Konsumorientierung in der Fernsehkommunikation - Eine Analyse am Beispiel privatkommerzieller Lifestyle-Formate


Magisterarbeit, 2004

79 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ökonomisierung des Fernsehsektors
2.1. Aufmerksamkeit als Wirtschaftsfaktor
2.2. Involvement
2.3. Bedürfnisorientierung

3. Wertewandel und Konsum
3.1. Ursachen des Wertewandels
3.2. Entstehung der Konsumgesellschaft
3.2.1. Konsumbegriff
3.2.2. Merkmale der Konsumgesellschaft
3.3. Erlebniskonsum
3.3.1. Erlebnisrationalität der Konsumenten
3.3.2. Hedonismus
3.4. Lebensstile
3.4.1. Lebensstile und ästhetische Schemata
3.4.2. Vertikaler Konsum
3.4.3. Horizontaler Konsum
3.5. Implikationen für die Werbung
3.6. Implikationen für die Programmgestaltung

4. Konsumwerte in den Lifestyle-Formaten
4.1. Konsumästhetik
4.1.1. Konsumwerte in EINSATZ IN 4 WÄNDEN
4.1.2. Konsumwerte in S.O.S. STYLE & HOME
4.2. Lifestyle-Formate als Erlebniswelten
4.3. Aktivierung ästhetischer Schemata
4.4. Lifestyle-Formate als Form des Erlebnismarketing
4.5. Lifestyle-Formate aus konsumkritischer Perspektive

5. Zusammenfassung

6. Anhang

7. Literaturverzeichnis

„Jede Boutique und jedes Café wird heute „erlebnisaktiv“ gestaltet. [...] Alltäglich gehen wir vom Erlebnis-Büro zum Erlebnis-Kauf, erholen uns in der Erlebnis-Gastronomie und landen schließlich zu Hause im Erlebnis-Wohnen“ (Welsch 1993, 14).

1. Einleitung

Mit der Ökonomisierung des Fernsehsektors und der Ausdifferenzierung der Me- diensysteme ist der Kampf um die Aufmerksamkeitsanteile zum Handlungsparadig- ma der Fernsehsender avanciert. Dabei hat die Konsumorientierung in der Fernseh- kommunikation als wesentliche Aufmerksamkeitsstrategie seit Mitte der 90er Jahre an Bedeutung gewonnen. Die zunehmende Orientierung an dem Zuschauer in seiner Funktion als Konsument hat tiefgreifende Spuren in der Programmstruktur der Fern- sehsender hinterlassen. Insbesondere im privatkommerziellen Sektor haben sich eine Vielzahl von Lifestyle-Formaten etabliert, die nicht nur ein Werbeumfeld bieten, sondern gleichermaßen gesellschaftliche Konsumwerte aufgreifen und in aufmerk- samkeitsträchtige Programminhalte umwandeln. Zu diesen konsumorientierten For- maten gehören auch EINSATZ IN 4 WÄNDEN und S.O.S. STYLE & HOME.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Verquickung von ökonomischen Anforde- rungen und die Thematisierung von Konsumwerten als eine Form der Aufmerksam- keitsstrategie anhand der exemplarisch gewählten Lifestyle-Formate deutlich zu ma- chen. Dabei wird der Fokus auf die privatkommerziellen Fernsehsender gelegt, da sie sich über den Verkauf von Werbezeiten finanzieren und auf die Aufmerksamkeit der Zuschauer im besonderen Maße angewiesen sind. Als Ausgangspunkt der Analyse wird in Kapitel 2. die ökonomische Perspektive der Aufmerksamkeitsgenerierung vorgestellt. In diesem Zusammenhang soll die Problematik für die privatkommerziel- len Sender hervorgehoben werden, die sich immer öfter gering involvierten Zuschau- ern gegenüber sehen. Die Programmanbieter müssen sich somit immer stärker an die Bedürfnisse der Rezipienten orientieren, die sich im Zuge des Wertewandels zuneh- mend verlagern.

Da sich in den westlichen Gesellschaften die Bedürfnisse überwiegend auf den Konsum beziehen, werden in Kapitel 3. die Konsumwerte näher untersucht. Hierbei soll aufgezeigt werden, dass sich die Konsumwerte im Rahmen des gesellschaftli- chen Wandels verändern und keine feststehenden Konstrukte darstellen. Die histori- sche Rückschau auf die wichtigsten Konsumentwicklungstendenzen seit dem 18. Jahrhundert bildet den Rahmen für die sich verändernden Konsumwerte. In diesem Zusammenhang wird der Konsumbegriff aus verschiedenen wissenschaftlichen Per- spektiven näher betrachtet. Bei der Beschreibung der wichtigsten Merkmale einer Konsumgesellschaft zeichnen sich bereits die zwei Wertetrends ab, die im Wesentli- chen das Konsumverhalten der Individuen beeinflussen: die Erlebnisorientierung und die Lebensstilpositionierung. Im Hinblick auf die Erlebnisorientierung wird insbe- sondere die zunehmende Innenorientierung der Individuen und die Tendenz zum imaginativen Hedonismus thematisiert. Unter dem Aspekt des Lebensstils als Hand- lungsschema wird der Konsum in seiner ästhetisch-expressiven Form beleuchtet. Dabei wird festgehalten, dass die verwendeten Konsumsymbole zunehmend einer Wertrelevanzverschiebung unterliegen. In diesem Sinne wird aufgezeigt, dass der vertikale Prestigekonsum zunehmend vom horizontalen Imagekonsum abgelöst wird. Im Anschluss an die Analyse zu den Konsumwerten werden die Folgen für die Wer- betreibenden und die Programmanbieter untersucht. Aus psychologischer Perspekti- ve wird dargestellt, welche Sozialtechniken die Werbetreibenden einsetzen, um das Involvement und damit einhergehend auch die Aufmerksamkeit der Rezipienten zu steigern. Weiterhin soll deutlich gemacht werden, dass die privatkommerziellen Sen- der in Analogie zur Werbebranche auf ebensolche Sozialtechniken angewiesen sind und diese in ihre Programmgestaltung auch zunehmend einbinden, um die Aufmerk- samkeit der Rezipienten zu aktivieren.

Anhand der ausgewählten Sendungen EINSATZ IN 4 WÄNDEN und S.O.S. STYLE & HOME soll schließlich aufgezeigt werden, auf welche Weise die aktuellen Werte- trends wie die Erlebnisorientierung, der Hedonismus und die Lebensstilpositionie- rung in den Sendungen aufmerksamkeitsträchtig eingesetzt werden und dabei auf symbolische Weise die Konsumbedürfnisse der Rezipienten ansprechen. Unter dem Verwertungsaspekt wird gleichermaßen aufgezeigt, dass die Lifestyle-Formate von den Werbetreibenden zunehmend als Werbeplattform im Rahmen des Erlebnismar- ketings genutzt werden. In der konsumkritischen Auseinandersetzung mit den Life- style-Formaten wird abschließend die Problematik der Abhängigkeit der privatkom- merziellen Sender von der werbetreibenden Wirtschaft diskutiert.

2. Ökonomisierung des Fernsehsektors

Die Einführung der privatkommerziellen Fernsehsender und die Etablierung des dua- len Rundfunksystems haben zu tiefgreifenden Veränderungen im Fernsehsektor ge- führt. Diese Veränderungen sind vor allem Sinnbild für die Finanzierungsform der privaten Fernsehsender, die sich nicht mehr über Rundfunkgebühren, sondern über- wiegend durch Werbung refinanzieren.1 Als Wirtschaftsunternehmen verfolgen sie das ökonomische Ziel, mit den angebotenen Programmen größtmögliche Gewinne und Marktanteile einzutreiben (vgl. Holtmann 1999, 11, 12). Das Programm bildet als strategisches Element die Schnittstelle zwischen TV-Sender, Zuschauer und Werbekunden (vgl. Wehmeier 1998, 185).2 Bleicher (2002, 137) bezeichnet das Pro- gramm als Warenpalette, die sich in die einzelnen Markenartikel der Sendungen un- terteilt und die Interessenausrichtung der Werbetreibenden und der Rezipienten ver- bindet. Die Vermarktungstendenzen haben dazu geführt, dass sich die privaten Fernsehsender selbst als Dienstleistungsunternehmen verstehen, die danach bestrebt sind, in jedem Tagesabschnitt jene Programminhalte anzubieten, die einen größtmög- lichen Teil der verfügbaren Zuschauer ansprechen (vgl. Nieland 1996, 130). Als Übermittlungsinstanz zwischen Zuschauer und Werbetreibenden liefern die Sender jene Programme, die die anvisierten Zielgruppen im Zuschauermarkt erreichen sol- len. Auf diese Weise übersetzen sie die Zielgruppenwünsche der Werbetreibenden in Zuschauerwünsche. Die Medienunternehmen bieten den Werbetreibenden in Form von Werbezeit und Werberaum eine Plattform für ihre Kommunikationsmaßnahmen an und stellen über ihre Programmangebote wiederum den Kontakt zu der werbere- levanten Zielgruppe her (vgl. Siegert 2001, 118, 119). Um ihre Werbeeinnahmen zu sichern, sind die privatkommerziellen Fernsehsender auf die Zuschaueraufmerksam- keit angewiesen, die sie schließlich an die werbetreibende Wirtschaft weiter verkau- fen. In Kapitel 2.1. wird die Aufmerksamkeit als ökonomischer Wirtschaftsfaktor ausführlich diskutiert, wobei ihre Generierung aufgrund der starken Konkurrenz- situation im Mediensektor immer problematischer wird. Einen wesentlichen Wir- kungsfaktor hinsichtlich des Konsumentenverhaltens stellt dabei das Involvement dar. Wie in Kapitel 2.2. deutlich wird, hat es einen erheblichen Einfluss darauf, wel- che Medieninhalte rezipiert werden. In diesem Sinne ist davon auszugehen, dass sich die Fernsehsender zunehmend an den Bedürfnissen der Rezipienten orientieren müs- sen, um sich die Aufmerksamkeitsanteile zu sichern (vgl. Kapitel 2.3.).

2.1. Aufmerksamkeit als Wirtschaftsfaktor

Die Ausführungen zu den wirtschaftlichen Entwicklungstendenzen des Fernsehens kommen kaum mehr ohne das Schlagwort der „Aufmerksamkeitsökonomie“ aus. Bleicher (2002, 125) bezeichnet in diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit als zent- ralen Faktor im Rahmen des Medienwettbewerbs und der Konkurrenzsituation zwi- schen den Medien um den Rezipienten. Der Ansatz einer „Ökonomie der Aufmerk- samkeit“ ist auf den Entwurf von Georg Franck zurückzuführen, der diese als neue Form der Währung und als Wirtschaftsgut analysiert. Die wesentliche Besonderheit einer Währung besteht nach Franck in der Knappheit der Ressource. Diese Knapp- heit kommt in der Asymmetrie zwischen der Verfügbarkeit einer Sache und den viel- fältigen Verwendungsmöglichkeiten zum Ausdruck. Geld ist demnach als notorisch knapp anzusehen, da seine Verfügbarkeit „am schärfsten das praktisch Machbare aus dem Raum des theoretisch Möglichen“ (Franck 1998, 51) ausschneidet.3 Nach Franck ist die Knappheit der Aufmerksamkeit auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen. Die pluralisierte Gesellschaft mit ihrer Vielzahl zur Verfügung ste- hender Sinnangebote sei durch eine nicht ablassende Informationsflut geprägt, die sich dadurch auszeichnet, dass die Menge an Reizen von den Individuen nicht mehr aufgenommen werden kann. Die gesellschaftlichen Bedingungen haben somit dazu beigetragen, dass die Aufmerksamkeit im Sinne Francks zu einer knappen Ressource avanciert ist, mit der die Individuen haushalten müssen (vgl. Franck 1998, 49, 50).

In Anlehnung an Sohn/Welling (2002, 15, 16)4 und Gräser (2003, 32) lässt sich kri- tisch anführen, dass die Fähigkeit, aufmerksam zu sein, selbst nicht knapp werden kann, da Aufmerksamkeit vielmehr ein individuelles Konstrukt darstellt und von der Zahl der Individuen, einhergehend mit ihren Entscheidungen, jemandem Aufmerk- samkeit entgegenzubringen, verbunden ist. In diesem Zusammenhang kann nur die erhaltene Aufmerksamkeit als knapp empfunden werden und nicht die Fähigkeit, aufmerksam zu sein.

Aus dieser Perspektive heraus, lässt sich die Problematik für die privatkommer- ziellen Sender skizzieren. Durch die Zulassung der privaten Fernsehsender und der damit einhergehenden Programmvermehrung ist es zu einem enormen Informations- anstieg gekommen, der einer beschränkten Aufmerksamkeitskapazität der Zuschauer gegenübersteht. Die Programmverbreitung bei gleichbleibender Fernsehnutzung hat zur Folge, dass die Zuschauer selektiv mit ihrer Aufmerksamkeit umgehen, was sich u. a. in den verschiedenen Formen des Zappings zeigt. Die damit einhergehende Fragmentierung der Zuschauergemeinschaft bewirkt, dass die entgegengebrachte Aufmerksamkeit für die Sender als knapp empfunden wird. Demnach sehen sich gerade die privatkommerziellen Sender veranlasst, jene Programminhalte zu verbrei- ten, die sich aufmerksamkeitswirksam vermarkten lassen. Nach Bleicher (2002, 126) dient Aufmerksamkeit demnach als Grundlage für die „Hypothesenbildung“ bei der Angebotsplanung. Das „Massengeschäft mit der Aufmerksamkeit“ schreibt Franck (1998, 147 ff.) den Medien zu. Als Werbefläche zur Erzeugung von Quoten agiere dabei gerade das kommerzielle Fernsehen als ein Dienstleistungsunternehmen im Zeichen der Aufmerksamkeitsproduktion.5

Ebenfalls aus ökonomischer Perspektive begreift Holtmann (1999, 12 ff.) die Auf- merksamkeit als Ware. Nach Holtmann besteht die wesentliche Eigenschaft des pri- vaten Fernsehens darin, dass das Publikum gleichermaßen als Objekt wie auch als Subjekt des Systems fungiert. In diesem Sinne sind die Zuschauer zum Einen Kon- sumenten und Abnehmer des Programms und zum Anderen wird ihre Aufmerksam- keit als Ware an die werbetreibende Wirtschaft abgesetzt. Demnach unterscheidet Holtmann die Sphären des Konsums als auch jene der Produktion von Zuschauern und Aufmerksamkeit. Der Zuschauer, der als aktives Subjekt über seinen Konsum entscheidet, entwickelt sich auf diese Weise zum Objekt der Transaktion und die Aufmerksamkeit zum entscheidenden Faktor des Wertschöpfungsprozesses. Wäh- rend des Fernsehkonsums wird allerdings kein Gut aufgebraucht, sondern in Form der Werbeaufmerksamkeit erst ein flüchtiges produziert. Aus diesem Ansatz ergibt sich die Problematik, dass Aufmerksamkeit nicht ohne Weiteres messbar ist und in seiner Intensität variiert. Fernsehen hat sich insbesondere im Tagesverlauf zum Ne- benbei-Medium entwickelt, so dass nicht davon auszugehen ist, dass die Inhalte zu jeder Zeit aufmerksam verfolgt werden.6 Wie Gräser (2003, 40 ff.) ausführt, tauschen Werbetreibende und Medienorganisationen „Verfügungsrechte bzgl. der Zielgrup- penansprache gegen Geld“. Allerdings handele es sich bei dieser Transaktion nicht um einen Weiterverkauf der empfangenen Aufmerksamkeit, sondern um den Ver- kauf des Versprechens, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Einschaltquoten liefern keine Aufschlüsse über die Qualität der Zuschauer bzw. deren Aufmerksamkeit. Allerdings besteht zumindest eine größere Wahrscheinlichkeit, dass jene Zuschauer, die ein Programm eingeschaltet haben, dem Inhalt auch ein gewisses Maß an Aufmerksam- keit entgegenbringen, so dass man zumindest von potentieller Aufmerksamkeit spre- chen kann.7 Die Medien erzeugen in diesem Sinne keine Zuschaueraufmerksamkeit, sondern Zuschauerpotentiale, die die Leistungsfähigkeit der Sender widerspiegeln, Zuschauer anzusprechen.8

2.2. Involvement

Analog zum Konsumgütermarkt hat sich auch der Fernsehsektor tendenziell von ei- nem Verkäufer- zu einem Käufermarkt entwickelt, auf dem das verfügbare Angebot die Nachfragekapazität übersteigt (Wehmeier 1998, 184).9 Auf einem Käufermarkt wird dem Konsumenten somit eine gewisse Marktmacht zugeschrieben, die es ihm ermöglicht, machtorientierte Aktivitäten auszulösen. Im Rahmen dieser asymmetri- schen Marktkonstellation eröffnet sich damit für die Konsumenten die Möglichkeit, aus einer Vielzahl von Produkten auszuwählen und durch „ Verweigerung “ oder „ Abwanderung “ (Wiswede 2000, 42 ff.) ihre Marktmacht auszuspielen. Für den Fernsehsektor bedeutet dieser Angebotsüberschuss, dass die Marktlagenmacht auf Seiten der Rezipienten liegt. Diese nehmen durch An-, Um- oder Ausschalten Ein- fluss auf den wirtschaftlichen Programmerfolg der privatkommerziellen Sender. Da die Programmvermehrung zu einer Fragmentierung der Zuschauergemeinschaft ge- führt und die Mediennutzung individualisiert hat, gleicht die Entwicklung neuer Pro- gramminhalte zunehmend der Hypothesenbildung. Dabei wird es für die Fernsehsen- der immer schwieriger zu berechnen, wann welche Zuschauer ein Programm konsumieren. Aus der voranschreitenden Ausdifferenzierung des Mediensystems ergibt sich zudem das Problem der enormen Informationsüberflutung auf Seiten der Rezipienten. Unter einer Informationsüberlastung versteht Kroeber-Riel (2000, 9) „den Anteil der nicht beachteten Information an den insgesamt angebotenen Informa- tionen.“ Diese Definition beschreibt jene Kommunikationsbedingungen, mit denen der Rezipient ebenso wie die Werbetreibenden in einer medialisierten Gesellschaft konfrontiert werden. Einem Überangebot an Inhalten aus den Massenmedien steht eine sehr begrenzte Aufnahmekapazität des Rezipienten gegenüber. Kroeber-Riel (2000, 14) geht davon aus, dass die Tendenz der Informationsüberlastung in Zukunft weiter ansteigen wird, da das massenmediale Angebot im Vergleich zur Nachfrage erheblich zunimmt. Dem Rezipienten bleibt als Konsequenz nichts weiter übrig, als die Informationsaufnahme selektiv durchzuführen. Für die Werbetreibenden und folglich auch für die privatkommerziellen Fernsehsender haben solche Bedingungen schwerwiegende Folgen. Viele Konsumenten werden durch die Botschaften nicht mehr erreicht, so dass die Werbung unwirksam bleibt. Kloss (2000, 207) bezeichnet diese Wirkungslücken als „Kommunikations-Gaps zwischen Werbungtreibenden und Konsumenten“. Kommunikationsinhalte werden daher entweder gar nicht oder nur flüchtig und bruchstückhaft aufgenommen. Welche Informationen konsumiert wer- den, hängt dabei im Wesentlichen von der Stärke des Involvements des Einzelnen ab. Das Konzept des Involvements gehört zu den wichtigen Erklärungsansätzen des Konsumentenverhaltens. Felser (2001, 56) bezeichnet das Involvement als eine der wichtigsten ‚Weichen’ für Konsumentscheidungen. Wie sich der Mensch verhält, hängt somit im starken Maße davon ab, ob er hoch oder niedrig involviert ist. Kroe- ber-Riel (2000, 133) bezeichnet das Involvement als graduell abgestufte Ich- Beteiligung, die je nach Ausprägung das Engagement des Empfängers definiert. Das Involvement ist dabei auf subjektive Wahrnehmungsstrukturen zurückzuführen. Das Individuum hält beispielsweise eine bestimmte Aktivität für geeignet, um persönli- che Motive zu befriedigen. In diesem Fall zeichnet er sich durch ein hohes Involve- ment aus. Hinter solchen Motiven stehen zumeist individuelle oder gesellschaftliche Werte, für die sich ein Mensch einsetzt. Es ist daher anzunehmen, dass sich im Zuge des Wertewandels auch die Intensität der Ich-Beteiligung verändert (Kroeber-Riel 2000, 135).10 Das Involvement stellt allerdings ein komplexes Phänomen dar und lässt sich nicht nur auf personenspezifische Einflussgrößen beschränken. Neben den genannten längerfristigen, personenspezifischen Faktoren, zu denen ganz allgemein die Prädisposition, Bedürfnisse, Werte und Ziele des Einzelnen gehören, lassen sich weitere Komponenten des Involvements unterscheiden. Der Grad des Involvements wird ebenso im starken Maße durch die situative Komponente bestimmt. So ist man bei der Anschaffung eines Autos eher motiviert, sich mit den entsprechenden Infor- mationsquellen auseinander zu setzen, während nach dem erfolgreichen Kauf das kurzfristige Involvement schnell wieder absinkt. Neben den persönlichen und situati- onsabhängigen Aspekten des Involvements existieren stimulusspezifische Einfluss- faktoren, die sich in Produkt- und Medieninvolvement einteilen lassen. Das Produk- tinvolvement wird vor allem durch das Kaufrisiko, die Auffälligkeit und die wahrge- nommenen Risiken bei der Produktnutzung bestimmt. Beim Medieninvolvement wird zwischen Low- und High-Involvement-Medien unterschieden. In diesem Sinne ist die Zuwendung zum Medium Fernsehen zumeist weniger stark ausgeprägt als zu einer Zeitung.11 Dem Fernsehen wird aufgrund seiner medienspezifischen Besonder- heiten ein Scheinwerfer-Effekt zugeschrieben. Seine Botschaften werden unterhalt- samer dargeboten und sind somit kognitiv leichter zu verarbeiten (vgl. Donnerstag 1998, 17). Allerdings lässt sich eine solche Einschätzung nicht pauschalisieren. All- gemeiner lässt sich sagen, dass das Involvement immer dann gering ausfällt, wenn sich das subjektive Kaufrisiko auf einem niedrigen Niveau befindet oder der Bezug zu persönlichen Werten fehlt (vgl. Felser 2001, 56). Da sich der Konsum von Pro- gramminhalten als wenig riskant darstellt, sind die Fernsehsender zunehmend darum bestrebt, die Bedürfnisse der anvisierten Zuschauer anzusprechen, die dahinterste- henden Werte aufzugreifen und in inhaltliche Themen umzuwandeln.12 Auf diese Weise soll das persönliche Involvement der Zuschauer gesteigert werden. Die Be- dürfnis- und Konsumwertorientierung zählen somit zu den wesentlichen Strategien der Aufmerksamkeitsgenerierung.

2.3. Bedürfnisorientierung

Um Aufmerksamkeit zu generieren, müssen die Sendungen an jene Bedürfnisse der Zuschauer appellieren, die diese über den Fernsehkonsum auf symbolische Weise befriedigen können. Die Problematik besteht allerdings darin, dass sich die Bedürfnisse im Rahmen des Wertewandels ebenfalls wandeln. Bedürfnisse verweisen auf einen wahrgenommenen Mangel, der im Erleben einer Dissonanzerfahrung zum Ausdruck kommt. Gleichermaßen ist das Bedürfnis mit dem Bestreben verbunden, den empfundenen Mangel zu beseitigen und für ein physiologisches und emotionales Wohlsein zu sorgen. Bedürfnisse motivieren daher zu bestimmten Handlungen, die zur Bedürfnisbefriedigung beitragen sollen (Mikos 2001, 84).

Maslow (1999, 62 ff.) unterscheidet fünf Dringlichkeitsstufen der Bedürfnisbe- friedigung. Dabei bilden die biologischen Bedürfnisse wie Hunger und Durst die elementare Stufe der Bedürfnisbefriedigung, gefolgt von Sicherheitsbedürfnissen, Bedürfnissen nach Zuneigung und Liebe, Geltungs- und Selbstverwirklichungsbe- dürfnissen. Maslows These besteht darin, dass erst die nächsthöhere Bedürfnisstufe erreicht wird, wenn die darunter liegende befriedigt ist. Ist ein niedriger bewertetes Bedürfnis erfüllt, so nimmt seine Wirkung als Motivationsfaktor für das menschliche Handeln ab. Dem Ansatz kann sicherlich die pauschale Formulierung der Kategorien vorgeworfen werden, dennoch verbirgt sich dahinter eine wesentliche Erkenntnis, die in der folgenden Argumentation bedeutsam wird. Bedürfnisse sind vor allem von den gesellschaftlichen Bedingungen geprägt, in denen sie produziert werden und unter- liegen somit dynamischen Veränderungen. Gerade im Konsum, der eng mit der Be- dürfnisbefriedigung verbunden ist, wird dieser Wandel deutlich. Aufgrund des abgesicherten Wohlstandes in den westlichen Gesellschaften hat sich der Konsum von seiner existenzsichernden Qualität losgelöst und sich zu einem komplexen sozialpsychologischen Konstrukt entwickelt. Bei Kaufentscheidungen steht daher nicht mehr nur die Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Hunger und Durst im Vordergrund, sondern vielmehr Faktoren wie Prestige, Individualität und Erlebnisintensität (vgl. Stihler 2000, 169, 170). Das Bedürfnis der Selbstverwirklichung - als oberste Stufe der Bedürfnispyramide nach Maslow - nimmt dabei einen erheblichen Stellenwert in der alltäglichen Handlungsmotivation der Individuen ein.

Um Aufmerksamkeitspotentiale herzustellen, müssen die Medien auf die Verän- derungen der gesellschaftlichen Strukturen reagieren, die eng mit den aktuellen Be- dürfnissen der Individuen verbunden sind. Sie müssen vorherrschende Bedürfnisse der anvisierten Zielgruppe in ihr medienpolitisches Handeln integrieren, um eine gewisse Akzeptanz in Form des Einschaltens durch das Publikum zu erhalten. In diesem Sinne können gerade jene Sendungen eine große Popularität auf sich ziehen, die am ehesten auf die Bedürfnislagen der Zuschauer verweisen. Zu den quotenstar- ken Formaten gehören sowohl EINSATZ IN 4 WÄNDEN als auch S.O.S. STYLE & HO- ME, die sich auf die Präsentation von Konsumwelten und Lebensstilen konzentrieren. Daraus eröffnet sich die Fragestellung, warum gerade solche Sendungen die Auf- merksamkeit der Zuschauer erregen und zum Einschalten animieren. Es ist davon auszugehen, dass der Rezipient gerade von jenen Programminhalten angesprochen wird, die vorhandene Wertvorstellungen aufgreifen und präsentieren. Da bestimmte Bedürfnisse in Beziehung zu den gesellschaftlichen und individuellen Wertstrukturen stehen, sollen im Folgenden jene Werte und damit verbunden die Konsumorientie- rungen der Individuen untersucht werden, die die Bedürfnisse beeinflussen und glei- chermaßen jenen Formaten Bedeutung verleihen, die den Konsum von unprominen- ten Menschen präsentieren und als sinnstiftende Angebote bereitstellen. In diesem Zusammenhang ist anzunehmen, dass gerade hinsichtlich des Konsums ein wesentli- ches Orientierungsbedürfnis in der Gesellschaft existiert.

3. Wertewandel und Konsum

Die Wertewandelforschung hat seit den 70er Jahren einen enormen Aufschwung erfahren und eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen hervorgebracht, die sich mit der Darstellung und Untersuchung von Wertvorstellungen und deren Veränderungen befassen. Eine wesentliche Ursache für den Forschungsaufschwung besteht in der Erkenntnis, dass soziokulturelle Werte als zentrale Ziele und Orientierungsstandards für das Handeln der Individuen grundlegend sind. Werte fungieren dabei als Legitimationsgrundlage für bestimmte soziale Normen, die das gesellschaftliche Zusammenleben organisieren (vgl. Hillmann 2001, 15). Eine wichtige Definition von Werten liefert Kluckhohn (1965, 395), indem er schreibt:

„A value is a conception, explicit or implicit, distinctive of an individual or characteristic of a group, of the desirable which influences the selections from available modes, means and ends of action.”

Werte stellen somit von Gruppen geteilte Auffassungen dar und dienen als lebensbe- gleitende Zielvorstellungen für das, was in der Gesellschaft als erstrebens- und wün- schenswert angesehen wird. Gesellschaftliche Wertesysteme bestimmen, welche Verhaltensmuster gestärkt und verworfen werden und beeinflussen dabei die Einstel- lungen und Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder (vgl. Wiswede 1990, 15, 16). Somit haben sie auch einen erheblichen Einfluss auf die vorherrschenden Konsum- muster im Rahmen der Gesellschaft. In den folgenden Kapiteln wird der konsumre- levante Wertewandel ausführlich analysiert. Dabei stehen die Merkmale der Kon- sumgesellschaft sowie die aktuellen Konsumentwicklungstendenzen im Mittelpunkt der Untersuchung.

3.1. Ursachen des Wertewandels

Der Wertewandel bezeichnet einen dynamischen Prozess, der mit Veränderungen im materiellen System einhergeht. In den westlichen Gesellschaften wird er daher auf das Wirtschaftswachstum und den damit verbundenen Massenwohlstand zurückge- führt, durch den sich für die Individuen insbesondere bezüglich Beruf und Familie ein größerer Handlungsspielraum aufgetan hat. Wohlstandsprozesse und die damit verbundenen Sicherheiten haben dafür gesorgt, dass sich die Wertrelevanzen verla- gern (vgl. Oesterdiekhoff/Jegelka 2001, 8, 9). Anstelle der traditionellen Familien- bindung treten neue Formen der Lebensführung, die unter dem Begriff der Individua- lisierung und Enttraditionalisierung diskutiert werden. Die Frage nach dem Beruf und der Familienplanung hat jedes Individuum für sich selbst zu beantworten. Die dargebotenen Optionen sind für jedes Individuum und in jeder Lebensphase neu wählbar, was zur Auflösung von einheitlichen Lebensverläufen führt. In diesem Sin- ne wird postuliert, dass der Wohlstand und die massenhafte Verfügbarkeit von Wa- renangeboten mit einer zunehmenden Stilisierung des Lebens und der Erlebnis- orientierung einhergeht; zwei Dimensionen, die im starken Maße das Konsumverhal- ten beeinflussen. Wiswede (1990, 17) warnt allerdings davor, den Wertewandel als bloßen Reflex auf die sich verändernden materiellen und ökonomischen Bedingun- gen zu begreifen. Diese stellen vielmehr den Rahmen zur Verfügung, in dem sich der Wertewandel vollzieht. Kognitive Bewusstseinsprozesse entscheiden letztendlich darüber, auf welche Weise der Wertewandel zum Tragen kommt und welche Werte sich realisieren. Weitere Rahmenbedingungen für den Wandel, die mit dem Massen- wohlstand einhergehen, werden unter den Tendenzen der sozialen Differenzierung und Pluralisierung, der Ausdehnung von Freizeit gegenüber der Arbeitszeit und der zunehmenden Ansprache der Individuen als Konsumenten zusammengefasst. Dabei wird der Wertewandel zumeist im pessimistischen Kontext des Werteverfalls und der Demoralisierung diskutiert. Noelle-Neumann (1978, 20, 21) sieht im Werteverfall die Anpassung der Wertvorstellungen und Einstellungen an die Unterschichtsmenta- lität, wodurch eine Haltung erzeugt wird, die sich durch Arbeitsunlust auszeichnet und den bürgerlichen Werten entgegensteht.13

Einen bedeutenden theoretischen Ansatz zur Erklärung und Beschreibung des Wertewandels liefert Ronald Inglehart, der sich bei seinen Ausführungen an Maslows Hierarchie der menschlichen Bedürfnisse anlehnt. Dabei wendet sich Inglehart von der pessimistischen Perspektive ab, indem er dem Wertewandel das Hervorbringen von positiven Attributen wie Freiheit, Gleichheit und Lebensqualität zuschreibt. Das theoretische Konzept des Wertewandels führt Inglehart (1989, 92 ff.) auf zwei grundlegende Schlüsselhypothesen zurück. Die Mangelhypothese besagt, dass die Wertprioritäten der Individuen das jeweilige sozioökonomische Umfeld wi- derspiegeln. In diesem Sinne erhalten jene Dinge einen großen Wert zugeschrieben, die als besonders knapp empfunden werden. Sind die elementaren Bedürfnisse be- friedigt, wenden sich die Individuen jenen Bedürfnissen zu, die einen Zusatznutzen darstellen. In diesem Sinne folgt an erster Stelle die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse wie Essen und Trinken. Sind diese Bedürfnisse gestillt, erhalten die nicht-physiologischen Bedürfnisse wie das Bedürfnis nach Erleben und ästhetischer Befriedigung Vorrang. Es gilt nicht mehr, nur zu trinken, sondern ein besonderes Geschmackserlebnis damit zu verbinden. Die Sozialisationshypothese schränkt die Bedeutung der Mangelhypothese ein, indem sie besagt, dass die Wertdominanzen immer auch davon abhängen, unter welchen Bedingungen der Mensch aufgewachsen ist und sozialisiert wurde. Inglehart gelangt in diesem Zusammenhang zu der Er- kenntnis, dass das vorherrschende Wertesystem eines jeden Einzelnen davon ab- hängt, ob er in einem wirtschaftlich stabilen Gesellschaftskontext oder in einer unsi- cheren Mangelgesellschaft aufgewachsen ist. Die Sozialisation in einer Mangel- gesellschaft bedingt das Streben nach Existenzsicherung und sorgt dafür, dass mate- rialistische Wertdominanzen im Vordergrund stehen. Dagegen bietet eine stabile Wohlstandsgesellschaft die notwendige Sicherheit, um postmaterialistische Wertdo- minanzen hervorzubringen. Zwischen der wirtschaftlichen Situation und der Ausbrei- tung postmaterialistischer Werte treten somit Sozialisationsprozesse als intervenie- rende Variablen. Die Mangelhypothese müsse daher immer im Zusammenhang mit der Sozialisationshypothese interpretiert werden.

Basierend auf den beiden Hypothesen erklärt Inglehart den gesellschaftlichen Wertewandel. Im Zuge des wirtschaftlichen Wachstums und im Zeichen des zuneh- menden Wohlstands nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wuchsen die nachfol- genden Generationen unter verbesserten und größtenteils stabilen Lebensbedingun- gen auf. Die Wertprioritäten haben sich daher, so die These Ingleharts (1989, 90), „von materialistischen hin zu postmaterialistischen Einstellungen“ verschoben. Unter den gesellschaftlichen Umständen der zunehmenden Sicherheit haben sich demnach postmaterialistische Werte durchgesetzt. Die höchste Priorität liegt nicht mehr im physischen Überleben, sondern in Gruppenzugehörigkeit, Selbstverwirklichung und Lebensqualität. Inglehart unterscheidet somit als Faktoren für den Wertewandel so- wohl langfristige Generationseffekte als auch kurzfristige Periodeneffekte. Die Peri- odeneffekte basieren dabei vor allem auf vorübergehende Wachstumseinbußen, die eine kurzfristige Rückwendung zu materialistischen Werten zur Folge haben.

Der Hauptkritikpunkt, der diesem Ansatz vorgeworfen werden kann, besteht in der Dichotomie und Generalisierung von Materialismus und Postmaterialismus. Die angeführte Wertesubstitution von materialistischen zu postmaterialistischen Werten erweist sich als zu eindimensional. Inglehart übergeht dabei vor allem die zuneh- mende soziale Ausdifferenzierung, indem er sich auf diesen Begriffsgegensatz be- schränkt und eine Aufschlüsselung in verschiedene Subgruppen unterlässt. Dabei bilden sich gerade in einer abgesicherten Gesellschaft verstärkt Lebensstile und Mi- lieus heraus, die sowohl materialistische als auch postmaterialistische Denk- und Handlungsweisen miteinander verbinden und somit die Wertebildung beeinflussen. Faktoren, wie die Veränderung der Zeitstruktur von der Arbeit zur Freizeit, die zu- nehmende Marktvergesellschaftung und die damit verbundene Konsumorientierung bleiben in Ingleharts Ansatz ebenso undiskutiert wie auch die Frage, welche Trends sich hinter dem Begriff der Selbstverwirklichung abzeichnen. Aus dem Blickwinkel der facettenreichen Tendenzen des Wertewandels soll im Folgenden das Konsum- handeln der Individuen als wichtiger Indikator analysiert werden. Dabei lässt sich nicht leugnen, dass sich im Konsumverhalten einiger Subgruppen Tendenzen zur postmaterialistischen Wertorientierung abzeichnen, die im Rahmen expressiver Be- griffsbildungen wie „Erlebnisgesellschaft“ oder „Ästhetisierung“ immer wieder in die wissenschaftliche Diskussion eingehen.

3.2. Entstehung der Konsumgesellschaft

Die Auseinandersetzung mit der Entstehung der Konsumgesellschaft im Zeichen des Wertewandels muss mit einer kurzen historischen Rückschau beginnen. Die Entste- hung der Konsumgesellschaft wird oft als Explosion, Revolution oder Geburt be- zeichnet. Damit soll deutlich gemacht werden, dass sich die Konsumgesellschaft nicht gemächlich entwickelte, sondern, als Pendant zur industriellen Revolution, ei- nen abrupten Bruch zur vorindustriellen Gesellschaft darstellte. Der moderne Kon- sum mit seinen vielfältigen Ausprägungen ist auf die englische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts zurückzuführen. Durch die einsetzende Industrialisierung wurden Kon- sumgüter angeboten, die nicht nur den elementaren Bedürfnissen der Existenzsiche- rung entsprachen, sondern vor allem zum Zweck der Mode entwickelt wurden. Dabei begannen sich gerade die niedrigeren Schichten an dem Konsum der höheren Schich- ten zu orientieren, wobei Nachahmung zu einem wesentlichen Konsumprinzip avan- cierte. Das Streben nach einem höheren Status durch die Übernahme der Moden von oberen Schichten, vor allem durch das Bürgertum, sorgte für eine explosionsartige Nachfrage. Anstelle des Verzichts und einer asketischen Konsummoral trat der lust- orientierte Konsum in den Vordergrund, der sowohl mit der Ästhetisierung gewisser Alltagsdinge als auch mit der Demonstration des Besitzes einherging (vgl. Schneider 2000, 9, 10). Aus Luxusgütern, die einer bestimmten Schicht zugeschrieben waren, wurden Annehmlichkeiten („decencies“), die sich schließlich selbst zu Notwendigkeiten („necesseties“) entwickelten. Die Popularisierung des Konsums lässt sich dabei auf verschiedene Faktoren zurückführen (vgl. Stihler 1998, 20).

Auf wirtschaftlicher Basis sorgte gerade der expandierende Handel und später auch die Produktion von Massengütern für eine Ausdehnung der Produktpalette. Um neue Käuferschichten anzulocken, entwickelte sich auf rasante Weise ein Marke- tingwesen, dass sich mit der Bewerbung von Zielgruppen beschäftigte und neue Be- dürfnisse schuf. Umfangreiche Reklameannoncen in Zeitungen informierten bereits über die verschiedenen Produktangebote. Im Sinne der Marktdifferenzierung wurde es üblich, Produkte in verschiedenen Varianten und zu unterschiedlichen Preisen anzubieten (Brewer 1997, 65, 66). Die höheren disponiblen Einkommen und der zu- nehmenden Wohlstand beeinflussten gleichermaßen die Einstellungen und Werthal- tungen der Individuen bezüglich des Konsums und sorgten somit für eine Steigerung der Nachfrage (vgl. Stihler 1998, 21; Schneider 2000, 10). Durch die vorstehenden Faktoren wurde die bürgerliche Sparsamkeit und Selbsteinschränkung von der Selbstbelohnung, dem Statusstreben und der Unterhaltung abgelöst. In diesem Sinne verkörperten gerade die neu eingerichteten Kaufhäuser den Aufbruch der Konsumge- sellschaft und das Entstehen einer Konsumkultur in der Mittelschicht. Die Zugehö- rigkeit zur Mittelschicht wurde nicht mehr vererbt, sondern konnte durch den Kauf eines Gutes miterworben werden. In diesem Sinne stellten die Kaufstätten immer auch eine Verbindung zu dem angestrebten Lebensstil dar und ermöglichten es den Konsumenten, sich den hedonistischen Phantasien hinzugeben (vgl. Stihler 1998, 92). Der emulative Konsum war gerade für die mittleren und unteren Schichten be- sonders attraktiv, da auf diese Weise die Abstände zu den oberen Schichten aufbra- chen. Der Adel dagegen war bestrebt, den durch Nachahmung und Imitation schwin- denden Abstand zu den unteren Schichten aufrecht zu erhalten, indem er sich extensiv dem Konsum hingab (ebd., 93). Die daraus resultierende Konsumspirale wurde durch den technischen Fortschritt und die Vermarktungsstrategien noch ver- stärkt und mündete schließlich im Entstehen der Konsumgesellschaft.

Die Konsummuster der industriellen englischen Gesellschaft im 18. Jahrhundert lassen sich zwar nicht direkt und ohne Modifikation auf den modernen Konsum übertragen, dennoch sind schon einige wesentliche Grundstrukturen erkennbar, die auch die moderne Konsumgesellschaft charakterisieren und prägen. Bevor allerdings die Merkmalsausprägungen einer Konsumgesellschaft diskutiert werden, erfolgt eine Erläuterung und Einordnung des Konsumbegriffs.

3.2.1. Konsumbegriff

Eine allgemein gängige Definition beschreibt den Konsum als ein komplexes Phä- nomen, das verschiedene Aspekte berühren kann. Konsum umfasst demnach sämtli- che Aktivitäten, „die auf die Entnahme von Gütern oder Dienstleistungen aus dem Markt ausgerichtet sind“ (Schneider 2000, 11). Dabei bildet der Konsum einen dy- namischen Prozess, „der mit der Bedürfnisgenese beginnt, Aktivitäten der Informati- onsgewinnung und Entscheidungsfindung umfasst, sich über die Nutzung bzw. den Verbrauch von Gütern erstreckt und mit der Entsorgung endet“ (ebd., 11, 12; vgl. Wiswede 2000, 24). Aus der soziologischen Perspektive sind die Reflexionen zu der Thematik des Konsums von starken Wertungen geprägt. Zum Einen wird dem Kon- sumenten eine umfangreiche Souveränität zugeschrieben, mit der er selbstbewusst und machtvoll umgeht.14 Zum Anderen wird der Konsument als passives Opfer des Konsumsystems deklariert, das machtlos den manipulativen Strukturen ausgeliefert ist.

In seiner Analyse des Konsumenten im Zeichen des Wertewandels stellt Wiswede (1990, 11) die These auf, dass der moderne Konsum von Kennerschaft, der Kultivie- rung des Geschmacks und von der Entwicklung der Individuen zu aktiven Verbrau- chern geprägt ist. In Anlehnung an Toffler spricht Wiswede (2000, 29) vom ,Prosu- menten’, „der seine Rolle nicht mehr passiv wahrnimmt, sondern gestaltend und produktiv im wirtschaftlichen Prozess mitwirkt“, und dabei auch kreativ- schöpferische Aspekte einbringt. Insbesondere die Freizeit wird zum Ort der Selbst- darstellung und -entfaltung. Wiswede (2000, 37 ff.) vermutet zudem, dass die Kon- sumenten auf dem Weg zu mündigen Verbrauchern seien, die sich durch gesteigertes Problem- und Kritikbewusstsein und einer verstärkten Resistenz auszeichnen.15 Wäh- rend Wiswede im Zusammenhang des modernen Konsums von aktiver Produktivität und neuen Herausforderungen spricht, sind es die Vertreter der kritischen Theorie, die den Konsum in ihrer kulturpessimistischen Anschauung mit Manipulation, Passi- vität und Nivellierung des Geschmacks verbinden. Aus der marxistischen Werthal- tung und im Rahmen seiner These vom eindimensionalen Menschen kritisiert Marcuse (1967, 23 ff.) die Konsumentwicklungen in der fortgeschrittenen Industrie- gesellschaft. Der Produktionsapparat bestimme demnach die individuellen Wünsche und Bedürfnisse und zwinge den Menschen den Konsum unnötiger Dinge auf. Der Konsument werde einem repressiven Konsumzwang unterworfen und falsche Be- dürfnisse träten an die Stelle der wahren Bedürfnisse. Dabei sind die falschen Be- dürfnisse diejenigen, die dem Menschen durch gesellschaftliche Mächte auferlegt werden. Die Manipulation der Bedürfnisse und die damit verbundene ökonomische Gleichstellung bezeichnet dabei den totalitären Charakter der Industriegesellschaft.

Im gleichen Maße hat die Kritische Theorie um Adorno und Horkheimer am Bei- spiel der Kulturindustrie den Zwangscharakter des Konsums herausgestellt. Adorno (1999, 202 ff.) proklamiert in seinem „Resumé zur Kulturindustrie“, dass sich der Mensch auf passive und fremdgesteuerte Weise der Befriedigung falscher Bedürfnis- se hingibt, die durch die Kulturindustrie selbst erst erzeugt werden. Durch die Mani- pulation der Individuen seien die Menschen nicht mehr in der Lage, ihre realen Be- dürfnisse zu erkennen. Sie konsumieren daher selbsttrügerisch die Güter der Kulturindustrie, um sich scheinbare Befriedigung ihrer, von der Kulturindustrie aber erst erzeugten, Bedürfnisse zu verschaffen. Die Kulturindustrie erziehe ihre Käufer zur unkritischen Integration in ein vorgegebenes System und schaffe ein falsches Massenbewusstsein, indem sie propagiert, die vorgegebenen Ideologien zu akzeptie- ren. Aufgrund ihrer regressiven Wirkung auf die Massen, verhindere sie schließlich die Bildung von mündigen und autonomen Bürgern, die für eine demokratische Ge- sellschaftsordnung grundlegend seien. Aus strukturdeterministischer Perspektive argumentiert auch Baudrillard in seinem Werk „The consumer society“. In Ritzers Einleitung zu Baudrillards Ausführungen heißt es zusammenfassend:

„If one tries to summarize all of the things that consumption is and is not, it seems clear that to Baudrillard consumption is not, contrary to conventional wisdom, something that individuals do and through which they find enjoyment, satisfaction and fulfilment. Rather, consumption is a structure […] that is external to and coercive over individuals.

[...]


1 Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk dem Prinzip der internen Binnenpluralität und zur Grundversorgung der Zuschauer verpflichtet ist, agieren die privatkommerziellen Fernsehsender nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zunehmend eine Abkehr von der Erfüllung des Pro- grammauftrags hin zu einer Ausstrahlung von quotenträchtigem Material stattfindet. Da die Finan- zierungsform über Rundfunkgebühren verstärkt unter Legitimationszwang steht, ist auch im öffent- lich-rechtlichen Sektor mit einer noch stärkeren Verschiebung zu aufmerksamkeitsträchtigen Programmformen zu rechnen. Im Rahmen dieser Tendenzen wird seit Mitte der 90er Jahre der As- pekt der Medienkonvergenz, in Form einer inhaltlichen Annäherung von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern thematisiert (vgl. Nieland 1996, 130, 154).

2 Aus ökonomischer Perspektive setzt sich das privatkommerzielle Fernsehen aus den drei Teilmärk- ten Programm- Zuschauer- und Werbemarkt zusammen. Auf dem Programmmarkt wird Geld ge- gen Sendematerial ausgetauscht; auf dem Zuschauermarkt bieten die Sender den Zuschauern Pro- gramme an, die entweder akzeptiert oder abgelehnt werden. Der produzierte Zuschauerkontakt, der sich im besten Fall auch auf die Werbung überträgt, wird schließlich an den Werbemarkt weiter- verkauft (vgl. Hallenberger 1995, 7).

3 Die im Text verwendeten Zitate sind der neuen Rechtschreibung angepasst. Die formalen Hervor- hebungen durch die Autoren wurden übernommen.

4 In der kritischen Auseinandersetzung mit Francks Entwurf zur „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ untersucht Gräser die aufgestellten Vergleiche Aufmerksamkeit als Währung und als Wirtschafts- gut.

5 Dabei sieht Franck (1998, 148) in der Prominenz ein probates Mittel zur Aufmerksamkeitserzeu- gung durch die Medien.

6 Durch die fehlende Messbarkeit kann die Aufmerksamkeit nicht als Recheneinheit fungieren und verliert somit die Eigenschaft einer Währung (vgl. Gräser 2003, 35).

7 Zudem haben psychologische Studien gezeigt, dass auch bei geringem Involvement und somit geringer Aufmerksamkeit eine Werbewirkung erzeugt werden kann und nur dies ist für die Werbe- treibenden entscheidend.

8 Bleicher (2002, 131) argumentiert in diesem Zusammenhang, dass die Programmangebote nicht Endprodukte sind, sondern die Grundlage für die Vermarktung von Rezipientenaufmerksamkeit, die mittels Quoten zur Darstellung kommt. Diese Quoten machen zwar keine Aussage über die Aufmerksamkeitsqualität, dienen aber zumindest als Ausgangspunkt für die Weitervermarktung.

9 Diese Tendenz kommt sowohl auf der inhaltlichen, aber auch auf der formalen Programmebene zum Tragen. So werden die Kommunikationsinhalte auf ihre Verkäuflichkeit hin instrumentalisiert, und die Positionierungskämpfe der Sender in Form von Corporate-Identity-Strategien immer aus- gefeilter (Wehmeier 1998, 200).

10 Werbetechnisch ist mit dieser Bezeichnung der Grad der Aktivität gemeint, mit dem sich der Rezi- pient einer Werbebotschaft zuwendet. Den klassischen Einstellungstheorien folgend, wurde im Marketingbereich ein Konsument mit hohem Involvement vorausgesetzt, der den Produkten bzw. der Kaufentscheidung ein starkes Interesse entgegenbringt. Nach intensiver Wirkungsforschung steht allerdings fest, dass es sich beim Involvement um einen inneren Vorgang handelt, der sich von geringer bis zu hoher Ausprägung erstreckt (vgl. Neibecker 1990, 99, 100).

11 Dies hängt mit der unterschiedlichen Informationsverarbeitung zusammen. Das Lesen einer Zei- tung bedarf mehr Aufmerksamkeit als das Aufnehmen von audiovisuellen Signalen, die sich leich- ter verarbeiten lassen. Dies ist auch ein Grund, warum die Bilddominanz in der Werbung immer stärker zunimmt. Die Signale werden auch bei geringerem Involvement besser verarbeitet (vgl. Kroeber-Riel 2000, 15).

12 Bezüglich des Fernsehinhalts handelt es sich um ein flüchtiges Gut, dass zumeist in den eigenen vier Wänden konsumiert wird und somit kaum als sozial auffällig einzustufen ist. Da das Fernsehen außer den Rundfunkgebühren kaum extra Kosten verursacht, kann das Kaufrisiko als gering einge- schätzt werden.

13 Noelle-Neumann (1978, 9) sieht gerade im Arbeitsbereich der fortgeschrittenen Industrieländer ein Verblassen des puritanischen Ethos, der von der jetzigen Generation kaum mehr verinnerlicht wird. Noelle-Neumann geht davon aus, dass die Passivität des Fernsehens im starken Maße dazu beiträgt, dass sich die Arbeitsfreude verringert.

14 Wiswede weist den Verbrauchern in diesem Zusammenhang die Marktmacht zu (vgl. Kapitel 2.2.).

15 Diese antizipierten Prozesse führt Wiswede (2000, 39) vor allem auf ein allgemein gestiegenes Bildungsniveau zurück, da sich gerade die Verbraucher höheren Bildungsgrades intensiver mit an- gebotenen Verbraucherinformationen auseinander setzen und somit eine kritischere Haltung an- nehmen. Dabei übersieht Wiswede allerdings, dass gerade Individuen mit höherem Bildungsgrad unter einer starken Informationsüberflutung leiden und somit kaum in der Lage sind, sich zu jeder Zeit mit vorhandenen Informationen auseinander zu setzen.

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Konsumorientierung in der Fernsehkommunikation - Eine Analyse am Beispiel privatkommerzieller Lifestyle-Formate
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
79
Katalognummer
V34832
ISBN (eBook)
9783638349420
Dateigröße
720 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konsumorientierung, Fernsehkommunikation, Eine, Analyse, Beispiel, Lifestyle-Formate
Arbeit zitieren
Pamela Premm (Autor:in), 2004, Konsumorientierung in der Fernsehkommunikation - Eine Analyse am Beispiel privatkommerzieller Lifestyle-Formate, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34832

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