Koedukation - Rückschritt oder neue Chance?


Hausarbeit, 2000

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


GLIEDERUNG

1 Einführung
1.1 Begriffsklärung
1.2 Historischer Rückblick

2 Kritik an der Koedukation
2.1 Unterschiede in Berufs- und Studienwahl, Leistung und Interesse
2.1.1 Berufs- und Studienwahl
2.1.2 Leistung
2.1.3 Interesse
2.2 Mögliche Ursachen der Unterschiede
2.2.1 Natürliche Unterschiede
2.2.2 Unterschiedliche Interaktionen im Unterricht
2.2.3 Unterrichtsmaterial
2.2.4 Unterschiedliche Sozialisation
2.2.5 Verschiedene Lernstrategien

3 Zusammenfassung
3.1 Einfluss der Schulform auf genannte Unterschiede
3.2 Die Lösung: Koedukation oder Monoedukation?

Literatur

1 EINFÜHRUNG

1.1 BEGRIFFSKLÄRUNG

Der Begriff Koedukation leitet sich vom lateinischen „co“ (gemeinsam, zusammen) und „educatio“ (Erziehung, Bildung) ab. Unter Koedukation versteht man also die gemeinsame Erziehung von Mädchen und Jungen, im Gegensatz zu Koinstruktion, womit nur die gemeinsame Unterrichtung gemeint ist. Hier soll hauptsächlich auf die Koedukation in der Schule Bezug genommen werden, nicht auf die Verhältnisse in Kindergärten, an Universitäten oder im privaten Bereich.

Was bedeutet „Rückschritt oder neue Chance“ bezogen auf die Koedukation? Um dies zu klären, möchte ich kurz den langen Weg bis zur Einführung der Koedukation darstellen.

1.2 HISTORISCHER RÜCKBLICK

Über Jahrtausende stellte Bildung und damit auch schulische Erziehung ein männli­ches Privileg dar. Zwar forderte z.B. schon Comenius 1638 in seiner „Didactica magna“ den Schulbesuch auch für Mädchen (zit. nach Richter, 1996, S. 70), doch erst mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht erhielten auch Mädchen grundsätz­lich eine Elementarbildung (in Preußen 1717). Die Volks- und Elementarschulen wurden weitgehend koedukativ geführt. Ab 1893 wurden in manchen Städten Gym­nasien für Mädchen eingerichtet, deren Abschluss aber nicht zum Studium berech­tigte. Ab 1918 wurden dann Mädchen auch an Jungenschulen zugelassen bzw. koe­dukative Schulen genehmigt (Hertel, 1995, S. 21).

Während im 19. Jh. ein Mindestmaß an Bildung bei den sog. höheren Töchtern er­wünscht war - sie sollten ihre späteren Männer nicht langweilen und sie „angenehm und nützlich“ unterhalten können (Stalmann, 1992, S. 23), - stießen Forderungen nach Koedukation auf enormen Widerstand: Es wurde bezweifelt, dass Mädchen den gleichen Stoff verstehen könnten, befürchtet, dass ihre natürliche Bestimmung als Hausfrau und Mutter unterlaufen werde und dass sie durch ihre körperliche Schwä­che dem Unterricht nicht gewachsen seien. Gleichzeitig wurden sie als potentielle Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt betrachtet (trotz Schwäche und geistiger Unterle­genheit), und es wurden negative Einflüsse auf die Knabenbildung und die Moral im allgemeinen gesehen (S. 27ff). Noch Anfang des 20. Jh. glaubte man, dass die geistige Überforderung bei den Mädchen zu Unfruchtbarkeit oder Psychosen füh­ren könnte; die Frauen sollten auch nicht zu gebildet werden, damit sie weiterhin be­reit seien, die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen (Spender, 1989, S. 46).

Nachdem im Dritten Reich wieder reine Jungen- und Mädchenschulen eingerichtet worden waren, wurde ab 1945 in der SBZ/späteren DDR koedukativ unterrichtet.

In der damaligen BRD wurde nach und nach die Koedukation wieder eingeführt, wobei aber teilweise für Mädchen und Jungen unterschiedliche Fächer und Lehr­pläne galten (z.B. bei Technik und Hauswirtschaft). Seit Mitte der 70er Jahre sind alle staatlichen Gymnasien koedukativ, monoedukative Schulen gibt es heute nur noch in privater, meist konfessioneller Trägerschaft (Hertel, 1995, S. 21).

Die Koedukation sollte Mädchen endlich gleiche Chancen durch eine gleichwertige Ausbildung einräumen, und mit der Einführung der vollständigen Koedukation wur­den tatsächlich die letzten formalen Schranken im Schulsystem aufgehoben: Mäd­chen werden in den gleichen Räumen in den gleichen Fächern nach dem gleichen Lehrplan mit dem gleichen Unterrichtsmaterial wie Jungen unterrichtet. Tatsächlich haben die Mädchen in der Bildungsbeteiligung stark aufgeholt; seit den 70er Jahren besuchen mehr Mädchen als Jungen weiterführende Schulen, seit 1980 machen mehr Mädchen als Jungen das Abitur (Leschinsky, 1992, S. 22).

Angesichts der Geschichte der Koedukation scheint das ein großer Fortschritt zu sein - doch es wird zunehmend Kritik laut: Ist die Koedukation nur formal, nicht inhalt­lich erfüllt (Faulstich-Wieland, 1993)? Ist das Ziel, Mädchen gleiche Ausbildungs­möglichkeiten zu geben, erreicht worden? Der Erfolg der Koedukation wird inzwi­schen in Frage gestellt, und zwar diesmal nicht von konservativer Seite, sondern ge­rade von der feministischen Pädagogik, die sich darin erstaunlicherweise wieder mit der traditionellen christlichen Mädchenbildung trifft (Baumert, 1992, S. 84).

Die Frage, ob die Koedukation Mädchen und Jungen wirklich gleichgestellt hat, ob sie also einen Rückschritt oder eine neue Chance darstellt, soll nun erörtert werden. Wenn sich Unterschiede in den Leistungen, Interessen und den Berufs- und Studien­wahlen von Jungen und Mädchen finden, und wenn es Hinweise gibt, dass diese Unterschiede mit der Unterrichtsform - ko- oder monoedukativ - zusammenhängen, sollte die Koedukation entweder modifiziert oder sogar wieder abgeschafft werden, um Mädchen tatsächlich eine Chance zu bieten.

2 KRITIK AN DER KOEDUKATION

2.1 UNTERSCHIEDE IN BERUFS- UND STUDIENWAHL, LEISTUNG UND INTERESSE

2.1.1 Berufs- und Studienwahl

Einer der Anstöße, die Koedukation wieder in Frage zu stellen, war eine Befragung von Studentinnen in Aachen, Dortmund und Paderborn (Kauermann-Walter, Kreien­baum & Metz-Göckel, 1988, zit. nach Giesen, Gold, Hummer & Weck, 1992). Über­raschend stellte sich heraus, dass 36% der Chemiestudentinnen und 47% der Infor­matikstudentinnen aus reinen Mädchenschulen kamen, obwohl nur ein geringer An­teil aller Schülerinnen dort das Abitur ablegt (1983 in Nordrhein-Westfalen 14%).

Diese Ergebnisse wurden allerdings bald kritisiert: U.a. bemängeln Giesen et al. (1992), dass auf eine männliche Vergleichsgruppe verzichtet wurde und der Zusam­menhang von sozialer Herkunft und Schultyp sowie der allmähliche Übergang zur Koedukation nicht berücksichtigt wurden. In einer eigenen Untersuchung konnten Giesen et al. (1992) die Befunde zunächst auch nicht bestätigen. Bei einer Dreitei­lung der Studienfächer in Natur-, Geisteswissenschaften und übrige Fächer zeigte sich jedoch, dass Frauen aus Mädchenschulen deutlich häufiger (54%) Mathematik, Physik, Chemie, Informatik und Technik studierten als Frauen aus koedukativen Schulen (46%). Der insgesamt deutlichste Effekt war dennoch eine geschlechtstypi­sche Studienwahl: Männer wählten eher Naturwissenschaften und übrige Fächer, Frauen eher Geisteswissenschaften und übrige Fächer.

Holz-Ebeling und Hansel (1993) stellten ebenfalls fest, dass an Mädchenschulen die Ausbildungswünsche etwas weniger typisch weiblich ausfielen, etwas mehr „männli­che“ Studienwünsche traten auf; ein großer Unterschied zu den befragten Schülern blieb aber bestehen.

Dagegen betrug in den neuen Bundesländern - in denen schon seit 1945 durchgängig Koedukation herrscht - der Frauenanteil in Mathematik und Naturwissenschaften 45,8% (1992), in den Ingenieurswissenschaften immerhin 20,2% (Horstkemper, 1996, S. 172). Aus dem Abiturjahrgang 1990 wollten in den alten Bundesländern 72% der Frauen und 83% Prozent der Männer studieren. In den neuen Ländern war das Verhältnis jedoch fast ausgeglichen (78% Frauen, 79% Männer). 1991 fand da­gegen eine Annäherung an den Westen statt: Nur noch 69% der östlichen Abiturien­tinnen planten ein Studium (Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, 1993, zit. nach Richter, 1996, S. 74).

Unterschiede von mono- oder koedukativ unterrichteten Frauen in der Berufs- und Studienwahl sind also feststellbar. Eine Annäherung an die Männer scheint aber in weiter Ferne zu liegen. Die Zahlen aus den neuen Ländern sprechen eher gegen eine ungünstige Wirkung der Koedukation: Offensichtlich gibt es noch andere relevante Faktoren, die die Berufs- und Studienwahl beeinflussen.

2.1.2 Leistung

Mädchen sind im Schulsystem insgesamt erfolgreicher als Jungen (z.B. Abiturquote), aber bei den fachspezifischen Leistungen bietet sich ein widersprüchliches Bild.

Smith (1980) beobachtete, dass Mädchen und Jungen bei Schulbeginn praktisch glei­che Leistungen in Mathematiktests erbrachten, dass aber mit der Zeit die Mädchen immer schlechter abschnitten. Einige Klassen wurden daraufhin getrennt unterrichtet. Obwohl die Lehrkräfte dem mehrjährigen Experiment sehr skeptisch gegenüberstan­den, erreichten die Mädchenklassen bald einen wesentlich besseren Durchschnitt als die Mädchen der koedukativen Klassen; er lag nur leicht unter dem der Jungen.

Dagegen konnten Holz-Ebeling und Hansel (1993) den Mädchenschulvorteil nicht replizieren: Im Basiswissen Physik gab es kaum Unterschiede zwischen Mädchen­schulen (57% richtige Antworten) und koedukativen Schulen (58%), während die Jungen weitaus besser abschnitten (75% richtige Antworten). Die Autorinnen be­fürchten aber aufgrund des nicht kontrollierten Sozialstatusvorteils der Koedukati­ven, dass Mädchenschuleffekte unterschätzt wurden.

Schon die frühesten Untersuchungen zur Koedukation kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Demant (1955, zit. nach Hertel, 1995) fand bei vergleichenden Leis­tungstests die niedrigsten Mittelwerte in Lesen, Wortschatz und Sach- und Zahlen­rechnen gerade in Mädchenklassen. Wawrzyniak (1959) schloss dagegen aus seiner Studie, dass getrennte Klassen besonders Mädchen zugute kommen. Diese Uneinig­keit zieht sich durch weitere Veröffentlichungen.

Baumert (1992) berichtet, dass zwar bei britischen und amerikanischen Längsschnitt­studien eine Überlegenheit der Monoedukation gefunden wurde.

Aber je mehr Kovarianten wie Sozial- und Leistungsmerkmale berücksichtigt wer­den, desto geringer werden die Effekte (S. 88); deshalb vermutet er, dass in vielen Studien die Eingangsselektivität der Schulen für die Ergebnisse verantwortlich sein könnte.

In einer eigenen Analyse untersucht Baumert die Leistungen an Gymnasien um 1970, wobei er aber zu bedenken gibt, dass die Daten relativ alt sind und aus einer Übergangsphase stammen: In Mathematikleistungstests erzielten koedukativ unter­richtete Jungen und Mädchen bessere Ergebnisse als Mädchenschul-Schülerinnen. Als Effekt der Koedukation trat eher eine homogenisierende als eine spaltende Ten­denz in der Leistung auf. Die Leistungs entwicklung dagegen war für Mädchen an Mädchenschulen besonders günstig.

An Mädchengymnasien wurden zwar bessere Noten als an Jungengymnasien erzielt, doch scheint dies nur in Deutsch und Englisch auch durch bessere Leistungen ge­deckt zu sein, in Mathematik aber nicht. Das bedeutet für Baumert, dass je nach Schulform unterschiedliche Kompetenzinformationen vermittelt werden. Ein zusätz­liches Ergebnis war, dass die Lehrer eine Tendenz zur unterschiedevermindernden Benotung zeigten: Die Mädchen erhielten einen „Mathematik-“ , die Jungen einen „Deutschbonus“. Allerdings kamen Giesen et al. (1992) zu gegenteiligen Schlüssen: Bei Koedukation schien in den Sprachen eine polarisierende Benotung zuungunsten der Jungen vorzuherrschen, bei Monoedukation dagegen eine Notenannäherung. Dieser „Bonus“ ermutigt laut Giesen et al. koedukativ unterrichtete Mädchen eher dazu, ein sprachliches Fach oder Biologie zu studieren.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Koedukation - Rückschritt oder neue Chance?
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für Bildungswissenschaft und Medienforschung)
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
19
Katalognummer
V40798
ISBN (eBook)
9783638392259
ISBN (Buch)
9783638790383
Dateigröße
509 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Koedukation, Rückschritt, Chance, Unterricht, Geschlecht
Arbeit zitieren
Sabine Pfisterer (Autor:in), 2000, Koedukation - Rückschritt oder neue Chance?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40798

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