Die vorliegende Masterarbeit hat das Ziel, den aktuellen Stand der Resilienzforschung zu beleuchten und die theoretischen Aussagen der Fachliteratur mit der empirischen Resilienzforschung durch eine quantitative Literaturanalyse zu vergleichen. Als Ergebnis der Abhandlung soll schließlich die Antwort auf die folgende Forschungsfrage gegeben werden: „Welche psychischen und physiologischen Aspekte finden sich in der aktuellen Forschungsliteratur und welche Risiko- und Schutzfaktoren lassen sich differenzieren?“
Hierzu wird im theoretischen Teil dieser Masterarbeit vor allem auf die psychologische und physiologische Perspektive eingegangen. Darüber hinaus sollen der aktuelle Forschungsstand und die Ergebnisse der wichtigsten empirischen Studien zur Resilienz übersichtlich dargelegt werden. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dabei das Ziel einer quantitativen Literaturanalyse. Hierbei wird ein Datensatz von 80 Abstracts zum Thema „Resilienz“ gebildet und dieser im Detail untersucht. Damit ein repräsentativer Einblick in das Forschungsfeld der Resilienz gegeben werden kann, wird zunächst der theoretische Bezugsrahmen in Kapitel 2 dargestellt.
Dazu wird auf die wichtigsten Begriffe und Resilienz-Modelle eingegangen. Des Weiteren werden in diesem Kapitel der aktuelle Forschungsstand sowie die empirischen Befunde und Ergebnisse der Resilienzforschung zusammenfassend beleuchtet. Im Kapitel 3 werden aus den theoretischen Erkenntnissen die Forschungsfrage abgeleitet und die entsprechenden Thesen aufgestellt. Im empirischen Part werden in Kapitel 4 die Untersuchungsmethode und die Bildung der Kategoriensysteme beschrieben. Hierbei werden zuerst die Vorgehensweise, die Operationalisierung der Daten und anschließend die Datenerhebung sowie Datenauswertung erklärt.
In Kapitel 5 werden die empirischen Befunde, aufgeteilt in thesenvorbereitende sowie thesenrelevante Ergebnisse der Literaturrecherche, zusammenfassend dargestellt. Im nächsten Kapitel 6 werden die Ergebnisse der Häufigkeitsanalyse diskutiert. Abschließend werden die aufgestellten Thesen und übergeordnete Forschungsfrage beantwortet, bevor im letzten Kapitel 7 ein Fazit und Ausblick gegeben wird.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Problemstellung
2 Theoretischer Bezugsrahmen
2.1 Begriffsbestimmungen
2.1.1 Definition Resilienz
2.1.2 Definition Stress
2.1.3 Psychischer und physischer Aspekt der Gesundheit
2.1.4 Weitere Begriffe in Verbindung mit Resilienz
2.1.5 Persönlichkeiten in Verbindung mit Resilienz
2.2 Entwicklung der Resilienzforschung
2.3 Konzepte der Resilienzforschung
2.3.1 Salutogenese nach Antonovsky
2.3.2 Risikofaktorenkonzept
2.3.3 Schutzfaktorenkonzept
2.3.4 Zusammenhang von Risiko- und Schutzfaktoren
2.3.5 Rahmenmodell nach Kumpfer
2.4 Empirische Befunde der Resilienzforschung
2.4.1 Wichtige Studien der Resilienzforschung
2.4.2 Ergebnisse der empirischen Forschung
3 Forschungsfrage und Thesen
3.1 Forschungsfrage
3.2 Thesen
4 Untersuchungsmethode
4.1 Beschreibung der Vorgehensweise
4.1.1 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
4.1.2 Häufigkeitsanalyse
4.2 Operationalisierung der Variablen
4.3 Datenerhebung und Datenauswertung
5 Empirische Befunde
5.1 Thesenvorbereitende Ergebnisse
5.1.1 Ergebnisse der Variable Publikationsjahr
5.1.2 Ergebnisse der Variable Publikationsland
5.1.3 Ergebnisse der Variable Geschlecht
5.1.4 Ergebnisse der Variable Datenerhebungsmethode
5.2 Thesenrelevante Ergebnisse
5.2.1 Ergebnisse der Variable Durchschnittsalter
5.2.2 Ergebnisse der Variable Bezugszeitpunkt
5.2.3 Ergebnisse der Variable Psychologische vs. physiologische Perspektive
5.2.4 Ergebnisse der Variable Risiko- und Schutzfaktoren
5.2.5 Ergebnisse der Variable Schlagworthäufigkeit Risikofaktoren
5.2.6 Ergebnisse der Variable Schlagworthäufigkeit Schutzfaktoren
6 Diskussion
6.1 Interpretation der thesenvorbereitenden Ergebnisse
6.2 Interpretation der thesenrelevanten Ergebnisse
6.3 Beantwortung der Forschungsfrage
7 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhang
„Im Leben geht es nicht nur darum, gute Karten zu haben, sondern auch darum, mit einem schlechten Blatt gut zu spielen.”
-Robert Louis Stevenson-
(13.11.1850 – 03.12.1894)
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Problemstellung
Die menschliche Gesundheit bleibt von fortschreitender Globalisierung und gestiegenen Anforderungen der Arbeitswelt nicht unangetastet (Keupp & Dill 2010, 11). Dabei ist festzustellen, dass durch körperliche Arbeit verursachte Krankheiten infolge des medizinischen Fortschritts immer seltener vorkommen. Dahingegen nimmt die „Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen (Depressionen Neurosen, etc.)“ enorm zu (ebd., 11f.; Zoike 2010, 61ff.). Diesen Trend belegt auch die „Bleib-locker, Deutschland-Studie“ der Techniker Krankenkasse (Techniker Krankenkasse 2013, 41). Mittlerweile befinden sich 31 Prozent der deutschen Arbeitnehmer in regelmäßiger ärztlicher Behandlung aufgrund chronischer Krankheiten. Des Weiteren haben immer mehr Menschen psychische Leiden, wie etwa Schlafstörungen, Erschöpfung oder Angstzustände (ebd., 32f.).
Es stellt sich die Frage, worauf diese Entwicklung zurückzuführen ist. Ein wesentlicher Grund liegt in der heutigen, postmodernen und Pluralen Gesellschaft, welche sich in einem fundamentalen Wandel befindet. Beck (1986, 1ff.) spricht in diesem Kontext von einer Risikogesellschaft, in der es verstärkt zu immer mehr sozioökonomischen Problemen und zum Teil auch zu Armutserfahrungen in Familien kommt. So hat sich beispielsweise die Lebenssituation von Kindern und deren Familien in den letzten Jahren deutlich verändert. Schmidthermes (2009, 7) führt hierzu eine „ausbreitende Perspektivlosigkeit in der Gesellschaft […], in der der Bildungsstand in hohem Maße mit sozialer Herkunft korreliert“ an. Des Weiteren nimmt die Anzahl derjenigen, die mit schwierigen sozialen Umständen zu kämpfen haben, stetig zu, wodurch die Schere zwischen Arm und Reichen immer weiter auseinanderklafft (ebd., 7). Gerade bei jungen Menschen steigt das gefühlte Stresspensum enorm an. So bestätigen 53 Prozent der Befragten „Bleib-locker Deutschland“ Studie, dass ihr Leben in den letzten drei Jahren stressiger geworden sei (Techniker Krankenkasse 2013, 8). Zu den größten Stressfaktoren zählt dabei die „Arbeit“, was mit steigenden Anforderungen in Beruf, Studium oder Schule zusammen hängt. Des Weiteren führten die Teilnehmer hohe Ansprüche an sich selbst, private Konflikte, Geldsorgen, Haushalt und Kindererziehung als wesentliche Stressfaktoren an (ebd, 9f.).
Dabei kommen Menschen heutzutage immer früher in Kontakt mit Stressfaktoren. So müssen sich auch Kinder der „modernen“ Leistungsgesellschaft immer früher mit Armut und Arbeitslosigkeit der Eltern, alleinerziehenden Eltern, Gewalt sowie Konflikte der Erziehungsberechtigten bis hin zu deren Trennung auseinandersetzen (Opp, Fingerle & Freytag 1999, 38). Gemäß Familienreport 2012 des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) stieg im Jahr 2011 die Zahl Alleinerziehender im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in Deutschland auf 20 Prozent. Ebenso haben sich die nichtehelichen Lebensgemeinschaften in den letzten 15 Jahren verdoppelt (BMFSFJ 2013, 14). Dabei können bei Kindern Verhaltensstörungen resultieren. So wird im Allgemeinen angenommen, dass Kinder mit negativen Kindheitserfahrungen stärker von Verhaltensstörungen gefährdet sind und sich nicht zu einer stimmigen Persönlichkeit im späteren Leben entwickeln können (Holtmann & Schmidt 2004, 195f.). Gleichzeitig werden auch viele Erwachsene von Schicksalsschlägen heimgesucht, wie z.B. der Verlust des Ehepartners oder der Kinder. Daraus können sich wiederum verschiedene Reaktionen ergeben, die sich möglicherweise zu langfristigen Störungen ausbilden (Leppert, Gunzelmann & Schumacher et al. 2005, 365ff.). Dramatischere Auswirkungen hat dies bei Katastrophen, die nicht durch den Menschen selbst beinflussbar sind. Exemplarisch sei hier etwa Hurrikan Katrina genannt (vgl. Abstract 25)[1], der im Jahr 2005 in Amerika nicht nur immense wirtschaftliche Schäden verursachte, sondern auch immense psychische Folgen für die Betroffenen nach sich zog (Metzl 2009, 112).
Auch im internationalen Wissenschaftsgeschehen nimmt der Bekanntheitsgrad von Resilienz zu. Ein Indiz dafür ist der aktuelle Bericht „Welthunger-Index“ aus dem Jahr 2013 des Internationalen Forschungsinstitutes für Ernährung- und Entwicklungspolitik (IFPRI). Dieser zeigt auf, wie die Fortschritte der Hungerbekämpfung gesichert werden können. Hierbei werden die Menschen unterstützt, wie sie widerstandsfähiger für Krisen, Naturkatastrophen, Konflikte, steigende Lebensmittelpreise und negative Lebensereignisse werden. (Grebmer, Headey & Olofingiyi, 2013, 2ff.).
Jeder Mensch ist gewissen Belastungsfaktoren sowie Risiken ausgesetzt und erlebt im Laufe seines Lebens mitunter schwerwiegendere Lebensbelastungen (Schmidthermes 2009, 7). Wie kann es dennoch sein, dass manche Menschen sich zu einer stabilen, beziehungsfähigen Persönlichkeit entwickeln und andere wiederum häufiger psychisch und körperlich erkranken (Wustmann 2011, 22; Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 10f.)? Die Antwort darauf könnte „Resilienz“ lauten. Gerade im Hinblick auf die erwähnten Belastungen und Risiken eines jeden Individuums ist das Konzept der Resilienz interessant (Schmidthermes 2009, 7). Diese wird mittlerweile von vielen Forschern aus verschiedenen Fachbereichen untersucht (Wustmann 2011, 14; Leppert & Strauss 2013, 114f.). Von Resilienz spricht man, „wenn sich Personen trotz gravierender Belastungen oder widriger Lebensumstände psychisch gesund entwickeln“ (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 9). Dabei spielen zwei Bedingungen eine wesentliche Rolle: Zum einen ist dies die „Bedrohung für die kindliche Entwicklung“ und andererseits „eine erfolgreiche Bewältigung dieser belastenden Lebensumstände“ (Wustmann 2011, 18).
Die Ursprünge des Resilienzkonzeptes liegen in der Entwicklungspsychologie. Dort fand in den 70er Jahren ein Perspektivenwechsel von einem „krankheitsorientierten, pathologischen Modell […] [hin] zu einem ressourcenorientierten, salutogenetischen Modell“ statt (Wustmann 2011, 26). Dieser Wechsel wird auch in den verschiedenen Forschungskonzepten[2] klar. Traditionell werden in der Risikoforschung potentielle Schadeinwirkungen genauer untersucht, während die Resilienzforschung die Sichtweise mittlerweile hin zur salutogenetischen Perspektive, also auf positive Eigenschaften des persönlichen Krisenmanagements, richtet (Kormann 2009, 190; Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 14). Diese untersucht die „Eigenschaften und Fähigkeiten“, die Menschen auszeichnet, sich trotz risikoreicher Belastungen positiv zu entwickeln (Kormann 2009, 189). Seit der Entwicklung des Modells der Salutogenese stehen neben den Risikofaktoren auch die Schutzfaktoren im Vordergrund. Somit wird der Blick vor allem auf eine gesunde Lebensweise gerichtet und Maßnahmen ergriffen, um die gesundheitsfördernden Schutzfaktoren zu stärken (Bengel, Meinders-Lücking & Rottmann 2009, 10f.). Emmy Werner war 1955 die erste Wissenschaftlerin, die die psychische Widerstandsfähigkeit von Menschen seit deren Geburt in ihrer „Kauai-Längsschnittstudie“ über Jahrzehnte untersuchte (Werner & Smith 1982, 1ff.; Rückert, Ondracek & Romanenkova 2006, 60). Seitdem hat das Forschungsinteresse zum Thema Resilienz, insbesondere in der Kinder- und Jugendpsychologie, enorm zugenommen. Es folgten zahlreiche weitere Studien, die Kinder über einen längeren Zeitraum analysierten (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 15; Kormann 2009, 190; Grossmann 2012, 15).
Aufgrund der Zunahme von psychischen Belastungen und Erkrankungen (Zoike 2010, 61; Keupp & Dill 2010, 12) stellt sich die Frage, was dazu beitragen kann, die physische und psychische Gesundheit der Menschen künftig zu fördern. Dieser Problematik könnte mithilfe des Resilienzkonzeptes präventiv begegnet werden. Fraglich ist hierbei jedoch, was im Detail die entscheidenden Faktoren sind, die zu einer Verbesserung der Gesundheit beitragen. Aus der theoretischen Fachliteratur geht hervor, dass neben den Risikofaktoren vor allem auch die Schutzfaktoren eine wesentliche Rolle spielen (Bengel, Meinders-Lücking & Rottmann 2009, 10; Wustmann 2011, 26; Kormann 2009, 190f.).
Die vorliegende Masterarbeit hat das Ziel den aktuellen Stand der Resilienzforschung zu beleuchten und die theoretischen Aussagen der Fachliteratur mit der empirischen Resilienzforschung durch eine quantitative Literaturanalyse zu vergleichen. Als Ergebnis der Abhandlung soll schließlich die Antwort auf die folgende Forschungsfrage resultieren: „Welche psychischen und physiologischen Aspekte finden sich in der aktuellen Forschungsliteratur und welche Risiko- und Schutzfaktoren lassen sich differenzieren“
Hierzu wird im theoretischen Teil dieser Masterarbeit vor allem auf die psychologische und physiologische Perspektive eingegangen. Darüber hinaus sollen der aktuelle Forschungsstand und die Ergebnisse der wichtigsten empirischen Studien zur Resilienz übersichtlich dargelegt werden. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dabei das Ziel einer quantitativen Literaturanalyse. Hierbei wird ein Datensatz von 80 Abstracts zum Thema „Resilienz“ gebildet und dieser im Detail untersucht. Damit ein repräsentativer Einblick in das Forschungsfeld der Resilienz gegeben werden kann, wird zunächst der theoretische Bezugsrahmen in Kapitel 2 dargestellt. Dazu wird auf die wichtigsten Begriffe und Resilienz-Modelle eingegangen. Des Weiteren werden in diesem Kapitel der aktuelle Forschungsstand sowie die empirischen Befunde und Ergebnisse der Resilienzforschung zusammenfassend beleuchtet. Im Kapitel 3 werden aus den theoretischen Erkenntnissen die Forschungsfrage abgeleitet und die entsprechenden Thesen aufgestellt. Im empirischen Part werden in Kapitel 4 die Untersuchungsmethode und die Bildung der Kategoriensysteme beschrieben. Hierbei werden zuerst die Vorgehensweise, die Operationalisierung der Daten und anschließend die Datenerhebung sowie Datenauswertung erklärt. In Kapitel 5 werden die empirischen Befunde, aufgeteilt in thesenvorbereitende sowie thesenrelevante Ergebnisse der Literaturrecherche, zusammenfassend dargestellt. Im nächsten Kapitel 6 werden die Ergebnisse der Häufigkeitsanalyse diskutiert. Abschließend werden die aufgestellten Thesen und übergeordnete Forschungsfrage beantwortet, bevor im letzten Kapitel 7 ein Fazit und Ausblick gegeben wird.
2 Theoretischer Bezugsrahmen
2.1 Begriffsbestimmungen
2.1.1 Definition Resilienz
Der Begriff „Resilienz (im lateinischen resilire = zurückspringen) wird ganz allgemein [als] die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen“ bezeichnet (Keller 2013, 14). Der Begriff wurde zuerst in der Physik für die Bezeichnung von Materialien, welche nach einer Belastung wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückfielen, verwendet (Bogert 2013, 10; Kasper, Haring & Marksteiner et al. 2008, 1). Seit vielen Jahren wird der Begriff Resilienz vor allem in der Psychologie gebraucht. Eingeführt in die Wissenschaft wurde der Begriff 1950 von Jack Block, der ursprünglich von „ego-resiliency“ und „ego-control“ sprach (Letzring, Block & Funder 2005, 2). Zu Beginn wurde Resilienz ausschließlich in Zusammenhang mit Kindern verwendet. Bekanntheitsgrad erlangte Resilienz dann durch die Entwicklungspsychologin Emmy Werner von der University of California (Kasper, Haring & Marksteiner et al. 2008, 2; Oelsboeck 2013, 103). Im deutschsprachigen Raum wurde der Begriff erstmals durch Corinna Wustmann anerkannt, die sowohl die externale als auch internale Kriterien beachtete (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 9). Wustmann (2011, 8) definiert „Resilienz [als] eine psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“.
In der Psychologie wird Resilienz als die relative Widerstandsfähigkeit einer Person gegenüber schwierigen Lebensumständen und unerwarteten Ereignissen bezeichnet. Hiermit verknüpft ist die individuelle Fähigkeit, wie eine Person in Belastungssituationen handlungsfähig bleibt und schwere Belastungen oder Traumatisierungen in einer gewissen Zeit bewältigt (Hagen & Röper 2007, 15; Senf & Langkafel 2012, 93; Keller 2013, 14). Die sogenannten Belastungen und Traumatisierungen können erhebliche Folgen im späteren Leben mit sich ziehen und vor allem auch zu Krankheiten führen. Allerdings können sehr schwere Belastungen sowie Traumatisierungen auch so verarbeitet werden, dass diese nicht unbedingt den zukünftigen Lebensweg beeinflussen (Senf & Langkafel 2012, 93). Traditionell fokussierte sich die Erforschung der psychischen Entwicklung eines Menschen auf Ursachen von Fehlentwicklungen und Inkompetenz durch sogenannte Risikofaktoren. Mittlerweile ist jedoch der Mensch zunehmend mit seinen Ressourcen und Möglichkeiten seiner Lebensbewältigung in den Mittelpunkt von wissenschaftlichen Fragestellungen gelangt. In der psychotherapeutischen Praxis spielen die Konzepte der Resilienz und Vulnerabilität eine entscheidende Rolle und bestimmen somit das individuelle Verhältnis von Belastung und Bewältigung einer Person (Senf & Langkafel 2012, 93).
Eng verbunden mit dem Konzept der Resilienz ist der Begriff „Salutogenese“, den Aaron Antonovsky entwickelte und damit der Frage “Was hält den Menschen gesund?” nachging (Keller 2013, 14; Antonovsky 1987, 1ff.). Anstatt der pathogenetischen Herangehensweise in der Medizin stellt Antonovsky in seinem Konzept der Salutogenese eine Gegenüberstellung anhand der zwei Pole „Gesundheit“ und „Krankheit“ ein Kontinuum dar (Kasper, Haring & Marksteiner et al. 2008, 2). Hierbei ist zu beachten, dass kein Mensch eine völlige Gesundheit bzw. eine völlige Krankheit erleben kann. Ein bekanntes Beispiel der Verwendung des Konzeptes in der Psychologie stammt vor allem aus der Kinderpsychologie. Hierbei handelt es sich um resiliente Kinder, die trotz Scheidung der Eltern als Erwachsene eine gut funktionierende Beziehung führen können. Die Resilienz beschreibt in diesem genannten Beispiel, wie Kinder traumatische Ereignisse überwinden und diese nur wenig bzw. keinen Einfluss auf ihr zukünftiges Leben haben (Manyena 2006, 434; Keller 2013, 14f.).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass bei Menschen Resilienz eine Fähigkeit darstellt, welche in schwierigen Situationen den Menschen hilft, die Probleme zu lösen und gleichzeitig weiterhin ein zufriedenes Leben zu führen (Rückert, Ondracek & Romanenkova 2006, 61). Darüber hinaus auch die Fähigkeit, Probleme erst gar nicht erst an sich ran zu lassen. Dabei spielt die Problemlösefähigkeit und Handlungskompetenz auch eine entscheidende Rolle (Sembill 1992, 82ff.).
2.1.2 Definition Stress
Im Allgemeinen spielt „Stress“ eine wesentliche Rolle im Zusammenhang mit Resilienz. Stress ist ein sehr komplexes, umfassendes Phänomen, welches „sich auf ein soziales, ein individuelles (psychologisches) oder ein organisches (physiologisches) System beziehen kann“ (Lazarus/Launier 1981, 226).
Gemäß Selye (1988, 58), der bis zur heutigen Zeit als „Vater der Stressforschung“ gilt, wird „Stress [als] die unspezifische Reaktion des Körpers auf jede Anforderung, die an ihn gestellt wird“, bezeichnet. Bei dem Konstrukt Stress handelt es sich um eine Störung des harmonischen Gleichgewichts zwischen einem Organismus und dessen Umwelt. Dies wird als Homöostase bezeichnet. Liegt eine Störung der Homöostase vor, wird dies Allostase genannt (Birbaumer & Schmidt 2010, 150; Bartholdt & Schütz 2010, 23ff.; Selye 1988, 58). Das wissenschaftliche Verständnis von Stress kann in die psychologische und physiologische Ausrichtung unterteilt werden. Für den bekannten Stressforscher Hans Selye gilt Stress als ein „Zustand des Organismus“. Er sieht Stress aus „physiologischer Perspektive als eine Antwort auf jegliche Art von Anforderung an den Körper“ (Selye 1988, 32). Anders als Selye orientiert sich Lazarus eher an der psychologischen Ausrichtung anhand des transaktionistischen Ansatzes auf die Beziehung zwischen Umwelt und Mensch (Lazarus 1999, 12). Im sogenannten „transaktionalen Stressmodell“ nach Lazarus & Launier sind Ressourcen ein wichtiger Bestandteil, welche vor allem auch bei der Resilienz eine entscheidende Rolle spielen (Lazarus & Folkman 1984, 299ff.).
Im Folgenden wird das Adaptionsmodell nach Selye detailliert erläutert. Selye (1988, 70ff.) führte 1836 den Stressbegriff ein. Anhand von unterschiedlichen Experimenten mit Labortieren stellte er fest, dass Organismen unspezifische Alarmreaktionen auf Belastungen aufzeigen (Zimbardo, Gerrig & Graf 2004, 565). Er spricht von einer sogenannten „körperlichen Stressreaktion“. Zum einen bewirkt diese auf kurze Sicht eine adaptive Veränderung, welche dem Organismus hilft, auf einen Stressor zu reagieren. Dadurch werden Energiequellen aktiviert und die Widerstandsfähigkeit kann erhöht werden. Auf lange Sicht kann es durch einen Stressor schädliche Auswirkungen auf den Organismus geben. Sind Belastungen über einen längeren Zeitraum anhaltend, so kann sich dies negativ auf die Gesundheit auswirken (Selye 1988, 70ff.; Bartholdt & Schütz 2010, 33f.). Aus der unten stehenden Abbildung 1 ist das allgemeine Adaptionssyndrom ersichtlich, welches sich in drei Phasen gliedert. Die Kurve bildet die Widerstandsfähigkeit ab. Unter Alarmreaktionen versteht man „kurze Perioden körperlicher Erregung, die den Körper für energische Aktionen bereitmachen“ (Zimbardo, Gerrig & Graf 2004, 565). Der Körper erreicht das Stadium des Widerstands, wenn ein Stressor länger andauert. In dieser zweiten Phase kann der Organismus mehrere anhaltende Stressoren erdulden und diesen widerstehen. Kann die Belastung nicht bewältigt werden, sondern hält die Belastung über einen längeren Zeitraum an, so fällt die Widerstandskraft enorm ab und befindet sich letztendlich im Stadium der Erschöpfung. Hier reichen die Ressourcen des menschlichen Körpers nicht aus und der Organismus fällt in die Stufe der Erschöpfung ab (ebd., 565f.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Allgemeines Adaptionssyndrom nach Selye
(Quelle: Eigene erstellte Darstellung in Anlehnung an Selye 1988, 70; Barthold. & Schutz 2010, 33)
In der letzten Phase Stadium der Erschöpfung identifiziert Selye (1988, 70ff.) mögliche Gefahren. Vor allem wenn der Körper chronisch gestresst ist, wird durch die ansteigende Produktion von „Stresshormonen“ das Immunsystem gefährdet. Das Modell des allgemeinen Adaptionssyndroms hat sich bspw. bei der „Erklärung psychosomatischer Störungen […] als wertvoll erwiesen und hat Ärzte verblüfft, die zuvor Stress nie als Ursache für Erkrankungen angesehen haben“ (Zimbardo, Gerrig & Graf 2004, 566).
2.1.3 Psychischer und physischer Aspekt der Gesundheit
Neben den Auswirkungen auf die psychische Gesundheit stellt sich auch die Frage, in welcher Form das Gehirn und seine komplexen Prozesse für die Resilienzforschung Bedeutung haben. Hierbei ist die Physiologie der Stressantwort im Gehirn sehr umfassend. Wenn ein Mensch starkem Stress (wie z.B. bei Tod eines nahestehenden Menschen oder bei einer Naturkatastrophe) ausgesetzt ist, dann reagieren im Gehirn unter anderem die Thalamusregion und die Amygdala als Teile des limbischen Systems. Die am meisten verursachte Stressreaktion ist die „Fight or flight“ Reaktion, d.h. die Kampf oder Fluchtreaktion (Kasper, Haring, & Marksteiner et al. 2008, 3). Dadurch wird im Körper die Widerstandsfähigkeit gesteigert, indem der Sympathikus aktiviert wird. Dies hat dann verschiedene Auswirkungen auf den Körper eines Menschen. Der Blutdruck kann ansteigen, die Bronchien erweitern sich, der Blutzucker erhöht sich, usw. Um den Anforderungen gerecht zu werden, wird in der Widerstandsphase die eigene Kraft auf hohem Niveau beibehalten. Erst in der Erschöpfungsphase verringert sich die Widerstandskraft wieder auf die normale Kapazität, indem das Nerven- und Immunsystem negativ beeinflusst wird. Hierbei könnte es dann auch zu psychischen Erkrankungen kommen (Gassen 2008, 38f.; Kasper, Haring, & Marksteiner et al. 2008, 1ff.). Zusammenfassend kann fest gehalten werden, dass belastende Lebensereignisse Spuren im menschlichen Organismus hinterlassen können und somit auch Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit haben könnten.
2.1.4 Weitere Begriffe in Verbindung mit Resilienz
Neben dem Begriff Resilienz findet man in der Literatur weitere Begriffe (wie bspw. Vulnerabilität und Resistenz), die des Öfteren in Verbindung mit Resilienz gebracht werden. Abbildung 2 zeigt das Modell der Stressresistenz und Belastbarkeit im Laufe der Zeit (Norris, Stevens & Pfefferbaum et al. 2008, 13).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Modell der Stressresistenz und Belastbarkeit
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Norris, Stevens & Pfefferbaum et al. 2008, 13)
Sind die vorhandenen Ressourcen ausreichend, können die Auswirkungen des Stressors behoben werden und es erfolgt eine Rückkehr zu der Funktionsweise wie vor der Belastung oder Katastrophe bzw. passt sich an die veränderte Umgebung an. Hierbei wird von „Resistenz“ gesprochen. Eine sogenannte vorübergehende Funktionsstörung kann bei unmittelbaren Belastungen oder Katastrophen auftreten. Wenn Widerstand über einen längeren Zeitraum auftritt, dann sind genügend Ressourcen verfügbar, um die unmittelbaren Auswirkungen der Stressfaktoren entgegenzuwirken. Somit kann von „Resilienz“ gesprochen werden und es tritt keine Dysfunktion auf. Dies wird auch adaptierte Funktionen genannt. Eine Abweichung entsteht, wenn die Ressourcen nicht ausreichen bzw. robust genug sind, um die Widerstandsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Hierbei wird von „Vulnerabilität“ gesprochen und dies kann auch zu einer dauerhaften Dysfunktion führen. Umso länger der Stressor anhält bzw. wie stark dieser sich auswirkt, desto wirksamer müssen die Ressourcen sein, um resistent genug zu sein (Norris, Stevens & Pfefferbaum et al. 2008, 127ff).
„Vulnerabilität (Verletzbarkeit) bezeichnet die durch genetische, organische, biochemische, psychische und soziale Faktoren bedingte individuelle Veranlagung, auf Belastungen überdurchschnittlich stark mit Spannung, Angst und Verwirrung zu reagieren“ nach Plaumann, Busse & Walter (2006, 8). Vulnerabilität stellt einen nicht unwesentlichen Faktor dar, weshalb manche Personen anfälliger sind auf schwierige Lebensumstände bzw. an ihnen scheitern oder zerbrechen. Gegenüber der Vulnerabilität stellt Resilienz ein positives Konzept dar, das die Fähigkeit beschreibt, belastende Lebensumstände zu bewältigen (Schmidthermes 2009, 13; Senf & Langkafel 2012, 93).
Zusammenfassend stellt Resilienz somit einen dynamischen Anpassungs- und Entwicklungsprozess dar (ebd., 17; Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 10). Nach heutigem Stand ist die aktive Rolle des Individuums im Resilienzprozess damit gemeint. Dies bedeutet, wie und auf welche Art und Weise das Individuum mit Stress- und Risikosituationen umgeht. Dabei wird Stress nicht als objektive Belastung betrachtet, sondern wie das Individuum selbst die Stresssituation wahrnimmt, diese subjektiv bewertet und sich mit dieser auseinandersetzt (Coping) (Wustmann 2011, 28f).
2.1.5 Persönlichkeiten in Verbindung mit Resilienz
Eine beeindruckende Persönlichkeit in Verbindung mit Resilienz ist die des französischen Resilienzforschers Boris Cyrulnik, welcher im Alter von 6 Jahren so gut wie alles verlor. Seine Eltern starben im Konzentrationslager und auch er entging im Kindesalter nur ganz knapp dem Tod. Seine Lebensgeschichte gibt Antwort darauf, was Menschen in Extremsituationen stark macht. Er schaffte es, Glück und Zufriedenheit im Leben trotz der traumatischen Erlebnisse in seiner Kindheit zu finden. Mittlerweile gilt er als einer der führenden Resilienzforscher weltweit (Cyrulnik 2013, 11ff.). So ähnlich erlebte es auch Viktor Frankl, der im zweiten Weltkrieg seine Eltern, auch Frau sowie seinen Bruder verlor (Frankl & Kreuzer 1997, 61). Er war der Erfinder der Logotherapie, in der er als wesentlichen Kern den „Sinn des Lebens“ sieht (Frankl 2005, 35). Ein sehr passendes Beispiel ist ebenso der beeindruckende Lebenslauf des ehemaligen Bundeskanzlers und Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt. Sein Geheimnis drückte er folgendermaßen aus "Es gibt kaum hoffnungslose Situationen, solange man sie nicht als solche akzeptiert" (Rühle 2011, 28). Betrachtet man seinen Lebensverlauf, so hatte Willy Brandt keine einfache Kindheit. Er war sozusagen ein Junge bzw. Mann aus dem Untergrund, der es sogar durch seine Persönlichkeitsentwicklung bis zum Bundeskanzler geschafft hatte. Dies zeigt u.a., dass die sogenannten „Stehaufmännchen“ immer einen Ausweg in auch noch so einer Krise finden. Solche Personen haben die Kraft bzw. wissen vor allem was sie für nächste Schritte gehen, während anderen Menschen die Situation aussichtslos erscheint (Brandt 2014, 11ff.).
2.2 Entwicklung der Resilienzforschung
Die oben erläuterten Resilienzfaktoren hängen immer von den „individuellen und kontextbezogenen Bedingungsfaktoren“ ab (Schmidthermes 2009, 18). Des Weiteren gibt es eine „breite Effektspanne“ von Risiko- und Schutzfaktoren. Diese können zum einen über eine breite Reichweite wirken, andererseits aber auch sehr spezifisch sein. Neben den erwähnten Punkten, sollte in der Resilienzforschung vor allem auch beachtet werden, dass Resilienz ein „höchst komplexes Phänomen ist, das unterschiedlichste dynamische Prozesse zwischen persönlichen Merkmalen, der Umwelt und dem Entwicklungsergebnis abbildet“ (ebd. 2009, 18f.).
Freud beschäftigte sich als erster generell mit unbewussten Prozessen eines Menschen, der Psychoanalyse. Diese stellt ein Untersuchungsverfahren von seelischen Vorgängen dar, welches von Sigmund Freud entwickelt wurde (Nitzschke 2010, 47ff.). Im Rahmen der Psychoanalyse wird versucht die Widerstände des Patienten offen zulegen. Diese Widerstände sollte dem Patienten klar gemacht werden, um diese letztendlich aufzulösen. Freund suchte nach der Ursache für körperliche und psychische Leiden bei seinen Patienten (ebd., 74ff.).
Die Entstehung des Resilienzkonzeptes liegt in der Entwicklungspsychologie. Durch den Perspektivenwechsel von dem pahologischen hin zu dem salutogenetischen Modell, werden neben den Risikofaktoren auch die Schutzfaktoren genauer untersucht (Wustmann 2011, 26; Kormann 2009, 189). Anfang der 1980er Jahre erkannten die Forscher immer mehr, dass Menschen verschieden auf gewissen Risiken reagieren. Gerade bei Kindern fanden Sie heraus, dass bestimmte Risikoeinflüsse oder ungünstige Lebensumstände nicht unbedingt eine Auswirkung auf die Entwicklung von Kindern haben. Vielmehr besitzen bzw. entwickeln Kinder bestimmte Fähigkeiten, um negative Einflussnahmen zu meistern. Sehr lange wurde die „psychische Widerstandsfähigkeit“ in der Forschung bei der Entwicklung von Kinder nicht beachtet (Wustmann 2011, 27). Des Öfteren wurden Kinder, die belastende Situationen gut meisterten, als „unverwundbar“ bezeichnet, da die Forscher nicht genau wussten, mit was bzw. wie sie die Situation überstanden hatten. Daraufhin war das Konzept der „unverwundbaren Kinder“ sehr beliebt und das Forschungsinteresse stieg enorm an (ebd. 28). Viele Forscher beschäftigten sich mit der Frage, wie Kinder negative Lebenssituationen gut überwinden. Des Weiteren untersuchten einige Forscher die unterschiedlichen Abläufe der Entwicklung von Kindern, insbesondere ihre Fähigkeiten, sowie sozialen Ressourcen, die den Kindern zu einem positiven Verlauf verhelfen (Wustmann 2011, 26ff.; Kormann 2009, 190f.).
Im Wesentlichen hat Emmy Werner sich sehr intensiv mit dem Thema Resilienz beschäftigt und dazu beigetragen, dass die Zahl der Forschungen zu diesem Thema enorm anstiegen (Rückert, Ondracek & Romanenkova 2006, 60). Die Wissenschaftlerin beschäftigte sich in der Entwicklungspsychologie insbesondere mit Längsschnittstudien, indem sie Menschen seit der Geburt über viele Jahre begleitet und beobachtet (Werner & Smith 1982, 8; Kormann 2009, 190; Grossmann 2012, 15). Ihre „Kauai-Längsschnittstudie“ wird im Kapitel 2.4.1 genauer erläutert. Mit heutigem Stand ist Resilienz durch drei wesentliche Merkmale gekennzeichnet. Resilienz ist (Wustmann 2011, 28ff., 2005; Wustmann 193f.; Schmidthermes 2009, 17f.):
- ein dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess
- eine variable Größe
- ist situationsspezifisch und multidimensional
Bei Resilienz kann von einem „dynamischen, transaktionalen Prozess zwischen Kind und Umwelt“ gesprochen werden (Wustmann 2005, 193). Somit steht fest, dass es sich bei Resilienz nicht um ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal handelt. Viel mehr versteht man darunter eine Kapazität, die u.a. durch einen zeitlichen Verlauf der Entwicklung verbunden mit einer Kind-Umwelt Interaktion erlernt wird (ebd., 193f.; Schmidthermes 2009, 17). Das zweite Merkmal ist seine „variable Größe“ (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 10; Wustmann 2005, 194). Nach heutigem Forschungsstand ist Resilienz ein Konstrukt, welches sich mit der Zeit oder durch eine bestimmte Situation verändern kann. Sozusagen bezieht sich Resilienz auf die jeweilige Konstellation und es kann von einer „elastischen Widerstandsfähigkeit“ gesprochen werden. Darum kann auch nicht von einer einmal erworbenen Fähigkeit sprechen, sondern eher von einer „lebenslangen“ Fähigkeit (Bender & Lösel 1998, 117ff.; Wustmann 2005, 194; Schmidthermes 2009, 17). Resilienz ist sozusagen „domänenspezifisch“, dies bedeutet, dass Resilienz in einem bestimmten Lebens- und Kompetenzbereich nicht unbedingt auf andere Situationen im späteren Leben übertragen werden kann. Besser vorstellbar ist dies z.B. wenn eine Person bei sozialen Kontakten und Beziehungen resilient ist. Dies bedeutet nicht automatisch, dass dies bedeutet dann nicht gleich, dass diejenige Person im beruflichen Kontext ebenso resilient ist oder vice versa. Darum spricht man bei Resilienz auch von einem „situations- und lebensbereichsspezifischen Phänomen“ (Schmidthermes 2009, 18; Wustmann 2011, 32).
Im Wesentlichen soll durch die Resilienzforschung herausgefunden werden, welche Faktoren dazu beitragen, die psychische Gesundheit und Stabilität bei Kindern, die sozialen und familiären Entwicklungsgefahren ausgesetzt sind, zu untersuchen.
2.3 Konzepte der Resilienzforschung
Ein allgemeines Ziel der Resilienzforschung ist, ein besseres Verständnis zu erlangen, was für Faktoren und Bedingungen psychischer Gesundheit und Stabilität bei Kindern, die Entwicklungsrisiken ausgesetzt sind, zu erhalten und zu fördern (Fingerle, Julius & Freytag 1999).
Aufgrund der Komplexität des Resilienzkonzeptes gibt es verschiedene methodische Umsetzungen. Im Folgenden werden nun die zentralen Konzepte der Resilienzforschung dargestellt. Zuerst wird das Konzept der Salutogenese erläutert. Dieses Konzept war eines der ersten, wo auf die Bewältigung statt nach Defiziten gesucht hatte, nachdem herausgefunden wurde, dass Resilienz keine angeborene Persönlichkeitseigenschaft ist (Rutter 1985, 601ff.; Antonovsky & Franke 1997, 15). Daneben wird in dieser Arbeit das Risiko- und das Schutzfaktorenkonzept dargestellt, da diese beiden als zwei zentrale Konzepte angesehen werden, die mit der Resilienzforschung stark verbunden sind. Darüber hinaus wird das Rahmenmodell von Resilienz nach Kumpfer (1999, 179ff.) ausführlich beschrieben. Das Modell berücksichtigt neben den Risiko- und Schutzfaktoren auch andere forschungstheoretische Grundlagen und veranschaulicht die Komplexität von Resilienz (ebd., 185; Wustmann 2011, 65).
2.3.1 Salutogenese nach Antonovsky
„Ausgangspunkt von Antonovskys Betrachtungen ist die Leitfrage, weshalb Menschen unter dem Einfluss widriger Lebensumstände gesund bleiben oder nach einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung wieder gesund werden, bzw. welche Kräfte sie dazu bringen, gesund zu bleiben und gesund zu werden“ (Kormann 2009, 190). Diese Sichtweise ist dieselbe wie bei Resilienz, dass Menschen eigene Ressourcen haben und diese auch nützen, um nach einer kranken Phase wieder zu genesen bzw. gesund zu bleiben (Antonovsky 1997, 21ff.).
Der Wissenschaftler Aaron Antonovsky arbeitete eng mit dem Thema Resilienz, den Risiko- und Schutzfaktoren und insbesondere mit der Frage zur psychologischen und physiologischen Gesundheit zusammen. Er entwickelte das Konzept der Salutogenese und versuchte zu erklären, wie Gesundheit entsteht (Kormann 2009, 190; Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 14). Bei diesem Konzept der Salutogenese handelt es sich auch „um ein Stressmodell, [welches] sich mit situationsspezifischen Bedingungen und intrapsychischen Merkmalen bei der Bewältigung von Anforderungen beschäftigt“ (Reimann, & Hammelstein 2006, 13). Während sich die Pathogenese mit der Entstehung und Entwicklung einer Krankheit beschäftigt, steht bei der Salutogenese die Erhaltung bzw. Förderung der Gesundheit im Vordergrund (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 14; Wustmann 2011, 26).
Anstatt zu fragen „was löst [die Krankheit] aus?“, was sich direkt auf die Stressoren bezieht, beschäftigt sich Antonovsky mit der Frage „Welche Faktoren […] beteiligt [sind], dass man seine Position auf dem Kontinuum zumindest beibehalten oder aber auf den gesunden Pol hin bewegen kann“ (Antonovsky & Franke 1997, 30; Franke & Broda 1993, 1; Reimann & Hammelstein 2006, 13f.). Somit hat dieses Konzept in den 70er Jahren im Wesentlichen zu einem Perspektivenwechsel von einer risikoorientierten Sicht zu einer ressourcenorientierten Sicht beigetragen (Antonovsky & Franke 1997, 15).
Das salutogenetische Konzept beschäftigt sich damit, was einen Menschen trotz widriger Umstände gesund hält. Antonovsky ging der Frage nach, wie es sein kann, dass fast ein Drittel der Frauen aus Israel, die in einem deutschen Konzentrationslager untergebracht waren, einen guten Gesundheitszustand hatten, während im Gegensatz dazu die restlichen israelitischen Frauen immer noch an Traumata litten (ebd., 15). Ihn beschäftigte neben der Untersuchung einer Krankheit vor allem die „Widerstandsressourcen“ zu ergründen, welche notwendig zur Bekämpfung von Stressoren sind.
Er fand heraus, dass die Widerstandsressourcen, welche er als „Kohärenzgefühl“ bezeichnet, verschieden stark ausgeprägt sind. Unter Kohärenzgefühl versteht Antonovsky „eine globale Orientierung […], die das Maß ausdruckt, in dem man ein durchdringendes, andauerndes aber dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass die eigene interne und externe Umwelt vorhersagbar ist und dass es seine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass sich die Dinge so entwickeln werden, wie vernünftigerweise erwartet werden kann (Antonovsky & Franke 1997, 16). Da die Widerstandsressourcen unterschiedlich und schwierig sind, diese zu vereinheitlichen, hat er das Konzept der „sense of coherence“ (SOC) erfunden (Antonovsky 1987, 15). Dieses Konzept ermöglicht Menschen „ihre Position auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum [zu] unterscheiden“ (ebd., 15ff.; Reimann, & Hammelstein 2006, 15; Kröninger-Jungaberle & Grevenstein 2013, 2ff.).
2.3.2 Risikofaktorenkonzept
Das Risikofaktorenkonzept basiert auf der Grundlage der pathogenetischen Sichtweise. Dieses betrachtet die Faktoren und Lebensbedingungen, welche die Entwicklung der Kinder beeinträchtigen, gefährden oder zu seelischen Erkrankungen führen könnte (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 20). Holtmann & Schmidt (2004, 196) definieren Risikofaktoren als „krankheitsbegünstigende, risikoerhöhende und entwicklungshemmende Merkmale“.
Ein Zusammenspiel aus den verschiedensten Faktoren hat einen Einfluss auf die Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen (Holtmann & Schmidt 2004, 195). Es werden „Vulnerabilitätsfaktoren, die biologische und psychologische Merkmale des Kindes umfassen“ und die „Risikofaktoren oder Stressoren, die in der psychosozialen Umwelt eines Kindes entstehen“, unterschieden (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 20; Wustmann 2011, 36ff.; Schmidthermes 2009, 19f.). Die Vulnerabilitätsfaktoren werden nochmals unterteilt, in „primäre Vulnerabilitätsfaktoren“, die ein Kind von Geburt an aufweist. Die folgende Tabelle 1 enthält die wesentlichen Vulnerabilitätsfaktoren und Stressoren, welche auch im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit genauer untersucht werden (Wustmann 2011, 38f.; Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2014, 21f.).
Tabelle 1: Darstellung Risikofaktoren
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In Tabelle 2 sind die wesentlichen „Traumatischen Erlebnisse“ dargestellt, welche ebenso zu den Risikofaktoren zählen (Wustmann 2011, 40). Hierbei sind Katastrophen, Kriegs- und Terrorerlebnisse, Unfälle, Gewalttaten, usw. Dies stellen Risikofaktoren dar, die unberechenbar sind und jeden im Laufe seines Lebens treffen können.
Tabelle 2: Darstellung Traumatische Erlebnisse
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.3.3 Schutzfaktorenkonzept
In der Resilienzforschung findet seit einigen Jahren ein Perspektivenwechsel statt. Während man früher nur die Risikofaktoren untersuchte, welche zu Krankheiten führten, wird mittlerweile nach weiteren Faktoren gesucht, die trotz Belastungen zu körperliche und psychische Gesundheit führen (Reimann & Hammelstein 2006, 13). Diese Faktoren werden Schutzfaktoren genannt. Darunter versteht man Faktoren, die eine Auftretenswahrscheinlichkeit von Risiken bzw. Belastungen vermindern (Becker-Nehring, Witschen & Bengel 2012, 148).
Unter schützenden Faktoren werden nach Rutter (1985, 600) psychologische Eigenschaften in Bezug auf die soziale Umwelt verstanden. Dadurch werden die positiven Ergebnisse erhöht, wie z.B. durch soziale Kompetenzen und sozusagen das Auftreten von psychischer Belastungen gesenkt. Das Schutzfaktorenkonzept wurde als positiver Gegensatz zu den Risikofaktoren gesehen (Wustmann 2011, 44). Damals hat Rutter gefordert, die risikoerhöhenden von den risikomildernden Faktoren methodisch und auch qualitativ voneinander zu unterscheiden (Rutter 1985, 600f.; Wustmann 2011, 45). Die Schutzfaktoren werden gemäß der Resilienzforschung zum einen in personale Ressourcen und zum anderen in soziale Ressourcen unterteilt. Unter personalen Ressourcen werden die Eigenschaften eines Individuums verstanden. Dem stehen soziale Ressourcen als Schutzfaktoren in der Betreuungsumwelt des Individuums gegenüber. Die schützenden Faktoren werden häufig in „personale“, „familiäre“ und „soziale Schutzfaktoren“ eingeteilt (Bengel, Meinders-Lücking & Rottmann 2009, 23). In der Tabelle 3 sind die wesentlichen Schutzfaktoren (Personelle Ressourcen und Resilienzfaktoren) dargestellt, welche ebenso wie die Risikofaktoren im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit untersucht werden (Wustmann 2011, 46f.; Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2014, 29; Bengel, Meinders-Lücking & Rottmann 2009, 48ff.).
Tabelle 3: Darstellung Schutzfaktoren
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der folgenden Tabelle 4 sind die Sozialen Ressourcen abgebildet, aufgeteilt in „Innerhalb der Familie“ und „In Bildungsinstitutionen“.
Tabelle 4: Darstellung Soziale Ressourcen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei den dargestellten Schutzfaktoren sollte unbedingt beachtet werden, dass diese auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zugeschnitten sind. Erst seit den 90er Jahren wurde die Forschung ausgeweitet und auch Schutzfaktoren diskutiert, welche Erwachsenen ermöglichen, stressreiche Erfahrungen oder Lebenskrisen ohne gesundheitliche Schäden zu bewältigen. Denn die sozialen Schutzfaktoren im Alter von Erwachsenen unterscheiden sich maßgeblich von den Schutzfaktoren, die in der Entwicklung von Kindern und Jugendliche eine Rolle spielen (Bengel & Lyssenko 2012, 7). Hierzu entwickelte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) den Bericht „Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter“, der eine Ergänzung der bereits erforschten Schutzfaktoren, die eher auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen gerichtet waren, darstellt (ebd., 6ff.).
2.3.4 Zusammenhang von Risiko- und Schutzfaktoren
Generell sollten die Risikofaktoren gegenüber den Schutzfaktoren in der Resilienzforschung differenziert betrachtet werden, da diese unterschiedliche, individuelle sowie kontextbezogene Auswirkungen haben. Trotz vorhandener Risikofaktoren weisen einige Menschen eine hohe Widerstandsfähigkeit auf, indem sie sich trotz Belastung und Risiko psychisch gesund entwickeln. Dies könnte an den vorhandenen Schutzfaktoren liegen, die von individueller Belastbarkeit und Bewältigungskompetenzen abhängig sind.
Der Zusammenhang von Risiko- und Schutzfaktoren wird durch die „Beeinträchtigung/Ressourcen Konstellation nach Staudinger (Staudinger 1999, 343f.) vereinfacht in Abbildung 3 dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 : Beeinträchtigung/Ressourcen Konstellation
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Staudinger 1999, 344)
Festgehalten werden kann, dass Risiko- und Schutzfaktoren sich gegenseitig in einem „komplexen Wirkmechanismus“ beeinflussen (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 32). Als Ergebnis des Zusammenwirkens der Risiko- und Schutzfaktoren können die Vulnerabilität und Resilienz gesehen werden. Wie bereits in Kapitel 2.1.4 erläutert, stellt Resilienz gegenüber Vulnerabilität ein positives Konzept dar, um belastende Lebensumstände zu bewältigen (Schmidthermes 2009, 13; Senf & Langkafel 2012, 93). Zu beachten ist allerdings, dass sich Vulnerabilität und auch Resilienz im Zusammenhang mit täglichen Anforderungen sowie vorhandenen Ressourcen verändern. Die Wahrscheinlichkeit einer gelungenen Bewältigung von Risikofaktoren steigt, je mehr Schutzfaktoren ein Individuum aufweist (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 32f.).
Damit das Schutzfaktorenkonzept als Ergänzung zu den Risikofaktoren gesehen werden kann, sollten folgende Voraussetzungen nach Laucht (1999, 307ff.) erfüllt sein:
- Abgrenzung gegenüber Risikofaktoren,
- Nachweis eines Puffereffektes,
- Abgrenzung gegenüber Kompetenzen des Kindes,
- Nachweis einer zeitlichen Priorität.
Erstens sollten die Risikofaktoren methodisch klar von den Schutzfaktoren begrifflich differenziert betrachtet werden. Risiko und Schutzfaktoren wirken in gewissen Weise zusammen bzw. sind voneinander abhängig. Schützende Faktoren haben einen Einfluss auf die schädliche Wirkung eines Risikofaktors (ebd., 307f.). Gerade im Fall einer Gefährdung werden die Schutzfaktoren wirksam. Darüber hinaus sollte berücksichtigt werden, dass die „protektive Wirksamkeit von Kompetenzen“, d.h. die Resilienz des Kindes nachgewiesen werden sollte. Hierbei sollte das „ein- und dasselbe Kindermerkmal“, welches in unterschiedlicher Funktion betrachtet wird, vermieden werden. Es sollte generell das „protektive Merkmal“ des Kindes von seinem „Entwicklungsergebnis“ unabhängig voneinander bestimmt werden (ebd., 308). Als letzte Voraussetzung sollte ein „protektiver Faktor“ zeitlich nachweisbar vor einem Risikofaktor sein (ebd., 301f.).
Der Zusammenhang der Risiko- und Schutzfaktoren verdeutlicht auch Kumpfer (1999, 185) in seinem Rahmenmodell, welches im nächsten Kapitel genauer erläutert wird
2.3.5 Rahmenmodell nach Kumpfer
Kumpfer (1999, 185ff.) hat das Risiko- und Schutzfaktorenkonzept in seinem Rahmenmodell viel umfangreicher dargelegt, wie aus der Abbildung 4 ersichtlich ist. Dieses Modell ist ein guter Orientierungsrahmen, da es alle bisher in der Resilienzforschung diskutierten forschungstheoretischen Grundlagen vereint. Zudem berücksichtigt das Modell die Merkmale des Kindes sowie seiner Lebensumwelt und verdeutlicht die Komplexität von Resilienz. Durch sein Modell hebt Kumpfer vier Einflussbereiche sowie zwei Transaktionsprozesse hervor, welche für die Entstehung von Resilienz eine wesentliche Rolle spielen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 : Rahmenmodell nach Kumpfer
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Kumpfer 1999, 185)
Die folgenden vier Einflussbereiche (Nummerierung 1 bis 4) können in der oben stehenden Abbildung entnommen werden (Kumpfer 1999, 185ff.; Wustmann 2011, 62f.):
- 1 Stressor
- 2 Umweltbedingungen
- 3 Personale Merkmale
- 4 Entwicklungsergebnis
Durch den akuten Stressor wird eine Störung ausgelöst, wodurch der Resilienzprozess aktiviert wird. Der den Umweltbedingungen handelt es sich um Bedingungen, die sich auf Beeinflussung bzw. das Vorhandensein von Risikofaktoren aus dem sozialen Umfeld des Individuum beziehen. Um die Fähigkeiten und Kompetenzen geht es bei den Personalen Ressourcen. Diese werden für die Bewältigung von belastenden Faktoren benötigt. Das Entwicklungsergebnis ist gekennzeichnet durch die Aufgabenbewältigung von angemessenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Bewältigte Entwicklungsaufgaben stellen für einen Menschen neue Ressourcen dar, auf die sie in zukünftigen, stressigen Situationen zurückgreifen können (Wustmann 2011, 62f.; Kumpfer 1999, 179ff.).
Neben den vier genannten Einflussbereichen benennt Kumpfer noch zwei weitere Transaktionsprozesse. Zum einen das „Zusammenspiel von Person und Umwelt“ (Nummerierung 5). Bei diesem Prozess ist eine Mitgestaltung der Person an seine Lebensumwelt gemeint. Zum anderen das „Zusammenspiel von Person und Entwicklungsergebnis“ (Nummerierung 6). Hierunter wird der Resilienzprozess verstanden, bei dem gleichzeitig effektive bzw. dysfunktionale Bewältigungsprozesse gemeint sind (Wustmann 2011, 63). Zu beachten gilt bei diesem Resilienzkonzept allerdings die noch bestehenden Probleme und Schwachstellen aufgrund der Komplexität des Modelles. Gerade bei den beiden Transaktionsprozessen besteht laut Kumpfer (1999, 179ff.) noch Forschungsbedarf. Des Weiteren kritisiert er, dass sich das Modell lediglich auf Risikofaktoren, sozusagen auf die negativen Umwelteinflüsse bezieht.
Zusammenfassend kann fest gehalten werden, dass das Rahmenmodell den Perspektivenwechsel von einem Defizit-Modell hin zu einem Ressourcen-Modell zeigt. Anhand der Bewältigung von schweren Belastungen können sich dadurch neue soziale Ressourcen bilden, welche der Person in Zukunft zur Verfügung stehen. Sozusagen können Risikobedingungen als Chance gesehen werden. Kinder sind des Öfteren noch abhängig von ihrer Lebensumwelt. Darum ist es wichtig, die Kinder schon in einem jungen Alter an die Problembewältigung heranzuführen und ihre Problemlösefähigkeit zu fördern. Eine frühzeitige Förderung dieser Kompetenzen ermöglicht einen Umgang mit stressigen Situationen und zeigt wirksame Handlungsmöglichkeiten auf. Des Weiteren wird dadurch Sicherheit und Stabilität vermittelt. Diese stellen die wichtigsten Präventionsziele der Resilienzforschung dar (Wustmann 2011, 70f.).
2.4 Empirische Befunde der Resilienzforschung
Unter diesem Gliederungspunt werden nun die wichtigsten Studien aus der Resilienzforschung aufgezeigt. Werner & Smith (1982, 151ff.), die den Begriff „Resilienz“ bekannt machten, veröffentlichte 1979 eine Studie über Kinder der hawaiiansichen Insel Kauai. Diese Studie gilt als eine der Pionierstudien zum Thema Resilienz. Gemäß Werner & Smith wurden Kinder als „resilient“ bezeichnet, die unter schweren Bedingungen aufgewachsen sind und trotzdem als Erwachsene psychisch gesund und erfolgreich leben konnten (Werner & Smith 1982, 151ff.; Wustmann 2004, 87f.). Neben der Kauai-Studie wird noch die Mannheimer-Risikostudie, sowie die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie genauer aufgezeigt.
2.4.1 Wichtige Studien der Resilienzforschung
Kauai-Längsschnittstudie
Als bekannteste Untersuchung zu Resilienz gilt die „Kauai-Längsschnittstudie“ auf der Hawaiianischen Insel Kauai von Werner & Smith (1982, 1ff.). Diese war die erste Untersuchung über einen längeren Zeitraum, die sich systematisch mit Risikokindern beschäftigte. Diese Risikokinder haben sich zu starken Persönlichkeiten im Erwachsenenalter entwickelt, obwohl sie schwierige Lebensbedingungen hinter sich hatten. Insgesamt erstreckte sich die Studie über einen Zeitraum von über 40 Jahren (Grossmann 2012, 15). An dieser Studie haben sich u.a. auch ein Team von Kinderärzten, Psychologen und Mitarbeiter des Gesundheits- und Sozialdienstes beteiligt Schwerpunkt der Untersuchung war vor allem der direkte Vergleich von resilienten und nicht resilienten Kindern und die Frage nach den Risiko- und Schutzfaktoren. Das Ziel dieser Studie lag darin, die physischen, psychischen und kognitiven Auswirkungen von Kindern mit negativen Lebensumständen zu erforschen (Wustmann 2011, 87). Interviews, Verhaltensbeobachtungen und Leistungstest waren die wesentlichen Erhebungsinstrumente. Daneben wurden auch noch weiter Informationen (z.B von Gesundheits- und Sozialdiensten oder Familiengerichten) mit in die Studie einbezogen. Die Studie begann im Jahr 1955, indem der Geburtsjahrgang dieses Jahres mit 698 Neugeborenen auf der hawaiischen Insel Kauai einbezogen wurde. Im Zeitraum von 40 Jahren wurden die Familien der Kinder, sowie die Kinder im Alter von einem, zwei, 10, 18, 32 und 40 Jahren wiederholt erfasst (Werner & Smith 1982ff., 14; Grossmann 2012, 18f.; Wustmann 2011, 87f.).
Von der gesamten Stichprobe lebten ein Drittel der Probanden mit einer hohen Risikobelastung, wie bspw. unter chronischer Armut und psychischen Erkrankungen der Eltern. Von diesem Drittel stellten Werner & Smith (1982, 24ff.) wiederum fest, dass ein Drittel sich trotz der hohen Belastungen gut entwickelte. Die restlichen zwei Drittel der anderen Kinder zeigten Verhaltensauffälligkeiten. Bei den Probanden, die sich als resilient heraus stellten, wurde später festgestellt, dass diese bspw. optimistisch eingestellt waren, Beziehungen eingingen, einen Job fanden, der sie erfüllte, usw. Im Vergleich zu den restlichen Probanden, die unter gleichen Bedingungen aufwuchsen, wurde im Alter von 40 Jahren festgestellt, dass diese weniger chronische Krankheiten oder z.B. geringere Scheidungsraten auswiesen. Sie zeigten die verschiedenen wichtigen Elemente, wie Bezugspersonen, stabile Familienverhältnisse oder eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung auf (Grossmann 2012, 19ff.; Wustmann 2011, 88).
Aus den Ergebnissen der Längsschnittstudie konnten drei wesentliche Gruppen von schützenden Faktoren ermittelt werden, die resiliente Personen aufweisen. Diese waren:
- innerhalb des Individuums
- in der Familie
- in der Gemeinschaft
zu verorten (Werner 1999, 27ff.). Neben diesen drei wesentlichen Gruppen konnte auch noch ein „schützender Prozess“, d.h. die Verbindung zwischen schützenden Faktoren im Kind und seiner Umwelt identifiziert werden. Ebenso wurde eine neue Perspektive entdeckt und zwar die „Balance zwischen Vulnerabilität und Resilienz“ (ebd., 30f.).
Die Untersuchung sollte allerdings kritisch im Hinblick auf die Risiko- und Schutzfaktoren gesehen werden, da diese nicht genau getrennt unterschieden wurden (Wustmann 2011, 89).
„Mannheimer-Risikostudie“
Angelehnt an diese Studie wurde in Deutschland die „Mannheimer-Risikostudie“ durchgeführt. Bei dieser Studie wollten Laucht, Esser & Schmidt (1999, 71ff.) herausfinden, wie sich Kinder mit verschiedenen Risikobelastungen entwickeln. Des Weiteren wollten sie untersuchen, welche schützende Faktoren dazu beitragen, Belastungen zu reduzieren. Die Stichprobe bestand aus 362 Probanden, die im Zeitraum zwischen 1986 und 1988 geboren wurden. Die Untersuchungen fanden jeweils im Alter von drei Monaten, zwei, vier, fünf, acht und elf Jahren statt (ebd., 74ff.; Hohm, Blomeyer & Schmidt et al. 2007, 157).
Die Ziele der Studie waren, eine möglichst breit gefächerte Beschreibung von Kindern mit unterschiedlichen Risikobelastungen in der Entwicklung zu erhalten. Ein weiteres Ziel lag darin, schützende Einflüsse (Kompetenzen und Ressourcen) der Kinder und deren sozialen Umfeldes zu erlangen. Des Weiteren wollten Laucht, Esser & Schmidt die Risiko- und Schutzfaktoren identifizieren bzw. die pathogenen und salutogenetischen Prozesse genauer zu analysieren. Außerdem wollten sie durch die Studie Verbesserungen zur Früherkennung bzw. Frühbehandlung von Entwicklungsstörungen bei Kindern erarbeiten (Laucht, Esser & Schmidt 1999ff., 71; Wustmann 2011, 89ff.).
Die wesentliche Ergebnisse bzw. Aussagen der Kauai-Längsschnittstudie konnten durch die Ergebnisse der Mannheimer Risikostudie bestätigt werden. Zusätzlich konnten Risiken identifiziert werden, welche die Entwicklung der Kinder beeinflussen. Der Schwerpunkt lag auf den Risikofaktoren, darüber hinaus wurden aber auch Prozesse beschrieben, welche Faktoren eine schützende Rolle bei der gesunden Entwicklung spielen (Laucht 1999, 307ff.; Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 16).
„Bielefelder-Invulnerabilitätsstudie“
Die „Bielefelder-Invulnerabilitätsstudie“ wollte im Gegensatz zu der Kauai Längsschnittstudie die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) von Kindern, welche ein schwieriges Entwicklungsrisiko besitzen, untersuchen und deren Schutzfaktoren erfassen. Das Ziel der Studie lag darin, die Schutzfaktoren zu erfassen, die außerhalb der Familie zu einer resilienten Entwicklung der Kinder beigetragen haben (Lösel & Bender 1999, 38ff.; Wustmann 2011, 92).
Die Stichprobe der Untersuchung bestand im Gesamten aus 146 Jugendlichen. Diese waren zwischen 14 und 17 Jahre alt und wuchsen in einem Heim auf, da sie aus einem riskanten Milieu entstammten. Trotz des schwierigen Familienumfeldes wurden die Jugendlichen von Erziehern als resilient eingestuft. Für die Untersuchung wurde eine Vergleichsgruppe gebildet, die im selben Heim aufwuchsen und dieselben Risikofaktoren aufwiesen. Allerdings zeigten diese Jugendlichen im Gegensatz zu den resilienten Probanden starke Verhaltensauffälligkeiten. Als Erhebungsinstrumente wurden Interviews und Fragebögen eingesetzt und als Schwerpunkt vier Merkmalskomplexe (biografische Belastung, Störung des Verhaltens und Erlebens, personale und soziale Ressourcen) messbar gemacht (Lösel & Bender 1999, 37ff.).
Die Ergebnisse der Bielefelder Studie ergaben, dass sich die resilienten Jugendlichen von den auffälligen Jugendlichen unterschieden und zwar hinsichtlich der personalen und sozialen Ressourcen, der intellektuellen Fähigkeiten, des Erziehungsklimas und deren Symptombelastung. Auch diese Studie kam zu ähnlichen Ergebnisse wie in der Kauai Längsschnittstudie, obwohl die Studie sich auf eine spezielle Gruppe fokussierte bzw. ein anderer Kulturkreis vorlag. Die wesentlichen Befunde sind, dass die resilienten Jugendlichen innerhalb des Untersuchungszeitraums schützende Faktoren zeigten, wie bspw. ein positives Selbstwertgefühl, eine größere Motivation hinsichtlich von Leistung sowie realistische Zukunftspläne. Darüber hinaus konnte eine bessere Beziehungsfähigkeit fest gestellt werden, vor allem hatten die als resilient eingestuften Jugendlichen im Gegensatz zu den restlichen Probanden feste Bezugspersonen auch außerhalb der Familie (Lösel & Bender 1999, 38ff.; Wustmann 2011, 92ff.; Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, 17).
2.4.2 Ergebnisse der empirischen Forschung
Zusammengefasst zeigen die beschriebenen Studien (Kapitel 2.4.1) ein Bereich von Merkmalen bzw. schützenden Faktoren auf, die für eine gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen von enormer Bedeutung sind, vor allem aus den verschiedensten Regionen sowie unterschiedlichsten Risiken bzw. Problemfeldern. Ebenso zeigt sich, dass resiliente Individuen nicht unbedingt passiv auf schwierige Umstände reagieren, sondern sich um Möglichkeiten bemühen, die für eine positive Entwicklung wichtig sind (Lösel & Bender 1999, 51f.; Wustmann 2011, 115ff.).
Resilienz ist nach heutigem Forschungsstand keine angeborene, unveränderliche Eigenschaft. Vielmehr wird diese von der Umwelt beeinflusst und entwickelt sich erst im Laufe des Lebens und kann auch über die Zeit und Situationen variieren. Somit ist Resilienz eine variable Größe und nach derzeitigem Forschungsstand keine stabile Immunität und absolute Unverwundbarkeit gegenüber negativen Lebensereignissen und psychischen Störungen (Schmidthermes 2009, 16; Kumpfer 1999, 185). Es ist vielmehr ein Konstrukt, welches im Laufe der Zeit und durch Situationen variieren kann. Mit der Entwicklung eines Kindes können Fähigkeiten, schwierige Ereignisse und Risikobedingungen bewältigt werden. Im Laufe der kindlichen Entwicklung und während einer akuten Stressepisode können sich neue Vulnerabilitäten und Ressourcen heraus bilden (Senf & Langkafel 2012, 93; Werner & Smith 1982, 24ff.). Zusammenfassend lässt sich fest halten, dass Kinder zu einem Zeitpunkt in ihrem Leben resilient sind und zu einem anderen späteren Zeitpunkt unter anderen Risikoeinflüssen verletzlicher erscheinen können (Wustmann 2004, 30).
Aus der Forschung zum Thema Resilienz geben die bisherigen Ergebnisse auch wichtige Hinweise für eine pädagogische Gestaltung gerade in „schulischer Lebens- und Lernwelten“. Generell sollten die pädagogische Gestaltung nicht nur bei Kindern mit Risikobelastungen eingesetzt werden, vielmehr auch allgemein in Schulen.
[...]
[1] Übersicht aller Abstracts bzw. Artikel können dem Anhang (Punkt 2) entnommen werden.
[2] Unter Forschungskonzepten sind in dieser Arbeit das Risiko- und Schutzfaktorenkonzept gemeint, welches im Kapitel 2.3 noch genauer erläutert wird.
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