Ermittlung des Führungskräfteentwicklungsbedarfs beim Polizeipräsidium Köln


Magisterarbeit, 2004

135 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen der Untersuchung
2.1. Führungstheorien
2.1.1. Eigenschaftstheorien
2.1.2. Situationstheorien
2.2. Führungskräfteentwicklung
2.2.1. Definition des Begriffes „Führungskraft“
2.2.2. Ziele in der Führungskräfteentwicklung
2.2.3. Grundstruktur der Führungskräfteentwicklung
2.2.4. Förderung beruflicher Handlungskompetenz
2.3. Führung und Führungskräfteentwicklung im Kontext der öffentlichen Verwaltung
2.4. Zusammenfassung des theoretischen Teils
2.5. Definition des Erkenntnisinteresses

3. Methodische Aspekte der Befragung
3.1. Ziel und Auswahl der Erhebungstechnik
3.2. Fragebogenkonstruktion
3.2.1. Operationalisierung
3.2.2. Aufbau des Fragebogens, Fragen- und Antwortformat sowie Maßnahmen zur Erhöhung der Rücklaufquote
3.3. Bestimmung der Population
3.4. Pre-Test
3.5. Durchführung der Hauptstudie und Rücklaufquote
3.6. Erfassung, Aufbereitung, Auswertung und Interpretation der Daten

4. Ergebnisse
4.1. Selbstkenntnis und Selbstorganisation
4.2. Ambiguitätstoleranz
4.3. Frustrationstoleranz
4.4. Respekt/ Vorurteilsfreiheit/ Neutralität
4.5. Durchsetzungsfähigkeit
4.6. Kommunikationsfähigkeit
4.7. Vertrauensbereitschaft
4.8. Kooperations- und Teamfähigkeit
4.9. Einfühlungsvermögen (soziale Sensitivität)
4.10. Konfliktfähigkeit
4.11. Konsensfindung
4.12. Herstellung eines vertrauensvollen Gruppenklimas
4.13. Ziele setzen
4.14. Beteiligung
4.15. Motivieren
4.16. Delegieren/Freiräume für selbständiges Arbeiten
4.17. Mitarbeiter fördern und qualifizieren
4.18. Feedback
4.19. Informationsverhalten
4.20. Zusammenfassung der Ergebnisse

5. Angemessenheit des Verfahrens

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 2.1: Führungstheorien – ein Bezugsrahmen

Abbildung 2.2: Das Kontingenzmodell von Fiedler

Abbildung 2.3: Phasenmodell der Aufgaben und Strategien personaler Förderung

Abbildung 4.1.: Mittelwerte `Selbstkenntnis und Selbstorganisation`

Abbildung 4.2.: Mittelwerte `Ambiguitätstoleranz`

Abbildung 4.3.: Mittelwerte `Frustrationstoleranz`

Abbildung 4.4.: Mittelwerte `Respekt/ Vorurteilsfreiheit/ Neutralität`

Abbildung 4.5.: Gruppenvergleich `Respekt/ Vorurteilsfreiheit/ Neutralität`

Abbildung 4.6.: Mittelwerte `Durchsetzungsfähigkeit`

Abbildung 4.7.: Mittelwerte `Kommunikationsfähigkeit`

Abbildung 4.8.: Gruppenvergleich `Kommunikationsfähigkeit`

Abbildung 4.9.: Mittelwerte `Vertrauensbereitschaft`

Abbildung 4.10.: Gruppenvergleich `Vertrauensbereitschaft`

Abbildung 4.11.: Mittelwerte `Kooperations- und Teamfähigkeit`

Abbildung 4.12.: Gruppenvergleich `Kooperations- und Teamfähigkeit`

Abbildung 4.13.: Mittelwerte `Einfühlungsvermögen`

Abbildung 4.14.: Mittelwerte `Konfliktfähigkeit`

Abbildung 4.15.: Mittelwerte `Konsensfindung`

Abbildung 4.16.: Gruppenvergleich `Konsensfindung`

Abbildung 4.17.: Mittelwerte `Herstellung eines vertrauensvollen Gruppenklimas`

Abbildung 4.18.: Gruppenvergleich `Herstellung eines vertrauensvollen Gruppenklimas`

Abbildung 4.19.: Mittelwerte `Ziele setzen`

Abbildung 4.20.: Gruppenvergleich `Ziele setzen`

Abbildung 4.21.: Mittelwerte `Beteiligung`

Abbildung 4.22.: Gruppenvergleich `Beteiligung`

Abbildung 4.23.: Mittelwerte `Motivieren`

Abbildung 4.24.: Gruppenvergleich `Motivieren`

Abbildung 4.25.: Mittelwerte `Delegieren/ Freiräume für selbständiges Arbeiten`

Abbildung 4.26.: Gruppenvergleich `Delegieren/ Freiräume für selbständiges Arbeiten`

Abbildung 4.27.: Mittelwerte `Mitarbeiter fördern und qualifizieren`

Abbildung 4.28.: Gruppenvergleich `Mitarbeiter fördern und qualifizieren`

Abbildung 4.29.: Mittelwerte `Feedback`

Abbildung 4.30.: Gruppenvergleich `Feedback`

Abbildung 4.31.: Mittelwerte `Informationsverhalten`

Abbildung 4.32.: Gruppenvergleich `Informationsverhalten`

1. Einleitung

Nahezu alle Lebensbereiche sind durch immer rascher ablaufende Veränderungen geprägt. Es finden u. a. gravierende Wandlungsprozesse in Wissenschaft, Technik, Gesellschaft, Ökonomie statt. Auch die öffentlichen Verwaltungen der Bundesrepublik Deutschland befinden sich spätestens seit den 90er Jahren in einer permanenten Umbruchsphase. Vor dem Hintergrund von Schlagworten wie „Staats- und Verwaltungs­modernisierung“ beginnt sich in den öffentlichen Verwaltungen das Bewusstsein durchzusetzen, dass beim Übergang vom Bürokratiemodell zum New Public Management auch der Personalbereich grundlegend reformiert werden muss. Die im vergangenen Jahrzehnt verfolgte Modernisierung der öffentlichen Verwaltungen orientierte sich weitgehend am `Neuen Steuerungsmodell`, dessen Ziel es ist, die Verwaltungen in die Lage zu versetzen, den sich verändernden Bedingungen selbständig begegnen zu können (Heisig, Littek und Prigge, 2001, S. 27). Um diesen Veränderungsprozess in Gang zu bringen, werden vor allem die Führungskräfte als „kritischer Faktor“ für eine leistungsfähige und erfolgreiche öffentliche Verwaltung angesehen (Klages, 1998, S. 51). Sie bestimmen, ob die öffentlichen Verwaltungen aktuelle und zukünftige Probleme effizient lösen werden. Es ist ihre Aufgabe, dass Leistungs- und Lernpotential von Mitarbeitern zu erkennen, zu erhalten und in Abstimmung mit dem Verwaltungsbedarf verwendungs- und entwicklungsbezogen zu fördern (Jäger, 1997, S. 87). Ob die Führungskräfte der öffentlichen Verwaltungen diesen Ansprüchen gerecht werden und ob sie über die dafür erforderlichen Kompetenzen verfügen, wird jedoch vielfach sehr kritisch gesehen (näheres siehe Kap. 2.3.).

Das Ziel dieser Arbeit ist es festzustellen, ob diese allgemeinen Erkenntnisse auch für das Polizeipräsidium Köln (PP Köln) als eine Behörde der öffentlichen Verwaltung Geltung haben und ob ein Entwicklungsbedarf bei den im PP Köln beschäftigten Führungskräfte vorliegt. Die Untersuchung beschränkt sich jedoch auf den Bereich der Mitarbeiterführung. Methodische-, Management- oder Fachkompetenzen der Führungskräfte sind nicht Gegenstand der Untersuchung. Der Entwicklungsbedarf wird aus der Differenz zwischen den Anforderungen an eine Führungskraft (Soll) und den Befähigungsmerkmalen der befragten Führungskräfte (Ist) abgeleitet. Die Anforderungen entstammen den Führungs- und Verhaltensgrundsätzen der Polizei NW. Insgesamt wurden 19 Anforderungsmerkmale erarbeitet, die in Personal-, Sozial- und Führungskompetenzen unterteilt wurden. Die Befähigungsmerkmale wurden mittels eines Selbstbild-Fragebogens erhoben, bei dem sich die Führungskräfte in Bezug auf die o. g. Kompetenzen selbst einschätzen sollten. Dabei wurde jedes Anforderungs­merkmal mittels vier Items operationalisiert.

Da die Ermittlung des Führungskräfteentwicklungsbedarfs einen Teilaspekt konzeptioneller Personal- bzw. Führungskräfteentwicklung darstellt, erfolgt im zweiten Kapitel eine Auseinandersetzung mit den Begriffen und Inhalten von Personal- bzw. Führungskräfteentwicklung. Um die Begriffe in einem theoretischen Gesamtkontext einordnen zu können, werden zuvor allgemeine Erkenntnisse aus der Führungsforschung dargestellt. Hier erfolgt neben der Definition zentraler Begriffe insbesondere eine Auseinandersetzung mit den Eigenschafts- und Situationstheorien der Führungsforschung, da diese Untersuchung auf diese beiden Ansätze basiert. Den spezifischen Besonderheiten im Bereich Führung und Führungskräfteentwicklung in der öffentlichen Verwaltung wird ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Neben einer Zusammenfassung der theoretischen Grundlagen wird am Ende des zweiten Kapitels das genaue Erkenntnisinteresse der Untersuchung definiert.

Im dritten Kapitel werden die inhaltlichen und methodischen Vorgehensweisen der Untersuchung beschrieben. Hier werden Auswahl und Konstruktion des Fragebogens, die Bestimmung der Population, die konkrete Durchführung der Befragung sowie das Vorgehen in Bezug auf die Erfassung, Aufbereitung, Auswertung und Interpretation der erhaltenen Daten erläutert.

Im vierten Kapitel werden die Ergebnisse der Erhebung nach dem im dritten Kapitel beschriebenen Verfahren dargestellt. Dabei wird jedes Anforderungsmerkmal für sich ausgewertet und interpretiert. Das Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung der Einzelergebnisse.

Das fünfte Kapitel dieser Arbeit beinhaltet die Klärung der Frage, ob die durchgeführte Untersuchung geeignet ist, den Entwicklungsbedarf der befragten Führungskräfte tatsächlich festzustellen.

2. Theoretische Grundlagen der Untersuchung

In der Literatur liegen zum Thema Führung unterschiedliche Ansätze und Definitionen vor. Wunderer (2001) versteht Führung „als ziel- und ergebnisorientierte, wechselseitige und aktivierende, soziale Beeinflussung zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in und mit einer strukturierten Arbeitssituation“ (Wunderer, 2001, S.4). Staehle (1999, S. 328) beschreibt Führung als Beeinflussung der Einstellungen und des Verhaltens von Einzelpersonen sowie der Interaktionen in und zwischen Gruppen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Von Rosenstiel (1995, S. 4) hebt den Aspekt hervor, dass Führung nicht nur durch Personen sondern auch durch Strukturen ausgeübt werden kann. Führung durch Strukturen erfolgt durch dauerhafte Anweisungen, beispielsweise in Form von Grundsätzen, Richtlinien, Vorschriften oder Zielvorgaben (vgl. Becker, 2002, S. 41).

Als Führungsverhalten werden alle Verhaltensweisen bezeichnet, die auf die zielorientierte Einflussnahme zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben ausgerichtet sind (vgl. Braunschweig, 1998, S. 188 sowie Wunderer, 2001, S. 204). Mitarbeiterführung gestaltet die Einflussbeziehungen in führungsorganisatorisch differenzierten Rollen im Rahmen von Arbeitsverträgen (Wunderer, 2001, S. 4) und beschreibt die zielorientierte Einflussnahme auf das Verhalten der Mitarbeiter (Strombach, 1992, S. 81). Während mit Führungsverhalten empirisch beobachtbare Beeinflussungsversuche einer Führungskraft bezeichnet werden, die situationsabhängig variieren können, versteht man unter Führungsstil ein langfristig relativ stabiles, situationsinvariantes Verhaltensmuster der Führungskraft (Staehle, 1999, S. 334; andere Auffassung siehe Wunderer, 2001, S. 204). Weit verbreitete Führungsstil-Typologien entstammen den „Iowa-Studien“ (Lewin, Lippitt & White, 1939, S. 271 f.), die zwischen autoritärer, demokratischer und laissez-faire Führung unterscheiden. Ferner den „Ohio-Studien“ (u.a. Halpin & Winer, 1954), die zwischen Rücksichtnahme (Consideration) und Gestaltungsinitiative (Initiating of Structure) sowie den „Michigan-Studien“ (u. a. Katz, Maccoby & Morse, 1950), die zwischen Mitarbeiterorientierung (Employee Orientation) und Aufgabenorientierung (Production Orientation) unterscheiden.

2.1. Führungstheorien

Das Ziel der Formulierung von Führungstheorien besteht in der Beschreibung, Erklärung und Vorhersage der Bedingungen, Strukturen, Prozesse, Ursachen und Konsequenzen von Führung (Wunderer, 2001, S. 271). Entsprechend müssen Führungstheorien Aussagen darüber ermöglichen, inwieweit Faktoren wie organisatorische Rahmen­bedingungen, Merkmale von Führern und Geführten, Besonderheiten der zu bearbeitenden Aufgaben oder der verfolgten Ziele Bedeutung für das Führungsgeschehen haben (Berthel, 1995, S. 76).

Im Mittelpunkt der Führungstheorien steht die Frage nach dem Führungserfolg, der an ökonomischen (z.B. Output) und sozialen Kriterien (z.B. Mitarbeiterzufriedenheit) gemessen wird (Wunderer, 2001, S. 271). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die wesentlichen Variablen und ihre Verknüpfungen hinreichend beschrieben werden können. Eindeutige und kausale Wirkungszusammenhänge im Kontext von Führung konnten jedoch bisher nicht ermittelt werden. Dies liegt vor allem daran, dass Führung ein komplexes, dynamisches und abstraktes Konstrukt darstellt (Wunderer, 2001, S. 271-272). Wunderer (2001, S. 273) kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Führungsforschung in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein wird, die hochkomplexe Führungswirklichkeit theoretisch oder gar empirisch umfassend abbilden zu können. Eine allgemein anerkannte Führungstheorie gibt es folglich nicht (Hoffmann, 2001, S. 12). Vielmehr existiert eine kaum zu überschauende Anzahl an Führungstheorien. Es ist daher, um einen Überblick bewahren zu können, hilfreich die existierenden Theorien zu ordnen.

Die Klassifikation von Wunderer (2001, S. 273-321) fasst dabei eine Vielzahl an Führungstheorien zusammen. Die Differenzierung erfolgt in vier Beschreibungs- und Erklärungsansätzen (Person, Position, Interaktion oder Situation), wobei die Zuordnung der einzelnen Theorien anhand ihrer schwerpunktmäßigen Ausrichtung erfolgt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.1: Führungstheorien – ein Bezugsrahmen (Wunderer, 2001, S. 274)

Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht möglich, einen umfassenden Überblick über die Führungsforschung bzw. -theorien darstellen zu können. Daher werden lediglich die Eigenschafts- und Situationstheorien der Führung, da der empirische Teil dieser Arbeit auf diese beiden Ansätze basiert, näher erläutert.

2.1.1. Eigenschaftstheorien

Eigenschaftstheorien versuchen die Eignung zum Führen aus bestimmten, personengebundenen Eigenschaften herzuleiten (Richter, 1994, S. 248). Sie basieren auf der Annahme, dass Führungserfolg primär durch personale Merkmale der Führungskräfte determiniert wird. Es stellen sich dabei die Fragen, wodurch sich Führer von Geführten unterscheiden und wodurch sich erfolgreiche von weniger erfolgreichen Führungskräften unterscheiden? (vgl. Berthel, 1995, S. 76). Nach Delhees (1995, Sp. 898) sind Eigenschaften relativ breite und zeitlich stabile Dispositionen zu bestimmten Verhaltensweisen, die konsistent in verschiedenen Situationen auftreten. Nach Wunderer (2001, S. 275) lassen sich Führungseigenschaften in vier Kategorien zusammenfassen:

- Prädispositionen der Einflussbefähigung (z. B. Dominanz, Durch­setzungsfähigkeit, Selbstvertrauen),
- soziale und interpersonelle Fertigkeiten (z. B. Kooperations­bereitschaft, Interaktionskompetenz),
- Merkmale der Aufgaben-, Ziel- und Umsetzungsorientierung (z. B. Initiative, Ehrgeiz, Durchsetzungsfähigkeit) und
- Prädispositionen der Informationsverarbeitung und -evaluation (z. B. Intelligenz, Entscheidungsfähigkeit, Urteilsvermögen).

Dass Führungserfolg primär durch die Eigenschaften der Führungskraft bestimmt wird, wird jedoch aus mehreren Gründen kritisch gesehen: So reduziert die individualistische Sichtweise der Eigenschaftstheorien die empirische Untersuchung des Führungsphänomens auf „kritische“ Eigenschaften der Führungskräfte (vgl. Berthel, 1995, S. 76). Für die Lösung des praktischen Problems, erfolgreiche Führungskräfte zu identifizieren und heranzubilden, weisen sie nach Berthel (1995, S. 76-77) aus den folgenden Gründen keine ausreichende Brauchbarkeit auf:

- Wissenschaftlich abgesicherte Aussagen über generell erforderliche Führungseigenschaften konnten nicht aufgestellt werden, da es an präzisen und für die Messung von Eigenschaftsausprägungen operationalen Definitionen mangelt.
- Es fehlen Aussagen über die relative Wichtigkeit eruierter Führungseigenschaften.
- Eigenschaften, die zur Erlangung einer Führungsposition führen, sind nicht notwendigerweise identisch mit denen, die mit erfolgreicher Führung selbst zusammenhängen.

Trotz der aufgeführten Mängel genießt die Beschreibung des Führungsverhaltens über Eigenschaften in der Führungs- und Personalpraxis, z. B. in Form von Assessments oder Persönlichkeitstests, einen großen Stellenwert (Wunderer, 2001, S. 276). Als Gründe führt Wunderer (2001, S. 276) zum einen an, dass es der Tradition entspricht, herausragende Leistungen zu individualisieren und dass es beliebter ist, Leistungen und Wirkungen Personen als anderen Einflussfaktoren zuzuschreiben. Zum anderen werden dadurch gängige Verfahren und Praktiken in Unternehmen untermauert. So ist es möglich, die Auswahl und Platzierung von Führungskräften zu begründen, Eignungsdiagnostik zu legitimieren, Personenkult zu rechtfertigen, aktuelle Machtverhältnisse zu fundieren und eine vertikale Mobilität zu beschränken.

Gleichwohl scheinen persönlichkeitsspezifische Merkmale der Führenden für die effiziente Aufgabenerfüllung der Geführten eine Rolle zu spielen. Sie können aber nicht aus dem Zusammenhang mit der Führungssituation, in der sie zum Tragen kommen, herausgenommen werden. Denn die Führungssituation mit Merkmalen wie Aufgabenart, Erwartungen der Interaktionspartner oder Knappheit der verfügbaren Ressourcen kann sich auf bestimmte Führungseigenschaften förderlich oder hinderlich auswirken (vgl. Berthel, 1995, S. 77).

2.1.2. Situationstheorien

Die im vorherigen Kapitel aufgeführten Defizite der Eigenschaftstheorien und die Einbeziehung sozialpsychologischer Forschungsergebnisse führten zur Entwicklung von Situationstheorien der Führung (Staehle, 1999, S. 348). Der Situationsansatz der Führung analysiert das Führungsverhalten in Abhängigkeit von der Gruppe (Geführte), der Aufgabe und der Führungssituation, wobei die Annahme zugrunde liegt, dass unterschiedliche Gruppen- und Führungssituationen auch unterschiedliche Führungsstile erfordern. Dies bedeutet eine Abkehr vom „one best way“ in der Führung. Bedeutsam ist vielmehr ein Führungsverhalten, das den Umständen (Aufgabe, Situation, Gruppe) entsprechend angepasst werden kann (Staehle, 1999, S. 348). Im folgenden wird das Kontingenzmodell von Fiedler (1967) näher dargestellt, da durch dieses Modell die Situationsansätze breite Akzeptanz erlangten (Berthel, 1995, S. 77).

Fiedler (1967) sieht die Leistung einer Gruppe als Funktion zwischen dem Führungsstil und dem Ausmaß, in dem die Gruppensituation es dem Führer erlaubt, Einfluss auszuüben. Fiedler (1967) unterscheidet zwischen zwei Führungsstilen, einerseits dem aufgabenorientierten Führungsstil, der das Bedürfnis nach Aufgabenlösung und Zielerreichung befriedigt und andererseits dem personenorientierten Führungsstil, der das Bedürfnis nach guten menschlichen Beziehungen zwischen Führer und Geführten befriedigt. Zur Messung der beiden Führungsstile entwickelte er den „LPC-Wert“ (last preferred coworker). Mit diesem Wert, der mittels 16 bzw. später 18 bipolaren Adjektivpaaren erhoben wird, soll erfasst werden, wie eine Führungskraft den von ihr am wenigsten geschätzten Mitarbeiter beschreibt. Fiedler geht dabei von der Annahme aus, dass eine Führungskraft, die wenig geschätzte Mitarbeiter wohlwollend beschreibt, personenorientiert führt. Im umgekehrten Fall wird eine aufgabenorientierte Führung angenommen.

Neben dem LPC-Wert werden drei Situationsvariablen gemessen:

1. Die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitern (Führen die Beziehungen zu Zufriedenheit oder Unzufriedenheit);
2. die Aufgabenstruktur (stark oder schwach strukturiert) und
3. die Positionsmacht, um festzustellen, inwieweit die Position es dem Führer ermöglicht, die Geführten in seinem Sinne zu führen.

Durch die Kombination dieser drei Dimensionen, die jeweils nach zwei Ausprägungen dichotomisiert wurden (zu 1: gut - schlecht; zu 2: strukturiert - unstrukturiert und zu 3: stark - schwach), ergeben sich acht unterschiedliche Führungssituationen (siehe Abbildung 2.2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.2: Das Kontingenzmodell von Fiedler (Wunderer, 2001, S. 313)

Der Erfolg einer Führungskraft wird an der Leistung der Gruppe im Hinblick auf die Aufgabenstellung und an der Zufriedenheit der einzelnen Gruppenmitglieder gemessen.

Fiedler (1967) berücksichtigte zum ersten Mal situative Bedingungen in einem empirisch überprüfbaren Führungsmodell (vgl. Staehle, 1999, S. 353). Gleichwohl ist das Kontingenzmodell von Fiedler (1967) unter anderem bei der Erfassung der Situationsvariablen oder bei der Erfassung des Führungsstils heftig kritisiert worden: So beschreiben die drei Situationsvariablen eine Führungssituation nur unvollständig. Personale Merkmale der Geführten werden beispielsweise außer Acht gelassen. Der Führungsstil wird durch den LPC-Wert nur eindimensional auf einem Kontinuum von personenorientiert bis aufgabenorientiert beschrieben. Dies widerspricht jedoch der Erkenntnis, dass Führungsverhalten gleichzeitig personen- und aufgabenorientiert sein kann (vgl. Staehle, 1999, S. 352 f.; Neuberger, 1995, S. 181; Berthel, 1995, S. 97 f.; Wunderer, 2001, S. 312 f.)

Die Kritikpunkte am Kontingenzmodell von Fiedler (1967) zeigen die grundsätzlichen Schwierigkeiten der situativen Ansätze, welche Führungserfolg als abhängig von einer Vielzahl von strukturellen Einflussfaktoren der Außen- und Innenwelt einer Organisationseinheit verstehen, auf. Um die Ansätze allerdings überprüfbar zu machen, wird in allen situativen Erklärungsmodellen versucht, die Zahl der Variablen wieder drastisch zu reduzieren (Wunderer, 2001, S. 310), wodurch die komplexen Ursache-Wirkungs-Beziehungen im Führungskontext in ihrer Gesamtheit nicht abgebildet werden können (vgl. Wegner, 2002, S. 71).

2.2. Führungskräfteentwicklung

Führungskräfteentwicklung ist ein spezielles Segment der betrieblichen Weiterbildung (Wegner, 2002, S. 48). In dieser Arbeit wird Führungskräfteentwicklung als ein Teilbereich der Personalentwicklung angenommen, der auf die Zielgruppe der Führungskräfte ausgerichtet ist und der auf eine positive Veränderung von Qualifikationen und/oder Leistungen der Führungskräfte abzielt (vgl. Berthel, 1987, Sp. 591 f.).

Exkurs Personalentwicklung

Der Begriff Personalentwicklung (PE) ist zu einem omnipräsenten Schlagwort geworden. Trotz dieser großen Aufmerksamkeit sowohl in der Literatur als auch in der Praxis sind Definitionen und Inhalte der Personalentwicklung von großer Heterogenität gekennzeichnet (vgl. Neuberger, 1994, S. 4 f.). Mir erscheint es an dieser Stelle ausreichend zwei Definitionen des Begriffes Personalentwicklung anzuführen: Heymann & Müller (1982, S. 151 f.) fassen unter dem Begriff der Personalentwicklung alle Maßnahmen einer Organisation zusammen, die ,,der individuellen beruflichen Entwicklung der Mitarbeiter aller Hierarchieebenen dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen die zur Wahrnehmung ihrer aktuellen und auch zukünftigen Aufgaben notwendigen Qualifikationen vermitteln“. In einer umfassenderen Konzeption von Sonntag (1999, S. 18) sind unter dem Begriff Personalentwicklung alle Maßnahmen einer Organisation zu verstehen, die dem Aufbau und der Weiterentwicklung von Qualifikationspotentialen und Persönlichkeits­merkmalen zur Meisterung beruflicher, aber auch alltäglicher Situationen dienen.

Nach Heinzel (1996, S. 102) bezieht sich Führungskräfteentwicklung auf alle Prozesse, die das Management direkt und indirekt verant­worten. Dabei spielt die Art und Weise, wie Führung und Zusammen­arbeit realisiert wird, eine besondere Rolle. Es geht sowohl um das Lernen einzelner Führungskräfte als auch um das Lernen des Unternehmens insbesondere an seinen Strukturen und Prozessen.

Zur besseren Übersichtlichkeit kann Führungskräfteentwicklung in personale, interpersonale und apersonale Aspekte (Heinzel, 1996, S. 102) aufgeteilt werden: Der personale Aspekt der Führungskräfteentwicklung betrifft die individuelle Entwicklung der Führungskraft und bildet den Schwerpunkt der Führungskräfteentwicklung. Der interpersonale Aspekt beinhaltet die Förderung von Zusammenarbeit und Netzwerkbildung innerhalb von Organisation. Beim apersonalen Aspekt geht es um die Entwicklung von Unternehmenskultur und Führungsstrukturen im Sinne innovativer Aspekte der Organisationsent­wicklung.

Für den hohen Stellenwert der Förderung von Führungs­kräften in Organisationen nimmt Wegner (2002, S. 1) folgende Gründe an: Führungskräfte besitzen auf Grund ihrer Position verhältnismäßig große Entscheidungsbefugnisse. Ihre Entscheidungen haben daher in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen Handlungsspielraum eine hohe zeitliche und faktische Reichweite. Die Führungskraft repräsentiert die Unternehmenskultur nach innen wie nach außen. Ihr kommt durch ihre Sichtbarkeit in der Organisa­tion eine gewisse Vorbildfunktion zu. Erfolgreiche Führungs­kräfteentwicklung bedeutet zudem die Bindung von ,,Humanressourcen“ an die Organisation. Führungskräfteentwicklung kann den direkten Effekt erfolgreich handelnder Führungskräfte haben und den indirekten Effekt erfolgreich handelnder Mitarbeiter. Nach Seidel (1993, S. 238) sind Führungskräfte gleichzeitig Subjekt und Objekt der Personalentwicklung. Während Führungskräfte einer­seits Teilnehmer der Weiterbildung sind, fungieren sie andererseits als Mentor und Coach ihrer Mitarbeiter. Sie sind somit auch Träger der Weiterbildung. Führungs­kräfteentwicklung hat daher einen multiplikati­ven Effekt (vgl. Schwuchow, 1992, S. 41 f.).

2.2.1. Definition des Begriffes „Führungskraft“

Für die Bezeich­nung Führungskraft werden nach Griepenkerl (1982, S. 11 f.) weitgehend synonym die Begriffe Manager, Kader sowie Vorgesetzter verwendet.

Nach Nagel (1969, S. 15) sind Führungskräfte Mitarbeiter, die sowohl Personalverantwortung haben als auch Entscheidungen über Sachvorgänge treffen. Während sich der sachbezogene Aspekt der Führung auf die Tätigkeiten der Planung, Organisation und Kontrolle bezieht (Ciupka, 1991, S. 158), geht es bei der Personalverantwortung darum, sozial verantwortlich Einstellun­gen und Verhaltensweisen unterstellter Mitarbeiter zielorientiert zu beeinflussen (Grundwald, 1995, S. 194).

Häufig wird die Bezeichnung Führungskraft nach ihrer hierarchischen Einordnung weitergehend differenziert. So können Führungskräfte in oberstes, oberes, mittleres und unteres Management unterschieden (Wegner, 2002, S. 113-114) oder in strategische und operative Führungskräfte eingeteilt (Ciupka, 1991, S. 159) werden.

2.2.2. Ziele in der Führungskräfteentwicklung

Die Ziele der Führungskräfteentwicklung bestimmen sich aus den Zielen des Unternehmens und den individuellen Zielen der Führungskräfte (Becker, 2002, S. 229). In Anlehnung an Heymann & Seiwert (1986, S. 60) können exemplarisch folgende Ziele benannt werden:

Unternehmensziele

- Sicherung des notwendigen Bestands an Führungskräften
- Selektion und Förderung von Führungs- und Nachwuchskräften
- Aufdeckung von Fehlbesetzungen in den Führungsebenen
- Erhöhung des Leistungsverhaltens bei den Führungskräften
- Verbesserung der innerbetrieblichen Kooperation und Kommunika­tion auf dem Sektor der Führung

Individuelle Ziele

- Identifikation mit Aufgaben und Inhalten der Führungstätigkeiten
- Besserung der Chancen der Selbstverwirklichung durch Übernahme qualifizierterer Tätigkeiten
- Schaffung karrierebezogener Voraussetzungen für den baldigen beruflichen Aufstieg
- Aktivierung bisher nicht genutzter persönlicher Kenntnisse und Neigungen

Nach traditionellem Ver­ständnis soll Führungskräfteentwicklung eine Integration von Unternehmens- und Individualzielen anstreben (Ciupka, 1991, S. 156). Inwieweit die Unternehmens- und Individualziele in Einklang zu bringen sind, wird in der Literatur unterschiedlich bewertet. Nach Woriescheck & Deller (1994, S. 137) kann Zielkomplementarität nicht automatisch vorausgesetzt werden. Von Rosenstiel (1999, S. 101) sieht jedoch auf dem Feld der Personal- bzw. Führungskräfteentwicklung häufig Zielkongruenz. Das betriebliche Ziel die Mitarbeiter für die Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Anforderungen zu qualifizieren, dürfte mit den Interessen der Mitarbeiter übereinstimmen, da diese dadurch den Anforderungen gewachsen sind und so das eigene Ansehen und Karrierechancen im Unternehmen verbessern können.

In einer aktuellen Untersuchung von Becker (2002, S. 229) wird aufgezeigt, dass gegenwärtig die am häufigsten genannten Ziele der Führungs­kräfteentwicklung die Befähigung der Führungskräfte zur Bewältigung von Veränderungen, die Verbesserung des Kommunikations­verhaltens und die Verbesserung des Kooperations­verhaltens sind.

2.2.3. Grundstruktur der Führungskräfteentwicklung

Eine konzeptionelle Personal- bzw. Führungskräfteentwicklung beinhaltet die Phasen Ermittlung des Entwicklungsbedarfs, Gestaltung der Entwicklungsmaßnahmen, Durchführung der Maßnahmen und Evaluation des Entwicklungserfolges (Berthel, 1995, S. 243). Da diese Arbeit die Ermittlung des Entwicklungsbedarfs thematisiert, werden die Themenbereiche Entwicklung, Realisierung und Evaluation von PE-Maßnahmen hier nicht weiter behandelt.

Den Ausgangspunkt einer konzeptionellen Personalentwicklung bildet die Ermittlung des Personalentwicklungsbedarfs. Personalentwicklungsbedarf kann auf personaler, interpersonaler und apersonaler Ebene festgestellt werden. Die Feststellung des Bedarfs auf der personalen Ebene zielt auf das Erkennen von Wissens-, Fähigkeiten- und Fertigkeitsdefiziten einzelner Personen ab. Auf der interpersonalen Ebene geht es um die Feststellung des Entwicklungsbedarfes zwischen verschiedenen Personengruppen, um darauf aufbauend Beziehungen, Konstellationen, Normen und Routinen zu entwickeln. Die Bedarfsfeststellung auf der apersonalen Ebene zielt auf die Entwicklung der gesamten Organisation ab (Becker, 2002, S. 128-129).

Die Hauptphasen personaler Förderung im Bereich der Analyse des Personalentwicklungsbedarfes sind nach Sonntag (1999, S. 21) die Ermittlung organisationaler, tätigkeitsbezogener und personaler Merkmale.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.3: Phasenmodell der Aufgaben und Strategien personaler Förderung (Sonntag, 1999, S. 22)

Im Rahmen der Bedarfsermittlung werden bei der Organisationsanalyse die Unternehmens- und Führungsphilosophien als Zielvorgaben für die personale Förderung abgeleitet. Die Aufgaben- und Anforderungsanalyse erfasst die zur Aufgabenbewältigung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen des Stelleninhabers. Die Personanalyse ermittelt die individuellen Leistungs- und Verhaltensdefizite sowie Entwicklungs­potentiale (Moore & Dutton, 1978, zit. n. Sonntag, 1999, S. 22).

Eine umfassende Bedarfsermittlung kann dabei sowohl aus der Differenz zwischen Anforderungsmerkmalen (Soll) und Befähigungsmerkmalen (Ist) sowie aus dem Vergleich von künftig erforderlichen und aktuell vorhandenen Qualifikationen abgeleitet werden (Becker, 2002, S. 129).

Nach Staehle (1991, S. 57) werden Manager mit einer hohen Anzahl unterschiedlichster neuer Anforderungen konfrontiert. Die mit Abstand größte Bedeutung wird dabei den sozialen Anforderungen beigemessen. Die Studie von Becker (2002, S. 232-235) bestätigt dies: Demnach haben sich die sozialen Anforderungen, die Anforderungen im Bereich der Mitarbeiterführung sowie die Anforderungen an die Persönlichkeit der Führungskräfte erhöht. Das Anwachsen der sozialen Anforderungen an die Führungskräfte kommt in der Verfolgung der Ziele Verbesserung des Kommunikations- und Kooperationsverhaltens zum Ausdruck. Der Anstieg der Anforderungen an die Mitarbeiterführung bedingt die Verbesserung des Kommunikationsverhaltens der Führungskräfte. Die Verfolgung der Ziele Erhöhung der Loyalität sowie Verbesserung des Kooperationsverhaltens ist insbesondere auf die gewachsenen Anforderungen an die Persönlichkeit der Führungskräfte zurückzuführen. Demzufolge stellen auch nach Becker (2002, S. 235-240) die Schulung der sozialen Kompetenz sowie die Vermittlung von Methoden und Techniken der Mitarbeiterführung die häufigsten Inhalte von Führungskräftetrainings dar.

Aufgrund der verschiedenen Aufgabenschwerpunkte von Führungskräften unterscheiden sich auch die Aufgabeninhalte und damit auch die An­forderungen an Führungskräfte. Im Zusammenhang mit der Bestimmung von An­forderungskategorien an Führungskräfte ist es daher sinnvoll, eine Differenzierung nach betrieblichen Funktionsbereichen respektive Aufgabenschwerpunkten vorzunehmen (vgl. Fritsch, 1985, S. 72).

2.2.4. Förderung beruflicher Handlungskompetenz

Reflektiert man neuere Unternehmensphilosophien und Personalent­wicklungs­konzepte, sollten Mitarbeiter über eine umfassende Handlungs­kompetenz verfügen (vgl. Sonntag & Schaper, 1999, S. 211). In diesem Kapitel erfolgt daher eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Begriff Handlungskompetenz und seinen Segmenten.

Aus wissenschaftlicher Sicht besteht derzeit kein Konsens darüber, wie das Konstrukt ,,Kompetenz“ grundsätzlich fundiert werden soll. Verschiedene Disziplinen wie Pädagogik, Psychologie, Soziologie oder Betriebswirtschaft arbeiten an seiner inhaltlichen Definition (Wegner, 2002, S. 3). Weinberg (1996, S. 3) definiert den Begriff Kompetenz als ,,alle Fähigkeiten, Wissensbestände und Denkmethoden, die ein Mensch in seinem Leben erwirbt und betätigt“. Nach Baethge & Schiersmann (1998, S. 37) ist mit Kompetenz eine Handlungsfähigkeit gemeint, die nicht nur bei gewohnten, sondern auch bei ungewohnten Handlungsanforderungen vorhanden ist.

Um die Vielzahl vorhandener Methoden und deren Intentionen einigermaßen sinnvoll zu klassifizieren und zu beschreiben, wird berufliche Handlungskompetenz aus pragmatischen Gründen in drei Kompetenzbereiche unterteilt: Fach-/Methodenkompetenz, Sozial- und Personalkompetenz (Sonntag & Schaper, 1999, S. 212 ). Diese Differenzierung des Kompetenzkonstruktes erlaubt zudem eine Zuordnung zu unterschiedlichen Maßnahmen der Personalentwicklung, die zum einen auf eine fachliche Qualifizierung zielen und andererseits der Persönlichkeitsentwicklung dienen (Wegner, 2002, S. 83). In Anlehnung an diese Klassifizierung werden nunmehr die drei Segmente näher erläutert:

Fach- und Methodenkompetenzen beinhalten Handlungsfähigkeiten, die insbesondere zur Vorbereitung und Begründung von fachlichen Entscheidungen und zum Vollzug konkreter Arbeitsschritte erforderlich sind (vgl. Erpenbeck & Heyse, 1996, S. 88 f.). Fachkompetenz umfasst das Vorhandensein spezifischer beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten, die den gegebenen und den voraus­sichtlich zukünftig wichtigen fachspezifischen Berufsanforderungen entsprechen. Methodenkompetenz beinhaltet die Verfügbarkeit über kognitive Fähigkeiten der Problemstrukturierung und -lösung sowie der Ent­scheidungsfindung, die der selbständigen Aneignung neuer Kenntnisse, Fertigkeiten und Methoden dienen (vgl. Sonntag & Schaper, 1999, S. 212). Im Zuge des exponentiell anwachsenden Wissens auf dem Arbeitsmarkt ist es über den einmal erzielten Aufbau von Fachkenntnissen hinaus wichtig, ein Kernwissen (Gesetzmäßigkeiten, Prinzipien, Grundkenntnisse etc.) ständig verfügbar zu halten sowie das eigene Wissen kontinuierlich zu aktualisieren, was die Fähigkeit beinhaltet, ein permanentes Ergänzungslernen etablieren zu können (Wegner, 2002, S. 84).

Soziale Kompetenz bezieht sich auf den Umgang mit anderen Menschen (Wegner, 2002, S. 85) und lässt sich knapp gefasst als Fähigkeit beschreiben, mit anderen zu kooperieren und verantwortungsbewusst umzugehen (Hölterhoff, 1989, S. 594). Nach Thorndike (1920; zit. n. Asendorpf, 1996, S. 154 ) beinhaltet soziale Kompetenz zum einen soziale Sensitivität, was die Fähigkeit beinhaltet, andere zu verstehen und zum anderen soziale Handlungskompetenz, was die Fähigkeit beinhaltet, schwierige soziale Situationen meistern zu können.

Eine umfassende Definition sozialer Kompetenz liefern Faix und Laier (1996). Sie beschreiben soziale Kompetenz als ,,das Ausmaß, in dem der Mensch fähig ist, im privaten, beruflichen und gesamtgesellschaftlichen Kontext selbständig, umsichtig und nutz­bringend zu handeln“ (Faix & Laier 1996, S. 62). Bei dieser Definition sozialer Kompetenz steht ein grundlegendes Verantwortungsbewusstsein von Menschen im Mittelpunkt, das sich gegenüber allen gesellschaftlichen Gemeinschaften und der Natur respektierend auswirken soll (Wegner, 2002, S. 85).

Soziale Kompetenz wird in der Persönlichkeitspsychologie als ein komplexes Fähigkeitskonstrukt definiert, das aus zwei Komponenten besteht, die wenig miteinander korrelieren (Asendorpf, 1996, S. 153): Damit ist zum einem Durchsetzungsfähigkeit als eine Fähigkeit, die eigenen Interessen gegenüber anderen zu wahren und zum anderen Beziehungsfähigkeit als eine Fähigkeit, positive Beziehungen mit anderen einzugehen und aufrechtzuerhalten, gemeint. Soziale Kompetenz beinhaltet die Fähigkeit, beide Aspekte integrieren und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen ihnen herstellen zu können (Asendorpf, 1996, S. 153).

Mehr auf den Arbeitskontext zugeschnitten kann sozial kompetentes Verhalten mittels folgender exemplarischer Verhaltensmerkmale be­schrieben werden: Kooperationsfähigkeit, Team- und Kommunikations­fähigkeit, Achtung vor anderen, Verständnisbereitschaft, Vorurteilsfreiheit, Vertrauensbereitschaft, Solidarität, Offenheit, Fairness und Einfühlungs­vermögen (Faix & Laier, 1996, S. 63 f.).

Baitsch (1998, S. 294 f.) benennt die folgenden Inhaltsmerkmale, die sich auf einen kompetenten Umgang mit anderen Personen in (Arbeits-)gruppen richten:

- die Fähigkeit zur Perspektivenrekonstruktion und Empathie, was die Fähigkeit zur Identifikation mit Kooperationspartnern und zur Übernahme einer reversiblen Sichtweise beinhaltet
- Konfliktfähigkeit im Sinne einer Fähigkeit zur offensiven und konstruktiven Auseinandersetzung ohne zu unsachlichen (aggressiven und verletzenden) Mitteln zu greifen
- Fähigkeit zur Unterstützung nonkonformer Gruppenmitglieder, die auch eine Bereitschaft beinhaltet, andere Personen, die von jeweiligen Gruppennormen und -werten abweichen, unterstützen zu können
- Fähigkeit zur Konsensfindung, die die Fähigkeit und Bereitschaft beinhaltet, in fachlichen oder sozialen Auseinandersetzungen einen Beitrag zur Konfliktlösung zu leisten, was u.a. beinhaltet, eigene Positionen zurücknehmen zu können, wenn es sich als sinnvoll erweist
- Bereitschaft zur Qualifizierung und Sorge um kollektive Qualifikation, z.B. die bereitwillige Weitergabe von informellem Wissen

Für den Führungskontext ist es bei der Beschreibung sozialer Kompetenzen zusätzlich erforderlich, den Aspekt der Optimierung von Interaktionsprozessen, die der Realisierung von Arbeits­plänen und Umsetzung von Zielvorhaben dienen, mit ein zu beziehen. Diese „ Führungskompetenzen “ beinhalten, die Fähigkeit und Bereitschaft, Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen, indem ihnen Orientierung und Ziele vorgegeben werden. Ferner werden damit Fähigkeiten verbunden, andere von einer Sache überzeugen und sie zum Handeln motivieren zu können (Wegner, 2002, S. 87).

Die Forschung zur sozialen Kompetenz gilt als nicht sehr weit entwickelt. Überzeugende Forschungsmethoden zur Erfassung und Differenzierung wurden bislang kaum hervorgebracht (Wegner, 2002, S. 86). Asendorpf (1996, S. 157) fasst einige Gründe hierfür zusammen:

- Es gibt kein klares und zuverlässiges Kriterium für die Operationalisierung sozialer Kompetenz.
- Die Forschung zum Thema soziale Kompetenz wurde lange zu­gunsten anderer Konstrukte wie beispielsweise Intelligenz zurückgestellt.
- Es ist schwierig reale Situationen zu erfassen, in denen soziale Kompetenz beobachtet werden kann.

Personalkompetenz betrifft das individuelle Potential bzw. die persönlichkeitsbezogenen Dispositionen eines Individuums wie z.B. Einstellungen, Werthaltungen und Motive, die das Arbeitsverhalten beeinflussen (vgl. Sonntag & Schaper, 1999, S. 212). Personale Kompetenz richtet sich auf den Umgang mit der eigenen Person und enthält Fähigkeiten zur Selbstkenntnis und Selbstorganisation, welche sich zum Beispiel auf persönliche Einstellungen, Erwartungshaltungen, Motive, Bedürfnisse und Werte beziehen (vgl. Erpenbeck & Heyse, 1996, S. 90). Faix & Laier (1996, S. 62) benennen die folgenden Fähigkeiten für den kompetenten Umgang mit der eigenen Person: die Fähigkeit, mit Kritik umgehen zu können, Ambiguitätstoleranz, Frustrationstoleranz, Sensibilität für eigene Bedürfnisse, Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub, Selbststeuerung, Rollendistanz.

Auf eine weitere Aufsplittung der einzelnen Kompetenzbereiche in immer neue Detailkomponenten soll hier verzichtet werden. Die hier angeführten Definitionen und Deskriptionen verdeutlichen die enorme Bandbreite möglicher inhaltlicher Aspekte. Es wird auch an dieser Stelle nicht weiter versucht, die verschiedenen Kompetenzen scharf voneinander zu trennen. Dies erscheint auch nicht möglich, da die Definitionen über die verschiedenen Arten von Kompetenzen stark variieren.

[...]

Ende der Leseprobe aus 135 Seiten

Details

Titel
Ermittlung des Führungskräfteentwicklungsbedarfs beim Polizeipräsidium Köln
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Psychologisches Institut)
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
135
Katalognummer
V45044
ISBN (eBook)
9783638425186
ISBN (Buch)
9783638721387
Dateigröße
1700 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ermittlung, Führungskräfteentwicklungsbedarfs, Polizeipräsidium, Köln
Arbeit zitieren
Oliver Goebel (Autor:in), 2004, Ermittlung des Führungskräfteentwicklungsbedarfs beim Polizeipräsidium Köln, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45044

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