1860-1914 / Europa zwischen Liberalismus und Protektion


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungen

1. Einleitung

2. Ausgangslage

3. Europäischer Liberalismus
3.1. Der Britisch-Fränzösische Handelsvertrag von 1860
3.2. Die Ausdehnung des Systems bilateraler Verträge
3.3. Freihandel in Europa

4. Rückkehr zum Protektionismus
4.1. Agrarsektor
4.2. Transportkosten
4.3. Industrie
4.4. Imperialistische Expansion
4.5. Sonstige Einflussfaktoren

5. Schlussbemerkung

6. Tabellenverzeichnis
6.1. Tabelle 1 – Teilnahme am europäischen Liberalismus
6.2. Tabelle 2 – Durchschnittliche Höhe der Zölle in Europa 1914

7. Literaturverzeichnis

Abbildungen

Abb. 1 – Transportkosten für Weizen 1830-1910

1. Einleitung

Gegenstand dieser Arbeit zum Thema „Das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts – Zwischen Liberalismus und Protektion“ ist eine Untersuchung der Außenwirtschaftsbeziehungen[1] zwischen den in Industrialisierung befindlichen europäischen Staaten. Die Untersuchung gliedert sich dabei in einen deskriptiven und einen analytischen Teil. Der deskriptive Teil beinhaltet eine Beschreibung der – unter obiger Vorgabe wirtschaftsgeschichtlich relevanten - Ereignisse der betrachteten Epoche[2]. Aufgrund der Komplexität der nationalen und internationalen Wirtschaftspolitik und der Vielzahl von gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Strömungen[3], wird sich diese Arbeit hauptsächlich auf die globalen[4] Zusammenhänge konzentrieren. Als Erkenntnisobjekt wird dabei die Entwicklung in Frankreich und Deutschland im Vordergrund und die englische Entwicklung als Referenzobjekt zur Verfügung stehen. Eine Betrachtung der Verhältnisse und Entwicklungen in anderen Ländern soll lediglich stichprobenartig und nur dort erfolgen, wo dadurch ein Erkenntnisgewinn in Bezug auf den analytischen Teil zu erwarten ist. Letzterer wird sich mit der Frage auseinandersetzen, warum nahezu alle Staaten Europas[5] nach einem – in historischen Dimensionen - sehr kurzen liberalen Intermezzo zu maßgeblich protektionistischer Außenhandelspolitik zurückgekehrt sind und welche wirtschaftlichen, institutionellen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren dafür verantwortlich waren.

2. Ausgangslage

Im betrachteten Zeitraum befinden sich die Staaten Europas mitten in der Industriellen Revolution, die in Großbritannien Anfang des 18. Jahrhunderts begonnen hatte. Da es sich bei den weitreichenden Umwälzungen dieser Revolution nicht – wie der Name vielleicht vermuten lässt - um einige wenige einschneidende Ereignisse handelte, sondern vielmehr um eine langfristige Entwicklung, lassen sich die Daten des Beginns in den einzelnen Ländern nur schwer fixieren. Bei Rostow findet sich eine Abgrenzung, nach der die Industrielle Revolution in Großbritannien zwischen 1783 und 1802 begann, in Frankreich (1830-1860), Belgien (1833-1860), USA (1843-1860) und Deutschland (1850-1873) dagegen 47 bis 67 Jahre später[6]. Landes stellt fest, dass „Die schnellsten der europäischen Nachfolgerländer .. etwas mehr als ein Jahrhundert…“ brauchten, um ihren Rückstand aufzuholen[7]. Als ein weiterer Indikator des stark divergierenden wirtschaftlichen Entwicklungsstandes kann das Pro-Kopf-Einkommen herangezogen werden, das in Europa um 1860 zwischen 200 USD (zu Preisen von 1960) im Falle Russlands und 630 USD in Großbritannien lag[8]. Diese Beispiele zeigen, dass die jeweiligen Staaten Europas an den Fortschritten in der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion, im Lebensstandard, im Transportwesen aber auch in Gesellschaftsbereichen wie Bildung, Wissenschaft und Forschung in ganz unterschiedlichem Maße partizipierten. Diese Feststellung der mangelnden Konvergenz wird für den Fortgang der Arbeit, insbesondere im Abschnitt über die Rückkehr zum Protektionismus, von besonderer Bedeutung sein.

3. Europäischer Liberalismus

Eine präzise Abgrenzung von Liberalismus und Protektion erscheint im politischen Kontext schwierig[9], da der Übergang durchaus fließend sein kann. Zwar bemerkt Joosten[10], dass die Ziele der Liberalisten klar wirtschaftlich, die der Protektionisten hingegen oftmals politisch orientiert sind, eine derart strikte Trennung kann aber für den betrachteten Zeitraum nicht aufrecht erhalten werden[11]. Auch eine Bewertung, z.B. ab welcher prozentualen Höhe von Einfuhr- und Ausfuhrzöllen von Protektionismus gesprochen werden muss, kann auch immer nur als subjektiv und im Zeitablauf variabel angesehen werden[12]. Ein (eher theoretisch gelagertes) Abgrenzungsproblem zwischen Fiskal- und Schutzzöllen illustriert dass Problem: die Gesamteinnahmen aus den jeweiligen Zollarten sind in erster Linie von der jeweiligen Nachfrageelastizität abhängig ist. Bei komplett unelastischer Nachfrage mutiert folglich jeder Schutzzoll zum Fiskalzoll. Bei komplett elastischer Nachfrage wird bereits ein infinitesimal kleiner Zollsatz zur Einstellung des Handels führen und daher eine protektionistische Maßnahme darstellen. Sieht man einmal von der lückenhaften Verfügbarkeit historischer Zensusdaten ab, verbleibt immer noch das Problem der korrekten Interpretation[13].

Obwohl die Idee des Freihandels bereits lange Zeit zuvor durch Adam Smith und David Ricardo[14] eine (theoretische) wissenschaftliche Fundierung erhalten hatte, war eine Umsetzung bisher nur in Großbritannien[15], den Niederlanden, Dänemark, Portugal, Schweiz und mit Abstrichen in Schweden und Belgien[16] erfolgt. Auch wenn sich die folgenden Entwicklungen nicht im eigentlichen Sinne der Außenwirtschaftspolitik zurechnen lassen, schien man doch, z.B. im Falle Deutschlands, die Vergrößerung des Absatzmarktes als unabdingbare Voraussetzung für industrielles Wachstum erkannt zu haben. Erste Schritte in diese Richtung wurden denn auch schon früh, nämlich mit der Gründung des Zollvereins 1834 unternommen. Sukzessive schlossen sich bis 1867 fast alle Deutschen Staaten dem Zollverein an und schließlich bis 1888 auch die freien Städte Bremen und Hamburg. Eine ähnliche Phase der Vereinheitlichung des inländischen Marktes lässt sich auch für Frankreich in den Jahren ab 1850 konstatieren.[17]

Offenbar bildete die Vereinfachung des Binnenhandels zusammen mit den rasanten Fortschritten im Transportwesen, namhaft der Eisenbahnindustrie[18] in Großbritannien, Frankreich und Deutschland, das Fundament für den Europäischen Liberalismus ab 1860.

3.1. Der Britisch-Fränzösische Handelsvertrag von 1860

Der zuvor beschriebenen Ermöglichung inländischen Wettbewerbs folgte in relativ kurzem zeitlichem Abstand die Intensivierung des ausländischen Wettbewerbs unter liberalen Gesichtspunkten. Aus dem vorangegangenen Abschnitt über die Abgrenzung von Liberalismus und Protektion wird deutlich, dass die jeweiligen außenhandelspolitischen Ausprägungen der einzelnen Nationalstaaten sehr facettenreich sein können. I.F. soll daher die Zuordnung der betrachteten Nationen zur Gruppe der Freihandelsstaaten im Wesentlichen vom Zeitpunkt des Beitritts zum System bilateraler Verträge abhängig gemacht werden. Die Auflegung dieses Vertragssystems bildet den ersten Kulminationspunkt im Kampf zwischen den rivalisierenden Gruppen der Freihändler und der Protektionisten. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Konflikt bereits seit langer Zeit im Verborgenen schwelte und immer wieder von kleinen Siegen auf beiden Seiten gekennzeichnet war. Den Grundstein für das System bilateraler Verträge legten Großbritannien und Frankreich am 23. Januar 1860 mit der Unterzeichnung des „Cobden/Chevalier“- Handelsvertrages[19]. Dieser Vertrag wurde zunächst für die Dauer von zehn Jahren ausgelegt und beinhaltete die Abschaffung sämtlicher Einfuhrverbote auf französischer Seite[20] und die Erlaubnis zur zollfreien Einfuhr einer Vielzahl französischer Produkte nach Großbritannien. Ein möglicher Indikator für die oftmals unterstellte politische Motivation dieses ersten Handelsvertrages auf französischer Seite kann darin gesehen werden, dass Großbritannien ja bereits eine weitgehende Liberalisierung der Außenhandelspolitik umgesetzt und daher viel weniger anzubieten hatte als umgekehrt Frankreich. Darüber hinaus kann jedoch klar festgehalten werden, dass man sich auf französischer Seite wirtschaftliche Impulse aus der Abschaffung des Protektionismus erhoffte[21].

[...]


[1] Der Liberalismus-Begriff soll hierbei ausdrücklich auf Bestandteile der Politischen Ökonomie und insbesondere auf die (politisch geprägten) Handelsbeziehungen zwischen den Nationalstaaten reduziert werden. Dies wird jedoch keineswegs allen Implikationen des Liberalismus-Gedankens gerecht. I.F. soll die Verwendung des Ausdrucks „Liberalismus“ denn auch synonym mit „Freihandel“ gebraucht werden.

[2] Eine vollständige Betrachtung ist schon aus formalen Gründen an dieser Stelle nicht möglich. Es sei jedoch auf eine Vielzahl umfassender Ausarbeitungen über alle für die Epoche bedeutenden Staaten in der Literatur verwiesen. Z.B. „Die Entwicklung der industriellen Gesellschaften“ in „Europäische Wirtschaftsgeschichte“, Gustav Fischer Verlag (1977), Stuttgart.

[3] Der betrachtete Zeitraum fand nicht umsonst unter vielen verschiedenen Titeln Eingang in die Geschichtsschreibung. Beispielsweise nennt man die Epoche (oder Teile davon) „Zeitalter des Imperialismus“, „Gründerzeit“, „Blütezeit des Hochkapitalismus“, „Erste Welle der Globalisierung“ oder „Epoche der Demokratisierung der Massen“.

[4] Im Sinne der Betrachtung der wichtigsten Industriestaaten.

[5] Ausnahmen bilden nach herrschender Meinung lediglich Großbritannien, Holland, Belgien und die Schweiz. Siehe hierzu z.B. Pollard, Sidney "The Rise of Neo-Mercantilism - 1870 to 1914" in "The Industrialisation of Europe 1760 - 1970" S. 259, Oxford University Press (1995), Oxford

[6] Rostow, Walt W. “Stages of Economic Growth: A non-communist manifesto” S.38, Cambridge University Press (1960), Cambridge

[7] Landes, David S. “Wohlstand und Armut der Nationen” S.247, Siedler Verlag (1999), Berlin (1999)

[8] Bairoch, Paul "European Trade Policy 1815-1914" in "The Cambridge Economic Hostory of Europe" Bd.8, S.37, Cambridge University Press (1989), Cambridge

[9] „Echter“ Liberalismus würde in Außenhandelsfragen das Nicht-Vorhandensein jeglicher Handelshemmnisse bedeuten. Dieser Zustand ist aber in der Realität selten, allerhöchstens für Teilmärkte und zwischen wenigen Staaten, zu beobachten.

[10] Joosten, Hugo H. "Vom Freihandel zum Schutzzoll – Vom Wandel der Wirtschaftideologie in Großbritannien“ S.XIV, Verlag Theodor Müller (1933), Nordhausen

[11] So wird beim ersten signifikanten Liberalisierungsakt der Geschichte, nämlich der Unterzeichnung des Britisch-Französischen Handelsabkommens von 1860 auf Seiten Napoleons III. eine politische Motivation unterstellt. Bairoch, P. „European Trade Policy“, a.a.O., S. 38

[12] So kann im späteren Fortgang der Arbeit gezeigt werden, dass z.B. durch (im Verhältnis zum Warenwert) hohe Transportkosten schon geringe Zölle zum Schutz der einheimischen Märkte ausreichten. Dieselben Zölle, die also zu einem bestimmten Zeitpunkt noch protektionistischen Charakter hatten, verlieren diesen im Zeitablauf.

[13] Im Fortgang der Arbeit wird die Angabe von Zollsätzen immer ad valorem erfolgen sofern nicht anders angegeben. Zur geschilderten Problematik siehe Capie, Forrest H. "Traiffs and growth – Some illustrations from the world economy 1850-1940” S.24ff, Manchester University Press (1994), Manchester

[14] Irwin, Douglas A. "Against the tide. An intellectual history of free trade” S.75-98, Princeton University Press (1996), Princeton

[15] Großbritanniens Vorreiterrolle bei der Umsetzung wird bei Bairoch als logische Konsequenz aus dem fortgeschrittenen Stadium der Industrialisierung des Landes gesehen. Bairoch, P. “European Trade Policy“, a.a.O., S.14

[16] Bairoch betont, dass dies vor dem Hintergrund der geringen Bevölkerungszahlen der genannten Staaten (mit Ausnahme Großbritanniens) noch nicht als Durchbruch zum Freihandel bewertet werden kann. Ebenda, S.36

[17] Fohlen, C. „Die Entwicklung der Industriellen Gesellschaften“ in „Europäische Wirtschaftsgeschichte“ Bd.4, S.131, Gustav Fischer Verlag (1977), Stuttgart

[18] Allein in Deutschland vergrößerte sich das Schienennetz von einigen hundert Kilometern um 1840 auf über 10.000 KM um 1860. Borchardt, K. "Die Industrielle Revolution in Deutschland 1750-1914“ in "Europäische Wirtschaftsgeschichte“ Bd.4., Abb.10, S.169, Gustav Fischer Verlag (1977), Stuttgart. Langfristig konnte durch die Eisenbahn eine Senkung der Transportkosten bei Massengütern um 80 bis 85% erreicht werden. Ebenda, S.158.

[19] Dieser wurde auf Seiten Frankreichs hauptsächlich durch Napoleon III entgegen dem Willen des Großteils der Bevölkerung ermöglicht. Eine Ratifizierung im Parlament wurde denn auch umgangen, da man das Scheitern der Abstimmung befürchtete. Bairoch, P. „European Trade Policy, 1815 – 1914“ S.37f in „Cambridge Economic History of Europe“, Volume VIII, Cambridge University Press (1989), Cambridge. Bairoch belegt zudem, dass Frankreich keineswegs zufällig der erste Vertragspartner war. Vielmehr war das britische Außenhandelsdefizit mit Frankreich am größten. Ebenda, S.36

[20] Im Ersatz gegen Einfuhrzölle mit einer Obergrenzen von 30 v.H. ad valorem; ab 1864 25 v.H. Ebenda, S.37

[21] Goroll, Wolfgang “Die Auseinandersetzung um Freihandel und Protektionismus im Frankreich des 19. Jahrhunderts – 1815-1892“ S. 91, Dissertation, Harry Bungsche Offsetdruck (1977), Bubenreuth.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
1860-1914 / Europa zwischen Liberalismus und Protektion
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V34455
ISBN (eBook)
9783638346672
ISBN (Buch)
9783638761741
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit befasst sich detailliert mit der Phase des Europäischen Freihandels und den Gründen für die Rückkehr zum Protektionismus nach 1879.
Schlagworte
Europa, Liberalismus, Protektion
Arbeit zitieren
Sebastian Schmidt (Autor:in), 2004, 1860-1914 / Europa zwischen Liberalismus und Protektion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34455

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