Einführung : Leben und Werke Antiphons
Antiphon aus Athen, wurde wahrscheinlich ungefähr 480 vor Christus in der attischen Ortschaft Rhamnus geboren und im Jahre 411 v. Chr. hingerichtet. Viele Details über sein Leben sind nicht überliefert worden und auch er selbst war wohl in dieser Hinsicht eher zurückhaltend, denn im Gegensatz zu Lysias gibt es in seinen eigenen Reden nur wenig Hinweise über seine Herkunft und sein Werk. Man vermutet sein Vater Sophilos soll ebenfalls Sophist gewesen sein. Deshalb sehen viele Philologen in seinem Vater den Antrieb zur Bered-samkeit, aber von einigen wird auch behauptet, Antiphon sei Autodidakt gewesen.
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Inhaltsverzeichnis
I. Einführung : Leben und Werke Antiphons
II. Antiphons Tetralogien
III. Sophist und / oder Redner
IV. Rhetorik im Mordprozess - Antiphons Kritik an den herrschenden Konventionen der attischen Gerichtsbarkeit
V. Wahrheit oder Wirklichkeit
VI. Das Tötungsgesetz und sein religiös-philosophischer Hintergrund
VII. Literaturverzeichnis
"Denn schon viele, die nicht reden konnten, sind durch ihre wahren Aussagen unglaubwürdig geworden und gerade durch sie zugrundegegangen, weil sie sie nicht klar darlegen konnten; viele jedoch, die reden konnten, sind glaubwürdig geworden durch ihre Lügen, haben sich dadurch gerettet, daß sie logen." Antiphon - Or. 5.3.
I. Einführung : Leben und Werke Antiphons
Antiphon aus Athen, wurde wahrscheinlich ungefähr 480 vor Christus in der attischen Ortschaft Rhamnus geboren und im Jahre 411 v. Chr. hingerichtet. Viele Details über sein Leben sind nicht überliefert worden und auch er selbst war wohl in dieser Hinsicht eher zurückhaltend, denn im Gegensatz zu Lysias gibt es in seinen eigenen Reden nur wenig Hinweise über seine Herkunft und sein Werk. Man vermutet sein Vater Sophilos soll ebenfalls Sophist gewesen sein. Deshalb sehen viele Philologen in seinem Vater den Antrieb zur Beredsamkeit, aber von einigen wird auch behauptet, Antiphon sei Autodidakt gewesen.
Im Jahr 411 v.Chr. wurde Antiphon als Hochverräter verurteilt und hingerichtet, weil er sich an dem oligarischen Putsch der "Vierhundert" beteiligt hatte.
Der damalige Plan zum Sturz der Volksherrschaft mittels einer Oligarchenpartei, "Die Vierhundert", scheiterte unter anderem auch aus unbefriedigtem Ehrgeiz zweier Fraktionen. Ziemlich schnell spaltete sich die Oligarchenpartei in eine strenge und eine gemäßigte Fraktion. Antiphon vertrat als einer der Mächtigsten die strenge Fraktion. Er galt als Skeptiker, Kritiker und Gegner des Bestehenden - in diesem Fall der athenischen Demokratie. Ganz ähnlich wie auch Sokrates, der ja ebenfalls als Skeptiker und Kritiker der Demokratie galt. Zum Verhängnis wurde Antiphon sein Marsch mit anderen Friedensgesandten zu den Lakedämoniern in Sparta. Diese Gesandtschaft blieb erfolglos, die Partei der 400 wurde abgesetzt und die Meisten flohen. Antiphon jedoch blieb, vielleicht weil er auf die Macht der Rede vertraute, und wurde des Landesverrats angeklagt. Er hielt seine nicht mehr erhaltene Verteidigungsrede "Über die Verfassungsänderung", eine Rede, die für die Beste seiner Zeit gehalten wurde, jedoch Antiphon am Ende trotzdem nicht mehr vor der Hinrichtung bewahren konnte. Selbst eine Beerdigung innerhalb des attischen Gebiets wurde ihm verweigert.
Zu Lebzeiten wurde er berühmt, als erster gewerbsmäßiger Redenschreiber für Prozessierende, als Logograph. Nach attischem Recht mussten nämlich die Kläger bzw. Angeklagten in der streitlustigen athenischen Demokratie ihre Sache vor Gericht persönlich vertreten. Und da blieb meist, als einzige Hilfe des einfachen Mannes, die professionelle Hilfe eines Logographen, der Reden gegen die raffinierten und redegewandten Ankläger schrieb. Diese fertigen Reden mussten die unkundigen Klienten dann einfach nur noch auswendig lernen. So entstand die Zunft der Redenschreiber, deren erster Vertreter Antiphon war, sowie auch die Rhetorik wurde geboren. Denn all die überlieferten Schriftstücke der damaligen Rhetoren bekamen eine entscheidende Bedeutung für die wissenschaftliche Rhetorikforschung. Auch Antiphons Reden gelten als die ältesten direkten Zeugnisse der attischen Gerichtsrhetorik, wobei sie jedoch eher als Quelle für ein epochen- oder personenspezifisches Rechtsdenken stehen. Und obwohl ja die Reden nach dem Prozess für Kläger bzw. Angeklagten unwichtig wurden, war der Grund der Überlieferung für die Sophisten und Logographen ein ganz profaner: Die Rhetoren wollten der Öffentlichkeit Proben ihrer Kunst zugänglich machen, um damit neue Klienten anzuwerben. Also als eine Art Eigenwerbung im klassischen Sinne.
Nicht sicher ist, ob Antiphon aus Athen auch noch als Wahrsager und Traumdeuter arbeitete, oder ob es sich dabei um einen Namensvetter handelte.
Neben den Tetralogien, sind noch folgende Fragmente unter seinem Namen überliefert: Drei von ehemals 60 Gerichtsreden, die alle Tötungsdelikte behandelt. Antiphon scheint also wirklich der Fachmann für Morde gewesen zu sein. Daneben noch die philosophischen Schriften "Über die Wahrheit", "Über den Gemeinsinn", "Der Staatsmann" oder auch "Die Staatsrede" genannt, sowie "Über die Traumdeutung".
An diesen philosophischen Werken ist besonders interessant, dass Antiphon nicht allein Fragen der Physik und Kosmologie, wie bei anderen Vorsokratikern üblich, in seinen Schriften erörterte, sondern auch moderne ethisch-politische Gedanken, die die Rechtsnormen und herrschenden Konventionen kritisierten und für eine Gleichheit der Menschen mit gleichen Gesetzen plädierten.
II. Zu den Tetralogien
Über die Funktion und den Sinn der Tetralogien gehen die Meinungen noch immer weit auseinander: Zum einen werden die Tetralogien dem sophistischen Lehrtrieb zugeordnet, ähnlich der "Helena"- und "Palamedes"-Rede des Gorgias. Also als eine Präsentation der Redefähigkeit des Lehrers und als Modelle für Redeübungen mir Rhetorikschülern, den sogenannten Deklamationen. Oft wird aber auch das möglicherweise theoretische Interesse Antiphons genannt. Als in Redeübungen versteckte Kritik lassen sich die Tetralogien nämlich auch lesen: Kritik an der athenischen Demokratie, an der institutionalisierten Macht der Richter und für eine Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Vielleicht ist auch dies ein Indiz für die erstaunlich gute Erhaltung der Tetralogien-Schriften, im Gegensatz zu fast allen anderen Schriften Antiphons. Es musste also ein starkes Interesse gegeben haben, die Tetralogien der Nachwelt zu überliefern. Interessant ist auch, dass sich Antiphon, nicht wie damals üblich, mit mythischen Thematiken beschäftigte, wie es ja z.B. auch Gorgias in seinen Reden handhabte, sondern mit fiktiven Mordprozessen, die in einer anderen Form gut möglich gewesen wären und auch heute noch sehr realistisch wirken. Auch die Abfolge von je zwei Anklage- und zwei Verteidigungsreden gehörte zur normalen Gerichtsverhandlung in den attischen Gerichtshöfen. Natürlich sind die Tetralogien trotzdem mit allerlei literarischer Fiktion angereichert, die man eher in griechischen Tragödien vermuten würde. Dazu gehören z.B. die Rachedämonen und der kollektive Fluch für die gesamte Stadt; sie werden zu den magisch-religiösen Vorstellungen der damaligen Zeit gezählt, dienen aber Antiphon als schwerwiegendes Argument innerhalb der Reden. Auch das Gesetz "Jede Tötung, ob mit oder ohne Rechtfertigungsgrund, ist untersagt" gehört zu den fiktiven und religiösen Vorstellungen, denn früher stand ein Mord bzw. der Tod im Allgemeinen stets in Zusammenhang mit einer Gefährdung der gesamten göttlichen Welt- und Lebensordnung.
In den Tetralogien kämpft der Redner also gegen sich selbst und doch wird Antiphons Position oft auf der Seite der Verteidigung gesehen, die ja meist im Nachteil ist und daher raffinierter, sowie pathetischer argumentieren muss.
Auffällig ist auch, dass sich die Sprache poetischer und kunstvoller als in damaligen Gerichtsreden üblich gibt. Antiphon bedient sich z.B. gern neuer oder ungewohnter Wendungen und Wortbildungen. Er will dem Hörer etwas Neues bieten, aber trotzdem verständlich bleiben und deshalb kommt es in den Tetralogien auch zur Häufung synonymer Begriffe, Umschreibungen und Epitheta. Völlig fehlt vor allem die Ironie, was aber hinsichtlich der Mordthematik verständlich ist. Aber auch die einzelnen Argumente sind oft nicht ganz ausgeführt und die narratio fehlt vollständig. Dies lässt sich damit erklären, dass es sich ja nur um Skizzen handelt, keine vollständig ausgeführten Reden.
In der ersten Tetralogie wird ein angesehener Mann nachts mit seinem Sklaven erschlagen, jedoch nicht beraubt. Der Sklave sagt kurz vor seinem Tod noch aus, er habe den langjährigen Feind des Opfers als Täter identifiziert. Dazu war der Feind des Opfers noch durch einen drohenden Prozess wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder bedroht. Die Verwandten des Opfers klagen nun diesen Feind des vorsätzlichen Mordes an.
Hierbei geht es nicht um die strafrechtliche Bewertung der Tat, wie z.B. in der zweiten Tetralogie, in der der Täter schon fest steht, sondern um die Frage der Täterschaft, die mit Hilfe von Indizien entschieden werden soll. Es handelt sich also um den sogenannten status coniecturae, in dem die Anklage zu beweisen versucht, dass etwas geschehen ist bzw. vom Angeklagten getan worden ist und damit ergibt sich für die Verteidigung die Möglichkeit der "stärksten Verteidigung", nämlich die Tat zu leugnen.
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