nachlässig) seien, ernst meint, ist aber fraglich; die Meinung ist wohl eher durch den Ärger darüber motiviert, dass er keine Antwort erhält.

[47]Besonders dazu Att. 2,6; griechische Begriff ersetzen hier sporadisch Wörter im lateinischen Satz.

[48]Cf. Rauh (1986), S. 20. Darin ging es um streng vertrauliche Finanztransaktionen und die politische Lage, aber auch um Dinge, die sein persönliches Ansehen hätten in Gefahr bringen können (ad loc.).

[49]Cf. Steele (1900), S. 390; jedoch beachte man, dass Cicero genau das Gegenteil, nämlich eine größere Fülle des Lateinischen, vorgibt in Fin. 1,3,10 (S. 388).

[50]Ibid., S. 391 f.

[51]Ibid., S. 393.

[52]Att. 1,19,10.

[53]Ein Wortspiel mit dem Cognomen des Pomponius, der lange Zeit in Athen gelebt hatte; vielleicht träfe es „was Atticus, dem wahren Griechen (Athener) etc.“

[54]Cf. Rauh (1986), S. 19 f.

[55]Wobeifaxintals Konjunktiv Perfekt (Optativ) für die klassische Formfecerintsteht; wie beim Potentialis der Gegenwart, bei dem der Konjunktiv Perfekt dem Präsens entspricht, ist das Perfekt präsentisch aufzufassen. Die Stelle findet sich in Fam. 14,3,3:Di faxint, ut tali genero mihi praesenti tecum simul et cum liberis nostris frui liceat!„Die Götter mögen dafür sorgen, dass es mir gestattet sei, mich persönlich zugleich mit Dir und unseren Kindern an der Gesellschaft eines solchen Schwiegersohnes zu erfreuen!“ Vgl. auch Cic. Catil. 1,22:utinam tibi istam mentem di immortales duint!– woduintin sakraler Sprachedententspricht.

[56]Cf. Bengl (1981), S. 4.

[57]Fam. 15,21,4.

[58]Cf. Bengl (1981), S. 5. Cf. Cic. Flacc. 16,37:qua utuntur omnes non modoin publicis, sed etiamin privatislitteris quas cotidie videmus mitti a publicanis.

[59]Att. 4,13,2.

[60]Cf. Tuomi (1983), S. 6 ff.

[61]Cf. Stark (1951), S. 180 ff.

[62]Ibid., S. 191 f.

[63]Cf. Clark (1989), S. 4; Rawson (1986), S. 9; 15.

[64]Cf. Clark (1989), S. 4; 6 f.

[65]Cf. Clark (1989), S. 5.

[66]Cf. Gardner (1995), S. 178 ff.

[67]Cf. Clark (1989), S. 9 ff. Frauen waren Kindern und geistig Behinderten gleichgestellt.

[68]Ibid. – Dieselexwar auch eingeführt wordenutilitatis virorum gratia, und wurde deshalb von Cicero als unfair angesehen (cf. Gardner, S. 175).

[69]Der Begriff hatte zu jener Zeit nichts von seiner heutigen, feminismusorientierten Bedeutung.

[70]Cf. Gardner (1995), S. 197.

[71]Cf. Rawson (1991), S. 17.

[72]Gardner (1995), S. 18.

[73]Wurde mitmanusgeheiratet, unterstand die Ehefrau übrigens bei allen drei Formen der Eheschließung der Gewalt ihres Mannes. Sie konnte in so einer „unfreien“ Ehe kein eigenes Vermögen haben, denn das gehörte sowieso ihrem Gatten bzw. dessenpater; ebenso wurde alles, was ihr durch Schenkung, Erbgang etc. zustand und so eigentlich das Ihre wäre, dem Vermögen ihres Mannes eingegliedert (cf. Gardner, S. 18).

[74]Cf. König (2004), S. 32 f.

[75]Cf. Balsdon (1979), S. 200.

[76]Cf. Gardner (1995), S. 19. Ab 23 n. Chr. war es für eine Frau möglich, in einerconfarreatio-Ehe ohnemanus– hiervon ausgenommen waren religiöse Handlungen, wo die Gattin dermanusdes Mannes unterstand – verheiratet zu sein (ibid.).

[77]Cf. Balsdon (1979), S. 200 f.

[78]Cf. König (2004), S. 32 f.

[79]Cf. Balsdon (1979), S. 200.

[80]Cf. Gardner (1995), S. 19.

[81]Blieb die Frau demnach für drei aufeinanderfolgende Nächte dem Hause des Gatten fern, gelangte sie nicht in seinemanusund es galt dieemancipatio; dadurch floß ferner ihredosnicht automatisch in das Gesamtvermögen der Familie des Gatten ein, sondern blieb ihr als finanzielle Sicherheit, selbst wenn sie dieses Vermögen ihrerseits dem Ehemanne zur Verfügung stellte (cf. König, S. 32 f.).

[82]Cf. Balsdon (1979), S. 200.

[83]i.e. die Braut hatte nun innerhalb der Familie ihres Gatten die Rechtsstellung einer Tochter (locus filiae) inne, war – jedenfalls mitmanusverheiratet –filia familiasin der neuen Familie geworden bzw. vom Status her wie vorher geblieben. Sie hatte selbst kein Eigentum (cf. Gardner, S. 100).

[84]Cf. König (2004), S. 32 f.

[85]Gardner (1995), S. 100. Da sowieso das ganze Vermögen der Braut bei ihrer Heirat dem Manne bzw. der neuenfamiliazufiel, kann man nicht von einer Mitgift an sich reden. Vielmehr zählte in vielen Fällen das Vermögen der (noch unverheirateten) Frau alsdos, i.e.dotis nomine.

[86]Sie war demnach in die Familie des Bräutigams in Bezug auf ihr Vermögen und die Verfügungsgewalt darüber nicht voll integriert, wie man sagen könnte.

[87]Cf. Gardner (1995), S. 17.

[88]Cf. Gardner (1995), S. 17. Balsdon (1979), S. 199 ff; 222. Theoretisch hätte der Vater einer ohnemanusverheirateten Tochter also sogar gegen deren Willen eine Scheidung veranlassen können. Schilderung zur Sache bei Balsdon ist eigentümlich feministisch angehaucht.

[89]Cf. Balsdon (1979), S. 202 f.

[90]Cf. Balsdon (1979), S. 209.

[91]Schließlich sollte so eine Ehefrau für ihr ungehöriges Betragen auch ein „Opfer“ bringen. Doch müssen wir auch bedenken, dass viele dieser „Vergehen“ unter Umständen nur vorgeschützt waren und tatsächlich gar nicht zutrafen, wenn nämlich der Ehemann seine Frau aus niederen Beweggründen loswerden wollte.

[92]Cf. Gardner (1995), S. 115. Noch heute kennt die amerikanische Jurisprudenz den Ausdruckcontra bonos mores.

[93]Ibid.

[94]Cf. Balsdon (1979), S. 209. Vorausgesetzt logischerweise, die Frau hatte Ehebruch begangen und das Paar hatte miteinander mindestens drei Kinder.

[95]Cf. Balsdon (1979), S. 210.

Ende der Leseprobe aus 152 Seiten

Details

Titel
Cicero, Terentia und Tullia. Dynamik, Wandel und Scheitern der römischen Ehe anhand einer spätrepublikanischen Familie
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Latinistik)
Veranstaltung
-
Note
1,0
Jahr
2014
Seiten
152
Katalognummer
V339390
ISBN (eBook)
9783668296824
ISBN (Buch)
9783668296831
Dateigröße
1155 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
cicero, terentia, tullia, dynamik, wandel, scheitern, familie
Arbeit zitieren
Anonym, 2014, Cicero, Terentia und Tullia. Dynamik, Wandel und Scheitern der römischen Ehe anhand einer spätrepublikanischen Familie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339390

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