Wider die Unvernunft. Mögliche Lösungswege und Strategien für ein friedliches Zusammenleben in heterogenen Gesellschaften


Essay, 2017

32 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

I. Hintergrundinformationen
A. Weltbilder und ihre Daseinsdeutungen
1. Wissenschaftsbasierte Weltdeutung
2. Die mythische Weltdeutung
3. Zur Relation zwischen wissenschaftsbasiertem und mythischem Weltbild
B. Religiöse Ideologien und ihr Gefahrenpotenzial

II. Mögliche Lösungswege
A. Mögliche Lösungswege auf nationaler Ebene
1. Wertfreie Religionskunde und neutraler Ethikunterricht
2. Tragbare Integration durch Berücksichtigung der „drei Dimensionen“
3. Erwachsenenbildung
4. Berufliche Aus- und Fortbildungen
5. Abbau von Vorurteilen und Verallgemeinerungen
6. Maßnahmen zur Gewaltprävention
7. Intensive psychologische Betreuung von Flüchtlingen
B. Mögliche Lösungswege auf internationaler Ebene
1. Stärkung internationaler demokratischer Institutionen
2. Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern
3. Schärfere Kontrolle des Waffenhandels

III. Persönliche Schlussbemerkung

Quellennachweis

Vorwort

Vom 2. bis 3. September 2017 fand in Ohlstadt das 1. Philosophicum Murnau statt mit dem Titel „Religion als Zeitbombe? Die destruktiven Potenziale religiöser Überzeugungen“. Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Vortrag, den ich dort am 3. September hielt. Seine Grundposition bezieht sich auf die Sichtweise der kritischen Philosophie. Sie ermöglicht es, ohne emotionale Aufladung und vor allem ohne ideologische Verzerrung einzelne Problemfelder zu analysieren und konkrete Strategien zu erarbeiten.

Es scheint als bildeten die derzeitigen Machtbestrebungen fundamentaler Islamisten nur den Auftakt für weitaus gefährlichere Szenarien. Nicht fanatische Gotteskämpfer alleine, auch ethnischer Nationalismus und rechtspopulistisches Ideengut bedrohen die humanistischen Errungenschaften der Moderne.

Wer im Rahmen dieses komplexen Problemfeldes die Präsentation einfacher Lösungen und schnell umsetzbarer Strategien erwartet, den muss ich leider enttäuschen. Gäbe es sie, wäre es wohl kaum möglich, Religionen als „Zeitbomben“ zu missbrauchen.

Da keine Standardlösungen zur Verfügung stehen – auch wenn so manche populistische Partei sie gefunden zu haben glaubt – bedarf es langfristiger Strategien. Strategien, die dazu beitragen, ein dauerhaft friedliches Zusammenleben aller Mitglieder in unseren demokratischen, rechtsstaatlichen, an den Werten eines zeitgenössischen Humanismus orientierten, zunehmend heterogener werdenden Gesellschaften zu gewährleisten.

Die vorgestellten Lösungswege beziehen sich insbesondere auf die aktuelle Situation in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu Beginn des 21. Jahrtausends. Ob ihre Umsetzung in Betracht gezogen, und wenn ja, ob diese letztendlich von Erfolg gekrönt wird, hängt von der Bereitschaft jedes bestehenden und künftigen, jedes dauerhaften oder auch nur vorübergehenden Mitglieds unserer modernen multikulturellen Gesellschaften ab.

Dabei möchte ich darauf hinweisen, dass im Grunde natürlich jede Ideologie mit absolutem Wahrheitsanspruch eine Gefahr für die institutionelle Absicherung der Grund- und Menschenrechte darstellen kann. Indem es sich bei der Zielsetzung dieses Beitrages um das Aufzeigen möglicher Lösungswege und Strategien zur Entschärfung religiöser Zeitbomben handelt, wurde jedoch von einer direkten Bezugnahme auf beispielsweise politische Ideologien abgesehen.

Susanna Berndt, Rosenheim im September 2017

Einleitung

Ob ethnischer Nationalismus, rechtspopulistisches Ideengut oder offener Fremdenhass – dass die humanistischen Errungenschaften der Moderne kein feststehender Bestandteil im Weltbild westlicher Industriestaaten sind, lässt sich anhand vieler Beispielen belegen. Doch nicht nur politische Ideologien gefährden die freie Persönlichkeitsbildung und Selbstbestimmung des Einzelnen. Auch fundamentalistische Religionsgemeinschaften und fanatische Gotteskämpfer bedrohen verstärkt die innere Ordnung demokratischer Rechtsstaaten.

Wie die aktuellen Ereignisse zu Beginn des 21. Jahrtausends zeigen, tragen so gut wie alle großen Religionen – Hinduismus, Islam, Buddhismus, Judentum, Christentum – immer auch eine Art “Zeitbombe” in sich. Gemeint ist die über religiöse Glaubenssätze jederzeit zu aktivierende, höchste und intensivste Bereitschaft zu kriegerischen und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Zudem erschwert der absolute Geltungsanspruch insbesondere monotheistischer Daseinsdeutungen selbst in demokratischen Rechtsstaaten vielerorts den Zugang zu einer naturalistischen, an den Erkenntnissen der Wissenschaft orientierten Weltsicht.

Doch nicht nur für die Wissenschaft, auch für einen zeitgenössischen Humanismus können religiöse Ideologien eine Bedrohung darstellen. Vor allem die Gewährleistung von Meinungs- und Glaubensfreiheit sowie der Gleichwertigkeit aller Menschen und ihrer sexuellen Selbstbestimmung wird vielerorts an den Pranger gestellt.

Welchen Beitrag kann nun die aufgeklärte Vernunft zu einer Entschärfung von religiösen Zeitbomben leisten? Auf welche Weise lassen sich die ethischen Fortschritte moderner demokratischer Gesellschaften in religiösen Lehren verankern? Welche Lösungswege bieten sich für ein friedliches Zusammenleben in den multikulturellen, immer heterogener werdenden Gesellschaften unserer rechtsstaatlichen Demokratien?

I. Hintergrundinformationen

Bevor ich auf mögliche Strategien und Lösungswege zur Entschärfung von religiösen Zeitbomben eingehe, möchte ich einen kleinen Einblick in ihre Hintergründe und Voraussetzungen geben – aus der Sicht einer Philosophin und Journalistin.

A. Weltbilder und ihre Daseinsdeutungen

Die Gegebenheiten und Ereignisse in der Welt lassen sich auf zwei verschiedene Arten deuten: Im Sinne einer wissenschaftsbasierten Daseinsdeutung oder im Sinne einer mythischen Weltanschauung.

1. Wissenschaftsbasierte Weltdeutung

Der offensichtlichste Unterschied zwischen beiden Weltanschauungen besteht in ihren jeweiligen Grundannahmen. Beispielsweise verzichtet das wissenschaftsbasierte Weltbild auf göttliche Mächte und metaphysische Prinzipien. Es weist eine größtenteils empirische Verankerung auf und es stützt sich auf experimentell bestätigtes Wissen. Dem wertfreien und neutralen Zufall kommt eine bedeutende Rolle zu. Ihn zu einer kalkulierbaren Größe zu machen, steht beispielsweise im Zentrum der Stochastik, einer zusammenfassenden Bezeichnung von Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik.

Albert Einstein bereitete die große Bedeutung des Zufalls wohl Unbehagen. Auf seine überlieferte Aussage, dass Gott nicht würfelt, soll der Physiker Niels Bohr gekontert haben, Einstein möge endlich aufhören, Gott Vorschriften zu machen. Die Bezugnahme auf Gott scheint allerdings bei beiden eine Weltsicht im Sinne des starken Naturalismus auszuschließen.

2. Die mythische Weltdeutung

Die mythische Weltdeutung schließt eine zusätzliche immaterielle Wirklichkeit ein. Transzendenten, spirituellen oder magischen Kräften und Wesen wird eine reale Existenz zugesprochen.

Indem sie die Fähigkeit haben, Einfluss auf die Welt der Menschen zu nehmen, besteht die Vorstellung, mit ihnen in Verbindung treten zu können. Sie eventuell sogar durch entsprechende Handlungen wohl zu stimmen oder ihre Energie zu nutzen. Insofern umschließt die mythische Weltdeutung alle religiösen Weltanschauungen.

Nicht nur der eigene Lebensweg, auch zufällige Ereignisse mit positiven wie negativen Folgen werden meist auf das Wirken einer Schicksalsmacht oder „Gottes unergründliche Wege“ zurückgeführt. Ihre scheinbare Willkür folgt einem, dem Menschen verborgenen Ziel. Den neutralen, wertfreien, objektiven Zufall gibt es nicht.

3. Zur Relation zwischen wissenschaftsbasiertem und mythischem Weltbild

Über das Verhältnis von mythischer zu wissenschaftsbasierter Weltsicht herrscht nach wie vor Uneinigkeit. Bis zum heutigen Tage wird die Diskussion von zwei Grundkonzeptionen bestimmt: Zum einen jene von der Unvereinbarkeit des mythischen mit dem wissenschaftsbasierten Denken. Sie mündet entweder in einer Abwertung des Mythos, indem dieser als prälogisches Denken zu einer mangelhaften Vorstufe des „Logos“, des rationalen Denkens degradiert wird; oder in einer Verklärung des Mythos, die ihn als authentischer und der „wahren“ Welt näherstehend als die rein auf empirische Erkenntnisse vertrauenden Wissenschaften darstellt.

Zum anderen gibt es die Konzeption von der Komplementarität der beiden Weltanschauungen. Der Mythos wird als alternative Möglichkeit der Weltdeutung betrachtet, die sich in mancher Hinsicht besser zur Bewältigung von Emotionen eignet.

Über lange Zeit hinweg war es mythischen Weltbildern möglich, sämtliche Bereiche der menschlichen Lebenswelt nachvollziehbar zu deuten. Glaubenslehren boten und bieten neben bildhaften Beschreibungen leicht nachzuvollziehende Erklärungen, verständliche Analogien und oft einfache, auf den ersten Blick scheinbar rationale Lösungen für komplexe Probleme. Lösungen mit Handlungsanweisungen. Erst mit dem Erfolg der Naturwissenschaften wurde dieser Deutungshoheit weltweit in vielen Gesellschaften ein Ende bereitet.

Mit fortschreitender wissenschaftlicher Erkenntnis und entsprechender Bildung aller Gesellschaftsmitglieder verkleinert sich der Spielraum für mythische Anschauungen zunehmend. Ein solcher Prozess lässt sich in wissenschaftsorientierten demokratischen Gesellschaftssystemen zweifelsfrei nachweisen.

Die sozialen und politischen Verhältnisse zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigen jedoch, wie leicht und vor allem schnell es in Krisenzeiten zu einer Wiederbelebung längst überwunden geglaubter Daseinsdeutungen kommen kann. Zudem weisen aktuelle neurobiologische und sozialwissenschaftliche Untersuchungen darauf hin: Nicht nur die wissenschaftsbasierte, auch die mythische Weltanschauung scheint zur rationalen Daseinsdeutung des Menschen zu zählen. In beiden Fällen, so die Schlussfolgerung, handelt es sich um Formen zur rationalen Erschließung und Bewältigung der Erlebenswelt – so sehr sich ihre Methoden und Grundannahmen sowie ihre Auffassung von Rationalität auch unterscheiden mögen.

Ist also davon auszugehen, dass selbst in wissenschaftsorientierten Gesellschaften beide Anschauungsformen zur Anwendung kommen? Vielleicht, weil es Bereiche gibt, die mit wissenschaftlichen Methoden nicht fassbar zu sein scheinen? Bereiche die für viele Menschen eine so große Bedeutung haben, dass sie keinesfalls darauf verzichten wollen?

Dazu zählt in erster Linie wohl das Bedürfnis nach einer über den Naturgesetzen stehenden Macht. Ob als Gott oder Göttin, eine Schar von männlichen und weiblichen Gottheiten, als wirkmächtige Ahnen oder „beseelte“ Natur ist sie der Garant für Ordnung, Sicherheit und – in den meisten Fällen – ausgleichende Gerechtigkeit.

[...]

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Wider die Unvernunft. Mögliche Lösungswege und Strategien für ein friedliches Zusammenleben in heterogenen Gesellschaften
Veranstaltung
1. Philosophicum Murnau
Autor
Jahr
2017
Seiten
32
Katalognummer
V377391
ISBN (eBook)
9783668547285
ISBN (Buch)
9783668547292
Dateigröße
640 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Es handelt sich um einen Bericht, der auf einem von der Autorin gehaltenen Vortrag am 3. Sep. 2017 in Ohlstadt beruht
Schlagworte
Religionskritik, Praktische Philosophie, Interkulturelle Philosophie, Ethik, Integration
Arbeit zitieren
Dr.Dr. Susanna Berndt (Autor:in), 2017, Wider die Unvernunft. Mögliche Lösungswege und Strategien für ein friedliches Zusammenleben in heterogenen Gesellschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/377391

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