Zwei Existenzmöglichkeiten nach Søren Kierkegaard, das ästhetische und das ethische Stadium werden in der Arbeit vorgestellt. Der Sprung ins Religiöse (das dritte Stadium bei Kierkegaard) wird dabei ausgeblendet, weil er in den Kategorien des versäumten Lebens nicht auftaucht und von Max Frisch (anders als bei Kierkegaard) nicht als Lösung präsentiert wird. In einem zweiten Schritt wird der Zusammenhang zwischen Schriftstellerexistenz, Künstlerdasein und Literatur dargestellt. Der zweite Teil nennt fünf Motive eines versäumten Lebens, die in einem dritten Teil in Bezug auf Max Frischs Romane „Mein Name sei Gantenbein“, „Homo faber“ und „Stiller“ behandelt werden. Dabei habe ich mich an der Dissertation von Kerstin Gühne-Engelmann orientiert. Abschließend versuche ich in einer kurzen Synopse der drei Romane, Gemeinsamkeiten zwischen den drei Protagonisten zu verdeutlichen.
Max Frisch hat das Motiv des versäumten Lebens in alle seine Romane verpackt. Das Thema hat ihn auch in seinem eigenen Leben beschäftigt. Einerseits hatte er den Wunsch, den Künstler in sich zu akzeptieren, andererseits quälte ihn das Gefühl, über der Schriftstellerei sein eigenes Leben zu versäumen. Der Dichter ist als Ästhet eben selber eine gefährdete Existenz, schwebt in Angst sein eigenes Leben, sich selbst zu verlieren.
Aber auch Menschen, die eine Flucht ins Lesen antreten und über den erzählten Geschichte ihre eigene Geschichte verpassen, sind in Gefahr völlig aus einem ethischen Leben zu verschwinden. Max Frisch vermittelt in seinen drei Romanen die Möglichkeit, dass ein Leben auch misslingen kann. Diese ernsthafte Vorstellung, dass es möglich ist, sein Leben zu versäumen, kann uns Leser wachrütteln, schockieren und motivieren, unser Verhalten zu überdenken. In der Reflexion ist der Sprung aus dem ästhetischen Leben noch nicht getan, nur ein erster Schritt. Es gilt also, die Bücher am Ende aus der Hand und sein Leben in die Hand zu nehmen. Nicht Reflexion über das Leben anderer oder abstrakte Träume, sondern ein erfülltes Leben wird angestrebt. Doch was heißt, sein Leben wirklich leben? Was ist ein erfülltes Leben? Es ist schwer, darauf eine befriedigende Antwort zu finden, denn wir können nicht einfach definieren, was ein wirkliches Leben ausmacht. Leichter gelingt es, in der Negation auszudrücken, was wir unter einem glücklichen, zufriedenen Leben verstehen, nämlich in der Antwort auf die Frage: Was heißt, sein Leben versäumen?
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Existenzmöglichkeiten bei Kierkegaard
1.1 Ästhetisches Stadium
1.2 Ethisches Stadium
1.3 Literatur und ein Schritt ins Ethische
2. Kategorien des versäumten Lebens
2.1 Erlebnisunfähigkeit
2.2 Beziehungslosigkeit
2.3 Zeitverlust
2.4 Todesflucht
2.5 Lebensflucht
3. Das Motiv des versäumten Lebens bei Max Frisch
3.1 Erlebnisunfähigkeit – Wahrnehmungsfilter
3.1.1 Stiller
3.1.2 Faber
3.1.3 Gantenbein
3.2 Beziehungslosigkeit – Scheitern in der Liebe
3.2.1 Stiller
3.2.2 Faber
3.2.2 Gantenbein
3.3 Verzerrte Zeiterfahrung – Verlust der Gegenwart
3.3.1 Stiller
3.3.2 Faber
3.3.3. Gantenbein
3.5 Todesflucht – Angst vorm Alter
3.5.1 Stiller
3.4.2 Faber
3.4.3 Gantenbein
3.5 Lebensflucht statt Lebenserkenntnis
3.5.1 Stiller
3.5.2 Faber
3.5.3 Gantenbein
4. Synopse: Stiller, Faber und Gantenbein
5. Verwendete Literatur
5.1. Primärliteratur
5.2. Sekundärliteratur
0. Einleitung
Ich möchte in meiner Arbeit zunächst zwei Existenzmöglichkeiten nach Søren Kierkegaard vorstellen: das ästhetische und das ethische Stadium. Den Sprung ins Religiöse, das dritte Stadium bei Kierkegaard, werde ich eher ausblenden, weil er in den Kategorien des versäumten Lebens eigentlich nicht auftaucht und von Max Frisch nicht überzeugt (wie bei Kierkegaard) als Lösung präsentiert wird. In einem zweiten Schritt werde ich den Zusammenhang zwischen Schriftstellerexistenz, Künstlerdasein und Literatur darstellen. Der zweite Teil nennt fünf Motive eines versäumten Lebens, die in einem dritten Teil in Bezug auf Max Frischs Romane „Mein Name sei Gantenbein“, „Homo faber“ und „Stiller“ behandelt werden. Dabei werde ich mich stark an der Dissertation von Kerstin Gühne-Engelmann orientieren. Abschließend möchte ich eine kurze Synopse der drei Romane versuchen und Gemeinsamkeiten zwischen den drei Protagonisten verdeutlichen.
1. Existenzmöglichkeiten bei Kierkegaard
1.1 Ästhetisches Stadium
Das ästhetische Stadium bedeutet ein auf Reflexion und Abstraktion reduziertes Leben, ein Leben in Beziehungslosigkeit und Verantwortungslosigkeit, ein Leben in Angst vor Langeweile und Wiederholung. Der Ästhet, ein Künstler, dem die bloßen Möglichkeiten des Lebens wertvoller sind als das tatsächlich Erlebte, schwärmt für den Augenblick. Er beobachtet, kann nur erobern, nichts besitzen oder schwimmt im Selbstmitleid. Erinnerung sind ihm kostbarer als die Gegenwart, die Möglichkeit des Genießens wertvoller als der eigentliche Genuss.[1]
Mensch-Sein heißt einerseits, sich in Freiheit für etwas im Leben entscheiden zu können, heißt aber andererseits, sich entscheiden und festlegen zu müssen, um zum wirklichen Leben zu kommen. Der Ästhet versagt in seinen Entscheidungen, er kann sie nicht treffen aus Angst vor verlorenen Möglichkeiten. Im ästhetischen Stadium, so Kierkegaard, kann und darf der Mensch nicht leben. Bleibt er darin hängen, verzweifelt er. Der Mensch hat also die Freiheit zur Entscheidung, aber er darf nicht aus Angst vor einer Fehlentscheidung bei der Fülle von Möglichkeiten stehen bleiben, ohne auszuwählen. Man muss sich festlegen, sich einschränken, um Handeln zu können. Nur so ist verwirklichtes, gelebtes Leben möglich.
1.2 Ethisches Stadium
Im ethischen Stadium lebt ein Mensch, der entscheidet, handelt und reale, nicht bloß mögliche Genüsse sucht. Auch dieser Mensch ist von Verzweiflung bedroht, doch er akzeptiert Gewohnheit und Wiederholung, den Verlust von Möglichkeiten und wählt in der Entscheidung seine Freiheit.
Der Konflikt zwischen ästhetischem und ethischem Leben löst meist nicht Streit zwischen Menschen aus, liegt also nicht zwischen Menschen, sondern in einem einzelnen. Für Kierkegaard ist der Zwiespalt außerdem nicht bloß zwischen ästhetischem und ethischem Stadium zu suchen, sondern auch zwischen einem dritten, seiner christlichen Existenz. Da der Mensch auch als ethischer verzweifeln kann, braucht es ein drittes Stadium, das dem einzelnen bei der Lösung seines Konflikts, seiner seelischen Zerrissenheit helfen kann: das religiöse. Der Sprung ins Religiöse, den ich in meiner Arbeit mehr oder weniger übergehen werde, stellt für Kierkegaard das eigentliche Ziel der menschlichen Existenz dar. Die Lösung, die Frisch in seinen Romanen bietet, ist nicht ganz so eindeutig. Ihm geht es vor allem um die Flucht vor sich selbst in Geschichten, in die Kunst oder die Arbeit und das Zurückfinden ins wirkliche Leben. Rezipierte Gedanken Kierkegaards betreffen also vor allem die Spannung zwischen ästhetischem und ethischen Leben. Frisch konfrontiert seine Protagonisten zwar auch mit Religiösem (z.B. Priester, Gebete, Ostern), aber es bleibt unklar, wenn nicht sogar in Frage gestellt wird, ob im Glauben wirklich Hilfe zu finden ist.
1.3 Literatur und ein Schritt ins Ethische
Max Frisch hat das Motiv des versäumten Lebens in alle seine Romane verpackt. Das Thema hat ihn auch in seinem eigenen Leben beschäftigt. Einerseits hatte er den Wunsch, den Künstler in sich zu akzeptieren, andererseits quälte ihn das Gefühl, über der Schriftstellerei sein eigenes Leben zu versäumen. Der Dichter ist als Ästhet eben selber eine gefährdete Existenz, schwebt in Angst sein eigenes Leben, sich selbst zu verlieren.
Aber auch Menschen, die eine Flucht ins Lesen antreten und über den erzählten Geschichte ihre eigene Geschichte verpassen, sind in Gefahr völlig aus einem ethischen Leben zu verschwinden. Max Frisch vermittelt in seinen drei Romanen die Möglichkeit, dass ein Leben auch misslingen kann. Diese ernsthafte Vorstellung, dass es möglich ist, sein Leben zu versäumen, kann uns Leser wachrütteln, schockieren und motivieren, unser Verhalten zu überdenken. In der Reflexion ist der Sprung aus dem ästhetischen Leben noch nicht getan, nur ein erster Schritt. Es gilt also, die Bücher am Ende aus der Hand und sein Leben in die Hand zu nehmen. Nicht Reflexion über das Leben anderer oder abstrakte Träume, sondern ein erfülltes Leben wird angestrebt. Doch was heißt, sein Leben wirklich leben? Was ist ein erfülltes Leben? Es ist schwer, darauf eine befriedigende Antwort zu finden, denn wir können nicht einfach definieren, was ein wirkliches Leben ausmacht. Leichter gelingt es, in der Negation auszudrücken, was wir unter einem glücklichen, zufriedenen Leben verstehen, nämlich in der Antwort auf die Frage: Was heißt, sein Leben versäumen?
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[1] Vgl. Kierkegaard: Entweder – Oder, 1943.
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