Friedrich A. Kittler vertritt in dem hier auf seine Argumentationsstruktur hin untersuchten Text Der Gott der Ohren die These, dass Akustik und Wahnsinn sowie akustische Techniken / Medien unmittelbar miteinander in Verbindung stehen und auch eine gemeinsame Entwicklungsgeschichte aufweisen. Hier gilt es nun zu klären, inwiefern Kittler eine Verbindung zwischen diesen Aspekten bewiesen sieht und worauf und vor allem wie er seine Thesen begründet.
Neben der Klärung, was Kittler als Wahnsinn bezeichnet, ist vor allem heraus-zuarbeiten, warum er die Akustik, speziell das Ohr, als eine Geschichte des Wahnsinns bezeichnet. Welche Ansätze sieht Kittler zur Entstehung von Wahn-sinn und welche möglichen Schwerpunkte werden in der Argumentationsführung gesetzt?
Wenn Kittler den akustischen Techniken / Medien eine derart große Bedeutung bzgl. ihres Einflusses auf das menschliche Wahrnehmungsverhalten und letztlich auf die Psyche einräumt, welchen Stellenwert nehmen dann alphabetische Medien in seinen Augen ein? Zumal lässt diese Fragestellung auch vermuten, dass der ästhetische gegenüber dem technischen Aspekt bei Kittlers Bewertung, wie der Einfluss akustischer Medien einzuordnen ist, wohl eher weniger berücksichtigt wird.
Die Lösung dieser Fragen bildet das Leitmotiv für die Untersuchung der Argu-mentationsstruktur und soll in einem kritischen Blick auf die Schlüssigkeit der Argumentationsführung eine klärende Antwort geben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wissenschaftliche Biographie des Autors
3. Thema und inhaltliche Hauptaussage des untersuchten Textes
4. Untersuchung der Argumentationsstruktur
4.1. Ausgangspunkt und Aufbau der Argumentationsstruktur
4.2. Darlegung der Kernthesen und deren stilistische Verknüpfung mit dem Text
4.3. Bewertung der Argumentationsführung
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Thema dieser Hausarbeit beschäftigt sich mit der Untersuchung der Argumentationsstruktur des Textes Der Gott der Ohren von Friedrich A. Kittler, der die Thematisierung des Wahnsinns durch das Akustische zum Inhalt hat.
Das Ziel ist dabei die Verdeutlichung der Gliederung innerhalb der Argumentationsstruktur, d. h., an welchem Ausgangspunkt die Argumentation ansetzt, wie sie fortgeführt wird und wieweit sie sich immer wieder auf den Ausgangspunkt bezieht. Daneben werden auch die Aspekte betrachtet, die Kittler zur Einbettung seiner Argumentation heranzieht und wie schlüssig die Argumentationsführung aufgebaut ist.
Bevor die eigentliche Untersuchung beginnt, wird zunächst der Autor Friedrich A. Kittler kurz mit einigen wissenschaftlichen biographischen Angaben vorgestellt, dem anschließend eine kurze inhaltliche Zusammenfassung der Hauptaussagen des Textes folgt.
Zum Abschluss dieser Arbeit werden noch einmal die wichtigsten Untersuchungsergebnisse zusammengefasst und bewertet.
2. Wissenschaftliche Biographie des Autors
Friedrich A. Kittler, Literatur- und Medienwissenschaftler sowie Autor des untersuchten Textes Der Gott der Ohren, wurde 1943 in Rochlitz (Sachsen) geboren und studierte Germanistik, Romanistik und Philosophie in Freiburg / Breisgau. Dort promovierte er 1976 und legte hier 1984 auch seine Habilitation ab.
Sein Lebenslauf ist charakterisiert von mehreren Dozenturen an diversen Universitäten im In- und Ausland. Seit 1993 ist er Professor für Ästhetik und Geschichte der Medien an der Humboldt-Universität in Berlin.
Kittler hat sich als einer der ersten Germanisten für die Rezeption des Poststrukturalismus eingesetzt und gilt heute als führender Vertreter der Medientheorie.[1]
3. Thema und inhaltliche Hauptaussage des untersuchten Textes
Der Text Der Gott der Ohren von Friedrich A. Kittler konzentriert sich auf die Thematisierung der Geschichte des Wahnsinns, die laut Kittler vor einem technischen Hintergrund betrachtet in der Geschichte der Ohren bzw. des Gehörsinns gründet.[2] Und zwar zum einen deshalb, weil sich der Mensch den Klängen, die ständig und aus allen Richtungen auf ihn einwirken, nicht entziehen kann[3], da Ohren das einzige, nicht zu schließende Organ sind.[4] Und zum anderen, weil nicht koordinierbare bzw. lokalisierbare Klänge / Stimmen [im Kopf] als Auslöser für Schizophrenie, eine allgemein hin bezeichnete Form des Wahnsinns, gelten könnten.[5] Kittler sieht also eine direkte Beziehung zwischen Akustik und Wahnsinn und gleichzeitig zur Technik.
4. Untersuchung der Argumentationsstruktur
Im Folgenden wird der zugrunde liegende Text hinsichtlich seiner argumentativen Struktur untersucht. Dabei wird zunächst der Ausgangspunkt der Argumentation bestimmt, dem eine detaillierte Darstellung des Aufbaus der Argumentationsstruktur folgt. Abschließend wird in diesem Kapitel neben einer Zusammenfassung und Darlegung der Kernthesen in ihrer stilistischen Verknüpfung zum gesamten Text die Argumentation dieser Thesen näher erörtert und bewertet.
4.1. Ausgangspunkt und Aufbau der Argumentationsstruktur
Der Rocksong Brain Damage von Pink Floyd[6] bildet den Ausgangspunkt, auf den die gesamte Argumentation Kittlers aufbaut bzw. zu dem während der Ausführungen immer wieder Rückschlüsse gezogen werden. Der Songinhalt bezieht sich auf unlokalisierbare Stimmen im Kopf als Erscheinung von Schizophrenie, die letztendlich in Wahnsinn enden. Der Song erschien auf der Pink Floyd-LP The Dark Side of the Moon aus dem Jahre 1973.[7]
Doch zunächst beginnt Kittler mit einem Auszug aus Pierre Klossowskis Das Bad der Diana, eine Erzählung über den griechischen Gott Pan, „der im Akustischen hauste“[8]. Dieser war durch seine Hirtenflöte quasi omnipräsent: Selbst wenn er nicht mehr zu sehen war, hallte er doch in den Ohren.[9] Daraus zieht Kittler die Schlussfolgerung, indem er sich auf Walter J. Ong beruft, dass die Intensität des Hörens und seine Verallgegenwärtigung gegenüber und gerade damit dem Sehen weit überlegen sei. Zum Sehen müssen die Augen bewegt werden, beim Hören empfängt man aus allen Richtungen Töne, ohne sich überhaupt bewegen zu müssen. Da es aber keinen Gott mehr gibt, der Töne zum „Dröhnen“ bringt, wird die akustische Lautverstärkung heute durch Kraftverstärker und Beschallungsanlagen ersetzt, die es ermöglichen, Klänge aus allen Richtungen gleichzeitig zu vernehmen – und zwar in Form von Rocksongs. Kittler sieht seine Annahme in Pink Floyds Song Brain Damage bestätigt, auf den er im Folgenden immer wieder zu sprechen kommt.[10]
Um seine Annahme nachvollziehbarer zu gestalten, führt Kittler zunächst einmal die Entstehungsgeschichte der Gruppe Pink Floyd an, welche sich – dank des Beitritts von Sänger und Leadgittarist Syd Barret – Begründer einer neuen Musikgeschichte im Kapitel des Niedrigfrequenztechnik und Optoelektronik nennen dürfen.[11] Genauer: der ersten Quadrophonia-Technik / Azimut Coordinator, d. h. es bestand nun die Möglichkeit, innerhalb einer Klangmasse Tracks und Schichten „in beliebige und nach allen drei Raumdimensionen variable Positionen zum Hörerohr zu bringen“[12]. Kittler bezeichnet diesen Vorstoß als Erschließung der „Domäne Astronomie“[13].
Den aufgrund des Erfolgs mittlerweile an LSD-Psychosen und Schizophrenie leidenden Roger Waters (Texter und Komponist von Brain Damage) begründeten Band-Austritt scheint Kittler als die unmittelbare Verbindung zwischen Kapitalismus und Schizophrenie zu sehen: „So wahr bleibt es auch bei siebenstelligen LP-Verkaufszahlen, dass die Kapitalmaschine mit ihren Geldströmen gespeist wird vom decodierten, deterritorialisierten Strom des Wahns, dessen unmittelbare Realisierung, der elektrische ist.“ Diese Aussage stützt Kittler auf Gilles Deleuze / Félix Guattari Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie.[14]
Nachfolgend bezieht sich Kittler auf den Song selbst und dessen Bedeutung für seine weitere Argumentation. Brain Damage, der Hirnschaden, steht für Kittler als das Zerwürfnis aller zuvor aufgestellten stereotypen Ordnungen und Gesetze, wie er sie bei Gottfried Benn, Roman des Phänotyp und Wolfgang Scherer, Soundproduktion bei Patti Smith dargestellt findet.[15] Das Akustische aber, eine von Kittlers Kernthesen, lässt sich nicht durch Gesetze leiten oder kontrollieren, es geht seinen eigenen Weg und zwar den über die Ohren und mit ihm der „unaufhaltsame Fortschritt des Wahnsinns“[16]. Zur Untermauerung dieser These greift Kittler auf die Aussage Lacans zurück, die Ohren seien „im Feld des Unbewußten die einzige Öffnung, die unmöglich zu schließen ist.“[17] Ohren sind demnach wehrlos gegenüber ihrer akustischen Einwirkungen; keine Selektion von Hörbarem sei möglich. Brain Damage als „Kurzgeschichte von Ohr und Wahnsinn im Zeitalter der Medien“[18].
Über diese Thesenaufstellung knüpft Kittler an die Entwicklungsgeschichte des akustischen Fortschritts an, beginnend mit der Erfindung des Grammophons durch Edison, welches nur eine reine Wiedergabe der Aufnahme vermochte, d. h. ohne Lautverstärkung. Davon ausgehend leitet Kittler auf den Schalltrichter über, der für Ernst von Wildenbruchs Bestreben genutzt wurde, „Reales“[19] (= die Stimme) über „Symbolisches“[20] (= „den artikulierten Diskurs von Lyrik“[21] ) auf „Imaginäres“[22] (= die „schöpferische Dichterseele“[23] ) zu reduzieren („Vernehmt denn aus dem Klang von diesem Spruch / Die Seele von Ernst von Wildenbruch.“[24] ). Diesem Bemühen spricht Kittler aber den Erfolg ab, indem er sich auf die heutige Entwicklung der Zeit und Grundlagenforschung bezieht, die jeglichen „Seelenhauch in Sound und Phonstärke“[25] hat untergehen lassen. Darüber hinaus haben die beiden Weltkriege für weitere Innovationsschübe gesorgt, die es schließlich ermöglichten, nicht nur noch Klänge zu reproduzieren, sondern sie direkt zu produzieren.[26] Daher kommt Kittler zu dem Schluss, dass es nur kommerzielle Gründe haben kann („Die zwei Ohren, […], sind seitdem keine Naturlaune mehr, sondern eine Geldquelle: […]“), wenn sich der technische Standard nur auf die Klangflächen beschränkt und nicht, wie bereits machbar, auf die Simulierung realer und absoluter Klangräume. Das bedeutet für Kittler im Umkehrschluss: „[…] wo Geld und Wahnsinn sind, fallen alle Einschränkungen.“ Am Ende dieser Entwicklung steht der von Syd Barret erfundene sogenannte und oben bereits erwähnte Azimut Coordinator.[27]
[...]
[1] Vgl. http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/ausblick/kittler.htm
[2] Vgl. Kittler (1984), S. 146
[3] Ebd., S. 140
[4] Ebd., S. 142
[5] Ebd., S. 147
[6] Ebd., S. 140 f.
[7] Ebd., S. 141
[8] Ebd., S. 140
[9] Ebd., S. 140
[10] Ebd.
[11] Ebd., S. 141
[12] Ebd., S. 145
[13] Ebd., S. 141
[14] Ebd., S. 142
[15] Ebd.
[16] Ebd.
[17] Ebd.
[18] Ebd., S. 143
[19] Ebd.
[20] Ebd.
[21] Ebd.
[22] Ebd.
[23] Ebd.
[24] Ebd.
[25] Ebd.
[26] Ebd., S. 144
[27] Ebd., S. 145
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