Die WTO - Weltweiter Freihandel oder nationaler Protektionismus?


Seminararbeit, 2002

16 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


GLIEDERUNG

1. Erkenntnisinteresse und These

2. Ökonomische Begründung des Freihandels
2.1 Die Außenhandelstheorie Ricardos
2.2 Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse

3. Prinzipien und Funktionsweise der WTO
3.1 Motivation und Ziele des GATT
3.2 Prinzipien der WTO für weltweiten Freihandel
3.2.1 Meistbegünstigung
3.2.2 Inländerprinzip
3.2.3. Reziprozität
3.2.4 Förderung der Entwicklungsländer
3.2.5 Förderung des Umweltschutzes

4. Die weltwirtschaftliche Realität
4.1 Kritik der liberalen Theorie
4.2 Juristische Probleme des GATT
4.3 Staatsdirigismus bei Ökonomien in Transformation
4.4 Handelsinteressen der USA
4.5 Der Protektionismus der EU und Südostasiens
4.6 Von der WTO selbst legalisierter Protektionismus
4.7 Diskriminierung der Entwicklungsländer
4.8 Handel mit Dienstleistungen und E-Commerce

5. Fazit und Ausblick
5.1 Ablehnung der These
5.2 Ausblick: Reformbedürftigkeit der WTO

1. Erkenntnisinteresse und These

Die WTO steht vor einer neuen großen Handelsrunde. Die Ministerkonferenz in Qatar im November 2001 bildete den Auftakt hierzu. Bei einer näheren Betrachtung der WTO sticht jedoch die Diskrepanz der liberalen Freihandelstheorie einerseits und der weltwirtschaftlichen Realität andererseits ins Auge.

Arbeit und Funktionsweise der WTO können unter vielfältigen Gesichtspunkten betrachtet werden. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Schwerpunkt auf der ökonomischen Theorie und Praxis legen. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit liegt darin, ob die WTO tatsächlich dem Freihandel zur Durchsetzung verhelfen kann oder ob nicht die Handelsinteressen einiger weniger Staaten und Zollunionen diesen zu einem legalisierten Protektionismus verfälscht haben. Zur Untersuchung dieser Fragestellung dient die folgende Hypothese:

Die WTO als internationale Institution ermöglicht durch ihre Prinzipien und Funktionsweise reibungslosen weltweiten Freihandel und erhöht so die Wohlfahrt aller Länder.

Nach dem formalen Beweis der positiven Wirkungen von Freihandel wird untersucht, inwiefern die WTO-Prinzipien weltweiten Freihandel ermöglichen. Der Vergleich mit der weltwirtschaftlichen Realität wird jedoch die Grenzen dieser Möglichkeiten aufzeigen.

Es wird sich letztendlich erweisen, daß die WTO-Prinzipien zwar begrüßenswert sind, international aber aufgrund der Blockadepolitik der großen Handelsnationen und der EU in Wirklichkeit Protektionismus zwischen den USA, der EU und Japan einerseits und dem Rest der Welt andererseits herrscht. Ein abschließender Ausblick zeigt die Reformbedürftigkeit der WTO und Chancen für die Durchsetzung einer Reform auf.

2. Ökonomische Begründung des Freihandels

2.1 Die Außenhandelstheorie Ricardos

Der schottische Nationalökonom David Ricardo gilt allgemein als der Schöpfer der klassischen liberalen Freihandelstheorie. Die Kernaussage seines Werkes läßt sich wie folgt darstellen: Wenn zwei Nationen in bezug auf unterschiedliche Güter unterschiedliche Spezialisierungsvorteile haben, so ist es sinnvoll, sich auf die alleinige Produktion desjenigen Gutes zu beschränken, bei dem der Spezialisierungsvorteil am größten ist. Das andere Gut hingegen wird gar nicht mehr produziert, sondern aus dem Ausland importiert.

Ricardo wählte hierfür das Beispiel der Staaten England und Portugal, die beide Wein und Tuch produzieren können. Allerdings hat England aufgrund seines technologischen Know-hows Spezialisierungsvorteile bei der Produktion von Tuch. Bei Portugal gilt dasselbe Argument in bezug auf Wein.

Obwohl England Wein und Portugal Tuch produzieren könnte, wird England nur Tuch produzieren und Wein importieren; Portugal wiederum wird nur Wein produzieren und Tuch importieren. Beide spezialisieren sich also auf das, was sie am besten können. Im freien Handelsverkehr bezahlt England seine Weinimporte mit dem Erlös des Tuches, das nach Portugal exportiert wurde. Portugal bezahlt sein Tuch mit dem Erlös aus den Weinexporten.

Das Entscheidende ist, daß dieses System eben kein Nullsummenspiel darstellt, sondern beide Länder durch die Spezialisierung ihre Produktionsfaktoren so effizient wie möglich einsetzen. Dadurch haben am Ende beide Staaten mehr von beiden Gütern, als wenn sie die Güter – und zwar ineffizient – in Autarkie produziert hätten. Dies gilt nicht nur bei absoluten Kostenvorteilen (wie schon Adam Smith gezeigt hatte), sondern auch bei relativen Kostenvorteilen (sog. Ricardianisches Theorem der komparativen Kostenvorteile).

Internationaler Freihandel ist also etwas Wünschenswertes, da niemand dabei etwas verliert, ganz im Gegenteil: Im Land selbst werden die Produzenten die verfügbaren knappen Produktionsfaktoren so effizient wie möglich einsetzen, durch die Außenhandelsbilanz erwirtschaftet das Land einen positiven Beitrag zu seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Beim dem ausländischen Handelspartner gilt genau dasselbe. Beide haben also ihre Wohlfahrt allein dadurch gesteigert, daß sie miteinander Handel treiben.

Die grundsätzliche Richtigkeit dieser Überlegungen ist kürzlich erneut durch Untersuchungen von Sachs und Warner[1] bestätigt worden: „Entwicklungsländer, die auf Export setzen und ausländisches Kapital anlocken, haben zwischen 1970 und 1990 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent verzeichnet; ‚geschlossene‘ Länder hingegen nur von 0,7 Prozent.“

Ein extremes Beispiel für die Steigerung der Wohlfahrt eines Landes durch Außenhandel ist Südkorea, das noch 1965 ein Entwicklungsland ohne nennenswerte Industrie war, durch konsequente Marktöffnung und Orientierung am Freihandel allerdings zu einer der führenden Wirtschaftsmächte Südostasiens aufstieg.

2.2 Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse

Wohlfahrtstheoretisch ist Freihandel immer zu begrüßen, da er die Wohlfahrt sowohl im In- wie im Ausland erhöht und kompetitive Weltmarktpreise sicherstellt. Ein Zoll, gleich welcher Ausgestaltung, wirkt jedoch hemmend auf den freien Handel.

Die ökonomische Wirkungen eines Zolls ist wie folgt: Der durch freien Handel und Wettbewerb aller sich bildende Weltmarktpreis (d.h. der bei internationaler freier Kompetition zu zahlende Preis für ein Gut) ist jetzt nicht mehr identisch mit dem Inlandspreis. Letzterer wird nämlich künstlich nach oben gesetzt durch den Zoll, der an der Landesgrenze auf das Produkt zu zahlen ist. Die Produzenten bezahlen zwar zunächst den Zoll, geben ihre Aufwendungen aber über den Preis des Gutes direkt an den Konsumenten weiter. Der Preis im Inland steigt also um den realen Wert des Zolls. Durch diese Verteuerung werden die Konsumenten weniger vom ausländischen Gut nachfragen, die Importe sinken somit.

Die inländischen Produzenten jedoch haben nun einen Wettbewerbsvorteil: Obwohl ihre Produktion längst nicht so effizient ist und sie niemals zu Weltmarktpreisen anbieten könnten, hat der Zoll den Preis für das ausländische Gut so weit erhöht, daß das ineffiziente inländische Produkt für die Konsumenten billiger ist als das ausländische Produkt. Gleichzeitig sind die Importe zurückgegangen. Also werden die inländischen Produzenten mehr produzieren, um den Nachfragerückgang zu kompensieren - obwohl sie diese Produktionsmenge auf dem freien Weltmarkt niemals absetzen könnten! Es kommt also zu einer künstlichen Ausweitung der Produktion und zum Aufbau ineffizienter Überkapazitäten.

Wohlfahrtstheoretisch betrachtet gewinnt der Staat die Zolleinnahmen, die Produzentenrente steigt und die Konsumentenrente sinkt. Die Konsumenten tragen die wirtschaftliche Last des Zolls. Aus Konsumentensicht zahlen die Konsumenten den Produzenten de facto eine Subvention, damit diese ihre Erzeugnisse vermarkten können, was ihnen bei Weltmarktpreisen nicht gelänge. Die Summe der Wohlfahrtsbeiträge ist jedoch, wie sich graphisch und analytisch leicht zeigen läßt[2], geringer als bei Freihandel: Der Zoll vernichtet Wohlfahrt.

Nichttarifäre Handelshemmnisse (Nth) wirken genauso wie ein Zoll. Das GATT-Abkommen nennt sechs Kodizes über Nth[3]. „Die Kodizes behandeln im einzelnen folgende Nth: die Zollwertbemessung, Importlizenzverfahren, Antidumpingmaßnahmen (...), sog. Technische Handelshemmnisse (...), Regierungskäufe; sowie schließlich Subventionen und Ausgleichszölle“. Daneben sind Quoten und Selbstbeschränkungen als weitere wichtige Nth zu nennen.

Diese haben alle eines gemeinsam: Entweder beschränken sie die Einfuhrmenge des Gutes (z.B. wie das Multifaserabkommen, eine diskriminierende Mischung aus Quote und Selbstbeschränkung, mehr dazu später) oder sie erschweren auf nichttarifärem Wege den Marktzutritt, etwa durch technische Regelungen, bürokratischen Aufwand, teure Pflichtlizenzen usw. Die Nth dienen genau wie der Zoll der Diskriminierung ausländischer Anbieter und der Abschottung des Heimatmarktes.

Somit ist erwiesen, daß sowohl Zölle als auch Nth die Wohlfahrt eines Landes senken. Sie gehen zudem immer zu Lasten der Konsumenten, da die Produzenten ihre Zollaufwendungen über den Preis an diese weitergeben. Zölle sind daher niemals etwas Wünschenswertes, sondern verzerren den internationalen Wettbewerb. Sie sind vielmehr ein politisches Mittel, um Märkte gegen Wettbewerb von außen abzuschotten.

3. Prinzipien und Funktionsweise der WTO

Im vorigen Kapitel wurde gezeigt, daß in der Theorie freier Handel die Wohlfahrt aller Beteiligten erhöht, Zölle jedoch die Wohlfahrt aller senken. Es muß nun untersucht werden, inwiefern GATT und WTO weltweiten Freihandel durchsetzen wollen und können.

3.1 Motivation und Ziele des GATT

Die Präambel des GATT nennt eine Vielzahl von Zielen. In der deutschen Übersetzung[4] heißt es, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen seien „auf die Erhöhung des Lebensstandards, auf die Sicherung der Vollbeschäftigung und eines hohen und ständig steigenden Umfangs des Realeinkommens und der wirksamen Nachfrage sowie auf die Ausweitung der Produktion und des Handels mit Waren und Dienstleistungen“ auszurichten.

Die WTO hat also makroökonomische Grundziele, die vor allem auf die Erhöhung der Wohlfahrt abzielen. Freihandel ist nun das Instrument, das die Realisierung aller dieser Ziele erreichen soll. Dafür müssen internationale Zollschranken abgebaut werden. Es ist somit nur logisch, daß das GATT auf die Beseitigung von Zöllen abzielt.

Freihandel funktioniert aber nur, wenn alle Staaten sich zu ihm rückhaltlos verpflichten. Sonst bestünden ständig Anreize, von der Vereinbarung abzuweichen, um nationale Interessen zu begünstigen. In der Konsequenz würde das Abkommen kollabieren. Daher schreibt das GATT bestimmte Prinzipien vor, an die sich alle Mitgliedsstaaten der WTO grundsätzlich zu halten haben. Die wichtigsten werden im Folgenden diskutiert.

3.2 Prinzipien der WTO für weltweiten Freihandel

3.2.1 Meistbegünstigung

Meistbegünstigung (most favored nation clause) bedeutet, daß zwischen allen Mitgliedern der WTO handelspolitische Gleichstellung bzw. Nichtdiskriminierung herrschen muß. Ein Land muß allen Ländern genau die Vorteile einräumen, die es auch seinem am meisten begünstigten Handelspartner eingeräumt hat (daher der Name). Somit gelten Vergünstigungen, die zwei WTO-Mitgliedstaaten untereinander vereinbart haben, ohne Einschränkung auch für alle anderen Mitgliedsstaaten.

Per se ist dieses Prinzip sehr begrüßenswert, denn es setzt einen „Schneeballeffekt“ in Gang: Ausgehandelte Vergünstigungen gelten für alle Mitgliedsstaaten. Dies erleichtert den Handel und setzt Anreize, wieder neue Vergünstigungen zu schaffen. Zudem können so Staaten, die sich freiwillig untereinander nie zu handelspolitischer Kooperation bereit gefunden hätten, von der Kooperation Anderer profitieren.

Jedoch gibt es gewichtige Ausnahmen zu diesem Prinzip, die es in seiner Wirksamkeit erheblich beschränken. Zum einen ist die „historische Bevorzugung“ bestimmter Staaten erlaubt (sog. grandfather rights). Dies betrifft insbesondere die Beziehungen Großbritanniens zu den Staaten und ehemaligen Mitgliedern des Commonwealth – nicht gerade ein kleiner Anteil des Welthandels. Zudem können mittels „historischer Bevorzugung“ die der EU assoziierten AKP-Staaten auch weiterhin mit der EU günstiger Handel treiben als andere Staaten.

Die zweite, weit gewichtigere Ausnahme: Die Meistbegünstigungsklausel findet keine Anwendung, sofern mehrere Staaten einen Integrationsraum unter sich schaffen wollen. Diese Ausnahme wurde offensichtlich auf Druck der EG eingeführt. In der Konsequenz ist der EG-Binnenmarkt weiterhin eine nach außen geschlossene Zollunion.

[...]


[1] Zitiert in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, 28.10.2001, S.38

[2] die sog. Harberger-Dreiecke gehen bei einem Zoll verloren. Für eine Herleitung vgl. etwa Rose/Sauernheimer, Theorie der Außenwirtschaft, München 1999

[3] List, Martin et al.: Die Nachkriegsordnungen der Weltwirtschaft in: dies. (Hrsg.): Internationale Politik. Probleme und Grundbegriffe, Opladen 1995: Leske&Budrich

[4] abgedruckt in: Hummer/Weiss: Vom GATT ´47 zur WTO ´94 (...), Baden-Baden 1997

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die WTO - Weltweiter Freihandel oder nationaler Protektionismus?
Hochschule
Universität Mannheim  (Fakultät für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Hauptseminar Internationale Beziehungen
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
16
Katalognummer
V4539
ISBN (eBook)
9783638127981
ISBN (Buch)
9783638746014
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
WTO, Weltwirtschaft, internationales Recht, Freihandel
Arbeit zitieren
Marcus Matthias Keupp (Autor:in), 2002, Die WTO - Weltweiter Freihandel oder nationaler Protektionismus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4539

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