Seneca: "De Tranquillitate Animi" - Was ist das Problem des Serenus und inwiefern glaubt Seneca, es mit Überlegungen zur Seelenruhe lösen zu können?


Seminararbeit, 2005

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Vorbemerkung

2. Das Problem des Serenus

3. Die Antwort des Seneca
3.1 Diagnose und Ursachen
3.2 Heilmittel – Ratschläge für ein gutes Leben
3.2.1 Politisches und gesellschaftliches Leben
3.2.2 Vermögensverhältnisse
3.2.3 Triebe, Lust, Gewöhnung und die Seelenruhe
3.2.4 Erreichung des Idealzustandes und die Vergänglichkeit der Güter
3.2.5 Zielgerichtetes Handeln, naturgemäßes Leben und Fazit

4. Der Philosoph als Psychiater
4.1 Philosophie als Seelentherapie
4.2 Seneca als Seelenheiler

5. Schlussbemerkung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbst angefertigt und alle von mir benutzten Hilfsmittel und Quellen angegeben habe; alle wörtlichen Zitate und Entlehnungen aus fremden Arbeiten sind als solche gekennzeichnet.

1. Vorbemerkung

Das Werk De Tranquillitate Animi, übersetzt Über die Seelenruhe, von Lucius Annaeus Seneca lässt sich in die Lehre der jüngeren Stoa einordnen. Es hat die Form eines brieflichen Zwiegesprächs zwischen Seneca und dessen Freund und Verwandten Serenus Annaeus.

Serenus schreibt in einem Brief an Seneca, dass er an einem Gemütszustand leide, den er als Krankheit oder Charakterfehler bezeichnet. Von Seneca erwartet Serenus nun einen Namen und ein Heilmittel für diesen Zustand.

Die Philosophie hat hier die Funktion von der Seelenheilkunde und Trostspenderin in schwierigen Lebenssituationen.

Seneca setzt sich in seinen Schriften mit dem Leben in der Großstadt auseinander, er selbst lebt in Rom, und beschreibt in De Tranquillitate Animi die Leere und Sinnlosigkeit, die sich aus einem solchen Leben ergeben kann.[1]

Inhalt dieser Hausarbeit wird es sein, den Text De Tranquillitate Animi bezüglich des Problems des Serenus und die Lösungsansätze Senecas zu diesem Problem zu untersuchen. Seneca stellt hier Überlegungen zur Seelenruhe an. Dabei werden die Grundsätze der Stoa erklärt. Außerdem wird auch auf die Funktion von vita activa und vita contemplativa in der Stoa und in Senecas Lebensberatung eingegangen. Der stoische Weise als Idealbild der Stoa wird ebenfalls eine Rolle spielen. Am Ende der Arbeit wird die Funktion der antiken Philosophie als Seelenheilkunde und Vorläufer heutiger Psychotherapie aufgegriffen.

2. Das Problem des Serenus

Serenus strebt nach einem Leben nach stoischen Grundsätzen, stolpert jedoch bei der Umsetzung dieser Richtlinien im Alltag über seine Charakterschwächen (vitia).

In einem Brief an den Freund Seneca schildert Serenus sein Problem. Er beschreibt immer wiederkehrende Schwächen. Die Charakterschwäche wird im Lateinischen mit dem Begriff vitium beschrieben.

„Seneca, wenn ich mit Fragen in mich eindrang, wurden mir dabei manche Schwächen deutlich, offenkundige […] manche verborgener und entlegen, manche nicht andauernd, sondern in Abständen wiederkehrend.“[2]

Serenus meint außerdem: „[…] weder bin ich krank noch gesund“ (I, 2). Hieraus lässt sich schließen, dass sich Serenus auf ein Leben nach stoischen Prinzipien sieht zustreben, dies aber aufgrund seiner Charakterschwäche nicht vollständig realisieren kann. Er hat auch erkannt, dass sich Charakterstärke und Kraft mit zunehmendem Alter mehr und mehr ausbilden können.

„[…] aller Charakterfähigkeit Beginn sei zart, mit der Zeit entwickle sich bei ihnen Dauerhaftigkeit und Kraft.“ (I, 3)

Der Freund erwartet von Seneca eine Diagnose der Krankheit („[…] du wirst für meine Krankheit den Namen finden.“(I, 4)).

Serenus beginnt nun, seine Lebensweise und die immer wiederkehrenden Hindernisse zu beschreiben. Zuerst führt er an: „Es beherrscht mich außerordentliche Liebe zur Sparsamkeit“ (I, 5). Hier ist der stoische Grundsatz der Enthaltsamkeit zu erkennen. Seneca greift in seinen Schriften häufig auf das „Ideal des Asketen“[3] zurück, wie es hier deutlich wird. Dieser Grundsatz entstammt der stoischen Güterlehre, in der äußere Güter wie Macht und Reichtum nur einen relativen Wert haben und für das Glück und die sittliche Vollkommenheit des Individuums bedeutungslos sind.[4] So werden askêsis und meditatio bei der Besinnung auf die eigene Seele zur geistigen und körperlichen Übung.[5]

Dann erklärt Serenus sein Problem, das gegenteilig zu seiner Sparsamkeitsliebe ist und auch den Grundsätzen der Stoa widerspricht.

„Es umströmt mich, wenn ich aus dem ständigen Schmutz der Anspruchslosigkeit komme, mit vielerlei Glanz die verschwenderische Pracht […] und in der Stille kommt mich nagender Zweifel an, ob nicht jenes besser sei. […] Ich mag der Kraft der Lehrsätze folgen und mich mitten in die Politik begeben; ich mag Ämter und deren Insignien […].“ (I, 9)

Serenus schwankt in seiner Seele also zwischen der „Liebe zur Sparsamkeit“ und der Bewunderung des Prunks. Des Weiteren schwankt er zwischen dem Ruhm und der Macht durch politische Ämter und der Befolgung stoischer Lehrsätze.

Dann führt Serenus wieder einen anderen Wesenszug an, der eher der Stoa entspricht als der vorherige.

„Ich mag in meinen vier Wänden wiederum mein Leben einschließen […] in sich selber verharre die Seele, sich selber vervollkommne sie, nichts Fremdes betreibe sie […] geliebt werde die Ruhe, die fern von politischer und privater Sorge. Aber sobald eine männlichere Lektüre aufgerichtet hat die Seele und Ansporn gegeben haben leuchtende Beispiele, wünsche ich sofort auf das Forum zu eilen, dem einen meine Stimme zu leihen, dem anderen meine Mühewaltung […]“ (I, 12-13)

Serenus schildert hier den Versuch, alles Äußere auszuschließen, was die Seelenruhe stören könnte. Nach der Stoa kann man diese Ruhe des Gemüts nur erreichen, wenn man sich von dem Streben nach äußeren Gütern, wie zum Beispiel Macht, frei macht.[6] Aber im nächsten Moment reizt es Serenus wiederum, seinen Geschäften auf dem Forum nachzugehen. Hier wird ein Schwanken zwischen der vita activa und der vita contemplativa deutlich.[7] Die vita activa heißt ‚tätiges Leben’ und ist das aktive Handeln in der Politik. Das Individuum setzt sich also für die staatliche Gemeinschaft ein; die vita contemplativa, übersetzt als ‚beschauliches Leben’, meint das Betrachten und das Nachdenken über die Philosophie, die Wissenschaft und die Kunst.[8] Die Stoa teilt das Leben in diese zwei Richtungen auf, beides sollte enthalten sein.[9]

Am Ende des Briefes fasst Serenus seinen Seelenzustand unter dem Begriff der Seekrankheit (nausea) zusammen. „[…]nicht vom Sturm werde ich gequält, sondern von der Seekrankheit“ (I, 18).

3. Die Antwort des Seneca

3.1 Diagnose und Ursachen

Im zweiten Abschnitt seiner Abhandlung stellt Seneca eine Diagnose des Problems, das Serenus quält, und analysiert die Ursachen für das Schwanken der Seele.

Seneca stellt seiner Analyse einen grundlegenden Ratschlag für die Umsetzung der folgenden Richtlinien voran.

„Nötig hat man daher […] Vertrauen zu dir zu haben und zu glauben, du gehest auf dem rechten Wege, unablenkbar durch die seitwärtsweisenden Spuren vieler, die überall auseinanderlaufen […]“. (II, 2)

Dieser Ratschlag ist ein wichtiger Grundsatz der Stoa. Aufgrund der Wertneutralität aller äußeren Güter bleibt das Individuum, welches die Seelenruhe (tranquillitas animi) bereits erreicht hat, unabhängig von diesen äußeren Einflüssen wie beispielsweise Unglücksfällen in der Verwandtschaft oder anderen Schicksalsschlägen; das heißt, sein Leben und seine Seelenruhe geraten durch diese Einflüsse nicht aus den Fugen.[10]

Seneca versucht nun, den Seelenzustand des Freundes zu bestimmen.

„Was du wünschst, ist aber etwas Bedeutendes und das Höchste und dem Gotte Benachbartes – sich nicht erschüttern zu lassen. Diese Widerstandsfähigkeit der Seele nennen die Griechen Euthymia (Frohsinn) […] ich nenne sie Seelenruhe.“ (II, 3)

Hier formuliert Seneca das höchste Ziel (telos) des Stoikers. Es wird eine Gleichgültigkeit gegenüber körperlichen Gütern (Gesundheit, Schönheit) und äußeren Gütern (Reichtum, Macht, Ansehen) (adiaphora) angestrebt, um das höchste Ziel – die Glückseligkeit – erreichen zu können.[11] Der höchste Glückszustand ist die Gemüts- oder die Seelenruhe.[12] Diese tranquillitas animi ist der höchste zu erreichende Glückszustand, der im griechischen als eudaimonia bezeichnet wird.[13] Der Begriff Eudämonie umfasst alle Dinge, die zu einem glücklichen Leben gehören. Die zentrale Frage der Stoiker ist hier, wie ein Mensch leben sollte.[14] Serenus strebt diesen Zustand, der auch als apatheia bezeichnet wird, an. Apatheia ist die Affektfreiheit, das heißt selbstbestimmtes Handeln und die Lossagung von äußeren Einflüssen und unverfügbaren Gütern.[15] Die Stoiker benennen vier Hauptaffekte (pathê): Furcht (phobos), Begierde (epithymia), Lust (hêdonê) und Unlust (lypê).[16] Solange ein Individuum der Macht dieser Affekte unterliegt, kann es den Zustand des höchsten Glücks nicht erreichen, denn die Affekte treten auf, wenn sich das Individuum von äußeren Gegebenheiten oder Gütern zu stark beeinflussen lässt.[17] Die Ursache von Affekten ist die Zustimmung der Vernunft (ratio) aufgrund eines falschen Werturteils. Diese Werturteile können vermieden werden, wenn man zu der Einsicht (phronêsis) gelangt, dass alle körperlichen und äußerlichen Güter gleichgültig sind (adiaphora).[18] Die Einsicht ist hier eine Metapher für Tugend (virtus; aretê). Ein tugendhafter Mensch ist affektfrei und kann damit Eudämonie erreichen.[19] Der Begriff der virtus wird in einem späteren Abschnitt noch einmal aufgegriffen und vertieft werden.

Seneca geht nun zu den Ursachen für die Charakterschwäche des Serenus über. Dabei muss beachtet werden, dass der Philosoph sich nicht nur auf Serenus bezieht, sondern die nun folgenden Passagen für die allgemeine Gesellschaft Gültigkeit haben; der Adressat kann sich aus dem Text Ratschläge entnehmen, die ihm auf seinem Weg zur tranquillitas animi helfen sollen.[20]

„[…] du wirst dir aus diesem für die Allgemeinheit bestimmten Heilmittel nehmen, wie viel du willst. […] Insgesamt ist die Schwäche inzwischen vor die Öffentlichkeit zu bringen, von der ein jeder seinen Teil erkenne.“ (II, 4-5)

Die Hauptursache, die Seneca für das Schwanken der Seele zwischen Reichtum und Enthaltsamkeit, Zurückgezogenheit und politischem Tun anführt, ist die Rastlosigkeit der Menschen sowohl im Berufsleben und in den Lebensverhältnissen als auch im Wohnort. Diese Rastlosigkeit endet erst durch Erschöpfung oder Krankheit im Alter, aber nicht durch Einsicht.

„[…] Überdruß und ständiger Wechsel ihrer Absicht […] bis sie Ruhe vor lauter Erschöpfung finden […] ständigen Wechsel ihrer Lebensverhältnisse […] auf Grund von Trägheit, und leben nicht, wie sie wollen, sondern wie sie begonnen haben. […] Stets sind sie unbeständig und unrastig […] Zur Erfüllung ihrer Wünsche suchen sie auf jedem Wege zu gelangen.“ (II, 6-7)

Die Menschen sind rastlos, weil sie versuchen, sich selbst zu entkommen und bessere Lebensweisen zu finden.[21] Wenn die Rastlosen Zeit der Muße haben, halten „sie das Haus, die Einsamkeit, die vier Wände nicht aus“ (II, 9), da ihre Seele nicht mit sich im Einklang ist und das Alleinsein unerträglich wird.[22]

„Daher stammt jener Überdruß und das Missbehagen an sich selber und einer nirgends zur Ruhe kommenden Seele Unrast und das der eigenen Muße bekümmerte und krankende Erleiden […] Eine Reise wird nach der anderen unternommen, und Schauspiele wechseln mit Schauspielen ab. So sagt Lucretius: Auf diese Weise flieht jeder vor sich selbst stets.“ (II, 10, 14)

Aus diesem ständigen Auf und Ab resultiert ein Lebensüberdruss, da man nach dem erlebten Genuss wieder in die alten Schranken und Gewohnheiten zurückfällt, ohne einen Fortschritt auf den Weg zur eudaimonia gemacht zu haben. „Und es stellt sich die Frage innerlich faulen Genusslebens ein: ‚Wie lange noch dasselbe?’“ (II, 15).

[...]


[1] Vgl. Gregor Maurach, Seneca als Philosoph (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1987) 18-19.

[2] Lucius Annaeus Seneca, „De Tranqillitate Animi – Über die Seelenruhe“, Philosophische Schriften in fünf

Bänden, Hrsg. M. Rosenbach (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1999) I, 1.

[3] Therese Fuhrer, „Seneca. Von der Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit“, Philosophen des Altertums.

Vom Hellenismus bis zur Spätantike. Eine Einführung, Hrsg. M. Erler und A. Graeser (Darmstadt:

Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2000) 95.

[4] Vgl. Ebd., 95.

[5] Vgl. Christoph Horn, Antike Lebenskunst. Glück und Moral des Sokrates bis zu den Neuplatonikern (München:

Verlag C. H. Beck, 1998) 33.

[6] Vgl. Gregor Maurach, Geschichte der Römischen Philosophie. Eine Einführung, (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997) 128.

[7] Vgl. Marion Giebel, Seneca (Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, 1997) 67.

[8] Vgl. www.lateinforum.de/thesauru/WdAntike/V/vitaacti.htm

[9] Vgl. http://mitglied.lycos.de/ralph_mennicke/Diverse_Abhandlungen/Griech_roem_Philosophie.html

[10] Vgl. Fuhrer, 98.

[11] Vgl. Horn, 88.

[12] Vgl. Matthias Vogt, Dumonts Handbuch Philosophie (Köln, DuMont monte Verlag, 2003) 66.

[13] Vgl. Horn, 87

[14] Vgl. Martha Nussbaum, Upheavals of Thought – The Intelligence of Emotion, (Cambridge: Cambridge University Press, 2001) 32.

[15] Vgl. Horn, 88.

[16] Vgl. Ebd., 89.

[17] Vgl. Ebd., 89.

[18] Vgl. Ebd., 90.

[19] Vgl. Ebd., 88.

[20] Vgl. Gregor Maurach, Seneca Leben und Werk (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 124.

[21] Vgl. Ebd., 124.

[22] Vgl. Giebel, 68.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Seneca: "De Tranquillitate Animi" - Was ist das Problem des Serenus und inwiefern glaubt Seneca, es mit Überlegungen zur Seelenruhe lösen zu können?
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Altertumswissenschaften)
Veranstaltung
Seneca und die stoische Ethik
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V40315
ISBN (eBook)
9783638388542
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit gibt ein Gesamtporträt der stoischen Ethik anhand einer Interpretation von "De Tranquillitate Animi" und geht auf die Funktion der Philosophie als Seelenheilkunde ein.
Schlagworte
Seneca, Tranquillitate, Animi, Problem, Serenus, Seneca, Seelenruhe, Seneca, Ethik
Arbeit zitieren
Katharina Baron (Autor:in), 2005, Seneca: "De Tranquillitate Animi" - Was ist das Problem des Serenus und inwiefern glaubt Seneca, es mit Überlegungen zur Seelenruhe lösen zu können?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40315

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